WEISS1_2021 - WEISS MAGAZIN

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WEISS1_2021 - WEISS MAGAZIN
Das Arc hi t e kturm ag az i n vo n S aint- Gobain

                                   1_2021

     Weiss
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Weiss
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Editorial

                     „
                                                               DI Michael Allesch

                     Nicht das Kind soll sich der Umgebung
                     anpassen. Wir sollten die Umgebung dem
                     Kind anpassen."                     Maria Montessori

                             Das letzte Jahr hat uns allen einmal mehr gezeigt, wie wichtig hochwertige Gebäude für
                     unser aller Leben sind – und zwar Tag für Tag und in allen Lebensbereichen. Arbeiten, Lernen und
                     Leben haben sich zeitweise beinahe zur Gänze nach drinnen verlagert. Wer nicht daheim war, hat
                     sich an der Arbeitsstelle, in der Schule oder auf der Universität aufgehalten. Das betraf und betrifft
                     Jung und Alt in ganz Österreich und damit 8.921.789 Menschen. Und diese Zahl steigt weiter:
                     ­Statistik Austria prognostiziert für 2030 eine Bevölkerungsgröße von 9.225.271 und bereits 2090
                     knacken wir die 10-Millionen-Marke. Jeweils rund ein Fünftel davon ist im Alter von 0 bis 19 Jahren
                     und damit großteils schulpflichtig. Es steigt also nicht nur der Bedarf an Wohnraum, sondern eben-
                     so an modernen Bildungsbauten.

                        Die Bundesregierung investiert daher 2,4 Milliarden Euro in 270 Schulprojekte, die in den nächs-
                     ten zehn Jahren nach hohen ökologischen Gesichtspunkten und energieeffizient neu gebaut oder
                     saniert werden. All diese Projekte sollen den klimaaktiv Silber Standard erreichen: Sie erfüllen da-
                     mit die höchsten Anforderungen hinsichtlich Energieeffizienz, verwenden umweltverträgliche
                     Baustoffe und überzeugen durch ihre Raumluftqualität, Gesundheitsaspekte und Komfort. Ihre Ge-
                     staltung soll unter dem Aspekt „Der Raum als dritter Pädagoge“ die Lehr- und Lernbedingungen für
                     alle Beteiligten verbessern.

                        Wir von Saint-Gobain tragen mit unseren innovativen Baustoffen einen wesentlichen Teil zum
                     Erreichen dieser Ziele bei. Mit diesem Ansatz haben wir auch das neuartige Wärmedämmverbund-
                     system webertherm freestyle GW entwickelt. Österreichs einzige Glaswolle-Dämmplatte besteht zu
                     ca. 80 % aus Recyclingglas, wird zu 100 % mit Ökostrom produziert, ist zu 100 % recycelbar und enthält
                     keine Biozide oder Brandhemmer. Als moderne Dämmstoffplatte weist sie hervorragende Werte im
                     Brand-, Wärme- und Schallschutz auf und durch eine Vielzahl an Oberflächen und eine große Farb-
                     auswahl sind den Gestaltungsmöglichkeiten fast keine Grenzen gesetzt. Dieses Beispiel zeigt: Die
                     Basis, nämlich sinnvolle und nachhaltige Baustoffe, ist schon da – damit lässt sich Schule machen!
Foto: Franz Pflügl

                       Ihr Michael Allesch                              Quelle: STATISTIK AUSTRIA - Bevölkerungsprognose 2020. Erstellt am 09.11.2020

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Inhalt

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                        Werkschau                                      Werkschau                      Por trät / Interview
             National & International                                             Design

Auf neuen Wegen in die Zukunft             6    Preisgekrönte Ingenieurbaukunst          18   Bildung braucht Raum                    24
Die Karl Landsteiner Privatuniversität für      Eine mehrfach preisgekrönte Konstruktion      Für das Wiener Architekturbüro noncon-
Gesundheitswissenschaften in Krems –            aus Stahl und Glas bildet das neue Atrium     form sind Bildungsbauten mehr als nur
benannt nach einem österreichischen Aus-        der Universität in Sheffield/UK. Zwischen     Orte der Wissensvermittlung. Vielmehr
nahmemediziner und Nobelpreisträger –           die altehrwürdige Architektur setzte das      sehen sie Schulzentren als Motoren für die
setzt neue Maßstäbe im Bildungsbau und          britische Architekturbüro Bond Bryan Ltd.     Entwicklung eines Stadtquartiers oder die
macht ihrem Namenspatron damit alle Ehre.       einen zeitgenössischen baulichen Akzent.      Belebung der Umgebung.

Architektur der Gegensätze                12                                                  Orte der Kraft                           28
Als facettenreiches Spiel mit Kontrasten                                                      „Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und
konzipierte der Pariser Architekt Jean-Pierre                                                 Universitäten sind einzigartige Orte, an
Lott die neue Mediathek „La Passerelle“                                                       denen nicht nur Bildung stattfindet, son-
nahe Marseille und setzt damit einen                                                          dern auch Freundschaft, Begegnung, sozia-
architektonischen Kontrapunkt in die                                                          les Handeln und Denken – in einem Raum,
Eintönigkeit der aus dem Boden gestampf-                                                      der einzigartig ist“, sagt Franz Hammerer
ten Plattenbauten im Umfeld.                                                                  von der Plattform raumbildung.at.

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Inhalt

                                                      24                                                             12

                                               6                                                                     34
                      Fundstücke                                               Tr e n d                                 Einblick

Wenn Akustik auf Schönheit trifft         32   Grüne Antwort auf die Klimakrise        34   Eine neue Ära der Fassadendämmung 40
In Zukunft ist das Hybride das Maß aller       Grüne Inseln im Betondschungel der           Mit dem neuartigen Fassaden-Dämm-
Dinge. Von großer Bedeutung wird dies          Großstadt leisten einen wesentlichen         system freestyle GW übernimmt WEBER
auch für neue Arbeitsformen sein, die Büro     Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität    Terranova soziale Verantwortung und setzt
und Homeoffice miteinander kombinieren         und des städtischen Kleinklimas. Sie         ein deutliches Zeichen in Richtung Ökologie
werden. So liegt es auf der Hand, sich         spenden Kühle und Schatten und helfen,       und Nachhaltigkeit.
zuhause einen entsprechenden Arbeitsplatz      sommerliche Temperaturspitzen abzu-
einzurichten, der es optisch erlaubt, auch     federn. Angesichts des Klimawandels          Blog dich schlau                       43
Teil des privaten Wohnbereichs zu sein.        gewinnt innerstädtisches Grün                … mit den Experten von Saint-Gobain
                                               zunehmend an Bedeutung.                      Austria!

                                                                                                              Weiss 1_2021                5
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KARL LANDSTEINER PRIVATUNIVERSITÄT, KREMS

Auf neuen Wegen
    in die Zukunft
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Werkschau             National

                                                                Architektur der Pioniere. Der Serologe Karl Landsteiner machte bei seinen Forschungen eine bahn­
                                                                  brechende Entdeckung, für die er 1930 den Nobelpreis für Medizin erhielt: Der österreichische
                                                               Wissenschaftler hatte zuvor die Blutgruppen entschlüsselt und damit einen wichtigen Baustein für
                                                                  die Humanmedizin geliefert. Was liegt da näher, als eine neu geplante Universität nach ihm zu
                                                               benennen, noch dazu eine, die ihrerseits ebenfalls völlig neue Maßstäbe setzt. Die Karl Landsteiner
                                                                Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems – kurz KLPU – macht ihrem Namens­
                                                                                        patron alle Ehre. Auch in architektonischer Hinsicht.
                                                                                                                         Von Barbara Jahn

                                                                                                                         Gold-Standard in jeder
                                                                                                                     Hinsicht. Das Siegerprojekt
Fotos: Daniel Hawelka / Delugan Meissl Associated Architects

                                                                                                                    des Wettbewerbs 2013, den
                                                                                                                     DMAA für sich entscheiden
                                                                                                                    konnten, erfüllt architekto-
                                                                      Der Realisierung der Universität, an der              nisch, technisch und   scheiden konnte. Nach dem Baubeginn 2015 konn-
                                                               sich heute rund 600 Studierende ein umfassen-                energetisch höchste    te der neue, Identität stiftende Gebäudekomplex
                                                                                                                                      Ansprüche.
                                                               des Wissen in Health Sciences, Humanmedizin,                                        bereits 2017 eröffnet werden.
                                                               Psychotherapie- und Beratungswissenschaften
                                                               sowie Neurorehabilitationswissenschaften an-                                        TEIL EINES GANZEN
                                                               eignen, war 2013 ein Wettbewerb mit insgesamt
                                                               13 Teilnehmern vorausgegangen, den das renom-                                       Geplant als maßgeblicher Teil eines zukünftigen
                                                               mierte österreichische Architekturbüro DMAA                                         Gesamtensembles – die Erweiterungen sind be-
                                                               Delugan Meissl Associated Architects für sich ent-                                  reits in die Wege geleitet – erfüllt der als

                                                                                                                                                                           Weiss 1_2021              7
WEISS1_2021 - WEISS MAGAZIN
National   Werkschau

               Bürolandschaft mit
            Atmosphäre: Im Dach­
      geschoß der sockelsanierten
          ehemaligen Frucht- und
      Mehlbörse am Schottenring
             bekommt man einen
        Einblick in die Zukunft der
                    Arbeitswelten.
Büro- und Seminargebäude konzipierte Komplex                                                                            Leuchtturmprojekt für die
von Anfang an eine Doppelfunktion. Ablesbar                                                                               kommende Generation.
                                                                                                                      Auch aus energetischer Sicht
wird das nicht nur durch zwei eigene Eingänge,
                                                                                                                           ist die Karl Landsteiner
sondern auch in der Sprache des äußeren Erschei-                                                                        Privatuniversität in Krems
nungsbildes: Die Kubatur gliedert sich in zwei                                                                             ein absolutes Vorzeige-
                                                                                                                                           beispiel.
dreigeschoßige Baukörper, wobei die räumliche
Anordnung und die inhaltliche Zuordnung der
einzelnen Funktionen jeweils klar gegliedert wird.
Durch die identische Anzahl der Geschoße und
Wahl der Fassade entstehen keinerlei Hierarchien,
im Gegenteil: Die beiden Trakte werden durch
eine zweigeschoßige Brücke miteinander verbun-
den, die aus den architektonischen „Geschwis-
tern“ wieder eine harmonische Einheit macht.
Das in eine Hülle aus Aluminium verpackte
­Ensemble, dessen Äußeres durch geschoßhohe
Fensteröffnungen mit unterschiedlichen Forma-
ten und Breiten durchbrochen ist, schmiegt sich
so perfekt an seine städtebauliche und auch land-
schaftliche Nachbarschaft.

MASSSTAB MENSCH

Im Inneren fokussiert die Architektur ganz auf die
Studierenden. Helle Großzügigkeit dominiert die
Räume und Säle, die von der lebendigen Unregel-
mäßigkeit der Öffnungen nach außen profitieren.
Schon die verglaste Eingangshalle signalisiert Of-
fenheit und Transparenz: Das zweigeschoßige Foy-
er beeindruckt mit doppelter Raumhöhe und gilt
als zentrale Verkehrs- und Kommunikationsdreh-
scheibe. Die einladenden Treffpunkte und Verweil-
zonen lassen – auch durch die ­geschickt positionier­
                                                        Foto: Daniel Hawelka / Delugan Meissl Associated Architects

ten Lichthöfe – viel Tageslicht ins Gebäude und
be­gin­nen mit den gestalteten Außenbereichen mit
solitär gesetzten Bäumen, die in geschliffene Ort-
betonsockel eingefasst und von Sitzgelegenheiten
aus Holz begleitet werden, sowie ruhigen, ausglei-
chenden Grasfeldern gleichsam einen visuell anre-
genden Dialog. Das torartige Erscheinungsbild un-
terhalb der Verbindungsbrücke zwischen den
beiden Baukörpern vermittelt Durchlässigkeit und
bietet der studentischen Betriebsamkeit viel Raum,
auch als geschützter Bereich im Freien.

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WEISS1_2021 - WEISS MAGAZIN
„
Werkschau                  National

                                                                                                                                      Gerade das Univer-
                                                                                                                                     sitätsgebäude über-
                                                                                                                                     nimmt als zentraler
                                                                                                                                   Schauplatz der neuen
                                                                                                                                         Generation eine
                                                                                                                                    Vorbildfunktion hin-
                                                                                                                                    sichtlich Architektur
                                                                                                                                  und Nachhaltigkeit. Es
                                                                                                                                        repräsentiert den
                                                                                                                                  Stand der Technik und
                                                                                                                                       zeigt, wie Zukunft
                                                                                                                                     schon heute seitens
                                                                    Foto: Daniel Hawelka / Delugan Meissl Associated Architects

                                                                                                                                      des Landes Nieder-
                                                                                                                                      österreich realisier-
                                                                                                                                                  bar ist.“
                                                                                                                                  Karl Dorninger, Gebäudeverwaltung beim Amt der NÖ Landesregierung

 Luft und Licht. Obwohl das
    Gebäude eher auf Fokus-
siertheit und Konzentration           RAUM IM FLUSS                                                                                           kleinere Seminarräume. Obwohl ganz bewusst
    ausgerichtet ist, spiegelt                                                                                                                ein gewisser Raumfluss bedeutend zum Design
   sich im architektonischen
                                      Der scharfe Beobachter entdeckt dennoch einen                                                           beiträgt, so sind die einzelnen Bereiche dennoch
      Konzept von DMAA an
  vielen Orten der Gedanke            markanten Unterschied: Der südseitige Trakt                                                             klar definiert und voneinander entkoppelt.
          des Weitblicks, der         hat ein Geschoß weniger. Hier befinden sich                                                             Während sich die Fassade aus Alu-Sandwich-
           Offenheit und des          unter anderem auch der Festsaal und die Hör-                                                            Paneelen in einem gedeckten, grau-braunen
           ­Freigeistes wider.
                                      säle, die durch die Raumhöhe und Größe für eine                                                         Farbton präsentiert, entfaltet sich das Innere
                                      große Personenzahl konzipiert wurden. Im ge-                                                            des Gebäudes in strahlendem Weiß, kombiniert
                                      genüberliegenden Trakt sind sämtliche Büro-                                                             mit verschiedenen Grautönen und Holzelemen-
                                      und Administrationsräume untergebracht sowie                                                            ten an Wänden und Decken. Ein Großteil der

                                                                                                                                                                        Weiss 1_2021                  9
WEISS1_2021 - WEISS MAGAZIN
National       Werkschau

                                     Böden sind in Cremeweiß gehalten, klar definiert
                                     mit deutlich sichtbaren Fugen als Gestaltungs-
                                     mittel. Sie bilden einen nuancierten Übergang
                                     zu den weiß verputzten Wänden der Treppen-
                                     häuser.

                                     VISIONÄRES KONZEPT

                                     Seit Ende letzten Jahres müssen Wohn- und
                                     Nichtwohngebäude gemäß den neuen EU-Ge-
                                     bäuderichtlinien umgesetzt werden. Eine große
              Spiel mit dem Licht.   Herausforderung für die Architekten und ihre
          Die strengen baulichen     Projektpartner, die die Privatuniversität gemein-
     Vorgaben, die vor allem für     sam in weiser Voraussicht schon im Vorfeld
      öffentliche, stark frequen-
                                     unter vielen Gesichtspunkten zukunftsfit ge-
           tierte Bildungsbauten
         gelten, wurden hier mit     plant haben. Um den heute vorgeschriebenen
       eleganten Details gelöst.     Niedrigstenergiestatus zu erreichen, wurde auf

                                                                                         Fa k t e n
                                                                                         Karl Landsteiner Privatuniversität Krems,
                                                                                         Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, 3500 Krems a. d. Donau

                                                                                         Bauherr:
                                                                                         Amt der Niederösterreichischen Landesregierung
                                                                                         Architektur:
                                                                                         DMAA – delugan meissl associated architects
                                                                                         Wettbewerb 1. Preis
                                                                                         Generalplanung:
                                                                                         ARGE_DMAA/Vasko + Partner
                                                                                         Bruttogeschoßfläche:
                                                                                         8 980 m², davon 1 807 m² bebaut
                                                                                         Nutzfläche:
                                                                                         4 500 m² auf fünf Geschoßen
                                                                                         Höhe: 23 Meter
                                                                                         Freiraumplanung:
                                                                                         Rajek Barosch Landschaftsarchitektur
                                                                                         Örtliche Bauaufsicht:
                                                                                         Pfaffenbichler ZT GmbH
                                                                                         Tragwerksplanung, thermische Bauphysik,
                                                                                         Gebäudetechnik: Vasko + Partner
                                                                                         Bauzeit: 2015–2016
                                                                                         Auszeichnung:
                                                                                         klimaaktiv Gold (988 von 1.000 Punkten)

10          Weiss 1_2021
Werkschau             National

                                                                                                                  Gekommen, um zu bleiben.
                                                                                                                        Die unterschiedlichen
                                                                                                                   Bereiche und Begegnungs-
                                                                                                                   zonen zeichnen sich durch
                                                                                                                         eine besonders hohe
                                                                                                                     Aufenthaltsqualität aus.
                                                               thermische Bauteilaktivierung gesetzt. Dabei                                     DIE ZUKUNFT IM BLICK
                                                               sorgen wasserführende Rohre in den Decken für
                                                               ausgeglichene, angenehme Temperaturverhält-                                      Was heute Pflicht ist, war hier schon von Beginn an
                                                               nisse in den Räumen und lassen so auf energie-                                   Teil des Plans: Als signifikanter Teil eines ganzen
                                                               intensive Kühlung und Heizung verzichten.                                        Universitätskomplexes wird die Karl Landsteiner
                                                               Zum Kühlen fließt im Sommer kaltes Wasser                                        Privatuniversität schon in ihrem Kerngebäude zur
                                                               durch das Rohrsystem, in der kalten Jahreszeit                                   Schlüsselarchitektur   einer   neuen     Generation.
                                                               lässt sich die Grundlast des Heizwärmebedarfs                                    Nicht nur das zu zeigen, was sein könnte, sondern
                                                               decken, indem warmes Wasser die Rohrregister                                     zu beweisen, wie wichtig es ist, rasch die Initiative
                                                               durchströmt. Zusätzlich werden energieeffizien-                                  zu ergreifen und Chancen zu nützen – das zeichnet
Fotos: Daniel Hawelka / Delugan Meissl Associated Architects

                                                               te Wärmepumpen und Kältemaschinen einge-                                         dieses Projekt in seiner Vorbildfunktion aus. Und
                                                               setzt, kombiniert mit einer Lüftungsanlage mit                                   dieses Engagement wurde auch belohnt: klima-
                                                               Wärmerückgewinnung, die die Zuluft entfeuch-                                     aktiv bewertete die KLPU nach den Katego­rien
                                                               tet, Energieverluste reduziert und Tauwasserbil-                                 Planung und Ausführung, Energie und Ver­sorgung,
                                                               dung vermeidet. Auch einige der Laborräume                                       Baustoffe und Konstruktion sowie Komfort und
                                                               sind mit der unterhalb der Bewehrung der                                         Raumluftqualität mit 988 von 1 000 möglichen
                                                               Betondecke liegenden Bauteilaktivierung aus-                                     Punkten und damit mit dem Prädikat Gold, ebenso
                                                               gerüstet. Schließlich sorgt eine hauseigene                                      wie die Österreichische Gesellschaft für Nachhalti-
                                                               Photovoltaikanlage auf dem Dach für die erfor-                                   ge Immobilienwirtschaft (ÖGNI), die das Gebäude
                                                               derliche Stromgewinnung für ein klimafreund-                                     mit dem Gütesiegel Gold und damit mit der höchs-
                                                               liches Erwärmen des Wassers.                                                     ten Qualitätsstufe zertifiziert hat.

                                                                                                                                                                          Weiss 1_2021              11
International       Werkschau

                                                   MEDIATHEK „LA PASSERELLE“, VITROLLES/FRANKREICH

                 Architektur der Gegensätze
     Nur wenige vergleichbare Bauaufgaben vermögen es, so gekonnt mit Kontrasten zu spielen wie die
       neue Mediathek in der französischen Kleinstadt Vitrolles, nahe der Metropole Marseille im Süden
     von Frankreich. Auf einem fast fragil wirkenden Glaskubus setzte das Pariser Architektenteam rund
            um Jean-Pierre Lott einen Baukörper aus massivem Stahlbeton, dessen schwere Hülle eine
             kontinuierlich umlaufende Welle formt. So als hätte sie der vom Meer wehende Südwind in
                        voluminöse Falten geworfen, die beim Aushärten in der Bewegung erstarrt sind.

                                                                                Eine große, stattliche Mediathek für eine
                                                                         vergleichbar kleine Stadt – das ist nur einer der
                                                                         ­Gegensätze, die „La Passerelle“ – die neue Haupt­
                                                                         bibliothek von Vitrolles – in sich birgt. Die
                                                                         ­Motivation, die hinter dem imposanten Bauwerk
                                                                         steckt, ist nachvollziehbar, wenn man einen Blick in
                                                                         die Geschichte von Vitrolles wagt: Vor weniger als
                                                                         hundert Jahren zählte das ehemalige Dorf in
                                                                         der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur nur knapp
                                                                         900 Einwohner. Das massive Wachstum setzte erst
                                                                         Anfang der 1960er Jahre ein. Seitdem hat sich die
                                                                         Bevölkerung auf aktuell rund 35.000 Einwohner
                                                                         nochmals vervielfacht. Mit der neuen Bibliothek
                                                                         im Zentrum der Stadt findet der vor knapp einem
                                                                         Jahrzehnt eingeleitete städtische (Re)Vitalisie-
                                                                         rungsprozess vorläufig seinen krönenden Ab-
                                              La Passerelle: Die neue
                                                                         schluss.
                                          Mediathek im südfranzösi-
                                             schen Vitrolles setzt mit
                                               ihrer geschwungenen
                                                  Fassade auf einem      VOM FISCHERDORF ZUR SCHLAFSTADT
                                                                                                                                Fotos: Raphaël Demaret

                                              gläsernen Sockel einen
                                         designlastigen Kontrapunkt
                                                   in die langweilige    Das Kleine Fischerdorf gleich hinter dem Flugha-
                                                    Rasterbebauung.      fen, nur rund 15 Kilometer im Nordwesten von
                                                                         ­Marseille gelegen, ereilte dasselbe Schicksal

12       Weiss 1_2021
Werkschau   International

                             Der Innenraum präsentiert
                                 sich als geschwungener
                              Parcours durch den Raum.
                            Das zweigeschoßige Atrium
                            wird durch eine Passerelle in
                                    zwei Hälften geteilt.
International   Werkschau

                              Seifenblase: Planerisch,
                                  baulich und für den
                         trockenen Innenausbau eine
                            der größten Herausforde-
                            rungen ist der „Raum der
                           Märchen“ ein Ellipsoid, das
                               im Raum zu schweben
                             scheint und das optische
                                Highlight des Atriums
                                               bildet.
Fotos: Raphaël Demaret
Werkschau   International

                 wie viele kleine Städte und Dörfer im Umfeld gro-      Gebäude neu angelegte Park auf der anderen ­Seite
                 ßer Metropolen. Städteplanerisch mehr oder weni-       zur kontrastreichen Kulisse für die Innenraumge-
                 ger ohne Konzept wurden innerhalb kürzester Zeit       staltung.
                 hunderte großvolumige Geschoßwohnungsbauten
                 aus der Erde gestampft, die architektonisch im bes-
                 ten Fall als anspruchslos bezeichnet werden kön-       EINLADEND
                 nen. Innerhalb weniger Jahre verwandelte sich da-
                 mit das dörfliche Idyll in eine riesige Schlafstadt,   Im Glaskubus sind erdgeschoßig die Leihstelle und
                 die für die arbeitende Bevölkerung von Marseille       die Kinderabteilung der Bibliothek untergebracht
                 vergleichsweise günstigen Wohnraum zur Verfü-          sowie ein öffentliches Café, ein Vortragsaal, ein
                 gung stellt, der zudem vorwiegend in den Nacht-        großzügiges Auditorium und ein Ausstellungsbe-
                 stunden genutzt wird, wodurch die Stadt selbst         reich für wechselnde Bespielung. Das Gebäude ist
                 tagsüber ein kaum funktionierendes Stadtleben          so konzipiert, dass der gesamte ebenerdige Bereich
                 für ihre (abwesenden) Bewohner/innen bereithält.       auch außerhalb der Bibliotheksöffnungszeiten
                                                                        ­unabhängig genutzt werden kann.
                                                                          Die sich nach oben hin verjüngende, frei im
                 STADTREPARATUR                                         doppelgeschoßigen Atrium stehende, geschwun-
                                                                        gene Freitreppe soll die Besucher ins Obergeschoß
                 Die neue Mediathek mit einer Netto-Nutzfläche          ziehen, wo sich der Großteil des Freihandbereichs
                 von fast 4 000 Quadratmetern ist der Höhepunkt         der Bibliothek befindet. Ebenfalls im Obergeschoß
                 der knapp ein Jahrzehnt davor in Gang gesetzten        befindet sich hinter der Betonfassade versteckt
                 Stadtreparatur, die aus der „schlafenden Stadt“        und von ihr geschützt eine holzgedeckte Freiluft-
                 eine Stadt mit einem aktiven Gemeinschafts- und        terrasse, die über die unregelmäßig angeordne-
                 Sozialleben machen soll. In der Stadtmitte und         ten, polygonalen Einschnitte in die Hülle einen
                 ­direkt an der nach Marseille führenden Haupt­         immer wieder anderen Ausblick auf die umlie-
                 verkehrsachse gelegen, setzt Architekt Jean-Pierre     gende Stadt bietet. Neben Freihandbereich und
                 Lott ein deutliches und selbstbewusstes Zeichen,       Terrasse befinden sich im ersten Obergeschoß
                 welches das Stadtzentrum beleben und Identität         auch mehrere Arbeits- bzw. Leseräume. Das zwei-
                 stiften soll. Dazu trägt einerseits die Architektur    te, zurückgesetzte Obergeschoß beherbergt aus-
                 selbst bei, mit ihrem mächtigen amöbenartigen          schließlich Büroräumlichkeiten und ist dem Ver-
                 Oberbau auf einem sehr filigranen, gläsernen Ku-       waltungspersonal vorbehalten.
                 bus als Sockel, der sich noch ganz streng an den
                 orthogonalen städtebaulichen Raster hält. Auf der
                 anderen Seite ist es die Gebäudenutzung, die           GANZ IN WEISS
                 ­anziehen soll: Im Obergeschoß – zur Außenwelt
                 durch massive Betonmauern gut abgeschottet –           Weiß ist die dominante Farbe der Innenraumge-
                 bildet die Mediathek einen geschützten, ruhigen        staltung – sowohl in den offenen Sockelgescho-
                 und weitläufigen Rückzugsort, während das Erd-         ßen als auch in den Geschoßen darüber. Dem
                 geschoß mit öffentlichen Funktionen dicht be-          rechten Winkel der Stadtstruktur wird im gesam-
                 stückt, die Passanten mit demonstrativer Offen-        ten Gebäude eine fließende Raumlandschaft ent-
                 heit und Durchlässigkeit geradezu in das Gebäude       gegengesetzt: Treppen, Galerien, Brüstungen,
                 locken soll. Hier verschwimmen die Grenzen zwi-        Trenn­wände und selbst die Möblierung weisen
                 schen Innenraum und Außenwelt, wird der Stra-          geschwungene Formen auf, die mäandernd durch
                 ßenverkehr auf der einen Seite und der vor dem         das Gebäude geleiten. Um der ganzen Bewe-

                                                                                                Weiss 1_2021                15
International             Werkschau

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                                                                                       Mediathek „La Passerelle“
                                                                                       Avenue des Salyens, Vitrolles/Frankreich

 gung Ruhe zu verleihen, sind alle Oberflächen mit
                                                                                       Bauherr:
 Ausnahme des Fußbodens, sämtliche Einbauten
                                                                                       Stadt Vitrolles – vertreten durch Icade,
 und der überwiegende Großteil der Möblage in                                          Vitrolles/FR
 Weiß gehalten. Vereinzelte, kräftige Farbakzente                                      Architekt:
 in den Grundfarben Rot, Blau oder Grün setzen                                         Jean-Pierre Lott, 75001 Paris
 ­lediglich die im Raum verteilten Polstermöbel                                        Tragwerksplanung:
 bzw. die Unterseiten der abgehängten Deckenele-                                       Oteis, Ais-en-Provence/FR

 mente, welche besondere Plätze wie die Info-                                          Technische Gebäudeausrüstung (TGA):
                                                                                       Oasiis, Aubagne/FR
 points oder Computerstationen kennzeichnen.
                                                                                       Akustikplanung:
                                                                                       Acoustb/Agence Sud, Saint-Martin-d'Hères/FR
                                                                                       Trockenbau:
 INTIMZONE                                                                             Denie la Stafferie, La Colle sur Loup, Provence-
                                                                                       Alpes-Cote d’Azur/FR
 Namensgebend für das Gebäude und markantes                                            Nutzfläche: ca. 4.000 m2
 Designelement des zweigeschoßigen Atriums ist                                         Fertigstellung: 2016
 eine Passerelle – eine Brücke, die quer durchs Atri-                                  Errichtungskosten: 10 Mio. Euro
 um verläuft und dieses in zwei Teile „schneidet“.
 In einen dieser Bereiche setzte das Architekten-
 team den markantesten und gleichzeitig intims-          Sowohl im Außen- als auch
 ten Bereich des Gebäudes: den Raum der Mär-             im Innenbereich wurde mit
 chenstunde. Ein weitgehend geschlossenes, im                     der Spachtelung in
                                                        Ausführungsstufe 4 auf eine
 Raum schwebendes Ellipsoid dient als Rückzugs-
                                                           extrem glatte und streif-
 raum für (Kinder-)Gruppen zum konzentrierten                  lichtfreie Oberfläche
 Vorlesen, Geschichten erzählen und Lauschen.                           Wert gelegt.

                                                                                                                                          Fotos: Raphaël Demaret

16      Weiss 1_2021
Werkschau               International

                                                                                        Foto: Raphaël Demar
INNENAUSBAU MIT HÖCHSTEM ANSPRUCH

„Der Raum der Märchenstunde“, oder auch „die
­Seifenblase“ genannt, steht stellvertretend für die
Ansprüche, die in diesem Projekt an den trockenen
Innenausbau gestellt wurden und ist gleichzeitig
das „Masterpiece“ des ausführenden Trockenbau-
unternehmens Denie la Stafferie. Den Designvor-
stellungen des Architekten folgend soll der Innen-
raum Bewegung und Leichtigkeit ausdrücken.
Bewegung wird vor allem durch die geschwunge-
nen Raumbegrenzungen und Einbauten vermit-
telt, die gewünschte Leichtigkeit wird maßgeblich
von der Farbgebung und den matten, glatten und
vor allem streiflichtfreien Oberflächen erzeugt.           Der „Raum der Märchen-
   Bei der Seifenblase arbeiteten Architekt, Stahl-      stunde“ nennt sich das fast
                                                            frei in der Eingangshalle
bauer und Trockenbauunternehmen eng zusam-
                                                        schwebende Oval, das nicht
men und entwickelten eine Konstruktion, die ein          nur an die Planung sondern
Maximum an Vorfertigung ermöglichte. So konnte          vor allem an das ausführen-
die Errichtungszeit auf der Baustelle vergleichs­       de Trockenbauunternehmen
                                                             höchste handwerkliche
weise kurz gehalten werden. Die einzelnen faser-
                                                              Anforderungen stellte.
verstärkten Gips-Formteile der inneren und äuße-
ren Schale wurden vom Trockenbauunternehmen
in der Werkshalle vorgefertigt und vor Ort auf der
Baustelle nur noch auf die Unterkonstruktion mon-
tiert. Innen wie außen wurden die Formteile in                                                                gungen. Das Gebäude wurde nach den Nachhaltig­
Ausführungsstufe 4 verspachtelt. Analog dazu er-                                                              keitsprinzipien des französischen Umweltlabels
folgte auch die Vorfertigung der abgehängten De-                                                              „Bâtiment Durable Méditérrannée“ (BDM) errich-
ckenelemente, die sich im gesamten Gebäude wie-                                                               tet, wonach alle drei Nachhaltigkeitskomponen-
derfinden und spezielle Plätze wie Infopoints oder                                                            ten – ökologisch, sozial, ökonomisch – erfüllt
Computerstationen kennzeichnen. Hier galt es in                                                               ­werden mussten. Der Einsatz von umweltfreund-
Zusammenarbeit mit dem Zimmerer eine mög-                                                                     lichen und ökologisch unbedenklichen Gips- und
lichst leichte, höchst stabile und statisch optimier-                                                         Gipsprodukten bringt in der BDM-Bewertung
te Konstruktionslösung zu finden, auf die die vor-                                                            Pluspunkte. Bei der Stahlbetonhülle kam deshalb
gefertigten Formteile montiert werden konnten.                                                                auch ein Portlandkomposit-Zement zum Einsatz,
                                                                                                              dem rund 30 Volumsprozent Hüttensand zuge-
                                                                                                              mischt werden. Da es sich beim Hüttensand um
ÖKOLOGISCH VORBILDLICH                                                                                        ein Nebenprodukt aus der Stahlherstellung han-
                                                                                                              delt, fällt bei der Zementherstellung deutlich we-
Mit ein Grund für den weitreichenden Einsatz von                                                              niger CO2 an, wodurch der verwendete Beton als
Gips- und Gipsplatten im Innenraum waren nicht                                                                kohlenstoffdioxidarmes Produkt gewertet wird.
nur die Optimierung des Bauablaufs und der Bau-                                                               Somit konnte in Summe das BDM-Umweltlabel
zeit, sondern vor allem auch ökologische Überle-                                                              in Silber erreicht werden.

                                                                                                                                        Weiss 1_2021               17
Design   Werkschau

                                                HEARTSPACE – UNIVERSITY OF SHEFFIELD/VEREINIGTES KÖNIGREICH

                                                                Preisgekrönte
                                                           Ingenieurbaukunst
     Einst völlig ungenutzt und lieblos (un)gestaltet wurde
    die ehemalige Restfläche zwischen zwei historischen
   Gebäuden der Universität Sheffield mit neuem Leben
    erfüllt. Da, wo noch bis vor kurzem nur das Unkraut
   aus dem Asphalt spross, sprießen jetzt die Ideen.
        Das neue Atrium macht’s möglich, denn es
   verbindet nicht nur die beiden Baukörper auf
      allen vier bestehenden Ebenen, sondern
     schafft neben neuen Verbindungen ein
   zusätzliches Raumangebot zum Lernen,
   Forschen, Studieren und Kommunizieren
   – umhüllt von einer spektakulären, mehr­
 fach preisgekrönten Konstruktion aus Stahl.

                                                      ZEITREISE DURCH DIE ARCHITEKTUR
            Die Universität von Sheffield ist weit
     über die Landesgrenzen des Vereinigten König-    Seit ihrer Gründung ist die Universität von
     reichs hinaus bekannt, unter anderem für ihre    Sheffield stets gewachsen – sowohl inhaltlich
     Ingenieurforschung und ihre hochkarätigen        als auch räumlich. Heute besteht sie aus 50 aka-
     Forschungspartnerschaften mit Branchenfüh-       demischen Abteilungen, aufgeteilt auf fünf
     rern wie beispielsweise Rolls-Royce, McLaren,    Fachfakultäten und eine internationale Fakultät.
     Siemens, Unilever oder BAE Systems. Unter den    Die einzelnen Gebäude bilden keinen geschlos-
     Absolvent/innen und ehemaligen Mitarbeiter/      senen Campus, wie er bei größeren Universitäts-
     innen der Universität finden sich neben sechs    komplexen im englischsprachigen Raum sonst
     Nobelpreisträgern, auch mehrere Staatsober-      üblich ist. Der Großteil der insgesamt rund 430
     häupter, britische Innenminister, Astronauten    Gebäude liegt aber trotzdem unmittelbar ne-
     oder olympische Goldmedaillengewinner. Die       beneinander. Die Architektur wurde stets dem
     Gründung der Universität von Sheffield geht      Zeitgeist und dem baulichen Stil der jeweiligen
     auf die Eröffnung der Sheffield Medical School   Epoche entsprechend errichtet und zeigt heute
     im Jahr 1828 zurück. Zur Universität erhoben     ein zeitliches Portfolio vom viktorianischen Stil
     wurde sie unter Edward VII. im Jahre 1905.       über die Moderne bis in die Gegenwart.

18       Weiss 1_2021
Werkschau
                                                       Design

Weiss 1_2021
               Foto: Waagner Biro steel & glass GmbH

19
Design    Werkschau

                     In den bis zu viergeschoßi-
                      gen Einbauten unter dem
                        gläsernen Dach wurden
                     neue Labore und Büros für
                         die Fakultätsmitglieder
                              untergebracht. Das
                          Erdgeschoß bildet eine
                       großzügige Kommunika-
                         tions- und Pausenzone.

                    VERBINDUNGSGLIED

                    Die bislang jüngste bauliche Erweiterung wurde
                    im vergangenen Frühjahr eröffnet und stellt kein
                    eigenständiges Gebäude im eigentlichen Sinn
                    dar, sondern ist vielmehr das neue Ver­bin-
                    dungsglied zweier historischer Baukörper im
                    viktorianischen Stil. Zwischen die aus rotem
                    ­Ziegel und Steinelementen bestehenden Fassa-
                     den setzte das Architekturbüro Bond Bryan Ltd.
                     ein bis zu viergeschoßiges Atrium aus Stahl und
                     Glas, das den Eindruck erweckt, als hätte eine
                     ­gigantische Wasserwelle den ehemals ungenutz-
                      ten Innenhof zwischen den beiden Ge­bäuden
                      gerade eben geflutet und würde noch zwischen
                      deren Traufenkanten hin- und her­schwappen.
                      Das neue Atrium löst das bis dahin bestehende
                      Problem der Unverbundenheit zwischen dem
                      unter Denkmalschutz stehenden ­Frederick
                      Mappin Building und dem Central Wing im Her-
                      zen des Universitätskomplexes. Heart­space lau-
                      tet so auch der Name für dieses Bindeglied, das
                      zusammenbringt, was bis dato getrennt war und
                      die Kommunikation und ­Zusammenarbeit zwi-
                      schen den Nutzer/innen lange Zeit erschwerte.

                    INSPIRATION ÜBER KOPF
                                                                        Foto: Waagner Biro steel & glass GmbH

                    Sehr passend beherbergen die beiden – nun mit
                    einer sympathischen architektonischen Geste
                    verbundenen – historischen Gebäude die Fakul-
                    tät für Ingenieurwesen, die für ihre Expertisen
                    und Forschungen weltweit höchstes Ansehen
                    genießt. Die Lehrenden, Studentinnen und
                    Studenten können sich nun tagtäglich von
                    einer außergewöhnlichen Konstruktion und in-

20   Weiss 1_2021
„
                                           Werkschau             Design

                                           genieursmäßigen Meisterleistung über ihren
                                           Köpfen inspirieren lassen.
                                                                                                  Das Projekt ist ein ausge-
                                               Das neu errichtete Atrium beherbergt unter            zeichnetes Beispiel für
                                                                                                     Bauen im historischen
                                           ­seinem gläsernen Dach mit einer Fläche von
                                            rund 1 400 Quadratmetern nicht nur eine groß-

                                                                                               ­Bestand mit Stahl und Glas
                                            zügige Eingangs- und Empfangszone direkt an
                                            der Portobello Road, sondern auch eine Cafeteria
                                            für das Universitätspersonal und die Studieren-
                                            den sowie weitere Sozialräume, Hörsäle, neue        als konträre Materialien zu
                                            Labore und Büros für die Fakultätsmitglieder in
                                            zwei einander gegenüberliegenden bis zu vier-
                                                                                                          Ziegel und Stein.“
                                                                                                        Jury-Begründung beim Österreichischen Stahlbaupreis 2021
                                            geschoßigen Einbauten.

                                           TRANSFORMATION

                                           Heartspace überdacht den bis dahin ungenutz-
                                           ten Innenhof und transformiert die wenig
                                           ­ansprechende Gebäudeschlucht in ein voll funk-
                                                                                                                                     Riesige Stahlsäulen, die sich
                                            tionsfähiges Bauvolumen, das Universität und                                                 wie Bäume verzweigen,
                                            Stadt um ein neues architektonisches Highlight                                              tragen das Glasdach, das
                                                                                                                                        statisch unabhängig von
                                            bereichert.
                                                                                                                                               den angrenzenden
                                               Die größte Herausforderung für Architekten                                                  Gebäuden konstruiert
                                            und Statiker stellte die Abstützung der                                                                       wurde.
Foto: John Kees Photography SAINT-GOBAIN
Design      Werkschau

                                                                                                                        BAULICHE HERAUSFORDERUNGEN

                                                                                                                        In unmittelbarer Nähe des dicht verbauten
                                                                                                                        Stadtzentrums, auf einem unter Denkmalschutz
                                                                                                                        stehenden Grundstück im Innenhof zwischen
                                                                                                                        zwei historisch wertvollen Gebäuden in luftiger
                                                                                                                        Höhe eine doppelt gekrümmte Dachkonstruk­
                                                                                                                        tion zu errichten, stellte nicht nur die Planer, son-
                                                                                                                        dern in erster Linie auch die ausführenden Un-
                                                                                                                        ternehmen vor gewaltige Herausforderungen.
                                                                                                                        So flossen in die Planung der einzelnen Dachseg-

                                                                                Foto: Waagner Biro steel & glass GmbH
                                                                                                                        mente nicht nur gestalterische, sondern auch
                                                                                                                        logistische und transport- sowie krantechnische
                                                                                                                        Überlegungen mit ein. Eingehende Studien zur
                                                                                                                        optimalen Größe der Glasscheiben beeinfluss-
                                                                                                                        ten die Stückzahl, den Abstand sowie die Dicke
                                                                                                                        der einzelnen Glaselemente.
                                                                                                                             Über 900 dreieckige Glaspaneele bilden das
                                                                                                                        neue Dach, das Ästhetik und Funktionalität ver-
                                                                                                                        eint. Zum Einsatz kam das Sonnenschutzglas
                                                      Die Verbindungen zwischen
                                                        den Baumsäulen und den                                          ­Climaplus Cool-Lite Xtreme, das dank seiner
                                                      Ästen sind so gestaltet, dass                                      ­hervorragenden Isolierung eine Überhitzung
                                                              sie die vorhandenen                                         der Innenräume vermeidet, dabei aber gleich­
                                                        historischen Elemente der
 Dachkonstruktion dar. Um eine klare Trennung                                                                             zeitig viel Licht hindurchlässt und so eine licht-
                                                              Ziegelfassaden nicht
 zwischen historischem Bestand und baulicher                            verdecken.                                        durchflutete Atmosphäre schafft. Zusätzlichen
 Erweiterung zu schaffen, vor allem aber um eine                                                                          Sonnenschutz und Blendfreiheit im Innenraum
 Überlastung der angrenzenden Gebäude zu ver-                                                                             bieten die in Siebdrucktechnik auf das Glas auf-
 hindern, musste die gesamte Dachkonstruktion                                                                             gebrachten kleinen weißen Punkte. An der rund
 statisch unabhängig von den angrenzenden Ge-                                                                             600 Quadratmeter umfassenden Fassade wur-
 bäuden selbstragend ausgeführt werden. Die                                                                               de ebenfalls hochselektives Sonnenschutzglas –
 Lösung fand sich in stählernen „Baumsäulen“,                                                                             allerdings ohne Siebbedruckung – verwendet,
 die als charakteristische Designelemente in das                                                                          um die klare Sicht auf die dahinterliegenden
 Atrium integriert wurden. Dabei sind die Ver-                                                                            Bestandsfassaden nicht zu beeinträchtigen.
 bindungen zwischen den Säulen und die Anord-                                                                                Die Baumstützen wurden so konstruiert, dass
 nung der einzelnen Äste so gewählt, dass sie die                                                                         sie unmittelbar nach dem Aufstellen freitra-
 historisch wertvollen Elemente der Fassade                                                                               gend sind. So konnten temporäre Sicherungs-
 nicht verdecken, sondern ihnen vielmehr einen                                                                            maßnahmen entfallen und die Arbeiten vor Ort
 Rahmen verleihen.                                                                                                        auf der Baustelle minimiert werden. Um auch
    Anstelle klassischer Hohlprofile für die Ferti-                                                                       die Anzahl der Einzelteile auf der ­Baustelle sowie
 gung der Säulen wurden sich nach oben verjün-                                                                            die anfallenden Schweißar­beiten zu reduzieren,
 gende Stahlprofile verwendet. Damit erscheinen                                                                           wurde das Dach zudem in Einzelteilen in der
 die Säulen deutlich schlanker und zusätzlich                                                                             Werkshalle vorgefertigt. Die einzelnen Dach-
 können die unschönen Schweißnähte beim An-                                                                               elemente sind über Knotenpunkte aus dickem
 einanderfügen der Hohlprofile im Bereich der                                                                             Stahlblech miteinander verbunden. Um die
 „Baumäste“ vermieden werden. Und auch wirt-                                                                              optimale Passform sicherzustellen wurden die
 schaftlich weiß die Speziallösung mit einem                                                                              einzelnen Knoten mittels Laserschnitttechnik
 deutlich geringeren Stahlverbrauch zu punkten.                                                                           millimetergenau gefertigt.

22      Weiss 1_2021
Werkschau             Design

PREISGEKRÖNT                                        Fa k t e n

Sowohl die Architektur als auch die hoch­kom­       Heartspace – University of Sheffield
                                                    Vereinigtes Königreich
plexen technischen Lösungen bei der baulichen
Umsetzung des Heartspace überzeugten die
                                                    Bauherr:
Jury bei der Wahl zum Sieger in der Kategorie       University of Sheffield, Sheffield/United Kingdom
„Hochbau“ beim diesjährigen Österreichischen        Architektur:
Stahlbaupreis. „Das Projekt ist ein ausgezeichne­   Bond Bryan Ltd., London, Sheffield, Westerham,
tes Beispiel für Bauen im historischen Bestand      Birmingham/United Kingdom

mit Stahl und Glas als konträre Mate­rialien zu     Glasverarbeiter – Dach:
                                                    Saint-Gobain Glassolutions Austria/
Ziegel und Stein. Durch die leichte und groß­-
                                                    Eckelt Glas, Steyr
zü­gi­ge Stahlkonstruktion entstand ein neues
                                                    Glasverarbeiter – Eingangsfassade:
Raum­gefüge, welches aufgrund seiner Trans-         Saint-Gobain Glassolutions Objektcenter
parenz und Leichtigkeit zugleich als Innen- wie     Radeburg/Deutschland
­Außenraum wahrgenommen wird. Die stahl-            Stahlbaukonstruktion:
                                                    Wagner Biro, Wien
 bautechnischen Details zeugen von hoher
                                                    Nutzfläche Einbauten:
Planungs- und Fertigungskompetenz und bil-
                                                    ca. 12 500 m2
den gemeinsam mit den sauber gelösten
                                                    Dachfläche: 1 370 m2
Anschlüssen an den Altbau ein einheitliches
                                                    Baubeginn: Mai 2017
Ganzes“, heißt es in der abschließenden Jury­-
                                                    Fertigstellung: Frühjahr 2020
Begründung.
                                                    Auszeichnung: Österreichischer Stahlbaupreis,
                                                    Kategorie Hochbau

                                                                                                                                                       Spiel mit Kontrasten:
                                                                                                                                                   Der Hauptzugang erfolgt
                                                                                                                                                über die Portobello Road, an
                                                                                                                                                der Alt und Neu harmonisch
                                                                                                                                                  aufeinandertreffen, ohne
                                                                                                                                                  sich gegenseitig die Show
                                                                                                                                                                  zu stehlen.
                                                                                                                                 SAINT-GOBAIN
                                                                                                     Foto: John Kees Photography SAINT-GOBAIN

                                                                                                                                                  Weiss 1_2021                  23
Por trät
Foto: Leonhard Hilzensauer

                             Nonconform ist kein klassisches Archi-
                      tekturbüro. Es ist eine Denkfabrik, die sich sämt-
                      licher Aspekte rund um das Wohnen, Arbeiten,
                      Leben – kurz des Miteinanders – annimmt.                                                   NONCONFORM
                      „Die aktuellen sozioökonomischen und klima-
                      ökologischen Fragestellungen stellen unsere
                      Gesellschaft vor große Herausforderungen. Vor
                      diesem Hintergrund entwickeln wir gemein-
                      sam Zukunftsbilder für Orte, Unternehmen und
                                                                             Bildung braucht
                      Bildungsinstitutionen. Wir stoßen Veränderun-
                      gen im Großen wie im Kleinen an und begleiten
                      sie mit Prozess- und Planungskompetenz. Dabei
                                                                                       Raum
                      ermöglichen wir es den betroffenen Menschen,
                      denen es ein Anliegen ist, sich bei der Entwick-
                                                                            Sie beteiligen Menschen und begleiten Veränderung:
                      lung ihres Umfeldes einzubringen“, sagen die
                      Architektinnen Johanna Treberspurg und Caren              Das Wiener Architekturbüro nonconform hat eine
                      Ohrhallinger. „Mit analogen und digitalen Betei-              klare Haltung zur Beteiligungskultur und zum
                      ligungs- und Planungswerkzeugen und Metho-             Umgang mit sozialer und räumlicher Umwelt. Dabei
                      den schaffen wir eine kreative Arbeitsatmo-
                      sphäre und klare Rahmenbedingungen, in
                                                                             vermittelt das kreative Kollektiv seine Sichtweisen,
                      denen Veränderung gewagt und von vielen               stellt diese zur Diskussion und lebt das, was auch in
                      mitgetragen wird. Wir sorgen für Transparenz         der eigenen selbstorganisierten Arbeitskultur im Büro
                      sowie interdisziplinäre Vernetzung und geben
                                                                                                                  vermittelt wird.
                      unser Wissen gerne weiter – auf Konferenzen, in
                      Vorträgen und mit unserer Akademie.“                                                          Von Barbara Jahn

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                     MEHR LEBEN GEBEN                                                                      darf, wenn es darum geht, im Schulgebäude
                                                                                                           räumliche Synergien zu finden und die Räume
                     Apropos Bildung: Ein heiß diskutiertes Thema,                                         bestmöglich zu nutzen. „Unser Anspruch ist es,
                     auch bei nonconform, denn es gibt viel zu tun.                                        ein Ergebnis zu entwickeln, wobei durch die
                     Die Linie ist jedoch klar. „Es tut sich definitiv                                     Mehrfachnutzung mehr Raum für alle entsteht
                     ­etwas in der Bildungslandschaft. Wir beobach-                                        und dadurch etwa Erschließungsbereiche oder
                      ten, dass Bildungszentren als Bauaufgabe räum-                                       Treffpunkte wie das Foyer großzügiger gestaltet
                      lich durchaus auf Basis der zeitgemäßen päda-                                        werden können, sodass attraktive Lern- und
                      gogischen Konzepte errichtet werden, und man                                         Lebensräume entstehen“, sagt Johanna Treber-
                      erkennt, dass sie großes Potenzial in sich bergen,                                   spurg und ihre Kollegin ergänzt: „‚Lernen‘ findet
                      soziale Treffpunkte für Gemeinden, Stadtteile                                        ja nicht nach Stundenplan statt, sondern rund
                      oder Quartiere zu werden“, ist Caren Ohrhallin-                                      um die Uhr, wenn es die Umgebung – sowohl die
                      ger überzeugt. „Es geht vor allem darum, den                                         pädagogische als auch die räumliche – zulässt.
                      Begriff Bildungszentrum über die Schultore                                           Aber genau das ist ein Punkt, der meistens noch
                      hinaus zu denken und Vernetzungen mit der                                            stiefmütterlich betrachtet wird. Das betrifft
                      Umgebung zu schaffen.“ So sollte zum Beispiel                                        auch die Möblierung, die Materialien und somit
                      die Gestaltung von Foyer-Flächen so angelegt                                         die Atmosphäre in einem Schulgebäude. Wenn
                      werden, dass auch öffentliche Veranstaltungen                                        es der Anspruch ist, dass Schule nicht nur Lern-,
                      in der Schule stattfinden können, Bibliotheken                                       sondern auch Lebensraum sein soll, dann müs-
                      als Synergie aus Schul- und öffentlicher Biblio-                                     sen wir uns nur fragen, welche Vorstellungen
                      thek gedacht werden oder Freiflächen auch             Behutsam umgestaltet und       von Materialien und Atmosphäre wir für unser
                      außerhalb der Schulöffnungszeiten zugänglich             an ausgewählten Stellen     eigenes Wohnzimmer haben. Was brauchen wir,
                      sind. Der Beobachtung der beiden Expertinnen              geöffnet: So wurden im     um uns wohlzufühlen? Was ist der Anspruch an
                                                                             Leobener Bildungszentrum
                      nach gibt es dennoch einige Möglichkeiten in                                         die Ausstattung? ‚Putzbar‘ oder ‚nutzbar‘?“
                                                                                    Pestalozzi Licht und
                      der bestmöglichen räumlichen und zeitlichen           Sichtbeziehungen zwischen
                      Nutzung der Schulräume, die noch nicht zur              Klassenraum und Erschlie-
                                                                                   ßungsfläche möglich.
                      Gänze ausgeschöpft sind. „Die meisten Schulen                                        MITEINANDER STATT NEBENEINANDER
                                                                                 Herzstück ist ein groß­
                      stehen in Wahrheit über drei Viertel der Zeit leer,     zügiger, heller Raum über
                      wenn man über die Schultage (Ferienzeit) und          mehrere Ebenen, eine Lern-     Geht es nach den beiden erfahrenen Architek-
                      Unterrichtszeiten hinausdenkt. Oft gibt es noch         und Pausenlandschaft mit     tinnen, so sind soziale Infrastrukturen wie Schu-
                                                                              Bibliothek für das Zusam-
                      ein „Mascherl“-Denken, dass Räume nur für eine                                       len oder Bildungscampusse die Motoren für die
                                                                                menarbeiten und -leben
                      Funktion oder ein Fach genutzt werden können.“            unterschiedlicher Schul­   Entwicklung eines Quartieres beziehungsweise
                      Genau hier sehen sie großen Entwicklungsbe-               typen und Altersstufen.    auch für die Belebung ihrer Umgebung –
Fotos: Kurt Hörbst

                                                                                                                                   Weiss 1_2021                25
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                                     zum einen auf sozialer Ebene als Vernetzung           getrennte Eingänge der Schulstufen, sondern
                                     ­zwischen verschiedenen Bildungsangeboten so-         auch die Orientierung im ganzen Haus.“ Im
                                      wie damit potenziell verbundenen Zielgruppen         Bildungszentrum Pestalozzi in Leoben konnten
                                      zwischen Schule und Unternehmen und zum              die Architektinnen gemeinsam mit den Nutzern
                                      anderen ganz generell zwischen Bildungsein-          die Frage beantworten, wie ein zeitgemäßer
                                      richtungen und dem Rest der Gesellschaft. „Auf       Bildungscampus in einer alten Schulkaserne
                                      der konkret räumlichen Ebene wirkt es ganz un-       umgesetzt werden kann. Konkret ging es darum,
                                      mittelbar auf die Sichtbarkeit der Kinder und Ju-    ein gemeinsames Zuhause für eine Volksschule,
                                      gendlichen im Stadtraum und damit auf die            eine Neue Mittelschule und eine polytechnische
                                      Sichtbarkeit und Wertschätzung von Bildung in        Schule in einer unter Denkmalschutz stehenden
                                      der Gesellschaft, wenn sich die Schule dem           Gangschule zu schaffen. Die Einbindung des
                                      Stadtraum öffnet“, so Johanna Treberspurg. „Es       Schulpersonals und der Schüler im Rahmen der
                                      gibt jedoch einige wichtige Aspekte, die bei der     Ideenwerkstatt hat nicht nur räumliche Syner-
                                      Entwicklung von einem Bildungscampus zu be-          gien gebracht, sondern war der Grundstein für
                                      achten sind. Auch wenn man sich viele Flächen        ein lebendiges Zusammenwachsen der drei
                                      teilt, braucht jeder Schultyp eine klare Zuord-      Schulen in einem Gebäude.
                                      nung – so wie es in einer WG immer das „Eigene“
                                      und das „Gemeinsame“ gibt. Besonders bei den
                                      Kleinen ist es wichtig, dass sie eine eigene „Hei-   WENN RAUM BILDET
                                      mat“ und einen geschützten Bereich haben, der
                                      sich in der Maßstäblichkeit und der räumlichen       Dass gerade die beiden sich besonders für den
                                      Gestaltung an sie anpasst. Dazu zählen nicht nur     Bildungsbau interessieren, kommt nicht von
                                                                                           ­ungefähr. Das erste Projekt entstand aus einer
     Der Bürgermeister reagierte                                                            Initiative in Moosburg, dem Heimatort eines der
     schnell: Aus einer Studie für
                                                                                            nonconform-Partner. Der Impuls war das Fehlen
              die Erweiterung des
      Kindergartens entwickelte                                                             von Kinderbetreuungsplätzen und die hohe
       sich der erste Bildungsbau                                                           Nachfrage danach. „Dem ersten erfolgreich ab-
             und eine langjährige                                                           gewickelten Projekt sind weitere Anfragen
        Begleitung der Gemeinde
                                                                                            gefolgt, und wir haben schnell gemerkt, dass
        bei der Erarbeitung eines
     räumlichen Masterplans für                                                             uns die Entwicklung von Bildungsbauten liegt.
             den Bildungscampus                                                             Die Aufgabe ist genauso vielseitig wie unsere
                       Moosburg.
                                                                                            Arbeitsweisen und Interessensgebiete“, erzählt
                                                                                            Johanna Treberspurg. Sie hat neben dem Archi-
                                                                                            tekturstudium Kunstpädagogik studiert – das
                                                                                            Interesse an der Entwicklung und Gestaltung
                                                                                            von Bildungsbauten ist so von Beginn der Aus-
                                                                                            bildung an mitgewachsen. „Die Schule bezie-
                                                                                            hungsweise der Lernraum ist für viele ein wich-
                                                                                            tiger und prägender Raum – im positiven und
                                                                                            negativen Sinn. Hier einen Beitrag zu leisten,
                                                                                            diesen Raum an die Bedürfnisse der Nutzer an-
                                                                                            zupassen und einen Ort zu schaffen, wo man
                                                                                            sich wohlfühlt und der das Lernen unterstützt,
                                                                   Fotos: Astrid Meyer

                                                                                            finde ich eine sehr schöne Aufgabe.“ Caren Ohr-
                                                                                            hallingers Sensibilität für das Thema hingegen
                                                                                            hat sich parallel zum Schulweg ihrer Tochter ent-

26          Weiss 1_2021
Por trät

                                                                                  NONCONFORM
wickelt. Aber auch von den lieblos, einheitlich
und oft steril eingerichteten Räumen, in denen                                    Architektin Johanna Treberspurg
                                                                                    seit 2013 Mitarbeiterin, seit 2020 Partnerin
ein Kind jeden Tag sieben bis acht Stunden ver-                                       bei nonconform
bringen sollte, war sie nicht angetan. „Was ich                                        Studium an der TU Wien und an der IUAV
vermisste, waren räumliche Freiheit, Wohnzim-                                          Venedig sowie an der Akademie der
meratmosphäre, Gemütlichkeit.“                                                         bildenden Künste (Kunstpädagogik)

                                                        Foto
                                                                                      2008–2012 regelmäßige Mitarbeit in der

                                                            :K
                                                                                     Architekturvermittlung Biennale di

                                                              at
                                                                 ar

                                                                h
                                                                   ina
                                                                       Ros
                                                                          sboth    Architettura Venezia und im AZW
WISSEN UND TEILEN
                                                                                  Persönlicher Schwerpunkt: gemeinschaftliche
                                                                                  Wohnformen (Baugruppe B.R.O.T. Pressbaum)
Als fachliche Unterstützung haben sie mit dem
Schulbau-Experten und Gründer der Plattform                                       Architektin Caren Ohrhallinger
schulRAUMkultur Professor Michael Zinner eine                                     2003 Partnerin und Geschäftsführerin
Kooperation gestartet und die Expertise sukzes-                                   bei nonconform
sive mit neuem Wissen und Methoden angerei-                                       2006 Entwicklung der partizipativen Planungs-
                                                                                    methode nonconform ideenwerkstatt
chert. „Ich denke, das A und O ist das Kennen der
                                                                                      2016 Entwicklung der nonconform
Nutzungsbedürfnisse der Menschen, die täglich
                                                                                      akademie als Weiterbildungsangebot für
an diesem Ort lehren, lernen und arbeiten. Und                                        innovative Bürgerbeteiligung
diese Anforderungen an den Arbeitsraum und                                             Persönliche Schwerpunkte: Zukunftsent-
                                                        Foto

                                                     „
die Alltagsabläufe lernt man nur kennen, wenn                                         wicklung für Raum und Organisation in
                                                            : Ju
                                                                lia

                                                                 Pu
man in dem Entwicklungs- und Planungs-                             ch
                                                                     egg
                                                                                    Unternehmen, regelmäßige Tätigkeit als
                                                                        er
                                                                                  Vortragende
prozess intensiv mit allen Menschen, die das
                                                                                  Gemeinsame Schwerpunkte: Moderation,
Gebäude nutzen, zusammenarbeitet und ihnen
                                                                                  Prozessbegleitung, partizipative Planungsprozes-
zuhört“, sagt Johanna Treberspurg. Caren                                          se im ländlichen und urbanen Raum in der
Ohrhallinger fügt hinzu: „Gerade bei einer Welt,                                  Bildungs- und Schulraumentwicklung
in der man selbst nicht unbedingt drinnen ist, ist
es wichtig, zur eigenen Fach- eben diese Nut-
zungsexpertise abzuholen. Wir haben dazu ein
Beteiligungsformat entwickelt, die nonconform
ideenwerkstatt, in der wir in drei Tagen kompakt

                                                     Die Campus-Idee bietet die
und vor Ort ein räumliches Konzept für die
Aufgabenstellung erstellen. Das haben wir mit

                                                       Möglichkeit, sanfte Über-
Michael Zinner gemeinsam weiterentwickelt
und an die Anforderungen eines Schulplanungs-
prozesses angepasst. Dabei sprechen wir nicht
nur mit den Lehrenden, sondern auch mit den          gänge zwischen den Alters-
Schülern und dem gesamten Schulpersonal. Die-
ses Eintauchen in die Welt der Nutzer und das
                                                       stufen und Schultypen zu
gemeinsame Entwickeln ist ein ganz wichtiger
                                                      schaffen und das Potential
                                                          von Flächensynergien
Bestandteil, der Vertrauen und Akzeptanz für
das Ergebnis und neue pädagogische Ansätze

                                                      zwischen den Bildungsein-
schafft. Es ermöglicht uns, mit unserer Schul-
bau-Expertise nicht nur ein maßgeschneidertes
räumliches Konzept zu entwickeln, sondern
eben auch den Nutzern, sich dieses aneignen zu       richtungen zu entwickeln."
können.“			                                                                                                        Caren Ohrhallinger

                                                                                                       Weiss 1_2021                     27
Interview

                                               INTERVIEW MAG. DR. FRANZ HAMMERER/RAUMBILDUNG.AT

                                                                       Orte der Kraft
         Bildungseinrichtungen wie Schulen,
      Kindergärten, Bibliotheken und Univer-
      sitäten sind mehr als nur eine Hülle, in
       der Wissen vermittelt wird. Hier finden
          Freundschaft, Begegnung, soziales
         Handeln und Denken statt, in einem
       Raum, der einzigartig ist. Oder es sein
      sollte. Dr. Franz Hammerer beschäftigt
      sich seit Jahren mit der Beziehung von
           Lernen und Raum und unterstützt
      Schulen bei Neu- oder Umbauten in der
     Entwicklung eines pädagogisch-räumli­
      chen Konzepts. Im Interview erzählt er,
     warum es so wichtig ist, die Architektur
             in die Bildung miteinzubeziehen.
                                                      Foto: privat

                                  Von Barbara Jahn

                            Weiss: Bildung und alles, was damit zusammen­       Dies erfordert jedoch eine Neuinterpretation und
                            hängt, hat schon immer die Gemüter gespalten.       Neugestaltung von Lernräumen.
                            Das betrifft natürlich auch die Architektur. Was    Weiss: Sie waren selbst lange Pädagoge und in
                            braucht es Ihrer Meinung nach ganz grundsätzlich,   der Lehrerausbildung tätig. Warum hat sich das
                            um den idealen Rahmen für Menschen – egal ob        Klassenzimmer in den letzten 100 Jahren – bis auf
                            groß oder klein – zu schaffen, denen man Wissen     wenige Ausnahmen – so wenig weiterentwickelt?
                            vermitteln will?                                    Franz Hammerer: Ja, das ist wirklich erstaunlich,
                            Franz Hammerer: Ausgehend von der Grund-            denn es gab bereits um 1900 reformpädagogi-
                            einsicht, dass Bildung immer den ganzen Men-        sche Ansätze, wie z. B. die Montessori-Pädagogik
                            schen im Auge haben muss, also Hand, Herz           oder die Freinet-Pädagogik, die für ihre neuen
                            und Verstand formen soll, gilt es, einen Rahmen     ­Bildungskonzepte veränderte Räume forderten
                            zu schaffen, der inspirierend ist für vielfältige   und auch realisierten. In Amerika fand in den
                            Lernaktivitäten. Bildungseinrichtungen können       ­späten 1960er Jahren das Konzept des „Open
                            Kraftorte für Lebensgestaltung sein, wenn wir       Classroom“ eine Umsetzung. In Österreich wur-
                            sie als Arbeits- und Lernlandschaften, als Orte     de lange Zeit als gegeben hingenommen, wie
                            zum ­Verweilen, als Orte der Begegnung gestalten.   ­Schulen gebaut und Klassenzimmer eingerichtet

28      Weiss 1_2021
Interview

waren. Sie waren an Kasernenbauten orientiert
und pädagogisch auf Einordnung und Unterord-
nung ausgerichtet. Auch die ab den 1960er Jahren
gebauten Gangschulen sind keine Lernlandschaf-
ten, sondern hintereinander aufgefädelte Klassen-
räume, davor weiträumige Gänge. Pädagogisch
wurde das Konzept des Lernens nach dem „Nürn-

                                                                                                                                                Foto: Herta Hurnaus
berger Trichter“ – alle sollen zur gleichen Zeit mit
den gleichen Methoden das Gleiche lernen – an-
gestrebt. In solchen Schulen, es gibt sie leider nach
wie vor, besteht der einzige Drang ­darin, mög-
lichst schnell wieder hinauszukommen.                            Das Schulzentrum
Weiss: Muss Schule neu gedacht werden?                  Feldkirchen an der Donau
                                                          beeindruckt schon beim
Franz Hammerer: Viele Beispiele im In- und Aus-
                                                        Eintreten in die Aula – ein
land zeigen, Schule wird schon neu gedacht und          pulsierendes Zentrum mit
gelebt. Ich denke z. B. an die vielen Schulen, die im     offener Bibliothek, einer
                                                        Lesestiege als auch einem
Rahmen der Initiative „Schule im Aufbruch“ neue
                                                                multifunktionalen
Wege beschreiten, die Schulen zu kindorientierten            Essbereich – und zeigt
Lern- und Lebenswelten umgestalten – inhaltlich
                                                                                      Foto: Herta Hurnaus
                                                         deutlich, dass hier Schule
und räumlich. Schulentwicklung, Unterrichtsent-            neu gedacht und gelebt
                                                                              wird.
wicklung und eine neue räumliche Gestaltung
gehen hier Hand in Hand. Das Bild vom Kind und
seiner Entwicklung hat sich verändert und findet
in Lernkonzepten, die auf Aktivität, Selbständig-
keit und Selbsttätigkeit ausgerichtet sind, eine                                                            -konzepte nicht automatisch eine deutlich wahr­
Entsprechung. Trotzdem besteht diesbezüglich in                                                             nehmbare Weiterentwicklung nach sich ziehen
vielen Schulen noch ein großer Nachholbedarf.                                                               müssen?
Weiss: Sehen Sie mit diesem „Stillstand“ einen                                                              Franz Hammerer: Auf jeden Fall! Wir verstehen
Zusammenhang mit einer doch eher trägen Weiter­                                                             heute Lernen als einen aktiven, selbstgesteuer-
entwicklung der Pädagogik?                                                                                  ten Prozess, der sich individuell und in sozialen
Franz Hammerer: Ja, die Schule ist als eine große                                                           Bezü­gen vollzieht. Im Lernprozess ist der Raum
und mächtige Institution von verschiedenen ge-                                                              neben den anderen Kindern und der Lehrper-
sellschaftlichen Ansprüchen durchdrungen – das                                                              son der „dritte Erzieher“. Was heute die pädago-
Schulsystem ist ein träger Dampfer. Die Pädago-                                                             gische ­Arbeit in einer Schule erfordert, ist nicht
gik jedoch, und hier besonders die Grundschulpä-                                                            mehr über einen traditionellen Klassenraum mit
dagogik, aber auch die Psychologie haben in den                                                             63 m2 zu bewältigen. Schulen als „Treibhäuser der
letzten Jahrzehnten Konzepte entwickelt, die neu-                                                           Zukunft“, wie Reinhard Kahl zukunftsweisende
este Erkenntnisse zur Entfaltung von Potentialen,                                                           Schulen bezeichnet, müssen vielfältig differen-
Neigungen und Fähigkeiten von Kindern und                                                                   zierte und ästhetisch anspruchsvoll gestaltete
­Jugendlichen aufgreifen und pädagogisch-didak-                                                             Lebens- und Erfahrungsräume sein. Es gibt jedoch
tisch fruchtbar machen. Die Lehrerbildung müsste                                                            Innovationsantreiber im Bildungsdiskurs, die
hier noch konsequenter an der Implementation                                                                auch Raumveränderungen unabdingbar machen:
ins Schulwesen arbeiten. Zum Stillstand in Bezug                                                            Ganztagsschule, eine neue Lernkultur mit einer
auf Raumgestaltung: Lange Zeit war in der Päda-                                                             großen Vielfalt an Lern- und Unterrichtsformen,
gogik der Raum kein Thema – das ändert sich jetzt.                                                          Inklusion, vermehrte Arbeit im Lehrerteam.
Weiss: Hätten neue, innovative Lehransätze und                                                              Weiss:Welche Empfehlungen geben Sie

                                                                                                                                     Weiss 1_2021                     29
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