Väter und andere Care-Worker - Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Problem auch für Männer
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April 2016 Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr Die Gewerkschaft Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste Väter und andere Care-Worker Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Problem auch für Männer
Vermögensverwaltungskosten „Kostentransparenz hat KOSTEN IN unter der Lupe sich durch neue Bestim- mungen verbessert. Das 1. Juni 2016, 9:15 – 12:30 DER 2. SÄULE Schmiedstube, Bern ist wichtig für die Pen- sionskassen und für die Öffentlichkeit.“ „Bisher waren viele Stif- tungsräte zu zahm und zu wenig wettbewerbs- Vera Kupper Staub orientiert gegenüber der Vizepräsidentin Oberaufsichtskommission Anlegerszene und den Berufliche Vorsorge OAK BV Assetmanagern. Es fehl- ten ihnen standardisierte „Eine Anlagestrategie, die Vergleichsziffern.“ möglichst niedrige Kos- ten aufweist, garantiert Rudolf Strahm Ökonom, Publizist und ehemaliger in keiner Weise ein gutes Preisüberwacher Rendite-Risiko-Verhältnis.“ „Die Stiftungsräte tragen die Verantwortung. Sie müssen deshalb alles und Jürg Tobler damit auch die Vermö- Stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung PKZH, gensverwaltungskosten Leitung Geschäftsbereich Vermögensanlagen kritisch hinterfragen.“ „PUBLICA investiert nur in transparente und ver- ständliche Risikoklassen. Jorge Serra PK-Netz Vizepräsident, VPOD-Finanzchef und Kosten sind eines von Mitglied in diversen Stiftungsräten mehreren wichtigen Krite- rien innerhalb des Selektionsprozesses.“ Weitere Informationen und Anmeldungen: Stefan Beiner www.pk-netz.ch Leiter Asset Management & Stv. Direktor Pensionskasse des Bundes PUBLICA VPOD-Verbandskonferenz Sozialbereich Donnerstag/Freitag, 2./3. Juni, Solothurn «Es geht anders, es geht besser» Arbeiten und Angehörige Referate, Diskussionen, Ateliers, Ausstellung, Essen und Musik pf legen – wie geht das? Samstag, 21. Mai 2016, 9.30–13 Uhr Restaurant Dählhölzli, Bern Teil 1: Eigene Grenzen der Belastbarkeit, Austausch, Entlastungsangebote Mit Peter Schneider (Psychoanalytiker, bekannt u. a. aus dem Radio SRF Teil 2: Betreuungsgutschriften, Pflegevertrag, und aus «Leser fragen» im Tages-Anzeiger) Modelle zur Vereinbarkeit Referentinnen: Bettina Ugolini, Leiterin der psycho- Weiter wirken mit: Ruedi Epple (Universität Freiburg), Bulle Nanjoud logischen Beratungsstelle Leben im Alter LiA, Uni (Le 2ème Observatoire), Katharina Prelicz-Huber (Präsidentin VPOD), Zürich; Diana Bertschi, Fachfrau Pflegende Angehö- u.v.m. rige, Spitex Burgdorf Anschliessend Diskussionsrunde und Marktplatz der Themen: Spuren einer anderen sozialen Arbeit; In kleinen Schritten Entlastungsangebote gegen den Wind; Puppenstuben und Lego-Ecken; Im Sandwich; Die Evaluation frisst ihre Kinder u. a. Zielpublikum: Personen, die im Erwerbsleben stehen und bereits Angehörige betreuen oder dies in Musik und Tanz mit The Fake («Great Songs from the Sixties to Today») Erwägung ziehen Rahmenprogramm: «Aufbruch in eine sozialere Schweiz»: Anmelden bis 6. Mai online unter www.vpodbern.ch, Gewerkschaften, Institutionen und Aufbauhilfe um 1945 – Fotografien 031 371 67 45 oder angela.zihler@vpodbern.ch von Ernst Köhli (1913–1983) Für VPOD-Mitglieder kostenlos, Nichtmitglieder bezahlen 120 Franken Anmeldung ab sofort bei den Regionalsekretariaten
Editorial und Inhalt | VPOD Themen des Monats 5 Den Pass anpassen? Strategien für Secondas und Secondos in der Schweiz 6 Niemandes Wunsch und Wille... Lohndiskriminierung als Spiegel unterschwelliger Normen 7 Geld oder Leben? Leben! Christoph Schlatter Der Generalsekretär erklärt die Altersvorsorge – Teil 7 ist Redaktor des VPOD-Magazins 9 Zauberberg des Sozialismus Vor 100 Jahren: «2. Zimmerwalder Konferenz» in Kiental Nur Mut In grosser Zahl kommen Flüchtlinge ins Land. Zwar sind manche 11–15 Dossier: Väter (und andere Care-Worker) gut ausgebildet, haben in ihrer Heimat wichtige Posten bekleidet. Margrit Stamm im Interview Trotzdem muss man schauen, dass zuerst die eigenen Leute Beschäf- Väter in der Analyse tigung finden. Gerade in einer so angespannten Situation. Da kann 24-Stunden-Betreuung im Fokus man nicht jeden einlassen. Da ist irgendwann das Boot einfach voll. Wir helfen ja gerne, aber es gibt Grenzen. Grenzen der Aufnahme- 16–17 Alle Termine zum 1. Mai im Überblick bereitschaft. Und Landesgrenzen sind ja auch nicht zufällig da. Sie scheiden, was nicht zusammengehört. Und man muss schliesslich auch an unsere Frauen und Töchter denken. Rubriken So reden sie, die ihren Hass als Angst ausgeben oder – wie man heu- te sagt – als «Ängste». So reden sie hier, nicht anders als in Clausnitz oder Dresden oder wo sonst der Mob mobbt und die Flüchtlings- 4 Gewerkschaftsnachrichten heime brennen. Und so redeten viele hier auch vor 80 Jahren. Eine preussische Jüdin oder ein schlesischer Kommunist, die vor dem Na- 8 Aus den Regionen und Sektionen ziterror geflüchtet waren, kamen der Schweiz von damals gerade so fremd vor wie heute jemand aus Aleppo oder Kabul. Gemütlich war 10 Susi Stühlinger: Grosse Fragen die Weltlage auch 1933, 1936, 1939 nicht. Die Konjunktur lag im Kel- ler, die politische Zukunft im Dunkeln. Würde der grosse Diktator 18 Wirtschaftslektion: Überlegene AHV noch ganz Europa unterwerfen? Auch die Schweiz? In dieser Zeit war Hans Oprecht geschäftsleitender Sekretär, Stimme 19 Wettbewerb: Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit und Gesicht des VPOD. Das war ein Glück nicht nur für die Gewerk- schaft, sondern auch für jene, die vor Hitler in die Schweiz flohen. 20 VPOD aktuell Rasch sprach sich unter ihnen herum, dass einem in Zürich auf dem VPOD-Sekretariat geholfen werde. Oprecht tat, was in seiner Macht 21 Hier half der VPOD: Plötzliche Ungnade stand, die Verfolgten zu schützen und zu unterstützen – «fearless and selfless, always ready to help those in need», wie eine Zeitzeugin 22 Solidar Suisse: Kaffee von unten aus Nicaragua später schrieb. Er tat dies auf vielfältigste Weise und notfalls, etwa wenn es um die Beschaffung von Pässen für Papierlose ging, auch 23 Menschen im VPOD: Stella Jegher nimmt eine mit nicht ganz legalen Mitteln. Auszeit Dass der Kollege Oprecht ein mutiger Mensch war, dafür gibt es viele Belege, lustige und ernste. Im November 1918 war er – an seinem vierten Arbeitstag an der Stelle – der einzige Stadtzürcher Beamte, der am Generalstreik teilnahm. Und in den 1950er Jahren, mit einer internationalen Delegation auf Empfang beim britischen Königs- haus, der einzige, der seinen Rücken gerade hielt und der Queen zum Gruss einfach die Hand entgegenstreckte. Redaktion /Administration: Postfach 8279, 8036 Zürich «Wehe dem Land, das Helden nötig hat», hat Brecht gesagt. Kann Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53 schon sein. Aber ein paar Mutige wie Hans Oprecht vertrüge es noch Nr. 3, April 2016 problemlos. Das hilft auch uns schwächeren Geistern, ein bisschen E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch mehr Gutes zu wagen. Mehr Rückgrat zu zeigen. Etwas weniger Erscheint 10-mal pro Jahr Angst zu haben. Und schon gar keine «Ängste». April 2016 3
VPOD | Gewerkschaftsnachrichten Gewerkschaften an Nationalrat: Auf die Kantone hören! Gewerkschaften an Nationalbank: Franken schwächen! Profitmaximierung geopfert? Die 7 Mitglieder der Konzernleitung bekommen 15,4, die Aktionäre 48 Millionen Franken. Angesichts sol- cher Summen ist es skandalös, dass Tamedia den GAV der grafischen Industrie verlassen hat. Zudem ist ein Deutschschweizer Journalisten- GAV dringend nötig. | syndicom/slt Frauentag: Die Renten rauf, nicht das Rentenalter Zum Frauentag haben Gewerkschafterinnen ein Zeichen gegen eine Erhöhung des Frauenrentenalters gesetzt. Das Reformpaket «Alters- vorsorge 2020» will dieses von 64 auf 65 anheben. «Das hat nichts mit Gleichstellung zu tun, sondern ist ein milliardenschweres Spar- programm auf dem Rücken der Frauen», sagt VPOD-Zentralsekretä- rin Christine Flitner. Solange Frauen immer noch mehr unbezahlte Arbeit leisteten und weniger verdienten als Männer, solange sei eine Anhebung des Frauenrentenalters tabu. Daher: Rauf mit den Renten, Bildung im Rückwärtsgang? nicht mit dem Rentenalter! | vpod Der Bundesrat sieht für die Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) der Jahre 2017 bis 2020 lediglich noch ein mageres Die Folgen der Geldpolitik: Theorie … Wachstum von 2 Prozent vor. Die Akteure des Bildungs- und For- Ein gutes Jahr nach Aufhebung des Mindestkurses bewegt sich der schungsplatzes haben mit 3,2 Prozent gerechnet. Auch für den SGB Franken nach wie vor unterhalb von 1.10 Fr./Euro. Die Teuerung ist und den VPOD ist die Kürzung inakzeptabel: Wie kann der Bundesrat negativ, die Arbeitslosigkeit steigt. In der Exportwirtschaft sind Tau- einen Bereich zur Priorität erklären und gleichzeitig die versproche- sende von Arbeitsplätzen verschwunden. Die Hoffnung der Natio- nen Mittel derart eindampfen? | sgb/slt nalbank auf eine Frankenabwertung im Lauf des Jahres 2015 hat sich nicht erfüllt. Zwar wirken die Massnahmen – Negativzinsen, Devisen- SEV: Mehr Personal für die SBB marktinterventionen – in die richtige Richtung. Doch sie reichen nicht. Der Jahresabschluss der SBB zeigt, dass überall gute Arbeit geleistet Der SGB erwartet von der Nationalbank, dass sie den Franken auf ein wird. Die Gewerkschaft SEV erinnert daran, dass dies nicht an der lohn- und arbeitsplatzverträgliches Niveau bringt. | sgb (Foto: slt) bonusgarnierten Konzernleitung liegt, sondern am Personal. Ohne dieses dreht sich kein einziges Rad. Dabei, so betont der SEV, sind … und Praxis (Schindler und Sulzer) die SBB personell keineswegs überdotiert; das Gegenteil ist der Fall Wie der Liftbauer Schindler bekanntgibt, werden am Standort Ebikon – zumal mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels ein weiterer 120 Stellen abgebaut und nach China und Indien verlagert. Die Unia Ausbauschritt folgt, der zusätzliches Personal erfordert. | sev/slt ist empört, weil Schindler im Vorjahr einen Gewinn von 747 Millio- nen Franken ausweist. Der Industriekonzern Sulzer will sein Werk Paketpöstlerinnen im Stress in Winterthur schliessen und 90 Leute auf die Strasse stellen. Der Die Zeit, die Paketpostboten für die Zustellung zur Verfügung haben, überbewertete Franken sei nur ein Teil des Hintergrunds, moniert ist sekundengenau definiert. Wer länger braucht, kann keine Überzeit die Unia: Es gehe auch um Profitmaximierung. Dies zeige die ange- aufschreiben. Manchmal kommen so mehrere Stunden Gratisarbeit kündigte Sonderdividende für Aktionärinnen und Aktionäre. | unia/slt pro Woche zusammen. Die Unzufriedenheit über diese Zustände ist bei den Angestellten gross, wie eine Syndicom-Umfrage ergab. Die Nationalrat blind und taub für Kantone Gewerkschaft hat Gespräche mit der Post aufgenommen, denn Gratis- Der Nationalrat hat sich für ein Ladenöffnungszeitengesetz ausge- arbeit bei einem bundesnahen Unternehmen geht gar nicht. | slt sprochen, mit dem er der Hälfte der Kantone längere Öffnungszei- ten aufzwingen will. Das verschlechtert die Arbeitsbedingungen im Tamedia-Abschluss: Jetzt GAV! Verkauf. Im Ständerat wird hoffentlich der Widerstand der Kantone Die Tamedia-Zahlen für 2015 sind erneut sehr gut: Kein anderes mehr Gehör finden. Diese lehnen die Vorlage ab. Sie wollen sich nicht Schweizer Medienunternehmen macht 334 Millionen Franken Ge- bevormunden lassen und sehen in einer Ausdehnung der Öffnungs- winn. Werden publizistische Qualität und Arbeitsbedingungen der zeiten kein Mittel gegen den Einkaufstourismus. | sgb/slt (Foto: slt) 4 April 2016
Politik | VPOD SGB fordert Secondas und Secondos zur Einbürgerung auf Den Pass anpassen? Nach dem Erfolg gegen die Durchsetzungsinitiative ruft der SGB die Secondas und Secondos ohne Schweizer Pass auf, sich jetzt ernsthaft mit einer Einbürgerung auseinanderzusetzen. | Text: SGB (Foto: efenzi/istockphoto.de) Für all jene, die ohne Schweizer Pass in der liegt es im ureigenen Interesse einer Demo- Schweiz leben, hätte die Durchsetzungsiniti- kratie, möglichst die gesamte Bevölkerung ative eine eigentliche Entrechtung bedeutet. als mündige, aktive Bürgerinnen und Bürger Das ist vom Tisch. Doch auch so ist die Lage zu gewinnen. Dieser Stärkung der Zivilge- ungemütlich. Auch ohne Durchsetzungs- sellschaft stünden allerdings die strengen initiative droht Secondas und Secondos mit Einbürgerungsregeln und unterschiedliche ausländischer Staatsangehörigkeit im Fall Verfahren entgegen. der Fälle neben der strafrechtlichen Verurtei- Für Manuel Avallone, Vize-Präsident der lung eine Zusatzstrafe: die Ausweisung in ein Gewerkschaft SEV, ist Integration keine Ein- Land, das sie womöglich gar nicht kennen. bahnstrasse. Sie benötige zwei Partner: Die Deshalb fordert der SGB die Betroffenen da- Immigrierten und die Schweizerinnen und zu auf, sich jetzt zum Thema Einbürgerung Schweizer. Letztere sollten nicht möglichst Gedanken zu machen. viele Hindernisse aufbauen, sondern die SGB-Präsident Paul Rechsteiner rief die El- Voraussetzungen schaffen für eine optima- tern ohne Schweizer Pass dazu auf, «alles le Integration. Obwohl er von der offiziellen in ihrer Möglichkeit Stehende zu tun, damit Schweiz nie das Gefühl erhalten habe, da- ihre Kinder das Schweizer Bürgerrecht erwer- zuzugehören, wolle er sich jetzt einbürgern ben, sobald sie die Voraussetzungen dafür lassen. «Ich bin nicht mehr bereit, wegen erfüllen». Er forderte die Städte und Gemein- meiner Nationalität als Manipuliermasse der Anpassung um jeden Preis, den auf, entsprechende Aktionen durchzu- fremdenfeindlichen SVP-Politik zu dienen», um aus dem Schussfeld führen. Laut Unia-Präsidentin Vania Alleva sagte Avallone. zu geraten? Kommentar Gegen die Spaltung der Arbeiterschaft Angesichts fort- Eidgenössische Kommission für Migrations- Auch wenn es verführerisch erscheinen schreitender Ent- fragen geschätzt, dass 900 000 hiesige «Aus- mag, die «Ausländerquote» durch Einbür- rechtung der Mig- länderinnen» und «Ausländer» die Anforde- gerung zu reduzieren: Fremdenfeindlich- rationsbevölkerung rungen für eine Einbürgerung erfüllen. Sollen keit wird damit nicht aus der Welt und aus – unter anderem die sich möglichst schnell unter den Schutz- der Schweiz geschafft. Viele glauben immer als «pfefferscharfe mantel des Bürgerrechts retten, während die noch, dass Migration unser grösstes Pro- Umsetzung der anderen – mehr als 1 Million Menschen mit blem sei. Die kulturelle und ökonomische Ausschaffungsin- Migrationshintergrund – umso mehr vor der Bereicherung, die mit Zuwanderung ver- itiative» – und einer weiterhin bedenklichen nächsten Volksinitiative zittern? bunden ist, sehen sie nicht. Hier gilt es an- Stimmung im Land, ist der SGB-Aufruf zur Den Secondas und Secondos, die ich kenne, zusetzen. Der SGB-Kongress hat 2014 eine Einbürgerung nachvollziehbar. Als Privatper- traue ich zu, dass sie selbst am besten wissen, Kampagne mit dem Titel «Nur zusammen son würde ich jedem hier aufgewachsenen ob sie den roten Pass anstreben oder nicht. sind wir die Gewerkschaftsbewegung: Nein Menschen raten, den Schritt zu tun. Ja, es Einige haben dies bereits getan, andere tun zur Fremdenfeindlichkeit!» beschlossen. Bis schadet unserem Land, dass Männern und es aus guten Gründen nicht. Viele finden es jetzt steht deren Umsetzung aus. Der gut Frauen, die offensichtlich zu uns gehören, eine Zumutung, einen Einbürgerungsantrag gemeinte Ratschlag «Bürgert euch schnell grundlegende Rechte vorenthalten werden. in einem Land zu stellen, in dem sie zu Hause mal ein» kann eine breit angelegte positive Und auch aus Gründen des Selbstschutzes ist sind. Sie haben sich hier nie fremd gefühlt, Kampagne gegen Fremdenfeindlichkeit und eine Einbürgerung sinnvoll. sprechen den lokalen Dialekt, und nun sollen gegen die Spaltung der Arbeiterschaft nicht Politisch führt eine solche Empfehlung al- womöglich ehemalige Schulgspäänli darüber ersetzen. | Johannes Gruber, VPOD-Fachsekre- lerdings nicht besonders weit. 2012 hat die entscheiden, ob sie dazugehören oder nicht? tär Migration April 2016 5
VPOD | Gleichstellung Lohndiskriminierung nach Geschlecht: Das grosse Warten auf den Bundesrat Niemandes Wille … Die Vernehmlassung zur Revision des Gleichstellungsgesetzes ist zu Ende. Erfreulich viele unterstützen die Stossrichtung des Bundesrats oder wollen, wie der SGB, schärfere Massnahmen. Einige Arbeitgeber leugnen derweil das Problem. | Text: Regula Bühlmann, SGB-Gleichstellungssekretärin (Foto: msheldon83/iStockphoto.com) zu frauentypisch auch eine Absenkung des Lohnes einhergeht. Die Lohnunterschiede zwischen männlich und weiblich dominier- ten Berufen sind im privaten Sektor doppelt so hoch wie im öffentlichen. Murphy und Oesch sehen zu einem guten Teil gesell- schaftliche Normen als Ursache. Arbeit als Frauenhobby? Meist stecken also keine bösen Absich- ten hinter Lohndiskriminierung, sondern schlicht und einfach unterschwellige sexisti- sche Normen, die wir seit der Kindheit ein- geimpft bekommen. Dies gilt wohl auch für Marco Taddei vom Schweizerischen Arbeitge- berverband, der in einem Fernsehinterview (Temps présents, 18. Februar 2016) befand, dass der niedrigere Lohn von Frauen absolut Ja sind wir im Wald hier? Dass Männer in Ordnung sei, wenn sie vom Lohn eines immer noch mehr verdienen als Frauen, liegt auch Ehemanns oder Partners profitieren und so- an unterschwelligen Normen. mit angemessen leben könnten. Frauen sind hobbymässig für einen Zusatzverdienst gut: nicht böse gemeint, aber höchst diskriminie- rend! Genau deshalb müssen wir uns dafür Die Arbeitgeber wehren sich nach wie vor mit kriminierungswillen identifizierbarer Einzel- einsetzen, dass Lohndiskriminierung nicht Händen und Füssen gegen die vorgeschla- personen resultiert». mehr hingenommen wird. Was wir wollen, ist genen Massnahmen für die Lohngleichheit Levy hat Recht. Die Diskussion über Mess- nicht eine kommastellengenaue Bezifferung – auch wenn diese noch so zahm sind. Sie genauigkeit und Diskriminierungswillen ein- von Diskriminierung, sondern öffentliche würden ja alles freiwillig und selber machen. zelner verdeckt, dass Lohndiskriminierung Aufmerksamkeit: Die Wirtschaft und die Un- Sie seien ja keine Sexisten. Und: Lohndiskri- ein gewichtiger Aspekt eines gesellschaft- ternehmen müssen sich mit Geschlechternor- minierung gebe es nicht – alles nur ein Mess- lichen Problems ist. Lohndiskriminierung men auseinandersetzen, müssen reagieren, fehler. geschieht häufig nicht absichtlich, sondern wenn unbewusste Vorurteile zu schmerzhaf- aufgrund gesellschaftlicher Erwartungshal- ten Ungleichheiten an der Oberfläche führen. Eine verengte Sicht tungen, die Frauen und ihrer Arbeit einen Es braucht staatliche Massnahmen, damit sich Ach ja? Richtig ist: Unschärfen gibt es bei al- geringeren Wert zuge- Arbeitgeber Gedanken len statistischen Messungen. Der emeritier- stehen – und zwar unab- Bis der Bundesrat aktiv wird, kön- über ihr Lohngefüge ma- te Lausanner Soziologie-Professor René Le- hängig von der Produkti- nen wir uns auf Betriebsebene für die chen und damit Ungleich- vy kritisierte kürzlich (Kontrapunkt, 4. März vität. So haben Murphy Lohngleichheit einsetzen. Der Moven- gewichte korrigiert und 2016) die Konzentration der öffentlichen und Oesch 2016 in einer do-Kurs «Wirksame Lohnkontrollen – auch sanktioniert werden Aufmerksamkeit auf das dezimalstellenge- im Vereinigten König- jetzt!» am 20. Juni in Bern zeigt, wie es können. Wenn sich die naue Ausmass von Lohndiskriminierung reich, in der Schweiz und geht. Die Teilnehmenden machen sich Arbeitgeber gegen die- als «Sichtverengung». Diese Fokussierung in Deutschland durchge- vertraut mit Instrumenten auf politi- ses Hinschauen wehren, verführe dazu, «Diskriminierung auf ihre führten Untersuchung scher und betrieblicher Ebene. Und sie muss sie der Bundesrat subjektive und individuelle Seite zu reduzie- aufzeigen können, dass lernen Methoden für Lohnkontrollen in die Pflicht nehmen. Er ren – als gäbe es Lohndiskriminierung nur, mit dem Wandel von Be- und Handlungsmöglichkeiten kennen. wird voraussichtlich Ende wenn sie aus einem klar formulierten Dis- rufen von männertypisch www.movendo.ch Jahr darüber entscheiden. 6 April 2016
Altersvorsorge | VPOD Der VPOD-Generalsekretär erklärt die Altersvorsorge – Teil 7: Kapitalbezug oder Rente? Geld oder Leben? Leben! Kapital oder Rente? Diese Frage stellen sich viele, die sich auf ihre Pensionierung vorbereiten. Der Bundesrat beabsichtigt, die Möglichkeiten zum Kapitalbezug einzuschränken. Zu Recht, findet der VPOD. | Text: Stefan Giger, VPOD-Generalsekretär (Foto: olly/fotolia.de) Es hört sich verlockend an: bei der Pensionierung auf einen Schlag sein Alterskapital ausgehändigt bekommen. Oftmals sind das meh- rere Hunderttausend Franken. Ein so prall gefülltes Bankkonto hat man vorher sein Leben lang nicht gehabt. Aber dieses gute Gefühl reicht als Argument für den Kapitalbezug natürlich nicht aus. Aktien – aber welche? Danach kommt nämlich zuerst einmal eine Steuerrechnung. Und die ist umso saftiger, je mehr Kapital ausbezahlt wird. Das zweite Problem ist das grössere: Was mache ich jetzt mit dem vielen Geld? Auf einem gewöhnlichen Bankkonto gibt’s heutzutage kaum noch ei- nen nennenswerten Zins. Zudem: Wie sicher bin ich denn, dass mei- ne Bank nicht pleitegeht – wie seinerzeit beispielsweise die Spar- und Leihkasse Thun? Also Aktien kaufen? Welche denn? Wer sich vor Jahren für vermeintlich todsichere Aktien der nationalen Fluggesell- schaft entschieden hatte («Swissair wird es immer geben»), wurde bitter enttäuscht. Wer Kapital bezieht, kommt in die Rolle des Kapi- talverwalters. Kann ich das wirklich besser als meine Pensionskasse? Selbst wenn es gelingt, das Geld renditeträchtig anzulegen, bleibt Deal or No Deal? Es ist viel besser, bei der Pensionierung die Rente doch die Frage: Was, wenn ich einen Hirnschlag erleide? Wenn ich zu wählen. Dann muss sich die Kasse um alles kümmern, auch wenn wir 100 werden. an Alzheimer erkranke oder einfach ein wenig dement werde? Wenn ich mit 80 Jahren auf einen Enkeltrickbetrüger hereinfalle, weil ich vergessen haben werde, wie viele Enkel ich habe und wie die alle heissen? Selbst wenn ich es schaffe, wie Helmut Schmidt bis ins höchste Alter fit zu bleiben und auch meine Geldgeschäfte weiterhin Deshalb sollen AHV und Pensionskasse jeden Monat eine Rente aus- gut zu betreiben, so bleibt doch eine Unwägbarkeit: Wie lange lebe richten, welche zusammen die bisherige Lebenshaltung decken – so ich denn überhaupt? ist es sinngemäss in der Bundesverfassung festgeschrieben. Daher lautet die Empfehlung: Wähle die Rente, verzichte auf den Kapital- Was, wenn ich sehr alt werde? bezug! Überlass vom Augenblick der Pensionierung an alle Sorgen Teile ich meinen Kapitalverzehr auf 20 Jahre Lebenserwartung auf um Anlage, Verzinsung und Lebenserwartung deiner Pensionskas- und verbrauche jedes Jahr einen Zwanzigstel meines Kapitals? Gut se! Geniesse du dein Leben und widme dich anderen, schöneren und schön, aber wenn ich 20 Jahre später immer noch am Leben Dingen! bin, habe ich ein Problem... Die Erfahrung zeigt: Viele Pensionier- te, die Kapitalbezug wählen, getrauen sich nicht, ihr Alterskapital Sozialpolitische Überlegungen aufzubrauchen. Manche tasten es kaum an, leben praktisch von der Aus Sicht der Pensionskasse ist es natürlich bequemer, wenn die AHV und gönnen sich nichts. Wenn sie dann gestorben sind, stel- Pensionierten das Kapital beziehen. Sie übernehmen damit auch das len die Angehörigen überrascht fest, dass da noch Hunderttausende Anlagerisiko. Manche Kassen ermuntern ihre Versicherten deshalb auf einem Bankkonto liegen. Die Pensionskasse hat es einfacher. Sie sogar zum Kapitalbezug. Wo andere Kassen diesen einschränken, geht von einer durchschnittlichen Lebenserwartung aus: zum Bei- tun sie es nicht aus Eigeninteresse, sondern aus sozialpolitischen spiel 20 Jahre für einen 65-jährigen Mann. Werde ich, wie Helmut Gründen. Es kann nicht Sinn einer Sozialversicherung sein, dass Schmidt, 96 Jahre alt, kommt die Rente trotzdem Monat für Monat die einen übermässig sparen und die anderen ihr Geld in wenigen – sofern ich die Rente statt den Kapitalbezug gewählt habe. Sterbe ich Jahren verjubeln und dann von Ergänzungsleistungen abhängig hingegen kurz nach der Pensionierung, so finanziert das die Renten werden. Aus den gleichen Überlegungen beabsichtigt auch der Bun- der Langlebigen. desrat, die Kapitalbezugsmöglichkeit gesetzlich einzuschränken. In Die Altersvorsorge hat zur Aufgabe, den Pensionierten ein – mindes- Bezug auf das BVG-Minimum soll sie ganz abgeschafft werden. Dies tens in finanzieller Hinsicht – sorgenfreies Leben zu ermöglichen. wäre aus sozialpolitischer und gewerkschaftlicher Sicht richtig. April 2016 7
VPOD | Aus den Regionen und Sektionen Dissonanzen (beim Musikschulgesetz im Zürcher Rathaus). Differenzen (übers Sparen an der ETH). dürfen. Für Schäden aus allfälliger Misswirtschaft soll dann der Staat geradestehen. Dem Personal drohen mit der überflüssigen Übung Unsicherheit und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. | vpod Missklänge im Zürcher Rathaus Über 100 Musiklehrpersonen sangen vor dem Zürcher Rathaus ein Ständchen: «Mir wänd kei Bildigsguetschii haa, mir bruuched jetzt es Gsetz.» Leider ohne Erfolg: Die bürgerliche Kantonsratsmehrheit verweigerte das Eintreten auf die Vorlage. Der Musikschulunterricht bleibt so ohne die dringend nötige gesetzliche Verankerung. Die herbe Dissonanz im Zürcher Kantonsrat kann daher unmöglich der Schlussakkord sein. | slt (Illustration: Wikipedia) Unternehmenssteuer: Schiffbruch in der Waadt ETH kürzt beim Personal – inakzeptabel! Das Referendum des VPOD gegen die Unternehmenssteuerreform Der ETH-Rat, durch die Kürzungen des Bundesrats zum Handeln ge- im Kanton Waadt war ein Misserfolg. Die Zustimmung zur Vorlage zwungen, weiss nichts Gescheiteres, als den Rotstift beim Personal aus dem Haus von SP-Staatsrat Pierre-Yves Maillard betrug 87 Pro- anzusetzen. Er informiert die Sozialpartner ohne Einbezug bereits jetzt zent. Die Folge werden dramatische Steuerausfälle sein: Die Gewinn- über das «Verhandlungsergebnis» der «Lohnrunde»: Die individuelle steuern für alle Unternehmen werden in der Waadt um fast 8 Pro- Lohnsteuerung wird von 1,2 auf 0,6 Prozent gesenkt. Für den VPOD zentpunkte auf 13,8 Prozent gesenkt. Wahrscheinlich kam das Paket ist dieses Vorgehen inakzeptabel: Wenn der Bund weniger Geld zur an der Urne durch, weil es geschickt mit einigem sozialem Schlag- Verfügung stellt, muss die ETH zeigen, dass damit eben auch weniger rahm garniert war. An den voraussichtlich katastrophalen Folgen für geforscht werden kann. | vpod (Foto: Africa Studio/fotolia.de) die Staatskasse ändert das nichts. | slt Paracelsus: Ein Spital am Abgrund Basel-Stadt: Runter mit der Arbeitszeit Der Namensgeber würde sich im Grab umdrehen: Mit dem Paracel- Basel-Stadt schreibt 432,4 Millionen Franken Überschuss. Umso sau- sus-Spital Richterswil geht es bergab. Seit der Übernahme der Aktien- rer stossen die Sparmassnahmen auf, die der Grosse Rat fürs Personal mehrheit durch die kommerzielle NSN Medical wird die Anthroposo- vorsieht: Abbau beim Dienstaltersgeschenk und bei der Prämie für phie, für die das Haus bekannt ist, immer weiter in den Hintergrund die Nichtberufsunfallversicherung. Für den VPOD ist klar: Im Ge- gedrängt. Die neue, auf Chirurgie setzende Strategie ging aber nicht genzug muss jetzt die längst fällige Verkürzung der Arbeitszeit auf auf, die Patientenzahlen sinken. Das hat auch beim Personal Folgen: 40 Stunden kommen. | vpod/slt Letztes Jahr wurden drei Dutzend Angestellte auf die Strasse gestellt; in den Tagen direkt vor Ostern erhielten weitere 11 die Kündigung – mit Baselland: Personal will Kürzung nicht schlucken sofortiger Freistellung. Der VPOD verurteilt die Machenschaften der Die auf 1. Januar – und unter Missachtung der (Änderungs-)Kündi- Direktion. Nachdem sie das Spital mit Fehlentscheiden an den finan- gungsfrist – in Kraft gesetzte Lohnkürzung im Kanton Baselland wird ziellen Abgrund geführt haben, lässt sie jetzt das Personal bluten. | slt vom Personal nicht einfach so geschluckt. Dem Aufruf des VPOD, beim Regierungsrat Beschwerde einzureichen, sind 1400 Personen Bern: Insel mit an Bord gefolgt, darunter viele Lehrpersonen, aber auch Polizei- und Verwal- Für die Berner GAV-Spitäler haben der VPOD und die anderen Ver- tungsangestellte. | slt bände eine Steigerung der Lohnsumme von 0,9 Prozent ausgehan- delt. Seit Anfang Jahr ist zudem der GAV mit der Insel-Gruppe in Zürich: Psychiatrie muss öffentlich bleiben Kraft; auch hier wurde die Schichtzulage angehoben, der Kreis der Als unverantwortliches Abenteuer und einen Angriff auf die Demo- Berechtigten ausgedehnt. Die Lohnsumme steigt sogar um 1 Prozent. kratie sieht der VPOD die Absicht des Zürcher Regierungsrats an, die Belastet waren die Verhandlungen durch einen Entscheid des Bun- Psychiatrische Universitätsklinik (PUK) auszulagern. Nach Vorstellun- desverwaltungsgerichts. Wegen der Senkung der Tarife für ambulante gen der Regierung soll ein Spitalrat über Bauten und hohe Mittel aus Behandlungen entgehen den öffentlichen Spitälern rund 120 Millio- dem Volksvermögen verfügen und nach Belieben Geschäfte machen nen Franken. Die müssen nun kompensiert werden. | vpod 8 April 2016
Geschichte | VPOD Vor 100 Jahren: «2. Zimmerwalder Konferenz» in Kiental im Berner Oberland Zauberberg des Sozialismus Die erste Konferenz hatte 1915 in Zimmerwald, vor den Toren Berns, stattgefunden. Ein halbes Jahr später, Ende April 1916, trafen sich sozialistische Kriegsgegner erneut, diesmal in Kiental im Oberland. Kriegsgetöse übertönte ihren Appell zum Frieden. | Text: Christoph Schlatter (Foto: Vladimir Minkevich/Keystone) Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fiel eine zentrale Säule bemühten, den Fliehkräften entgegenzuwirken, denen die Sozial- der sozialistischen Bewegung: Der internationale Zusammenhalt demokratie seit 1914 ausgesetzt war. Weil sie ein Versuch sind, die wurde in fast allen Arbeiterparteien in fast allen Ländern den natio- Ideale der Arbeiterbewegung zu retten und den entsetzlichen Krieg nalen Interessen geopfert. Überall stimmten die Sozialdemokraten zu beenden, haben die Konferenzen bleibende Bedeutung. Und auch grossmehrheitlich für die jeweiligen Kriegskredite und scheuchten deshalb, weil sich in Kiental einmal mehr die Wege von Lenin und damit ihre Genossen in das grosse Völkermorden, das zu verhindern von Fritz Platten kreuzten. Vielleicht sprachen die beiden ja bereits sie noch kurz zuvor, auf der Basler Friedenskonferenz von 1912, ge- damals im «Bären» über jene Eisenbahnreise, die Platten dann schworen hatten. tatsächlich organisierte und die Lenin 1917 nach Russland zurück- brachte. Der Rest ist bekannt. 6 Franken pro Tag (Vollpension) Der «Bären» in Kiental wird noch heute als Hotel geführt. Im Ge- Es war eine Minderheit der Sozialdemokratie, die sich gegen diesen gensatz zu Zimmerwald, wo das «Lenin-Haus» einer Bushaltestelle chauvinistischen Kurs stemmte. Und es brauchte – unter den Be- geopfert wurde, verbirgt man in Kiental die Geschichte nicht. Das dingungen der Zensur und der eingeschränkten Reisemöglichkeiten Hotel kokettiert sogar ein wenig mit der Tatsache, dass Lenin an- des Kriegs – einige Zeit, bis sie sich über die Grenzen hinweg fan- no 1916 im Gebäude übernachtet hat – und zwar nicht allein und den. Im September 1915 trafen sich vor den Toren Berns zur Zim- auch nicht mit Gattin Krupskaja, sondern mit der Geliebten Inessa merwalder Konferenz (siehe VPOD-Magazin, September 2015, Dossi- Armand. 2016 bietet der «Bären» Jubiläumsveranstaltungen Raum, er) unter anderen Lenin, Trotzki, Angelica Balabanova, der Deutsche welche die rührige Robert-Grimm-Gesellschaft organisiert: einer Ta- Ledebour, der Franzose Merrheim, der Italiener Morgari. Treibende gung («Mut zum Frieden») und der Ausstellung «100 Jahre Kientaler Kraft war indes Robert Grimm, der als Redaktor der Berner Tagwacht Friedenskonferenz: Grimm und Lenin in Kiental», deren Vernissage international gut vernetzt und bekannt war. präzis 100 Jahre nach dem damaligen Tagungsauftakt stattfindet: Nur schon die Tatsache, dass sich Exponenten dieser in blutigen am 24. April 2016. www.robertgrimm.ch Krieg verbissenen Nationen zusammenfanden und miteinander er- örterten, wie Europa aus der Katastrophe herausfinden könne, mach- te Eindruck. Das Zimmerwalder Manifest fand in teilweise legalen, meist aber illegalen Druckschriften in vielen Ländern Verbreitung. Auch der Schweizer SP-Parteitag stellte sich hinter seine Forderun- gen. In einer Folgekonferenz sollten sie bekräftigt und konkretisiert werden: In der Tat fand im April 1916 die «2. Zimmerwalder Kon- ferenz» statt, und zwar in Kiental im Kandertal. Das Hotel «Bären» verrechnete 6 Franken pro Gast und Tag – Vollpension. Die Gruppe um Lenin blieb auch hier in der Minderheit. Sie dräng- te darauf, den nationalen Krieg in einen Bürgerkrieg und in eine sozialistische Revolution zu überführen. Die Mehrheit der Teilneh- menden sah diese Perspektive nicht. Die Forderung zum sofortigen – reparations- und annexionslosen – Abbruch des Kriegs war auch in Kiental der gemeinsame Nenner. Das lässt sich dem Manifest ent- nehmen, aber auch dem Protokoll, das die polyglotte Balabanova und der spätere erste Schweizer SP-Bundesrat, Ernst Nobs, gemeinsam verfassten. Wer hat’s gespalten? Zwar stilisierte Lenin Zimmerwald und Kiental nachträglich zur Wiege seiner bolschewistischen Revolution. In der Sichtweise des Westens sind die Konferenzen Ausgangspunkt der Spaltung der Arbeiterbewegung. Beide Deutungen werden der Tatsache nicht Foto des Kientaler Hotels «Bären» – Ausstellungsobjekt gerecht, dass die 38 «Zimmerwalder» und die 44 «Kientaler» sich im Moskauer Lenin-Museum in den 1970er Jahren. April 2016 9
VPOD | Recht & Unrecht Entlassung eines Busfahrers Die Gewerkschaft SEV meldet den Fall eines Busfahrers, der – fahr- untauglich geworden – nach 9½ Dienstjahren im Alter von 62 Jahren entlassen wurde. Eine ärztliche Untersuchung hatte dem Mann unbe- wusste Atemunterbrüche bescheinigt, was zu Sekundenschlaf führen kann und was für die Teilnahme am Strassenverkehr ein zu hohes Risiko wäre. Das Fahrverbot beantworteten die Verkehrsbetriebe Zü- richsee und Oberland VZO mit der Kündigung, obwohl der Mann als Dienstplaner oder Instruktor durchaus hätte weiterbeschäftigt werden Dürfte nicht ausreichen: Höfliche Bitte. können. Der SEV strebt eine erneute IV-Beurteilung, zumindest aber eine Frühpensionierung an. Der Fall zeige exemplarisch, dass ältere Fahrerinnen und Fahrer, die aus gesundheitlichen Gründen unver- SVP-Sekretäre wurden zwar nur zu bedingten Geldstrafen verurteilt. schuldet fahruntauglich werden, in eine Gesetzeslücke fallen. Der Immerhin aber liess sich das Gericht vom Trick nicht irreführen, der SEV will diese Lücke auch auf nationaler Ebene schliessen. | sev/vpod durch Kleingedrucktes den Bezug auf einen konkreten Fall in Inter- laken herstellte (ein Schweizer war von einem Kosovaren mit dem «Schlitzer-Inserat» gegen Kosovaren rassistisch Messer verletzt worden). Die grosse Schlagzeile, verbunden mit der Das Berner Obergericht ist wie die Vorinstanz zum Schluss gekom- Illustration, liess nur eine Lesart zu: den Bezug der Aussage auf die men, dass ein SVP-Inserat gegen die «Masseneinwanderungsinitiati- gesamte Gruppe. Dass die SVP über «Gesinnungsjustiz» jammert, ve» die Rassismus-Strafnorm verletzt. Die Zeitungsanzeige mit dem war zu erwarten. Dass auch die NZZ das Urteil schilt – und sich also Titel «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» stelle eine pauschale He- für eine Eunuchenjustiz ausspricht, die derartiger Volksverhetzung rabwürdigung einer Bevölkerungsgruppe dar. Die verantwortlichen nichts entgegenzusetzen hat –, ist bedenklich. | slt (Foto: slt) Susi Stühlinger Grosse Fragen Der Frühling ist da, und das Bundesamt für Gesundheit hat gute Auf die Gefahr hin, an einen Neuigkeiten. Frauen, so darf es vermelden, trinken immer weniger Bauarbeiter zu erinnern, ho- Bier. Volle sechs Prozent habe der weibliche Bierkonsum in den letz- le ich eine Bierdose aus dem ten fünf Jahren abgenommen. Ein Grund zur Freude beim Bundes- Kühlschrank und denke über amt für Gesundheit, könnte man meinen, wäre da nicht noch der diese Zeilen und über aller- Umstand, dass der Weinkonsum der entsprechenden Peergroup im hand anderes nach. Zum Bei- gleichen Zeitraum um neun Prozent zugenommen hat. Nun, mögen spiel darüber, was es bedeu- Sie zu Recht sagen, das allein ist jetzt nicht sonderlich interessant. tet, dass das ganze Internet Bemerkenswert hingegen sind die Recherchen, zu denen sich das inklusive Qualitätsmedien morgendliche Qualitätsmedium für Bahnreisende, Online-Kommen- für Bahnreisende etcetera ge- tatoren und Fans von ganzseitigen Inseraten rechtsnationaler Partei- rade inbrünstig «für Belgien» en anlässlich dieser Meldung veranlasst sah. Den Ursachen für die betet, selten aber für Ankara geschilderten Entwicklungen nachgehend, stöberte es eine Fachfrau oder für die Zehntausenden Susi Stühlinger ist Autorin, Schaffhauser auf, die prompt die plausible Erklärung lieferte: «Biertrinken», wird von Verfolgten, die mit dem Kantonsrätin und Jusstudentin. die Fachfrau im Blatt zitiert, «ist einfach nicht so sexy.» Auch die Segen westlicher Demokrati- detaillierten Ausführungen dazu sollen Ihnen an dieser Stelle nicht en an Europas Grenzen einem despotischen Wahnsinnigen ausge- vorenthalten werden. Da steht: «Frauen mit einer Bierflasche oder liefert sind, einem, der nicht zögert, auf seine eigenen Landsleute -dose in der Hand hätten etwas Männliches und erinnerten an Bauar- schiessen zu lassen. Oder darüber, dass gestern ein demokratisch beiter. ‹Bier aus der Dose ist ganz übel.› Aber auch mit dem Schluck gewählter Kantonsrat am Rednerpult wortwörtlich sagte, man be- aus dem Glas machen sie keine bessere Figur. ‹Biergläser sind meist finde sich derzeit «in einem Krieg mit dem Islam» – und dafür grösser und wuchtiger als Wein- oder Proseccogläser und wirken in von seinen Kollegen zustimmendes Nicken erntete. Darüber, was Frauenhänden unelegant.› Besonders unpassend sei es, wenn man es heisst, dass Tatsachen wie diese kaum mehr jemanden zu küm- dabei schön gekleidet sei. Und sie habe schon oft von Männern ge- mern scheinen, schon gar nicht die auflagenstärksten Zeitungen hört, dass sie Frauen und Bier als ‹unpassend› empfänden.» des Landes. Natürlich ist sich das Qualitätsmedium der Genderfrage bewusst, be- Aber man muss das Qualitätsmedium auch verstehen. Die Bericht- müht sich um eine geschlechterneutrale Berichterstattung und zieht erstattung über derartige Fragen ist einfach nicht so sexy. – Dabei auch noch einen männlichen Experten hinzu: «Frauen, die Bier trin- wären Artikel, die vom Klischee abweichen, oft wesentlich interes- ken, sind meist die ‹Cooleren›. Oft sei das, was vom Klischee abwei- santer. Auch wenn sie von einem Teil der Leserschaft vielleicht als che, auch interessanter.» unpassend empfunden würden. 10 April 2016
Dossier: Väter (und andere Care-Worker) | VPOD Interview mit Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm über die Verteilung von Sorgearbeit «Auch Väter leiden unter Unvereinbarkeit» Das VPOD-Magazin hat mit Margrit Stamm zweierlei erörtert: erstens die wichtigsten Erkenntnisse ihrer neuen Studie über Väter (siehe auch Kasten Seite 12). Und zweitens: was das alles für eine Gewerkschaft wie den VPOD bedeuten könnte. | Text: Christoph Schlatter (Foto: Marco Zanoni) VPOD-Magazin: Margrit Stamm, Ihre «Frauen sind an zurückhaltenden Männern Forschung über die «neuen Väter» zeigt und damit an der Persistenz traditioneller eine Kluft zwischen angestrebten und Familienarrangements ebenso beteiligt wie realisierten Vatermodellen. Väter sollen sich ihre Partner», schreiben Sie. Sind also am in der Familie engagieren. Gleichzeitig ist Ende die Frauen auch noch selber schuld, der Druck, Haupternährer zu sein, nicht von wenn es mit der Gleichstellung nicht klappt? ihnen abgefallen. Natürlich nicht. Aber wir sollten den Blick Margrit Stamm: Lassen Sie mich zunächst auch nicht einseitig auf allfällige Defizite der anmerken, dass sich da in den letzten zwei, Männer richten. Das sogenannte Gatekeeping drei Jahrzehnten viel bewegt hat. In unserer ist noch wenig untersucht, spielt aber unse- – punktuellen – Untersuchung ist das weni- rer Erkenntnis zufolge eine wichtige Rolle: ger ersichtlich, aber Längsschnittstudien, et- Frauen definieren zu Hause die Standards – wa aus den USA, zeigen: Väter machen heute wie das Kind zu wickeln ist, wie ihm der Brei viel mehr mit ihren Kindern als noch in den gegeben wird, wie es in den Schlaf gesungen 1970er Jahren. Ich selber hatte in den 1980er wird ... Das gilt auch für Haushalttätigkeiten Jahren Kinder – und auch mein Mann hat (das Bad schlierenfrei putzen!). Es ist nicht so, sich als Vater nicht übermässig profiliert … dass das eine absichtliche Strategie der Frauen Doch trotz dieses Wandels entspricht die Art wäre mit dem Ziel, die Männer auszuschlies- und Weise, wie Vatersein heute gelebt wird, sen. Aber wo Frauen darauf beharren, dass nicht den gesellschaftlichen Idealvorstellun- sie in Erziehungs- und Haushaltfragen kom- gen. Und sie entspricht auch nicht dem, was petenter sind, geraten Männer in den Status Väter sich selber wünschen. Sie möchten eines anleitungsbedürftigen Praktikanten oder gern mehr zu Hause sein, allerdings nicht – bestenfalls – Juniorpartners. Das behagt vie- (auch wenn sie das ungern sagen), um beim len nicht, und sie ziehen sich zurück. Ich gebe eigenen Vorstellungen korrigieren können. Putzen und Waschen und Bügeln zu helfen. zu: Auch ich war so eine Türstehermutter. Ich Auch in meiner eigenen Partnerschaft hatte Sondern um mit den Kindern Zeit zu ver- versuchte um jeden Preis zu verhindern, dass ich Mühe, die männlichen Bemühungen etwa bringen. mein Mann sich an der Waschmaschine zu in den Bereichen Steuern und Versicherungen Und warum tun sie es dann nicht? schaffen macht, weil ich davon ausging, dass oder Autounterhalt als Leistungen zu anerken- Der Hauptgrund ist ein ökonomischer. Wenn er bestimmt ein blaufärbendes 30-Grad-Teil nen. In allen neueren Forschungen – ausser ein Paar Kinder bekommt, werden die Finan- zur 60-Grad-Wäsche gäbe … den radikalfeministischen – werden Beiträge zen noch stärker als vorher ein Thema. An Es geht auch um die Art, wie mit den Kindern zur Aufrecht- und Instandhaltung und zum diesem Punkt wird relevant, dass Frauen kommuniziert und gespielt wird, die ja Management des Familienlebens als Leistung häufig weniger verdienen und häufiger in durchaus geschlechtsspezifisch ist. Väter: eher gewertet. Auch wenn sich der Vater gedanklich Berufen tätig sind, in denen geringere Löhne herausfordernd, Mütter: eher fürsorglich. Man mit den Kindern beschäftigt, über den geeig- bezahlt werden. Die Paare entscheiden sich braucht das nicht zu werten … neten Schultyp nachdenkt oder den passenden naheliegenderweise dafür, dass es die Frau … und es soll auch nicht aus den Vätern eine Sportverein recherchiert, ist das eine Form von ist, die ihr Pensum im grösseren Stil redu- schlechtere B-Version der Mütter gemacht Anteilnahme und gehört mit ins Bild. ziert. Und zwar tun sie das, wie wir herausge- werden. Die schiere Anwesenheit ist noch Ein Wort zu den drei Vatertypen aus Ihrer funden haben, gemeinsam. Es sind nicht ein- kein Qualitätskriterium, auch wenn wir Müt- Studie (siehe Seite 13): Interessanterweise fach die Männer, die darauf beharren, voll im ter des 20. Jahrhunderts häufig daran gemes- hat nicht der «egalitäre und begeisterte» Beruf zu bleiben. Sondern es ist das Paar, das sen und darauf reduziert wurden. Vater das engste, innigste Verhältnis zu im Lichte der gegebenen Situation eine finan- Sie vertreten die Ansicht, dass die väterliche seinem Kind, sondern der «traditionelle und ziell verkraftbare Lösung wählt. Die besteht «Leistung» ohnehin grösser ist, als sie heute ambitionierte». Im Ranking nach Kuschel- sehr häufig im Modell «Vollzeit + Teilzeit». häufig eingeschätzt wird. einheiten liegt dieser Typus ganz vorne. Auch der Wunsch der Mutter, beim Kind zu Ich habe erst durch die Beschäftigung mit Es kann trotz Vollzeitjob mit Überstunden bleiben, spiegelt sich darin. amerikanischen Studien die Schieflage meiner gelingen, in der Familie eine Rolle zu spielen April 2016 11
VPOD | Dossier: Väter (und andere Care-Worker) Gemeinsame Verantwortung ist die Regel Die empirische Studie von Margrit Stamm basiert auf der Befragung von 129 Vätern und 116 Müt- tern von 2006 und 2007 geborenen Kindern. Sie untersucht die direkten und indirekten Betreu- ungs- und Sorgeleistungen der Elternteile und und eine tiefe Beziehung zum Kind aufzu- viel verdienen. Hier deren Einstellung zu Geschlechterrollen. Ge- so viel Gleichstel- bauen. Teilzeitarbeit für beide mag erwünscht ist die Gleichstellung fragt wird auch nach dem Zusammenspiel die- lungsarbeit vor uns sein, aber neben den erwähnten finanziellen noch immer nicht er- ser Elemente, also: Sind Männer mit egalitären liegt, geht es trotzdem Problemen bestehen weitere Hürden: Die reicht, und das rächt Rollenbildern tatsächlich in der Familie stärker nicht an, die Paare Kultur in gewissen Betrieben lässt männliche sich. Zwar werden präsent? Was die Aufteilung von Erwerbs- und einfach sich selbst zu Teilzeitarbeit kaum zu. Oder setzt sie mindes- Mädchen heute dazu Reproduktionsarbeit anbelangt, erreicht das überlassen. Der Staat tens mit dem Verzicht auf jegliche Karriere erzogen, einen guten Vater-Vollzeit-Mutter-Teilzeit-Modell derzeit die hat aus meiner Sicht gleich. Der «egalitäre und begeisterte», also Beruf zu erlernen. grösste Verbreitung; fast 60 Prozent der Paare die Verpf lichtung, quasi modernste Vatertyp ist derjenige, der Aber noch immer haben sich so arrangiert. Bei 13,4 Prozent der Rahmenbedingun- dank Teilzeitjob relativ stark zu Hause prä- geht ihre Sozialisa- Paare arbeiten beide Teilzeit, bei 6,0 Prozent gen zu schaffen, die sent ist, aber gleichzeitig auch hohe Anforde- tion viel weniger als haben beide einen Vollzeitjob. Das traditio- unterschiedliche Ar- rungen an das Kind stellt. Sein Verhältnis zu diejenige der Män- nelle Schema – Mutter ohne Erwerb – war bei rangements möglich diesem ist indes weniger eng. ner darauf aus, wirt- 15,4 Prozent anzutreffen. Unabhängig vom Mo- machen. Der Mut- Vielleicht auch, weil er stärker in die tägliche schaftliche Selbstän- dell (auch bei den 2-mal-Vollzeit-Paaren) ma- terschaftsurlaub, wie Dynamik des Grenzen-Setzens und Grenzen- digkeit anzustreben. chen die Frauen mehr im Haushalt, während die er heute geregelt ist, Durchsetzens einbezogen ist. Und nicht Das gilt schon für Bereiche Entsorgen, Reparieren, Administrieren genügt hinten und hemmungslosem Verwöhnen frönen kann die Berufswahl, männliche Domäne sind. Für die kindbezogenen vorne nicht. Von den wie eine Oma oder ein Sonntagsvater … wo – um es Leistungen überwiegt in fast allen Aufteilungen lächerlichen paar Va- Dass, wer mehr anwesend ist, eben auch mehr etwas plakativ die gemeinsame Verantwortung. Aus den Pa- terschaftstagen wol- an der Vermittlung von Regeln beteiligt ist, ist zu formulieren rametern entsteht mittels Clusteranalyse eine len wir hier gar nicht sicher plausibel. Wir finden bei den engagier- – Frauen nach Väter-Typologie, deren drei Varietäten rechts reden. ten Vätern aber auch Elemente des verbreite- Herzenswunsch, dargestellt sind. | slt Nochmals zur ten Optimierungsstrebens: Mein Kind soll die Männer eher Teilzeitproblematik: allerbeste Schule, die allerbeste Förderung, die mit Blick auf Einkommen, Ansehen oder Auch für den VPOD liegt hier keineswegs allerbesten Chancen überhaupt bekommen … Aufstiegschancen entscheiden. der Schlüssel zum Paradies. Dahinter Der dritte Vatertyp, den wir als den «orientie- Und es setzt sich fort im Beruf selbst. Viele versteckt sich ja auch eine Klassenfrage. Die rungslosen und distanzierten» bezeichnen, Frauen sehen nicht ein, warum sie sich so ab- ursprüngliche gewerkschaftliche Forderung ist ist vielleicht der erstaunlichste. Er ist sehr für rackern sollen. Zu diesem Beissen und Stram- denn auch eine andere: Arbeitszeitreduktion! weibliche Berufstätigkeit und für die Egalität peln sind viele nicht bereit. Diese Luft ertragen Die Existenzsicherung müsste mit einem der Geschlechter, aber seinen Kindern steht er sie nicht. Mit anderen Worten: Das Vereinbar- geringeren Zeitaufwand – 35 Stunden wären merkwürdig fern. Wir denken, dass wir Erklä- keitsproblem kann mit mehr Krippenplätzen ein Ansatz … – möglich sein. rungen auch im Verhalten der Mütter suchen und mehr Teilzeitarbeit allenfalls entschärft, Man versteht mich falsch, wenn man mich sollten: Wenn Frauen das heimische Terrain aber nicht behoben werden. Zweitens ist es als Gegnerin der Teilzeitarbeit darstellen vollkommen besetzt halten, finden Männer wichtig, dass Vereinbarkeit, wie Sie andeuten, wollte. Ich sehe darin nur nicht die Lösung dort keine eigene Rolle – aber eine alternative auch als Männerfrage behandelt wird. Auch aller Probleme. Unter anderem genau aus Rolle ist ebenfalls nicht in Sicht. Männer haben hier ein Problem. Auch Män- diesem Grund: Es ist eine recht elitäre Dis- Lassen Sie uns nun erörtern, was diese ner vermögen nicht das zu realisieren, was kussion, weil sie nur ein kleines Segment Erkenntnisse für die Arbeit der Gewerk- ihnen als gute Balance vorschwebt. sehr gut ausgebildeter und verdienender Leu- schaften bedeuten könnten. Wir haben uns in Was ist überhaupt das Ziel? Ist es die egalitäre te betrifft. Die können sich das leisten, mit den letzten Jahrzehnten auf die Vereinbarkeit Verteilung von Berufs- und Sorgearbeit? Oder ihren Pensen zu jonglieren, für andere, die von Familie und Beruf konzentriert und diese ist es die selbstbestimmte Verteilung? zweimal 4000 Franken verdienen, ist Teilzeit als Frauenthema abgehandelt. Das ist eine sehr gute Frage. Es ist sicher er- gar keine Option. Das ist ja nicht verkehrt. Aber man darf die strebenswert, dass Paare selber beschliessen Sind wir denn mit Frauenquoten auf dem ökonomischen Aspekte nicht ausser Acht können, wie sie sich arrangieren. Unterschied- richtigen Weg? Müssten sie nicht durch lassen. Wenn Kinder kommen, steigen die liche Modelle sollten wertfrei nebeneinander Quoten für Leute mit Betreuungspflichten Kosten. Wenn jetzt, wie gefordert, tatsächlich stehen können. Ohne schiefe Blicke auf die ersetzt werden, unabhängig vom Geschlecht? mehr Männer in Teilzeitjobs gehen und die Mutter, die mal drei Jahre nur für die Kinder da Die Entkoppelung von Quote und Geschlecht Frauen dafür ihre Pensen erhöhen, dann geht ist. Ohne Misstrauen gegenüber Vollzeitfrauen halte ich für richtig. Ich geniesse Anschau- die Rechnung in vielen Familien nicht mehr oder Teilzeitmännern. Aber weil das alles nicht ungsunterricht bei meinen männlichen Mit- auf, weil Mann und Frau eben nicht gleich im luftleeren Raum stattfindet und weil noch arbeitern. Wo ihre Frauen mit Energie die 12 April 2016
Dossier: Väter (und andere Care-Worker) | VPOD Karriere verfolgen, zum Beispiel als Medizi- Vater 1: Traditionell und ambitioniert nerin, sind es die Männer, die sich kümmern, In ihrer Einstellung sind diese Väter die altmodischsten: wenn das Kind krank ist oder zum Zahnarzt Sie finden nicht, dass Familien- und Erwerbsarbeit gleich- muss. Mit dem Effekt, dass ihre wissen- mässig aufgeteilt werden müssen. Es mag erstaunen, dass es schaftliche Arbeit nur langsam vorankommt. diese Väter sind, die – trotz beruflicher Belastung samt Über- Es gibt aber meines Wissens beim National- stunden im Büro – am häufigsten mit ihren Kindern spielen und fonds kein Förderprogramm für Männer mit kuscheln. Sie bringen sich als Väter ein und sind für ihre Kinder Familienpflichten. Wenn unsere Gesellschaft da – was sich nicht ausschliesslich in physischer Anwesenheit sich weiterentwickeln soll, dann müssen wir ausdrückt. Im Vergleich namentlich zu Typ 3 sind diese – meist genau solche Dinge in Betracht ziehen. Aus- beruflich hochqualifizierten – Väter weniger mit dem «Revierver- ser wir wären der Ansicht, dass die Männer halten» von Müttern konfrontiert. nach 10 000 Jahren am Drücker jetzt auch mal ein wenig untendurch sollen. Was mir wenig zukunftsträchtig erscheint … Erschwerend kommt hinzu, dass man heutzutage die Kinder nicht mehr mit 22 hat. Sondern mit Mitte 30 – genau dann, wenn auch die wichtigsten Schritte in der beruflichen Lauf bahn zu tun sind. Wir haben soeben auch eine Studie über die Vater 2: Egalitär und begeistert Potenziale von Neupensionierten abgeschlos- Dieser Vatertyp entspricht am ehesten dem in Illust- sen. Das Ergebnis: Hier liegen viele Talente rierten und TV-Sendungen propagierten «neuen Vater». brach. Viele Rentnerinnen und Rentner wer- Kinderhaben ist für diese Männer eine Freude – und sie den nach ein, zwei Jahren, in denen sie die sind nicht der Meinung, dass die Frauen deswegen ihre Schweiz abgewandert und die Welt bereist ha- Berufstätigkeit reduzieren müssen. Zwar haben sie, wie ben, von Langeweile befallen. Auch wenn sie es die Väter des Typs 1, eine starke emotionale Bindung nicht zugeben. Darüber und über die gleichzei- zum Kind, aber die Anteile von Spiel, Lektüre und Ku- tige Überlastung in der Rushhour des Lebens, scheln sind geringer, jene von (Hausaufgaben-)Kontrolle wo Kinder- und Karrierestress sich kumulie- grösser. Auch die Partnerinnen begrüssen das erziehe- ren, sollten wir nachdenken. Und überlegen, rische Engagement dieser Väter. Es handelt sich meist in welcher Weise die Älteren eingebunden und um etwas ältere Väter mit mittleren Berufsqualifikationen. die Jüngeren entlastet werden können. Sie sehen mich die Stirn runzeln. Aus zwei Gründen: Sind nicht die «jungen Alten» eh schon engagiert? Zigtausend Grosseltern sind in die Betreuung ihrer Enkel fix eingespannt. Mit Entzerrung der Rushhour meine ich Vater 3: Orientierungslos und distanziert auch, dass in der intensiven Phase mehr Obwohl sie zu Geschlechterfragen sehr moderne An- Möglichkeiten geschaffen werden, sich der sichten haben, ist das Engagement dieser Väter für ihre Familie zuzuwenden. Das muss nicht al- Kinder bescheiden. Vatersein empfinden sie kaum als les zwingend über Fremdbetreuung laufen. Bereicherung, und in allen abgefragten Punkten, von Gleichzeitig muss es auch möglich werden, körperlicher und emotionaler Nähe bis zu Spiel und in der Lebensmitte nochmals über die Bü- Hausaufgaben stehen sie ihren Kindern deutlich ferner cher zu gehen, eine berufliche Neuorientie- als die Typen 1 und 2. Sie lehnen zwar die Rolle des Er- rung vorzunehmen, ein ehrenamtliches oder nährers ab, finden aber offensichtlich auch in keine ande- kulturelles Engagement anzupacken … Und re. Das alte Vaterbild scheint verloren, ein neues ist nicht dieses neue Projekt muss nicht zwingend mit an dessen Stelle getreten, vielleicht auch, weil die Partne- Alter 64 oder 65 abrupt zu Ende gehen. rin ihre Domäne verteidigt. Die Väter dieser Gruppe sind Hier liegt der zweite Grund für meine von allen die jüngsten, in Bezug auf die Berufe sind sie Sorgenfalten: Eine Erhöhung des Rentenalters die am weitesten streuende Gruppe. April 2016 13
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