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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Monday, May 31, 2021
PRESS REVIEW Monday, May 31, 2021 Rbb Kultur, PBS Konzerte im Rahmen des Berliner Pilotprojekts „Perspektive Kultur“. Pierre Boulez Saal: Quatuor Diotima Der Tagesspiegel, PBS Mit Schubert unterwegs in die Gegenwart: das Quatuor Diotima spielt im Boulez Saal vor Publikum Der Tagesspiegel, PBS Klassik vor Publikum im Pierre Boulez Saal Berliner Zeitung, PBS Volksmusik mit Symbolwert. Danish String Quartet im Boulez-Saal Hundert 11, PBS Frischdesolat: Quatuor Diotima im Boulezsaal The New York City Jazz Record, PBS „Love Longing Loss” At home with Charles Lloyd during a year of the plague. Directed by Dorothy Darr Rhein-Neckar Zeitung, DIVAN, DB Das Leben kehrt zurück in eine verwundete Stadt Frankfurter Allgemeine Zeitung Das Beste in Hamburgs Oper seit Langem: Händels „Agrippina“ mit Julia Lezhneva Die Welt Sieben Mal musste die Premiere verschoben werden. Nun gab es wieder sprühenden Livetanz in Hamburg: John Neumeiers „Beethoven-Projekt II“ Frankfurter Allgemeine Zeitung Das Mozartfest Würzburg wird hundert Jahre alt
Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Konkurrenz von Beethoven Bavouzet erweckt sie neu Berliner Morgenpost Die Ausstellung „Scratching the Surface“ in den Rieck-Hallen am Hamburger Bahnhof Frankfurter Allgemeine Zeitung Neoklassik gilt als Musik zum Meditieren. Künstler wie Robert Ames oder das Duo Grandbrothers beweisen, dass es auch avancierter geht Der Tagesspiegel Digital ist schlechter: Eindrücke von den Preisverleihungen und dem Lesefest in Leipzig Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Buchmesse in Leipzig trotzt Corona
31.5.2021 Konzerte im Rahmen des Berliner Pilotprojekts „Perspektive Kultur“ - Pierre Boulez Saal: Quatuor Diotima | rbbKultur Kultur erleben und Klassik hören > Programmübersicht > Sendeschema > Der Morgen Mo 31.05.2021 | 08:10 Konzerte im Rahmen des Berliner Pilotprojekts „Perspektive Kultur“ Pierre Boulez Saal: Quatuor Diotima Ein Gespräch mit Clemens Goldberg Im Pierre Boulez Saal gibt es wieder Live-Musik vor Publikum: Mit zwei Konzerten beteiligt sich der von Frank Gehry entworfene Saal am Berliner Pilotprojekt „Perspektive Kultur“. Das Danish String Quartet mit Werken von Franz Schubert, John Adams, Marc-Antoine Charpentier, Felix Blumenfeld und skandinavischer Volksmusik zu hören und das Quatuor Diotima mit Musik von Pierre Boulez, Alban Berg und Franz Schubert. Clemens Goldberg berichtet von diesen beiden Konzerten. Beitrag hören https://www.rbb-online.de/rbbkultur/radio/programm/schema/sendungen/der_morgen/archiv/20210531_0600/kultur_aktuell_0810.html 1/1
Internet Quelle: Tagesspiegel online, Der vom 30.05.2021 (Internet-Publikation, Berlin) AÄW: 44.916 € Visits: 67.373.531 Reichweite: 2.245.784 Autor: Ulrich Amling Weblink Meister in seinem Saal Mit Schubert unterwegs in die Gegenwart: das Quatuor Diotima spiel im Boulez Saal vor Publikum. Seit 25 Jahren der Moderne auf der Spur: das Quatuor Diotima. FOTO: FRANÇOIS-ROUSSEAU Noch findet, wer online nach dem Boulez Saal sucht, den Hinweis: vorübergehend geschlossen. Die beiden Konzerte, die dort als Bruchteil der weitgehend abgesagten Quartettwoche stattfinden, sind eine Ausnahme im Rahmen des. Es ist eine Übung für alle Beteiligten, wie man am zweiten Abend mit dem Quatuor Diotima spürt. Ohne Geduld, Rücksicht und Verantwortung kann es keine geschützten Räume geben, und das gilt auch, wenn das Virus einmal zurückgedrängt sein sollte. Der Ruf eines Zuhörers zwischen Werken von Boulez und Berg macht es deutlich: „Behalten Sie doch Ihre Maske auf, so wie alle anderen hier auch.“ Übereinkommen als Kulturleistung. Die Dramaturgie des Abends stellt abermals ein Quartett-Großwerk von Schubert ins Zentrum des Boulez Saals, doch anders als beim am vergangenen Mittwoch, folgt auf das Monument keine frei- schwingende Folge von Tänzen. Das französische Quatour Diotima spielt das, wofür es seit nun- mehr 25 Jahren bekannt ist: zweite Wiener Schule und Musik der Gegenwart. Das bringt naturge- mäß eine andere Zuhörhaltung mit sich, denn nur wenigen zuckt bei Boulez‘ Livre pour Quatuor der Fuß. Die aktuelle Programmumstellung, mit der Schubert aus dem Mittelteil an dem Kopf wandert, verschärft diesen Kontrast zusätzlich. Komprimierte Augenblicke und eine kühle Affäre Schuberts „Rosamunde“-Quartett beginnt wie seine „Unvollendete“ mit geradezu filmischer Dichte wie aus dem Nichts, es ist unmöglich, sich seiner Wirkung zu entziehen. Doch mit dem Voran- schreiten, in den weiten Sangesbögen und jähen Abbrüchen, wird zunehmend offenbar, über wel- che klanglichen Mittel die Interpreten eigentlich verfügen. Und hier wirkt das Quatour Diotima oft blass und auch kurzatmig, so dass sich kaum Spannung aufbauen kann. Blitzlichtartig flackert das tiefe Verständnis für harmonische Grenzgänge auf, die romantische Gesamtkonstruktion bleibt den- noch unterbelichtet. Die zerlesenen, von intensiver Beschäftigung gezeichneten Noten von Boulez‘ Livre pour Quatuor, noch zusammen mit dem Komponisten erarbeitet, klingen unter den Händen des Quatour Diotima mit Abstand am lebendigsten. Der „komprimierte Augenblick“, der Boulez vorschwebte – wurde er für Augenblicke Klang. In Bergs Lyrischer Suite hingegen, als Psychogramm einer Affäre auf atem- lose Steigerung angelegt, rieselt herbstliche Kühle ein. Wieder draußen auf der Straße kreisen Ge- spräche um gastronomische Terrassen mit Heizstrahlern. 7
31.5.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476517/24-25 Samstag, 29.05.2021, Tagesspiegel / Kultur Wir sind wieder hier Klassik vor Publikum im Pierre Boulez Saal Von Frederik Hanssen Nein, das Stillsitzen haben sie nicht verlernt in den langen Monaten des Lockdowns. Die Besu- cherinnen und Besucher, die sich am Donnerstagabend im Pierre Boulez Saal versammelt ha- ben, um am Pilotprojekt zur Öffnung der Berliner Bühnen teilzunehmen – mit negativem Coro- natest und FFP2-Maske auch während der Darbietung –, sie umhüllen das Danish String Quartet geradezu mit ihrer Aufmerksamkeit, schaffen einen Kokon der kollektiven Konzentration. Schuberts letztes Streichquartett von 1826, ein monumentales Opus von 45 Minuten Spieldauer, gehen die Herren aus Kopenhagen ohne falsche Ehrfurcht an. Ein drängender Puls dominiert in den schnellen Sätzen, klares, nordisches Licht durchflutet das Stimmengeflecht. Aber wenn es leise wird, kann der warme, dichte Zusammenklang von Frederik Öland, Rune Tonsgaard Sören- sen, Asbjörn Nörgaard und Fredrik Schöyen Sjölin auch mal ganz hy ge werden. So aufgeklärt und geradlinig ist diese Schubert-Interpretation angelegt, dass im Andante selbst die Geisterstimmen, die im Hintergrund der Melodielinie beständig seufzen, pochen oder höh- nisch lachen, ihre Bedrohlichkeit verlieren und eher an das mittsommernächtliche Treiben von Kobolden erinnern. Weil die Dänen in ihrer Konzertpraxis festgestellt haben, dass Meisterwerke intensiver wirken, wenn sie für sich allein stehen, folgt im zweiten Teil des pausenlosen Abends kein weiterer Mei- lenstein der Quartettliteratur, sondern: Tanzmusik. Als geistreicher Mix, bei dem die vier Strei- cher zu Klassik-DJs werden. Musik aus vier Jahrhunderten haben sie in die traditionelle Form einer Suite gebracht, die ästhetisch aber alle Erwartungshaltungen sprengt. Barockes trifft auf Minimal Music, archaischer Tanzkapellenklang reibt sich an weihevoller Romantik, vertrackte Stolperrhythmen von John Adams wechseln mit dem strengen Tonsatz von Marc-Antoine Charpentier. Intelligent ist das gedacht und in der Live-Ausführung mitreißend gemacht. Ebenso wie die Ei- genarrangements skandinavischer und irischer Volksmusik, die als Finale folgen – und das zu- vor so fokussiert lauschende Publikum zum Jubeln, Johlen und Fußtrampeln bringen. Frederik Hanssen https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476517/24-25 1/1
Print Quelle: Berliner Zeitung vom 31.05.2021, S.15 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Berlin) Auch in: 1 weitere Quelle » Reichweite: 177.545 Ressort: Feuilleton Auflage: 82.579 Autor: Peter Uehling Quellrubrik: Feuilleton Volksmusik mit Symbolwert Danish String Quartet im Boulez-Saal G ibtnormale es nun doch noch ein bisschen Konzert- und Opernsai- das Konzert mit Schuberts letztem Quartett in G-Dur, einem der epischs- sein eigenes Idiom – und damit wären wir beim Symbolwert des Konzerts: son? Am Donnerstag durfte der Pi- ten Werke der Gattung. Es spielt diese Das Danish String Quartet ist eines erre-Boulez-Saal seine Türen für ein fast orchestral verfasste Partitur virtu- der Ensembles, die nicht länger nur Konzert des Danish String Quartet os und ein wenig kühl, und es wird Medium für Meisterwerke des Reper- öffnen. nicht ganz klar, ob diese Kühle Inter- toires sein wollen, sondern deren Stil Es war ein Programm mit Symbol- pretation ist oder zusammenhängt produktiv wird. wert. Hervorragende Quartett-Forma- mit der leicht müffelnden Poetik des tionen gibt es mittlerweile in großer Stücks. Mitreißende Qualität Zahl, nun entsteht auf dem umkämpf- Die wesentlich interessantere zwei- Das zeigten einige Bearbeitungen ten Markt ein Repertoire-Problem. te Hälfte versammelte kurze Stücke zu skandinavischer Volksmusik, die das Jedes Ensemble wirft seine Beetho- einer "Alleged Suite", die in drei Tei- Ensemble selbst erstellt und auf zwei ven-Box auf den Markt, danach ein len aus Stücken aus "John’s Book of CDs vorgestellt hat. In ihnen werden paar Schubert-Quartette, Mendels- Alleged Dances" von John Adams be- dem Quartettklang Facetten abgewon- sohns Opera 12 und 13 und je nach stand: Fulminante Musik, die den nen, die in neuer Musik, die den Dis- modernem oder romantischem Komplexitäts-Zwang der Gattung läs- kurscharakter der Gattung radikali- Selbstbild die Quartette von Bartók sig zur Seite schiebt und den Quartett- siert hat, weitgehend brachlagen. und Berg oder die gerade etwas modi- Klang elegant zum Thema macht: Die Dieser hochdifferenzierte und zu- schen von Schumann; Haydn und begleitenden Akkorde der "Pavane: gleich materialgerechte Klang ist es, Mozart werden nach Bedarf dazu ge- She’s so fine" spielt das Danish String der dem volkstümlichen Material und mischt: Das ist relativ vorhersehbar Quartet so sauber und idiomatisch, seiner schlagkräftig-einfachen Har- und ziemlich langweilig. dass man eine Mundharmonika zu monik eine verblüffend interessante hören glaubt. und dabei mitreißende Qualität ver- Fast orchestral Die weiteren Stücke von Marc-An- leiht. Man möchte sich vorstellen, Das 2002 gegründete Danish String toine Charpentier übersetzt das En- dass sich aus solchen Stücken "das Quartet bedient zwar auch den klassi- semble aus der barocken, für Gamben Quartett" – die musikalische Gattung schen Repertoire-Strang: Es begann gedachten Sprache geschmeidig in wie die Ensembles – erneuern könnte. Alle weiteren Quellen: Berliner Zeitung Online zum Anfang dieses Artikels zum Inhaltsverzeichnis 3
31.5.2021 Frischdesolat: Quatuor Diotima im Boulezsaal | Hundert 11 - Konzertgänger in Berlin Hundert 11 – Konzertgänger in Berlin mehr Ausdruck der Emp ndung als Kritik Frischdesolat: Quatuor Diotima im Boulezsaal Entcoronaisierung allüberall (ho nungsvoll), die Cafétische sind voll, die Parks sowieso, die Single gebliebenen Nachtigallen trällern sich die Seele aus der Brust – wer jetzt kein Weib hat, balzt sich keines mehr, schreibt Rilke, aber das wissen die Vögel ja nicht. Wir hingegen radeln beschwingt, frischgetestet und halbgeimpft zum Pierre-Boulez-Saal, wo pilotprojektweis‘ konzertiert wird. Großer Radlerpulk auf der noch immer peinlich radspurlosen Monsterfahrbahn Unter den Linden, einzig und allein der Tagesspiegelkritiker wartet gutbürgerlich aufs Ergrünen der ewig roten Ampel. Diotima ruft ihr Schnelltest-Ergebnis ab (zeitgenössische Darstellung) Das französische Diotima-Quartett ist vielgerühmte Expertin für neue Musik – und die erste Konzerterö nung nach langer Zeit mit Franz Schuberts „Rosamunde“-Quartett a-Moll grenzt an einen Missgri , einerseits programmplanerisch, andererseits auch interpretatorisch. Arg gep egt ießt der erste Satz dahin und zerfällt dadurch. Auch danach bleibts allzu behäbig, auch wenn der Klang leicht ist. Dann kanns gar nach Rokoko-Divertimento klingen, dieser Schubert ist verhalten in Verzwei ung wie Jubel und darum irgendwie kein Schubert. Es geht mir wie mit dem Beethovenspiel des großen Pierre-Laurent Aimard vor etwa zwei Jahren, ich emp nde es als Irrtum. https://hundert11.net/frischdesolat/
31.5.2021 Frischdesolat: Quatuor Diotima im Boulezsaal | Hundert 11 - Konzertgänger in Berlin Alles vergessen, als wir den Tempelbezirk der weisen Diotima betreten! Bei Pierre Boulez kommt man mit dem (unvermeidlichen) akkuraten Abzählen weiter als bei Schubert. Sinnlichkeit ereignet sich dann von selbst. Anno 2018 hörte ich am selben Ort die posthum komplettierte Endlos-Fassung von Boulez‘ Livre pour quatuor mit dem Arditti-Quartett, das grenzte damals an ehrfürchtige Quälerei. Ich schrieb ratlos: Erstaunlich, dass Boulez‘ hyperrationale Musik derart Vertrauenssache ist. Wer nicht gerade einen Serialismus-Lehrstuhl bekleidet, der kann nur darauf ho en, dass die vier Musiker nicht spaßeshalber alles von hinten nach vorn spielen. Oder aus Jux jeden siebten Ton weglassen. Doch beim Quatuor Diotima, das sich auf die Urfassung vulgo Keimzelle von 1948/49 beschränkt, vertraut und glaubt man bedingungslos. Und genießt, gerade weil es unendlos ist. Vor Beginn des pandemiebedingt pausen- wie bu etlosen neunzigminütigen Konzerts bewunderte ich den Handwasch-Guide in der Boulezsaaltoilette, hyperdeterminiert wie eine serialistische Arbeit des kontrollwütigen Namenspatrons. Gut, nach des Maîtres hochrationalen Plings und Tupfs die intensiven o enen Linien von Alban Bergs sechssätziger Lyrischer Suite (1925/26) zu hören, Meisterwerk der vorwärtsschreitenden Wiener Moderne wie des rückwärtssüchtigen post- n-de-siècligen Liebeskummers! Oh, das Raunen und Wuseln des Allegretto gioviale, ah, das heftige Brodeln von Sehnen und Leiden im Adagio appassionato, oh, die Blitze im Presto delirando, als itzten und euchten die weißen Mäuse aus den Streichinstrumentkorpussen (und gleich hernach kröche das Gewürm) – und schließlich ah, das ins totale Verlöschen führende Largo desolato. Da merkt man dolle, was einem gefehlt hat in der konzertlosen Zeit, in jeder Faser von Körper und Seele. Ohne FFP2-Maske wärs noch feiner auf Dauer, aber irgendwann wird auch das wieder. Entcoronaisierung, allüberall, ho en wir fest drauf. Weitere Kritik: Tagesspiegel https://hundert11.net/frischdesolat/
ON SCREEN Love Longing Loss Directed by Dorothy Darr by Kevin Canfield O ne day last spring, Charles Lloyd picked up a saxophone and walked into the woods near his California home, where he played some ruminative notes for an audience of one: his wife Dorothy Darr, an artist and filmmaker who’s been chronicling Lloyd’s career for decades. Lloyd, a National Endowment for the Arts Jazz Master who has recorded dozens of albums as a leader, had planned to conclude 2020 with two shows at Pierre Boulez Saal in Berlin. Instead, the pandemic forced him to stay home in Santa Barbara, playing and writing music on the piano, the tenor saxophone, the bass flute and the tarogato. Darr took the opportunity to make another in her series of documentaries about Lloyd. Shooting on a smartphone and other devices, she’s fashioned an appealing film about creativity amid crisis, as embodied by her 83-year-old husband. Commissioned by Pierre Boulez Saal, Love Longing Loss: At Home with Charles Lloyd During a Year of the Plague is a profoundly personal response to a significant moment in human history—and a movie with delightful footage of a robe-clad old- timer annotating sheet music. “The plague is upon us,” Lloyd says. He misses friends, fellow artists. He replenishes himself by writing and playing pieces that celebrate his ancestors. As a Black man who’s “also a copper man”—some of his forbears were Choctaw—Lloyd is moved to compose laments. Standing before a large painting of musicians and animals, he performs a powerful threnody on bass flute and maracas, strands of white hair poking out from beneath a knit cap. It’s a captivating scene, sonically and visually. Darr amplifies the theme with archival photos of racist crimes and segregated schools, interspersing the appalling images with footage of Marian Anderson, Rosa Parks and others who refused to let the bigots win. The segment gives way to footage of the Pacific lapping against a rocky shore, apt imagery given the eternal resolve demonstrated by those who’ve sought equal rights. Darr ’s winning nature scenes—along with the briny edge of the continent, she takes us to grassy meadows, sun-flecked hillsides and woodland glades—speak to Lloyd’s reverence for the outdoors and his engagement with other timeless sources of inspiration, among them the music from his Memphis childhood. “In our Black schools, every morning in assembly we would sing ‘Lift Every Voice and Sing’,” he recalls before giving an impromptu vocal rendition of the James Weldon Johnson composition. He stops after a few lines, then changes his mind and finishes the first verse, singing about the “rising sun” and the “new day”. He leans gently from side to side. His voice is hushed. It’s a wonderful sequence. Just an hour long, this documentary has more than its share of such moments. For more information, visit boulezsaal.de. This film streams through Jun. 11th. THE NEW YORK CITY JAZZ RECORD | JUNE 2021 23
Print Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg vom 29.05.2021, S.12 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Heidelberg) Auch in: 9 weiteren Quellen » Reichweite: 16.710 Ressort: Sonderseite / Aktuelles Thema Auflage: 7.772 Autor: Schumacher Quellrubrik: Heidelberger Nachrichten Das Leben kehrt zurück in eine verwundete Stadt D kehrt ie Waffen schweigen. Das Leben zurück. Doch auch wenn "Ich war nicht etwa eine Friedens- stifterin. Ich habe ihn einfach geheira- Ihren Ursprung hat die NGO in ei- nem Dilemma. Die Balhas suchten für die Waffenruhe zwischen Israel und tet und zog zu ihm." Die Balhas haben ihren ältesten Sohn Noor einen Kita- der Hamas für einige Monate oder inzwischen drei Söhne und wohnen in Platz. "Gemischte Kindergärten gab es Jahre anhalten mag, ist Israelis und Jaffa. In dem historischen Stadtteil im damals nicht", sagt Ora Balha. Tradi- Palästinensern bewusst, dass die Kon- Süden von Tel Aviv leben Juden und tionell ist das Erziehungssystem in Is- fliktlinien im Nahen Osten längst Araber seit vielen Generationen zu- rael schon ab dem Kindergarten ge- nicht nur um die umkämpften Gren- sammen. Familien sowohl mit jüdi- trennt. Juden, Muslime und Christen zen zwischen Israel, dem Westjordan- schen als auch muslimischen Wurzeln haben ihre eigenen Einrichtungen. Al- land und Gaza verlaufen. Die Aus- gibt es jedoch nur ein paar wenige. so gründeten die Balhas eine neue Ki- schreitungen haben deutlich gemacht, Für ihre Familien in Jaffa und Galiläa ta mit zwei Kindern, zwei Sprachen dass die Gräben mitten durch die Ge- dauerte es lange, bis sie die Liebe der und zwei Religionen. Heute betreibt sellschaft gehen. beiden akzeptieren konnten. "Bei mei- die Organisation sechs gemischte Kin- Gerade in Tel Aviv wird dies beson- nem Vater ist das Eis erst nach zehn dergärten in Jaffa und einen in Gali- ders deutlich. Israels Wirtschaftsmet- Jahren gebrochen", erzählt die 45- läa. Sie betreuen 200 Kinder. "Etwa ropole, Kulturzentrum und Lebestadt Jährige. "Heute ist unser Verhältnis 50 Prozent sind jüdisch, 40 Prozent wird von Einheimischen wie von Isra- aber umso enger." muslimisch und 10 Prozent christ- elis aus anderen Landesteilen glei- Während der jüngsten Eskalation lich", sagt Balha. Nun hofft sie, in Zu- chermaßen als "HaBua", die Blase, be- der Gewalt zwischen Israel und der kunft auch eine gemischte Schule auf- zeichnet – die Stadt, die vom ewig Hamas kam die in Jaffa oft unsichtba- machen zu können. "Bildung ist so schwelenden Konflikt oft wie durch re Kluft zwischen Menschen, die nicht entscheidend", sagt Balha. "Die ge- eine unsichtbare Trennwand abge- selten Tür an Tür nebeneinander le- trennte Erziehung hat so viel Hass er- schieden scheint. Die jüngsten Ereig- ben, besonders schmerzhaft zum Vor- zeugt und so viele Menschen wurden nisse haben dieses Bild ins Wanken schein. Nicht nur hier, auch in ande- verletzt." gebracht. Nicht nur hatten mehr Ra- ren gemischtreligiösen Städten Israels keten der Hamas als je zuvor die Met- wie Lod, Ramla und Akko kam es zu Der Musiker ropole zum Ziel und trafen in der Vor- heftigen Ausschreitungen. Im Norden Jaffas scheint inzwischen stadt Ramat Gan auch einen Zivilisten "Was hier passiert ist – das ist wieder ein Stück Alltag zurück. In tödlich. Die Ausschreitungen in Jaffa nicht Jaffa, wie wir es kennen", sagt dem Viertel haben die Bars und Res- erschütterten eine von Tel Avivs libe- Ora Balha. "Wir haben Respekt vor taurants wieder geöffnet. Für Tom ralen und weltoffenen Bewohnern unseren Nachbarn. Die Demonstran- Betsalel ist es der erste Abend, an dem gern gepflegte Illusion. Ihre Stadt war ten kamen von außerhalb, teils mit er wieder länger in Jaffa unterwegs plötzlich keine abgeschirmte Insel Bussen." Nur wenige Straßen von der ist. Der 34-jährige Musiker lebt seit mehr in einem tosenden Ozean un- Wohnung der Balhas im Ajami-Viertel sechs Jahren in Jaffa und arbeitet als zähmbarer innen- und außenpoliti- stießen rechtsextreme jüdische De- Pauker und Schlagzeuger im Orches- scher Wogen. monstranten und Araber aufeinander. ter an der Israeli Opera in Tel Aviv. Unser Autor Win Schumacher traf "Wir konnten sie hier hören", sagt "Die letzte Zeit war nicht einfach", Menschen, die die Ausschreitungen Balha. Autos und Müllcontainer wur- sagt Betsalel. "Manchmal gibt es Situ- und Gewalt zwischen Juden und Ara- den in Brand gesetzt, Fenster einge- ationen, die Angst machen, etwa, bern aus unterschiedlichen Perspekti- worfen und Geschäfte verwüstet. Die wenn man auf jugendliche Araber ven erlebt haben und die sich in ver- Polizei warf Blendgranaten in Wohn- trifft, die gelangweilt auf der Straße schiedenen Projekten für ein Mitei- häuser. Nach Augenzeugenberichten herumlungern. Dann geht einem nander in sogenannten "gemischten" galten sie allein arabischen Bewoh- schon mal durch den Kopf, ob sie ge- Städten und Stadtteilen wie Tel Aviv- nern. Etliche Menschen auf beiden walttätig werden könnten. Viele Fami- Jaffa einsetzen. Seiten wurden verletzt. "Solch einen lien hier haben einen nicht einfachen Ausbruch der Gewalt habe ich hier nie sozialen und wirtschaftlichen Hinter- Die Jüdin und der Muslim erlebt", sagt Balha. Doch die Balhas grund. Das geht mir aber auch nicht "Es war schlicht Liebe", sagt Ora Bal- gehören zu denen in Jaffa, deren anders, wenn ich in einem armen ha und lacht. "Ich hatte keinerlei poli- Hoffnung größer ist als die Ohnmacht Viertel meiner Heimatstadt Nahariya tische Agenda!" Alles begann vor angesichts eines aussichtslos er- auf jüdische Jugendliche aus einem sechzehn Jahren mit einem Urlaub scheinenden Konflikts. Mit ihrer Or- ähnlichen Umfeld mit fehlender Bil- auf der Sinai-Halbinsel. Sie verliebte ganisation "Orchard of Abraham’s dung treffe." sich auf Anhieb in Ihab. Eine Ge- Children" setzen sie sich mit verschie- Betsalel spielt seit 2007 auch für schichte wie die von unzähligen Israe- denen Begegnungs- und Bildungspro- das West-Eastern Divan Orchestra. lis – wäre Ora Balha nicht Jüdin und jekten für das Zusammenleben von Das 1999 von Daniel Barenboim, Ed- ihr Mann Ihab Muslim. Juden, Christen und Muslimen ein. ward Said und Bernd Kauffmann ge- gründete Sinfonieorchester bringt 5
Musiker aus Israel, den palästinensi- fummel, bisweilen auch mit lässig sit- Demonstranten versammelt. Sie hal- schen Gebieten, etlichen arabischen zender Soldatenjacke auf die Bühne. ten violette Schilder hoch mit der Auf- Ländern, Iran und Andalusien – Ju- Die Politik wird auch in seinen Shows schrift "Friede. Israel. Palästina" in den, Christen und Muslime – zusam- nie ausgespart. Hebräisch und Arabisch. Die Gras- men und gastiert weltweit. "In dem "Ich bin in Jerusalem aufgewach- wurzelbewegung "Omdim B’Yachad" Moment, wo man gemeinsam Musik sen", erzählt Naveh, "aber die Stadt (Wir stehen zusammen) hat Juden macht, spielt alles andere keine Rolle. wurde mit der Zeit immer bizarrer. und Araber aufgerufen, für eine ge- Religion, Nationalität, Herkunft – das Das ständige Sperrfeuer aus Hass meinsame Zukunft zusammenzukom- alles bleibt außen vor", sagt Betsalel. wurde unerträglich." 2010 zog er nach men. Gewichtige Paukenschläge mögen Tel Aviv, "eine Stadt, wo ich willkom- Unter Ihnen ist auch Ahmad Nedal sein Beruf sein – in der Politik des men bin und es keine Rolle spielt, wer Haj mit seiner deutschen Freundin Nahen Ostens wünscht er sich jedoch du bist." Anna. "Es stimmt mich hoffnungsvoll, leisere Töne. "Wir alle tragen Wunden In der Pandemie waren die schil- dass viele gekommen sind", sagt der mit uns herum", sagt er. "Aber die lernden Auftritte in vollgestopften 22-jährige Informatikstudent, "wenn Menschen wollen verzweifelt zurück Bars bis vor Kurzem unmöglich. Nach ich auch noch mehr erwartet hätte." zu einem Zusammenleben und gegen- den enormen Impferfolg in Israel trat Nedal kommt aus einem arabischen seitigem Respekt." Galina endlich im April wieder auf, bis Dorf bei Nazareth. Seit vier Jahren die Raketen der Hamas sie erneut lebt er in Tel Aviv. "Florentin, wo ich Die Drag-Queen stoppten. Eine große Show zum Euro- lebe, ist ein liberales und vorurteil- Im Zentrum von Tel Aviv, nur ein vision Song Contest mit Drag-Künst- freies Viertel", sagt er. "Ich fühle mich paar Kilometer weiter nördlich, lern aus Israel musste am Wochenen- hier sehr sicher und willkommen." scheint der Konflikt so fern wie die de abgesagt werden. Viele würden ihn nicht sogleich als Grenze zu Gaza. Die beängstigende Die letzte Zeit war für Gil Naveh Araber einordnen. Leere, die während der strikten Lock- und seine kleine Patchwork-Familie Zuletzt holte ihn der Konflikt aber down-Phasen und zuletzt während mit seinem Partner und der Mutter auch in Tel Aviv ein. Sein Cousin wur- des Raketenalarms auf der breiten seiner Töchter zermürbend. "Diese de als Demonstrant in Jaffa festge- Ibn-Gavirol-Straße herrschte, ist Dreifachbelastung aus Corona, Eltern- nommen und einen Monat unter längst der üblichen Hektik gewichen. sein und einem fordernden Job ist Hausarrest gestellt. "Es muss einen Die Straßencafés sind voll. Über einer nicht einfach zu meistern", sagt er. Wechsel geben. Wir müssen einen riesigen Baustelle hinter der Arlozo- Nun kam auch noch der Krieg hinzu. Weg finden, dass unsere Stimme viel rov-Straße hängt eine dichte Staub- "Die Hälfte unseres Amnesty- mehr gehört wird", sagt er, "Die Ge- wolke. Teams lebt in Jaffa", sagt Naveh. "Ich setze und Medien sollten nicht in den In dem kleinen Histadrut-Park bin traurig und außer mir, was ge- Händen von Rechtsextremisten sein. gleich daneben versucht Gil Naveh ei- schehen ist, aber ich bin kein bisschen Das Erziehungssystem sollte sowohl ne Reihe an Telefonanrufen zu deich- überrascht. Wir sagen auf Hebräisch: von Arabern als auch von Juden kon- seln, ohne seine beiden Töchter aus "Wer Wind sät, wird Sturm ernten." trolliert werden und nicht von Fanati- den Augen zu verlieren. Der 37-jähri- Er hält inne. "Von Wunden zu spre- kern." In letzter Zeit überlegt er, mit ge ist Sprecher von Amnesty Interna- chen, ist ein Understatement. Etwas seiner Freundin nach Berlin zu zie- tional Israel. "Wir wohnen da drü- hier ist zerbrochen. Selbst wenn die hen. "Im Moment ist das aber noch ben", sagt Naveh. "Seit dem Raketen- Regierung wechselt, weiß ich nicht, ob ein wenig weit weg. Jetzt muss ich alarm will die Kleine nicht über die eine andere die richtigen Schritte erst mal mein Studium abschließen." Straße kommen. Sie ist vier Jahre alt geht, um diese Wunden heilen zu kön- Am Ende des Abends sind es nach und betreibt schon Risikomanage- nen." Angaben der Veranstalter Tausende, ment". die vom Rabin Square zum Habima- In der Tel Aviver LGBT-Szene ist Der Student Theater ziehen. Juden und Araber. Sie Naveh bekannt als Diva Galina Port Auf dem zentralen Rabin Square ha- alle wollen eine gemeinsame Zukunft. De Bras. Mal tritt er im rosa Glitzer- ben sich am Samstagabend hunderte Alle weiteren Quellen: Luxemburger Wort • Rhein-Neckar-Zeitung - Bergstraße/Mannheim - Weinheimer Rundschau • Rhein-Neckar-Zeitung - Eberbacher Nachrichten • Rhein-Neckar-Zeitung - Mosbacher Nachrichten • Rhein-Neckar-Zeitung - Nordbadische Nachrichten • Rhein-Neckar-Zeitung - Region Heidelberg • Rhein-Neckar-Zeitung - Schwetzinger Nachrichten • Rhein-Neckar-Zeitung - Sinsheimer Nachrichten - Bad Rappenauer Bote/Eppinger Nachrichten • Rhein-Neckar-Zeitung - Wieslocher Nachrichten/Walldorfer Rundschau zum Anfang dieses Artikels zum Inhaltsverzeichnis 6
31.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467043/13 F.A.Z. - Feuilleton Montag, 31.05.2021 Verlier den Thron, nicht dein Herz Das Beste in Hamburgs Oper seit Langem: Händels „Agrippina“ mit Julia Lezhneva In der Liebe gibt es keine Lüge, die nicht sogleich durchschaut und an die nicht doch sofort geglaubt wird. Aus diesem Wechselspiel von Irrungen und (Ver-) Wirrungen entwickelt sich Georg Friedrich Händels Oper „Agrippina“. Um ihren Sohn Nerone mit der Kaiserkrone zu schmücken, spielt die Titelfi- gur, alle Mittel von List und Lüge einsetzend, ihre Widersacher gegeneinander aus. Eine Satire auf den päpstlichen Hof vermutete Reinhard Strohm („Händel und seine italienischen Operntexte“) in dieser Komödie. Wie gut sie als Satyrspiel auf Polit-Theater schlechthin zu verstehen ist, haben der schottische Regisseur David McVicar in Frankfurt und New York (2006 und 2019) und nun Barrie Kosky gezeigt, dessen Inszenierung von München über London und Amsterdam den Weg nach Hamburg gefunden hat. Wer einen steilen Jux erwartet hatte, für den Händels Opern lange herhalten mussten, wurde ange- nehm enttäuscht. Auch die grell-pop-kulturellen Assoziationen, die der Regie-Virtuose nicht aussparte, standen im Dienst einer Tragikomödie über eine verderbte Gesellschaft. Agrippina ist eine skrupellose Intrigantin, ihr Gatte Claudio ein aufgeblasener Popanz, Nerone ein haltloses Jüngelchen mit gestörtem Selbstbild, Poppea ein betörendes Flittchen. Inmitten steht, als einziger Mann von Ehre, Ottone, der um der Liebe willen auf die Macht verzichtet. Die mehr als drei Dutzend Arien der Oper sind Wunschbilder echter Empfindungen, die für den Zuschauer jedoch durch beiseite gelieferte Kommentare relativiert werden – ein dramaturgischer Kunstgriff wie der von Francis Underwood, der sich in „House of Cards“ direkt an den Zuschauer wendet. Diese ariosen Gefühlsbilder dürfen nicht affekt-gestisch zum „Ausdruck“ gebracht werden, sondern sind mit rein gesanglichen Mitteln darzustellen, besser: zu vermitteln mit der üppig-ornamen- talen Formelsprache der Barockoper. Nur als Gesangs-Oper kann „Agrippina“ für eine nachhaltige Wirkung sorgen. Ob der vielgerühmte Reiz der Kastraten-Stimme durch Counter-Tenöre heraufbeschworen werden kann, ist schwer zu beantworten. Sie, die modernen Falsettisten, waren Vorboten der Diversität. Der vexatorische Reiz ihrer Stimmen liegt, wie im Begriff „Heldensoprane“ angedeutet, in einer (sexuellen) Zweideutigkeit, die vor einem halben Jahrhundert noch verpönt war. Aber wie kann es einen Ersatz geben für Stimmen, die wir nie haben hören können? In der Rolle des Ottone gelang es dem Franzosen Christophe Dumaux, die langen Phrasen von „Voi, che udite“ – ein Lamento darüber, dass es schwerer sei, sein Herz zu verlieren als den Thron – mit der Halbstimme zu singen, mit einem herzbewegenden Schmerzensklang. Aber wie beseelt sein durch zärtliche Schleifen veredeltes Cantabile, so wurde der Klang in Rezitativen und in raschen Parlando-Passagen eckig und manchmal auch scheppernd (gleich dem Klirren von Eis in einem Becher). Franco Fagioli, der Sänger der für einen Sopran-Kastraten geschriebenen Partie des Nerone, gehört zu den überragenden Vertretern seines Fachs. Dass ihm essen- tielle Fertigkeiten eines Belcantisten – Tonschönheit, portamento-basiertes Legato, geschmeidige Kolo- ratur – zur Verfügung stehen, ist ebenso dokumentiert wie seine athletische Energie im virtuosen Passagenwerk. In der Aufführung aber war er weniger als Belcantist zu erleben denn als Darsteller, der die Klanggestalten seines Singens der Körpersprache eines hysterisch-überaktiven oder manisch- depressiven Jünglings anpasste: mit wie im Schnellfeuer ratternden Koloraturen und jähen, pop-virtuo- sen Akzenten. In der Dacapo-Gleichnis-Arie „Come nube che fugge del vento“ mit ihren Ketten von Sechzehnteln war ein Rausch der Geschwindigkeit zu erleben, kulminierend in einem trompetenhaft geschmetterten Spitzenton. Imponierend zwar als affektive Gestik, weniger aber als musikalischer Ausdruck der Exaltation. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467043/13 1/2
31.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467043/13 Trotz des Namens „Agrippina“ hat die Oper zwei Protagonistinnen. Die zweite ist Poppea, die im Text- buch (Carlo Grimani) nicht die verruchte Hetäre ist wie eine halbes Jahrhundert zuvor in Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“. Sie lebt offenbar nach der Maxime, dass eine schöne junge Frau zwar ohne Liebe leben kann, aber nicht ohne Liebhaber. Mit der Hamburger Aufführung muss die russische Sopranistin Julia Lezhneva vierhundert neue Liebhaber (mehr Zuschauer gab es nicht) erobert haben. Was sie in ihren sieben Arien darbot – sublime Kantilenen mit wie Silberfäden eingewirkten Ornamen- ten, trampolin-federnde Staccati und ebenmäßig schwingenden Trillern –, sorgte für helles Entzücken. Noch eindringlicher, wie sie die messa di voce, das An- und Abschwellen des Tons, als Ausdruck seeli- schen Bebens einzusetzen verstand. Im ersten Teil des langen Abends (rund dreieinhalb Stunden) schien es, es würde die junge Russin mit ihrer funkelnden Virtuosität und ihrer Anmut der Protagonis- tin Anna Bonitatibus die Show stehlen. Nur ging es nicht um Show. Im Verlauf des Abends bewies die italienische Mezzo-Sopranistin eminente Qualitäten – grandios in der Arie „Pensieri, voi mi tormente“, dem Seelenbild einer von Angst und Schuldgefühlen geplagten Frau. In der Arie „Hò un non sò che“ brillierte sie ebenso wie die vier Solo-Instrumentalisten des superben Ensemble Resonanz, das unter Leitung von Riccardo Minasi alle Zärteleien „historisch-informierter“ Darstellungen vergessen ließ und zeigte, wie „aktuell“ die Barock-Oper sein kann. Einhelliger Jubel für die beste Aufführung der Hamburger Oper seit vielen Jahren. Jürgen Kesting https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467043/13 2/2
22 FEUILLETON E DIE WELT MONTAG, 31. MAI 2021 s existiert kein Einreisever- auch fast ein Abgesang auf den Alpin- bot nach Obervellach für western. Pia Hierzegger. Sagt Pia Anderthalb Jahre sind seit der letz- Hierzegger. Obervellach ist ten Klappe von „Waidmannsdank“ ver- ein staatlich anerkannter gangen. Ihren Film jetzt zu sehen, sagt Luftkurort in Kärnten – 2.200 Einwoh- Pia Hierzegger, ist ein bisschen wie ner, eigentlich idyllisch im Mölltal an Kinderfotos schauen nach dem Erwach- den Fuß der Hohen Tauern gekuschelt. senwerden. Pia Hierzegger ist preisgekrönte Früher, sagt die Lebenspartnerin des Schauspielerin, Regisseurin, Dreh- Kabarettisten Josef Hader, die seit 1993 buchautorin. am Grazer Off-Theater im Bahnhof spielt und inszeniert, war man sich halt VON ELMAR KREKELER sicher, hat geglaubt zu wissen, was kommt, wie was abläuft. Jugendliche Und sie hat in „Waidmannsdank“, der Naivität fast. Die Sicherheit hat man erfolgreichsten aller bisher 19 Folgen jetzt nicht mehr. Man kann nichts pla- der vom ZDF koproduzierten „Landkri- nen. Man weiß nicht, wie’s kommt. mi“-Reihe des ORF, nicht nur die Das wusste man vorher eigentlich Hauptrolle einer aufs Dorf verschickten auch nicht. Hat es nur geglaubt. Die LKA-Kommissarin gespielt, sie hat „Knochenmann“, „Nacktschnecken“ und Pandemie hat wie ein Mikroskop ge- „Waidmannsdank“ auch geschrieben – „Wilde Maus“: die Schauspielerin und wirkt. Beim Blick auf die Gesellschaft Obervellach ist da ein im permanenten Autorin Pia Hierzegger, unten mit der im Allgemeinen. Und auf die Kultur im Saisonende gefangener Ort, der ohne Kollegin Jutta Fastian in „Waidmannsdank“ Besonderen, auf die prekären Verhält- Alkohol und dem dort anscheinend nisse gerade unsubventionierter, freier nicht seltenen Genuss von Haschkeksen Künstler, deren Lage, sagt Hierzegger, nur schwer zu ertragen ist. eigentlich immer schon unangenehm Eigentlich, lässt Hierzegger in „Waid- war, jetzt aber drohte, unerträglich zu mannsdank“ die Dorfpolizistin Martina werden. Schober darin sagen, sind sie alle ganz Immerhin hätten sie, sagt Hierzeg- nett in Obervellach. Die Strecke, die am ger, in Österreich in Andrea Mayer eine Ende verblasen werden könnte, um in Kulturstaatssekretärin, die verstanden der Jagdsprache zu bleiben, sagt etwas habe, die Strukturen kenne und die La- anderes. Eine Art Endkampf des alpinen ge der Kulturschaffenden. Ob sich, was Machismo hat stattgefunden. Es ging nötig wäre, etwas ändert, hänge jetzt PICTURE ALLIANCE / GEISLER-FOTOPRESS/CLEMENS NIEHAUS/GEISLER-FOTOPRESS um alte (Liebes-)Rechnungen, Väter wie immer vom Geld ab. und Söhne, Korruption, Landflucht, Sie selbst hat die anderthalb Jahre Wilderei. Vier Männer liegen am Ende weitgehend unbeschadet überstanden. in ihrem Blut, alle sind sie nicht sehr ge- Sie – sie pendelt zwischen Wien und plant gestorben. Graz – hat viel geschrieben. Ein biss- Was ausgesprochen nicht daran liegt, chen was ging auch am Grazer Theater. dass Pia Hierzegger, sagt sie selbst, jeg- Am Anfang, im ersten Lockdown, waren liche kriminelle Energie abgeht. Wenn sie in Kurzarbeit. Später haben sie eini- sie sich, sagt sie, Verbrechen ausdenkt ge Streaming-Produktionen gestemmt, und ihren Freunden davon erzählt, in der Lockdown-Pause im September schauen die immer so traurig. haben sie kurz regulär gespielt. Das große Blutvergießen von Ober- Die Unzufriedenheit damit, sagt sie, vellach hat sie übernommen aus Alexan- dass in der Pandemie die Kultur immer dra Bleyers gleichnamigem Roman. Da als Erstes zu und als Letztes aufgesperrt steht eigentlich schon alles drin. Und wurde, ist zwar groß unter ihren Kolle- Pia Hierzegger könnte jede Schuld von gen. Aber es gebe auch viel Verständnis sich weisen am jägergrünen Abbild der dafür, dass zum Schutz der Zuschauer Obervellacher Dorfgemeinschaft im Theateraufführungen abgesagt werden. finsteren Tal, um das herum die Gegen- Das müsse halt erklärt und den Kultur- wart samt ihrer Innovationszüge augen- schaffenden im Fall von Schließungen scheinlich seit mindestens dreißig Jah- und Absagen geholfen werden. Endkampf des Alpenmachismo ren einen weiten Bogen gemacht hat. Gedreht hat die Meisterin des mimi- Tut sie aber nicht. Sie hat „Waid- schen Minimalismus wenig. 2020 gar mannsdank“ lange mit sich herumgetra- nichts, was nur bedingt an Corona lag. gen. Der Film – abgedreht im Herbst Gerade hat sie zwei Kinofilme in den Als Schauspielerin ist Pia Hierzegger eine österreichische Meisterin des Minimalismus. Aber für den 2019 – hat eine fast fünfjährige Ge- Kasten bekommen. War ein bisschen schichte. Es war ihre erste Literaturver- seltsam, die Arbeit unter Corona-Bedin- „Landkrimi“ hat sie ein Drehbuch geschrieben, an dessen Ende vier Männer in ihrem Blut liegen drehbuchung. Sie musste Bleyers Buch gungen, mehr oder weniger abgeschot- für den Film und für sich erst mal kna- tet, dauergetestet, umgeben von Leuten cken, sagt sie. Hat lange gedauert. mit Maske dazustehen und zu spielen. Sie hat Figuren umbesetzt, die Kom- Glich noch mehr als vorher einem Ab- missarin, die sie spielt, war ursprüng- tauchen in eine fast absurde, andere lich ein dauerknarzender älterer Herr. Brand herausgekommen, der ohne Bit- mer noch auf Ibiza und in ganz Öster- Realität außerhalb der Zeit. Überhaupt hat sie eigentlich erst die terstoffe der Heimeligkeit, der Heimat- reich. Und darüber hinaus. Eigentlich Die Wahrnehmung verändert sich, Geschlechterschlucht eröffnet, die sich tümelei auskommt und über eine herr- ist Obervellach überall. man schaut anders auf die Welt. Auf in „Waidmannsdank“ auftut. liche Restsüße von Humor verfügt. Ein Das heißt: Die Berge sind es natürlich das, was man im Fernsehen sieht. Pia Zwischen den entsetzlich traurigen, aus regionalen Ingredienzen hergestell- nicht. Die haben sich als ziemlich hart- Hierzegger ertappt sich immer wieder saufenden, prügelnden, jagenden Ker- ter Hochprozenter mit hoher Allge- näckig erwiesen. Aller drohender Berg- dabei, wie sie erschrickt darüber, dass len und den Frauen von Obervellach, meingültigkeit. doktorkitschhaftigkeit hatten sie sich da im Film Menschen zu nah beieinan- die dem Treiben erschüttert zusehen, Sie glaube nämlich nicht, sagt Pia eigentlich dadurch entziehen wollen, derstehen. Und ohne Maske. Und will alles Zickenkriegerische überwinden, Hierzegger, die zwar Städterin ist, das dass sie die Dreharbeiten ans Ende des sie warnen. sich näherkommen, sich als krisenfes- Kärntner Landleben aber kennt, weil ihr Oktobers verlegten. Erdig sollte das Das wird sich legen. Man wird wei- ter, lebendiger, lebensfähiger erweisen Vater von dort stammt und sie seit ihrer aussehen, dunkel. terdrehen. Vielleicht – die Ahnung ei- als die Männer. Und sie tauschen sich – Kindheit viele ihrer Ferien dort ver- Dann kam der schönste Herbst seit nes Cliffhangers gibt es am Ende von ein Höhepunkt dieses Fernsehjahres – bracht hat, dass es anderswo in Öster- Menschengedenken über das Tal. Man „Waidmannsdank“ – auch wieder in über die Folgen ihrer Menopause aus. reich sehr anders sei. kann es sich nicht aussuchen. „Waid- Obervellach. Das ist noch nicht auser- Pia Hierzegger hat verdichtet, hat die So eine „b’soffene G’schicht“, wie ei- mannsdank“ hat es trotzdem nicht ge- zählt. Und ein Einreiseverbot existiert ZDF/ HELGA RADER Geschichte reduziert, zugespitzt. Man ner mal in „Waidmannsdank“ die tödli- schadet. Die Berge überm Nebelmeer ja nicht. muss sich, sagt sie, die Arbeit am Buch chen Eskalationen vom Rand des Natio- sind herrlich. Was sich in den klandesti- vorstellen wie das Schnapsbrennen. Am nalparks Hohe Tauern in Heinz-Christi- nen Kammern der Kerle abspielt, ist den T „Waidmannsdank“: Ende ist ein erstklassiger Heimatkrimi- an-Strachescher Manier nennt, geht im- Gipfeln sehr egal. „Waidmannsdank“ ist ZDF, heute, 20.15 Uhr Der Pandemie abgetrotzt J Sieben Mal musste die Premiere verschoben werden. Nun gab es wieder sprühenden Livetanz in Hamburg: John Neumeiers „Beethoven-Projekt II“ ohn Neumeier rastet und rostet Generalprobe fand am 4. Dezember den mit bespieltem Flügel; dem ausge- hen trippelnde Hélène Bouchet – neuer- ter aufgeboten ist, die Waldstein-Sonate tem Bücherwurm oder eine Beethoven- nicht. Elf Tage nachdem er letzten statt, doch dann musste der 82-jährige dünnten, hinter dem Proszenium einge- lich die ferne Geliebte? als die Motive einmal mehr repetieren- Banane schälend. Mal mit abgeknickten September sein eindrücklich-be- Neumeier ein halbes Jahr warten und rahmten Philharmonischen Orchester; Das verheddert und verfängt sich, der und bündelnder Abschluss des ers- Turnübungen, expressivem Radschla- rührendes Corona-Stück „Ghost Light“ sieben Mal den Premierentermin ver- und dahinter einem weiteren Podest kommt nicht richtig in Fluss, bleibt ten Teils, sie alle stammen aus der Zeit gen. Ein dauernder, höchst wechselhaf- uraufgeführt hatte (das inzwischen schieben, bis das Gesundheitsamt grü- samt betanzbarem Flügel zwischen Stückwerk – viel konfuser als das be- der beginnenden Taubheit Beethovens ter Coitus interruptus, kein auf die Apo- auch schon wieder überarbeitet und auf nes Spiellicht gab. Scheiben- und Rechteckelementen. wusst aus Mosaiksteinchen zusammen- und der Niederschrift des (in Hamburg theose oder wenigstens Ekstase zusteu- DVD erschienen ist), begann Hamburgs Mit feuchten Augen und brechender Hinreißend edel gelungen sind hinge- gesetzte, mit der sozialen Distanzie- aufbewahrten) „Heiligenstädter Testa- ernder orgasmischer Höhepunkt. Ballettchef im gründlich desinfizierten Stimme stand der Prinzipal nun auf der gen die monochrom farbig leuchtenden, rung arbeitende „Ghost Light“, die jetzt ments“. Doch Neues, Aufregendes hat Der wird höchst hektisch absolviert. Probensaal mit seinem Opus 164. leeren, den Orchestergraben überde- bei den Damen raffiniert geschnitten im fast beängstigend engen Tanz wieder Neumeier trotz immer neuer Verkno- Bis zum abrupten Schluss samt Black- ckenden Vorbühne der Hamburgischen flatternden, bei den Männern auch mal aufgehoben ist. Die Sonate, der Arien- tungen von Menschen und Material out, nachdem Martínez mit Héléne VON MANUEL BRUG Staatsoper und sprach noch einmal sein sinnlich in Lederoptik oder transparent ausschnitt „Meine Seele ist erschüttert“ nicht wirklich zu sagen. Bouchet auf dem Arm weiterkreiselt. Credo: „In der Kunst nimmt etwas eine eng anliegenden Kostüme. Für die aus dem selten zu hörenden Oratorium, Auch die sinfonische Großform wird Zuvor aber sind zu viel Zettelkästen und Das hätte eigentlich, als Abschluss Form an. Das kommuniziert mit dem konnte einmal mehr der zurückhaltend- für den extra Startenor Klaus Florian später absolviert, nicht bewältigt. Jeder Versatzstücke zu erleben. Könnerische des Beethoven-Jahres zu dessen 250. Publikum und löst bei ihm etwas aus. perfektionistische Schweizer Akris-De- Vogt samt dem jetzt sichtbaren Orches- der ersten drei Sätze hat ein anderes So- Fingerübungen. Einzig das versonnene, Geburtstag und als Fortführung seines Das uns bewegt. Solches ist nun wieder signer Albert Kriemler gewonnen wer- listenpaar an der Spitze, vor einer wech- prozessionshafte Allegretto für Anna „Beethoven-Projekts“ von 2018, die möglich. Ich freue mich.“ den. selnden Gruppe von sechs bis vier Paa- Laudere und Edvin Revazov atmete die Transformation der 9. Sinfonie auf die Was dann in den nächsten zwei Stun- Also wieder Aleix Martínez, sich win- ren in stark kontrastierenden Kostü- versonnene, hier aber ruppigere Pas-de- Tanzbühne sein sollen. Doch die anhal- den zu sehen ist, gelingt freilich weni- dend, ausbrechend wollend, stumm am men. Die Männer im Vivace-Auftakt tra- deux-Traumschönheit früherer Zweier- tende Pandemie ließ auch solches nicht ger kohärent als seine erste, dramatur- Flügel präludierend, diesmal an ein gen beispielsweise auf Hans van Ma- beziehungen dieses Choreografen. zu: Ein Orchester samt Solisten, Chor gisch klug in der 3. Sinfonie gipfelnde, noch muskulöseres Alter Ego in Jeans nens „Große Fuge“-Choreografie ver- Das mit immerhin 400 Fans, Ham- und Ballett auf der Szene, das ist in auch musikthematische Recherche über (Jacopo Bellussi) prallend. Manieriert weisende schwarze Röcke. Im Finale burgs Bürgermeister und Kultursenator Deutschland nach wie vor nicht er- Ludwig van. Die biografischen Ein- entfaltet sich das bereits musiklos Auf- sind dann weit über 40 Tänzer auf der bestückte Auditorium jubelte. Zu schön laubt. sprengsel, symbolisch in der abstrakten, stellung nehmend, noch bevor Mari Ko- viel zu engen Bühne. war es ja, wieder energetischen, sprü- Und so griff Plan B, das kleiner be- halb nackten Beethoven-Geniusfigur dama und Anton Barachovsky die 7. Vio- John Neumeier scheint aus der von henden Livetanz zu sehen. Aber viel- setzte „Beethoven-Projekt II“, Kam- des gedrungen-muskulösen Aleix linsonate intonieren dürfen. Zudem Kent Nagano luftig schnittig, festlich leicht hätte John Neumeier doch war- mermusik und ein Ausschnitt aus dem Martínez vereint, bleiben diesmal un- sind vier Dienerfiguren mit Kopfbinde aber auch neutral interpretierten Sieb- ten sollen, bis es Zeit und Möglichkeit © KIRAN WEST Oratorium „Christus am Ölberg“, was deutlich, der Abend zerfällt krass in (eine Anspielung auf den viel späteren ten choreografisch dauernd ausbrechen für eine wirklich ausgereifte Neunte nach der Pause in die dynamische 7. Sin- zwei Hälften. Selbstmordversuch des Beethoven-Nef- zu wollen. Mal mit folkloristisch anmu- gibt? Der Zauber des Machens und der fonie mündet; von Richard Wagner et- Heinrich Tröger hat dafür ein aus- fen?), drei Herren in verspielten Frä- tenden Bewegungen bis hin zum Elan des Zupackens trotz alledem, er was einengend und zu oft zitiert als tauschbares, dreifach gestaffeltes Büh- cken nebst Damen zugegen. Und die Ida-Sofia Stempelmann und Atte Kilpinen Stampfreigen. Mal mit Tanztheater am wollte sich bei dieser neuerlichen Ur- „Apotheose des Tanzes“ gepriesen. Die nenset gebaut – aus vorderem Tanzbo- einsam ihre Runden auf Spitzenschu- im „Beethoven-Projekt II“ Klavier, mit Alexandr Trusch als bebrill- aufführung nicht einstellen. © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
31.5.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467043/9 F.A.Z. - Feuilleton Montag, 31.05.2021 Ganz, als seien nur wir gemeint Das Mozartfest Würzburg wird hundert Jahre alt, aber es feiert durch sein Programm und eine fantastische Ausstellung nicht sich selbst, sondern seine größte Inspiration – die Musik von Wolfgang Amadé Mozart. Rau und rissig wie die Hand einer greisen Bäuerin oder die Rinde einer wettergegerbten Ulme ist der Klang von Wolfgang Amadé Mozarts eigener Bratsche, als Gérard Caussé sie spielt. Mozarts originale Violine dagegen klingt in den Händen von Renaud Capuon so strahlend jugendlich, als schrieben wir noch immer das Jahr 1764, in dem sie gebaut wurde. Als sich beide in der innig bebenden Kadenz des todtraurigen Mittelsatzes von Mozarts Sinfonia concertante KV 364 vereinen, wird das seltsame Wech- selspiel von Ferne und Nähe dieser Musik zu einem dichten Gleichnis: Das Alte, das die Spuren der Zeit trägt, spricht als Versehrbares ebenso zu uns wie die scheinbar alterslose Schönheit, die über die Jahr- hunderte hinweg redet, als hätte sie nie andere Adressaten gehabt als uns. Natürlich sind diese alten Instrumente, die hier zum Eröffnungskonzert des Würzburger Mozartfestes im Kaisersaal der Residenz erklingen, Berührungsreliquien. Aber sie sind es eben nicht nur darin, dass sie sich berühren lassen, sondern auch dadurch, dass sie uns durch Mozarts Musik und die Kunst der Solisten, die hier von der Camerata Salzburg und dem äußerst achtsamen Dirigat von Jörg Widmann getragen werden, berühren. Es sind klangliche Ikonen, die darauf achten, wie wir leben. Wir müssen uns ihnen, nicht sie uns gegenüber verantworten. Seit hundert Jahren gibt es das Mozartfest in Würzburg, fast genauso lange wie die Salzburger Festspie- le. Hermann Zilcher hatte es gegründet. Vom Dirigenten Karl Böhm und der Sängerin Maria Cebotari an über den Geiger Yehudi Menuhin bis zum Pianisten Alfred Brendel ist Würzburg ein Jahrhundert lang ein Ort exzellenter Auseinandersetzung mit Mozart gewesen. Diese lange Beschwörung von Gegen- wart darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um „ein fragiles Gut“ handele, merkte Würz- burgs Bürgermeister Christian Schuchardt in seiner Eröffnungsrede an, die einen Satz enthielt, der aus dem Mund eines aktiven Politikers schwer wiegt: „Ein Bekenntnis bleibt wertlos, solange der politische Wille nicht in Taten mündet.“ Der ebenfalls redende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, in dessen Gefolge sich irritierender- weise Gerhard Schröder befand, hatte es da bequemer, weil er es beim Bekenntnis belassen und die politischen Taten anderen überantworten konnte: „Ohne Mozart und seine Musik würde unserem Selbstverständnis, unserem Weltverständnis und unseren Möglichkeiten, einen Ausdruck dafür zu finden, etwas Wesentliches fehlen.“ Aber Evelyn Meining, die Intendantin des Festivals, spürt natürlich die Erschütterungen, die durch unser Land gehen: den zunehmenden politischen Rechtfertigungsdruck für „Hochkultur“ durch Exklusivitätskampagnen, das schikanöse Klima im öffentlich-rechtlichen Rund- funk, die Zurücksetzung der Kultur in der Pandemie, die sich bei allen Öffnungsszenarien immer hinter dem Einzelhandel und den Friseuren anzustellen hat. Und weil Evelyn Meining sich eben nicht ausruhen will bei Konzerten unter Tiepolo-Fresken, bei der Bespielung einer touristisch attraktiven Immobilie also, hat sie die vier Wochen Konzert-Programm, die nun folgen, durchzogen mit Widerhaken. In der Reihe „Wie viel Mozart braucht der Mensch?“ äußern sich Wissenschaftler, Politiker, Künstler und Wirtschaftsfachleute zur Frage nach Sinn und Zukunft von „Hochkultur“. Die Dichterin Ulla Hahn geht gemeinsam mit dem Pianisten Kit Armstrong der „Sehn- sucht nach der Anderswelt“ in Zeiten der Künstlichen Intelligenz mit dem Anspruch auf künstlerische Autorschaft nach. Genau darin berührt sich Ulla Hahn mit Valie Export, deren 2010 entstandene Videoinstallation „Anagrammatische Komposition mit Würfelspiel“ in der Jubiläumssausstellung „Mozart Bilder“ im https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467043/9 1/2
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