WEIL ICH SO BIN, WIE ICH BIN - VIELFALT IN DER PFLEGE EIN PRAXIS-LEITFADEN FÜR - Schwulenberatung Berlin
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WEIL ICH S O B I N , WIE ICH B I N . . . © M. Pulver © M. Pulver © M. Pulver © M. Pulver VIELFALT IN DER PFLEGE EIN PRAXIS-LEITFADEN FÜR STATIONÄRE UND AMBULANTE DIENSTE
INHALTSVERZEICHNIS 1. LSBTI* - Die unsichtbare Vielfalt entdecken ............................................ 4 2. Vielfalt hat viele Namen ............................................................................ 6 3. Besondere Verwundbarkeit: Diskriminierung als prägende Lebenserfahrung ....................................... 12 4. „Weil ich so bin, wie ich bin“ Statements von älteren Menschen aus den Communities ........................ 18 5. Wie die Vielfalt sichtbar und lebendig wird (Aktionsfelder) ................... 22 Kommunikation: Vielfalt durch Schrift, Wort und Bild darstellen .............. 23 Haltung und Wissen vermitteln ...................................................................... 26 Sicherheit für Mitarbeitende: Antidiskriminierungsmanagement .............. 30 HIV: Positiv und gut gepflegt ......................................................................... 32 Demenz und LSBTI* ........................................................................................ 34 Wohn- und Lebenswelten ............................................................................... 36 6. Implementierung einer umfassenden Willkommenskultur für LSBTI* - Phasen und Tools ................................................................. 42 7. Herausforderungen und Stolpersteine ..................................................... 50 8. Best Practice Sensibilisierte Pflegeeinrichtungen in Deutschland ............................... 54 9. Quellen, Verweise und weiterführende Informationen ........................... 58 10. Impressum ................................................................................................ 63 3
1. LSBTI* - Senioren, Frauen und Jugend. Das Qualitätssiegel ist Im Hauptteil des Leitfadens zeigen wir Ihnen wie Viel- eine Auszeichnung, die stationäre Pflegeeinrichtungen falt sichtbar und lebendig wird. Wir beschreiben sechs und ambulante Pflegedienste erhalten, die in struktu- Aktionsfelder und zeigen detailliert, wie Ihnen die prak- reller, organisationspolitischer und personeller Hinsicht tische Umsetzung einer LSBTI*- kultursensiblen Pflege Voraussetzungen schaffen, sexuelle und geschlechtliche gelingt. Checklisten helfen dabei, die aktuelle Situation DIE UNSICHTBARE Minderheiten zu inkludieren. Das Projekt zeichnet sich in Ihrer Einrichtung zu prüfen und anzupassen. Wenn durch seine Community-Nähe aus. LSBTI*-Repräsen- Sie beabsichtigen, eine umfassende Willkommenskul- tant*innen lieferten mit ihrer Expertise einen wert- tur für LSBTI* zu implementieren, dann erfahren Sie vollen Beitrag und waren somit an der konzeptionellen im Kapitel 6, wie Sie am besten vorgehen und was be- Ausgestaltung des Qualitätssiegels beteiligt. sonders zu beachten ist. Hier wird auch die Möglichkeit VIELFALT ENTDECKEN der Zertifizierung angesprochen. In Kapitel 7 machen WIE IST DER LEITFADEN wir Sie auf mögliche Herausforderungen und typische AUFGEBAUT? Stolpersteine bei der Einführung diversitätssensibler Zunächst führen wir Sie in die Begriffswelten sexueller Pflege aufmerksam. Die besten Umsetzungsideen einer und geschlechtlicher Vielfalt ein. Anschließend gehen LSBTI*-diversitätssensiblen Pflege in Deutschland stel- wir auf Hintergründe für eine besondere Verwundbar- len wir Ihnen im Kapitel Best Practice vor. keit von LSBTI* ein und in diesem Kontext auf Diskri- DIE GESELLSCHAFT IST BUNT – minierung als prägende Lebenserfahrung. Im Kapitel DAS ALTER AUCH! „Weil ich so bin, wie ich bin“, kommen LSBTI* selbst zu Annahmen über ältere Menschen beruhen häufig auf Es gibt aber diese unsichtbare Vielfalt in jeder Einrich- Wort und äußern ihre Erwartungen und Befürchtungen Weiterführende Informationen, Quellen und Verweise Stereotype, die uns daran hindern, Bedarfe einzelner tung, unter den Gepflegten wie beim Personal. Und es in Bezug auf Pflege. finden Sie im Anhang. Pflegebedürftiger umfassend wahrzunehmen. ist ein Gewinn für jede Einrichtung, diese Vielfalt zu entdecken, wahrzunehmen und von ihr zu lernen. Dazu gehört auch die Vorstellung, Sexualität und Ge- schlecht würden im Alter und bei Pflegebedürftigkeit Der vorliegende Praxis-Leitfaden gibt Ihnen Hinweise, keine Rolle spielen. wie Sie sich dem Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt schrittweise bzw. in verschiedenen Handlungs- Allerdings wird immer mehr Menschen, die in der Pfle- feldern nähern können: er sensibilisiert für die Bedarfe ge beschäftigt sind, deutlich, dass diese Überzeugung von LSBTI* und bestärkt Fachkräfte im Umgang mit falsch ist. Denn Sexualität und Geschlecht haben einen Vielfalt. Der Leitfaden stellt Tipps zur Verfügung, wie zentralen Einfluss auf unseren Lebensweg und sind Teil Sie mit Hilfe eines diversitätssensiblen Ansatzes Perso- unserer Identität. nal gewinnen und binden können. Des Weiteren können Sie den Leitfaden auch als Arbeitshilfe zur Einleitung Dabei kommt der herkömmliche Lebensweg – Ver- und Durchführung eines umfassenden Organisations- lobung, Ehe, Elternschaft, Enkelkinder, Großeltern- entwicklungsprozesses nutzen. schaft – nur für einen Teil der Gesellschaft infrage. Für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, um die es in Der Leitfaden informiert über eine Vielzahl praxis- diesem Leitfaden geht, war und ist eine solche Biografie erprobter Strategien zur Einführung, Umsetzung und ganz und gar nicht selbstverständlich. Aufrechterhaltung diversitätssensibler Pflege. Vor allem ältere Angehörige der sogenannten Mit diversitätssensibler Pflege bezeichnen wir – im wei- LSBTI*-Communities - Lesben, Schwule, Bisexuelle, teren Sinne – den Anspruch in der Pflege, der Indivi- Trans* und Inter* - schämen sich bis heute dafür, anders dualität eines jeden Menschen gerecht zu werden, im gelebt zu haben bzw. anders gelebt haben zu müssen. engeren Sinne ist eine Pflege gemeint, die LSBTI*-Be- Häufig wurden sie für dieses Anderssein bestraft und darfe berücksichtigt. Synonym verwenden wir im Leit- verachtet, in der Vergangenheit freilich noch mehr als faden auch den Begriff LSBTI*-kultursensible Pflege. heute. Sie haben gelernt sich anzupassen und nicht auf- zufallen. In Pflegeeinrichtungen sind sie meistens un- Der Leitfaden basiert auf den Erfahrungen des dreijäh- sichtbar.1 rigen Modellprojekts „Qualitätssiegel Lebensort Viel- falt®“, gefördert vom Bundesministerium für Familie, 4 5 © M. Pulver
2. VIELFALT HAT beispielsweise frauenbezogen gelebt oder frauenliebend. oder trans*Mann. Andere bezeichnen sich als Mann Die Abkürzung MSM (Männer, die Sex mit Männern oder Frau. Trans* umfasst ein breites Spektrum von haben) bezieht sich auf Männer, die sich selbst nicht als Trans*-Identitäten und auch solche, die sich im her- schwul definieren. Der Begriff fokussiert auf das Sexu- kömmlichen Geschlechter-Modell (Mann/Frau) nicht alverhalten und nicht auf die sexuelle Identität. verorten (nicht-binäre Menschen). VIELE NAMEN Bisexuell bezieht sich auch auf die sexuelle Orientierung einer Person, die sich zu Menschen des gleichen und ei- nes anderen Geschlechts hingezogen fühlt. Bisexuell als sexuelle Identität geht oft über das sexuelle Begehren hinaus und kann die Zugehörigkeit zu spezifischen Sub- Der Begriff Transsexualität wird in der Regel im medizi- nischen Bereich verwendet, z. T. auch als Selbstbezeich- nung, wird jedoch sehr häufig wegen seiner Geschichte als pathologisierende medizinische Fremdbezeichnung und psychiatrische Diagnose sowie wegen der irrefüh- kulturen umfassen. renden Ähnlichkeit mit Kategorien sexueller Orientie- Die Menschen und Communities, um die es im vorlie- queer als neutrale oder affirmative Bezeichnung ange- rung abgelehnt. Jede trans* Person entscheidet, ob und genden Leitfaden geht, verwenden verschiedene Be- eignet. Queer wird oftmals als Synonym für LSBTI* ver- Heterosexuell beschreibt die sexuelle Identität, in der wo sie zu erkennen gibt, dass sie in einem anderen als griffe, mit denen sie sich selbst bzw. ihre Lebensweise, wendet. Auch die Abkürzung LSBTIQ* (Q für queer) ist sexuelles Begehren auf Menschen des (in der Logik eines dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht lebt bzw. ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität, sowie ihre in Gebrauch. Zwei-Geschlechter-Systems) „anderen“ Geschlechts leben will. Körperlichkeit beschreiben. Für die Arbeit mit diesen ausgerichtet ist. In weiten Teilen der Gesellschaft, wie Menschen ist es sehr wichtig, dass Sie sich mit deren z. B. in der Werbung, in Medien und der Bildung wird Trans* Menschen treffen lediglich eine Aussage über Selbstbezeichnung - und Begriffswelt generell - ver- Heterosexualität meistens als Norm präsentiert. Daher ihr Geschlecht, nicht über ihre sexuelle Identität. Das traut machen. Im Pflegealltag sollte die Verwendung SEXUELLE VIELFALT müssen heterosexuelle Menschen kein Coming-Out Begehren von trans* Personen ist genauso vielfältig, wie medizinischer und anderer Bezeichnungen für diese durchlaufen. das Begehren der Restbevölkerung. Communities unterbleiben. HOMOSEXUELL … beschreibt die sexuelle Orientierung einer Person, die Weitere sexuelle Orientierungen, die in das Spektrum Um deutlich zu machen, dass es keineswegs selbstver- Zu beachten ist, dass Begrifflichkeiten und Definitionen sich zu Menschen des gleichen Geschlechts hingezogen sexueller Vielfalt fallen, sind beispielsweise Pansexuali- ständlich ist, sich mit dem Geschlecht zu identifizieren, bezüglich Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsidentität fühlt. tät (sexuelles Begehren, das sich auf alle Geschlechter das einem bei der Geburt zugewiesen wurde, wurde und sexueller Identität einem stetigen Wandel unterlie- richtet) oder Asexualität (kein sexuelles Begehren). auch der Begriff cis bzw. cis-Mann/ cis-Frau eingeführt gen und in unterschiedlichen kulturellen Kontexten va- LESBISCH BZW. SCHWUL (von lat. cis = „diesseits“) - gewissermaßen im Unter- riieren können. Maßgeblich für den Umgang mit LSBTI* …bezeichnen sexuelle Identitäten und gehen über das schied zu trans (von lat. trans = „jenseits, über hinaus“). bleibt deren Selbstdefinition, die sich ebenfalls im Laufe der Zeit verändern kann! sexuelle Begehren hinaus: sie beschreiben, wie sich Per- sonen selbst definieren und wahrnehmen und wie sie GESCHLECHTLICHE INTER* von anderen wahrgenommen werden möchten. Sexuel- VIELFALT ...ist ein Oberbegriff für Personen, die mit Variationen Die folgenden Begriffserklärungen erheben keinen An- le Identität kann auch die Zugehörigkeit zu spezifischen der Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsorgane, Ge- spruch auf Vollständigkeit. Subkulturen umfassen. Aufgrund von Diskriminierungs- TRANS* schlechtschromosomen und/oder Geschlechtshormone erfahrungen und einer Geschichte, geprägt von Krimi- Als trans* bezeichnen sich häufig Menschen, die sich geboren werden. Häufig wird auch der Begriff Interge- LSBTI* nalisierung, Ausgrenzung und Pathologisierung, hat sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewie- schlechtlichkeit verwendet. Die sexuelle Orientierung ...ist die Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, eine lesbische und schwule Kultur mit eigenen Werten sen wurde, nur unzureichend oder falsch beschrieben und die Geschlechtsidentität ist bei inter* Personen ge- Trans* und Inter*. Lesben, Schwule und Bisexuelle fallen und Normen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft gebil- fühlen. Dieses Selbstverständnis kann individuell mit nauso vielfältig wie in der Restbevölkerung. in das Spektrum sexueller Vielfalt. Trans* und Inter* in det (so entstanden u. a. Netzwerke, Bars, Interessens- sozialen, rechtlichen und/oder medizinischen Schritten Im medizinischen Kontexten wurde der Begriff „Interse- das Spektrum geschlechtliche Vielfalt. vereinigungen etc.). zur Geschlechtsangleichung (Transition) einhergehen. xualität“ verwendet. Dieser deutet jedoch fälschlich an, Eine rechtliche Namens- und Personenstandsänderung es handle sich um eine Form der Sexualität. Seit 2006 Einen weiteren Begriff, den Sie im Zusammenhang mit Die Begriffe lesbisch sowie schwul sind als affirmative unterliegt in Deutschland den Regelungen des Trans- wird in der Medizin von einer Störung der Geschlechts- sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gelegentlich Selbstbezeichnungen erst seit den 1970er Jahren im sexuellengesetzes (TSG). Eine medizinische Transition entwicklung gesprochen. Die menschenrechtsorien- hören, ist queer. Queer beschreibt eine Person, deren Gebrauch. Zum Teil sind diese Bezeichnungen immer sollte sich an der Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, tierte Inter*-Community lehnt diesen Begriff ab. Die sexuelle Orientierung oder deren Geschlechtsidentität noch negativ konnotiert. Entsprechend bevorzugen äl- Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnos- medizinischen Leitlinien benutzen auch den Begriff von gesellschaftlichen Normen abweicht. Queer kann tere homosexuelle Menschen die Bezeichnung gleich- tik, Beratung, Behandlung“2 orientieren. Varianten der Geschlechtsentwicklung. 2018 wurde aber auch auf Praktiken und gesellschaftliche Positio- geschlechtlich liebend oder auch gleichgesinnt. Die geschlechtliche Identität ist unabhängig von der vom Bundeskabinett ein Gesetzesentwurf beschlossen, nen verweisen, die die zweigeschlechtlichen und hete- sexuellen Identität. Für manche trans* Menschen ist der den Eintrag einer dritten positiven Geschlechtsop- rosexuellen Normen in Frage stellen. Ursprünglich war Ältere lesbische Frauen verwenden zum Teil Selbstbe- Trans*, Transgender oder transgeschlechtlich auch die tion in das Geburtenregister möglich macht. Mit dem queer im englischsprachigen Raum als Schimpfwort zeichnungen wie Frauenfreundin bzw. Frauenverehrerin passende Geschlechtsidentität, d. h. sie bezeichnen sich Eintrag „divers“ soll die Geschlechtsoption inter* an- in Gebrauch, mittlerweile haben sich viele den Begriff oder beschreiben ihre Lebensform mit Adjektiven wie mit diesen Begriffen oder verwenden z. B. trans*Frau erkannt werden. 6 7
Der Asterisk bzw. das Sternchen (*) weist – gewisser- Symbole und Flaggen maßen als Platzhalter - auf die Vielfalt von sexuellen und geschlechtlichen Identitäten hin und gibt Raum für Die Flagge der Inter*-Com- Die Flagge der Bisexuellen vielfältige weitere Selbstbeschreibungen, die nicht mit munity besteht aus gelb, dient als Erkennungszeichen. der Abkürzung LSBTI* explizit benannt werden. Die Regenbogenfahne ist das einer geschlechtsneutralen Blau symbolisiert Heterose- Symbol für LSBTI*. Farbe. Der Kreis symbolisiert xualität, rosa Homosexualität WEITERE BEGRIFFE Ganzheitlichkeit und körper- und violett Bisexualität. liche Integrität. In weiten Teilen der Gesellschaft werden die ausschließ- Venussymbol, auch bio- lich binäre Geschlechtereinteilung (Mann/Frau), sowie logisches Zeichen für Frauen. Heterosexualität als natürlich – quasi von Natur gewollt Zwei ineinander gestellte - angesehen und sind als Norm gesetzt (Heteronor- mativität). LSBTI*, sowie Menschen die dafür gehalten Zeichen symbolisieren weib- VIELFALT GIBT ES HÄUFIGER werden, erleben häufig spezifische Ausgrenzungs- und liche Homosexualität. ALS SIE DENKEN ... Gewalterfahrungen. In diesem Zusammenhang spricht man von Lesben-, Schwulen oder Bifeindlichkeit bzw. von Trans* oder Interfeindlichkeit (Homophobie oder Die Doppelaxt (Labrys) geht LAUT EINER EUROPÄISCHEN UMFRAGE VON Biphobie bzw. Trans*- oder Interphobie). Internalisier- auf die Amazonen zurück DALIA RESEARCH³ IDENTIFIZIEREN SICH te Homonegativität bzw. internalisierte Transnegati- und gilt seit den 1970er Jah- ren als feministisches Symbol DURCHSCHNITTLICH 7,4 % DER BEVÖLKERUNG IN vität oder Internegativität bezeichnet die Ablehnung der eigenen Homosexualität bzw. Trans* oder Inter*ge- und Erkennungszeichen für DEUTSCHLAND – ALSO ÜBER 6 MIO. MENSCHEN - schlechtlichkeit. Lesben. ALS LESBISCH, SCHWUL, BISEXUELL ODER TRANSGENDER. IN BALLUNGSZENTREN, WIE BERLIN, Wenn sich eine lesbische, schwule, bisexuelle, trans* oder inter* Person dazu entschließt, über ihre sexuel- Marssymbol, auch biologi- IST DIE ZAHL HÖHER. le oder geschlechtliche Identität bzw. Körperlichkeit sches Zeichen für Männer. Zwei ineinander gestellte zu sprechen, wird dieser Schritt als Coming-Out be- zeichnet. Es wird zwischen einem inneren Coming-Out Zeichen symbolisieren IN DER GRUPPE DER 14-29-JÄHRIGEN GEBEN 11,2 % (Selbsterkenntnis, -akzeptanz) und einem äußeren Co- männliche Homosexualität. DER BEFRAGTEN EINE ZUGEHÖRIGKEIT ZUR LSBT* ming-Out (öffentliches Bekanntmachen) differenziert. COMMUNITY AN. Coming-Out ist ein immerwährender Prozess – mit je- der neuen Begegnung steht die Entscheidung an, ob die Der Rosa Winkel ist das eigene sexuelle oder geschlechtliche Identität bekannt Symbol, das während des DEUTSCHLAND ZÄHLT DAMIT ZUM „QUEERSTEN gemacht wird. Nationalsozialismus benutzt LAND EUROPAS“. INTERGESCHLECHTLICHKEIT wurde, um männliche Häft- Für viele LSBTI* ist die Community bzw. sind die Com- linge in Konzentrationslagern WURDE IN DER ERWÄHNTEN STUDIE NICHT BERÜCK- munities, d. h. die queere Gemeinschaft (Individuen, zu identifizieren, die auf SICHTIGT. DIE VEREINTEN NATIONEN GEBEN ABER AN, Organisationen und Institutionen) eine wichtige Unter- stützung und ein Schutzraum (Safe Space). Verbindend Grund ihrer Homosexualität dorthin verschleppt worden DASS BIS ZU 1,7 % DER BEVÖLKERUNG MIT INTERGE- ist neben der queeren Identität und geteilten Erfahrun- sind. In den 1970er Jahren SCHLECHTLICHEN MERKMALEN ZUR WELT KOMMT. gen, das Einsetzen für gemeinsame Interessen und poli- wurde es als Symbol der tische Ziele. Vor allem ältere LSBTI* haben häufig von Schwulenbewegung ver- ihren Herkunftsfamilie Ablehnung erfahren und selte- wendet. BEI UMFRAGEN IST ZU BEACHTEN, DASS ANTWORTEN ner eigene Kinder als ältere Menschen der Mehrheits- AUF FRAGEN ZU SEXUELLER UND GESCHLECHTLICHER gesellschaft. Oftmals ist daher die Wahlfamilie neben IDENTITÄT OFT VERWEIGERT WERDEN. DESHALB SIND der Community das wichtigste Unterstützungssystem. Zur Wahlfamilie können u. a. enge Freund*innen, Ex- DIE OBEN GENANNTEN ZAHLEN ALS MINDESTZAHL ZU Die Flagge der Trans*- partner*innen oder auch weitläufige Verwandte zählen. Community. BEGREIFEN. 8 9
PETER*, 89 JAHRE ALT, HAT SEINE SCHWULE IDENTITÄT IN EINEM GESELLSCHAFTLICHEN KLIMA ENTWICKELT, DAS GEPRÄGT WAR DURCH DIE ABLEHNUNG VON LSBTI* 1930 §175 Geburt * Name und Bild geändert 1933 - Verschärfung §175 3-15 1945 LSB in KZs deportiert Jahre BRD übernimmt NS-Fassung von §175 1946 - 16-20 LSB wird Anerkennung als 1950 Jahre Opfer des Nazi-Regimes verwerht §175 wird in BRD 20-30 1950er weiterangewendet - Jahre 45.000 Verurteilungen §175: Strafbarkeit in BRD unter Erwachsenen Männern 30-50 1960er wird aufgehoben - als Straf- Jahre tat bleibt Homosexualität bestehen (Schutzalter) 1970er Stone-Wall Riot AIDS-Krise 50-60 1980er -> gesellschaftliche Ächtung Jahre Homosexualität wird nicht mehr als Krankheit im ICD10 60-70 1990er der WHO gelistet Jahre §175 wird abgeschafft Ehe für alle Rehabilitation der Opfer des §175 und §151 87 2017 mind. 300 motivierte Jahre Straftaten gegenüber LSBTI* in Deutschland © M. Pulver © M. Pulver SEXUELLE UND GESCHLECHTLICHE VIELFALT Sexuelle Identität Geschlechtsidentität Körperlicher Zustrand LSB T* I* Homosexualität Bisexualität Trans* Inter* (lesbisch/schwul) Sexuelle Sexuelle Oberbegriff für Menschen, Oberbegriff für Menschen, Orientierung einer Orientierung einer deren Geschlechtsidentität von die mit Variationen der Person, die sich zu Person, die sich zu dem Geschlecht abweicht, das Geschlechtsmerkmale Menschen des Menschen des ihnen bei Geburt zugewiesen geboren wurden. gleichen gleichen wurde. Geschlechts hin- und eines anderen gezogen fühlt. Geschlechts hin- WELCHE gezogen fühlt. GESCHLECHTS- WIE IST MEIN IDENTITÄT HABE KÖRPER WEN BEGEHRE ICH? ICH? BESCHAFFEN? 10 11
MEHRFACHDISKRIMINIERUNG 3. Bei der Überschneidung mehrerer Identitätskategorien (Intersektionalität) kann es zu Diskriminierung auf mehreren Ebenen, aber auch zu spezifischer Diskriminierung kommen, wie zum Beispiel: BESONDERE RASSISMUS Neben Diskriminierungen aufgrund von sexueller und geschlechtlicher Identität, erleben queere People of Color (PoC) alltäglich Rassismus. So erlebt z. B. eine Schwarze4 trans* Frau andere Formen VERWUNDBARKEIT: von Diskriminierung als eine weiße cis Frau. SEXISMUS Lesben, bisexuelle und trans* Frauen erleben neben Homo-, Bi- und Trans*feindlichkeit auch Sexismus, d. h. Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit als Frauen. Dies äußert sich mitunter in Objektifizierung, aber auch Bagatellisierung ihrer Lebensformen. Entsprechend sind DISKRIMINIERUNG lesbische Frauen in der Gesellschaft wenig sichtbar. ALS PRÄGENDE Diskriminierungen können unterschiedliche Formen soziale Gruppen führen. Ein Beispiel dafür sind Stamm- annehmen. Nicht nur Einzelpersonen oder Gruppen datenblätter, auf denen nur die Optionen „männlich“ können diskriminieren. Gewaltsituationen sind immer oder „weiblich“ aufgeführt sind. Wenn keine Option für auch in gesellschaftliche Strukturen und Institutionen intergeschlechtliche Menschen besteht, handelt es sich LEBENSERFAHRUNG eingebunden. Strukturelle Diskriminierung liegt dann bei dieser Auslassung um interfeindliche Diskriminie- vor, wenn scheinbar neutrale Vorschriften oder Rege- rung. lungen zur Benachteiligung einzelnen Personen oder DAS ALLGEMEINE ₅ GLEICHBEHANDLUNGSGE- SETZ (AGG) Auch wenn wir im vorliegenden Leitfaden einfachheits- schaft unterscheiden und von den gesellschaftlichen halber von „LSBTI*“ sprechen: Bedenken Sie bitte beim Normvorstellungen abweichen, sind Diskriminierung Von Diskriminierung im juristischen Sinne wird immer dann gesprochen, wenn die Benachteiligung Kontakt zu einer konkreten Person: sie lässt sich keines- ausgesetzt. Wir alle wachsen mit Vorstellungen bzw. von Menschen aufgrund eines schützenwerten Merkmals ohne sachliche Rechtfertigung erfolgt. falls auf Geschlecht und Sexualität reduzieren. Stereotypen über andere soziale Gruppen auf. Diese Vorstellungen haben Einfluss darauf, wie wir auf diese Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) umfasst die Lebens- Jeder Mensch ist einzigartig und zur Identität einer Per- Gruppen reagieren. Bleiben diese Vorstellungen bzw. bereiche Arbeit und Dienstleistungen. Ziel des AGG ist Schutz vor Diskriminierung aus rassistischen son gehören viele verschiedene Merkmale, die ebenso Stereotype unerkannt und unhinterfragt werden sie Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, einer bedeutsam sein können: Alter, Nationalität, Hautfarbe, schnell zu Vorurteilen und es entsteht Diskriminierung. Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Religion, Behinderung oder sozialer Status, u. a. Die Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen ist da- her für eine diversitätssensible Pflege unerlässlich. Das AGG enthält hauptsächlich Diskriminierungsverbote. Es beinhaltet jedoch auch positive Die unterschiedlichen Identitätskategorien haben je Maßnahmen, um bestehende Ungerechtigkeiten abzubauen, z. B. die Frauenquote bei der Besetzung nach sozialen Kontext Auswirkungen auf die gesell- von Führungspositionen. schaftliche Benachteiligung oder Privilegierung von Personen. Vor allem Menschen und Gruppen mit Iden- titätsmerkmalen, die sich von der Mehrheitsgesell- 12 13
REPRESSION, DISKRIMINIERUNG Andererseits war in den 1970er Jahren eine Aufbruchs- Im ICD 11, der 2022 veröffentlicht wird, wird Trans- Vergangenheit an. So wurden 2019 alleine in Berlin 559 UND PATHOLOGISIERUNG VON stimmung spürbar. Die 68er Bewegung hatte Einfluss geschlechtlichkeit nicht mehr als Krankheit eingestuft Übergriffe auf LSBTI* gemeldet.7 Die Dunkelziffer ist LESBEN, SCHWULEN UND auf gesellschaftliche Veränderungen. Der 1969 stattfin- – eine wichtige Maßnahme, um der Stigmatisierung um ein vielfaches höher. BISEXUELLEN dende Aufstand von Queers, vor allem Queers of Co- von trans* Personen entgegenzuwirken. Eine rechtli- Insbesondere ältere und pflegebedürftige LSBTI* haben lor, gegen die Polizeirazzien in einer schwulen Bar in der che Namens- und Personenstandsänderung unterliegt In Bezug auf den Arbeitsplatz zeigen Befragungen, dass ihre Persönlichkeit unter gesellschaftlichen Umständen Christopher Street in New York, hatte auch Auswirkun- in Deutschland aber den Regelungen des Transsexu- nur ein knappes Drittel der lesbischen und schwulen entwickelt, die häufig dazu geführt haben, dass sie ihre gen auf die schwul-lesbische Emanzipationsbewegung ellengesetzes (TSG). Eine medizinische Transition der Arbeitnehmer*innen mit allen Kolleg*innen offen über sexuelle und geschlechtliche Identität verheimlichten. in Deutschland. Es gründeten sich politische Gruppen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechts- ihre sexuelle Identität spricht. Fast sieben von zehn der und 1972 fand in Münster die erste Demonstration von dysphorie und Trans-Gesundheit“. Das bedeutet für trans* Beschäftigten sprechen mit keinen oder nur we- Der seit 1872 bestehende § 175 kriminalisierte sexuelle Lesben und Schwulen gegen heteronormative Struk- die Betroffenen z. B. ein oft langwieriges Kostenüber- nigen Kolleg*innen offen über ihre Geschlechtsiden- Handlungen zwischen Männern und wurde im National- turen statt. Ab den 1990er Jahren wird lesbisches und nahmeverfahren und Zwang zur „Begutachtung“. Auf- tität. Des Weiteren geben Dreiviertel der befragten sozialismus verschärft. Etwa 10.000 bis 15.000 Män- schwules Leben zunehmend öffentlicher. Neben politi- grund des langwierigen Prozesses sind viele trans* Per- Lesben, Schwulen und Bisexuellen an, Diskriminierung ner wurden in Konzentrationslager deportiert6. Viele schen Gruppen gründen sich auch Sport- und Freizeit- sonen dazu gezwungen, mit einem Identitätsnachweis am Arbeitsplatz erlebt zu haben. Mehr als einem Viertel wurden ermordet. Nur ca. 40 % überlebten die Haft. vereine, Bars und Restaurants öffnen. Antidiskriminie- (z. B. Personalausweis) zu leben, der weder mit ihrem der trans* Beschäftigten wurde der Zugang zu Toiletten rungsgesetze treten in Kraft und Aktionspläne gegen Äußeren noch mit ihrem Namen übereinstimmt – ein ihrer Wahl verwehrt, sowie jede fünfte trans* Person In der Bundesrepublik und der DDR blieb der Para- Homophobie werden von der Politik formuliert. 2017 Zwangs-Coming-Out, sowie ständige Rechtfertigungen hat erlebt, dass Namensschilder nicht angepasst wur- graph noch längere Zeit bestehen. Es gab weiterhin wird gleichgeschlechtlichen Paaren in Deutschland die sind die Folge. den.8 Diskriminierung am Arbeitsplatz kann psychische zahlreiche Verurteilungen. Erst 1969 waren homo- Eheschließung ermöglicht und die Opfer des § 175 wer- Folgen nach sich ziehen, krank machen und zu langen sexuelle Handlungen unter Erwachsenen in der BRD den rehabilitiert. In den 1950er Jahren wurde es gängige medizinische Ausfallzeiten von Beschäftigen führen. Unterbrochene straffrei. Das Schutzalter betrug aber 18 Jahre (bei les- Praxis, an Menschen mit Variationen der Geschlechts- Erwerbsbiografien erhöhen das Risiko der Altersarmut. bischen und heterosexuellen Handlungen 14 Jahre). In Mit dem Auftreten von HIV/AIDS Anfang der 1980er merkmale, invasive und irreversible Genitaloperationen der DDR fielen Homosexuelle ab 1968 unter den neuen Jahre waren schwule und bisexuelle Männer enormer durchzuführen. Solche Operationen, Sterilisationen © B. Beutler § 151 StGB-DDR, der eine Freiheitsstrafe bis zu drei gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Soziale Stigma- und medikamentöse (kosmetische) Eingriffe werden zu- Jahren oder Verurteilung auf Bewährung für einen er- tisierung und Diskriminierung von HIV-positiven Men- meist als Verstümmelung und Gewalt erlebt und von den wachsenen Menschen festsetzte, der mit Jugendlichen schen ist nach wie vor sehr präsent, so dass viele Betrof- Vereinten Nationen als unmenschliche Behandlung und gleichen Geschlechts „sexuelle Handlungen vornimmt“. fene über ihren HIV-Status schweigen. Folter angesehen. Diese Eingriffe werden auch heute Aufgrund der nicht länger geschlechtsbezogenen For- noch – vor allen an Säuglingen und Kindern – durchge- mulierung erfasste das Strafgesetz nun auch Frauen. Homosexualität galt lange als Krankheit und wurde erst führt, obwohl größtenteils keine medizinische Notwen- Im wiedervereinigten Deutschland wurde der § 175 erst 1992 aus der Internationalen Krankheitsklassifikation digkeit besteht. Aufgrund dieser uneingewilligten Ein- 1994 gestrichen. (ICD-10) der WHO entfernt. Bis dahin kam es vor, dass griffe und der daraus resultierenden Traumatisierung, Lesben, Schwule und Bisexuelle in Gesundheitseinrich- scheuen viele den Gang zu Ärzt*innen. Seit den 1990er Lesbische Frauen wurden im dritten Reich als „aso- tungen „therapiert“ wurden. Gesundheitseinrichtungen Jahren klären inter* Aktivist*innen und Organisationen zial“ geächtet, verhaftet und bestraft. Ihre Treffpunkte verweigerten auch oftmals Homo- und Bisexuellen die über die Menschrechtsverletzungen an inter*Personen wurden geschlossen, ihre Zeitschriften verboten. Auch Auskunft über ihre erkrankten Partner*innen. Solche auf und setzen sich für die Entpathologisierug der Va- in der frühen Bundesrepublik hielten sie sich eher ver- und ähnliche Erfahrungen von Diskriminierung hinter- riationen von Geschlechtsmerkmalen ein. 2018 wurde steckt. ließen zuweilen massive Traumata und eine große Skep- vom Bundeskabinett ein Gesetzesentwurf beschlossen, sis gegenüber Krankenhäusern, Ärzt*innen, Pflegehei- der den Eintrag einer dritten positiven Geschlechtsop- Frauen wurde ein autonomes sexuelles Begehren ab- men und anderen Gesundheitseinrichtungen. tion - divers - in das Geburtenregister möglich macht. gesprochen. Die heterosexuelle Ehe galt als einzige legitime Lebensform. Frauen waren wirtschaftlich von REPRESSION, DISKRIMINIERUNG Entsprechen Körper nicht normativen Körperbildern, ihren Ehemännern abhängig. Für sie war die Rolle der UND PATHOLOGISIERUNG VON veranlasst das Dritte mitunter, abfällig über sie zu spre- Hausfrau und Mutter vorgesehen. Erst seit 1977 dür- TRANS* UND INTER* chen; weitere Abwertungen sind z. B. falsche Anrede, fen Frauen ohne Erlaubnis ihres Ehemanns arbeiten ge- Trans* und inter* Menschen sehen sich nach wie vor Exotisierung („so interessant!“) und die Missachtung hen. Auch eine Scheidung war gegen den Widerstand menschrechtswidrigen Hürden in Recht und Medizin von geschlechtlicher Selbstbestimmung. des Ehemanns bis zur Familienrechtsreform 1977 kaum ausgesetzt. Über die gesamte Lebensspanne hinweg möglich. schildern zahlreiche trans* und inter* Personen die me- AKTUELLE SITUATION VON LSBTI* dizinische Versorgung als diskriminierend und gewalt- IN DEUTSCHLAND Vergewaltigung in der Ehe wurde erst 1997 zum Straf- voll. Trans* wird häufig der Zugang zu den gewünschten Auch wenn EU-Richtlinien und das AGG Diskriminie- tatbestand. Wurde bekannt, dass die Mutter lesbisch medizinischen Maßnahmen verwehrt oder massiv er- rungen sanktionieren, gehören Homo- und Bi-, sowie lebte, drohte der Sorgerechtsentzug für ihre Kinder. schwert. Trans*- und Inter*feindlichkeit lange noch nicht der 14 15
MINDERHEITENSTRESS KULTUR- UND DIVERSITÄTSSENSI- BLE PFLEGE Vor allem sozial benachteiligte Gruppen sind aufgrund einer höheren Stressbelastung einer höheren Kultursensible Pflege14 heißt Krankheitsanfälligkeit ausgesetzt. Interesse an der Kultur von Personen zu haben Wissen über diese Kultur zu haben und zu erkennen, Diese höhere Stressbelastung, auch Minderheitenstress genannt, führt bei LSBTI* dazu, dass zu den inwieweit die allgemeinen Regeln dieser Kultur auf generellen Stressoren, die von allen Menschen erlebt werden, spezifische Stressbelastungen hinzukommen. das Individuum zutreffen Diese zusätzlichen Belastungen erfordern von den stigmatisierten Personen spezielle Anpassungsleistun- eine Haltung einzunehmen, die die kulturellen gen. In Bezug auf LSBTI* sind vier Minderheitenstressprozesse9 zu benennen: Besonderheiten erkennt und anerkennt. das Erleben von Gewalt und Diskriminierung bzw. LSBTI*-Feindlichkeit Menschen auf ein Unterscheidungsmerkmal zu redu- die Befürchtung, dass Diskriminierungen eintreten zieren (sexuelle oder geschlechtliche Identität) greift das Verbergen bzw. Offenbaren der eigenen sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität allerdings zu kurz, reproduziert Stereotype und ignoriert die internalisierte LSBTI*-Feindlichkeit die Diversität von LSBTI*. Entsprechend verwenden wir synonym zu LSBTI*-kultursensibler Pflege den inklusi- ven Begriff der diversitätssensiblen Pflege. Gemäß Artikel 4 (Pflege, Betreuung und Behandlung) AUSWIRKUNGEN VON DISKRIMI- diversitätssensiblen Umgang mit HIV und Demenz in der Pflege-Charta begreifen wir diversitätssensible NIERUNG AUF DIE GESUNDHEIT der Pflege. Pflege, als eine auf die Biografie abgestimmte, subjekt- Bekannt ist, dass der Gesundheitszustand einer orientierte Versorgung mit dem Ziel der Förderung von Person damit zusammenhängt, inwieweit sie ihre IMPLIKATIONEN FÜR DIE PFLEGE Autonomie, Selbstbestimmung und Teilhabe – ein Pfle- Sexualität und ihr Geschlecht selbstbestimmt und In Bezug auf den pflegerischen Kontext zeigt sich, dass geansatz von dem alle Pflegebedürftigen profitieren. frei leben kann. es nach wie vor Zugangsbarrieren bei der Inanspruch- Wörtlich heißt es in der Charta: „Jeder hilfe- und nahme von Angeboten gibt. Ausschlaggebend sind pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf eine an Kriminalisierung, Pathologisierung und Tabuisierung diskriminierende Erfahrungen, insbesondere mit me- seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete, gesund- haben enormen Einfluss auf das Leben und Erleben dizinischen Behandler*innen bzw. vorherrschende Un- heitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und von LSBTI* und sie haben Auswirkungen auf die eige- wissenheit bei Ärzt*innen und Pfleger*innen. Behandlung.“15 ne Identitätsentwicklung und das Selbstwertgefühl. So erleben manche (älteren) Lesben und Schwule Homo- In Pflegeeinrichtungen fürchten sich LSBTI* vor Aus- In Bezug auf LSBTI* heißt das, dass Sie konsequent, sexualität als Abweichung, was zur Ablehnung der eige- grenzung und Isolation und verschweigen oftmals ihre bewusst und fortlaufend die biografisch-kulturelle Di- nen Homosexualität (internalisierte Homonegativität) wahre Identität. Gesundheitliche Risiken und deren mension in der Pflegesituation mitberücksichtigen; m. führt. Sie schämen sich für ihr sexuelles Begehren bzw. Folgen bleiben entsprechend unbeachtet. Die Angst a. W. dass Sie Mehrfachzugehörigkeiten beachten, Wis- ihren Körper und ihre Biografie.10 „Internationalen Stu- vor Autonomieverlust ist vor diesem Hintergrund bei sen über die Lebenserfahrungen haben, die besondere dien zufolge wirken sich direkte und indirekte Diskri- LSBTI* stärker ausgeprägt. Der Verbleib in der eigenen Vulnerabilität von LSBTI* erkennen, die Auswirkung minierungs- und Gewalterfahrungen („Minderheitens- Häuslichkeit hat daher für LSBTI* einen besonders ho- von Minderheitenstress verstehen, Antidiskriminierung tress“) auf die psychische und physische Gesundheit hen Stellenwert. in der Pflege praktizieren und eine Willkommenskultur von Lesben und Schwulen aus […]. Dies äußert sich dar- schaffen. in, dass Lesben und Schwule häufiger als Heterosexuelle Im Pflegekontext kommt es mitunter auch vor, dass die von Depressionen, Ängsten, Suizidgedanken, Suiziden Wahlfamilie als solche nicht wahrgenommen wird. Part- Im folgenden Abschnitt erläutern Lesben, Schwule, sowie von Substanzmissbrauch betroffen sind.“11 Auch ner*innen werden zum Teil nicht als primäre Bezugs- Bisexuelle, Trans* und Inter* selber, was sie von einer in US-amerikanischen Studien wird bei LSB-Senior*in- personen identifiziert und relevantes Wissen über die guten Pflege erwarten, bevor wir später ausführlicher nen von einem höheren Alkoholkonsum und häufigeren zu pflegende Person fließt nicht in die Pflegeanamnese darauf eingehen, welche Voraussetzungen für eine di- psychischen Erkrankungen ausgegangen, die negative mit ein. LSBTI* sind eine besonders vulnerable Grup- versitätssensible Pflege bestehen müssen. Folgen für chronische (Alters-) Erkrankungen nach sich pe, die insbesondere im Alter auf kenntnisreiche und ziehen.12 Des Weiteren ist davon auszugehen, dass LSB respektvolle Pflege angewiesen ist. Für eine gute Pfle- ein höheres Risiko haben an Demenz zu erkranken.13 ge von LSBTI* ist daher eine diversitätssensible Pflege, Ähnliches gilt auch für trans* und inter* Personen. d. h. eine Pflege, die individuelle Bedarfe berücksichtigt, zentral. Im Aktionsfeld 4 und 5 erhalten Sie weitere Informa- 16 tionen zum Thema LSBTI* und Gesundheit, v. a. zum 17 © M. Pulver
Befragungen zeigen, dass LSBTI* von Diskriminierung lassen. Wir haben Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* in der Pflege ausgehen. Sie wünschen sich, offen zu le- und Inter* gefragt, was sie sich von der Pflege wünschen ben und hoffen auf sensibilisierte Angebote.16 In diesem und welche Befürchtungen sie hegen. Leitfaden möchten wir Ihnen die Menschen, um die es geht, direkt vorstellen und sie selbst zu Wort kommen Lesen Sie hier ihre Antworten: GABRIELE Wenn ich einmal pflegebedürftig werden sollte, dann wünsche ich mir, in einer Pflegeeinrichtung zu wohnen, in der mehrheitlich Frauen leben und es mehr lesbische Pflegerinnen gibt. Es ist mir auch wichtig, von Frauen ge- pflegt und gewaschen zu werden. Wenn ich mich als lesbisch oute, möchte ich sicher sein, dass ich nicht diskriminiert werde. Diese Erfahrung habe ich ein Leben lang gemacht. Ich bin müde, mich immer rechtfertigen zu müssen, dass ich nicht verheiratet bin und keine Kinder habe. Am besten wäre es in einer Einrichtung zu leben, die betreutes Wohnen und Pflege anbietet, so dass ich, wenn ich pflegebedürftig werde, im gleichen Haus bleiben kann. Die Einrichtung sollte auch zentral gelegen sein, damit mich meine Freundinnen © E. Obernauer besuchen können. BURKHARD MILLY UND VERENA Mir ist wichtig, dass Wir wünschen uns ich so bin, wie ich bin von den Pflegekräf- und andere so lassen ten, dass sie freundlich kann, wie sie sind. und witzig sind! © M. Pulver © Privat 18 19
DORO*(THEA) UND FREYJA PE* JUSTINE Wir möchten soweit wie irgend möglich selbst entscheiden können, was wir Was ich mir von einer Pflege-Einrichtung verspreche und erhoffe, ist die ge- wollen und brauchen und wie. Sei es vegetarisches Essen oder individuel- und erlebte Vielfalt der dort lebenden und auch der dort arbeitenden Men- le Kleidung, sei es Beschäftigung mit Computer oder Strickwolle, egal, wir schen. entscheiden. Wir möchten, dass unsere individuelle Würde respektiert wird, unsere Schamgrenzen nicht ignoriert werden und wir gehört werden, wenn Gerade an einem solchen Ort kann ein respektvolles Miteinander, die Akzep- wir kommunizieren, mit Worten oder Körpersprache. Dazu gehört auch der tanz, die Anerkennung sowie die Toleranz des Gegenübers Wesentliches be- Respekt vor unserer geschlechtlichen Identität. Wir möchten als Paar zusammenleben und mit unseren wirken. Menschen so zu nehmen, wie sie sind, ist eine große Herausforderung Bedürfnissen als Paar respektiert werden. Wir wünschen uns Pflegekräfte, die uns als Personen behandeln aber auch eine Bereicherung für beide Seiten, und es berechtigt ebenfalls zum und wertschätzen mit unseren Macken und Bedürfnissen, die sich selbst und ihre Grenzen kennen und unverbogenen Ausleben der eigenen Ansprüche, des eigenen Seins. ernst nehmen, nur dann können sie uns gut behandeln. Ich für meine Person freue mich, dass die Gesellschaft, langsam aber stetig, Wir befürchten, dass Pflegekräfte, die überfordert sind, Zeitplänen folgen, für jeden Handgriff eine Form sich von Schwarz/Weiß-Prägungen trennt und begreift, dass die Welt bunt ist, denn alle Menschen sind im Kopf haben, die uns und unsere Bedürfnisse nicht ernst nehmen, nicht wertschätzend, individuell und einmalig. Wir, mit unseren jeweiligen Stärken und Schwächen, unseren Bedürfnissen, unseren Talenten, biografisch arbeiten können mit abhängigen Personen wie uns. Wir befürchten, nicht gehört zu werden, unseren Körperlichkeiten und unseren Lebensläufen sind eine Bereicherung für uns, die Gesellschaft, egal, nicht frei wählen und entscheiden zu können, ausgeliefert zu sein bei Pflege, die nur die Liste der Leu- ob wir queer oder hetero sind, welches Geschlecht und welche sexuelle Orientierung wir haben! Haupt- te auf der Station jeden Tag abarbeitet. Wir befürchten Ablehnung und Diskriminierung aufgrund „nicht sache wir sind menschlich! Es kann und sollte eine Freude sein, dort zu wohnen und dort zu arbeiten. Ich normgerechter“ Körperlichkeit und Misgendering. Wir fürchten uns vor den Pflegekräften, die lieber einen bin gespannt, wie ich es eines Tages aufnehme und wie ich aufgenommen werde, wenn auch ich nicht mehr anderen Job hätten, uns wie ein lästiges Stück Fleisch behandeln und mit Nichtachtung und ohne Respekt alleine klar komme und dann in eine Pflegeeinrichtung einziehe! behandeln. BERND GUIDO Vor allem wünsche ich mir, nicht pflegebedürftig zu werden. Weil ich das nicht Ich möchte im Falle der Pflegebedürftigkeit, die ja mit einer Abhängigkeit ein- ausschließen kann, hoffe ich auf eine Pflege, die in der Lage ist, sich auf mich hergeht, freundlich zugewandt dennoch sachlich und ohne Brimborium ver- als den Menschen zu beziehen, der ich bin. Das heißt in meinem Fall, auf mich sorgt werden. Sollte ich wider Erwarten unleidlich, vielleicht gar bösartig sein, als schwulen Mann, als Ergebnis meiner lebenslangen homosexuellen Orien- hoffe ich auf kompetente Pfleger die in der Lage sind mit den Schrullen eines tierung und Identität. Sie verbergen zu müssen, käme für mich nicht infrage, unzufriedenen Alten umzugehen. „Wie geht’s uns denn heute, jetzt wollen wir nachdem ich mich ein Leben lang dafür eingesetzt habe, das zu vermeiden und mal Windeln wechseln“ oder „jetzt wird mal schön gegessen“, hoffe ich nicht weil ich genügend Beispiele dafür kenne, wie entwürdigend und demütigend hören zu müssen. Meine größte Sorge ist tatsächlich die, von mütterlichen dies für die Betroffenen ist. Zur Erhaltung meiner Lebensqualität bin ich da- oder väterlichen Typen in der Verniedlichungsform oder in Kindersprache ähn- rauf angewiesen, mir die Teilnahme am sozialen Leben zu bewahren und mich lichem Ton behandelt zu werden. Ebenso das Gegenteil, etwa rigide, zwanghaft nicht aus ihm ausgeschlossen zu erfahren. eine Vorstellung wie es zu sein hat durchsetzen wollen, gar Gewalt anwendend. Meine Furcht besteht darin, nicht mehr in der Lage zu sein, mein Leben, also meinen Alltag selbst zu gestal- Fazit: Ich hoffe auf Kompetenz im Sinne von Wertschätzung Achtung und Respekt und gut geschultes, ten. Wenn das der Fall sein sollte, was ich nicht ausschließen kann, hoffe ich auf die Unterstützung durch menschliches Personal mit Liebe, Lust und guter Laune. Professionalität heißt das Schlüsselwort, gleich- Pflegekräfte, die den Menschen und nicht Pflegefall in mir erblicken, den sie zu bewältigen haben. Ich ken- wohl weiß ich um die mehrdeutige Interpretation dieser Begrifflichkeit. Mit schwierigen Kunden umgehen ne gute Beispiele dafür, wie im Fall der Pflege-WG im „Lebensort Vielfalt“ in Berlin-Charlottenburg, in der wird mit Kreativität und Besonnenheit bestimmt möglich sein. Ich gehe davon aus, selbst keiner zu sein, das gut funktioniert und hoffe, dass das auch in meinem Fall eines Tages klappen wird, in welchem Zusam- aber „wääß mers“ und wenn doch bestimmt händelbar bei entsprechender Zuwendung und gutem Willen. menhang auch immer. Mein Wunsch besteht darin, dass sich nicht nur explizit queere Pflegeeinrichtungen Nun noch abschließend, was mir besonders wichtig ist: Ich wünsche mir unabhängig vom Geschlecht pfle- um eine den Menschen entsprechend Pflege bemühen, sondern dass queere Menschen zunehmend auch gendes Personal mit dem Ideal ausreichend gut für ihre Schutzbefohlenen zu sorgen. Biografische Kennt- in traditionellen Pflegeinrichtungen davon ausgehen dürfen, die ihnen entsprechende Aufmerksamkeit zu nisse halte ich für unabdingbar. Neigungen, Vorlieben, Interessen, Wünsche und Bedürfnisse, Kommunika- finden. tionsstrukturen vielleicht auch eine etwaige Glaubenshaltung, überhaupt die Lebenshaltung sollte im Team und damit den betreuenden Personen bekannt sein. Ich denke, über eine Patientenverfügung wird dabei bereits einiges klar. Sinnvoll wäre natürlich vor einer Aufnahme solche Dinge zu erfragen, evtl. auch mit Angehörigen und Freunden zusammen, wenn das Sinn macht und vom Bewohner gewünscht wird. 20 21
5. Um Nachhaltigkeit zu gewährleisten, empfehlen wir Ihnen die Implementierung auf unterschiedlichen Or- ganisationsebenen. Wesentlich dabei ist auch die Ver- ankerung im Qualitätsmanagement (QM) Ihrer Ein- SCHRIFT Leitbild Ein Leitbild ist wesentlich für Unternehmen. Es hat die WIE DIE richtung. Stellen Sie sicher, dass LSBTI*-kultursensible Funktion das Selbstverständnis, Wertevorstellungen, Pflege in der Struktur, - Prozess- und Ergebnisqualität sowie Ziele einer Organisation transparent zu machen abgebildet ist. Wägen Sie auf Basis Ihrer Ressourcen und dient als Orientierung für Mitarbeitende, aber auch ab, bei welchen Aktionsfeldern und Maßnahmen Sie für Bewohner*innen und Klient*innen. Stellen Sie daher Schwerpunkte setzen möchten und identifizieren Sie sicher, dass Vielfalt im Leitbild verankert ist und benen- Kernprozesse für Ihr QM. nen Sie LSBTI* als Anspruchsgruppe explizit. Weisen VIELFALT Sie zum Beispiel darauf hin, dass Sie kultursensible Pfle- ge auch für LSBTI* umsetzen. Potentielle LSBTI*-Mit- KOMMUNIKATION: arbeitende bzw. -Klient*innen sind darin geübt, nach Hinweisen Ausschau zu halten, die eine offene Haltung VIELFALT DURCH andeuten. Platzieren Sie Ihr Leitbild an einem zentralen SCHRIFT, WORT UND Platz in Ihrer Einrichtung oder in Ihren Büroräumlich- SICHTBAR UND BILD DARSTELLEN keiten, sowie online auf Ihrer Website, um das Leitbild allen bekannt zu machen. Eine weitere Möglichkeit ist, In den LSBTI*-Communities hat sich eine bestimmte dass Leitbild als Anlage des Pflegevertrages bzw. Ar- Kultur entwickelt, die wie in anderen Kulturen auch, beitsvertrages auszuhändigen. in den vorherrschenden Wertevorstellungen, Struktu- ren und in der Sprache und Symbolen zum Ausdruck Gendersensible Sprache LEBENDIG WIRD kommt. Aufgrund der Tatsache, dass Sprache die Wahrneh- mung lenkt, ist der Gebrauch einer gendersensiblen Wie in Kapitel 3 ausführlich dargestellt, wird das The- Sprache eine einfache und wirkungsvolle Möglichkeit, ma sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Pflege geschlechtliche Vielfalt, d. h. auch weibliche, inter* und oft noch tabuisiert. Pflegebedürftige LSBTI* sind häufig nicht-binäre Personen sichtbar zu machen, Identifika- unsichtbar und ihre Identität wird nicht wahrgenom- tion zu ermöglichen und zur Geschlechtergleichstellung men. Damit Vielfalt in einer Einrichtung gelebte Reali- beizutragen. Sprache ist in ständiger Veränderung und tät wird, ist eine selbstverständliche Repräsentation von passt sich den Lebensumständen an. Wir empfehlen die sexueller und geschlechtlicher Vielfalt essentiell. Verwendung des Gender-Sternchens (Asterisk), das als Im folgenden Abschnitt erhalten Sie Anregungen zur praktischen Umsetzung Platzhalter fungiert und Raum für weitere Selbstbe- diversitätssensibler Pflege in Ihrer Einrichtung. Die Aktionsfelder sind in sechs Wichtig dabei ist, dass es nicht um einen Sonderstatus schreibungen gibt. Themenblöcke gegliedert. Für eine bessere Umsetzung ist jedem Aktionsfeld eine für LSBTI* geht, sondern um deren Inklusion. Werden in der Unternehmenskommunikation LSBTI* berück- Weitere Möglichkeiten sind der Gender-Gap (Unter- Checkliste beigefügt, die Ihnen dabei hilft, zu überprüfen, welche Voraussetzungen sichtigt, führt das dazu, dass sich LSBTI* angenommen strich), eine geschlechtsneutrale Formulierung oder Sie schon erfüllen und die Ihnen vorschlägt wie Sie konkret vorgehen können. fühlen. Für LSBTI* bedeutet Repräsentation in Schrift, Abkürzungen. Wort und Bild, dass es sich um eine Pflegeeinrichtung Weiterführende Informationen zu den einzelnen Aktionsfeldern finden Sie handelt, die sich mit ihren Bedarfen auseinandergesetzt hat, die Diskriminierung erkennt und eingreift, letztlich, Gender-Sternchen: Pfleger*in am Ende des Leitfadens. dass es sich um eine LSBTI*-freundliche Einrichtung Gender-Gap: Pfleger_in handelt, in der es möglich ist, offen über sexuelle und Geschlechtsneutrale Formulierung: geschlechtliche Identität zu sprechen. Pflegekraft, Pflegende Abkürzung: PK HINWEIS: Wie es Ihnen gelingt, Vielfalt in Dokumenten und Bil- Eine weitere Möglichkeit den Status Quo Ihrer Einrichtung zu prüfen, bietet Ihnen der Diversity dern sichtbar zu machen, und was Sie bei der Gesprächs- Check – eine umfassende Checkliste, die Sie unter www.qualitaetssiegel-lebensort-vielfalt.de finden. führung beachten sollten, erfahren Sie im Folgenden: 22 23
Veraltete Möglichkeiten, die geschlechtliche Vielfalt Neben der Berücksichtigung geschlechtlicher Vielfalt nicht umfassend darstellen, sind die zweigeschlecht- HINWEIS: in der Gesprächsführung, ist die Berücksichtigung der HINWEIS: liche Benennung (Pfleger und Pflegerinnen), das Bin- Die Vorauswahl von Kategorien ist bei vielen sexuellen Vielfalt ebenso wichtig. Bedenken Sie, dass Die Umstellung auf eine gendersensible (An) nen-I (PflegerIn), die Klammer (Pfleger(innen)) oder Pflegesoftware-Anbietern nach wie vor he- LSBTI* beim Kennenlernen neuer Menschen immer Sprache ist ein Prozess und benötigt Zeit. der Schrägstrich (Pfleger/in). teronormativ geprägt. Offene Anmerkungs- vor der Frage des Outings stehen und für sich abwägen Erstellen Sie im Team, mit einer Arbeits- felder können als Zwischenlösung verwendet müssen, ob ein Outing sicher ist oder ob es zu Diskri- gruppe, dem Qualitätszirkel, Ihren eigenen Stellen Sie sicher, dass Sie gendersensible Sprache ein- werden. minierung führt. Diese Situation insbesondere im Kon- Sprach-Leitfaden, um Unklarheiten aus dem heitlich und konsequent anwenden. Überprüfen Sie text der Pflegebedürftigkeit ist für LSBTI* mit enormen Weg zu räumen und Mitarbeitende mitzu- Ihre Arbeitsdokumente (QM-Dokumente, Leitbild, Stress verbunden (Minderheitenstress). Schaffen Sie nehmen. Eine gute Umsetzung gelingt, wenn Arbeitsanweisungen, Prozessbeschreibungen etc.), Öf- WORT daher eine offene Atmosphäre, die es LSBTI* erleich- Sie gendersensible Sprache in Ihrem Alltag fentlichkeitsmaterialien (Flyer, Homepagetext, etc.), tert, sich im Aufnahmegespräch oder bei der Biografie- integrieren und so als Leitungskraft Vorbild Anschreiben u. a. und passen Sie die Dokumente ggf. Auch in der gesprochenen Sprache kommt gendersen- arbeit zu outen. Dies gelingt beispielsweise, indem Sie für Ihre Mitarbeitenden sind. an. sible Sprache zur Anwendung. Das Gender-Sternchen offene Fragen stellen und nicht etwa Fragen, die Hete- kann durch eine kurze Pause zum Ausdruck gebracht rosexualität implizieren. Fragen Sie Frauen nicht mehr Gendersensible Sprache in Texten und Dokumenten be- werden. Beispiel: „Bewohner [Pause] innen“ automatisch nach ihrem Ehemann oder Männer nicht Pride-Fahnen) oder Abbildungen in Regenbogen- trifft im Kontext der Pflege vor allem die Geschlechts- automatisch nach ihrer Ehefrau, sondern nach wichti- optik, um LSBTI*-Freundlichkeit darzustellen. abfrage beispielsweise in personenbezogenen Doku- Achten Sie insbesondere bei Ansprachen an Gruppen gen Beziehungen. Offene Fragen machen es Klient*in- menten, wie z. B. Stammdatenblätter (von Klient*innen auf die Benennung der Geschlechtervielfalt. Vermeiden nen und Bewohner*innen leichter, über ihr Leben zu Wird die Außendarstellung mit Fotos gestaltet, können und Mitarbeitenden). Die Auswahlmöglichkeiten bezo- Sie Sätze wie „Sehr verehrte Damen und Herren“ und sprechen, das möglicherweise anders als das der Mehr- beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare gezeigt wer- gen sich bisher in den allermeisten Fällen auf männlich verwenden Sie inklusive Anreden, wie „Sehr verehrte heitsgesellschaft verlaufen ist. Stellt sich dabei her- den. Achten Sie auf die Heterogenität von LSBTI* und oder weiblich. Spätestens seit dem Urteil des Bundes- Teilnehmende“. aus, dass Personen gleichgeschlechtliche Beziehungen machen Sie weitere Vielfaltsmerkmale wie zum Bei- verfassungsgerichtshofes 2017, wonach ausschließlich haben oder hatten, dann übernehmen Sie die Begriffe spiel Alter, Hautfarbe und Behinderung sichtbar. Eine binäre Einträge (weiblich und männlich) im Geburten- Ziehen Sie auf Basis des Aussehens, des Namens, der der sexuellen Orientierung, mit denen sich die Bewoh- gleichwertige Darstellung aller Personen ist das Ziel. register gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Stimme oder sonstiger Merkmale keine Rückschlüsse ner*innen selbst identifizieren. Beschreibt sich eine Be- Vermeiden Sie stereotype Klischees (z. B. Leitungs- Diskriminierungsverbot verstoßen, sollten sich Pflege- auf die Geschlechtsidentität bzw. auf das gewünschte wohnerin als frauenliebend, sollten Sie nicht den Begriff team ist männlich, Pflegekräfte sind weiblich etc.) und einrichtungen mit der Einführung einer dritten Ge- Pronomen einer Person. Wenn Sie in Kontakt mit ei- lesbisch verwenden, da dieser u. U. für diese Frau nega- reproduzieren Sie nicht LSBTI*- feindliche und rassis- schlechtsoption auseinandersetzen. 2018 wurde vom ner unbekannten Person treten (z. B. neue*r Klient*in), tiv konnotiert sein kann. tische Darstellungen. Fehlen diversitätssensible Abbil- Bundeskabinett ein Gesetzesentwurf beschlossen, der fragen Sie nach der gewünschten Ansprache und nach dungen in Ihrem Unternehmen, setzen Sie Ihrer Kreati- den Eintrag einer dritten Geschlechtsoption in das Ge- gewünschtem Pronomen. So schaffen Sie insbesondere Beachten Sie auch, dass LSBTI* häufig Ablehnung vität keine Grenzen. Veranstalten Sie ein Fotoshooting burtenregister möglich macht. Mit dem Eintrag „divers“ bei der Aufnahme neuer Klient*innen Vertrauen und si- von ihrer Herkunftsfamilie erfahren haben, für vie- mit Ihren Mitarbeitenden und Bewohner*innen. Fotos, sollen inter* Personen anerkannt werden. gnalisieren Respekt gegenüber geschlechtlicher Selbst- le LSBTI* sind daher Freund*innen, die sogenannte die Vielfalt abbilden, finden Sie aber auch auf Foto- bestimmung. Verankern Sie geschlechtliche Selbstbe- Wahlfamilie, das wichtigste Unterstützungssystem. stock-Datenbanken. Suchen Sie nach Begriffen wie Stellen Sie sich für Ihre Einrichtung die Frage, inwiefern stimmung in Ihrem QM. Überprüfen Sie entsprechend Stammdatenblätter „queer“ oder „LGBTI und Alter“. es überhaupt nötig ist das Geschlecht Ihrer Klient*in- oder Biografiebögen und ergänzen Sie neben Begrif- nen und Mitarbeitenden zu erfassen. Erachten Sie eine In Bezug auf die Anrede im Schriftverkehr (Briefe, fen wie Angehörigen auch „die Wahlfamilie“, um viel- Eine weitere Option Diversitätssensibilität in der on- Geschlechtserfassung als notwendig, dann können Sie E-Mails) gibt es eine Vielfalt an genderneutralen Be- fältige Lebensrealitäten sichtbar zu machen. Gestalten line Außendarstellung deutlich zu machen, ist die Ver- das Antwortfeld offen lassen oder auch Mehrfachant- grüßungsformen: Sie die Informationssammlungen so offen wie möglich. linkungen zu entsprechenden Veranstaltungen oder worten zulassen. Mindestanforderung ist die Aufnahme LSBTI*-Organisationen. einer dritten Option. Guten Tag/Morgen/Abend (Vorname Nachname) Sehr geehrte*r (Vorname Nachname) BILD Nähere Informationen für die Verbesserung der Sicht- Hallo (Vorname Nachname) barkeit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt innerhalb Geschlecht: Seien Sie gegrüßt (Vorname Nachname) Die Repräsentation von LSBTI* mittels Abbildungen ist von Pflegeeinrichtungen und Details zur Gestaltung in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit äußerst relevant. einer LSBTI*-freundlichen Infrastruktur in Unterneh- In Ihrer E-Mail Signatur können Sie Ihr Vorgehen er- Identifizieren Sie die wichtigsten Medien (Flyer, men (z. B. Beschilderungen) finden Sie im Aktionsfeld Geschlecht: läutern und nach der künftig gewünschten Anrede fra- Homepage, Social Media) in Ihrem Unternehmen Wohn- und Lebenswelten. divers weiblich männlich gen (z. B.: Wir benutzen eine inklusive Grußformel, weil und nehmen Sie LSBTI* in Ihrer Bildsprache mit wir gerne alle Menschen mit Ihrer bevorzugten Anrede auf. Passend zu Ihrer Unternehmenskultur können ansprechen möchten. Wenn Sie mit einem konkreten LSBTI*-Lebenswelten durch Symbole, Grafi- Pronomen angeschrieben werden möchten, teilen Sie ken oder Fotos dargestellt werden. Verwen- uns das gerne mit). den Sie beispielsweise die Regenbogenfahne (o. ä. 24 25
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