Wenn die Psyche aufs Ohr schlägt: Schwindel und Tinnitus
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Wenn die Psyche aufs Ohr schlägt: Schwindel und Tinnitus LWL-Universitätsklinik Bochum, 7. Mai 2019 Schwindel und Tinnitus aus psychosomatischer Sicht Astrid Marek Abteilung für Psychosomatik in der HNO-Heilkunde in der Klinik für HNO-Heilkunde der Ruhr-Universität Bochum (Direktor Prof. Dr. S. Dazert)
• Astrid Marek gibt an, dass keine Interessenskonflikte bestehen. Der Vortrag wurde ohne kommerzielle Unterstützung erstellt. Die Autorin hat hierfür keine Tierversuche durchgeführt. 07. Mai 2019
Der Stimmung eine Stimme geben – volksmundlich • „Da ging mir der Boden unter den Füssen weg.“ • „Ich falle ins Bodenlose.“ • „ Am Abgrund stehen.“ • „Ich drehe gleich durch.“ Gleichgewicht • „Schwindelig vor Glück.“ • „Die Gefühle fahren Achterbahn.“ • „Mein Kopf rauschte vor Aufregung.“ • „Ich glaube, ich habe mich verhört.“ • „Bei dem piept‘s wohl.“ Hören
Schwindel • Gleichgewichtsinn entwicklungsgeschichtlich frühes Orientierungssystem • Angst durch Verlust der räumlichen Orientierung • Störungen bedeuten Unsicherheit und Hilflosigkeit • Schwindel hoher Stellenwert in allgemeinärztlichen und fachärztlichen Aufgabenbereichen
Schwindel-Auftritte • Affektäquivalent (Angst, Wut) • Angst/Panik mit Leitsymptom Schwindel • Reaktivierung traumatischer Erlebnisse • Phobische Konditionierung (Schwindelempfinden wird erlernt) • Soziale Phobie / Vermeidung • Psychosoziale Folgen von Schwindel (Beruf, Freizeit, Fahreignung, Lebensqualität)
Aspekte von Schwindel • Gedanken/Gefühle • Organsysteme • Unberechenbarkeit • Herz/Kreislauf/Blut • Kontrollverlust • Gehirn • Gefahr • Stoffwechsel (Diabetes, • Angst Schilddrüse, Nebenniere) • Ratlosigkeit • HWS • Hilflosigkeit • Augen • Vermeidung • Rückzug • Übermüdung • Isolation • Medikamente, Noxen u.a.
Psychosomatischer Blickwinkel • Wie ist der Schwindel? • Verändert sich der Schwindel? • Wann trat er zum ersten Mal auf? • In welchen Situationen tritt er auf? • Wann tritt er nie auf (z. B. im Schlaf)? • Gibt es Auslöser? • Welche Folgen hat der Schwindel (im Alltag, Beruf, Familie, soziale Kontakte, Stigmatisierung)? • Was haben Sie bisher unternommen? Warum tritt das Symptom jetzt auf und in dieser Weise? Zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zum Symptom?
„Andere Menschen hören das nicht.“ „Ich höre da was.“ “Habe ich Halluzinationen?“ „“Werde ich verrückt?“
Hören • Entwicklungsgeschichtlich sehr alte Funktion. • Ungeborenes hört bereits • Hören wichtig für Orientierung und Kommunikation • Geistige Reifung
Das auditorische System Hörrinde Verschaltung zentraler Funktionen Signal Ohr Modifiziert nach Zenner, 1997
ohne Sinnesreiz Geräuschempfindung ohne akustischen Reiz Abb. modifiziert nach Zenner, 1997
Beteiligte Organstrukturen • Mittelohrpathologien (Tubenventilationsstörung, Otitis media, Myoklonus) • Mittelohr-Operation (Stapes) • Kopftrauma mit Hörstörung (Felsenbeinfraktur) • Schwerhörigkeit (SES) • Hörsturz • Tumore • Meningitis Störung der akustischen Übermittlung Mod. n. Zenner, 1997
Frequenz in Hz -10 125 250 500 750 1000 2000 3000 4000 6000 8000 10000 11200 12500 dB 10 20 x x x x x 30 x x 40 x 50 x 60 x 70 x 80 90 100 110 Frequenzspezifität von Hörsenke und Tinnitus Die Frequenz und die Lautheit des Tinnitus korrespondieren mit der Frequenz und dem Grad der Hörstörung. Tinnitus tritt nah der individuellen Hörschwelle auf. Verdeckbarkeit.
Akustische Empfindung „Pseudoempfindung“ Epilepsie, Migräne Hirnorganische Veränderungen Auditive Aura ohne Sinnesreiz Musical Ear ACBS Sensorische Defizite © Marek, 2016 (Pseudo) – Halluzination „das kann doch nicht wahr sein“ – Irrationaler Charakter der Sinnesempfindung wird erkannt
Akustische Empfindung „als echt erlebt“ Überhitzumg Sauerstoff- mangel Hunger, Isolation Psychosen Drogen ohne Paranoid- Sinnesreiz halluzin. Hypnagoge Zustände Trance Rhythmizität © Marek, 2016
Aspekte von Tinnitus • Konzentrationsstörung, Schlafstörung • Katastrophengedanken, Resignation • Beeinträchtigung der zukünftigen Lebensperspektive • Angst, Depressivität • Einschränkung in Lebensbewältigung, Selbstwertgefühl • Hilflosigkeit • sozialer Rückzug, Isolierung, Vermeidung • Beziehungsstörung Tinnitus Schweregrade 1-4
Gemeinsame Aspekte von Schwindelgefühl und Tinnitus • Kann man von außen nicht sehen • Patient beschreibt Gefühl, damit allein gelassen zu werden, im Leiden nicht ernst genommen zu werden. • Machtlosigkeit gegenüber Symptom, lässt sich nicht ausschalten, z. B. durch Medikament • Versteht der Arzt den Patienten?
Tinnitus, da kann man nichts machen Wir haben alles untersucht und finden nichts. Aber ich höre doch was. Das ist schrecklich. Sie haben nichts Schlimmes. Da muss doch was zu machen sein. Wirklichkeit des Patienten ≠ Wirklichkeit des Arztes Ambivalenz zum Thema Belastung der Arzt-Patient-Beziehung Keiner kann mir helfen. Ich suche einen anderen Arzt.
Psychologische Perspektive 1 Behandlungsfokus • Behandeln wir Krankheiten oder Kranke? • Fokus auf Kranken • Gedanken, Gefühle, Bewertungen des Kranken • Die Betrachtung der Krankheit führt hin zur Begegnung mit dem Kranken
Psychologische Perspektive 2 Begegnung zwischen Patient und Arzt • Patient bringt seine • Arzt bringt seine Krankheitssymptome, medizinische Expertise, seine Fragen, seine seine Bereitschaft zum Offenheit und sein Verstehen und seine Vertrauen Empathie (Einfühlungsvermögen)
Psychologische Perspektive 3 Die Arzt-Patient-Beziehung Arzt Patient Patient Arzt Vertrauen Krankheit In die Fähigkeit des Arztes In die Mitarbeit des Patienten Betrachtung Bündnis
„Wo sind Ihre Untersuchungsbefunde?“ • Schwindeltest • Hörtest • Zusatzuntersuchungen (Bildgebung, andere Organsysteme)
Therapie Habituation • Gleichgewichtsübungen • Übungen zur akustischen Umlenkung/Defokussierung • Hörverbesserung zur Unterstützung Habituation • Behandlung psychischer Komorbiditäten, psychotherapeutisch, gfls Medikamente
Therapeutische Ziele und Interventionen • Umstrukturierung der Katastrophengedanken, kognitive Desensibilisierung • Maßnahmen zur Schlafrhythmusregulation, Spannungsreduktion • Überwinden von Rückzug und Isolation - Expositionsübungen Selbstwert Trauer / Angst benennen Selbstwirksamkeit Bedürfnisse ausdrücken Selbstfürsorge Spannungsreduktion Problemrelativierung
Psychosomatische Haltung Bloß nicht sagen: „Sie haben nichts“. • Diagnose-Spektrum Schwindel/Tinnitus beachten • Körperliche Befunde prüfen (Diagnostik, Therapien) • Psychische/psychiatrische Komorbidität beachten • Emotionale Beeinträchtigung / Leidensdruck anerkennen • Verlust der Lebensqualität anerkennen (Gesundheitsgefühl, Teilhabe an Gemeinschaft)
Von der Höhlenmalerei bis zu Star-Wars: Kreativität beruht darauf, dass der Mensch sich Dinge vorstellen kann, die nicht wirklich da sind.“ (Erich Kasten) Danke für Ihre Aufmerksamkeit !
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