Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.

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Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.
33. Jahrgang | Nr. 43/44 | 14. Oktober 2018
Woche der Religionen (3. – 11. November 2018)

Dossier zur Woche der Religionen
mit Pfarreienteil Baden-Wettingen

DER EWIGE ZÜNDSTOFF/ Pfarrerin, Prieste­rin, Vorbeterin:
Die Rolle der Frauen in den Religionen gibt bis heute zu reden.
Sind Frauen und Männer in den Religionen        zwei Frauen als reformierte Pfarrerinnen       INTERRELIGIÖSES FRAUENGEBET
gleichberechtigt? Wie sind die Rollenvertei-    ordiniert wurden. Damals waren sie den         Die Dis­ kussion über die Frauenordination
lungen und welche geschlechtergerechten         Männern noch nicht gleichgestellt: Sie muss-   läuft auf Hochtouren und die Redaktion die-
Strukturen gibt es? Wie sieht es aus im         ten sich «Pfarrhelferinnen» nennen und be-     ses Dossiers, die sich aus Vertreterinnen und
Christentum: Wird es irgendwann in der rö-      kamen weniger Lohn. Auch wenn bis heute        Vertretern von fünf Religionen zusammen-
misch-katholischen Kirche auch Priesterin-      nicht in allen Religionen Frauen kultische     setzt, lädt ein zum «Interreligiösen Frauen-
nen geben? Wie erleben Musliminnen und          Handlungen offiziell ausüben dürfen, ist       gebet», das am 8. November in Bern und am
Jüdinnen die Gleichberechtigung in ihrer        doch einiges möglich. Wussten Sie zum          22. November in Zürich stattfindet. Lassen
Religion? Im Westen ist die Mehrzahl der        Beispiel, dass man im Islam in regionalen      Sie sich eine Stunde lang überraschen von
praktizierenden Buddhisten weiblich, welt-      Kontexten schon seit Längerem weibliche        Gebeten, Liedern und Kurzpredigten aus
weit dominieren aber männliche buddhisti-       Imame kennt? Oder dass es im Judentum          sechs verschiedenen religiösen Kulturen.
sche Lehrende und Würdenträger. Wie steht       progressive Gemeinden gibt, welche Rab-           In dieser Zeitung bringen wir Porträts der
es um die Gleichberechtigung von Frauen         binerinnen zulassen. Und wenn man in der       Frauen, die das Frauengebet gestalten, Hin-
und Männern im Hinduismus?                      Geschichte zurückblickt, findet man in jeder   tergründe und Standpunkte zur Frauenordi-
                                                Religion Vorkämpferinnen: Mutige Frauen,       nation in unterschiedlichen Religionen und
MUTIGE VORKÄMPFERINNEN                          die einen Weg fanden, bei Gottesdiensten       Konfessionen, Informationen und Meinun-
Das Thema Frauen und Religion birgt viel        dabei zu sein und ihre Gemeinde mitzuge-       gen zu offenen Fragen. Wir wünschen eine
Zündstoff. Das ist deutlich spürbar, auch       stalten. Einige davon lernen Sie in dieser     anregende Lektüre!
hundert Jahre nachdem in Zürich die ersten      Zeitung kennen.                                KATHARINA KILCHENMANN, NICOLA MOHLER
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2 Horizonte | Dossier zur Woche der Religionen | 14. Oktober 2018

Interreligiöses Frauengebet
VERANSTALTUNG/ Sechs Frauen verschiedener Reli­gion feiern im
November gemeinsam einen Gottes­dienst – die einen mit, die anderen
ohne offiziellen Priestersegen. Dieses Dossier stellt die Frauen vor,
die sich dafür engagieren, dass die Vorarbeit von Ahninnen, die sich
schon in früheren Zeiten für das Anliegen der Frauen eingesetzt haben,
weitergeführt wird.

Denise Alvarez-                                     Béatrice Menzi                                    Susanne Andrea
Braunschweig                                                                                          Birke
Die Bernerin wuchs in einem traditionellen          Béatrice Menzi arbeitet als Sekretärin für den    Die römisch-katholische Theologin wuchs
jüdischen Haus auf, wurde Primarlehrerin,           Aargauer Interreligiösen Arbeitskreis. Die ge-    in Deutschland auf. In ihrer Familie spielten
Schauspielerin und später Feldenkrais-The-          bürtige Katholikin lernte auf einer Auslands-     die Kirche und der christliche Glaube keine
rapeutin. In der Jüdischen Gemeinde Bern            reise die Baha’i-Gemeinschaft kennen und          Rolle. Für sie persönlich allerdings schon.
war sie als Vorstandsmitglied und als Reli-         entschloss sich, dieser beizutreten. Die Baha’i   Heute ist Birke bei Bildung und Propstei
gionslehrerin tätig. Heute führt sie Interes-       berufen sich auf die Lehren Bahá’u’lláhs, der     der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau
sierte durch die Berner Synagoge. Die Jüdin         die Religion ins Leben rief.                      tätig und leitet den Arbeitskreis Regenbogen-
gehört zu den Mitinitiantinnen des jüdischen           In Bahiyyih Khanum, der ältesten Tochter       pastoral. Sie führt Segensfeiern von gleichge-
Frauengottesdienstes und zu den Vorbe-              Bahá’u’lláhs, sieht Menzi ein Vorbild: «Ihre      schlechtlichen Paaren durch.
terinnen im Minchagebet, dem Gebet am               Geschichte hilft mir, den unerschütterlichen         Eine besondere Beziehung hat Birke zur
Samstagnachmittag.                                  Glauben an das Gute, die Baha’i-Vision einer      Heiligen Brigid von Kildare. Die Tochter
   In der Prophetin Miriam, der Schwester           geeinten Welt, praktisch umzusetzen.» Die in      einer Sklavin und eines Adligen, die einst
Moses’ und Aarons, hat Alvarez eine Ahnin           Persien 1846 geborene Bahiyyih Khanum er-         zusammen mit ihrer Mutter verkauft, später
gefunden, die ihr viel bedeutet «Miriam war         lebte turbulente Zeiten in der Geschichte der     dann freigelassen wurde, gründete in Kildare
bereits als Kind mutig: Sie rettete ihren Bru-      Baha’i-Gemeinschaft. «Ihr unerschütterlicher      das erste irische Nonnenkloster. Die spätere
der Moses und führte ihn zu seiner Mutter           Glaube und deren Taten geben mir Mut im           Äbtissin eines Doppelklosters steht für Frie-
zurück.» Beim Auszug aus Ägypten führte             Alltag. Sie hatte einen starken Glauben und       densarbeit, soziales Engagement und für die
Miriam nach der Durchquerung des Schilf-            half stets anderen Menschen», sagt Menzi.         Bewahrung der Schöpfung. «Gemäss einer
meers den Freudentanz und den Gesang                «Bahiy­yih Khanum scheute sich nicht vor          Quelle, sorgte der Heilige Geist dafür, dass
der Frauen an. Ihr ganzes Leben lang floss          scheinbar unlösbaren schwierigen Aufgaben.        bei der Weihe von Brigid von Kildare ‹verse-
an Miriams Seite eine Wasserquelle, die mit         Ihren heldenhaften Mut, gepaart mit vorbildli-    hentlich› das Formular für die Bischofsweihe
ihrem Tod versiegt. «Wir können Miriam              chen Charaktereigenschaften, setzte sie ganz      verwendet wurde», sagt Birke. «Damit war der
erinnernd in unserem Innern erahnen», sagt          in den Dienst ihrer Religion.»                    Weg für sie frei.»
Alvarez-Braunschweig.
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14. Oktober 2018 | Dossier zur Woche der Religionen | Horizonte 3

Jasmina El Sonbati                                Vasanthamala                                       Melanie Handschuh
                                                  Jeyakumar
Die Tochter eines ägyptischen Vaters und          Die gebürtige Tamilin ist geweihte Hindu-          Erst studierte Melanie Handschuh römisch-katho­
einer österreichischen Mutter verbrachte ihre     Priesterin in der reformierten Hindugemein-        lische Theologie in Tübingen und in Dublin. Weil
Kindheit in Kairo. In Basel und Wien studier-     schaft Saivanerikoodam (die Schule nach der        sie sich jedoch als Frau in den Hierarchien der rö-
te sie Romanistik. Heute unterrichtet sie an      Regel der Hauptgottheit Shiva) im Haus der         misch-katholischen Kirche ungleich behandelt fühl-
einem Basler Gymnasium. Die Autorin des           Religionen in Bern. Dort arbeitet sie auch im      te, konvertierte sie zur christkatholischen Kirche. In
Buches «Gehört der Islam zur Schweiz?» en-        Restaurant und ist Stellvertreterin des Restau-    Bern machte sie daraufhin ein Ergänzungs­studium
gagiert sich für einen liberalen Islam und ini-   rantleiters. Bereits als Kind war sie fasziniert   in christkatholischer Theologie. 2012 wurde Hand-
tiierte den Verein «Offene Moschee Schweiz».      vom Tempel und den Gottheiten.                     schuh zur Priesterin geweiht. Heute arbeitet sie als
In diesem Rahmen leitet die Muslimin auch            In der Frauenfigur Auwaiyar sieht Jeya­         Pfarrerin in der Christkatholischen Kirchgemeinde
muslimische Gebete.                               kumar eine Vorreiterin für die Gleichberechti-     Zürich und im ökumenischen Pfarrteam am Flug-
    In der Königin von Saba sieht El Sonbati      gung der Frauen im Priesteramt. Der Legende        hafen Zürich.
eine Frau, die eine politische Funktion ein-      nach vollzog die vom Schicksal gebeutelte             Für Handschuh spielt die Christkatholikin Anny
nimmt: Dank ihres Verhandlungsgeschicks           Auwaiyar im Tempel kultische Handlungen            Peter (1882–1956) eine wichtige Rolle: «Sie hat
gegenüber König Salomon wird ein Krieg            wie das Knüpfen von Blumen-Girlanden für           sich mit ganzem Herzen und all ihrer Kraft für das
verhindert. «Die Königin von Saba wird nicht      die Gottheiten. Sie widmete ihr Leben Gott         kirchliche Frauenwahlrecht und die Bildung und
nur als gehorsame, gottgefällige und tugend-      und konnte durch ihre Gebete ihren Bruder          Weiterbildung von Frauen in Kirche und Gesell-
hafte Frau dargestellt, sondern als eine Frau,    vor Krankheit schützen und ihn davor be-           schaft eingesetzt.»
die Macht hat und diese für den Frieden ein-      wahren, vom Glauben abzufallen. «In dieser
setzt», sagt El Sonbati. «Die Königin von Saba    Figur finde ich etliches von meiner eigenen
sehe ich als Gegenkonzept zum männlichen          Geschichte, deshalb ist sie mir so wichtig.»
Herrscher.»
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Wie haben sie es mit den Frauen?
FAKTEN Jede Religion kennt verschiedene Strömungen, die je nach
kulturellem Umfeld anders gelebt werden. Die Frage, ob Frauen
kultische Handlungen ausführen dürfen, wird kontrovers diskutiert. Ein
kurzer, aber nicht abschliessender Überblick.

 Buddhismus                                               Christentum                                    Islam
 Im Buddhismus wird im Prinzip kein Un-                                                                  In regionalen Kontexten wie etwa in China,
 terschied zwischen den Geschlechtern ge-                 CHRISTKATHOLISCHE KONFESSION: In der           Südostasien, Marokko und Dänemark gibt
 macht. Dennoch zeigen sich in dieser Reli-               Christkatholischen Kirche der Schweiz ste-     es schon seit Längerem weibliche Imame,
 gion patriarchale Züge. Zwar können sowohl               hen Frauen heute alle geistlichen Ämter        die aber meist nur das Gebet von Frauen lei-
 Männer als auch Frauen die «volle Befreiung              offen: Diakonat (Diakonin), Presbyterat        ten. Zwei der klassischen vier sunnitischen
 verwirklichen» und geistliche Funktionen                 (Priesterin) und Episkopat (Bischöfin). Eine   Rechtsschulen haben weibliche Imame für
 ausüben, aber Tatsache ist: Es gibt deutlich             christkatholische respektive altkatholische    das Gebet von Frauen akzeptiert. Umstritten
 mehr männliche Meister als weibliche.                    Bischöfin gibt es bis heute aber weltweit      ist schon seit Jahrhunderten die Frage, ob
                                                          noch keine.                                    Frauen auch das gemeinschaftliche Gebet
                                                                                                         von Frauen und Männern leiten dürfen. Die
                                                          RÖMISCH-KATHOLISCHE KONFESSION: Im             Mehrheit der praktizierenden orthodoxen
                                                          katholischen Gesetzbuch CIC lautet der         Muslime lehnt dies ab. Aber es ist zu berück-
                                                          Paragraf 1024: «Die heilige Weihe (zum         sichtigen, dass es diesbezüglich sehr unter-

 Judentum                                                 Priester) empfängt gültig nur ein getaufter
                                                          Mann.» Begründung: Jesus habe nur Män-
                                                          ner als Apostel berufen. Papst Franziskus
                                                                                                         schiedliche Positionen und Argumente gibt.

 Im orthodoxen Judentum dürfen Frauen                     formulierte klar, dass eine Zulassung der
 während des Gottesdienstes keine kulti-
 schen Handlungen ausführen. Da sich die
 traditionellen jüdischen Gemeinden in der
                                                          Frauen für die Priesterweihe nicht möglich
                                                          sei. Die Frage wird trotzdem in der Kirche
                                                          heftig diskutiert.
                                                                                                         Hinduismus
 Schweiz an der orthodoxen Ausrichtung                                                                   Unter orthodoxen Hindus sind Frauen als
 orientieren, kennen auch sie keine Frauen                EVANGELISCH-REFORMIERTE KONFESSION:            Tempel-Priesterinnen nicht erlaubt, da den
 als Rabbiner. In den liberalen jüdischen Ge-             In der evangelisch-reformierten Kirche sind    Frauen der ­Status der Unreinheit zugeschrie-
 meinden in Zürich und Genf sind Rabbiner-                Frauen als Pfarrerinnen zugelassen. Aber die   ben wird. In modernen Hindu-Bewegungen
 innen theoretisch zugelassen. Es gab bisher              Frauenordina­tion wird weltweit nicht über-    aber, wie etwa der Internationalen Gesell-
 aber noch keine Gemeinderabbinerin.                      all umgesetzt: Gemäss einer Umfrage der        schaft für Krischna-Bewusstsein, überneh-
                                                          «Weltgemeinschaft reformierter Kirchen»        men Frauen priesterliche Funktionen – so
                                                          (WGRK) kennen mindestens 42 ihrer 233          auch im Haus der Religionen in Bern.
                                                          Mitgliedskirchen keine Frauenordination.

                                             auenge
                                                    bet
                                                          Interreligiöses Frauengebet
                                g    iöses Fr
                    Interres li
                             verschie
                                      denen Re
                                               ligionen
                                                           Mit religiösen Riten aus dem Christen­t um, dem Hinduismus, dem Islam,
                             au          sdienst
                     Frauen
                     feiern ei
                               nen Gotte
                                                           dem Judentum und der Baha’i-Gemeinschaft.

                                                             DONNERSTAG, 8. NOVEMBER 2018
                                                             18 – 19 Uhr, Kapelle im Berner Genera­tionenhaus, Bahnhofplatz 2, Bern

                                                              DONNERSTAG, 22. NOVEMBER 2018
                                                              18 – 19 Uhr, St.-Anna-Kapelle, Annagasse 11, Zürich

                                                          OFFEN FÜR ALLE: Männer, Frauen, Alte, Junge, ­Religiöse und Nichtreligiöse.
                                                          Eintritt frei. Voranmeldung nicht nötig.
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14. Oktober 2018 | Dossier zur Woche der Religionen | Horizonte 5

«Nein und Halleluja»
PERSPEKTIVEN/ Religionsgemeinschaften ohne Frauen seien ein Ding der
Unmöglichkeit, sagt Angela Büchel Sladkovic.­Die katholische Theologin
sieht in der wachsenden religiösen Pluralität eine Chance für die Frauen.
Am II. Vatikanischen Konzil der katholischen die unter dem Dauerzwang stehen, sich zu er-
Kirche vor 50 Jahren wurden Frauen erst- klären. Auf der Mind-Map vieler Zeitgenossen
mals als Beobachterinnen zugelassen mit der sind die Grenzen klar gezogen: Die Schweiz
Mitteilung, sie könnten an den «für Frauen erscheint als das (frauen)freundlichste Land
interessanten Sitzungen teil­nehmen». Worauf und der Islam als der Inbegriff des Bösen.
eine unter ihnen, Schwester Mary Luke Tobin,
bemerkte: «Gut, dann kann ich ja an allen RELIGION ALS RESSOURCE
teilnehmen.»                                       Religiöse Frauen verfallen diesen simplen
    Frauen reden, denken und gestalten mit. Pauschalisierungen weniger. Am interreli-
Sie formulieren heute in allen Religionen giösen Frauen­            parlament finden die Frauen         ANGELA BÜCHEL
ihren Anspruch durchaus deutlich. Religions- unterschiedlicher Denominationen jeweils                   SLADKOVIC
gemeinschaften ohne Frauen sind ein Ding schnell zueinander. Sie erkennen, dass sie                     Theologische Mitarbeiterin an der Fachstelle ­­
                                                                                                        Kirche im Dialog der katholischen Kirche Region­Bern.
der Unmöglichkeit. Frauen                                          denselben gesellschaftlichen         Mitinitiantin des ­Interreligiösen Frauen­parlaments.
halten vieles in Schwung und                                       Kontext teilen und in vielerlei      Vorstandsmitglied Gemeinschaft von Christen­und
leisten einen grossen Teil der «Religion ist auch
                                                                                                        ­Muslimen in der Schweiz.
                                                                   Hinsicht gemeinsam betroffen
Basisarbeit. Und sie begnügen eine befreiende                      sind von Diskriminierung. Das
sich immer weniger mit den                                         Patriarchat wirkt nach wie vor
ihnen von einer patriarchalen Ressource im Leben in vielen Bereichen. Religiö-                          ständlichkeit auf den Islam zurück und disku-
Ordnung zugewiesenen Orten                                         se Frauen wissen aus eigener         tieren die Frauenfrage auf dem Hintergrund
(Kinder, Küche, Kirche) und von Frauen.»                           Erfahrung auch, dass sie ihre        verschiedenster feministischer Ansätze. Sie
Rollen (Fürsorge und Hinga-                                        Persönlichkeit nicht aufgeben,       lassen sich weder von der Gesamtgesellschaft
be). Menschen sind keine Objekte, über die wenn sie religiös aktiv sind. Sie schöpfen Kraft             noch von ihrem Migrationshintergrund her
beschlossen werden kann oder denen einfach aus ihrer Religion und sagen – um es gemäss                  vorschreiben, was sie sind: «Ich bin Muslimin,
ein Platz oder eine Auf­gabe zugewiesen wird. dem Schriftsteller Hanns Dieter Hüsch aus-                trage ein Kopftuch, Jeans und kleide mich,
Viele Frauen haben gelernt, gelegentlich Nein zudrücken – «Nein und Halleluja, statt Ja und             wie es mir gefällt». Ähnliche Verschiebungen
zu sagen. Bessere berufliche Qualifikationen Amen!»                                                     sind im jüdisch-christlichen Kontext zu beob-
wie auch emanzipatorische Impulse in Gesell-          Religion ist im Leben von Frauen auch eine        achten; jüngere Frauen finden in Theologie
schaft und Religion stärken ihre Position. Die befreiende Ressource. Die Zürcher Islamwis-              und Kirche Freiräume, in denen sie sich mit
Zukunft der Religionsgemeinschaften wird senschaftlerin Dilek Uçak-Ekinci erkennt in                    ihren Fähigkeiten einbringen können – oder
auch von ihrem Reformwillen abhängen.              der muslimischen Frauenbewegung Europas              sie kehren ihnen den Rücken zu. Auch ihnen
                                                   zwei Generationen und Strömungen: Frauen­            sind Vernetzungen über Konfessionen und
RELIGION UND GESELLSCHAFT                          rechtlerinnen der ersten Generation berufen          Religionen hinweg wichtig. Jüngere Frauen
«Frauen» wie «Religionen» sind Thema gesell- sich auf den Koran und die starken Frauen um               führen keinen Erlaubnisdiskurs mehr, sondern
schaftlicher Diskussionen. Die Wertung hat und nach Mohammed, um ihre Rechte als Frau                   einen Ermöglichungsdiskurs.
sich bei beiden Themen in den letzten Jahren im muslimischen Kontext zu legitimieren. Der                  Wer nach der Interpretations- und Ent-
merklich verschoben. Während die Gleichstel- Feminismus ist ihnen als ein westliches Kon-               scheidungsmacht von Frauen in den Reli­
lung der Frauen prinzipiell anerkannt wird, zept eher suspekt, zumal nicht wenige west-                 gionen fragt, dem zeigt sich innerhalb jeder
wenn daraus auch nicht immer ein Umset- liche Feministinnen ihn mit Bildern belegen,                    Religion und darüber hinaus ein vielfältiges
zungswille folgt, wird Religion zunehmend ne- in denen sie sich nicht finden. Sie suchen ihre           Bild. In dieser Pluralität lebt es sich mit Er-
gativ als unvernünftig und hinterwäldlerisch eigene Stimme im innermuslimischen Dis-                    möglichungen erträglicher und inspirierter
beurteilt. Das Misstrauen Religion gegenüber kurs. Anders Frauen der jüngeren Generation,               als mit Verboten und Zulassungen. Sie setzen
trifft dabei nicht alle religiösen Frauen in glei- die sich bewusst für ihre Religion entschieden       Energie frei und halten die Prozesse auf Ge-
cher Weise. Es sind vor allem Musliminnen, haben. Sie greifen mit einer neuen Selbstver-                rechtigkeit hin offen. ANGELA BÜCHEL SLADKOVIC

DAS DOSSIER ZUR WOCHE DER RELIGIONEN ERSCHEINT IN MEHREREN KANTONEN
UNTER DEM NAMEN «ZVISITE» UND IST EINE KOPRODUKTION VON:
                                                                                                        Zeitschrift der Christkatholischen Kirche

Reformierte Monatszeitung für die
deutsche und rätoromanische Schweiz
                                                                                                        Das jüdische Wochenmagazin
                                                  Wochenzeitung der römisch-katholischen
                                                  Pfarreien des Kantons Bern, alter Kantonsteil
Aargauer Pfarrblatt
                                                                                                         Das Magazin der Jüdischen Gemeinde Bern JGB
Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.
6 Horizonte | Dossier zur Woche der Religionen | 14. Oktober 2018

«In jeder Religion
keimt der Friede»
BAHA’I-GEMEINSCHAFT/ In der vorurteilslosen Neugier sieht
Béatrice Menzi den Schlüssel zum friedlichen Miteinander.
Béatrice Menzi stockte der Atem, als ihr Re-
ligionslehrer einmal despektierlich über eine
andere Religion spottete. Sie war noch ein
Kind und traute sich nicht, zu widersprechen.
Das war ein Schlüsselereignis für die gebür-
tige Luzernerin, die als römisch-katholisches
Mädchen zusammen mit der reformierten
Freundin die Sonntagsschule besuchte. Und
es war für sie selbstverständlich, einem jüdi-
schen Mädchen jeweils samstags die Haus-
aufgaben nach Hause zu bringen, weil dieses
den Sabbat feierte.
   «Heute gebe ich kontra, wenn die einen
schlecht über die anderen reden», sagt Menzi
und zeigt kämpferisch ein Faltblatt. Darauf
stehen neun Leitsätze für das Zusammenle-
ben und den gegenseitigen Respekt in e      ­ iner
multireligiösen Gesellschaft. «Toleranz ge-
genüber anderen Religionen reicht nicht. Es
braucht Respekt und gegenseitige Achtung
voreinander», schiebt Menzi nach.
   Mit viel Dankbarkeit erzählt die Mutter
zweier erwachsener Söhne aus ihrer Jugend.
Sie wuchs in einer bunten Ecke Luzerns auf,
an der Baselstrasse. Dort lebten viele Migran-
tinnen und Migranten. Dadurch hatte sie
ständig Kontakt mit verschiedenen Kulturen.
«Das weckte meine Neugier auf die Menschen
in all ihrer religiösen und kulturellen Vielfalt.»
   Aber nicht nur diese Kindheitserlebnisse
treiben Menzi an, Brücken zwischen den Re-
ligionen zu bauen. Auch aus ihrem Glauben
heraus schöpft sie dafür Kraft. 1977 lernte
sie auf einer Reise nach London die Gemein-
schaft der Baha’i kennen und trat ihr bei. Die
Baha’i glauben, dass Gott sich den Menschen
in allen verschiedenen Religionen offenbart
hat. Sie stützen sich dabei auf die Lehren
Bahá’u’lláhs. In dieser Vision von der geis-         Béatrice Menzi: «Es braucht Respekt und gegenseitige Achtung.»
tigen Einheit der Menschen in ihrer Vielfalt
fand die Frau einen heilsamen Zugang zur             und der Weg dorthin», meint sie. So sieht sie         den. «Die direkte Begegnung mit Menschen
Religion. «Mein Glaube zeigt mir, dass es so         auch die gegenwärtige Diskussion über den             fördert eine Kultur der gegenseitigen und
viel Schönes auf der Welt gibt. Man muss es          Islam in Europa, die aus ihrer Sicht zu oft           persönlichen Wertschätzung und Achtung»,
nur finden wollen.»                                  von pauschalen Vorverurteilungen ausgehe.             sagt Menzi. «Ich brauche diese persönlichen
                                                     «Ich beschäftige mich mit den friedlichen             Kontakte. Ich glaube nicht, dass es möglich
BEGEGNUNGEN MIT MENSCHEN                             Aspekten in allen Religionen. So können wir           ist, wirklich aufeinander zuzugehen, wenn
Die Art, wie in den Medien über Religion ge-         miteinander geistig wachsen und erkennen,             sich die Leute nur über Fernsehen, Radio
schrieben wird, betrübt Menzi. «Man könnte           dass in jeder Religion der Friede keimt.»             oder Bücher über andere Religionen infor-
meinen, Religion sei immer extrem und fana-             Dafür setzt sie sich konkret im Aargauer           mieren.» Es brauche dafür ein Gegenüber und
tisch.» Dabei gebe es viel mehr Menschen wie         Interreligiösen Arbeitskreis ein, dessen Se-          eine Portion vorurteilslose Neugier. Diese sei
sie, die sich durch die Religion mit sich und        kretärin sie seit acht Jahren ist. Von ihrem          der Schlüssel zu den Menschen samt ihrer
anderen versöhnen wollten. «Das dringendste          Wohnort aus besucht sie auch regelmässig die          Religion und Kultur und damit letztlich zum
Thema ist und bleibt doch der Weltfrieden            Interreligiösen Stammtische in Aarau und Ba-          friedlichen Miteinander. LENZ KIRCHHOFER
Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.
14. Oktober 2018 | Dossier zur Woche der Religionen | Horizonte 7

Eine Religion – zwei Meinungen
ISLAM/ Jasmina El Sonbati und Zeinab Ahmadi haben die gleiche
Religion. Dass weibliche Imaminnen gemischte Gebete leiten, hat nicht
für beide die gleiche Priorität.

                                         gen. Nur fällt uns das innerhalb                                               tertrennung in der Moschee und
                                         der muslimischen Gemeinschaft                                                  das ausschliessliche Vorrecht des
                                         wesentlich leichter, weil wir in                                               Mannes. die Gemeinde zum Ge-
                                         diesem Umfeld nicht ständig aus                                                bet zu führen, ist männergemach-
ZEINAB AHMADI                            einer Verteidigungsposition her-     JASMINA EL SONBATI                        te Tradition.
Die praktizierende Muslimin ist in der                                        Die Tochter eines ägyptischen Vaters
Schweiz auf­gewachsen. Ihre Eltern       aus argumentieren müssen.            und einer­­österreichischen Mutter
mussten aus Afghanistan­ ­flüchten.                                          verbrachte ihre Kindheit­in Kairo.         FRAUEN GEHÖR VERSCHAFFEN
Sie studierte an der Pädagogischen                                           In Basel und Wien studierte sie
Hochschule Bern und arbeitet heute       JUNGE ANSPRECHEN                    Romanistik. Die­Vorkämpferin für einen     Dass bereits zu Lebzeiten des
als Bereichsleiterin ­Bildung im Haus    Die Diskussion darüber, ob Mus-     liberalen Islam initiierte den ­Verein     Propheten Mohammed Frauen
der Religionen.                                                              ­«Offene ­Moschee Schweiz» und leitet in
                                         liminnen als Vorbeterinnen vor       diesem ­Rahmen muslimische Gebete. ­      vorgebetet und sich in religiö­
                                         gemischt­geschlechtlichen Grup-                                                sen Diskussionen eingemischt
                                         pen anerkannt werden, ist für                                                  haben, wurde über die Jahrhun-
                                         mich persönlich kaum ein Thema,                                                derte ausgespart. Dank Frauen
Meine Eltern haben sich 1994 im          weil ich die Prioritäten zurzeit    Hat die Frau in islamischen Län-           wie Amina Wadud oder anderen
afghanischen Herat ganz bewusst          anders sehe. Zum Beispiel ist es    dern im Alltag immer noch ein-             Initiativen nehmen sich Frauen in
für meinen Namen Zeinab ent-             für mich als Schweizer Muslimin     geschränkte R ­ echte, so sieht es         den USA und in Westeuropa das
schieden. Der Name war in jener          heute entscheidender, überhaupt     in der islamischen Liturgie nicht          Recht, die rein männlich besetzte
Zeit des Krieges und der Hoff-           einen Raum zur Verfügung zu ha-     besser aus. Frauen sind selbst-            Moschee friedlich und beharrlich
nungslosigkeit eine Kraftquelle.         ben, wo ich mich mit meiner mus-    verständlich davon ausgeschlos-            zurückzuerobern. Ein jüngstes
Die historische Figur Zeinab bin         limischen Gemeinschaft treffen      sen, das Freitagsgebet zu leiten.          Beispiel ist die türkischstämmige
Ali war die Enkeltochter des Pro-        und den Islam praktizieren kann.    Diese Bastion sind Musliminnen             Anwältin Seyran Ates. Im Ju-
pheten Mohammed, eine versier-           Oder, dass ich hin und wieder in    in Westeuropa und in den USA               ni 2017 eröffnete sie in Berlin
te Theologin und eine gefeierte          den Genuss einer guten Predigt      dabei zu stürmen. Eine der ersten          die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee.
Heldin. Ich bin aufgewachsen             komme. Einer Predigt, die auch      Pionierinnen ist die afroameri-            Dort beten Frauen und Männer
mit Geschichten über ihren Mut,          für junge Menschen ansprechend      kanische islamische Theologin              gemeinsam und Frauen sprechen
ihren Sinn für Gerechtigkeit und         ist, uns konkrete Anhaltspunkte     Amina Wadud. 2005 stand sie in             die Predigt.
ihren grossen Einfluss auf die           für unser Leben in der Schweiz      New York in einer ehemaligen                  Der Verein «Offene Moschee
islamische Welt.                         gibt und von gut ausgebildeten      anglikanischen Kirche einer ge-            Schweiz» setzt sich dafür ein,
   Bis heute entspricht die Fi-          Personen gehalten wird.             mischten Gruppe von Betenden               dass Frauen als Vorbeterinnen
gur Zeinab meinem Bild einer                Trotzdem: Wenn es sich beim      vor. «Das geht nicht im Islam»,            fungieren. Das Gefühl, hinten-
selbstbewussten Muslimin. Da-            Imaminnen-Diskurs tatsächlich       hiess es damals in den islami-             anzustehen, als Autorität in re-
her waren und sind für mich als          um ein inneres Bedürfnis musli-     schen Ländern. Dieses unver-               ligiösen Dingen nicht anerkannt
junge Schweizerin die Aussagen           mischer Gemeinschaften handelt      rückbare Nein zum Imamat einer             zu werden, finde ich diskriminie-
einiger meiner Mitmenschen               und nicht um ein Thema, das         Frau vertraten Männer und Frau-            rend. Immer noch werden kri-
über die unterdrückte muslimi-           von aussen an uns herangetra-       en zugleich. Als Häretikerin und           tisches Denken und eine offene
sche Frau nicht nachvollziehbar.         gen wird, dann braucht es für       verwestlichte Muslimin, die den            Diskussion in Glaubensfragen
Von Aussenstehenden wurde ich            diesen Diskurs eine Plattform.      Islam ummodeln wolle, wurde sie            oder der Gleichberechtigung
häufig durch Fremdzuschreibun-           Ein entscheidender Beginn wäre      beschimpft.                                entweder relativiert, abgelehnt
gen in eine Opferrolle gedrängt.         es aus meiner Sicht, die Frauen-       Ich selber wäre am liebsten             oder tabuisiert. Es ist an der Zeit,
Doch in der Rolle der Muslimin,          quoten unter den Leitungsperso-     nach New York geflogen und                 dass diese Themen Eingang in
die gerettet werden muss, weil           nen und Vorstandsmitgliedern in     hätte dem Gebet beigewohnt,                die Moscheen finden. Und es ist
sie sich schwer damit tut, selber        den muslimischen Vereinen zu        denn in meiner Fantasie gab                an der Zeit, dass Frauen sich Ge-
zu denken, erlebte ich mich nie.         fördern. So sind wir Mus­liminnen   es sie längst, die Imamin in der           hör verschaffen, ihre spirituellen
   Tatsächlich wird unter Musli-         selber die Protagonistinnen sol-    Moschee. Spezifische Vorgaben,             und intellektuellen Erfahrungen
minnen und Muslimen sehr viel            cher Debatten, und niemand          wie ein Gebet durchzuführen sei,           einbringen und den religiösen
diskutiert und reflektiert. Es ist       kann über unsere Köpfe hinweg       liefert der Koran nicht. Was Mus-          Diskurs mitbestimmen. Nicht
auch so, dass wir unsere Reli­           sprechen.                           lime seit Jahrhunderten prakti-            hinter den Männern, sondern an
gion durchaus kritisch hinterfra-                                            zieren, nämlich die Geschlech-             ihrer Seite.
Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.
8 Horizonte | Dossier zur Woche der Religionen | 14. Oktober 2018

Die Sehnsucht, Priesterin zu sein
HINDUISMUS/ Für Vasanthamala Jeyakumar ist der Besuch im Tempel
ebenso wichtig wie das tägliche Essen. Die geweih­te Hindu-Priesterin
war immer schon fasziniert von der Götter­welt.
Als Vasanthamala Jeyakumar in Jaffna an der
Uni war, brach in Sri Lanka der Krieg aus.
Zur gleichen Zeit starb auch noch ihr Vater.
«Es war das reine Chaos», erzählt die heute
59-Jährige. Umso mehr versuchte sie, wenig-
stens beruflich Fuss zu fassen und nahm eine
Stelle als Lehrerin an. Doch bald schon mus-
ste sie das Land verlassen und flüchtete 1985
in die Schweiz, zunächst nach Basel. Ihre zwei
Schwestern, ein Bruder und die Mutter blie-
ben in Sri Lanka zurück. «Ich war sehr traurig.
Die Mutter hat mir viel bedeutet», erinnert sie
sich. Überhaupt hat sie grossen Respekt vor
der älteren Genera­tion. «Eigentlich habe ich
alles von meiner Mutter gelernt.»

MITMACHEN STATT ZUSCHAUEN
Schon als Kind war Vasanthamala Jeyakumar
oft im Tempel. Sie habe die Religion quasi in
den Genen, erzählt sie. Die Atmosphäre dort,
die Götterwelt, das faszinierte sie schon im-
mer: Shiva, Parvati, Ganesha, Vishnu, ­Lakshmi
und ganz besonders Murugan. Sie habe den
Priestern in Sri Lanka immer zugeschaut, wie
sie die Rituale vollzogen, ging hinter ihnen
her und wollte nicht nur dabei sein, sondern
mitmachen.
   In der Schweiz suchte sie dann die Nähe
zum Göttlichen bei der Madonna im Kloster
Mariastein, in Einsiedeln oder auch in Lour-
des oder Kevelaer. «Maria ist wie eine Univer-
salmutter», meint die Tamilin. «Und sie erin-
nerte mich an meine grosse Sehnsucht, als
Priesterin zu wirken.» Als sie später nach Bern
zog, gab es dort endlich einen hinduistischen
Tempelraum, zunächst an der Laupen-, später                            «Im Tempel hole ich Energie», sagt Vasanthamala Jeyakumar.
an der Schwarztorstrasse. «In einem Tempel
hole ich Energie. Der Besuch eines Tempels                             zu übernehmen. Sasikumar Tharmalingam                                     Ihre Aufgaben sind vielfältig: An Festen,
ist genauso wichtig wie das tägliche Essen.»                           und Muraleelharan Thiruselvam entpuppten                               Hochzeiten und Geburtstagen leitet sie die
   Der Hauptpriester in Bern, Sasikumar                                sich als fortschrittliche Priester und setzten                         hinduistischen Rituale und bietet auch Seel-
Tharmalingam, hatte sie einmal bei einem                               im Tempel in Bern grundlegende Reformen                                sorge an. Inzwischen stellt sie sich die Frage,
ihrer zahlreichen Besuche gebeten, kleine                              um: Sie gründeten die reformierte Hinduge­                             ob sie als Priesterin amtieren dürfe, nicht
Arbeiten, die sonst dem Priester vorbehalten                           meinde und waren bereit, Frauen als Prieste-                           mehr. «Natürlich darf ich das», sagt sie stolz.
sind, zu übernehmen. «Ich fragte mich, ob ich                          rinnen zu weihen. So wurde 2014 Vasantha-                              Einerseits, weil sie die Regeln einhalte, Vege-
das überhaupt darf, schliesslich ist das doch                          mala Jeyakumar, zusammen mit drei weiteren                             tarierin ist und regelmässig faste. «Und ich
Priesteraufgabe.» Doch Vasanthamala Jeya-                              Frauen, geweiht. Seither ist sie Priesterin der                        darf ganz einfach auch deshalb, weil ich dafür
kumar liebte es, die Opfergaben Wasser und                             reformierten Hindugemeinschaft Saivaneri-                              bereit bin.»
Milch zu bringen und immer mehr Aufgaben                               koodam im Haus der Religionen in Bern.                                 ANDREAS KRUMMENACHER

IMPRESSUM DAS «DOSSIER ZUR WOCHE DER RELIGIONEN» ist eine interreligiöse Gemeinschaftsproduktion der Zeitschriften: «reformiert.» (Ausgaben Aargau, Bern, ­Zürich), www.reformiert.info;
«pfarrblatt» (röm.-kath. Wochenzeitung Kanton Bern), www.pfarrblattbern.ch; «horizonte» (röm.-kath. Zeitung Kanton Aargau), www.horizonte-aargau.ch; «christkatholisch» (Zeitschrift der Christkatholischen
­Kirche der Schweiz), www.christkatholisch.ch; «tachles» (jüdisches Wochenmagazin), www.tachles.ch; «Forum» (Das Magazin der Jüdischen Gemeinde Bern JGB). Das Dossier zur Woche der Religionen erscheint in
 mehreren Kantonen unter dem Namen «zVisite». Der Titel ist Programm: «zVisite» geht zu Besuch – und dokumentiert und diskutiert interreligiöses Zusammenleben. Auflage: 865 000 Exemplare Redaktion: Zeinab
Ahmadi, Christa Amstutz, Marie-Christine Andres, Hannah Einhaus, Jasmina El Sonbati, Katharina Kilchenmann, Lenz Kirchhofer, Andreas Krummenacher, Jürg Meienberg, Nicola Mohler, Laavanja Sinnadurai
Blattmacherinnen: Nicola Mohler, Katharina Kilchenmann Bilder: Pia Neuenschwander, Bern Layout: Renata Hubschmied, Bern; Tabloid-Layout Patrick Honegger, Kasimir Meyer AG Korrektorat: Sylvie Bonifay,
Kasimir Meyer AG Kontakt: www.zvisite.ch
Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.
14. Oktober 2018 | Dossier zur Woche der Religionen | Horizonte 9

Gemeinsam für eine bessere Welt
BUDDHISMUS/ Jedem und jeder steht der Weg zur Erkenntnis offen,
sagt Losang Palmo. Die Buddhistin weiss, die volle Erleuchtung kennt
weder weiblich noch männlich.
Welche Rolle spielen die Frauen im Bud-                   Hier riecht es nach Räucherstäbchen. Rote     BUDDHISTISCHE MÄNNERWELT
dhismus? Und: Gibt es eigentlich weibliche             Sitz­kissen sind ordentlich im Raum verteilt     Laut der Überlieferung soll es Tara tatsächlich
Buddhas? «Natürlich», meint Losang Palmo,              und auf kleinen Ablagebrettern an der Wand       gegeben haben. Sie kam als Prinzessin zur
Meditationslehrerin und Leiterin des Bud-              stehen mehrere identische Frauenstatuen.         Welt und verliess schon als junge Frau das
dhistischen Zentrums in Bern. «Im tibeti-              «Das sind also unsere Taras», erklärt Losang     begüterte Leben, um Schülerin Buddhas zu
schen Buddhismus gibt es etliche weibliche             Palmo. «Tara ist eigentlich keine Göttin, son-   werden. Nachdem sie lange meditiert hatte
Buddhas. Zum Beispiel Tara, eine weibliche             dern vielmehr eine Lehrerin der Weisheit.» Je-   und weit fortgeschritten war in der Praxis
Manifestation des erwachten Geistes mit                de der Tara-Figuren trägt einen andersfarbi-     der Achtsamkeit, trat ein Mönch an sie heran
einem Körper, der nur aus Licht besteht.»              gen Schleier: weiss, grün, blau, rot und gelb.   und riet ihr, aufzugeben. Sie solle in einem
Die Zürcherin mit den raspelkurzen grauen              «Die Farben verkörpern die verschiedenen         späteren Leben einen männlichen Körper an-
Haaren und dem schalkhaften Blick – mit                Aspekte des Mitgefühls, Qualitäten, die auch     nehmen, denn nur so könne sie Erleuchtung
bürgerlichem Namen heisst sie übrigens Rita            bei Buddha zu finden sind», fährt Losang fort.   erlangen. Tara antwortete ihm selbstbewusst:
Riniker – öffnet die Tür zum Meditationsraum.                                                           ein erwachter Geist hat kein Geschlecht. Lo-
                                                                                                        sang Palmo blickt anerkennend zu den Frau-
                                                                                                        enstatuen. «Auch wenn das Männliche im
                                                                                                        Buddhismus oft stark im Vordergrund steht»,
                                                                                                        erklärt sie, «sind die Frauen genauso wichtig
                                                                                                        wie die Männer.» Sie habe sich all die Jahre als
                                                                                                        Nonne nie in irgendeiner Weise diskriminiert
                                                                                                        gefühlt. «Jede und jeder kann sich auf den
                                                                                                        Weg der Erkenntnis machen. Und letztend-
                                                                                                        lich ist klar, dass die volle Erleuchtung weder
                                                                                                        männlich noch weiblich ist.» Strebt auch
                                                                                                        sie die volle Erleuchtung an? Losang Palmo
                                                                                                        lacht laut auf: «Nein, ich meditiere zwar seit
                                                                                                        vielen Jahren, aber das mit der Erleuchtung,
                                                                                                        das werde ich in diesem Leben wohl kaum
                                                                                                        schaffen.»
                                                                                                           Seit 1991 ist Losang Palmo buddhistische
                                                                                                        Nonne, sie lebte siebzehn Jahre in Indien im
                                                                                                        Kloster in Dharmsala, hat dort meditiert und
                                                                                                        die buddhistischen Schriften studiert. «Es
                                                                                                        kam schon ab und zu vor, dass mich die jun-
                                                                                                        gen Mönche die niedrigen Arbeiten machen
                                                                                                        liessen», erinnert sie sich, «doch darunter
                                                                                                        gelitten habe ich nicht.» Und ja: Die Welt des
                                                                                                        tibetischen Buddhismus bestehe aus uralten
                                                                                                        Strukturen, die man durchaus als patriarchal
                                                                                                        empfinden könne. «Viele tibetische Mönche
                                                                                                        sind strikt gegen die Gleichberechtigung
                                                                                                        von Mann und Frau, und auch die Nonnen
                                                                                                        selber sind nicht leicht dazu zu bewegen,
                                                                                                        Leitungsfunktionen zu übernehmen und zu
                                                                                                        unterrichten.»
                                                                                                           Dabei sei eigentlich klar, dass im Buddhis-
                                                                                                        mus jeder jede Position einnehmen könne,
                                                                                                        wenn sie oder er die Fähigkeiten dazu habe.
                                                                                                        Was die Gleichberechtigung angehe, meint
                                                                                                        Losang Palma, sei der Dalai Lama durchaus
                                                                                                        fortschrittlich. «Er betont immer wieder, dass
                                                                                                        die Gleichwertigkeit von Mann und Frau
                                                                                                        Voraussetzung für eine bessere Welt sei. Und
                                                                                                        natürlich haben wir im Buddhismus, wie in
                                                                                                        anderen Religionen, dabei noch etwas Nach-
                                                                                                        holbedarf.» KATHARINA KILCHENMANN
Losang Palmo: «Viele tibetische Mönche sind strikt gegen Gleichberechtigung.»
Dossier zur Woche der Religionen - mit Pfarreienteil Baden-Wettingen - kasimir meyer.
10 Horizonte | Dossier zur Woche der Religionen | 14. Oktober 2018

Kampf um Anerkennung
und Respekt
CHRISTENTUM/ Veränderungen brauchen mehr als eine Generation.
Drei Theologinnen unter­schiedlicher christlicher Konfession im
Gespräch über die Frage der Gleichstellung, Konkurrenzdenken und
Machtstreben.
Frau La Roche, 1999 wurden Sie die erste Pfarre-     DARAUF konnten Sie, Frau Birke, nicht hoffen, als   Selbstinszenierung. Ich schätze den liturgi-
rin am Zürcher Grossmünster. War das damals et-      Sie sich für das Theologiestudium entschieden.      schen Reichtum anderer Kirchen. Genauso
was Besonderes?                                      Wären Sie gerne römisch-­katholische Priesterin?    bereichernd finde ich, dass wir konfessionell
KÄTHI LA ROCHE: Ja, durchaus. Ich empfand            SUSANNE BIRKE: Unter den jetzigen Bedin-            mehrsprachig sind, jeder sein eigenes Profil
das Amt als Ehre, hatte aber auch grossen            gungen nicht wirklich. Ich möchte nicht             hat. Bei ökumenischen Veranstaltungen geht
Respekt vor der Aufgabe. Als Frau hat man ja         Teil des Klerus sein. Natürlich wäre es ein         das aber oft verloren.
oft das Gefühl, man müsse es besonders gut           Fortschritt, wenn Frauen zum Priesteramt
machen, damit man gegenüber den Männern              zugelassen würden. Doch eigentlich will ich         KAUFMANN: Als kleine Kirche ist für uns
besteht.                                             nicht meinen Teil vom Kuchen, sondern ei-           Christkatholiken der ökumenische Austausch
                                                     nen ganz anderen Kuchen. Ich wünsche mir            sehr wichtig. Ein überzeugendes Modell der
Frau Kaufmann, im selben Jahr wurde die erste        zukünftig eine Kirche, die den Klerikalismus        Zusammenarbeit erlebe ich in Burgdorf. Dort
christ­katholische Priesterin geweiht. Damals        und die feudalen Strukturen hinter sich lässt,      lädt man sich gegenseitig ein. Zum Verkün-
steckten Sie mitten im Theologie­studium.            Seelsorgende und Amtsträger, die auf Au-            digungsteil trägt jede der Gastkirchen etwas
ANNA MARIA KAUFMANN: Als ich mit 35 Jah-             genhöhe mit dem Kirchenvolk sind.                   bei. Der Gottesdienst aber wird so gefeiert,
ren anfing zu studieren, war die Diskussion                                                              wie er beim jeweiligen Gastgeber immer ist.
um die Frauenordination bei den Christka-            LA ROCHE: Ich bin Priestern begegnet, die
tholiken in vollem Gang. Mein Ziel war es,           viel bescheidener sind als unsere Pastoren.         LA ROCHE: Das ist ein guter Ansatz. Ökume-
Pfarrerin zu werden, sonst hätte ich nicht           Die reformierten Kirchen sind zwar demokra-         nische Gottesdienste, vor allem auf institutio­
studiert. Ich war dann die zweite Frau, die in       tisch organisiert, aber sehr pfarrerzentriert.      neller Ebene, habe ich meist als konstruiert
der Schweiz geweiht wurde.                           Unsere liturgische Nacktheit verführt zur           erlebt. Man muss doch nicht krampfhaft zu-
14. Oktober 2018 | Dossier zur Woche der Religionen | Horizonte 11

KÄTHI LA ROCHE                                     SUSANNE ANDREA BIRKE                                            ANNA MARIA KAUFMANN
Die reformierte Theologin war von 1999 bis         Die römisch-katholische Theologin hat in                        Die frühere Biobäuerin hat mit 35 Jahren
zu ihrer Pensionierung 2011 Pfarre­rin am          Deutschland und in der Schweiz ­studiert. Sie                   christkatholische Theologie studiert. 2005
Zürcher Grossmünster. Zuvor wirkte sie als         ist bei Bildung und Propstei der Römisch-                       wurde sie zur Priesterin geweiht. Seit 2012
Spitalseelsorgerin, Studentenpfarrerin und         Katholischen Kirche im Aargau tätig und                         ist sie Pfarrerin der christ­katholischen
Gemeindepfarrerin in Zürich-Altstetten und         leitet den Arbeitskreis Regenbogenpastoral.                     Kirchgemeinde Bern.
Erlenbach.

sammen feiern, wenn man sich in wichtigen                                                                          der Kirche anlasten. Es ist ein gesamtgesell-
Fragen nicht einig ist. Miteinander reden und      LA ROCHE: Das habe ich auch erlebt. Wenn                        schaftliches Phänomen, das sich so schnell
voneinander lernen kann man auch so.               ich an Sitzungen etwas sagte, wurde es erst                     nicht ändern lässt. Männer profitieren zum
                                                   richtig gehört, wenn mein Kollege dasselbe                      Beispiel immer noch von traditionellen Netz-
BIRKE: Ich habe sowohl Schönes als auch            nochmals sagte. Ich habe ihn dann regelrecht                    werken wie dem Militär oder den Zünften.
Mühsames erlebt. Doch auch in der öku-             beauftragt, meinen Voten damit Gewicht zu
menischen Frauenkirchenbewegung war es             verleihen. Solche alten Muster zu ändern,                       BIRKE: In meiner Arbeit mit Schwerpunkt
manchmal nötig zu streiten. Darüber zum            braucht einige Generationen.                                    Frauen und Gender habe ich beides erfahren
Beispiel, wie viel Platz das Wort gegenüber                                                                        – viel Unterstützung, aber auch ziemliche
Ritualen haben soll. Am wichtigsten ist mir        KAUFMANN: Manchmal habe ich den Ein-                            Widerstände. Beides von beiden Geschlech-
heute die innere Verbundenheit – nicht             druck, dass in den Köpfen der Leute ein                         tern, wenn auch nicht zu gleichen Teilen.
nur konfessions-, sondern religionsübergrei-       Urbild des Priesters als umfassende Autorität                   Erst kürzlich erlebte ich Männerbündelei bei
fend. Jemand vom Verein «Offene Moschee            immer noch wirkt, auch wenn die Realität                        der Gründung des globalen Netzwerks der
Schweiz» steht mir näher als jemand von der        heute anders aussieht. Ein Beispiel: Die                        Regenbogenkatholik*innen. Da wurden die
konservativen katholischen Volksbewegung           Frau aus Eritrea, die bei uns den Hausdienst                    regionalen Vorstandsposten im Voraus ohne
Pro Ecclesia.                                      macht, geht am Morgen ins Büro meines Kol-                      Absprache unter den Männern verteilt. Für
                                                   legen und begrüsst ihn mit «Guten Morgen,                       die Frauen waren zunächst nur Vorstands­
Die ökumenische Frauenkirchenbewegung setzt        Herr Pfarrer». Und dann kommt sie zu mir                        posten mit Spezialaufgaben vorgesehen.
sich ganz allgemein für Frauenrechte ein. Wie      und sagt «Guten Morgen, Anna Maria». Ich                        Nun gibt es aber eine Co-Präsidentin.
weit fühlen Sie sich in Ihrer Kirche den Männern   bin nicht dieselbe Respektsperson für sie. In
gleichgestellt?                                    dem Fall ist das wohl auch kulturell bedingt.                   LA ROCHE: Als ich im Gymnasium Religions-
KAUFMANN: Strukturell sind wir gleichge-                                                                           unterricht gab, interessierten Genderfragen
stellt – ich könnte auch Bischöfin werden.         LA ROCHE: Die scheinbare Respektlosigkeit                       die jungen Frauen überhaupt nicht. Sie hat-
In der konkreten Zusammenarbeit, zum               geht einher mit einer Nähe, die für uns                         ten das Gefühl, alles sei erreicht. Ich fürchte,
Beispiel in der Pastoralkonferenz, habe ich        Frauen auch ein grosser Vorteil ist, vor                        das ist eine Illusion.
aber doch manchmal das Gefühl gegen                allem in der Seelsorge. Um auf die Frage
Verhaltensweisen angehen zu müssen, die            der Gleichstellung zurückzukommen: In der                       INTERVIEW : CHRISTA AMSTUTZ, MARIE-CHRISTINE ANDRES
ich «männlich» nenne, auch wenn sie von            reformierten Kirche sind Frauen in jeder
beiden Geschlechtern praktiziert werden:           Hinsicht gleichgestellt. Und doch haben sie
Konkurrenzdenken und Machtstreben.                 nicht dasselbe Gewicht. Das kann man nicht
12 Horizonte | Dossier zur Woche der Religionen | 14. Oktober 2018

Zwei Standpunkte
JUDENTUM/ Denise Alvarez und Bea Wyler beantworten
fünf Fragen über Frauen im Judentum.

                                                  DENISE ALVAREZ-BRAUNSCHWEIG                                                             BEA WYLER
                                                  In der Jüdischen Gemeinde Bern war                                                      Die studierte Agronomin schloss 1995
                                                  Denise Alvarez-Braunschweig aktiv als                                                   die Ausbildung zum Rabbiner am
                                                  Vorstandsmitglied und Religionslehrerin.                                                «Jewish Theological Seminary» in New
                                                  Die Bernerin gehört zu den Mitinitiantinnen                                             York ab. Im gleichen Jahr trat sie eine

                                                                                                FOTO: ANNICK RAMP/NZZ
                                                  des jüdischen Frauengottesdienstes                                                      Stelle als Rabbiner in den jüdischen
                                                  und zu den Vorbete­rinnen im egalitären                                                 Gemeinden in Oldenburg und Braunschweig
                                                  Minchagebet, dem Nachmittagsgebet.                                                      an. Seit 2014 lebt sie wieder in der Schweiz.

1
Sprechen sich             Es steht nirgends geschrieben, dass Frauen nicht leh-                                     Weder in biblischer, talmudischer, noch in mittelal-
die schriftlichen         ren oder keinen Gottesdienst leiten dürften.                                              terlicher Zeit war es vorstellbar, dass Frauen «pries-
Quellen im Juden-                                                                                                   terliche» Funktionen ausübten. Entsprechend ist in
tum wie Thora, ­                                                                                                    den Schriften diesbezüglich auch nichts zu finden. Ein
Talmud oder                                                                                                         Grund dafür ist wohl auch, dass Frauen in jener Zeit in
­Halacha gegen                                                                                                      keinem Lebensbereich öffentlich in Erscheinung traten.
 ­eine «Priester»-                                                                                                  Allerdings war es auch den meisten jüdischen Männern
  Funktion von                                                                                                      nicht möglich, ein Priesteramt zu übernehmen, da die-
  Frauen aus?                                                                                                       ses nur vererbt werden konnte. Mit der Zerstörung des
                                                                                                                    Tempels im Jahre 70 n. Chr. wurde die Priesterklasse
                                                                                                                    dann als Kultus-Elite von den neuen Rabbinern abge-
                                                                                                                    löst. In dieser Tradition kann nun grundsätzlich jeder
                                                                                                                    Mann Rabbiner werden. Es braucht dafür lediglich das
                                                                                                                    nötige Wissen, das man sich durch ausgedehnte Studi-
                                                                                                                    en aneignen kann.

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Welcher Spielraum         In der Jüdischen Gemeinde Bern (JGB) stehen den                                           Als ich 1995 ordiniert wurde, beschlossen die jüdi-
besteht für Frauen        Frauen alle weltlichen Funktionen offen. Die Gemeinde                                     schen Gemeinden Oldenburg und Braunschweig, beide
in religiösen Lei-        hatte bereits mehrere Präsidentinnen. Im religiösen Be-                                   im deutschen Bundesland Niedersachsen, mich zu ih-
tungs- und Lehr-          reich kennt die JGB Religionslehrerinnen und führt re-                                    rem Rabbiner zu wählen. Innerhalb der Gemeinden gab
aufgaben in Ihrem         gelmässig Frauengottesdienste durch. Vereinzelt haben                                     es eigentlich keinen Widerstand. In den umliegenden
persönlichen Um-          schon egalitäre Gottesdienste stattgefunden, in denen                                     Regionen herrschte aber ein raueres Klima: von da her
feld?                     zwölfjährige Mädchen an ihrer «Bat Mizwa» als Aus-                                        gab es ziemlich «Gegenwind».
                          druck ihrer erreichten religiösen Mündigkeit aus der
                          Thora vorlasen – immer ein sehr berührender und freu-
                          diger Moment. Ausserdem legen am Schabbatmorgen
                          oft Frauen die Thora aus.

3
Welche Aufgaben           Das hängt jeweils von der Ausrichtung der einzelnen                                       Wenn sich eine Gemeinde einmal dazu entschlossen
sind im Judentum          Gemeinden ab: Es gibt orthodoxe, konservative und li-                                     hat, einen weiblichen Rabbiner anzustellen, gibt es kei-
ausschliesslich           berale jüdische Gemeinden. In der Schweiz wären heu-                                      ne Restriktionen mehr. Ich persönlich konnte als Rab­
Männern ­vor-             te nur bei den liberalen Gemeinden in Zürich und Genf                                     biner alles machen. Nur wenn ich körperlich an meine
behalten und mit          Frauen in Rabbinerfunktion denkbar.                                                       Grenzen kam, holte ich mir Hilfe.
welcher Begrün-
dung?
14. Oktober 2018 | Dossier zur Woche der Religionen | Horizonte 13

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Haben Jüdinnen         Aus meiner persönlichen Erfahrung weiss ich, dass es                        Hierzulande haben Jüdinnen viele Möglichkeiten, so
in der Schweiz         in Nordamerika und England deutlich mehr Jüdinnen                           zu leben, wie sie es wollen, und das zu tun, was ihnen
es im internatio-      gibt, die den Gottesdienst aktiv gestalten können und                       wichtig ist. Es gibt sehr fortschrittliche Gemeinden, in
nalen Vergleich        wollen. Sie verfügen auch über ein grosses Wissen.                          welchen ein nahezu egalitäres Judentum gelebt wird.
schwerer, religiö-                                                                                 Das grösste Hindernis der Schweizer Jüdinnen scheint
se­­Ämter zu über­                                                                                 mir die viel zitierte «Schere im Kopf».
nehmen und kulti-
sche Handlungen
aus­zuführen?

5
Was hoffen Sie,        Im Judentum braucht es für die Durchführung eines                           Die Schweizer Juden, Männer wie Frauen, sollten die
dass sich im Juden-    Gottesdienstes mindestens zehn religiös mündige Per-                        Neugier auf jüdische Möglichkeiten stärker kultivieren.
tum in Bezug auf       sonen (Minjan). Nach orthodoxer Lesart ist ein Gottes-                      Sie sollten vermehrt den Mut haben, jahrhunderte alte
die Frau in Zukunft    dienst nur dann gültig, wenn es sich bei diesen zehn                        Normen und Regeln neu zu überdenken, sodass Frau-
verändert?             Personen um Männer handelt. Ich wünsche mir, dass                           en akzeptiert werden und aktiv und sichtbar ihre Rolle
                       bald auch Frauen beim Minjan mitgezählt werden und                          in Gottesdiensten übernehmen können. Doch wer küsst
                       sie Rechte und Pflichten mit den Männern teilen. Eben-                      sie wach?
                       bürtige und respektvolle Begegnungen zwischen Kultu-
                       ren und Religionen liegen mir am Herzen. So auch das                        AUFGEZEICHNET: HANNAH EINHAUS
                       gemeinsame Beten von Frauen und Männern.

TIPPS                                                 VERANSTALTUNGEN IM AARGAU:

Woche der Religionen                                  Hermetschwil: Brot im Judentum,
                                                      im Christentum und im Islam
Jedes Jahr in der ersten Novemberwoche                Besichtigung der einzigen Hostienbäckerei
hat die «Woche der Religionen» ihren festen           im Aargau, Vorträge und Apéro. Do 8. 11.,
Platz in der interreligiösen Agenda. Rund             12.15 bis 14.30 Uhr, Benediktinerinnen-Ab-
100 Veranstaltungen laden jährlich zu Be-             tei St. Martin, Klosterhof 3, Hermetschwil.
gegnung und Dialog zwischen den in der                Organisation: Römisch-katholische Kirche
Schweiz ansässigen Religionen und Kulturen            im Aargau.
ein. Organisiert wird die Woche vom interre-

                                                                                                                                                                    FOTO: IRAS COTIS/HAWASWORLDWIDE
ligiösen Netzwerk IRAS COTIS. Derwische               Lenzburg: Kathina-Zeremonie
im Wirbeltanz, eine Exkursion zu den Ap-              Nehmen Sie an einem der grössten Feste
penzeller Friedensstationen, Diskussionen             im Buddhismus teil. Rezitation und An-
über Zivilcourage und soziales Engagement:            dacht, Darreichung des Mittagessens an
Die Woche der Religionen vom 3. bis 11.               die Mönche, gemeinsames Mittagessen. Für
November 2018 ermöglicht überraschende                Unterhalt und Betreuung des Tempels sind
Begegnungen. Die über 100 Veranstaltun-               Spenden willkommen. So, 11. 11., 8.45 bis
gen in der ganzen Schweiz wollen Vorurteile           11 Uhr, Zürich Buddhist Vihara, Sophie
und Ängste abbauen und den gegenseitigen              Hämmerlistrasse 22, Lenzburg. Organisati-                     «Woche der Religionen», 3.–11. November 2018
                                                                                                                    Alle Veranstaltungen: www.iras-cotis.ch
Respekt fördern.                                      on: Zürich Buddhist Vihara.

                            Schriftstellerinnen aus vier                            Frauen erobern
                            Kontinenten                                             die Kanzel
                            Kurzgeschichten, Gedichte und Ro-                       Von Frauen, die ihr Recht auf
                            manauszüge von 29 Autorinnen aus                        Verkündigung einforderten, und
                            Asien, Afrika, der arabischen Welt                      von ­einer Kirchgemeinde, die für
                            und Lateinamerika versammelt dieser                     ihre Pfarrerin bis vors Bundesge-
                            Band. Das Buch wirft ein Schlaglicht                    richt zog, handelt der Spaziergang
                            auf die weibliche Literatur und öffnet                  durch Zürich mit der Autorin Bar-
                            den Blick auf die Verwerfungen mo-                      bara Hutzl-Ronge. Anlass bietet
                            dernen Lebens rund um die Welt.                         das 100-Jahr-Jubiläum der ersten
                                                                                    Frauenordination in Zürich.
                                                                                                                                                                    FOTO: CHRISTIAN SCHWITTER

                            Anita Djafari­und Juergen Boos (Hg.): Vollmond hin-
                            ter fahlgelben Wolken. ­Autorinnen aus vier Kontinen-
                            ten. ­Unionsverlag, 2018.
                                                                                    Öffentliche Führungen:
                                                                                    28. Oktober 2018, 19. Januar 2019, 29. Juni 2019
                                                                                    Details und Anmeldung: www.hutzl-ronge.ch.
14 Horizonte | Dossier zur Woche der Religionen | 14. Oktober 2018

Kreuzworträtsel
                                                                                          WAAGRECHT: 1 ein Jahr nachdem Maja Zimmermann als
                                                                                          erste Pfarrerin ans Berner Münster gewählt worden war,
                                                                                          wurde Käthi La Roche an eine Kirche einer anderen Stadt
                                                                                          berufen 12 Fana­tiker, Verfechter, Extremisten – nicht nur re-
1       2      3       4      5      6       7              8        9    10    11
                                                                                          ligiöse 13 ein Piz der Bernina-Gruppe 14 die Gleichberech-
                                                                                          tigung der Geschlechter ist ein Gebot der ??? 16 so sprach
                                                                                          Goethe: … sei der Mensch, hilfreich und gut 18 ersetzt man-
12                                                           13                           chem den Coiffeur 19 Song von Kesha und Eliane: ... Tok
                                                                                          21 der Vorname des Vaters von 007 22 aus Filz hergestellte
               14                                     15
                                                                                          Kopfbedeckung, eine Baskenmütze­23 ein pronom réfléchi
                                                                                          in der Grundform 24 dieser Regen hilft dem trockenen Bo-
                                                                                          den nur wenig 26 Resultat zwischen Birdie und Bogey 27
16     17                            18                              19   20              Partizi­pation ist ...Wirkung 28 auf diesem Berg steht die
                                                                                          von ­Mario Botta entworfene Cappella di Santa­­Maria degli
21                            22                                          23
                                                                                         ­Angeli 30 die Ureinwohner Australiens, die ein furchtbares
                                                                                          Schicksal erlitten und i­mmer noch ­erleiden – ganz beson-
                                                                                          ders deren Frauen 33 die Briefanschrift einer Lady 34 Brot
24                    25                                             26                  allein ­mache den Menschen nicht … 35 vor Bo oder Kwon-
                                                                                          do, Fitnessgymnastik oder Kampfsport 37 war lange­Zeit ei-
               27                           28              29
                                                                                          ner der (nur drei) Zuständigkeitsbereiche­der Frau 39 Niels
                                                                                          erhielt den Nobelpreis für Physik wie 53 Jahre später auch
                                                                                          sein Sohn 40 authentisch, wahrhaftig, unverfälscht 42 war
30     31                            32                                                   für einige­Monate die Hauptstadt der Eidgenossenschaft
                                                                                          43 lieber­der US-General­und -Präsident als der Musiker
33                            34                                     35   36             und gewalttä­tige Ehemann der Tina 44 scharfzüngiger Ka-
                                                                                          barettist und literarischer Unterhalter­45 der i­ sraelische Mi-
                                                                                          nisterpräsident (I) 46 nid ganz ­zwänzgi, aber schon einge-
37                    38                                    39                            deutscht 48 Stadt in ­Österreich ohne Kopf 50 jene der bud-
                                                                                          dhistischen Tara-Figuren sind verschiedenfarbig
40                                   41               42
                                                                                         SENKRECHT: 1 Solidarität, ??? und Vernetzungen tragen
                                                                                         zur Gleichberechtigung bei 2 Berner Journalist und Mode-
43                            44                                          45             rator, während vieler Jahre die Stimme der Glückskette (I)
                                                                                         3 dieser Verein setzt sich dafür ein, dass Frauen als Vorbe-
46                    47                              48             49
                                                                                         terinnen bei gemischten Gebeten amtieren dürfen (2 Wör-
                                                                                         ter) 4 der Sänger mit Wurzeln in Nigeria und Brasilien war
                                                                                         sieben Jahre mit Heidi Klum verheiratet 5 die Rituale der
                      50                                                                 hinduistischen Priester dieses Landes (1.Teil) faszinier-
                                                                                         ten Vasanthamala 6 besteht aus Kalk und Ton und wird zur
                                                                                         Herstellung von Zement verwendet 7 nur die Appenzel-
                                                                                         ler pochten noch länger auf Die gött­liche Ordnung (hei-
                                                                                         mische Mundart) 8 die Abkürzung e     ­ iner Schweizer Partei
                                                                                         9 einer unserer sieben Sinne 10 Greco malte kein Dorado
                                                                                         11 die ??? ­ihrer Rechte ist nicht nur bei religiösen Frauen
                                                                                         angesagt 15 chic, apart, manchmal auch (zu) diplomatisch
                                                                                         17 die Sängerin errang in Hollywood als Filmstar mit Ko-
                                                                                         mödien, einem Hitchcock-Krimi und mit Que ­sera, sera vie-
                                                                                         le Auszeichnungen 20 fliesst durch ­eine deutsche Metro-
                                                                                         pole 22 aus der Oper La vie quotidienne von Jacques Brel:
                                                                                         L'air de la 25 dürfen grosse britische Politiker, Schauspie-
                                                                                         ler und Sportler vor ihren Namen schreiben 26 wird einfa-
                                                 1. PREIS                                cher in als Priester 28 vom Himmelreich durchs Höllental
Schicken Sie uns die Antwort bis                 REISEGUTSCHEIN                          zu diesem See 29 er schrieb eine unend­liche Geschichte
28. NOVEMBER 2018                                Sei es per Bahn, Bus oder Schiff, ge-   (I) 31 engagierte Frauen finden solche auch zwischen den
elektronisch oder per Post:                      niessen Sie eine Reise an einen Ort     Religionen 32 der Kluge­reist damit im Zuge­– so er gut be-
                                                 Ihrer Wahl mit der Geschenkkarte der    tucht ist 36 die Gemahlin dieses Königs führte in Israel den
«zVisite»-Kreuzworträtsel                        SBB im Wert von Fr. 300.–.              Baal-Kult ein 38 Wilhelms Frau und die Mutter von Walter­
c/o Redaktion «reformiert.»                                                              und Wilhelm jun. (I) 39 eine­Gemeinschaft, die Respekt und
Postfach 312                                     2.–5. PREIS                             Achtung gegenüber anderen Religionen in den Mittelpunkt
3000 Bern 13                                     BRUNCH IM HAUS DER RELIGIONEN           stellt 41 Trauffers Liebste hat … mit de Chüeh 42 amerika-
zvisite@zvisite.ch                               Frauen decken immer samstags den        nische Masseinheit die ungefähr einer Jucharte entspricht
                                                 Tisch mit feinen vegetarischen Spei-    44 … Zurigo, … s­ alta! 47 Nadeschkins bürgerlicher Name
                                                 sen aus ihren Ländern und laden zum     (I) 49 mitten im Konzert
                                                 Brunch ein. Nach dem Frühstück
                                                 bleibt Zeit für Gespräche oder eine
                                                 Einführung ins Konzept des Hauses       (J + Y = I / Umlaute = 1 Bst. / I = Initialen)
                                                 der Religionen – Dialog der Kulturen.   RÄTSELAUTOR: EDY HUBACHER

                                                 Je ein Gutschein für zwei Personen.
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