WERTPAPIER-Lebensraum - Gemeinsam ein Zuhause schaffen - Das Magazin der Luzerner Kantonalbank
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Frühling 2022 WERTPAPIER Das Magazin der Luzerner Kantonalbank — Lebensraum — Gemeinsam ein Zuhause schaffen Ortskerne: Zentrumsentwicklung im Kanton Luzern Verbundenheit: Zuhause ist mehr als ein Wohnort Ratgeber: Informatives rund ums Eigenheim
Auf dem Titelbild: Rugby Club Luzern 110 Aktivmitglieder, Gründungsjahr: 1979 Schweizermeistertitel Dangels: 46 Passivmitglieder Gründungsjahr Frauenteam «Dangels»: 1994 8 (im 15er-Rugby) Langlauf-Team Rickenbach 96 Mitglieder Gründungsjahr: 2005 2 Snowmobile mit Cover: Herbert Zimmermann Loipenspurgeräten Loipe Rickenbach: Das Langlauf-Team Rickenbach auf der hauseigenen Loipe, 8,1 km, 120 Höhenmeter, die der Verein mit viel Engagement instand hält. 1 Loipenstübli WE R T PA P I E R Frühling 2022 2
EDITORIAL «Halten Sie gerne einen Schwatz mit den Nachbarn?» Liebe Leserinnen Liebe Leser Stehen Sie beim Dorffest hinter der Theke? Oder engagieren Sie sich – so wie über die Hälfte der Luzernerinnen und Luzerner – in einem Verein oder einem Verband? Dann tun Sie etwas ganz Wichtiges: Sie schaffen Gemeinschaft. Und Sie leisten damit einen Beitrag zur Lebensqualität in Ihrer Region. Denn die Attraktivität von Gemeinden definiert sich über viel mehr als nüchterne Faktoren wie Verkehrsanbindung oder Steuerfuss. Wir alle können viel dazu beitragen, wie Daniel Salzmann, CEO Luzerner Kantonalbank lebenswert unser Umfeld ist und bleibt. Das verlangt zwar Eigeninitiative, bringt dafür aber allen etwas. Wie Mosaik- steinchen tragen selbst vermeintlich kleine Aktivitäten zum grossen Gesamt- bild bei. Diese WERTPAPIER-Ausgabe widmet sich verschiedenen Aspekten unseres Lebensraums und vor allem den Menschen, die ihn mit ihren Ideen und Taten mitgestalten. Ich wünsche Ihnen viel Spass bei der Lektüre. Daniel Salzmann CEO Luzerner Kantonalbank Foto: Eveline Beerkircher 3 WE RT PA P I E R Frühling 2022
50 16 Frühling 2022 WE R T PA P I E R 4 38 INHALTSVERZEICHNIS Fotos: Mischa Christen, Patrick Hoerdt; Illustration: Pia Bublies
INHALTSVERZEICHNIS Storys Ratgeber 6 Made in Lucerne 36 Gut zu wissen: Luzern, der Freizeitkanton Luzerner Produkte, die Ihren Lebensraum verschönern. Die etwas andere Kantonskarte. 7 Meine Meinung: Marcel Perren 37Ein Eigenheim bringt Verpflichtungen Der Luzerner Tourismusdirektor über den Einfluss von Der Kaufpreis ist nicht das Einzige, was man beim Erwerb Gästen aus aller Welt auf den Kanton Luzern. von Wohneigentum beachten muss. 8 Spektrum: Luzerner Vereine 38 Sanieren: Erst durchplanen, dann loslegen Die Bildstrecke beleuchtet neun Vertreter unserer Eine Renovation kann in gewissen Fällen teurer sein facettenreichen Vereinslandschaft. als ein Neubau. Darum ist es wichtig, sich früh die richtigen Fragen zu stellen. 16 Luzern: Lebensraum in Entwicklung Diese drei Luzerner Gestaltungs- und Bauprojekte setzen 40 Wortschatz: Stockwerkeigentum sich für lebenswerte Ortszentren ein. Antworten auf sieben Fragen, die in einer Eigentümer gemeinschaft zu Konflikten führen können. 21 Zukunftsaussichten Wie wird sich der Lebensraum Luzern in den 41 Was schätzen Sie an Ihrer Nachbarschaft? nächsten Jahren verändern? Raumentwickler Mirco Derrer Passantinnen und Passanten erzählen, warum Nachbarschaft im Interview. mehr ist als Waschplanstreit und Lärmklagen. 22 Zu Hause angekommen 42 Sparen: Wie finanziere ich mein Sechs Menschen erzählen, warum sie sich mit dem Kanton Eigenheim? Luzern verbunden fühlen. Tipps, wie Sie zum Eigenkapital für Ihren Wohntraum kommen. 26 Durchblick: Städte der Zukunft Wie urbane Räume von morgen gestaltet sein könnten. 43 Fragen & Antworten Praktisches Wissen zu den Themen Wohnen und Eigenheim. 28 Augen auf im Alltag Die Littauer Heimatschützerin Judith Schubiger führt uns an 44 Zahlen: Die QR-Rechnung ist da! Stadtluzerner Plätze mit faszinierender Geschichte. Die Zukunft des digitalen Zahlens einfach erklärt. 32 Wer lebt hier? 46 Vorsorge: So klappt’s mit dem David Preiswerk weiss, was wir zum Schutz unserer Erbvorbezug Naturräume tun können. Worauf muss ich bei einem frühzeitigen Übertrag meines Erbes achten? 34 Von Willisau in die Welt Dank Qualität und Innovation besteht die Willisau Group 47 Anlegen: Wohin mit einem plötzlichen seit fast einem Jahrhundert im umkämpften Möbelmarkt. Geldsegen? Diese zwei Investitionstypen gibt es. Impressum 48 Crowdsupporting: Es krabbelt in Wolhusen Ein bekannter Fotograf siedelt dank Funders seltene Insekten im Tropenhaus an. 50 Persönlich: Eliane Herausgeberin: Gesamtauflage: 74’550 Luzerner Kantonalbank AG Druck: Multicolor Print AG Pilatusstrasse 12 Litho: KRT Media AG 6003 Luzern Warum die Sängerin in den Kanton Luzern zurückgekehrt Copyright: Luzerner Kantonalbank AG Redaktion: (Nachdruck nur mit Quellenangabe) ist. Luzerner Kantonalbank AG: Martina Jenny (Leitung) Polarstern AG: Andreas Renggli, Pascal Zeder Abonnement: Ab-/Bestellung des Magazins via Redaktionelle Mitarbeit: lukb.ch/magazin oder +41 (0)844 822 811 Anna Chudozilov, Nicole Krättli, Anna Meyer, Laura Scheiderer, Daniel Schriber, Jonas Wydler März 2022, erscheint halbjährlich Inhaltskonzept/Redaktion/Crossmedia: Polarstern AG Gestaltungskonzept/Layout: Agentur Guido Von Deschwanden 5 WE RT PA P I E R Frühling 2022
MADE IN LUCERNE Aus einer vergangenen Zeit Die Möbelkollektion «CASE» der Ruswiler Möbelwerkstatt IGN. by Vogel Design AG zeigt Massivholzmöbel, die an Reisekoffer von vor einem Jahrhundert erinnern. Gestapelt, auf Rollen oder mit Rohstahlfüssen – die Holzkisten sind vielseitig einsetzbar. ign.swiss Farbtupfer für Ihr Zuhause Spezielle Accessoires sind das i-Tüpfchen jeder Einrichtung. Einige Extras aus dem Kanton Luzern für die Verschönerung des eigenen Wohnraums. Kuratiert von DesignSchenken Ideen Raum Eisbrecher Im «Guestbook» der geben (Wahl-)Luzerner Designerin Wer seine Gedanken und Dominique Fischer Ideen gerne auf Papier erwarten Ihre Gäste festhält, lässt seine Notiz- kreative und überraschende hefte an verschiedenen Fragen über deren Orten in der Wohnung Design für kulinarische Vorlieben. Keramik für liegen – umso besser, wenn diese optisch die Wand Die Antworten liefern Gesprächsstoff und sind die Kleinen ansprechend sind. Dieses Design-Kunst aus der später eine Erinnerung Nina Steinemanns Notizheft ist bedruckt Region hilft gegen kahle an Abende in guter Keramikwerke erfreuen mit Kunst von Helena Wände: Das Luzerner Gesellschaft. Gross und Klein. Mit dem Baumeler der Stiftung für Weltformat Graphic fideadesign.com Kindergeschirr der Schwerbehinderte Luzern Design Festival bietet in Neuenkircherin lässt sich (SSBL). seinem Onlineshop nicht nur gut essen, ganze verschiedene Plakate an, geschenkshopssbl.ch Fotos: zVg; Plakat: Kamila Jasinska Geschichten stecken in die in den vergangenen den liebevoll gestalteten Jahren am Weltformat Tellern und Bechern. ausgestellt oder ausgezeichnet wurden. ninasteinemann.com weltformat-festival.ch WE R T PA P I E R Frühling 2022 6
MEINE MEINUNG Ein freundliches «Willkommen» ist der grösste Trumpf Meine Heimat, ein Ferienziel – die den Kultur-, Gesundheits- oder Luxus- Luzernerinnen und Luzerner teilen tourern? Zu den Natur-, Genuss- oder ihre Stadt seit Jahrhunderten mit Party-People, welche die Stadt, den See Gästen aus aller Welt. Bis vor zwei oder die Berge besuchen? Wir können Jahren die Besuche abrupt abrissen. den Umgang mit dem öffentlichen Das hat der Region leere Hotels Raum nur dann bestimmen, wenn wir Marcel Perren, beschert und drastisch aufgezeigt, was uns bewusst darüber sind, wie wir Luzerner Tourismusdirektor verloren geht, wenn Reisende nicht ihn selbst andernorts einfordern. Die länger ihren Weg nach Luzern finden. Places to be sind überall auf der Welt bekannt wie beliebt. Sich dort willkom- Der Tourismus wird sich wandeln und men zu fühlen, weckt ein Gefühl von damit auch das Bild, das sich uns Achtung und Wertschätzung gegenüber im öffentlichen Raum Luzerns bietet. einem Land und den Menschen, die Zur Person Fünf Trends zu neuen Reiseabsichten dort zu Hause sind. «Der beste Ort zum und -erwartungen zeichnen sich Leben» – einem solchen Hit auf Social Marcel Perren führt als laut verschiedenen Fachanalysen ab: Media würden wohl auch Sie folgen. Luzerner Tourismusdirektor Das gilt ja nicht nur für Reisedestina die Luzern Tourismus AG Reisen sollen berühren: Wir suchen tionen: Schwärmen gute Freunde und (LTAG). Die LTAG ist ver uns in Zukunft Ziele, die bewegen und viele andere von einem Restaurant, antwortlich für Positionierung, die uns tiefer in ein Land und seine gehen auch Sie bestimmt einmal hin. Marktbearbeitung, Öffentlich- Kultur eintauchen lassen. Emotionale keitsarbeit und Gästebetreuung Erfahrungen und bereichernde Begeg- Gerade in der Post-Coronazeit bringen im Interesse zahlreicher nungen sind dabei wichtig. Reisende mehr als Einnahmen. Sie Partner aus der Tourismus- werden dazu beitragen, das zu beleben, branche der Destination Lokales ist Trumpf: Die Neugier an was das Leben hier am Vierwaldstätter- Luzern-Vierwaldstättersee. einer Destination wächst. Regionales see so attraktiv macht: Die inspirierende gewinnt an Bedeutung. Kultur, die imposanten Naturerlebnisse und die grossartige Gastronomie. Fernweh bleibt: Wir reisen gerne, aber Das ist die andere Seite der touristischen weniger häufig. Bleiben dafür länger Realität: So viele Bergbahnen, Boote, vor Ort. Restaurants, Theater und Konzerte verkehren, sind geöffnet, finden statt, Zug statt Flug: Die Rücksicht auf die weil Gäste unsere Region besuchen. Natur steht mehr denn je im Fokus. Dieses System gilt es, positiv zu stärken: Glückliche Einwohnerinnen und Lieber individuell: Der Wunsch Einwohner machen eine glückliche nach persönlichen Reiseerlebnissen Region aus – und einen grossartigen verdrängt den Gruppentourismus. Ort für einen Besuch. Ein freundliches «Willkommen» bleibt dabei der grösste In Luzern spürten wir diese Entwick- Trumpf. lungen bereits vor der Corona- Illustration: Carole Isler pandemie, die Reisebeschränkungen der letzten zwei Jahre beschleunigte sie zusätzlich. Doch wie stehen wir in Luzern zu den Kurzzeitbesucherinnen, 7 WE RT PA P I E R Frühling 2022
SPEKTRUM Hier finden wir zusammen Herbert Zimmermann Der Kanton Luzern ist eine Vereins- sie Engagement und Herzblut für hochburg: Rund zwei Drittel der die Sache ein. Die kantonale Vereins- Luzerner Bevölkerung engagieren sich landschaft gestaltet durch ihre Diversität freiwillig in Verbänden oder gemein unseren Lebensraum mit: Musikvereine, nützigen Gruppen, rund 54 Prozent aller Sportclubs, politische Parteien, Jass- Luzernerinnen und Luzerner nehmen freunde, Fasnachtsgruppen, kulturelle regelmässig an Veranstaltungen eines Organisationen – der Verein ist ein Vereins, Klubs, einer Partei oder einer wandelbares Gefäss. Kein Wunder also, kulturellen Vereinigung teil. Diese Zahl bietet er so vielen Menschen ein liegt deutlich über dem Schweizer Zuhause. Durchschnitt von 48 Prozent. 4273 Einträge zählt das Vereinsverzeichnis Unsere Bildstrecke «Spektrum» stellt im Kanton Luzern, das entspricht einem die Schaffenskraft und das Engagement Verein pro 100 Einwohnerinnen und verschiedener Clubs, Teams und Einwohner. Die meisten davon bieten Gruppen vor. Dies im Wissen, dass die ein Freizeitangebot, das man zusammen Luzerner Vereinslandschaft noch viel mit anderen wahrnimmt. Dafür fordern mehr zu bieten hätte. Quelle: LUSTAT WE R T PA P I E R Frühling 2022 8
SPEKTRUM Swim Team Lucerne 300 Mitglieder Gründungsjahr: 2017 (Fusion aus SV Kriens und SV Emmen) 150 aktive Schwimmerinnen und Schwimmer 1100 Schwimmkurse pro Jahr Die Nachwuchsschwimmerinnen und -schwimmer des Swim Team Lucerne trainieren in der Sportarena Campus Sursee. 9 WE RT PA P I E R Frühling 2022
Kynologischer Verein Luzern 304 Mitglieder Gründungsjahr: 1900 Vereinsbibliothek mit über 1400 Büchern zum Thema Hund Über 1000 Stunden Hundetraining jährlich Der Kynologische Verein Luzern auf seinem Trainingsplatz: Auf über 6000 Quadratmetern können sich die Vierbeiner hier austoben.
SPEKTRUM Fleckenzunft zu Beromünster 99 Mitglieder Gründungsjahr: 1901 (damals Böggenzunft Münster) Anzahl Ehrenzünftlerinnen und Ehrenzünftler: 8 1984: 1. Zunftmeisterin im Kanton Luzern Ein Oldtimer als Merkmal: Die Fleckenzunft Beromünster zeigt sich an wichtigen Anlässen in ihrem 13-Plätzer mit Jahrgang 1929. 11 WE RT PA P I E R Frühling 2022
SPEKTRUM Theatergesellschaft Ruswil 51 Mitglieder Gründungsjahr: 1870 Aufgeführte Stücke seit der Gründung: 70 Anzahl Schauspielende in der aktuellen Produktion: 14 Verspielt: Die Theatergesellschaft Ruswil zeigt ihre kreative Seite. WE R T PA P I E R Frühling 2022 12
Seilziehclub Luthern 70 Mitglieder Gründungsjahr: 1980 4 Nationalmannschafts- Seilzieher Gewicht Seilziehschuhe (pro Schuh Grösse 44): 1,9 kg Die Athleten des Seilziehclubs Luthern hängen sich voll ins Seil. Mit Erfolg: Das Team ist aktueller Schweizer-Cup-Sieger in den Kategorien 640 und 680 Kilogramm.
Handharmonika- Club Dagmersellen & Umgebung 32 Mitglieder Gründungsjahr: 1938 Altersspanne Mitglieder: 64 Jahre (Jahrgang 1942 bis Jahrgang 2006) Anzahl Wohngemeinden der Mitglieder: 23 Der Handharmonika-Club Dagmersellen & Umgebung präsentiert seinem Publikum eine vielseitige Auswahl an Orchesterstücken.
SPEKTRUM Samariter Adligenswil Udligenswil 43 Mitglieder Gründungsjahr: 1978 Ausgebildete in Notfallkursen pro Jahr: ca. 170 7 Simulationspuppen und 3 Übungsdefibrillatoren. Der Samariterverein Adligenswil Udligenswil ist nicht nur selbst für den Notfall gerüstet, in zahlreichen Kursen gibt er sein Erste-Hilfe-Know-how weiter. 15 WE RT PA P I E R Frühling 2022
LEBENSRAUM Die Entwicklung im Zentrum Der Raum, in dem wir leben, soll immer mehr leisten. Das gilt insbesondere für Ortszentren: Freiraum, Einkaufen, Treffpunkt, Erholung – Dorf- oder Quartierkerne sind mit unterschiedlichsten Anforderungen konfrontiert. Drei Beispiele aus dem Kanton Luzern illustrieren diese Komplexität. Pascal Zeder Mischa Christen Neugestaltetes Seeufer Aufwertung der Fuss- und Veloachse Alpenquai, die für Luzern Neugestaltung der Tribschenstrasse, mehr Naher- holung, Gewässerschutz und Biodiversität sowie 14 Jahre ist es her, als das Stadtluzerner Seeufer eine Begrünung des Gebiets mit Schattenachsen vom Inseli bis zum Alpenquai in einem politischen und Luftkorridoren. Dazu kommt die aktuell auf Vorstoss als «Luzerns Schmuddelecke» bezeichnet politischer Ebene diskutierte Neugestaltung des In- wurde. Sarah Grossenbacher versichert: «Als sol- selis. Kurz: Das Seeufer soll zum Verweilen einladen che habe ich dieses Gebiet in den letzten zehn Jah- – und zwar nicht nur an den bereits bestehenden ren nie wahrgenommen.» Die Co-Leiterin Stadtpla- Buvetten. «Für die Naherholung und Freizeitgestal- nung plant die Weiterentwicklung des Gebiets. tung ist das Angebot in diesem Gebiet schon sehr Diese kommt zur rechten Zeit: Die Zeichen im Süd- gut, künftig braucht es aber vermehrt alltägliche osten Luzerns stehen auf Wandel. Mit bereits ab- Treffpunkte», so Grossenbacher. Der Zeitrahmen geschlossenen Bauprojekten wie der Tribschen- für die Umgestaltung wird auf 15 Jahre geschätzt. stadt, dem Brünighof oder der im Februar 2022 neu «Es ist wichtig, dass man sich Zeit nimmt, um die bezogenen Überbauung «Tribsche» ist in den ver- Bevölkerung einzubeziehen und Fehler zu vermei- gangenen Jahren bereits viel Wohnraum entstan- den. Schliesslich bauen wir für die nächsten Jahr- den. Andere Neugestaltungen wie die Industrie- zehnte.» Partizipationsveranstaltungen hätten aber strasse oder das ewl-Areal werden folgen. Das ehe- gezeigt, dass sich die Bevölkerung eine schnelle malige Industrie- und Gewerbegebiet Tribschen Sichtbarkeit von Massnahmen wünsche: «Niemand entwickelt sich zunehmend zum Wohn- und will zehn Jahre auf die Veränderung warten.» Des- Dienstleistungsquartier. «Das 2018 konzipierte halb entschied sich die Stadt für eine temporäre Raumentwicklungskonzept zeigte auf, dass das Zwischenlösung: Unter dem Namen «Pop-Up-Park Tribschengebiet im Bereich zwischen Tribschen- Werft» wird der Parkplatz neben der SNG-Werft be- strasse und Geissensteinring zu wenig Freiraum reits im Sommer 2022 für niederschwellige Bele- bietet.» Die absehbare Zunahme der Wohnbevöl- bungsideen zur Verfügung gestellt. Man sei dafür kerung wird die Raumknappheit noch verstärken. mit der Bevölkerung sowie Studierenden der Hoch- Entsprechend gross sei die Bedeutung der Seeufer- schule Luzern im Austausch. Wie der Platz bald aus- nutzung: «Dieses Gebiet muss umso mehr auf die sehen wird, das wisse sie selbst nicht, sagt die Stadt- Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet werden planerin: «Wir sind offen für Vorschläge und lassen und gut erreichbar sein.» uns ein Stück weit überraschen.» Der Plan, den die Stadt im vergangenen Jahr prä- sentiert hat, sieht mehrere Massnahmen vor: einen neuen, urbanen Begegnungsort am Werftplatz, die WE R T PA P I E R Frühling 2022 16
LEBENSRAUM Weiterentwicklung linkes Seeufer Luzern Planungszeitraum: bis 2035 7 Umsetzungsprojekte Mittlere Wohnbevölkerung (2020): 4’275 Beschäftigte (2018): 11’133 Neu entstehende Wohnungen: rund 360 Sarah Grossenbacher, Co-Leiterin Stadtplanung, zeigt den Platz, auf dem in diesem Sommer die «Pop-Up-Park Werft» für eine Belebung sorgen soll. 17 WE RT PA P I E R Frühling 2022
LEBENSRAUM Dorfkern Escholzmatt Neu- oder umgestaltete Fläche: 1’574 m2 Investitionsvolumen: 10 Millionen Franken Geplante Fertigstellung: bis 2025 Peter Portmann (links) und Thomas Thalmann von der Dorfkern AG wollen dem Escholzmatter Dorfzentrum wieder mehr Glanz verleihen. WE R T PA P I E R Frühling 2022 18
LEBENSRAUM Ein verdichtetes Zentrum in Eschenbach Mit dem Oberhof erhielt Eschenbach 2020 ein neues Dorfzentrum mit 46 Wohnungen, einem Einkaufs- markt, einer Kita, einem Ärztezentrum und einem Ein neuer Dorfkern Restaurant. Ein Pilotprojekt, das zeigt, wie künftig für Escholzmatt ausserhalb städtischer Gebiete verdichtet gebaut werden kann. Escholzmatt und Marbach sind Dörfer mit Tradition Hinter dem Holzbauprojekt steht Beat Burkard. und Geschichte. Doch heute kämpfen die Orte In knapp acht Jahren schaffte er es, die Oberhofsied- darum, als Wohn- und Lebensraum attraktiv zu blei- lung zu realisieren, mitten im Dorf und direkt an der ben – sowie viele andere in der Region. Da hilft es, Kantonsstrasse. Eine komplizierte «Operation am wenn Private Initiative ergreifen: Die Dorfkern AG ist offenen Herzen», wie Burkard es nennt. Die Bevöl- ein Zusammenschluss aus knapp 40 in der Region ver- kerung goutierte seine Initiative und nahm den Be- wurzelten Investorinnen und Investoren. Ihr Ziel ist bauungsplan mit 75 Prozent der Stimmen an der es, attraktive Dorfzentren zu schaffen und damit das Urne an. Gegen die Baubewilligung ging schliesslich kulturelle Leben sowie das Gewerbe zu erhalten. Ar- keine einzige Einsprache ein. Grundstein für den Er- chitekt und Gründungsmitglied Peter Portmann sagt: folg legte die klare Kommunikation, so der Bauherr «Wir möchten die schönen Dörfer weiterentwickeln rückblickend. «Als gebürtiger Eschenbacher kenne und noch lebenswerter gestalten.» ich viele Leute persönlich und kann auf sie zuge- Stein des Anstosses war das Hotel und Restau- hen.» Überzeugt hat zudem der hohe Nachhaltig- rant Krone im Dorfzentrum Escholzmatt. Als die en- keitsstandard: Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz gagierte Gruppe vom Verkauf des traditionsreichen (SNBS) zeichnete die Überbauung als erstes Baupro- Gasthauses erfuhr, wollten sie sich für dessen Erhalt jekt im Kanton Luzern mit dem Gold-Zertifikat aus, einsetzen. «Wenn wir die Dorfbeizen verlieren, ver- das Projekt trägt zudem das Label «Schweizer Holz». schwinden auch die gesellschaftlichen Treffpunkte», Auch seien die Dienstleistungen zentral gewesen für sagt Thomas Thalmann, Verwaltungsratspräsident die öffentliche Meinung, so Burkard: «Ein Restau- der Dorfkern AG. Sie kauften einen Teil der Liegen- rant verspricht dem Investor eher wenig Rendite – schaft – die zum Haus gehörende Scheune – und er- aber für ein Dorf ist ein solches Angebot essenziell.» möglichten so zwei interessierten Gastronominnen Dabei ist der Oberhof eine spezielle Parzelle: Er die Pacht des Betriebs. Die erworbene Scheune soll gehört zum historischen Kern des Klosterdorfs, seit dereinst Raum bieten für die lokalen Vereine oder über 715 Jahren sind hier Häuser urkundlich ver- zur Vermietung an Gesellschaften. «Ein Kulturzent- bürgt. «Mir geht es um einen sorgfältigen Umgang rum», wünscht sich Thalmann. mit dieser Vergangenheit», so Burkard, der heute Das erste Grossprojekt der Dorfkern AG steht selbst in der Überbauung wohnt. Seine Vision um- aber erst noch an. Sie wird drei Häuser im Dorfzent- gesetzt hat die Zürcher Architektengemeinschaft rum von Escholzmatt renovieren und deren Gewer- Mirlo Urbano / Brühlmann Loetscher. Inhaber Mat- beflächen nutzbar machen. «Damit das Zentrum thias Amsler will mit der Überbauung ein unter- lebt», sagt Thalmann. Zu dem Zweck hat die AG 2021 schiedliches Publikum bedienen: «Kaum zwei ihr Aktienkapital erhöht. Der Verwaltungsratspräsi- Wohnungen haben den gleichen Grundriss, sie ent- dent sagt: «Mittelfristig kann niemand mit viel Profit sprechen dadurch unterschiedlichsten Wohnbedürf- rechnen. Es ist eine Herzensangelegenheit.» nissen.» Die gewünschte Durchmischung gelinge, so Anliegend an diese Liegenschaften befindet sich der Architekt: «Auf dem Oberhofplatz treffen Men- eine bisher nur mit Nebengebäuden genutzte Fläche schen, die vom Einkaufen kommen, auf Gäste des – obwohl es sich um Bauland handelt. Architekt Restaurants oder Kinder auf dem Schulweg. Es fin- Portmann erklärt: «Die Brache ist aufgeteilt in sieben det Austausch über Generationen statt, es ist ein Ort Parzellen. Einzeln sind diese Landabschnitte zu klein der ungezwungenen Begegnung.» und zu verwinkelt, um sie sinnvoll nutzen zu kön- nen.» Er habe während der letzten 25 Jahre etliche Gespräche geführt, bis die Parzellen zusammenge- führt werden konnten. Jetzt plant er dort gemeinsam mit der Dorfkern AG modernen Wohnraum. Die ers- ten Entwürfe für zwei Holzhäuser liegen bereits vor. Ein Schritt in die Zukunft für Escholzmatt. 19 WE RT PA P I E R Frühling 2022
LEBENSRAUM Oberhof Eschenbach Grundstück: 3’894 m2, Innenhof: 1’150 m2 Gewerbefläche: 2’750 m2 32 Eigentumswohnungen und 14 Mietwohnungen 5 Jahre Planung, 2,5 Jahre Realisierung Baukosten: 30 Millionen Franken (ohne Land) Für Architekt Matthias Amsler (links) und Bauherr Beat Burkard war der Bau der Eschenbacher Oberhofsiedlung eine «Operation am offenen Herzen». WE R T PA P I E R Frühling 2022 20
LEBENSRAUM «Die Bedürfnisse von Stadt und Land sind ähnlich» Den öffentlichen Raum zu entwickeln bedeutet, auf verschiedene Ansprüche und Bedürfnisse einzugehen. Raumplaner Mirco Derrer zeigt die Herausforderungen der Raumentwicklung auf. Pascal Zeder mehr Starkregen rechnen, da birgt die Ver- siegelung des Bodens ein Risiko. Das alles Mirco Derrer, wie hat sich der heisst aber nicht, dass es künftig keine as- Lebensraum im Kanton Luzern in phaltierten Flächen mehr geben wird. den letzten Jahren entwickelt? Anders als vor 20 bis 30 Jahren liegt der Fo- Sie sprechen von urbanen Flächen. kus von Gemeinden nicht mehr nur auf Sehen die Bedürfnisse auf dem Land Wachstum. Damals wurden – etwas plakativ anders aus? gesagt – einfach die noch vorhandenen grü- Die Ziele der Orts- oder Arealentwicklung nen Wiesen überbaut. Heute steht das Dorf- sind im urbanen und ländlichen Raum er- zentrum, der Dorfkern im Zentrum der Ent- staunlich ähnlich: ein attraktives Zentrum wicklung. Stichwort: Verdichtung. Seit der mit Begegnungsorten, Freizeitzentren, Ein- Abstimmung zur Änderung des Raumpla- kaufs- und Verweilorten. Natürlich sind nungsgesetzes vor acht Jahren haben die Dörfer weniger dicht bebaut, eine Zent- Gemeinden den Auftrag, sich nach innen zu rumsentwicklung in Dagmersellen steht entwickeln. Das bedeutet aber auch, dass entsprechend unter anderen Vorzeichen als man bereits Bestehendes in die Planung mit- jene in Kriens. Ausserdem spielen histori- einbeziehen muss. sche Gegebenheiten eine Rolle: Während Zur Person die Strasse in der Stadt immer schon gleich- Welche Bedürfnisse stehen heute zeitig öffentlicher Raum war, gehört sie in Mirco Derrer ist Raument im Vordergrund? der Agglomeration oder in ländlichen Ge- wickler und assoziierter Partner Wir spüren bei der Bevölkerung immer stär- bieten bis heute oft allein dem Verkehr. Sol- beim Planteam. Das Unter ker den Wunsch nach grünen Flächen, auch che Voraussetzungen gilt es bei der Planung nehmen mit Sitzen in Luzern, innerhalb des Siedlungsgebiets. Dieses An- zu beachten. Bern und Solothurn unterstützt liegen steht teilweise im Widerspruch mit Gemeinden, Kantone und den in den vergangenen Jahren geplanten Gibt es ein grösseres Bewusstsein Private bei Raumentwicklung, Freiräumen, die eher mit mineralischen Flä- für den eigenen Lebensraum? Städtebau und Geoinformation. chen wie Asphalt oder Beton gestaltet wer- Der Anspruch an den öffentlichen Raum den – auch ausserhalb der grossen Städte. war wohl immer schon da, heute wird die- ser vielleicht präziser formuliert. Zudem hat Die Menschen möchten also Natur ein Gesinnungswandel bei den Verantwort- statt Asphalt. lichen von Veränderungsprozessen stattge- Gerade in urbanen Räumen wurde und funden: Der Einbezug der Bevölkerung wird noch immer oft «grau» geplant, weil über Partizipationsgefässe, die über das ge- solche Flächen als besonders städtisch gel- setzlich vorgesehene Minimum hinausge- ten. Hier wird wohl künftig ein Umdenken hen, gehört in Planungsprozessen heute stattfinden. Und zwar nicht nur, weil es von zum Standard. Denn Fachleuten aus Pla- Stimmen aus der Bevölkerung gewünscht nung sowie Politik muss klar sein, dass Kor- Foto: Naima Ahmad / facecraft wird: Städte sind durch den Klimawandel zu rekturen teuer sind. Eine Fehlplanung kann Hitzeinseln geworden. Das Grüne hilft dem man sich gerade als kleinere Gemeinde Mikroklima eines Ortes, Bäume sind Schat- nicht leisten. Auch zeigen verschiedene Bei- tenspender, Grünflächen reduzieren die spiele aus der Vergangenheit, dass die Be- thermische Belastung. Zudem müssen wir völkerung bei Abstimmungen sehr differen- aufgrund des Klimawandels künftig mit ziert und kritisch entscheidet. 21 WE RT PA P I E R Frühling 2022
SPEKTRUM IDENTITÄT Warum leben Sie, wo Sie wohnen? Wo und wie wir leben, erzählt etwas über uns als Person und unsere Identität. Sechs Luzernerinnen und Luzerner berichten, wie und warum sie mit ihrem Lebensraum verbunden sind. Laura Scheiderer Tanja Gschwandl Weggis Seit 14 Jahren arbeitet Andrea Spiess (42) bereits bei heute trifft sie die Nachbarschaft im Winter auf der den Rigi Bahnen. Von Hostess über Kabinen- und Piste oder zum Après-Ski und im Sommer beim Zugbegleiterin bis zur Fahrdienstleitung hat sie Wandern. Ursprünglich aus der Region Thun, fühlte viele Positionen durchlaufen und ist immer mehr sich Andrea Spiess in Weggis und auf der Rigi von mit dem Unternehmen verwachsen. Den Berg Rigi Anfang an wohl: «Ich bin stolz, eine Rigi-Bähnlerin kennt und schätzt sie aber schon viel länger: Ihr zu sein. Jeden Tag erlebe ich die Tradition der Rigi- Gotti führte das Hotel Klösterli auf der Nordseite fahrten neu und spüre die Leidenschaft für den Berg der Bergkette. Hier lernte Spiess als Kind Ski fahren, – bei Einheimischen und Gästen.» WE R T PA P I E R Frühling 2022 22
IDENTITÄT Flühli «Bäuerin zu sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Unser Land, unsere Tiere und das Wetter geben den Takt unseres Alltags vor. Im Sommer sind wir z’Alp, im Winter hier unten im Tal. Die Natur ist eine höhere Macht, der wir uns fügen müssen. Das gilt insbesondere hier im Berggebiet, wo wir viel von Hand machen und aufeinander angewiesen sind. Bei uns hinten funktioniert das, ich komme gut mit den Entle- buchern aus. Die Mentalität passt mir, auch wenn manche sie als schwierig oder stur empfinden. Ich finde: Wenn jemand weiss, was er will, und sich dafür einsetzt, ist das doch eine tolle Sache.» Die Gans-Kunst hat Elias Zürcher (29) nach seiner Ausbildung wieder zurück nach Sursee geholt. Hella Schnider-Kretzmähr (53), ursprünglich aus Hamburg, lernte ihren Mann 1986 in den Skiferien in Sörenberg kennen und zog kurz darauf nach Flühli, um mit ihm den Bauernhof seiner Eltern zu übernehmen. Sie war zwölf Sursee Jahre Präsidentin des örtlichen Bäuerinnen- und Bauern vereins, ist Gemeindepräsidentin und engagiert sich aktuell mit anderen Luzerner Gemeinden für besseres Internet Das lauschige Städtchen Sursee folgt jeweils in abgelegenen Randgebieten. im November einem jahrhundertealten Brauch rund um die Gans. Junge Frauen und Männer versuchen mit verbundenen Augen hinter einer Sonnenmaske, einer toten Gans mit einem Schwerthieb den Kopf vom Rumpf zu trennen. So unerfreulich das Ereignis für die Gans, so sehr wird sie als Stadtheilige ver- ehrt – auch von Elias Zürcher, Holzbildhauer und Künstler aus Sursee. Noch vor seiner Ausbildung in Brienz kam ihm bei einem Besuch in der Heimat die Idee, einen kargen Autokreisel mit Kleinkunst zu bespielen. Der 1. Mai, der Tag nach der Wal- purgisnacht, bot sich für diesen Streich an und die Gans als Protagonistin der Aktion. Zürcher rechnete zuerst mit einer Busse, schliesslich erschienen die Gänse über Nacht und unge- fragt auf öffentlichem Grund. Die Stadt Sursee lachte aber mit und vergibt inzwischen Auf- träge an Zürcher. So durfte er im vergangenen Jahr eine Installation als Alternative zur Gans- abhauet organisieren. An seinem Gänsefesti- val drehte er den Spiess um: Das Federvieh tanzte der Sonne schadenfreudig auf der Nase herum. 23 WE RT PA P I E R Frühling 2022
IDENTITÄT Schachen Noch vor ihrem zweiten Geburtstag kam Besjana Thaqi (31) vom Kosovo in die Schweiz, nach Lut- hern im Luzerner Hinterland. Sie sagt: «Für Secon- das ist es immer schwierig, sich einem Land richtig zugehörig zu fühlen. Ich bin hier genauso Auslände- rin wie im Kosovo. Trotzdem fühle ich mich hier mehr zu Hause. Ich denke auf Deutsch und spreche mit meiner Familie oft Dialekt. Albanisch ist meine Muttersprache, das sind meine Wurzeln.» Doch Wurzeln und Reisepass sind nicht der ganze Mensch. Thaqi definiert sich über ihre Familie, die Reli- gion und ihre persönliche Freiheit. Letzteres zeigte sich bei der Suche nach einem gemeinsamen Zu- hause mit ihrem Mann, seinerseits Entlebucher mit kosovarischen Wurzeln: «Freiheit bedeutet für uns beide, einen sicheren Platz für unsere Familie zu ha- ben. Das bietet unser Leben auf dem Land, so wie Hochdorf wir es aus unserer Kindheit kennen. In unserem Quartier sind wir wie eine grosse Familie: Eltern 2014 steht Buchhändlerin Martina Küng (32) und Kinder treffen sich spontan auf der Strasse, an einer beruflichen Wegscheide. Beiläufig man spielt und tratscht.» fragt sie ihren Onkel bei einem Besuch in der Heimat, ob Hochdorf eigentlich noch eine Buchhandlung brauchen könnte. «Warum? Willst du eine eröffnen?», ist seine Antwort. Ab diesem Moment fügte sich ein Puzzleteil ans andere. Gerade hatte der Onkel nämlich ein La- denlokal mitten in Hochdorf zu vermieten. Mit einem eigenen Buchladen schuf Küng sich selbst den perfekten Arbeitsplatz und füllt im Dorf eine Marktlücke. Hier wird sie von ihrer Familie unterstützt, was den Schritt in die Selbstständigkeit erst möglich machte. Da sich das Ladenlokal im Privathaus des Onkels be- findet, ist die Lösung auch für ihn perfekt. Heute berät Küng ihre Stammkundschaft im kleinen und feinen Laden, so, wie sie es sich gewünscht hatte: «Wenn‘s so ring geht, ist es der richtige Weg.» WE R T PA P I E R Frühling 2022 24
Ebikon Der Theatermacher Reto Bernhard (52) zog im Sommer 2017 mit seiner Familie nach Ebikon und gründete kurz darauf neben dem Restaurant Sonne die «Kultursonne», eine Bühne für Kleinkunst in allen Sparten. In der Agglomeration orientiere sich das kulturelle Interesse oft in Richtung Stadt. Das wollte er ändern: «Neben national bekannten Künstlerinnen und Künstlern bietet unsere Bühne vor allem auch regionaler Kultur Platz. Im Rontal liegt viel künstlerisches Talent! Für eine Veranstaltungsreihe habe ich ausschliesslich lokale Gruppen gesucht. Im Nu liess sich so ein sehr abwechslungsreiches Adventsprogramm über zwölf Abende erstellen.» Mit der Kultursonne brachte er seine Leidenschaft als Kulturschaffender mit an seinen neuen Wohnort: «Ich möchte meinen unmittelbaren Lebensraum aktiv mitgestalten. Die Kultursonne soll ein Ort der Inspiration sein, für mich und Ebikon.» 25 WE RT PA P I E R Frühling 2022
DURCHBLICK Urbaner Freiraum – fünf Thesen Jonas Wydler Jörn Kaspuhl Privatisierung, Digitalisierung Der öffentliche Raum im städtischen Gebiet ist im Idealfall für alle jederzeit zugänglich. Es ist der Ort, wo sich ver- oder Verlagerung in die Peripherie: schiedenste Menschen bewegen und – zufällig oder ge- Eine Studie des Gottlieb Duttweiler plant – begegnen. Und wo Bedürfnisse aufeinanderpral- len: Erholung, Ruhe, Abkühlung, Mobilität, Konsum, Ver- Instituts (GDI) beschreibt gnügen, Experimente. Solche Nutzungskonflikte gab es im fünf Thesen, wie sich der urbane öffentlichen Raum schon immer, in unserer schnellen, Freiraum künftig entwickeln dicht bewohnten Welt verschärfen sie sich zunehmends. Dieser Entwicklung geht die Studie «Future Public könnte. Space. Die Zukunft des öffentlichen Raums» des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) nach. Sie weist fünf Trends für die Zukunft aus – und sieht Chancen: «Freiräume können bewusst zur neuen Experimentierfläche werden; durch das Zulassen von neuen, kreativen Konzepten lässt sich die Zukunftsfähigkeit von Städten steigern.» Und das ist nicht nur für Städterinnen und Städter re- levant: Die Studie betrachtet die Schweiz aus raumplaneri- scher Sicht als ein grosses urbanes System zwischen Bo- den- und Genfersee. Ähnlich wie in ausländischen Mega- citys kennen die öffentlichen Räume keine Grenzen mehr. WE R T PA P I E R Frühling 2022 26
DURCHBLICK 1. Ausstellungs- statt Verkaufsflächen 4. Zielkonflikt zwischen Sicherheit und Freiheit Plätze, Parks, Einkaufsmeilen, Fussgänger-Flanierzonen: Wir haben uns an Kameras in Bahnhöfen, Zügen, auf Plät- Der öffentliche Raum ist das Ergebnis einer jahrzehntelan- zen und in Einkaufszentren gewöhnt – selbst Polizisten gen Stadtentwicklung, die den Fokus stärker auf bebaute tragen Bodycams. Die Terrorgefahr der letzten Jahrzehnte Flächen und weniger auf Freiraum legte. Es waren vor al- habe zu einem «militarisierten Urbanismus» geführt, so lem Märkte, der stationäre Handel, Gewerbe und die Mo- die Studie. Länder wie Grossbritannien oder China trei- bilität, welche Städte belebten. Was passiert nun, wenn ben die Videoüberwachung in jeweils unterschiedlicher wir immer öfter online bestellen? Ausprägung noch viel weiter. Innenstädte bleiben wichtig, werden aber vermehrt zu Ein Grossteil der Überwachung finde gemäss Studie in Ausstellungs- und Erlebnisflächen der grossen Marken. Zukunft aber unsichtbar über unsere smarten Begleiter Tote Innenstädte sind aber trotzdem nicht zu befürchten, und mittels Bewegungsdaten statt. «Sich beobachtet zu im Gegenteil: Der rückgängige Detailhandel könnte sogar fühlen, führt unweigerlich zu einem anderen Verhalten, zu einer zusätzlichen Belebung des Stadtraums führen – ergo einer Unfreiheit», schreiben die Studienverantwort- und zwar über den Ladenschluss hinaus, so die Studie. Wir lichen und fragen: «Ist ein komplett überwachter öffentli- verpflegen uns immer öfter «on the go» und sind mit cher Raum noch ein öffentlicher Raum?» In der künftigen neuen Mobilitätsangeboten flexibel und zu unterschied- Smart City würden sich die Sphären Mensch, Beton und lichsten Zeiten unterwegs. Weil sich die Stadt dadurch Technik vermischen und verbinden, hält die Studie fest. besser durchmische, führe das zu mehr Interaktion und Wir würden die neu geschaffene künstliche Umgebungs- letztlich mehr Sicherheit. intelligenz quasi als «neue Natur» wahrnehmen, von der wir Teil werden. 2. Der öffentliche Raum wird privater Mauern, Türen oder Tore signalisieren, wo der öffentliche 5. Einwohnerinnen und Einwohner werden zu Usern Raum aufhört und der private Bereich anfängt. Was aber, Google Maps, Uber, Tinder: Unser Verhalten und unsere wenn diese Grenzen sich auflösen, weil der öffentliche Sicht auf die Umwelt wird immer stärker von den Algo- Raum immer stärker individualisiert – oder gar privatisiert rithmen der globalen Tech-Player gesteuert. Mit ihren Re- – wird? Persönliche Verhaltensweisen und Normen über- geln würden diese zu «Kreatoren der Städte», die weit über tragen sich auf den öffentlichen Raum und Plätze, Prome- das Digitale hinaus auf die physische Umgebung einwir- naden und Märkte würden so zu einem «pseudoöffentli- ken. «Der Bürger versteht sich immer mehr als User einer chen Privatraum», so die Studie. Das zeigt sich etwa in Stadt», heisst es in der Studie. Die politischen Stadtverwal- Gated Communities – also eingezäunten Wohnkomple- tungen würden in dieser Analogie von Regulatoren zu Mo- xen, wie es sie beispielsweise in vielen US-Grossstädten deratoren, die den virtuellen oder physischen Raum zur gibt. Dort regulieren private Gesetze und Hausordnungen Verfügung stellen. Die eigentlichen Dienstleistungen und das öffentliche Leben, nicht etwa staatliche Gesetze. Umso deren «Hausregeln» kommen von öffentlichen oder priva- wichtiger würden im Gegensatz dazu die zentralen, städti- ten Betrieben, den «Providern». schen Bahnhöfe. Diese urbanen Besammlungspunkte Der digitalisierte urbane Raum führe zu einem anderen würden den freien Fluss von Personen und Waren garan- Selbstverständnis der Bewohnerinnen und Bewohner. tieren und seien für alle zugänglich. Top-down-Regulierungen hätten ausgedient, die Stadt werde zu einem urbanen Labor, wo die Einwohnerinnen 3. Die eigentliche Stadt ist die Agglo und Einwohner an Echtzeitlösungen teilhaben. Dass es Die Studie benennt weiter einen «Abfluss von Kreativ- trotzdem Regulierungen von oben braucht, hat das Bei- kräften» aus dem Zentrum. Das Innovationspotenzial ver- spiel der E-Scooter und Leihvelos aus Asien gezeigt, die schiebe sich zunehmend in die Agglomerationen. Hier sei unsere Städte überfluteten. Sie wurden reguliert und im das urbane Lebensgefühl mit seinem chaotischen Neben- Fall von Luzern gleich ganz ausgesperrt. einander von Altem und Neuem und verschiedenen Kul- turen noch möglich. Die Innenstadt habe demgegenüber eher bewahrenden Charakter und sei zum Wohnen oder als Kreativstätte für viele zu teuer. Die Stadt zelebriere mit Urban Gardening und beruhigten Begegnungszonen eine neue Ländlichkeit, während die urbanen Qualitäten in Zur Studie der Agglomeration zunähmen, heisst es überspitzt. Dies Marta Kwiatowski, Stefan Breit, Leonie Thalmann: «Future Public Space. Die Zukunft des öffentlichen Raums», GDI 2018. zeigt sich bereits auch in Luzern: Die Boomgebiete mit Im Auftrag des Zentrums Öffentlicher Raum (ZORA). Hochschulen, Start-ups und Kreativszene liegen in der Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) ist ein unabhängiger Peripherie im Süden und Norden der Stadt – etwa in der Thinktank in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum. Die Studie Viscosistadt in Emmen oder dem Kampus Südpol in gibt’s online gratis zum Download: Kriens. gdi.ch/de 27 WE RT PA P I E R Frühling 2022
STADTFÜHRUNG Versteckte Geschichten Meist achten wir uns im Alltag nicht auf unsere Umgebung. Dabei hat der Raum, in dem wir uns bewegen, spannende Geschichten zu bieten. Ein Rundgang durch die Stadt Luzern an Orte, die eine bewegte Vergangenheit haben. Anna Chudozilov Vom pazifistischen Pionierprojekt Das Fluhmattschulhaus ist heute Teil der Kantonsschule Musegg. Bereits seit 1957 zum Schulhaus wird das Gebäude an der Museggstrasse als Ausbildungsstätte genutzt, zuvor diente es einige Jahre als Kunst- und Gewerbemu- seum. Ursprünglich erbaut allerdings wurde es für das weltweit erste Kriegs- und Frie- densmuseum. Initiant des Projekts war der polnische Industrielle, Eisenbahnkönig und überzeugte Pazifist Jan Bloch. Als er sich Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Suche nach einem Standort machte, buhlte Luzern um das damals einmalige Projekt – schliess- lich wollte die Touristenstadt den Gästen aus dem In- und Ausland aufse- henerregende Attraktionen bie- ten. Nach der Eröffnung 1902 war das Museum bis 1910 in ei- nem Provisorium direkt beim Bahnhof untergebracht. Trotz- Stadtarchiv Luzern, F2a/Strassen/Museggstrasse 09:01 (Niklaus Hinder); 09:06 dem entwickelte es sich rasch Das Fluhmattschulhaus wurde ursprünglich als Museum konzipiert. zu einem Publikumsmagnet: Über 60’000 Menschen besuch- ten es jährlich, was rund der doppelten Ein- wohnerzahl Luzerns zu dieser Zeit ent- sprach. Ironischerweise waren es die wirt- schaftlichen Auswirkungen des 1. Welt- kriegs, die das Ende des Museums bedeute- ten: Als der Fremdenverkehr nach 1914 na- hezu komplett zusammenbrach, musste es geschlossen werden. An den ursprüng Guido Von Deschwanden lichen Zweck erinnert ein imposantes Wandbild: Von den Zinnen herab blickt ein Krieger auf das Alpenpanorama, einer Das Wandbild bleibt Sonne gleich geht dahinter das Wort «PAX» als Erinnerung. auf – lateinisch für Frieden. WE R T PA P I E R Frühling 2022 28
STADTFÜHRUNG Bis in die 1970er führte der Hirschengraben direkt zur Kaserne hin. Der Platz ausserhalb der alten Stadtmauer bot Raum für Vieh- oder Jahrmärkte. Der Verkehr prägt den Kasernenplatz bis heute. Vom Kurzweilplatz zum befand sich unter anderem das elegante Café der Kaffeerösterei Hochstrasser. Verkehrsknotenpunkt In den 1970er-Jahren, als gute Auto- bahnanbindungen einen hohen Stellenwert erhielten, wurde die Kaserne gesprengt. Das Die Autobahnausfahrt Luzern-Zentrum unter Denkmalschutz stehende Waisenhaus führt direkt auf den Kasernenplatz. Auf acht wurde nach dem Abbruch originalgetreu Spuren rollt dort heute motorisierter Ver- wieder aufgebaut und steht heute ungefähr kehr in die Stadt und wieder heraus. Als die dort, wo früher die Kaserne stand. Inzwi- Stadtmauer noch stand, lag der Platz direkt schen kennt man es besser als das Luzerner ausserhalb und trug den klingenden Namen Natur-Museum. Der Platz bekam so in gro- Kurzweilplatz. Dort fanden ab dem 16. Jahr- ben Zügen seine heutige Form als Verkehrs- Stadtarchiv Luzern, F2a/Strassen/Kasernenplatz 0:04; 0:07; 0:01 hundert nicht nur der Viehmarkt statt, son- knotenpunkt. Dadurch verlor er viel von dern auch Jahrmärkte und Chilbis. Kam ein seiner einstigen Anziehungskraft. Heute Zirkus in die Stadt, gastierte er in der Regel sind es primär die kantonalen Museen, die ebenfalls am Rand der Alt-Kleinstadt. Im 19. viele zu einem Besuch des Kasernenplatzes Jahrhundert wuchs Luzern immer stärker bewegen. Immer wieder gab es Ideen, den über die Grenzen der ehemaligen Stadtmau- Platz wieder «kurzweiliger» zu gestalten: ern hinaus. Auch auf dem Kasernenplatz Als Standort für die Universität, für die Zen- wurde gebaut. 1863 wurde die Infanterieka- tral- und Hochschulbibliothek oder gar für serne fertiggestellt, die dem Platz seinen die «Salle Modulable» – früher oder später heutigen Namen gab. Bis zu 1111 Soldaten wird sich vielleicht eine kreative Idee durch- waren dort untergebracht. Den Häusern an setzen. der Baselstrasse stand dort, wo heute ein Parkhaus und Car-Abstellplätze sind, eine Häuserzeile im Jugendstil gegenüber. Darin 29 WE RT PA P I E R Frühling 2022
STADTFÜHRUNG Vom Industrieviertel zum urbanen Wohntraum Rund hundert Jahre lang war dort, wo heute nur noch der Strassenname Reussin- sel daran erinnert, tatsächlich ein Eiland. Heute umfliesst auf der Westseite nur noch Verkehr das kleine Quartier: Zug, Bus, Auto sind hier unterwegs. Dem Fluss ent- lang führt ein Weg für Spaziergängerinnen und Velofahrer, der in den kommenden Jahren bis zur St.-Karli-Brücke verlängert werden soll. Sogar die Reuss hat sich (zu- mindest im Sommer) zu einer beliebten Route für Schwimmerinnen und Sonntags- böötler gemausert. Ab 1832 hingegen war die Reussinsel Sitz der ersten Luzerner Industrie- betriebe. Die Mechani- sche Werkstätte Meyer befestigte dort damals eine Sandbank und hob Lange beheimatete die Reussinsel Industrie und Gewerbe. auf der Westseite einen Kanal aus, um die Was- serkraft optimal nutzen zu können. Das Tradi- tionshaus von Moos, aus dem in den 1990er-Jahren die Swiss Steel Group hervorging, hat dort ebenso seine Wurzeln wie der inzwischen weltweit operierende Schindler-Konzern. Zahlreiche Handwerkerbetriebe und eine Darmfabrik hatten hier ausserdem ihren Sitz – Letztere war im Quartier für den Ge- stank berüchtigt, den sie verbreitete. Doch mit dem Wegzug der Obrist Interior AG und den Plänen, auf diesem Grundstück bis Stadtarchiv Luzern, F2a/Publikationen 09:08; F2a/Peripherie 20:06 2023 eine Wohnüberbauung zu errichten, wird die Zeit von Gewerbe und Industrie definitiv vorbei sein – und die Wandlung zu attraktivem Lebensraum bekommt neuen Schub; nicht zuletzt plant nämlich die Stadt anschliessend an die neue Über- bauung eine grosse Grünfläche mit Spiel- platz. Scheitlin Syfrig Architekten Die geplante Überbauung «Reussinsel III» bildet für die Gegend einen weiteren Schritt in Richtung Wohnquartier. WE R T PA P I E R Frühling 2022 30
STADTFÜHRUNG Die Stadtführerin Die Kulturwissenschaftlerin Judith Schubiger führt für diesen Beitrag durch die Das Bild aus dem Jahr 1955 zeigt den Inseli-Parkplatz kurz nach seiner Entstehung als Haltestelle für zahlreiche Reisecars. Stadtluzerner Geschichte. Sie hat an der Universität Zürich studiert und arbeitet nach mehreren beruflichen Von der No-go-Area zur Wohlfühloase Stationen seit 2013 beim Schweizer Heimatschutz. Dort ist die gebürtige Das Inseli hinter dem KKL ist nur noch dem liche Situation mit vielen Hecken und Littauerin für den Bereich Namen nach ein Eiland. Doch alte Stadt- Nischen zunutze gemacht haben, auch Pros- Kulturvermittlung und pläne zeigen, dass hier bis 1954 tatsächlich tituierte wickelten in der wenig belebten Ausstellungen zuständig. Seit eine Insel zu finden war. Ein schmaler Kanal Gegend ihre Geschäfte ab. Nur während der zehn Jahren ist Judith trennte sie über Jahrhunderte vom Ufer, Lozärner Määs war der Ort von einer breiten Schubiger «aktive Unter- eine Brücke – später dann deren zwei – ver- Öffentlichkeit besucht. Durch die gezielte gRundgängerin», das heisst, band sie mit dem Festland. Als in den Fünf- Förderung von Sommerbars – der Buvette als Mitglied des Vereins Max A. Wyss / Stadtarchiv Luzern, F2a/Strassen/Inseli 0:03; zVg / Radio 3Fach; Sophie Stieger zigerjahren der Massentourismus Fahrt auf- und der Volière – hat es die Stadt geschafft, UntergRundgang ist sie an nahm, schüttete man den Kanal zu und aus der ehemaligen No-go-Area einen be- der Erarbeitung und Durch- schuf Parkplätze für Autos sowie Reisecars. liebten Treffpunkt für Junge und Alte von führung von Rundgängen im Geblieben sind der Name und der kleine hier und anderswo zu machen. Luzerner Untergrundquartier Park. Und auch die Cars gehören seither beteiligt. Sie erzählt lokale zum Ortsbild. Noch ist unklar, wie lange das Geschichte und Geschichten noch so bleiben wird: Die Luzerner Bevöl- unterhaltsam und voller kerung nahm zwar 2017 die Initiative «Le- Spannung da, wo sie passiert bendiges Inseli statt Blechlawine» an, die (sind). ein Inseli ohne Carparkplätze forderte. 2021 vermeldet der Stadtrat jedoch, dass die Um- untergrundgang.ch gestaltung aufgeschoben wird, mit der Be- gründung, man wolle unter anderem die Pläne rund um den Durchgangsbahnhof ab- warten. Eindrücklich ist, wie sich das Inseli in den vergangenen 20 Jahren gewandelt hat. Zu Beginn des Jahrtausends war der Park als verrucht und gefährlich verschrien. Dro- Heute ist das Inseli ein beliebter und belebter genhändler sollen sich dort die unübersicht- Treffpunkt. 31 WE RT PA P I E R Frühling 2022
ARTENVIELFALT Der Biologe David Preiswerk kümmert sich um die Artenvielfalt im Kanton Luzern. «Auch die Natur braucht eine Art Infrastruktur» Der Kanton Luzern beheimatet eine erstaunliche Tier- und Pflanzenvielfalt. Doch diese hat keinen leichten Stand – gezielte Programme und neue Ideen können Abhilfe schaffen gegen den zunehmenden Verlust unserer Biodiversität. Pascal Zeder Johanna Unternhährer David Preiswerk sagt es deutlich: «Um die Arten- Durch seine geografische Lage am Voralpenrand vielfalt im Kanton Luzern steht es leider nicht gut.» gibt es hier viel Niederschlag, das schafft günstige Als Fachbearbeiter Arten und Lebensräume der Voraussetzungen für wassergeprägte Lebensräume, kantonalen Dienststelle Landwirtschaft und Wald insbesondere Moore. Doch die starke Siedlungsent- (lawa) gehört er zu jenen Personen, die sich um den wicklung sowie die intensive landwirtschaftliche Schutz und die Erhaltung der natürlichen Artenviel- Nutzung des Bodens liess den natürlichen Lebens- falt kümmern. Und er sagt: «Im Verlauf des letzten raum vieler heimischer Arten verschwinden. Jahrhunderts nahmen die natürlichen Lebensräume dramatisch ab.» Dabei ist der Kanton Luzern ein Hilfsprogramme lohnen sich einzigartiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen: Der Zustand in Luzern entspricht der schweizeri- WE R T PA P I E R Frühling 2022 32
ARTENVIELFALT schen Gesamtsituation. Die «Rote Liste» des Bun- Fischart ging seit den 50er-Jahren stark zurück, desamts für Umwelt beschreibt über 3500 gefähr- 1978 verschwand der Speisefisch ganz aus den dete oder sogar vom Aussterben bedrohte Arten. Fangstatistiken. «Ursache war die massive Über- Dass Fauna und Flora Unterstützung benötigen, ist düngung des Sees durch Einträge aus der Landwirt- inzwischen Konsens. Auch der Kanton Luzern schaft, phosphathaltige Waschmittel und Abwäs- muss und will dagegen etwas tun. In einem Pla- ser», erklärt Preiswerk. Die Felchenart, die bis da- nungsbericht kündigte der Kanton vor drei Jahren hin als «Edelfisch» bekannt war, betrachtete man an, die Bemühungen für den Artenschutz und die 1980 schliesslich als ausgestorben. Bis 2004: Nach- Förderung der Biodiversität zu intensivieren. In ge- dem sich dank verschiedener Massnahmen die Artenvielfalt zielten Programmen sollen etwa bedrohte Arten er- Wasserqualität wieder verbessert hatte, kehrte die unter Druck halten und ihre Lebensräume geschützt oder wo Tiefenwasser-Felche wie aus dem Nichts zurück, nötig wiederhergestellt werden. Ausserdem will die Population erholte sich. «Sie muss irgendwo man auch Gemeinden darin unterstützen, der Natur eine Nische gefunden und überlebt haben», freut im Siedlungsgebiet mehr Raum zu geben. Nicht zu- sich Preiswerk. letzt fördert der Kanton auch die Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema Biodiversität. Den Lebensraum teilen Einige Projekte für gefährdete Arten werden be- Das wichtigste und grösste Projekt zur Erholung reits umgesetzt. So etwa das Artenhilfsprogramm der Biodiversität ist aber der Aufbau einer landes- Galt 24 Jahre als ausgestorben: für die Kreuzkröte, im Zuge dessen neue Tümpel weiten ökologischen Infrastruktur. Preiswerk er- die Tiefsee-Felche. und Versteckmöglichkeiten für die bedrohte Kreuz- klärt: «Tiere haben ähnliche Bedürfnisse wie wir: kröte geschaffen wurden. Ein Erfolg: Die Amphi- Sie brauchen Orte mit einem ausreichenden Nah- bien nutzen die neuen Lebensräume bereits. Auch rungsangebot, Orte zum Rückzug und Schutz und erfreulich verlaufe das Ansaatprogramm für die Verbindungen für eine ungehinderte Mobilität zwi- Fromentalwiese, eine Blumenwiese mit hoher Di- schen den Lebensräumen», erklärt er. Heute hinge- gen seien die Verbindungen gekappt. «Wir finden nur noch isolierte Restflächen vor», so der Biologe. Der Kanton Luzern «Schnell sichtbare Resultate Ein solches natürliches Netzwerk landesweit wie- unternahm viel zur Rettung der Kreuzkröte. wären natürlich schön, der aufzubauen sei ein Generationenprojekt, so Preiswerk. Und obwohl sich auch der Kanton Lu- aber die Entwicklung wertvoller zern zur Förderung der ökologischen Infrastruktur Lebensräume braucht Zeit.» verpflichtet hat, wird die Umsetzung eine grosse Herausforderung. «Wenn für die Natur wieder David Preiswerk Raum zurückgewonnen werden muss, sind Inter- Fachbearbeiter Art und Lebensräume (Lawa) essenkonflikte meist unvermeidbar.» Bisher habe die Natur bei den Entscheidungen der breiten Be- Der Laubfrosch ist in Luzern versität an Pflanzen, die man in Luzern früher oft völkerung oft wenig Gewicht. «Dabei sollten wir trotz Schutzmassnahmen ausgestorben. vorfand. Dieser Wiesentyp verschwand in den letz- uns aber vor Augen führen: Eine intakte Biodiversi- ten Jahrzehnten fast komplett aus dem Landschafts- tät ist unser aller Lebensgrundlage.» bild, inzwischen konnten 750 Hektaren wiederher- Biodiversität und menschlicher Siedlungs- und gestellt werden. Das entspricht der Grösse von rund Entwicklungsraum stellen für den Biologen zudem 1000 Fussballfeldern. «Vor allem für Insekten ist nicht zwingend einen Widerspruch dar. Im Gegen- eine vielseitige Flora extrem wichtig», so Preiswerk. teil: Sind freie Grün- und Aussenflächen richtig ge- Bei anderen Massnahmen stehen die Ergebnisse staltet, bieten sie Lebensraum und Nahrungsquellen noch aus: «Schnell sichtbare Resultate wären natür- für verschiedene Tiere. Private Gärten lassen sich lich schön, aber die Entwicklung wertvoller Le- häufig mit wenigen Anpassungen zu Inseln der Bio- bensräume braucht Zeit.» Und nicht immer gelin- diversität umgestalten. Das Bewusstsein für die Na- gen die Vorhaben. Preiswerk nennt das Beispiel des tur steige, ist Preiswerk überzeugt. «Immer mehr Laubfroschs, dessen Verschwinden in den 80er-Jah- Menschen organisieren sich, um sich für die Biodi- ren einsetzte. Rund 20 Jahre später war er ausge- versität, auch in der Siedlung, einzusetzen. Sie enga- storben, obwohl Anstrengungen zur Arterhaltung gieren sich beispielsweise für mehr Natur in der ei- unternommen wurden. «Es ist schwierig, in einem genen Wohngemeinde oder gegen die problemati- © Max Renggli, Heidi Jost, zVg intensiv bewohnten und genutzten Gebiet intakte sche Versiegelung des Bodens.» Es gebe immer Lebensräume zu erhalten», sagt er. mehr gute Ideen und Initiativen, die Natur und Doch die Natur ist auch immer wieder für Über- Wohnraum verbinden möchten. Darin liege viel raschungen gut – auch in Luzern. Dies zeigt das Bei- Potenzial: «Mit solchen Projekten kann auch bei spiel der Tiefenwasser-Felche: Der Bestand dieser uns in Luzern sehr viel Gutes für Mensch und Natur ausschliesslich im Vierwaldstättersee lebenden entstehen.» 33 WE RT PA P I E R Frühling 2022
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