Freiheit Interview mit Janine Wissler, Lyrik, Künstlerportrait, Kochen, Geschichten, Nachrichten - Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufern mit ...

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                                                             Verkäufern mit offiziellem
                                                             Verkäuferausweis!

                                                             Nr. 267     Juli 2021
                                                             2,50 Euro – davon 1,20 Euro
                                                             für unsere Verkäufer

Freiheit
Interview mit Janine Wissler, Lyrik, Künstlerportrait, Kochen, Geschichten, Nachrichten
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...über uns
Gut erhaltene gebrauchte Bücher können Sie in der                             Riedenburger Antik Flohmarkt
Lagergenossenschaft Ostbahnhof (LAGO)                                         Raritäten Sammlerstücke
Am Ostbahnhof 9 abgeben.                                   9                  3339 Riedenburg im Altmühltal –
                                                                              seit 1982
Gut erhalten bedeutet hierbei, dass die Bücher weder
zerfleddert noch schimmlig sein sollten. Auch dürfen sie   im Brauerei-Biergarten
keine Wasserschäden aufweisen.                             jeden 3. Sonntag im Monat,
                                                           08 – 17 Uhr
Bitte verpacken Sie ihre Bücher in Kisten oder Kartons,
welche sie uns überlassen, damit wir vor Ort nicht um-     Termine 2021
packen müssen.Gerne nehmen wir auch Comics, CDs,           18. Juli
DVDs, Schallplatten oder Spiele entgegen.                  15. August
                                                           19. September
Jeden Donnerstag von 10 – 16 Uhr                           17. Oktober
und jeden ersten Samstag im Monat
ebenfalls von 10 – 16 Uhr                                  Werner Hagen ist wieder dabei
können Sie uns Ihre Bücher liefern.                        mit seinen Strudlbüchern

Sie haben Fragen zu Lieferungen?                           Aufgrund der Corona-Pandemie sind die Termine
Unter 0941 85083700 erhalten Sie alle Infos                unter Vorbehalt.
von 10 – 13 Uhr, dienstags bis freitags.
                                                           Bitte informieren Sie sich immer aktuell
Bei größeren Lieferungen                                   auf flohmarkt-riedenburg.de
kontaktieren Sie uns bitte vorab telefonisch.
                                                           Wir laden ein zum Bummeln, Ratschen, Trödeln,
                                                           Stöbern, Feilschen, Brotzeiten und Biergarteln!

                                                           Information: M. Krieger: 09442 9916160
                                                           www.flohmarkt-riedenburg.de
                                                           flohmarkt@riedenburger.de
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Liebe Leserinnen und Leser,
SOZIALE STRASSENZEITUNG
                                        dieses Mal haben wir uns das Thema „Freiheit“ vorgenommen. Einige persönliche
Jahrgang 24, Nr. 267                    An- und Einsichten kamen dabei heraus. Außerdem zwei Seiten mit den persönlichen
Juli 2021
Der Herausgeberverein
                                        Freiheiten unserer Redaktion. Was bedeutet für Sie Freiheit? Ist sie groß oder eher
Sozialer Arbeitskreis Regensburg        im kleinen Verborgenen zu finden? Hat sich die Pandemie auf unsere Freiheit ausge-
(SAK e.V.)                              wirkt? Eins ist jedenfalls sicher: Die Freiheit ist für jeden Menschen anders greif- bzw.
ist als gemeinnützig anerkannt.         begreifbar. Vielen Dank für Ihre Unterstützung! Unsere Verkäufer*innen brauchen Sie
Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe:
                                        genauso wie wir als Verein.
                                                                             Auf Wiederlesen, Ihre DONAUSTRUDL- Redaktion
Claudia Bernhard

                                                                              Inhalt
Khang Do
Herbert Ehrl                             Wussten Sie schon, dass der
Rainer Fürst                             DONAUSTRUDL-Herausge-
Gabriele Jokele                          berverein Sozialer Arbeitskreis
Maria Kammermeier
Reinhard Kellner
                                         SAK eine kleine gemeinnützi-         Interview mit Janine Wissler........................... 4
Lorenz Nix                               ge Organisation ist und dass
Fenja Salm                               diese Soziale Straßenzeitung         Künstlerportrait..................................................... 29
Jonas Schriefer                          auch nennenswert durch die
Magdalena Treutwein                      Stadt Regensburg gefördert           Lyrik................................................................................ 7
Lisbeth Wagner                           wird?
Phil Wegerer                                                                  Kochen.......................................................................... 8
Annika Zinkler                           Der STRUDL finanziert sich
                                         nun durch den Straßenver-            Buch-Rezession...................................................... 9
Layout:                                  kauf, Anzeigen, Spenden
Rainer Fürst                             und einen jährlichen finanzi-        Thema: Freiheit
                                         ellen Zuschuss der Stadt. So         Persönliche Freiheiten...................................................... 10
Titelbild:                               kommen wir unserem Ziel, die
unsplash.com                                                                  Eindrücke aus dem Osten................................................ 12
                                         Sozialarbeit auszubauen, ein         Campingreisen in der DDR.............................................. 14
Druck:                                   gutes Stück näher.
Schmidl & Rotaplan                       Denn unsere Sozialarbeite-
                                                                              Soziales Projekt: Umzug der Tafel......................... 15
                                         rin ist gut beschäftigt mit der      Regensburg und die Reichsfeiheit................................... 19
Anzeigen:
                                         Verkäuferbetreuung und Be-           I`ve been looking for Freiheit............................................ 20
SAK Regensburg e.V., Vorstand
anzeigen@donaustrudl.de                  gleitung der inzwischen sieben       Freiheit – ein kostbares Gut............................................. 21
Es gilt die Preisliste vom 01.01.2020    Beschäftigungsprojekte. Über
                                         20 Ehrenamtliche / Engagier-         Geschichten
Anzeigenschluss:                         te treffen sich jede Woche,
jeweils der 15. des Monats.
                                                                              Das Wesen der Verliebtheit.............................................. 22
                                         um monatlich einen neuen
                                         DonauStrudl herauszu-                Kultur........................................................................... 23
(Spenden-)Konto: IBAN:                   bringen: Chancengleichheit
DE43 7505 0000 0000 2125 30
                                         und Gerechtigkeit sind dabei         Nachrichten von unten .................................... 24
                                         die Ziele, um auf Armut und
Manuskripte und Beiträge
                                         soziale Missstände aufmerk-          Sozialsponsoring................................................. 26
sind jederzeit willkommen.
                                         sam zu machen. Jeder kann            KISS.............................................................................. 27
Nächste Ausgabe:                         sich bei den öffentlichen Re-
Freiheit                                 daktionstreffen immer don-           Sportseite.................................................................. 28
Redaktionsschluss: 17. Juni              nerstags ab 17.30 Uhr einbrin-
                                         gen und Artikel abgeben.             Bayern bleibt bunt............................................... 31
V.i.S.d.P.:
Claudia Bernhard                         Die Verkäufer erwerben ein           Tafel-Benefizkonzert........................................... 32
Engelburgergasse 20                      Heft für 1,30 Euro und bieten
Eingang Schulbergl                       es dann für 2,50 Euro auf der
93047 Regensburg
redaktion@donaustrudl.de
                                         Straße und in Gaststätten an:
                                         So entstehen Selbstbewusst-
                                                                               Redaktionssitzungen
                                         sein und neue Kontakte.               finden immer donnerstags um 17.30 Uhr statt.
                                         Das DONAUSTRUDL-Projekt
                                         „Bücher aus zweiter Hand“
                                         gibt die Möglichkeit, in ein sinn-
                                         erfülltes Berufsleben einzustei-
                                         gen, eine eigene Wohnung zu
                                         finden und von der staatlichen
                                         Unterstützung unabhängig zu
                                         werden.                                  9-17 Uhr - Keplerstraße 18 - Tel. 6 98 01 54

„Soweit in diesem Magazin aus            Das Büro des DONAUSTRUDL, Engelburgergasse 20 / Eingang Schulbergl
Gründen der besseren Lesbarkeit das      macht Urlaub. Vom Montag, 02. August bis einschließlich Montag, 30. August
generische Maskulinum verwendet          bleibt unser Büro geschlossen. Der Soziale Buchladen im Minoritenweg 19
wird, sind hiermit stets alle            bleibt geöffnet. Gleiches gilt für die LaGo Bücheranlieferung. Vielen Dank!
Geschlechter gemeint“

                                                                                                                                                                 3
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Interview mit Janine Wissler
Hinz&Kunzt: Frau Wissler, als Spitzenkandidatin einer Par-           Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hat
tei, die für soziale Gerechtigkeit steht, dürften Sie gerade         gerade die Partei ermahnt, nicht nur über eine Vermögens-
bei Straßenzeitungsverkäufer*innen Erwartungen wec-                  steuer zu reden, sondern sich für diejenigen einzusetzen,
ken. Was würden Sie für obdachlose Menschen tun, wenn                die durch die Coronakrise zu verarmen drohen. Hat er
Sie in die Regierung kämen?                                          Recht?
Janine Wissler: An erster Stelle müssen wir Wohnungen vermit-        Wir weisen immer wieder auf die Situation hin, dass einige we-
teln. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass Menschen ohne          nige durch die Pandemie reicher geworden sind, und sehr vie-
Krankenversicherung medizinisch behandelt werden. Das hat            le ärmer. Viele wissen nicht, wie sie die Miete nach Monaten
für mich Priorität: Housing First und die medizinische Versor-       in Kurzarbeit noch bezahlen sollen, Menschen in der Gastro-
gung, und zwar jetzt. Denn durch die Coronakrise hat sich die        nomie, Minijobber, die ihre Jobs verloren haben, Selbständige
Lage obdachloser Menschen noch zugespitzt.                           ohne Perspektive. Die Lufthansa hat neun Milliarden Euro be-
                                                                             kommen, auch für die TUI gab es Milliardenhilfen – bei
Wenn das Wahlergebnis für Rot-Rot-Grün reicht,                                       den Solo-Selbständigen gab es dagegen ab-
könnten Sie Vizekanzlerin werden. Doch die                                                surde bürokratische Begründungen, we-
Linke legt die Latte für eine Regierungs-                                                     gen derer man ihnen angeblich nicht
beteiligung hoch: Sie fordert eine Auf-                                                          helfen kann.
lösung der Nato und ein Ende der
Bundeswehr-Kampfeinsätze            im                                                                Was ist mit den Arbeits-
Ausland. Weshalb sollten Men-                                                                          migrant:innen, von denen
schen Sie wählen, fragt „Trott-                                                                         nicht wenige auf unseren
war“ aus Stuttgart, wenn sie                                                                              Straßen stranden: Unter
sich nicht darauf verlassen                                                                                welchen Bedingungen
können, dass Sie Verantwor-                                                                                sollten     ausländische
tung übernehmen würden?                                                                                     EU-Bürger:innen in den
Regieren ist kein Wert an                                                                                   Genuss des von der
sich. Wir wollen wirklich etwas                                                                             Linken visionierten So-
durchsetzen. Wenn es Mehr-                                                                                  zialstaats kommen, der
heiten gibt für eine gerechtere                                                                             jeder und jedem eine
Steuerpolitik, für Umverteilung,                                                                            Mindestsicherung von
für bezahlbare Mieten und gut                                                                              1200 Euro bietet?
entlohnte Pflegekräfte, sind wir                                                                           Die Situation osteuropä-
natürlich bereit, in eine Regierung                                                                      ischer Arbeitsmigrant:innen
einzutreten. Für ein „Weiter so“                                                                        ist vielerorts dramatisch.
sind wir nicht zu haben.                                                                               Wir fordern, dass es Boar-
                                                                                                     dinghäuser mit Einzelzimmern
Anders gefragt: Glauben Sie, dass                                                                  geben muss zur Unterbringung
potenzielle Wähler*innen Verständnis                                                             von Saisonkräften, und natürlich:
dafür haben, wenn Sie rote Linien für eine                                                    soziale Absicherung und Schutz. Viele
Regierungsbeteiligung ausgerechnet in der                                                  arbeiten ohne Krankenversicherung. Das
Außenpolitik ziehen?                                                                  ist Wahnsinn. Erntehelfer:innen dürfen in Nor-
Die Linke ist konsequent als Friedenspartei, aber die Auflösung           malzeiten 70 Tage ohne Sozialversicherung arbeiten, das
der Nato ist keine Entscheidung, die eine deutsche Bundesre-         hat die Bundesregierung – unter Verweis auf die Coronakrise
gierung alleine treffen kann. Sie kann aber den Rüstungsetat         – auf mehr als 100 Tage ausgeweitet. Dabei ist es gerade in
senken, der seit 2014 um 35 Prozent gestiegen ist – sogar im         einer Pandemie und bei harter körperlicher Arbeit mit hohem
Corona-Jahr noch um 8,4 Prozent! Wir sind gegen das Nato-            Verletzungsrisiko nicht hinnehmbar, ohne Krankenversicherung
Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aus-        zu arbeiten. Gewerkschafter von der IG BAU berichten von
zugeben. Statt in Waffen wollen wir in Soziales, in Bildung und      Menschen, die hier wochenlang arbeiten, und dann wegen ei-
Klimaschutz investieren. Sicher muss man Kompromisse einge-          ner medizinischen Behandlung verschuldet nach Hause fahren.
hen, aber die müssen in die richtige Richtung gehen. Schwache        Hier in Wiesbaden haben rumänische Bauarbeiter für 1,02 Euro
gegeneinander auszuspielen, etwa das Asylrecht zu verschär-          pro Stunde gearbeitet. In Hessen, nicht in Katar! Und oft zahlen
fen, um dafür an anderer Stelle soziale Verbesserungen zu er-        Saisonkräfte und Wanderarbeiter:innen für ein Bett im Sechs-
reichen, geht für uns nicht. Wir brauchen internationale Solidari-   bettzimmer den gleichen Quadratmeterpreis wie in einem Pent-
tät mit Kriegsflüchtlingen, wie mir kürzlich bei einem Besuch im     house in Berlin-Friedrichshain, was ihnen vom Lohn abgezogen
Geflüchtetenlager auf Lesbos wieder sehr bewusst wurde.              wird. Das ist Ausbeutung pur.

Linke Politiker – von Bundesfinanzminister Olaf Scholz               Was muss passieren?
(SPD) bis zu US-Präsident Joe Biden – wollen eine globa-             Wer hier arbeitet, muss ab dem ersten Tag sozialversichert
le Mindestbesteuerung für Konzerne einführen. Europas                sein. Das ist auch wichtig für die Rentenansprüche, sowie da-
Steueroasen – Luxemburg, Irland – sträuben sich dagegen.             für, dass das allgemeine Lohnniveau nicht sinkt.
Wie wichtig ist Ihnen dieses Ziel?
Sehr wichtig! Unterschiedliche Steuersätze und Steuerdum-            Um dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu begegnen,
ping sind ein riesiges Problem, denn dadurch können Konzer-          würden Sie Immobilienkonzerne sogar enteignen. Was wür-
ne Staaten so gegeneinander ausspielen, dass die öffentliche         de das bringen?
Hand am Ende immer verliert. Auch die Besteuerung von Ver-           Wir unterstützen das Berliner Volksbegehren „Deutsche Woh-
mögen muss harmonisiert werden. Sie ist in den USA übrigens          nen, Vonovia & Co enteignen“. Es geht uns nicht um gemein-
deutlich höher als hier.                                             nützige Wohnungsgesellschaften, auch nicht um private Eigen-
                                                                     tümer, sondern um riesige, börsennotierte Immobilienkonzerne.
                                                                     Wohnungen sind nicht dafür da, Rendite zu erzielen. Vonovia
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hat im letzten Jahr 2.045 Euro pro Wohnung an seine Aktio-               diensten mit der Folge, dass mehrere Zusteller in dieselbe Stra-
näre ausgeschüttet, das heißt, dass jeder Vonovia-Mieter rein            ße fahren. Wir brauchen ein anderes Wirtschaften und einen
rechnerisch jeden Monat 170 Euro an die Aktionäre zahlt. Die-            sozialen Ausgleich. Die Kosten für den Klimaschutz dürfen nicht
se Konzerne vernichten eher Wohnraum, als dass sie neuen                 denen aufgebürdet werden, die ohnehin wenig haben, sondern
schaffen: Sie kaufen Wohnungen auf, sanieren sie teilweise               den Verursachern. Ein sozial-ökologischer Umbau kann die Le-
und vermieten sie teurer weiter. Die öffentliche Hand muss wie-          bensqualität steigern und führt eben nicht zu dem, was Sie an
der mehr Einfluss auf Wohnungen bekommen.                                die Wand malen: dass wir frieren müssen.

Wieso glauben Sie, dass deutsche Kommunen gute Ver-                      Der Grüne Anton Hofreiter ist dafür verhöhnt worden, dass
mieter wären? In Berlin hat sich die Verwaltung schon bei                er gesagt hat, dass Einfamilienhäuser pro Kopf mehr En-
Großunterkünften für Geflüchtete so über den Tisch ziehen                ergie verbrauchen als Mehrfamilienhäuser. Auch alte, un-
lassen wie das Bundesgesundheitsministerium bei Mas-                     sanierte Wohnungen sind für den Klimaschutz Gift, dafür
ken.                                                                     aber billig. Wie wollen Sie die soziale Frage mit der ökologi-
Das stimmt leider! Kommunale Wohnungsgesellschaften sind                 schen versöhnen?
vielerorts Teil des Problems und nicht der Lösung, weil sie              Die energetische Sanierung muss vorangehen, aber über För-
selbst hochpreisig bauen. Aber immerhin haben sie eine Sat-              derprogramme statt über Mietsteigerungen. Klimaschutz darf
zung und den Auftrag, für das Gemeinwohl zu handeln. Bei der             nicht zu Lasten derer gehen, deren CO2-Fußabdruck am ge-
Aktiengesellschaft ist das nicht der Fall, die müssen Rendite            ringsten ist, weil sie am wenigsten haben. Sonst zahlen Leute
abwerfen für die Investoren – im Gegensatz zur kommunalen                für eine Party, auf der sie gar nicht waren.
Wohnungsgesellschaft, die anders agieren könnten.
                                                                         Und wie würden Sie die mit dem größeren Fußabdruck zum
Es sei denn, die Stadt will Profite abschöpfen ...                       Verzicht bewegen: mit Verboten?
... kommunale Wohnungsgesellschaften sollten kein Geld an                Die Frage ist, was man als erstes macht: Verbietet man erst
den städtischen Haushalt abführen müssen, sondern bezahlba-              den Autoverkehr in der Innenstadt oder macht man Bus und
re Wohnungen schaffen.                                                   Bahn attraktiver und schafft damit Alternativen? Wenn die
                                                                         Menschen bequem zum Nulltarif in die City fahren können, mit
Sie würden Berlins gescheiterten Mietendeckel gern in                    Bahnhöfen, die so gepflegt sind wie Flughäfen, kann man Städ-
ganz Deutschland einführen. In der Hauptstadt sind zuletzt               te autofrei machen. Dann geht es nicht um Verzicht, sondern
weniger Neuvermietungen zustande gekommen als zuvor;                     um einen Gewinn an Lebensqualität. Die Städte stehen voll mit
Wohnungsbauprojekte liegen auf Eis. Könnte ein Mieten-                   parkenden Autos. Was würden wir an Platz gewinnen, für Grün-
stopp in Ballungszentren womöglich zu weniger statt zu                   anlagen, für Ateliers, aber auch für Wohnungen, denken Sie nur
mehr Wohnraum führen?                                                    an die Parkhäuser. Pendler stünden nicht im Stau, und die Luft
Das glaube ich nicht. Als Mittel gegen Wohnungsknappheit wird            wäre viel besser.
immer „Bauen, Bauen, Bauen“ angepriesen. Nur kann das nicht
funktionieren, wenn wir ständig bezahlbare Wohnungen verlie-             Bei der letzten Bundestagswahl verlor Ihre Partei 400.000
ren; es ist auch klimapolitisch nicht klug. Fakt ist: Alle zwölf Minu-   Zweitstimmen gegenüber 2013 an die AfD. In Sachsen-An-
ten fällt eine Sozialwohnung aus der Sozialbindung. Diese Woh-           halt hat sich dieser Trend jetzt fortgesetzt. Wie wollen Sie
nungen sind ja nicht weg, sondern werden so teuer, dass man              diese Wähler*innen zurückgewinnen, fragt „Drobs“ aus
sie sich nicht mehr leisten kann. Wir müssen also etwas tun im           Dresden?
Gebäudebestand! Da ist zum Beispiel die Rentnerin, die seit 40           Die AfD ist überall da stark, wo sie ihre Themen auf die Agenda
Jahren in der Familien-Fünfzimmerwohnung wohnt und jetzt al-             setzen konnten – dort, wo die Unionsparteien rechte Themen
leine lebt. Sie hätte gern eine barrierefreie Zweizimmerwohnung,         besetzen. Wir als Linke müssen deutlich machen, dass wir in
kann sie sich aber nicht leisten, weil ihre Miete sich verdreifa-        Opposition stehen zu den herrschenden Verhältnissen: zur so-
chen würde. Wieso ermöglichen wir ihr keinen Wohnungstausch              zialen Ungerechtigkeit, zur ungleichen Verteilung von Reichtum.
mit dem jungen Paar, das das zweite Kind erwartet?                       Die AfD ist eine zutiefst rassistische Partei, die keine Antworten
                                                                         auf diese Probleme hat.
Und was bringt da der Mietendeckel?
Er ist ein Instrument, um eine Verschnaufpause auf dem über-             Viele Politiker*innen sind von Rechtsradikalen angegriffen
hitzten Markt zu gewinnen; Berlin hat ihn als „Akt der Notwehr“          worden, vor zwei Jahren ist der Kassler Regierungsprä-
bezeichnet. Nur darf so einen Deckel laut Bundesverfassungs-             sident Walter Lübcke sogar ermordet worden. Sie haben
gericht eben nur der Bund verhängen. Dass in Berlin wenig ge-            anonyme Drohbriefe von einem „NSU 2.0“ erhalten. Was
baut worden ist, lag nicht am Mietendeckel, der galt ja gar nicht        muss passieren?
für Neubau, sondern unter anderem an der Steigerung der Bo-              Die Gefahr von Rechts betrifft alltäglich vor allem nicht promi-
denpreise durch Spekulation.                                             nente Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religions-
                                                                         zugehörigkeit oder schlicht ihres Namens angefeindet werden.
Ihre Partei will auch die Grundstückspreise deckeln. Würde               Auch wenn im Fall NSU 2.0 ein Verdächtiger festgenommen
das nicht Schadenersatzforderungen der Eigentümer nach                   worden ist: Wir wissen noch nicht, ob der Mann zu einem Netz-
sich ziehen?                                                             werk gehört hat. Nach den Attentaten in Kassel oder Hanau gab
Nicht, wenn der Staat Bodenspekulationsgewinne besteuert.                es einen öffentlichen Aufschrei, die Innenminister rüsten verbal
                                                                         auf – aber an die Strukturen dahinter geht niemand. Reflexhaft
Ihre Partei will sogar vor den Grünen Deutschlands CO2-                  ist die Rede von „Einzeltaten“, von „Einzeltätern“. Dabei muss
Neutralität erreichen, nämlich 2035, Sie fordern eine „Ener-             man die rechte Szene entwaffnen, Haftbefehle auch vollstrec-
gierevolution“. Also: dicke Pullis statt Heizen?                         ken, die Zivilgesellschaft stärken.
Wir werden das 1,5-Grad-Klimaziel verfehlen ohne ein Umsteu-
ern. Selbst wenn alle beschlossenen CO2-Einsparziele umge-               Was machen Sie, wenn Ihre Partei nicht die Fünfprozent-
setzt würden, kämen wir laut neuesten Berechnungen auf eine              hürde schafft?
Erwärmung von 2,4 Grad. Deutschland muss Bahnland wer-                   Wir schaffen sie! Wir sind die Partei des Straßenwahlkampfes,
den, mit einem attraktiven, günstigen ÖPNV, auch im ländlichen           der Kundgebungen – all das fehlte uns während der Pandemie.
Raum. Nach der Coronakrise soll niemand mehr von Frankfurt               Aber wir kämpfen um Direktmandate und stehen in den Um-
nach Stuttgart fliegen! Auch die Liberalisierung der Logistik            fragen bei sechs bis acht Prozent: Wir kommen wieder in den
treibt irre Blüten. Wir brauchen keinen Wettbewerb bei Paket-            Bundestag.

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Künstlerportrait
Außen Rock, innen weicher Kern -
Band „Diebe und Komplizen“ im Künstlerportrait
„Diebe und Komplizen“ sind eine Rockband aus Regens-              eigene Note beifügen. Inzwischen ist es für uns fast schon zur
burg, die sich auf der Bühne stets neu zu erfinden vermag.        Normalität geworden, dass wir das Ambiente einer Konzert-Lo-
„Original handcrafted rock sound“ ist das Markenzeichen           cation, eines Publikums nutzen und einfließen lassen. Dieses
der reifen Musiker, musikalisch verankert im Classic Rock,        Sich-Lösen von für das Publikum optimierten Songs hat letztlich
erinnert ihr Sound an die „Dire Straits“.                         auch mit Freiheit zu tun.
In ihrer jetzigen Besetzung spielt die Band bereits über 10
                                                                  Ihr hadert, vor allem mit fortschreitender Bandgeschichte,
Jahre und weiß rotzfrech und mit einer gehörigen Portion
                                                                  immer wieder mit der Rolle als politische Band. Wie geht
Selbstironie noch immer zu begeistern.
                                                                  ihr heute damit um?
Die Regensburger Band „Diebe und Komplizen“ sind Musiker          Gerade in den letzten Jahren haben wir uns oft gedacht, wie
der alten Schule: Martin Hert (Keyboard, Vocals), Anton „Toni“    viel leichter es wäre, würden wir uns nicht als politische Band
Krammel (Lead Vocals, Gitarre), Herbert Ehrl (Drums, Percus-      sehen und auch von außen so wahrgenommen. Ganz so ein-
sion) und Charly Haimerl (Bass) vereint die Liebe zur Musik.      fach ist es aber leider nicht: Wir sehen uns ein wenig als ro-
Mit einem einzigartigen Sound, der „100 % cover-free“, also       mantische Minnesänger - und würden am liebsten nur über die
nur aus Eigenkompositionen besteht, überzeugen sie Jung und       schönen Dinge des Lebens und menschlichen Daseins singen
Alt. Es geht ihnen darum, einen Band-SOUND zu prägen, der         – aber dann holt uns die Realität früher oder später ein. Un-
unverwechselbar und einzigartig ist. Jeder ihrer Songs ist eine   sere Texte, auf Deutsch und Englisch, erzählen nicht umsonst
eigene kleine faszinierende Welt – zusammen ergeben sie ein       „vom Leben“ – den Dramen, den Freuden, den Leidenschaften
Programm, das das Lebensgefühl der Musiker auf die Bühne          und – ja, auch – von der Zeit, in der wir leben, inklusive all ih-
bringt; einer Generation, die sich das Feeling des Rock’n Roll    rer Verwerfungen. Der Zeitgeist zeigt uns dabei immer wieder
über Jahrzehnte in feuchten Kellern mit analogen Instrumenten     auf, dass ein Wegschauen von aktuellen Geschehnissen nicht
erspielt hat.                                                     mit unserer Gesinnung zu vereinbaren ist; eine totale Abkehr ist
                                                                  schlicht nicht möglich. Das Rebellische ist ein Teil von uns, ob
Im Interview mit dem DONAUSTRUDL beantwortet Schlag-
                                                                  wir wollen oder nicht - und das ist auch das Feedback, das wir
zeuger Herbert Ehrl einige Fragen.
                                                                  beispielsweise bei und nach Live-Auftritten direkt vom Publikum
Hallo Herbert, nimm uns doch mal mit an den Anfang von
                                                                  erhalten.
„Diebe und Komplizen“ – Was macht euch heute wie da-
mals aus?                                                         Ob live auf der Bühne oder im Proberaum: Ein Miteinander
Wir gehen zurück in die frühen 80er Jahre, damals hießen wir      steht für euch klar vor Einzelgängertum. Wie hat sich euer
noch „Diebe der Nacht“. Zuerst waren wir in Regensburg, dann      kreativer Schaffensprozess mit und durch Corona verän-
in Bayern und vom Bayrischen Rundfunk aus eine Art Kultband.      dert?
Damals haben wir unseren eigenen ungewöhnlichen Sound ge-         Ein Freund von mir sagte einmal über uns, dass wir in unserer
funden - das ist uns bis heute geblieben. Im Gegensatz zu heu-    musikalischen und kreativen Zusammenarbeit, bei Proben und
te ist unsere Musik aber wesentlich straighter.                   Auftritten immer ein bisschen so wirken, als wären wir gerade
Damals waren wir stark von Frank Zappa und Klängen, die           einmal 17 Jahre alt. Dieses Feeling, das er beschreibt, ist zu-
eher im Ska zu verorten sind, beeinflusst. Uns ist eigen, dass    sammengesetzt aus, und ich teile da seine Auffassung, einem
wir die Musik und Musikerfahrung an unsere Band „Diebe und        Miteinander, einer gemeinsamen Geschichte und der Liebe
Komplizen“ herantragen, die wir auch in der Jugend gemacht        zum Rock, die wir teilen. Die größte Zutat bleibt Freundschaft:
haben. Ich selber komme etwa aus dem Bayrischen Wald und          Wir können uns sowohl auf als auch hinter der Bühne aufein-
habe mich viel mit Musik befasst,                                                           ander verlassen – über den Punkt,
die man heute „Krautrock“ nennen                                                            sich wegen kleinerer Zerwürfnisse
würde.                                                                                      zu trennen, sind wir längst hinaus.
Da wird dann auch mal Beethoven                                                             Und das gibt uns letztlich eine Ge-
zum Rockmusiker, wenn wir seine                                                             lassenheit und den kreativen Boden,
Stücke auf dem Keyboard perfor-                                                             auf dem die Früchte unserer Leiden-
men.                                                                                        schaft für Musik gut wachsen.
                                                                                            Natürlich waren während Corona
Bei euren Auftritten geht es
                                                                                            nicht immer Proben möglich, aber
nicht unbedingt darum, das Ge-
                                                                                            wir haben auch hier unseren Weg
probte eins zu eins aufzuführen
                                                                                            gefunden: In meinem Gartenhaus
– ihr seid auch offen für Experi-
                                                                                            nehme ich Snippets auf, die ich dann
mente. Wie muss man sich das
                                                                                            Toni weiterleite. Er kann, im hausei-
vorstellen?
                                                                                            genen kleinen Tonstudio, daran wei-
Bei einem Live-Auftritt kann es
                                                                                            terarbeiten und diese Aufnahmen an
schon mal vorkommen, dass
                                                                                            die anderen Bandkollegen weiterlei-
wir unsere wunderbaren Proben
                                                                                            ten.
vergessen und uns auf die At-
                                                                                            Dies deckt sich wiederum mit unse-
mosphäre einlassen, die wir vor
                                                                                            rem Freiheitsgedanken: Sich kleine
Ort vorfinden. Gerade bei Live-
                                                                                            Freiheiten, wie die Musik, dort zu su-
Performances ist es wichtig, sich
                                                                                            chen, wo sie anderen nicht schaden
von Zwängen frei zu machen und
                                                                                            können.
ein Stück weit loslassen. Uns liegt
viel daran, dass wir uns im End-                                                             Der Donaustrudl bedankt sich bei
effekt „selbst covern“, also auch                                                            Herbert Ehrl für das Gespräch.
zu erprobten und uns bekannten
                                                                                                                     Annika Zinkler
Stücken jedes Mal aufs Neue eine
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Lyrik
Ich bin

Zu verstehen hatte ich nie die Zeit
Aber wäre es wirklich vergnüglich in Ordnung zu sein?

Ich mag Rätsel und Buchstaben
Um zu verstehen, wie ...
wie viel ich fühlte, bevor …

Ich bin unromantisch
Ich bin ohne Bedürfnis
und doch gerade jetzt
brauche ich einen Freund, der Magische Kreaturen liebt

Ich bin freundlich und verwandle die Küche in Gedichte
Ich spiele mit Raum
Ich bewundere Formen

Ich bin froh, dass
Ich steuer
Ich bin definitiv in Führung
Es geht mir besser
Aber ich liebe auch dich

Mir wird gesagt, in Ordnung zu sein,
wenn ich den Hauch mag,
den Wink, die Spur...
Ich bin wirklich gut darin
Ja worin eigentlich?

Ich bin aromantisch
und nicht jeder versteht, dass ich Ich bin
Ich bin definitiv nicht unaromatisch und liebe gute Essen
Ich liebe meine Freiheit
Ich bin frei
Ich bin unendlich dankbar für meine Gefühle
Ich komponiere mein Leben

Zeit zu backen oder Sirup-Kuchen zu machen,
denn dadurch werde ich zur Königin.

               Magdalena Treutwein

Gedicht und Foto der Lyrikseite aus der Juni-Ausgabe
Magdalena Treutwein.
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Kochseite
Lachsfilet auf Spargel mit Minze und Petersilie
Von Andy Maltschik und Jonas Schriefer
                                     Rezept:
    Zutaten für 2 Personen
                                     Zuerst Minze, Petersilie, Knoblauch, Zwiebel und Chili kleinschneiden und etwas
    Je ½ Bund Minze und Petersilie   Schale von der Zitrone abreiben. Alles vermischen und für später bereitstellen.
    2 Knoblauchzehen                 Dann den Spargel schälen, die holzigen Enden abschneiden (aufheben für die
    1 Zwiebel                        Suppe) und ca. 8 Minuten in Salzwasser vorgaren. Anschließend in eine mit Olivenöl
    1 Bio-Zitrone (ungespritzt)      eingefettete Auflaufform legen und mit circa der Hälfte der vorher kleingehackten
    500g Spargel                     Zutaten bestreuen.
    400g Lachs
    1 Chili                          Den Lachs in vier Stücke schneiden und
    ca. 60g Butter                   mit der Haut nach oben auf den Spargel legen.
    Olivenöl                                                                         Die Butter zerlassen, mit zwei TL
    Honig                                                                            Honig, einer Prise Salz und Pfeffer
    Salz, Pfeffer                                                                    verrühren und über den Spargel
    Zutaten für 2 Personen                                                           gießen. Abschließend die übrige
    Je ½ Bund Minze und Petersilie                                                   Minze-Petersilie-Mischung darüber-
    2 Knoblauchzehen                                                                 streuen und für ca. zehn Minuten
    1 Zwiebel                                                                        bei 200 Grad backen. Etwa drei
    1 Bio-Zitrone (ungespritzt)                                                      Minuten vor Ende zusätzlich den
    500g Spargel                                                                     Grill einschalten, damit die Haut des
    400g Lachs                                                                       Lachses knusprig wird. Zum Schluss
    1 Chili                                                                          mit etwas Zitronensaft verfeinern.
    ca. 60g Butter
                                                                                     Guten Appetit!
    Olivenöl
    Honig                                                                            Tipp: Als Vorspeise schmeckt eine
    Salz, Pfeffer                                                                    Cremesuppe aus den pürierten En-
                                                                                     destücken des Spargels lecker. Die
                                                                                     würden ansonsten wohl nur im Abfall
                                                                                     landen, aber dafür sind sie eigentlich
                                                                                     viel zu schade…

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Rezension

„Der Alchemist“
Roman von Paulo Coelho
ISBN: 978-3-257-23727-6

Ein wiederkehrender Traum bewegt Santiago, einen an-
dalusischen Hirten, dazu, seine Herde und alles ihm Ver-
traute zurückzulassen für eine Reise durch die Wüste.
Stets sein Ziel, die Pyramiden von Gizeh, vor Augen,
erlebt der Jüngling eine fesselnde Odyssee im Flair von
1001 Nacht.

Paulo Coelhos „Der Alchemist“ wurde in 61 Sprachen
übersetzt und über 30 Millionen Mal verkauft. Grund dafür
könnte wohl der universelle Mix von Weisheiten aus al-
ler Welt, vor allem aus dem Arabischen, sein. Jede/r kann
sich in dem Buch wiederfinden und in der mitreißend er-
zählten Handlung verlieren.

Mit nur knapp 170 Seiten ist diese literarische Exkursi-
on durch den Orient zwar schnell vorbei, aber regt auch
lange danach noch zum Nachdenken an. Die Reise des
jungen Santiagos steht sinnbildlich für die Entscheidung,
trotz Ungewissheiten einen Aufbruch ins Unbekannte zu
wagen. Sowohl im Großen als auch Kleinen werden wir
alle immer wieder vor derlei Entscheidungen gestellt. Wie
ein roter Faden zieht sich Santiagos Suche nach dem
Sinn des Lebens und seines eigenen Weges durch das
Buch.
Ähnlich wie in Hermann Hesses „Siddhartha“ begleiten
wir in „Der Alchemist“ den jungen Santiago auf dieser
Reise und tauchen dabei ein in eine spirituelle Welt.

Natürlich kann ein kleines Büchlein keine Antworten auf
die großen Fragen des Lebens geben. Dennoch eröffnet
es auch nach mehrmaligem Lesen noch neue Perspek-
tiven, denn auch wir gehen auf unserem persönlichen
Lebensweg vorwärts und finden neue Interpretationen für
alte Weisheiten.
„Der Alchemist“ ist jetzt schon ein zeitloser Klassiker, den
es sich zu Lesen lohnt. Die perfekte Lektüre zum Tagträu-
men, die aber dazu anspornt, diese Träume auch zu ver-
wirklichen.
                                       Von Jonas Schriefer

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Freiheit

 Frei sein
 Hannah Arendt schreibt in ihrem Essay „Die Freiheit frei zu
 sein“, dass nicht jeder Mensch gleiche Freiheiten hat. Sie
 wirft in ihrem Essay den Blick hauptsächlich auf Revolutio-
 nen und deren Entstehung aus dem Verlangen heraus, sich
 aus der Unterdrückung zu befreien. „[...]wo der Wunsch
 nach Befreiung, also frei zu sein von Unterdrückung, endet
 und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu
 führen, beginnt.“ ist nicht leicht zu entscheiden, lautet ihre
 Einschätzung.
 Bevor unterdrückte Menschen ein freies politisches Leben
 führen können, müssen sie sich erst befreien.
 Aber nicht nur Unterdrückte haben keine Freiheit. Auch ein
 Mensch, der Hunger leidet, ist nicht gänzlich frei, selbst
 wenn er in einem freien Land, wie Deutschland, lebt. Die-        Wann bin ich eigentlich frei?
 se Person ist in ihrer Lebensweise dadurch stark einge-
 schränkt, dass sich alles darum dreht, Essen aufzutreiben.
                                                                  Aus einer philosophischen Sicht kann man zwischen po-
 Sie macht sich weniger Gedanken darum, ob sie sich frei          sitiver beziehungsweise negativer Freiheit unterscheiden.
 bewegen darf, sagen darf, was sie möchte, tun darf, wie          Veranschaulicht wird dieser Ansatz oft mit folgendem Bei-
 es ihr beliebt. Das alles ist nebensächlich, wenn es darum       spiel: Ein Pferd, das eingezäunt auf einer Wiese steht,
 geht, am Leben zu bleiben.                                       könnte davongaloppieren, es kann aber auch stehen blei-
                                                                  ben und grasen – ihm stehen alle Möglichkeiten offen, es
 Menschen, welche kein Dach über dem Kopf haben, ste-
                                                                  ist also negativ frei. Erst, wenn es aber von seiner Freiheit
 hen mit ihren Freiheiten hinter jenen, die einen trockenen,
                                                                  Gebrauch macht, ist es positiv frei.
 warmen Schlafplatz ihr Zuhause nennen können. Manche
 mögen eine romantische Vorstellung von einem ungebun-            Aus diesem Beispiel folgt für uns Menschen, damit wir
 denen Leben, ohne häusliche Pflichten, haben. Doch die           wirklich frei sind, müssen wir unsere Freiheit auch nutzen.
 Realität sieht meist anders aus. Ob ich selbst entscheide mit    Um sich auf den Sattel zu schwingen und davonzureiten,
 einem Zelt durch die Gegend zu streifen, eins zu werden mit      braucht man nicht zwangsläufig ein Pferd. Ein Drahtesel
 der Natur und mich von Beeren und Kräutern ernähre, ist          genügt auch, um Freiheit, im wahrsten Sinne des Wor-
 etwas ganz und gar anderes als das nicht selbst gewählte         tes, zu erfahren. Gerade während der Corona-Pandemie
 Leben in Obdachlosigkeit.
                                                                  wurden lange Radtouren mein Erlebnis positiver Freiheit.
 Wenn ich also die Privilegien habe, keinen Hunger zu leiden      Nicht zu wissen, wo ich am Abend mein Zelt aufschlage
 und ein festes Zuhause zu haben, so bin ich freier. Ich kann     und was mich am nächsten Tag erwartet, all die ungeplan-
 mir womöglich aussuchen, wie ich mein Geld verdiene, in          ten Entdeckungen und Ereignisse, die ich zwischen Start
 welchem Beruf ich arbeite. Ich habe „Freizeit“, die ich nach     und Ziel der Tour erlebe, sind für mich Freiheit. Frei fühle
 Gutdünken selbst gestalten kann.                                 ich mich dabei aber nur, weil ich weiß, dass ich danach
 Ich kann mich dann auch dafür entscheiden, mich in mei-          auch wieder zurückkehren kann und zuhause ein festes
 ner Freizeit oder auch im Beruf für die Freiheit anderer zu      Dach über dem Kopf habe. Wer sich nicht freiwillig dazu
 engagieren, die nicht die Möglichkeit und Kraft haben, dies      entscheidet, draußen zu schlafen, der fühlt sich wohl auch
 selber zu tun.                                                   unterm schönsten Sternenzelt nicht frei.
                                       Magdalena Treutwein                                                   Jonas Schriefer

 Was ist Freiheit für mich?
 Freiheit - lediglich eine Umschreibung für „es gibt nichts
 mehr zu verlieren“ (Janis Joplin)
 Freiheit als Abkehr vom Materialismus? Schön wäre es -
 -> leider Utopie
 Für mich ist „Freiheit“ immer ein Kompromiss zwischen
 WOLLEN - KÖNNEN - DÜRFEN
                                          Hans-Jürgen Hinz

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Persönliche Freiheit                                          Meine Freiheit
Beim ersten Lockdown hab ich mich einige Mal auf den          Freiheit bedeutet für mich, ein Leben zu führen, in dem
auto- und menschenleeren Alten Kornmarkt gestellt und         jederzeit theoretisch alles möglich ist. Ich könnte jeder-
einen mitgebrachten Kaffee getrunken: Hab mich dabei          zeit losgehen, losfahren, mich in einen Zug setzen und
„frei“ gefühlt und gespürt, dass die Virus-Einschränkun-      aussteigen, wo es mir gerade beliebt. Zu der Freiheit,
gen auch einen Blick aufs Wesentliche erlauben. Weg           jederzeit an jedem Ort sein können, gehört auch die Frei-
von Alltagsgewohnheiten und hin zu mehr persönlichem          heit, dies nicht zu tun. Seine Freiheiten nicht zu nutzen
Erleben.                                                      ist vielleicht letztlich das größte Privileg. Und erklärt viel
                                                              von dem Unmut, den ich während des Lockdowns über
Zu Hause war wieder mehr Lesen und allerlei „was ich
                                                              die Ausgangssperre empfunden habe. Habe ich mir diese
schon lange erledigen wollte“ angesagt und mit Partne-
                                                              Freiheit dennoch immer nehmen lassen? - Vielleicht
rin und einzelnen guten Bekannten konnte man sich eh
                                                              nicht…
sehen. Am Fernseher kommen bisweilen auch recht gute
Dokus.
Auch Zoom-Konferenzen kann man was abgewinnen,
weil sie einen frei von Parkplatzsuche, Treffpunktorten
(gibt zu wenige!) und unabhängig vom Wetter machen.
Insgesamt ist das Leben für mich in diesen Zeiten „lang-
samer“ und vielleicht auch ein wenig nachhaltiger gewor-
den: Wünsche mir richtig, dass davon einiges bleibt. Na-
türlich auch eine bessere Bezahlung für Verkäufer*innen
und Pflegepersonal, damit diese mehr Anerkennung und
persönliche Freiheiten haben.
                                          Reinhard Kellner

Freiheit? Hmmm.....                                           Was ist Freiheit für mich
...bis 3 Uhr feiern und um 7 völlig verkatert in der Arbeit   Wenn mein Geist frei ist, fühle ich mich frei. Dieses
erscheinen,                                                   Gefühl von Freiheit im Geist empfinde ich, wenn ich auf’m
...ein Semester lang faulenzen und jedes Mal bereuen,         Radl sitze und mir der Fahrtwind ins Gesicht weht. Wenn
dass man zu spät angefangen hat zu lernen,                    ich auf einen Gipfel gewandert bin und die Aussicht mich
... bis in die Nacht Serien schauen, obwohl man am            überwältigt. Wenn ich singe, wenn ich Harfe spiele, die
nächsten Tag früh raus muss,                                  Schwingung spüre und in der Musik aufgehe. Wenn ich
... den Bus verpassen, weil man die Schlummertaste zum        meditiere und meinem Atem nachspüre. In diesen Augen-
achten Mal gedrückt hat,                                      blicken fühle ich mich frei.
                                                                                                    Magdalena Treutwein
...Freiheit heißt für mich, eigene Entscheidungen zu tref-
fen und die Folgen und Konsequenzen selbst zu tragen.
Auch wenn es eine dumme Entscheidung war, war es
meine Entscheidung.
                                                              Freiheit, die ich meine
LG ICH, als "freier" Mensch. ;)
                                                              Was ist das, wenn ich mich, ohne darüber nachzudenken,
                                                 Khang Do
                                                              in ein Café setze, mir einen Kaffee bestelle und in freund-
                                                              liche Gesichter blicke?
                                                              Was ist das, wenn ich an einer Demonstration teilnehme
                                                              und für oder gegen etwas ein Schild in die Höhe halte?
                                                              Was ist das, wenn ich mich zwischen verschiedenen
                                                              Ländern in Europa bewege?
                                                              Was ist das, wenn ich die Zeitung oder Zeitschrift besor-
                                                              ge, die ich möchte?
                                                              Meine kleine persönliche Freiheit!
                                                                                                       Claudia Bernhard

                                                                                                                               11
“Ich glaube jeder, der hier im Osten gelebt hat,
hatte andere Eindrücke.”
Interview mit Renate N. über ihr Leben in der DDR
Renate* ist für mich seit knapp fünf Jahren Familie und obwohl ich      sind. Ich will das nicht nochmal ausgraben, denn es macht viel-
wusste, dass sie und ihre Familie in der DDR aufgewachsen sind,         leicht nur noch mehr Erinnerungen kaputt.
habe ich bisher noch nie mit ihr darüber gesprochen. Als ich sie        Wie war es dann für euch nach der Wende,
im Rahmen unserer Ausgabe zum Thema Freiheit fragte, ob sie             dieses penetrante Gefühl der Überwachung
sich vorstellen könne, mit mir über ihr Freiheitsempfinden zu re-       verschwindet doch nicht einfach so?
den, war sie zurückhaltend. Nicht, weil sie Angst hatte, darüber zu     Natürlich haben wir das mitgenommen, das wurde uns mit der
sprechen, sondern weil sie vielmehr nicht so recht wusste, ob sie       Muttermilch mitgegeben und es liegt noch heute in mir drin. Seit
mir mit meinem Artikel helfen könnte. Nur geht es gar nicht darum,      einiger Zeit wohne ich wieder hier im Osten und ich sehe das auch
dass sie mir helfen sollte, sondern vielmehr soll dieses Interview      bei den Menschen, denen ich begegne. Wenn die mich anschau-
ihr Leben (so gut das hier möglich ist) porträtieren. Ich wollte ihre   en, weiß ich genau, was die denken. Das Misstrauen ist hier im-
subjektive Meinung hören. Danke für deine Zeit, deine Offenheit         mer noch groß und durch Corona auch wieder verstärkt. Das hat
und das tolle Gespräch.                                                 hier im Osten nochmal ganz andere Auswirkungen, weil die Wen-
“Ich sag dir jetzt meine Eindrücke, meine Empfindungen, wie ich         degeschichte noch in den Zellen drin ist, egal ob Jung oder Alt.
es erlebt habe. Ich glaube jeder, der hier im Osten gelebt hat, hat-    Das tut mir richtig weh, man kommt an die Menschen hier nicht
te andere Eindrücke.” - Renate N.                                       ran, die sind so zu.
Renate, willst du mir eine kleine Einordnung geben zu deiner            Wie standen deine Eltern denn dazu, dass ihre Tochter sich
Kindheit und ob du den Unterschied zwischen Ost- und West-              so früh schon gegen das System aufgelehnt hat?
deutschland damals schon wahrgenommen hast?                             Meine Eltern standen dem Ganzen nicht sehr positiv gegenüber,
Ich bin 1954 in eine große Familie mit vielen Tanten geboren. Bis       die haben immer gedacht: “Ja, lass se‘ mal machen.” Ich war
zu meiner Einschulung war meine Kindheit normal, wie bei den            glücklicherweise immer sehr frei und konnte in ihrer Gegenwart
meisten auch. 1961, kurz bevor ich in die erste Klasse gekommen         auch offen reden und machen. Vieles in dem Alter läuft über die
bin, wurde dann die Mauer gebaut. Ab da waren es zwei Welten            Mode und so erinnere ich mich an einen Moment in der Mittelstu-
und es sind heute noch zwei Welten. In unserem kleinen inneren          fe, als eine Freundin, deren Vater Pfarrer war, von ihrer Familie
Familienkreis konnten wir wirklich alles sagen und machen, was          aus dem Westen immer Pakete zugeschickt bekommen hat. Ei-
wir wollten. Meine Eltern waren nicht sehr politisch, weshalb bei       nes Tages kam sie mit einer Levis-Jeans in die Schule. Wir haben
uns dann auch mehr Privates besprochen wurde. Die Grenze zu             alle nur geguckt und wollten auch so eine haben. Das Wort Jeans
dieser familiären Freiheit begann dann eigentlich an der Haustüre:      gabs gar nicht bei uns, wir wussten gar nicht, was das ist. So
Wir mussten schon immer überlegen, bei wem man was sagt und             eine Hose konnte ich natürlich nicht haben, aber meine Mama hat
tut. Das war meine ganze Kindheit und Jugend so. Wirklich wahr-         mir dann eben eine richtige Schlaghose genäht. Dann bin ich mit
genommen habe ich es dann in meiner Jugend. Mit 16 Jahren               meinen 17/18 Jahren auch jedes Wochenende ausgegangen und
habe ich schon Diskussionen mit meiner Staatsbürgerkundelehre-          hab mir Livebands angehört mit dieser Hose, engen T-Shirts und
rin über Freiheit geführt. Da ging es schon auch mal etwas härter       langen dicken Haaren. Das waren eben die 70er.
zu, denn sie hat natürlich ihren Standpunkt vertreten und wir un-       Wie ging es dann weiter?
seren. Wir haben uns in dem Alter dann schon selbstständig in die       Wann hast du deine Familie gegründet?
Richtung orientiert, hauptsächlich über die Musik. In den Texten        Dann kam eigentlich die Phase mit Hochzeit, Haushalt, Familie
wurde natürlich die absolute Freiheit verbreitet, das hat uns sehr      und Kindern. Jeden Tag von Montag bis Freitag hart arbeiten. Die
gereizt. Es gab damals eine Band, die wir gerne gehört haben:           Kinder haben wir dann tagsüber mit einem Jahr weggegeben, das
‘The Kinks’ mit dem Lied Lola und da haben wir in der Schulpause        bereue ich heute noch sehr, aber wir konnten trotz geringer Mie-
immer im Chor gerufen: „Wir wollen keine Limo, wir wollen keine         ten von dem Geld, das mein Mann und ich verdient haben, nicht
Cola, wir wollen die Kinks mit Lola!“ Die Lehrer wussten gar nicht,     wirklich leben.
was los war. Einer meiner Klassenkameraden hat dann einen               Mein Mann war im Bauwesen, hat sich einen abgeschuftet und
Brief mit den Unterschriften aus unserer Klasse an einen Radio-         doch kaum was verdient. Ich war Bürofachangestellte beim Uran-
sender geschickt, damit das Lied gespielt wurde. Da konnte man          bergbaubüro. Acht Jahre lang habe ich dort gearbeitet, und als ich
ja nicht wie heute einfach anrufen. Nun hat der Initiator des Briefes   noch Lehrling war, sind wir auch mal mit der ganzen Belegschaft
aber nicht seine Privatadresse als Absender darauf geschrieben,         nach Berlin gefahren. Mein Arbeitgeber hatte da auch ein ‘beson-
sondern die Schuladresse. Der Brief wurde abgefangen und dann           ders tolles Abzeichen’ am Revers. Er hatte schon eine bessere
kamen die ‘besonderen Mitarbeiter’ und haben das ganz groß auf-         Stellung im System. Wir waren knapp 15 Leute und wollten dann
gerollt. Die Schule wurde von A-Z kontrolliert und auch auf den         auch auf den Fernsehturm, vor dem die Leute Schlange standen.
Toiletten waren Frauen, die uns abgehört haben. Wir wurden alle         Unser Chef ist dann mit uns einfach an den wartenden Leuten
verhört und sollten jeder einzeln erzählen, wieso wir auf dem Brief     vorbei gegangen, ohne dass sich jemand beschwert hat oder
unterschrieben haben. Da haben wir eigentlich zum ersten Mal            sich gar getraut hat, sich zu beschweren. Oben haben wir uns
wirklich wahrgenommen, wo wir leben. Und so ging dann meine             dann hingesetzt, um nach unten zu schauen. Da habe ich dann
Stasiakte los.                                                          die Mauer wirklich richtig gesehen, von oben, wie sie die schöne
Hast du denn nach der Wende Einsicht                                    Stadt spaltet. Ich habe mir das wirklich verinnerlicht, der Anblick
in deine Akte beantragt?                                                hat mich sehr beeindruckt und auch berührt.
Viele haben das gemacht, aber ich habe mich dann innerlich ge-          Ich bin 1978 dann konvertiert, von der evangelischen zur katho-
fragt, ob das gut ist und hab mich dann entschieden, sie nicht ein-     lischen Kirche. Ob es ein Fehler war oder ob es damals gut war,
zusehen. Die aufregenden Zeiten waren schon aufregend genug.            das weiß ich nicht. Aber in dieser Zeit, wo man nach außen hin
Ich wusste schon grob, welche Menschen in meinem Umfeld Din-            nichts sagen konnte, tat es als kleine Familie schon gut, dort sei-
ge weitergegeben haben, wie zum Beispiel bei meiner Arbeitsstel-        nen Kreis zu haben. Nun ja, dann Mitte bis Ende der 80er kamen
le. Wenn jemand schnell seine Schreibmaschine zudeckte, wenn            dann die ganzen Ausreiseanträge auf. Obwohl wir keine Handys
du reinkamst, wusste man genau, dass die gerade einen Bericht           oder Internet hatten, hat sich das verbreitet, dass Menschen aus
schreibt. Es gab auch Menschen, die sich das Leben genommen             ihrer Wohnung geholt worden sind und weggebracht wurden.
haben, weil sie einfach mit den Realitäten nicht klargekommen           Auch Verwandte von mir sind in der Nacht geholt worden, weil

12
sich der Mann mit seinen Sprüchen zu weit aus
dem Fenster gelehnt hat. Sie wurden dann di-
rekt ausgewiesen. Das ist krass gewesen.
Ausgewiesen? Wohin wurden sie dann hin-
gebracht?
Sie wurden nach Gießen in dieses Auffanglager
gebracht, das war 1987. Damals durfte man
auch nicht sagen ‘Ich muss meine Blumen gie-
ßen. ’ Jeder wusste ja, was dort war. Von dort
aus wurden sie dann verteilt. Meine Cousine
ist dann ganz weit rüber an die holländische
Grenze gebracht worden. Kontakt habe ich mit
ihr seither keinen mehr gehabt, das tut mir auch
sehr leid. Hätte uns damals jemand gesagt,
dass in zwei Jahren die Wende kommt, hätten
wir das alle nicht geglaubt.
Dann kam die evangelische Kirche auf den
Plan. Wir haben an den Demos und den Frie-
densgebeten jeden Montagabend teilgenom-
men. Das ging ganz klein los. Dort konnte man
dann mal seine Meinung sagen. Es hat so un-                        anderen wurde es eigentlich immer schlimmer. Das war in den
wahrscheinlich gutgetan, wenn jemand aufgestanden ist und sich     90er Jahren. Die Beamten waren immer noch dieselben, das ging
frei geäußert hat. Denn uns wurde ja damals direkt das Sprechen    mit den Lehrern und Polizisten los. Bei denen war auch das Mot-
abtrainiert, das fällt mir ja heute noch schwer.                   to: Ich werde dir schon zeigen, wo’s lang geht. Woher hätte man
Jedenfalls hat sich das in den Kirchen dann immer mehr aufge-      auch neue Leute hernehmen sollen? - Das ganze System war
schaukelt. Für mich waren das auch große Initiatoren der Wende.    so verstrickt. Mein Mann ging von einer Arbeit zur nächsten und
Jede Woche waren dann mehr Menschen in der Kirche und als          ich wurde da auch noch in meiner Arbeit denunziert. Bis wir dann
mein Mann und ich dann im Nebenort auch wieder dort waren hat      1998 den Schritt gewagt haben, nach Nürnberg zu ziehen. Ich
mich der Geist unter den Menschen in der Kirche überwältigt. Ich   bin froh, dass ich dort 20 Jahre lang auch die andere Seite habe
weiß nicht, ob andere Menschen das auch so wahrgenommen            kennenlernen dürfen.
haben, aber ich habe das so empfunden. Dieser lichtvolle Spirit,   Nach all den Erfahrungen, die du gemacht hast, was bedeutet
den wir dann mit nach draußen genommen haben, hat meiner           für dich heute Freiheit?
Meinung nach verhindert, dass es zu Handgreiflichkeiten gekom-     Ich lebe nun seit fünf Jahren alleine und ich genieße es endlich,
men ist. Denn dort waren natürlich auch bewaffnete Spitzel ein-    meine eigenen Entscheidungen zu treffen und mit meinem Inne-
geschleust. Diese andere Ebene von Protest hat auch geholfen,      ren im Einklang zu sein. Für mich ist Freiheit, wenn das Innen wie
dass der Mauerfall so friedlich war.                               Außen passt.
Nach der Wende dachten wir dann alle: Jetzt machen wir ein         *der Name wurde von der Redaktion geändert
neues Land. Aber es war leider nicht so. Von einem Jahr zum                                                          Fenia Julie Salm

                                                                                                                                 13
Die Freiheit im Kleinen – Campingreisen in der DDR

                                                                                                  Bild aus Privatbesitz Wilhelm Tietböhl

Masken-Pflicht, Ausgangssperre, Kontaktbeschränkungen:                 – aufgrund erhöhter Fluchtgefahr sind diese Ziele jedoch nur mit
Während der Coronapandemie haben wir uns an beschrän-                  staatlicher Erlaubnis bereisbar.
kende Bestimmungen gewöhnt oder sie viel eher, mit dem
Gedanken des Infektionsschutzes, geduldet. In Ostdeutsch-              FDGB – Ferienheime für alle
land mussten die Menschen, zwischen 1949 und 1990, mit                 Der FDGB betreibt Ferienheime auf dem Staatsgebiet, und das
weit größeren Beschränkungen leben, die sich durch prak-               bereits seit 1947. Zuerst nutzen nur einige Tausend das Ange-
tisch alle Lebensbereiche, wie Freizeit, Arbeit und Alltag, zo-        bot, später sind es über 5 Millionen Reisende jedes Jahr. Knapp
gen.                                                                   700 von diesen staatlich betriebenen Gewerkschaftsheimen gab
Kaum zwei Begriffe stehen daher scheinbar so im Wider-                 es. Günstig, also mit geringer Eigenbeteiligung war fast allen
spruch, wie Freiheit und DDR. Dass es jedoch immer wieder              Bürger*innen hier die Möglichkeit zum Verbringen des Urlaubs
„Freiheiten im Kleinen“ gab, die sich um die Vorgaben von              gegeben – mit allen Folgen, die so eine Massenabfertigung eben
Partei und Regierung herum entfalteten, zeigt sich am Bei-             mit sich brachte, sozialistisches Rahmenprogramm und Essen im
spiel des Urlaubsverhaltens von DDR-Bürger*innen.                      Schichtbetrieb inklusive.

In der DDR herrschte über ihr gesamtes Bestehen hinweg keine           Weniger Überwachung und Propaganda – Zelten, der Urlaub
Freizügigkeit, man durfte sich also nicht frei in der Welt bewe-       des kleinen Mannes
gen. Trotzdem waren die Bürgerinnen und Bürger wahre Reise-            Während viele Bürger*innen das Angebot zum Urlaub in den
weltmeister – und reisten sogar, gemessen an Urlaubsfahrten und        staatlichen Ferienheimen des FDGB gerne nutzten, setzte sich
Bevölkerungszahlen, mehr als ihre Nachbarn in Westdeutschland.         seit Anfang der 60er Jahre vor allem eine Form des Urlaubs
                                                                       durch: Das Zelten. In den Hochzeiten verbringen rund 5 Millionen
Recht auf Urlaub - Den Grundstein legt der Sozialismus                 Bürger*innen pro Jahr, das sind fast ein Drittel der Gesamtbevöl-
„Wer gut erholt ist, arbeitet besser“, so oder so ähnlich dürfte das   kerung, ihren Urlaub auf den staatlichen Zeltplätzen. Zelten be-
Motto der Autor*innen der Verfassung beim Thema Urlaub gelau-          deutete Zeit abseits des Kollektivs, Selbstbestimmung im Rahmen
tet haben. Seit 1949 war das Recht auf Urlaub in der Verfassung        der Möglichkeiten – wenn auch nur für die Dauer von ein paar Wo-
der DDR verankert: Immerhin will der Staat kräftige und tüchtige       chen. Auf der Suche nach weniger Kontrolle, Überwachung und
Arbeiter*innen herausbilden, so das oberste Ziel. Also ist Reisen      „Urlaub vom Staat“ zieht es viele auf etwa 500 Campingplätze.
nicht Privatsache, sondern sorgfältig geregelt: Staatliche Betriebe    Zwar regelte auch hier die Platzzuweisung eine zentrale Vergabe-
oder der Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbun-           stelle - man war also immer noch vom Wohlwollen der staatlichen
des, kurz FDGB, machen es möglich. Sie leiten im Staatsgebiet          Behörden abhängig – doch die Vorteile überwogen für viele, zu-
knapp 700 Einrichtungen und Ferienheime, deren freie Urlaubs-          mal die Zeltplatzmiete sehr günstig war.
plätze die Nachfrage nicht befriedigen können.
Zusätzlich gab es ein Recht auf sogenannte Auszeichnungsrei-           Mit dem Fall der Mauer ein neues Gefühl: Keine Grenzen der
sen: Wer sich um seinen Betrieb, den Staat oder den Sozialismus        Reisefreiheit
besonders verdient machte, hatte Anspruch auf Sonderreisen. Zu         Die Unzufriedenheit über den so begrenzten Reisehorizont gip-
diesen Sonderreisen zählten etwa Kreuzfahrten und Urlaube in           felte nicht zuletzt in den Protesten im Herbst 1989, die schließ-
Luxushotels im In- und Ausland.                                        lich zum Fall der Berliner Mauer führten. In den Tagen nach dem
                                                                       neunten November stehen die Menschen Schlange für den Stem-
Wohin die Reise gehen darf                                             pel im Reisepass, der eine Ausreise ermöglicht.
In der DDR herrschte keine Freizügigkeit, der Reisehorizont war        Zu lange hatten die Menschen sich mit den „kleinen Freiheiten“,
daher mehr als eingeschränkt und nur sehr schwer auszudehnen.          dem „kleinen Camping-Glück“ begnügt, der Fall der Mauer bringt
Trotzdem brachen jedes Jahr Millionen von DDR-Bürger*innen zu          für viele ein neues Lebensgefühl der vollkommenen Reisefreiheit.
Urlauben auf. Im Inland sind etwa das Mittelgebirge und die Ost-       Wen wundert es da, dass das Wort „Reisefreiheit“ zum Wort des
see beliebte Reiseziele. Das Ausland wiederum lockte mit Orten         Jahres 1989 gewählt wurde.
in sozialistischen Bruderländern, wie dem Schwarzen Meer in Bul-
                                                                                                                         Annika Zinkler
garien, der Krim in der Sowjetunion oder dem Balaton in Ungarn

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Soziales Projekt
Nach dem Umzug kehrt bei der Tafel Routine ein.
Seit August 2020 ist die Tafel Regensburg in ihren neuen            gen müssen, vielen fällt das nicht leicht.“ Vor allem erlebe sie
Räumen in der Abensstraße in der Nähe des Donauein-                 immer wieder Senioren, deren Rente gering ausfällt und denen
kaufszentrums zu finden. Zeit für eine erste Bilanz.                das unangenehm ist. „Wir versuchen das für die Menschen so
                                                                    angenehm wie möglich zu gestalten“, sagt Gansbühler. „Nie-
Regensburg – Geduldig warten die Menschen in einer                  mand muss sich dafür schämen.“ Pro Lebensmittel-Tüte ver-
Schlange vor der Ausgabestelle der Tafel auf ihre Lebensmittel-     langt die Tafel von ihren Kunden zwei Euro. Diesen symboli-
Tüte. Immer wieder kontrolliert ein Helfer des Vereins Corona-      schen Betrag zu bezahlen, sei für viele Kunden wichtig für das
bedingt die Abstände zueinander. Rund 150 Personen kommen           Selbstwertgefühl. Nötig ist ein Berechtigungsschein, der nach
pro Ausgabetag zu der Einrichtung, um für sich und ihre Fami-       Prüfung der finanziellen Situation von Mitarbeitern der Tafel
lien Lebensmittel abzuholen, Tendenz steigend. „Die letzten ein-    ausgestellt wird.
einhalb Jahre waren anstrengend für uns“, sagt die Vorstands-
vorsitzende der Tafel Regensburg e.V. Christine Gansbühler.         2019 und im vergangenen Jahr mussten die rund 80 Ehren-
„Das hat uns an unsere Grenzen gebracht.“ Sie meint damit die       amtlichen monatelang um ihre Einrichtung bangen, weil ihnen
frühere räumliche Situation in der alten Ausgabestelle der Ein-     ihre bisherigen Räume in der Liebigstraße gekündigt worden
richtung, aber auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie            waren und sich keine neue Bleibe für den Verein samt seiner
auf die Arbeit der Tafel.                                           Infrastruktur finden ließ. „Gefühlt haben wir uns in Regensburg
                                                                    jedes Loch angeschaut“, sagt Gansbühler. Viele hätten jedoch
Seit sechs Jahren steht Christine Gansbühler dem Verein vor.        die Tafel als Mieter abgelehnt. „Sie wollten unsere Kunden nicht
Noch länger ist sie als Helferin dabei und musste anfänglich        vor ihrer Haustüre haben“, glaubt Gansbühler. „Sie verschlie-
sogar selbst die Leistungen der Tafel in Anspruch nehmen.           ßen lieber die Augen davor, dass es auch bei uns Menschen
Als die Drogeriekette Schlecker 2012 Pleite ging, war auch          gibt, die wenig Geld haben.“ Die Zeit eilte voran und lange war
sie von Arbeitslosigkeit betroffen und wusste nicht, wie sie ihre   keine Lösung in Sicht. Belastend war zudem beständiger Ärger
beiden Kinder versorgen sollte. „Ich war froh, dass es die Tafel    mit Anwohnern. Erst durch das Engagement des Bundestags-
gab“, betont sie. „Ich kann gut nachvollziehen, wie es unse-        abgeordneten Peter Aumer (CSU) gelang es, für die Tafel einen
ren Kunden geht, wenn sie bei uns um Lebensmittel nachfra-          neuen Standort zu finden. „Wir sind ihm und allen, die gehol-

                                                                                                                                15
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