Wasserstoff - Rohstoff der Zukunft?! - VDI/VDE Innovation + ...

Die Seite wird erstellt Gesine Schön
 
WEITER LESEN
Wasserstoff - Rohstoff der Zukunft?! - VDI/VDE Innovation + ...
W o r k i n g P a p e r o f t h e I n s t i t u t e f o r I n n o v a t i o n a n d Te c h n o l o g y | N r. 5 2

Wasserstoff – Rohstoff der Zukunft?!
Eike-Christian Spitzner, Eyk Bösche, Paradiso Coskina,
Sophie Cordeiro, Janine Kleemann
W o r k i n g P a p e r o f t h e I n s t i t u t e f o r I n n o v a t i o n a n d Te c h n o l o g y | N r. 5 2

Eike-Christian Spitzner, Eyk Bösche, Paradiso Coskina, Sophie Cordeiro,
Janine Kleemann
Wasserstoff – Rohstoff der Zukunft?!

Abstract                                                              auf Technologien rund um den sogenannten „grünen“ Wasser-
                                                                      stoff zu setzen. Dieser wird per Elektrolyse erzeugt und es wer-
Welchen Beitrag leistet Wasserstoff zur Energiewende in einer         den dafür ausschließlich erneuerbare Energiequellen genutzt.
energiehungrigen Welt? Je mehr Energie zukünftig aus erneu-           Moderne Elektrolyseverfahren haben sich als ein wichtiger Bau-
erbaren Quellen gewonnen wird, umso besser. Denn mit dem              stein des Erfolges erwiesen.
Green Deal haben sich die Europäische Union und auch die
deutsche Bundesregierung ambitionierte Energie-und Klima-             Die Verkehrswende ist geschafft!
schutzziele gesetzt und streben bis zum Jahr 2050 komplette           Technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung und der
Klimaneutralität an. Die aus Wind, Wärme, Wasser und Son-             Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien
nenlicht in Deutschland gewonnenen Energiemengen können               haben einen erheblichen Teil zu einer Mobilitäts- und Ener-
jedoch den nationalen Energiebedarf gegenwärtig nicht de-             giewende beigetragen. Infolge der Mobilitätswende ist der
cken. Dank der Forschungen in den vergangenen zehn Jahren             Endenergieverbrauch des Verkehrssektors gesunken, ohne die
könnte Wasserstoff als potenziell nachhaltiger Energieträger          Mobilität der Menschen und Warenströme einzuschränken. Das
einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, vor        Verkehrsaufkommen ist gesunken, was nicht zuletzt auch ei-
allem in den Bereichen Verkehr, Industrie und Gebäudeenergie-         ner schlüssigen politischen Rahmensetzung zu verdanken war.
versorgung. Die technologischen Fortschritte sind vielverspre-        Dank neuer technischer Möglichkeiten konnte die Politik den
chend. Ein weiterer Vorteil: Die Infrastruktur zur Etablierung ei-    Verkehrssektor konsequenter regulieren und dabei gleichzeitig
ner Wasserstoffwirtschaft ist bereits in Teilen vorhanden. Zudem      Klimaschutzziele verfolgen. Im Zusammenspiel mit der Energie-
wurden plausible Szenarien für einen gleitenden Übergang zur          wende im Mobilitätssektor konnte der verbleibende Endener-
großflächigen Nutzung der neuen Technologien vorgelegt. Nun           giebedarf des Verkehrs mit klimaneutralen Antriebsenergien
gilt es, die Interessen zu bündeln und europaweit eine effiziente     gedeckt werden. Im Rahmen der Verkehrswende spiegelte sich
Wirtschaftsförderung zu organisieren.                                 der Dreiklang der Energiewende aus höherer Energieeffizienz,
                                                                      direkt genutzten erneuerbaren Energien und der effizienten
                                                                      Nutzung von „grünem“ Strom in den Sektoren Wärme, Ver-
Einleitung                                                            kehr und Industrie entsprechend wider.

Vision 2050: Ein Blick in die Zukunft                                 Elektromobilität ist zur Normalität geworden.
                                                                      Wie laut und umweltbelastend Fahrzeuge mit Verbrennungs-
Klimaneutralität ist erreicht.                                        motor waren, ist fast vergessen. Auf den Fernverkehrsstrecken
Es ist das Jahr 2050. Deutschland und alle anderen EU-Staaten         verkehren Züge im Abstand weniger Minuten und ein nahtloser
sind klimaneutral. Die Dekarbonisierung war ein langer Weg,           Umstieg auf den elektrifizierten Öffentlichen Personennahver-
eine Generationenaufgabe. Einige wenige Fachleute streiten            kehr oder andere Verkehrsmittel ist erfolgt – sowohl in urbanen
sich noch, wann genau dieses Ziel realisiert worden ist. Abgese-      als auch in ländlichen Räumen. Im Individualverkehr und im Be-
hen davon besteht jedoch Konsens über diesen Erfolg. Dreißig          reich leichter Nutzfahrzeuge (LNF) fahren nahezu alle Fahrzeu-
Jahre zuvor, im Jahr 2020, hatte man nach der Covid-19-Pande-         ge elektrisch – die meisten, indem sie direkt aus erneuerbaren
mie die Maßnahmen zum wirtschaftlichen Wiederaufbau strikt            Energiequellen gewonnenen Strom mit Zwischenspeicherung
an ihrer Klimawirkung orientiert. Ein mutiger Schritt. Einer von      (Batterie) oder indirekt in Form von Wasserstoff (Power-to-H2)
vielen. Über die Jahre hat sich gezeigt, dass es richtig war, dabei   oder flüssiger (Power-to-Liquid) sowie gasförmiger (Power-to-
Working           Paper        of    the     Institute          for   Innovation             and     Te c h n o l o g y         3

Gas) Kraftstoffe nutzen. Auch im Straßengüterverkehr hat sich       Lösungen die Produktionsprozesse und Energieverbräuche opti-
viel getan. Im Kurz- und Mittelstreckenverkehr haben sich bat-      mieren. Viele Unternehmen erzeugen ihren Strom direkt selbst,
terieelektrische LKW etabliert, während der Bereich der schwe-      beispielsweise aus Solarkollektoren oder kleinen Windrädern.
ren Nutzfahrzeuge (SNF) mit hoher Fahrleistung (Langstrecke
und Pendelverkehr) von LKW mit Wasserstoff-Brennstoffzellen         Klimaneutral wohnen – wenn smarte Häuser ihre eigene
dominiert wird. In einigen Fällen wird elektrische Energie auch     Energie erzeugen
ohne Zwischenspeicherung (z. B. über Oberleitungen) direkt ge-      In der dekarbonisierten Ära wird die für das Heizen benötigte
nutzt.                                                              Energie fast ausschließlich regenerativ erzeugt. Die modernen
                                                                    Plusenergiehäuser nutzen die Sonnenenergie, um Warmwasser
Mit Strom nach Paris und synthetischen Kraftstoffen nach            in einer Art großen Thermoskanne für den Winter zu speichern.
New York fliegen                                                    Diese saisonalen Wärmespeicher stellen die Wärmeversorgung
Im Bereich der Luftfahrt gab es in den letzten Jahren viele         im Winter sicher und versorgen sogar einen Teil der Gebäude
Fortschritte mit elektrischen Antrieben – kurze Strecken mit        im Altbestand mit. Fast alle Dächer sind nun mit Solarkollekto-
E-Flugzeugen sind die Regel, und selbst Mittelstreckenflüge         ren besetzt. Viele Haushaltsgeräte lassen sich so steuern, dass
erscheinen in absehbarer Zeit technisch realistisch. Auf Mit-       sie die flexiblen Preise des Strommarkts nutzen können.
tel- und Langstrecken sind aber nach wie vor die aus grünem
Wasserstoff hergestellten synthetischen Kraftstoffe die domi-       Leistungsfähige Infrastrukturen und internationale Koope­ra­
nierende Energiequelle. Der Zusammenbruch der Luftfahrt ist         tion – Basis einer modernen Gesellschaft
ausgeblieben – trotz der enormen Umweltauflagen. So wurde           Trotz des massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien ist
z. B. im Jahr 2022 ein gleitender Anstieg der CO2-Bepreisung        Deutschland auch in der dekarbonisierten Ära nicht vollständig
beschlossen. 2030 kostete die Tonne CO2 100 €, danach wurde         energieautark. Das Eurasien durchziehende Netz von Pipelines,
der Preis linear auf bis heute – wir befinden uns noch immer        das in der fossilen Ära für Öl und Gas gebaut und zum Symbol
im Jahr 2050 – 350 € pro Tonne angehoben. Lenkend wirkten           für die Abhängigkeit Europas von anderen Weltregionen wur-
auch das Neuzulassungsverbot von Verbrennungsmotoren für            de, ist über die letzten Jahrzehnte nach und nach auf wasser-
PKW und Busse ab 2030 und der Umstand, dass die Anbieter            stoffbasierte Energieträger umgestellt worden. Es ist heute ein
von Mineralölen verpflichtet wurden, ihren Produkten syntheti-      Energiespeicher mit enormer Kapazität, der eine stabile nach-
sche Kraftstoffe beizumischen.                                      haltige Energieversorgung ermöglicht. Es bildet gemeinsam mit
                                                                    dem leistungsfähigen transnationalen Stromnetz, einer effizi-
Schweröl für die Schifffahrt? Fast kein Thema mehr                  enten und nachhaltigen Verkehrsinfrastruktur sowie flächende-
Weltweit hat der Seeverkehr auch nach 2020 noch deutlich            ckenden Datennetzen die infrastrukturelle Basis der modernen
zugenommen. Über 90 Prozent des Welthandels erfolgen wei-           Gesellschaft.
terhin auf dem Seeweg. Doch die vom globalen Seeverkehr
verursachten CO2-Emmissionen sind aufgrund von Effizienzstei-       Mit zahlreichen arabischen, asiatischen, afrikanischen und mit-
gerungen und neuen Antriebstechnologien ebenfalls zurückge-         telamerikanischen Staaten – darunter auch frühere Öllieferan-
gangen. Schwefelhaltiges Schweröl wurde signifikant ersetzt,        ten – hat Europa seine wirtschaftlichen Beziehungen verstetigt.
beispielsweise durch strombasierte Flüssigkraftstoffe. Aber         Die extrem niedrigen Kosten für die Erzeugung von Wasser-
auch gasförmige Kraftstoffe, die effiziente Verbrennungsmoto-       stoff aus Solarstrom in diesen sonnenlichtreichen Regionen der
ren antreiben, haben einen Großteil dazu beitragen, dass die        Erde, zusammen mit den nach und nach auf den Transport von
Schifffahrt ihre Stickstoffdioxid- und Schwefeloxidemissionen       wasserstoffbasierten Energieträgern umgerüsteten Flotten von
ab 2020 deutlich reduzieren konnte. Daneben haben sich auch         Tankschiffen, haben die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen
neue brennstoffzellenelektrische wie auch batterieelektrische       in die postfossile Ära überführt. Deutschland und Europa haben
Antriebe durchgesetzt.                                              ihre Wasserstoffversorgung durch eine Vielzahl von Lieferanten
                                                                    umfänglich gesichert. Im Gegenzug haben sich neue wirt-
Wasserstoffbasiertes Wirtschaften als industrieller                 schaftliche Perspektiven für die betreffenden Länder aufgetan.
Innovationsmotor
In der Industrie erwies sich der weitgehende Umstieg auf eine
wasserstoffbasierte Wirtschaft als Innovationsmotor. Zunächst
nur unter Druck gestartet, haben die notwendigen Transfor-
mationsprozesse auch der Digitalisierung in der Industrie zum
Durchbruch verholfen. Vom Stahlwerk, welches heute mit Was-
serstoff statt Koks arbeitet, bis zur Polymerchemie, in der Erdöl
durch synthetische Rohstoffe ersetzt wurde, konnten digitale
Working                Paper           of     the       Institute               for        Innovation                 and    Te c h n o l o g y               4

Aktuelle Entwicklungen und Fragestellungen                                               Form als H2 vorliegt. Bisher wird reiner Wasserstoff hauptsäch-
                                                                                         lich für spezifische Anwendungen als Prozessgas eingesetzt
Von der Utopie zur Wirklichkeit                                                          oder gar als Nebenprodukt verbrannt. Die sichere Handhabung
                                                                                         des Gases (insbesondere die Vermeidung von Knallgasexplo-
Welchen Beitrag kann die Wasserstofftechnologie für eine                                 sionen durch eine unkontrollierte Reaktion mit Sauerstoff), ist
klimaneutrale Zukunft tatsächlich leisten?                                               zwar anspruchsvoll, gilt jedoch als technisch gelöst. Moleku-
2050 – dreißig Jahre, nur eine Generation in die Zukunft: Ist das                        larer Wasserstoff ist nahezu unbegrenzt verfügbar, lager- und
bis hierher beschriebene Szenario eine reine Utopie? Was ist                             transportfähig und bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten als
technisch möglich? Wo besteht noch Forschungsbedarf? Und                                 (potenziell) klimaneutrale stationäre und mobile Energiequel-
welchen Beitrag kann die Wasserstofftechnologie für eine kli-                            le. Das sind die wichtigsten Gründe, weshalb dieses chemische
maneutrale Zukunft tatsächlich leisten? Zu diesen Fragestellun-                          Element eine besondere Bedeutung für den Klimaschutz und
gen soll im Folgenden eine Orientierung gegeben werden. Auf                              die Energiewende hat.
Grundlage der bereits heute verfügbaren Technologien werden
absehbare Entwicklungsszenarien zusammentragen und mögli-                                Wie wird Wasserstoff erzeugt?
che Ansätze für das weitere Vorgehen skizziert.                                          Die industrielle Erzeugung von Wasserstoff erfolgt zukünftig
                                                                                         vor allem durch eine Aufspaltung von Wasser in seine Bestand-
Was ist Wasserstoff und was macht ihn heute so bedeutsam?                                teile Wasserstoff und Sauerstoff mit Hilfe elektrischer Energie.
Wasserstoff (chem. H) ist das häufigste und am einfachsten                               Dieser Prozess wird als Elektrolyse bezeichnet. Umfassender
aufgebaute chemische Element im Universum. Auf der Erde                                  Klimaschutz zielt darauf ab, den erforderlichen elektrischen
kommt Wasserstoff fast ausschließlich in gebundener Form als                             Strom aus regenerativer Quellen (vor allem Solarenergie, Wind-
Bestandteil von Wasser und in einer Vielzahl organischer Ver-                            kraft, Gezeitenkräfte, Geothermie) zu erzeugen. Der hierdurch
bindungen vor. Dem gegenüber ist reiner Wasserstoff unter                                gewonnene „grüne“ Wasserstoff kann langfristig gespeichert
irdischen Bedingungen ein farbloses Gas, das in molekularer                              sowie für die CO2-neutrale Versorgung von Anlagen und Fahr-

              Technologie                       Alkalische Elektrolyse                          PEM-Elektrolyse             Hochtemperaturelektrolyse
                                                        (AEL)                                      (PEMEL)                          (HTEL)

    Funktionsschema
                                                         K         A                               K        A                          K         A
    K = Kathode

    A = Anode
                                               H2O                                                                  H2O       H2O

                                                             OH-                                       H+                                  O2-

                                               H2                      1/2O2               H2                     1/2O2       H2                      1/2O2

    Kathodenreaktion                            2H2O + 2e− ➞ H2 + 2OH−                           2H+ + 2e− ➞ H2                H2O + 2e− ➞ H2 + O2-

    Anodenreaktion                            2OH− ➞ 0,5 O2 + H2O + 2e−                   H2O ➞ 2H+ + 0,5 O2 + 2e−                 O2 ➞ 0,5 O2 + 2e−

    Ladungsträger                                       OH−-Ionen                                  H+-Ionen                           O2-Ionene

    Elektrokatalysatoren                        K: Nickel; A: Metalloxide                   K: Platin; A: Iridiumoxid         K: Nickel; A: Metalloxide

    Separator                                       Diaphragma (porös)                             Membran                             Membran

    Elektrolyt                                       wässrig (Lauge)                             fest (Polymer)                      fest (Keramik)

    Betriebstemperatur                                  30…90 °C                                  20…100 °C                          750…900 °C

Abb. 1: Elektrolyse-Technologien (eigene Darstellung nach Röntzsch 2020)1. Die Abbildung zeigt verschiedene Elektrolysewege mit Kenndaten:
Für die Aufspaltung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff wird neben einer Spannungsversorgung ein Separator benötigt, der positive von negativen
Ladungsträgern trennt.

1    Dr. Lars Röntzsch, Fraunhofer IFAM; Dr.-Ing. Matthias Jahn, Fraunhofer IKTS, 2020
Working               Paper          of     the       Institute              for      Innovation              and      Te c h n o l o g y          5

zeugen genutzt werden, die nicht direkt mit Strom bzw. Batterie                     klimaneutral ist, gilt dies für seine Herstellung nicht in jedem
betrieben werden können. Im Gegensatz zu Photovoltaik- und                          Fall. Dementsprechend werden verschiedene „Farben“ des
Windkraftanlagen zur direkten Stromerzeugung entwickelt sich                        Wasserstoffs unterschieden. Sie zeigen einem Ampelsystem
der Markt für die Wasserelektrolyse gerade erst. Insbesonde-                        ähnlich an, wie klimafreundlich der in den jeweiligen Verfahren
re die Entwicklung und Herstellung großvolumiger, effizienter                       erzeugte Wasserstoff eingestuft wird.
Elektrolyseanlagen (sog. Elektrolyseure) stellen einen weltwei-
ten Wachstumsmarkt dar, der für Deutschland und Europa von                          Von „grünem“ Wasserstoff wird gesprochen, wenn seine Her-
industriepolitischer Bedeutung ist.                                                 stellung vollständig unter Nutzung erneuerbarer Energiequellen
                                                                                    erfolgt. Das gelingt beispielsweise, wenn Solarstrom oder Strom
Zur Wasserstoff-Elektrolyse sind grundsätzlich drei Technologi-                     aus Windkraftanlagen bei der Elektrolyse eingesetzt wird. Nur
en marktreif: die alkalische Elektrolyse, die Protonen-Austausch-                   in diesem Fall liegt eine vollständige Klimaneutralität in Produk-
Membran-Elektrolyse (PEM-Elektrolyse, proton exchange mem-                          tion und Nutzung vor, da hier kein CO2 entsteht. „Grünen“
brane) und die Hochtemperaturelektrolyse (SOEC, solid oxide                         Wasserstoff zu erzeugen, ist somit der Kern aller Bestrebungen
electrolysis cell).                                                                 zur Eindämmung des Klimawandels durch den Ersatz fossiler
                                                                                    Brennstoffe.
Bei der alkalischen Elektrolyse (AEL) wird durch Anlegen von
Strom in einer leitfähigen Lösung Wasser in Wasserstoff und                         „Grauer“ Wasserstoff wird dagegen aus fossilen Brennstoffen
Sauerstoff gespalten. Der Prozess ist industriell etabliert, robust                 gewonnen. Beispielsweise kann Erdgas unter Wärmezufuhr in
in der Anwendung und mit geringen Investitionskosten verbun-                        Wasserstoff und CO2 umgewandelt werden. Bei dieser Dampf-
den. Jedoch entsteht Chlorgas als unerwünschtes und umwelt-                         reformierung wird das mit entstehende CO2 anschließend in die
schädliches Reaktionsprodukt.                                                       Atmosphäre abgegeben. Dies verstärkt den globalen Treibhaus-
                                                                                    effekt noch. Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entste-
Bei der PEM-Elektrolyse (PEMEL) werden anstelle der wässrigen                       hen so rund zehn Tonnen CO2. Dieser Prozess ist somit sogar
Lösung leitfähige Polymerfeststoffe verwendet. Diesem Prozess                       klimaschädlich und daher möglichst zu vermeiden2.
werden momentan die größten Chancen bei der Marktdurch-
dringung eingeräumt, da keine umweltschädlichen Reaktions-                          „Blauer“ Wasserstoff wird zwar ebenfalls aus fossilen Brenn-
produkte gebildet werden. Ein effizienter Einsatz ist vor allem                     stoffen gewonnen, jedoch wird das CO2 hier bei der Entste-
in Form von gestapelten PEM-Elektrolysezellen, sogenannten                          hung abgeschieden und gespeichert (z. B. durch „dauerhafte“
PEM-Stacks, zu erwarten. Es bleibt allerdings eine Herausforde-                     Einlagerung in unterirdische Lagerstätten). Diese CCS-Techno-
rung, PEM-Stacks mit hoher Lebensdauer herzustellen.                                logien (carbon capture and storage), einschließlich ihrer Risiken
                                                                                    und Kosten, werden derzeit intensiv diskutiert. Das Verfahren
In ersten industriellen Testanwendungen befindet sich die                           ist zumindest umstritten, da z. B. unklar ist, wie langlebig die
Hochtemperaturelektrolyse. Durch die hohe Reaktionstempera-                         CO2-Speicherung ist. „Blauer“ Wasserstoff kann jedoch für eine
tur von bis zu 900 °C wird ein Teil der zur Elektrolyse erforderli-                 Übergangszeit einen Zwischenschritt hin zu einer klimaneutra-
chen Energie durch Wärme geliefert, so dass sich der Strombe-                       len Wasserstofferzeugung darstellen. Da das bei der Wasser-
darf für die Elektrolyse verringert und ihr Wirkungsgrad erhöht.                    stoffproduktion erzeugte Kohlendioxid kurzfristig nicht in die
Von spezieller Bedeutung ist hier die in letzter Zeit besonders                     Atmosphäre gelangt, ist diese Form der Wasserstoffproduktion
intensiv untersuchte Hochtemperatur-Co-Elektrolyse, bei der                         bilanziell CO2-neutral.
heißer Wasserdampf und CO2 zu Synthesegas, d. h. einer Mi-
schung aus Kohlenmonoxid (CO) und H2, elektrolysiert werden.                        Eine neuere Methode der Wasserstoffgewinnung wird mit der
Das Synthesegas kann anschließend zu synthetischen Kraftstof-                       Farbe „Türkis“ assoziiert: die sogenannte Methanpyrolyse. Da-
fen weiterverarbeitet werden (Fischer-Tropsch-Synthese). Dieses                     bei handelt es sich um die Umwandlung von Methan unter
Verfahren ist speziell an Standorten mit Dampfquellen (z. B. Is-                    hohen Temperaturen und ohne Sauerstoff zu H2 und Kohlen-
land) sehr effizient einsetzbar.                                                    stoff. Zwar basiert die Methanpyrolyse auf fossilen Energieträ-
                                                                                    gern, jedoch bleibt der entstehende Kohlenstoff als Feststoff
Die verschiedenen „Farben“ des Wasserstoffs                                         zurück und erzeugt damit keine Treibhausgase. Der Prozess
Das Ziel einer möglichst vollständigen Klimaneutralität ist es,                     verspricht hohe Wirkungsgrade, erfordert jedoch Temperaturen
dass weder die Herstellung noch der Einsatz künftiger Energie-                      um 1200 °C. Die Technologie befindet sich noch in der Erfor-
quellen klimaschädliche Treibhausgase erzeugen dürfen. Dies                         schungsphase und konnte bisher nur im Labormaßstab erprobt
gilt auch für den Wasserstoff. Während seine Nutzung selbst                         werden. Es scheint hierbei grundsätzlich möglich, Biogas als

2   Quelle: https://www.bmbf.de/de/eine-kleine-wasserstoff-farbenlehre-10879.html
Working               Paper           of     the       Institute               for      Innovation                   and        Te c h n o l o g y                6

Methanquelle zu verwenden und somit bilanziell sogar Kohlen-                         nenenergie via Elektrolyse „grünen“ Wasserstoff zu gewinnen,
stoff aus der Atmosphäre zurückzugewinnen. Die Absorption                            der sich im Gegensatz zu Strom über lange Zeiträume speichern
an sich erfolgt jedoch durch die Pflanzen aus der Luft. Für die                      und über weite Strecken transportieren lässt. Hier fungiert das
CO2-Rückgewinnung aus der Atmosphäre stellt das Pflanzen                             vorhandene Gasnetz neben seiner Transportfunktion auch als
neuer Bäume wohl die effizientere Alternative zum Anbau von                          riesiger Speicher, der die Stromnetze entlasten und somit stabi-
Pflanzen, die in Biogasanlagen verwertet werden, dar3.                               lisieren kann. Technisch erscheint es möglich, in wenigen Jahren
                                                                                     die Hälfte der deutschen Haushalte mit grünem Gas zu versor-
Wie wird Wasserstoff transportiert und gespeichert?                                  gen – allein mit der heutigen Infrastruktur der Gasnetze. Dort
Wasserstoff zu transportieren und zu speichern ist technisch an-                     kann der aus erneuerbaren Energien erzeugte Wasserstoff z. B.
spruchsvoll. Im gasförmigen Zustand lässt er sich grundsätzlich                      in Brennstoffzellen-Heimsystemen zum klimaneutralen Heizen
über das in Europa verbreitete Gasnetz transportieren. Aller-                        oder zur Eigenstromversorgung eingesetzt werden.4
dings ist eine mögliche Umwidmung von (Teil-)Netzen abhängig
vom Material der Rohre, da Wasserstoff zu Versprödung und                            Anzunehmen ist auch, dass infolge der Speicherfähigkeit des
Korrosion führen kann. Alternativ zur Komplettumstellung auf                         Wasserstoffs der weitere Ausbau des Stromnetzes reduziert
Wasserstoff ist es technisch möglich, den Anteil von Wasserstoff                     werden kann. Der Grund: Die oft fluktuierende Stromerzeu-
im Gasnetz auf zunächst 10 oder 20 Prozent zu erhöhen. Damit                         gung durch erneuerbare Energien kann durch eine der Strom-
würde eine schnelle CO2-Minderung für alle Erdgasnutzer er-                          erzeugung variabel anpassbare Leistung der Elektrolyseure
zielt. Jedoch sind einige Nutzer, insbesondere Erdgasfahrzeuge,                      ausgeglichen werden. Dies wird den weiteren Ausbau erneu-
bisher auf einen hohen Reinheitsgrad des Erdgases angewie-                           erbarer Energien beschleunigen. Ergänzend ist zu erwähnen,
sen. In kleineren Mengen wird Wasserstoff auch in Druckbehäl-                        dass zum Ausgleich der fluktuierenden Stromerzeugung neben
tern per LKW transportiert. Bisher weniger bedeutend sind der                        dem Wasserstoff auch eine Vielzahl von anderen steuerbaren
Transport in Form von tiefkaltem Flüssigwasserstoff und über                         Energiewandlern zur Verfügung stehen, die teilweise sogar
flüssige organische Wasserstoffträger (LOHC, liquid organic hy-                      effizienter sind (z. B. Power-to-Heat-Anwendungen, die elektri-
drogen carriers). Jedoch stellen Seeschiffe eine wichtige Opti-                      schen Strom in Wärme umwandeln). Es erscheint sinnvoll, wei-
on für den interkontinentalen Transport von Flüssigwasserstoff                       tere Möglichkeiten zu schaffen, damit derartige Energiewand-
dar. Seeschiffe können leichter (als bspw. LKW) das für LOHC                         ler flexibel eingesetzt werden können – auch im Privathaushalt.
notwendige zusätzliche Gewicht des ölbasierten Trägermedium                          Wasserstoff kann hierfür ein Baustein sein.
mitführen, an das Wasserstoff in diesem Fall gebunden ist.
                                                                                     Zur schrittweisen Dekarbonisierung, insbesondere der ver-
Neben saisonalen Wärmespeichern auf Wasserbasis, die beson-                          brauchsintensivsten Sektoren Verkehr und Industrie5, ist Was-
ders für Heizzwecke an Bedeutung gewinnen werden, bietet                             serstoff von zentraler Bedeutung für diejenigen Anwendungen,
die Speicherung von Wasserstoff die beste Möglichkeit, Energie                       die nicht oder nur unter hohem Aufwand elektrisch zu betrei-
aus erneuerbaren Quellen längerfristig verfügbar zu machen,                          ben sind. Typische Beispiele hierfür sind die metallverarbeitende
um damit z. B. dunkle und windarme Winter zu überbrücken.                            Industrie, die chemische Industrie und der Schwerlastverkehr. In
Neben dem Gasnetz werden hierfür aktuell Kavernenspeicher                            der Industrie wird hierfür eine vielfache Umstellung thermischer
in ehemaligen Salzlagerstätten erprobt, z. B. im sachsen-anhal-                      und chemischer Prozesse auf Wasserstoff erforderlich werden.
tinischen Bad Lauchstädt.                                                            Hierbei ist durchaus mit wirtschaftlichen Anpassungsschwierig-
                                                                                     keiten zu rechnen, solange globale Wettbewerber die Umstel-
Insgesamt ist Wasserstoff als Energieträger nicht nur sehr varia-                    lung auf die Wasserstoffwirtschaft erst zeitversetzt vollziehen.
bel einsetzbar. Er ist trotz der Herausforderungen, die Transport                    Im besonderen öffentlichen Fokus steht die Rolle von Wasser-
und Speicherung mit sich bringen, den bisherigen fossilen Ener-                      stoff im Verkehrssektor. Ähnlich wie im Gebäudesektor wird
gieträgern zumindest ebenbürtig.                                                     hier aus Effizienzgründen Strom vielfach direkt ohne Zwischen-
                                                                                     speicherung genutzt werden. Beispielhaft sind der Transport
Die Bedeutung von Wasserstoff für die Energiewende                                   auf der Schiene sowie der Einsatz von Strom-Oberleitungen6
Wasserstoff bietet eine Chance, die derzeit getrennten Sekto-                        für schwere Nutzfahrzeuge zu nennen. Für den PKW-Verkehr
ren Strom, Wärme und Mobilität zu verbinden (Sektorenkopp-                           und leichte Nutzfahrzeuge wird es wasserstoffbasierte Brenn-
lung). Durch Power-to-Gas ist es möglich, aus Wind- und Son-                         stoffzellenantriebe dort geben, wo lange Laufleistungen erfor-

3   Quelle: https://www.fona.de/de/massnahmen/foerdermassnahmen/wasserstoff-aus-methanpyrolyse.php
4   Quelle: https://www.dvgw.de/themen/energiewende/wasserstoff-und-energiewende/
5   AGEB e.V., 2020: Aktuelle Daten zu Primärenergieverbrauch, Energieflussbilder, Bilanzen 1990–2018. Online verfügbar unter https://ag-energiebilanzen.de, zuletzt
    geprüft am 18.06.2020
6   https://www.erneuerbar-mobil.de/projekte/straton
Working                                  Paper         of   the     Institute              for     Innovation             and      Te c h n o l o g y               7

                                       Power Grid                          District Heating Grid                                  Gas Grid
                                                                                                                                  – Heat
                                                                                                                                  – Transport
                                                                                                                                  – Power

                           Wind
                                                                                          CCGT
                           Solar
                                                                                           CHP
                            etc.
                                                        H2 – Fuel                                                                                  Gas –
                                                                                            H2 – Admixture                                        Storage

                                                            Hydrogen (H2)
                                                            H2   2H2 + O2                             Methanisation (CH4)

                             CO2                                                                  CO2 + 4H2         CH4 + 2H2O
                         Industry                       Carbon Dioxide (CO2)
                         Biomass
                         Atmosphere

Abb.2: „Power-to-gas-Konzept“ (eigene Darstellung nach Bösche et al. 20127. Das Prinzip „Power-to-Gas“ zeigt die Kopplung der Sektoren auf. CCGT
steht für Closed-circle gas turbine und CHP für Combined heat and power. Die Erzeugung von CH4 bzw. synthetischem Erdgas (SNG: Synthetic Natural Gas)
erfolgt durch die katalytische Reaktion von H2 mit einer Kohlenstoffquelle wie CO oder CO2.

                                                                                                 derlich sind oder Flotten eine geringe Standzeit haben. Im Gü-
                         400                                                                     terstraßenfernverkehr, in der Seeschifffahrt und im Flugverkehr
                                                                                                 werden zunächst synthetische flüssige Kohlenwasserstoffe zum
                         350
                                                                                                 Einsatz kommen. Gleichwohl werden derzeit weltweit große
                         300                                                                     Anstrengungen unternommen, insbesondere den Schwerlast-
                                                                                                 und Fernverkehr aber auch den Luft- und Seeverkehr unter
    Brennstoff (Twh/a)

                         250                                                                     Nutzung von innovativen und sicheren Wasserstoffverbren-
                         200                                                                     nungsmotoren und/oder Brennstoffzellen zu ermöglichen. In
                                                                                                 der Entwicklung und Bereitstellung derartiger Antriebssysteme
                         150                                                                     ist, bei geeigneten regulatorischen Rahmenbedingungen, ein
                                                                                                 mittel- und längerfristig hochinteressanter Wirtschaftssektor im
                         100
                                                                                                 Entstehen begriffen.78
                          50
                                                                                                 Voraussetzung für die Nachhaltigkeit aller genannten Techno-
                            0
                                                                                                 logien ist die treibhausgasneutrale Erzeugung des Wasserstoffs.
                                         Verkehr             Chemische Industrie                 Beim aktuellen, stark ansteigenden Anteil erneuerbarer Energi-
                                                                                                 en an der Stromerzeugung von rund 40 Prozent (Stand: 2019)
                          Seeverkehr          Schiene               nicht energetischer          ist dies derzeit noch nicht gegeben9. Dementsprechend ist es
                                                                    Verbrauch
                          Flugverkehr         Straße                                             daher notwendig, die erneuerbaren Energien vor Ort weiter
                          Binnenschiff        GHD-Kraftstoffverbrauch
                                                                                                 massiv auszubauen. Trotz der hohen und weiterhin stark stei-
                                              (Bauwirtschaft)                                    genden Anteile erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung
                                                                                                 ist die Versorgungssicherheit im Stromnetz weiterhin sehr hoch,
Abb. 3: Deutscher Brennstoffbedarf (eigene Darstellung nach Pfennig                              sodass der Ausbau der erneuerbaren Energien im Einklang mit
et. al 20178)

7          E. Boesche, A. Nicolaas Ponder and H. Thomas: Power-to-Gas: The Legal Framework for a Long-Term Energy Storage technology in Germany. Renewable Energy
           Law and Policy Review 3/2012: pp. 159–172
8          Quelle: „MITTEL- UND LANGFRISTIGE POTENZIALE VON PTL- UND H2-IMPORTEN AUS INTERNATIONALEN EE-VORZUGSREGIONEN“; Teilbericht, Maximilian
           Pfennig, Norman Gerhardt, Dr. Carsten Pape, Diana Böttger, Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (Fraunhofer IWES), 2017
9          Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Stromerzeugung
Working              Paper          of    the       Institute             for      Innovation                 and       Te c h n o l o g y              8

Abb. 4: Effizienzvergleich am Beispiel von PKW-Antrieben
(Quelle: Transport & Environment, transportenvironment.org, WTT [LBST, IEA, Worldbank], TIW [IEA, DOE, transport & environment calculations]). Effizienz
ist eines der wichtigsten Gebote der Energiewende. Die Effizienzgrade verschiedener Antriebssysteme unterscheiden sich je nach Technologie und Energie-
träger deutlich. Der batterieelektrische Antrieb ist für PKW besonders vorteilhaft. Gleichwohl sind alle Optionen für das Gesamtbild relevant. Brennstoff­
zellenantriebe sind z. B. im Schwerlast- und Schiffsverkehr bzw. synthetische Flüssigkraftstoffe im Luftverkehr vorrangige Dekarbonisierungsoptionen.

dem Netzausbau und der Energiespeicherung unter Zuhilfenah-                     Eine kostengünstige Herstellung von Wasserstoff ist besonders
me von Wasserstoff (z. B. Power-to-H2, Power-to-Gas, Power-                     in sonnenreichen (Solarenergie) und/oder geringbesiedelten
to-Liquid) fortgeführt werden kann.                                             (Wind onshore) Weltgegenden sowie in flachen Küstenge-
                                                                                wässern (Wind offshore) und Gegenden mit ausgeprägten
Aller Voraussicht nach wird Deutschland auf absehbare Zeit ei-                  geothermalen Quellen möglich11. Aktuell werden 13,4 Exa-
nen Teil der mit erneuerbarer Energie hergestellten Energieträ-                 joule (13,4 ×1018 J), d. h. mehr als zwei Drittel des deutschen
ger, Wasserstoff eingeschlossen, importieren müssen. So wird                    Energieaufkommens importiert12]. Für den künftigen Import
beispielsweise in der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) der                 von Wasserstoff werden jedoch, in höherem Maße als bisher,
Bundesregierung davon ausgegangen, dass lediglich ein kleiner                   auch die Länder Südeuropas sowie die Nord- und Ostsee-An-
Teil des in Deutschland benötigten Wasserstoffs auch im Land                    rainerstaaten in Frage kommen. Darüber hinaus ergeben sich
hergestellt werden kann10.                                                      Möglichkeiten für dauerhafte Energiewirtschaftsbeziehungen
                                                                                zu den jetzigen Öllieferanten, äquatornahen Ländern Asi-
                                                                                ens, Afrikas und Mittelamerikas. Insgesamt können somit die

10 Quelle: https://www.bmbf.de/files/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf
11 https://www.erneuerbar-mobil.de/projekte/klimawirksamkeit-elektromobilitaet
12 Quelle: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Energiedaten/energiedaten-gesamt-pdf-grafiken.pdf?__blob=publicationFile&v=34
Working              Paper          of     the      Institute              for      Innovation                 and       Te c h n o l o g y              9

Energieimporte längerfristig auf eine erheblich breitere Basis                  Mit einer europäischen Roadmap Wettbewerbsvorteile weiter
gestellt werden als heutzutage, sodass sich die Abhängigkeit                    ausbauen
von einzelnen Regionen verringert. Diese Energieimporte in die                  Um auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Bereich
EU können für einige Länder verbesserte Möglichkeiten für ihre                  der Wasserstofftechnologien auf dem internationalen Markt
wirtschaftliche Entwicklung bedeuten. Innenpolitische Proble-                   gewährleisten zu können, müssen bereits bestehende Wettbe-
me, soziale Spannungen oder Demokratiedefizite werden sie                       werbsvorteile durch vorhandene Anlagen aus Forschungs- und
jedoch genauso wenig lösen wie der derzeitige Import von Öl                     Entwicklungsprojekten in Deutschland durch europäische Ko-
und Erdgas.                                                                     operationen weiter ausgebaut werden, denn die Hebelwirkung
                                                                                von einzelnen Unternehmen oder nationalen Märkten ist zu
                                                                                gering, um im globalen Vergleich effizient zu sein. Ziel sollte
Handlungsbedarfe                                                                es sein, eine europäische Wasserstoffwirtschaft mit einer ge-
                                                                                meinsamen Roadmap aufzubauen. Der gemeinsam vereinbarte
Das Paper des Strategic Forum: Warum Wasser­stoff­tech­no­                      Fahrplan muss Kompatibilitäten und Wechselwirkungen zwi-
logie-Ausbau eine EU-Aufgabe ist                                                schen Regionen und Interessengruppen berücksichtigen. Ein
Die europäische Industrielandschaft muss sich zunehmend an                      tragfähiger globaler Markt für nachhaltige synthetische Brenn-,
neue Herausforderungen, bedingt durch Klima-, Umwelt- und                       Kraft- und Grundstoffe aus Ökostrom bedarf der Einbindung
gesellschaftlichen Veränderungen, anpassen. Um sie dabei zu                     aller relevanten Akteure national und weltweit in einen Dialog.
unterstützen, haben sich die Europäische Union und auch die                     Es gilt, die Chancen der Technologie zu nutzen und die Um-
deutsche Bundesregierung ambitionierte Energie-und Klima-                       weltauswirkungen so gering wie möglich zu halten. Dies wurde
schutzziele bis 2030 bzw. bis hin zur kompletten Klimaneut-                     auch im Bericht der Expertengruppe „Strategic Forums for Im-
ralität im Jahr 2050 gesetzt. In diesem Zusammenhang setzt                      portant Projects of Common European Interest“ erklärt14.
die Bundesregierung auf „grünen“ Wasserstoff, denn dieser
wird auch in der Nationalen Wasserstoffstrategie als zentraler                  Investitionen gemeinsam schultern – in Europa für Europa
Bestandteil der Dekarbonisierung und Treibhausgasneutralität                    Die europäische Wasserstoffversorgungskette befindet sich
Deutschlands gesehen. Damit die dort formulierten Ziele er-                     noch in der Entwicklung. Sie ist fragmentiert und besteht
reicht werden können und Wasserstoff als neuer Energieträger                    hauptsächlich aus relativ kleinen Organisationen. Was die Tech-
vollständig etabliert werden kann, sind erhebliche Investitio-                  nologien anbelangt, so sind europäische und deutsche Unter-
nen in die nationale bzw. europäische Wasserstoffproduktion                     nehmen und Forschungsorganisationen heute jedoch bei vielen
und -nutzung erforderlich. Neben der Energieversorgung mit-                     der für Brennstoffzellen- und Wasserstoffversorgungsketten
tels Strom werden nachhaltige synthetische Brenn-, Kraft- und                   erforderlichen Technologien weltweit führend. Siemens ist auf
Grundstoffe aus Ökostrom (Power-to-X) überall dort benötigt,                    dem Gebiet der PEM-Elektrolyse eine feste Größe und die sun-
wo keine vollständige Elektrifizierung stattfinden kann, z. B. in               fire GmbH aus Dresden weltweit Vorreiter bei der SOFC-Tech-
der Luft- und Schifffahrt oder in der Chemie- und Stahlindus-                   nologie. Europäische Champions auf dem Elektrolysemarkt sind
trie.                                                                           McPhy aus Frankreich und NEL aus Norwegen.

Für tatsächlich nachhaltige Energieträger ist es entscheidend,                  Um einen gemeinsamen Wasserstofffahrplan umzusetzen, die
dass als Ausgangsprodukt zunächst „grüner“ Wasserstoff aus                      damit verbundene Skalierung der vorgestellten Technologien
Wind- und Sonnenenergie hergestellt wird. Die Bundesregie-                      zu erreichen sowie den Wissensvorsprung zu erhalten, sind
rung sieht bis 2030 eine Produktion von grünem Wasserstoff                      Investitionen sowohl in Industrie als auch in FuE notwendig.
von bis zu 14 TWh und einer benötigten erneuerbaren Strom-                      Mit diesen Maßnahmen lassen sich neue Anwendungsfelder
menge von bis zu 20 TWh13. Auch für die Kooperationen mit                       von Wasserstoff erschließen. Die Startinvestitionen werden be-
Staaten, aus denen wir grünen Wasserstoff importieren kön-                      trächtlich sein und die Amortisationsdauer lang, verbunden mit
nen, sind Investitionen für den Aufbau von Produktionskapazi-                   einem hohen technischen, finanziellen und politischen Risiko.
täten und Lieferketten notwendig.                                               Daher wird eine öffentliche Unterstützung notwendig sein, um
                                                                                diese Finanzierungslücken für große Innovationsprojekte zu
                                                                                schließen und die Wasserstoffwirtschaft dabei zu unterstützen,
                                                                                stabile Versorgungsketten aufbauen zu können.

13 Die Nationale Wasserstoffstrategie, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Juni 2020
14 Diese Expertengruppe wurde durch Beschluss der Europäischen Kommission am 30.01.2018 eingesetzt, um eine gemeinsame Vision der Europäischen Union zu
   den wichtigsten Wertschöpfungsketten für Europa zu entwickeln und Vereinbarungen zur Förderung neuer gemeinsamer Investitionen in diesen Wertschöpfungs-
   ketten zu erleichtern. Das Strategieforum besteht aus 44 Mitgliedern, die die Mitgliedstaaten, die Industrie und die Forschungsgemeinschaft vertreten.
Working           Paper       of    the     Institute          for   Innovation              and      Te c h n o l o g y          10

Die Bundesregierung hat bereits erhebliche Fördermittel bereit-    Szenario möglich? Ja, das ist es. Die meisten wissenschaftlich-
gestellt und wird dies auch in den kommenden Jahren fortset-       technischen Herausforderungen sind grundlegend gelöst; die
zen, z. B. im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms           notwendigen Technologien, wie oben beschrieben, sind in der
Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) oder den        Regel im Demonstrationsmaßstab vorhanden.
„Reallaboren der Energiewende“. Diese Programme sollen den
Technologie- und Innovationstransfer von der Forschung in die      Welche Herausforderungen gilt es nun zu betrachten? Eine
Anwendung auch bei Wasserstoff beschleunigen. Weitere 300          grundlegende Aufgabe hinsichtlich der Etablierung einer Was-
Millionen sollen in den nächsten Jahren im Rahmen der Natio-       serstoffwirtschaft, wie auch bei der Energiewende insgesamt,
nalen Wasserstoffstrategie (NWS) folgen.                           besteht darin, nicht nur neue technische Lösungen zu finden,
                                                                   sondern auch den Prozess der Lösungsfindung anders als bis-
Europäische Förderinstrumente für europäische Vorhaben von         lang zu gestalten. Viele der Fragen, die typischerweise an neue
besonderem Interesse                                               Technologien gestellt werden, sind unter derart radikal verän-
Neben der NWS ist ein „Important Project of Common Euro-           derten Rahmenbedingungen vielleicht nicht mehr zielführend.
pean Interest“, kurz IPCEI, ein besonderes beihilferechtliches     Die Beantwortung der bislang gestellten Fragen wirft oftmals
Instrument, das genutzt werden kann, um die Wettbewerbsfä-         weitere, nicht eindeutig zu lösende Fragestellungen auf und
higkeit strategischer Wertschöpfungsketten zu stärken, wenn        bringen den Diskurs nicht voran. Ein dekarbonisierter Energie-
es um neue Technologien geht. Grundsätzlich dürfen EU-Staa-        sektor ist ein weitaus komplizierteres und stärker vernetztes
ten Innovationen außerhalb von Regionalfördergebieten nur          System als es der Energiesektor des letzten Jahrhunderts war.
durch Forschungs- und Entwicklungsprojekte fördern. Gibt es        Eine typische Frage im bisherigen Weltbild würde nun lauten:
aber ein übergeordnetes europäisches Interesse und sind die zu     Ist die Wasserstofftechnologie die Lösung für die Energiewen-
tätigenden Investitionen nicht von den Partnern allein zu stem-    de? Eine weitere Frage wäre: Ist Wasserstoff für eine spezielle
men, können solche Vorhaben als IPCEI von mehreren EU-Mit-         Anwendung die Lösung?
gliedstaaten gemeinsam bis zur ersten gewerblichen Nutzung
(first industrial deployment) gefördert werden.                    Neue Herausforderungen erfordern eine neue Heran­ge­hens­
                                                                   weise. Welcher Bus soll angeschafft werden?
Das IPCEI-Instrument kann als Finanzierungsinstrument für Um-      In der Vergangenheit waren das zielführende Fragen. Es gab in
welt-, Verkehrs- und Energieprojekte von strategischer europäi-    der Regel für bestimmte Anwendungen genau eine technische
scher Bedeutung eingesetzt werden. Öffentliche Unterstützung       Lösung. Fahrzeuge fahren mit Verbrennungsmotoren, Stahl
kann nicht nur notwendig sein, um Marktversagen zu überwin-        stellt man aus Erz und Koks her usw. – ein hocheffizienter An-
den, sondern auch, um deutlich höhere Beträge an privaten In-      satz, bei dem man Fortschritt über genau die Fragestellung „Ist
vestitionen freizusetzen oder zu mobilisieren. Dennoch können      die neue (eine) Lösung besser als die (eine) bislang etablierte Lö-
alternative oder ergänzende Finanzierungen, die keine staatli-     sung“ verifizieren konnte. Sicher ist auch dieses Bild stark ver-
chen Beihilfen darstellen, z. B. von der Europäischen Investiti-   einfacht dargestellt. Eine dekarbonisierte Energiewirtschaft und
onsbank (einschließlich des Europäischen Fonds für strategische    eine dekarbonisierte Wirtschaft insgesamt werden jedoch durch
Investitionen) oder von zentral verwalteten EU-Programmen          die erheblich stärkere Vernetzung der Akteure und Energieträ-
(z. B. Horizon Europe, Digital Europe Programme, Connecting        ger viel häufiger den Fall hervorbringen, dass die Koexistenz
Europe Facility, LIFE etc.) zur Verfügung gestellt werden.         verschiedener Lösungen für ein und dieselbe Anwendung das
                                                                   Optimum für das Gesamtsystem darstellt. Dies wird am Beispiel
Nur durch die staatliche Unterstützung von Forschungs- und         des Busbetriebs einer Stadt deutlich. Dass für einen CO2-neu-
Wirtschaftslandschaft haben Deutschland und Europa eine re-        tralen Busverkehr elektrische Busse eingesetzt werden sollen,
ale Chance mit Hilfe des „grünen“ Wasserstoffs die Vision der      gilt als gesetzt. Batterieelektrische Busse sind auf dem Markt
Klimaneutralität im Jahr 2050 Realität werden zu lassen.           und etablieren sich zunehmend. Auch Brennstoffzellenbusse
                                                                   sind in der Erprobung. Nun stellt sich klassischerweise die Frage
                                                                   nach der besseren Lösung. Ist der wasserstoffbetriebene Bus
Fazit und Ausblick                                                 effizienter als der batterieelektrische Bus? Technische Antwort:
                                                                   Nein. Klassische Schlussfolgerung: Der batterieelektrische Bus
Zu Beginn dieses Artikels wurde die Vision einer Welt im Jahr      ist die Lösung für das Problem der zu treffenden Busauswahl.
2050 skizziert – ein 2050, in dem die Dekarbonisierung Eu-
ropas erfolgreich war und die Wasserstofftechnologie einen         In der dekarbonisierten Welt werden sich jedoch absehbar bei-
entscheidenden Beitrag zu diesem Erfolg beigetragen hat.           de Varianten durchsetzen müssen. Denn ob der Betrieb eines
Zum Ende des Artikels soll nun diese Herausforderung aus der       Busses für den Verkehrsbetrieb mit Batterie oder Brennstoffzelle
Perspektive des Jahres 2020 betrachtet werden. Ist ein solches     die beste Lösung ist, hängt nicht nur vom Wirkungsgrad ab.
Working              Paper         of     the      Institute             for      Innovation                 and       Te c h n o l o g y    11

Faktoren wie die Größe der betreffenden Stadt und die damit                    wirksame Anwendung. Wasserstoff taucht im Gesamtsystem in
verbundenen Streckenlängen im täglichen Fahrbetrieb sind                       verschiedensten Formen, an verschiedensten Stellen in verschie-
ebenfalls zu berücksichtigen. Betreibt der Verkehrsbetrieb auch                densten Rollen auf – oft ohne dass er als Wasserstoff erkenn-
Straßenbahnen? Gibt es einen kommunalen Energieerzeuger?                       bar ist. Teils gibt es die Rollen, die die Wasserstofftechnologien
Welche Art Energie gewinnt dieser und auf welche Weise? Wie                    einnehmen, bisher gar nicht. Ein Gasnetz als Energiespeicher?
ist die Stadt an ein überregionales Gas- und Stromnetz ange-                   Wasserstoff als Brücke von überschüssiger elektrischer Energie
bunden? Gibt es in der Region häufig Überschüsse an bestimm-                   zu Rohstoffen für die Industrie? Spannende Möglichkeiten,
ten erneuerbaren Energien? Diese ebenfalls relevanten Frage-                   die aber weder in der bestehenden Regulierung noch in den
stellungen verdeutlichen, dass bei der Suche nach Lösungen                     etablierten Geschäftsmodellen eine Rolle spielen. Auch die Tat-
viel mehr ein systemisches Denken erforderlich wird und die                    sache, dass der Nutzen der Wasserstofftechnologie oft dem
Resultate wesentlich vielfältiger sein werden als früher.                      System zu Gute kommt, nicht aber zwingend dem einzelnen
                                                                               Akteur, ist bei Entscheidungsprozessen für Entwicklungs- und
Genau diese bislang gestellten Fragen stellen aktuell eine Hür-                Investitionsprojekte hinderlich. Viele Lösungen liegen im De-
de bei der Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft dar. Ist die                monstrationsmaßstab, werden aber aus Kostengründen oder
Wasserstofftechnologie die Lösung für Anwendung X? Ist sie                     einer fehlenden systemischen Betrachtung nicht skaliert und
effizienter als Technology Y? Die Antworten der Fachexpertin-                  Geschäftsmodelle mithin nicht weiterentwickelt. Ohne Hochs-
nen und Fachexperten sind dann in der Regel völlig zu Recht                    kalierung bleibt die gewünschte Kostenreduzierung aus.
„Nein“ oder „Ja, aber…“. Folglich wird das Potenzial der Was-
serstofftechnologie im Diskurs oft zu kritisch dargestellt oder                Das Potenzial von Wasserstoff wirklich zu nutzen, ist eine
unterschätzt.                                                                  schwere Aufgabe. Systemische Ansätze zu verfolgen ist auf-
                                                                               wendig und begünstigt destruktive Debatten. Zudem sind für
Querschnittstechnologie mit enormem Potenzial                                  eine tatsächliche Dekarbonisierung die möglichen Transforma-
Die Wasserstofftechnologie hat in jedem Fall enormes Poten-                    tionspfade sehr wertvoll, müssen aber auch mit ehrgeizigen
zial. Der große Vorteil, der sie zu der einen zentralen Quer-                  Zielen hin zur CO2-Neutralität beschritten werden, damit Was-
schnittstechnologie der Dekarbonisierung des Energiesektors                    serstoff tatsächlich zu einer „grünen“ Technologie wird.
erheben kann, ist ihre enorme Vielseitigkeit. Technologisch ist
Wasserstoff als Energieträger direkt anschlussfähig an elektri-                Insgesamt zeigt sich, dass, wie oben beschrieben, der Hochlauf
schen Strom, Gas, synthetische Kraftstoffe, Wärme und ener-                    von Wasserstofftechnologien eher ein wirtschaftliches Problem
gieintensive Industriesektoren, wie Stahl oder Chemie und vie-                 ist. Durch Forschung und Entwicklung sind auch in Zukunft gro-
les mehr. Wasserstoff und Produkte daraus sind speicherbar; es                 ße Fortschritte zu erwarten15; fundamentale technische Hürden
können vorhandene Infrastrukturen wie Gasnetze, geologische                    gibt es aber auch aus heutiger Sicht nicht. Somit besteht ein
Speicher und Transportkapazitäten potenziell genutzt werden.                   wichtiger nächster Umsetzungsschritt darin, die in kleinerem
Wasserstoff eröffnet Transformationspfade in die dekarboni-                    Maßstab bereits erfolgreich erprobten Technologien auch im
sierte Welt. Sogar geopolitisch bietet Wasserstoff Perspektiven,               Rahmen von Großprojekten einzusetzen, um die bisher erkann-
neue Partnerschaften aufzubauen und bestehende Partner-                        ten Vorteile auch für breitere Anwendungen und verschiedene
schaften zu transformieren – weltweit viel flexibler als dies mit              Nutzgruppen (z. B. Industrie, Endanwender/innen) konkret auf-
Stromtrassen möglich ist.                                                      zuzeigen.

Wasserstofftechnologien sind in wenigen Bereichen die zentra-                  Wasserstoff als politische Aufgabe für Deutschland
le Lösung für die Dekarbonisierung, z. B. in Form von syntheti-                und Europa
schen Kraftstoffen für den Flugverkehr. Insbesondere liegt das                 Im Jahr 2020 scheint die systemische Bedeutung von Wasser-
Potenzial jedoch darin, andere Technologien zu ergänzen, um                    stoff endgültig auch auf der politischen Agenda angekommen
deren Nachteile ausgleichen. Wasserstofftechnologien können                    zu sein. Der European Green Deal sowie das erwartete IPCEI
als Mittler fungieren, um Sektoren zu koppeln und die Versor-                  Hydrogen verbunden mit der Nationalen Wasserstoffstrategie
gungssicherheit des Gesamtsystems zu erhöhen.                                  in Deutschland und den zahlreichen Strategieprozessen auf
                                                                               Ebene der Bundesländer weisen in diese Richtung. Neben De-
Das Stärke-Schwäche-Paradox                                                    monstrationsprojekten, FuE-Förderung und dem Aufbau von
Paradoxerweise stellt diese enorme Vielseitigkeit gleichzeitig                 industriellen Produktionskapazitäten wird in Deutschland mit
auch die größte Schwäche der Wasserstofftechnologie dar. Sel-                  dem Entfallen der EEG-Umlage für Elektrolyseure die zentrale
ten bietet sie die eine plakative Lösung für eine öffentlichkeits-             Frage der Regulatorik erstmals angegangen. Hier sind weitere

15 Quelle: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Energiedaten/energiedaten-gesamt-pdf-grafiken.pdf?__blob=publicationFile&v=34
Working            Paper          of     the       Institute             for    Innovation             and     Te c h n o l o g y         12

Schritte erforderlich, wie eine stärkere Entlastung beim Strom-               serstofftransport und -logistik sowie die Systemintegration von
preis und verpflichtende Beimischungsregeln für Wasserstoff im                Komponenten werden einen Nachfrageboom erleben. Die
Gasnetz sowie für synthetische Kraftstoffe. Das Steuerelement                 Voraussetzungen sind gut, um regulatorische Handlungsbe-
der CO2-Bepreisung sollte so genutzt werden, dass es die benö-                reitschaft, klimapolitischen Handlungsdruck und unternehme-
tigte Lenkungswirkung auch erzielt. Folglich ist mit den Finan-               rische Handlungskompetenz für den Erfolg der nächsten Phase
zierungszusagen ein erster Schritt getan; weitere gesetzgeberi-               der Energiewende zu bündeln.
sche Maßnahmen sollten den beabsichtigen Markthochlauf in
einem nächsten Schritt ermöglichen.                                           Hat Wasserstoff das Potenzial, bei der Dekarbonisierung der
                                                                              Energiewirtschaft eine zentrale Querschnittstechnologie im Zu-
Aus volkswirtschaftlicher Sicht kann Deutschland mit der Ent-                 sammenspiel mit einer Vielfalt technischer Lösungen zu werden
wicklung eines funktionierenden Heimatmarktes verbunden                       und sogar die Brücke zur Dekarbonisierung der Gesamtwirt-
mit der hiesigen Kompetenz im Maschinen- und Anlagenbau                       schaft zu schlagen? Ja. Es zeigt sich einmal mehr: Wer in kom-
neue Märkte schaffen und erschließen. Elektrolyseure, Brenn-                  plizierten Gesamtsystemen nach einfachen Antworten sucht,
stoffzellen, wasserstofftolerante Anlagen zur Kraft-Wärme-                    muss sehr komplexe Fragen stellen.
Kopplung (KWK), Material- und Produktentwicklung für Was-

  Impressum

  Herausgeber                                       Autorinnen und Autoren                              iit perspektive Nr. 52
  Prof. Dr. Volker Wittpahl                         Dr. Eike-Christian Spitzner                         Berlin, Juli 2020
                                                    Dr. Eyk Bösche
  Institut für Innovation und                       Paradiso Coskina
  Technik (iit) in der VDI/VDE-IT                   Dr. Sophie Cordeiro
                                                    Dr. Janine Kleemann
  Steinplatz 1
  10623 Berlin                                      Kontakt                                             Layout: Poli Quintana
  www.iit-berlin.de                                 Dr. Eike-Christian Spitzner                         Bildnachweis: AdobeStock
                                                    Tel.: +49 (0)30 - 31 00 78-428
                                                    E-Mail: spitzner@iit-berlin.de                      ISBN: 978-3-89750-221-5

  Jede Personenbezeichnung in dieser Publikation gilt für jedes Geschlecht.
Sie können auch lesen