Freiheit Interview mit Janine Wissler, Lyrik, Künstlerportrait, Kochen, Geschichten, Nachrichten - Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufern mit ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufern mit offiziellem Verkäuferausweis! Nr. 267 Juli 2021 2,50 Euro – davon 1,20 Euro für unsere Verkäufer Freiheit Interview mit Janine Wissler, Lyrik, Künstlerportrait, Kochen, Geschichten, Nachrichten
...über uns Gut erhaltene gebrauchte Bücher können Sie in der Riedenburger Antik Flohmarkt Lagergenossenschaft Ostbahnhof (LAGO) Raritäten Sammlerstücke Am Ostbahnhof 9 abgeben. 9 3339 Riedenburg im Altmühltal – seit 1982 Gut erhalten bedeutet hierbei, dass die Bücher weder zerfleddert noch schimmlig sein sollten. Auch dürfen sie im Brauerei-Biergarten keine Wasserschäden aufweisen. jeden 3. Sonntag im Monat, 08 – 17 Uhr Bitte verpacken Sie ihre Bücher in Kisten oder Kartons, welche sie uns überlassen, damit wir vor Ort nicht um- Termine 2021 packen müssen.Gerne nehmen wir auch Comics, CDs, 18. Juli DVDs, Schallplatten oder Spiele entgegen. 15. August 19. September Jeden Donnerstag von 10 – 16 Uhr 17. Oktober und jeden ersten Samstag im Monat ebenfalls von 10 – 16 Uhr Werner Hagen ist wieder dabei können Sie uns Ihre Bücher liefern. mit seinen Strudlbüchern Sie haben Fragen zu Lieferungen? Aufgrund der Corona-Pandemie sind die Termine Unter 0941 85083700 erhalten Sie alle Infos unter Vorbehalt. von 10 – 13 Uhr, dienstags bis freitags. Bitte informieren Sie sich immer aktuell Bei größeren Lieferungen auf flohmarkt-riedenburg.de kontaktieren Sie uns bitte vorab telefonisch. Wir laden ein zum Bummeln, Ratschen, Trödeln, Stöbern, Feilschen, Brotzeiten und Biergarteln! Information: M. Krieger: 09442 9916160 www.flohmarkt-riedenburg.de flohmarkt@riedenburger.de
Liebe Leserinnen und Leser, SOZIALE STRASSENZEITUNG dieses Mal haben wir uns das Thema „Freiheit“ vorgenommen. Einige persönliche Jahrgang 24, Nr. 267 An- und Einsichten kamen dabei heraus. Außerdem zwei Seiten mit den persönlichen Juli 2021 Der Herausgeberverein Freiheiten unserer Redaktion. Was bedeutet für Sie Freiheit? Ist sie groß oder eher Sozialer Arbeitskreis Regensburg im kleinen Verborgenen zu finden? Hat sich die Pandemie auf unsere Freiheit ausge- (SAK e.V.) wirkt? Eins ist jedenfalls sicher: Die Freiheit ist für jeden Menschen anders greif- bzw. ist als gemeinnützig anerkannt. begreifbar. Vielen Dank für Ihre Unterstützung! Unsere Verkäufer*innen brauchen Sie Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe: genauso wie wir als Verein. Auf Wiederlesen, Ihre DONAUSTRUDL- Redaktion Claudia Bernhard Inhalt Khang Do Herbert Ehrl Wussten Sie schon, dass der Rainer Fürst DONAUSTRUDL-Herausge- Gabriele Jokele berverein Sozialer Arbeitskreis Maria Kammermeier Reinhard Kellner SAK eine kleine gemeinnützi- Interview mit Janine Wissler........................... 4 Lorenz Nix ge Organisation ist und dass Fenja Salm diese Soziale Straßenzeitung Künstlerportrait..................................................... 29 Jonas Schriefer auch nennenswert durch die Magdalena Treutwein Stadt Regensburg gefördert Lyrik................................................................................ 7 Lisbeth Wagner wird? Phil Wegerer Kochen.......................................................................... 8 Annika Zinkler Der STRUDL finanziert sich nun durch den Straßenver- Buch-Rezession...................................................... 9 Layout: kauf, Anzeigen, Spenden Rainer Fürst und einen jährlichen finanzi- Thema: Freiheit ellen Zuschuss der Stadt. So Persönliche Freiheiten...................................................... 10 Titelbild: kommen wir unserem Ziel, die unsplash.com Eindrücke aus dem Osten................................................ 12 Sozialarbeit auszubauen, ein Campingreisen in der DDR.............................................. 14 Druck: gutes Stück näher. Schmidl & Rotaplan Denn unsere Sozialarbeite- Soziales Projekt: Umzug der Tafel......................... 15 rin ist gut beschäftigt mit der Regensburg und die Reichsfeiheit................................... 19 Anzeigen: Verkäuferbetreuung und Be- I`ve been looking for Freiheit............................................ 20 SAK Regensburg e.V., Vorstand anzeigen@donaustrudl.de gleitung der inzwischen sieben Freiheit – ein kostbares Gut............................................. 21 Es gilt die Preisliste vom 01.01.2020 Beschäftigungsprojekte. Über 20 Ehrenamtliche / Engagier- Geschichten Anzeigenschluss: te treffen sich jede Woche, jeweils der 15. des Monats. Das Wesen der Verliebtheit.............................................. 22 um monatlich einen neuen DonauStrudl herauszu- Kultur........................................................................... 23 (Spenden-)Konto: IBAN: bringen: Chancengleichheit DE43 7505 0000 0000 2125 30 und Gerechtigkeit sind dabei Nachrichten von unten .................................... 24 die Ziele, um auf Armut und Manuskripte und Beiträge soziale Missstände aufmerk- Sozialsponsoring................................................. 26 sind jederzeit willkommen. sam zu machen. Jeder kann KISS.............................................................................. 27 Nächste Ausgabe: sich bei den öffentlichen Re- Freiheit daktionstreffen immer don- Sportseite.................................................................. 28 Redaktionsschluss: 17. Juni nerstags ab 17.30 Uhr einbrin- gen und Artikel abgeben. Bayern bleibt bunt............................................... 31 V.i.S.d.P.: Claudia Bernhard Die Verkäufer erwerben ein Tafel-Benefizkonzert........................................... 32 Engelburgergasse 20 Heft für 1,30 Euro und bieten Eingang Schulbergl es dann für 2,50 Euro auf der 93047 Regensburg redaktion@donaustrudl.de Straße und in Gaststätten an: So entstehen Selbstbewusst- Redaktionssitzungen sein und neue Kontakte. finden immer donnerstags um 17.30 Uhr statt. Das DONAUSTRUDL-Projekt „Bücher aus zweiter Hand“ gibt die Möglichkeit, in ein sinn- erfülltes Berufsleben einzustei- gen, eine eigene Wohnung zu finden und von der staatlichen Unterstützung unabhängig zu werden. 9-17 Uhr - Keplerstraße 18 - Tel. 6 98 01 54 „Soweit in diesem Magazin aus Das Büro des DONAUSTRUDL, Engelburgergasse 20 / Eingang Schulbergl Gründen der besseren Lesbarkeit das macht Urlaub. Vom Montag, 02. August bis einschließlich Montag, 30. August generische Maskulinum verwendet bleibt unser Büro geschlossen. Der Soziale Buchladen im Minoritenweg 19 wird, sind hiermit stets alle bleibt geöffnet. Gleiches gilt für die LaGo Bücheranlieferung. Vielen Dank! Geschlechter gemeint“ 3
Interview mit Janine Wissler Hinz&Kunzt: Frau Wissler, als Spitzenkandidatin einer Par- Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hat tei, die für soziale Gerechtigkeit steht, dürften Sie gerade gerade die Partei ermahnt, nicht nur über eine Vermögens- bei Straßenzeitungsverkäufer*innen Erwartungen wec- steuer zu reden, sondern sich für diejenigen einzusetzen, ken. Was würden Sie für obdachlose Menschen tun, wenn die durch die Coronakrise zu verarmen drohen. Hat er Sie in die Regierung kämen? Recht? Janine Wissler: An erster Stelle müssen wir Wohnungen vermit- Wir weisen immer wieder auf die Situation hin, dass einige we- teln. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass Menschen ohne nige durch die Pandemie reicher geworden sind, und sehr vie- Krankenversicherung medizinisch behandelt werden. Das hat le ärmer. Viele wissen nicht, wie sie die Miete nach Monaten für mich Priorität: Housing First und die medizinische Versor- in Kurzarbeit noch bezahlen sollen, Menschen in der Gastro- gung, und zwar jetzt. Denn durch die Coronakrise hat sich die nomie, Minijobber, die ihre Jobs verloren haben, Selbständige Lage obdachloser Menschen noch zugespitzt. ohne Perspektive. Die Lufthansa hat neun Milliarden Euro be- kommen, auch für die TUI gab es Milliardenhilfen – bei Wenn das Wahlergebnis für Rot-Rot-Grün reicht, den Solo-Selbständigen gab es dagegen ab- könnten Sie Vizekanzlerin werden. Doch die surde bürokratische Begründungen, we- Linke legt die Latte für eine Regierungs- gen derer man ihnen angeblich nicht beteiligung hoch: Sie fordert eine Auf- helfen kann. lösung der Nato und ein Ende der Bundeswehr-Kampfeinsätze im Was ist mit den Arbeits- Ausland. Weshalb sollten Men- migrant:innen, von denen schen Sie wählen, fragt „Trott- nicht wenige auf unseren war“ aus Stuttgart, wenn sie Straßen stranden: Unter sich nicht darauf verlassen welchen Bedingungen können, dass Sie Verantwor- sollten ausländische tung übernehmen würden? EU-Bürger:innen in den Regieren ist kein Wert an Genuss des von der sich. Wir wollen wirklich etwas Linken visionierten So- durchsetzen. Wenn es Mehr- zialstaats kommen, der heiten gibt für eine gerechtere jeder und jedem eine Steuerpolitik, für Umverteilung, Mindestsicherung von für bezahlbare Mieten und gut 1200 Euro bietet? entlohnte Pflegekräfte, sind wir Die Situation osteuropä- natürlich bereit, in eine Regierung ischer Arbeitsmigrant:innen einzutreten. Für ein „Weiter so“ ist vielerorts dramatisch. sind wir nicht zu haben. Wir fordern, dass es Boar- dinghäuser mit Einzelzimmern Anders gefragt: Glauben Sie, dass geben muss zur Unterbringung potenzielle Wähler*innen Verständnis von Saisonkräften, und natürlich: dafür haben, wenn Sie rote Linien für eine soziale Absicherung und Schutz. Viele Regierungsbeteiligung ausgerechnet in der arbeiten ohne Krankenversicherung. Das Außenpolitik ziehen? ist Wahnsinn. Erntehelfer:innen dürfen in Nor- Die Linke ist konsequent als Friedenspartei, aber die Auflösung malzeiten 70 Tage ohne Sozialversicherung arbeiten, das der Nato ist keine Entscheidung, die eine deutsche Bundesre- hat die Bundesregierung – unter Verweis auf die Coronakrise gierung alleine treffen kann. Sie kann aber den Rüstungsetat – auf mehr als 100 Tage ausgeweitet. Dabei ist es gerade in senken, der seit 2014 um 35 Prozent gestiegen ist – sogar im einer Pandemie und bei harter körperlicher Arbeit mit hohem Corona-Jahr noch um 8,4 Prozent! Wir sind gegen das Nato- Verletzungsrisiko nicht hinnehmbar, ohne Krankenversicherung Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aus- zu arbeiten. Gewerkschafter von der IG BAU berichten von zugeben. Statt in Waffen wollen wir in Soziales, in Bildung und Menschen, die hier wochenlang arbeiten, und dann wegen ei- Klimaschutz investieren. Sicher muss man Kompromisse einge- ner medizinischen Behandlung verschuldet nach Hause fahren. hen, aber die müssen in die richtige Richtung gehen. Schwache Hier in Wiesbaden haben rumänische Bauarbeiter für 1,02 Euro gegeneinander auszuspielen, etwa das Asylrecht zu verschär- pro Stunde gearbeitet. In Hessen, nicht in Katar! Und oft zahlen fen, um dafür an anderer Stelle soziale Verbesserungen zu er- Saisonkräfte und Wanderarbeiter:innen für ein Bett im Sechs- reichen, geht für uns nicht. Wir brauchen internationale Solidari- bettzimmer den gleichen Quadratmeterpreis wie in einem Pent- tät mit Kriegsflüchtlingen, wie mir kürzlich bei einem Besuch im house in Berlin-Friedrichshain, was ihnen vom Lohn abgezogen Geflüchtetenlager auf Lesbos wieder sehr bewusst wurde. wird. Das ist Ausbeutung pur. Linke Politiker – von Bundesfinanzminister Olaf Scholz Was muss passieren? (SPD) bis zu US-Präsident Joe Biden – wollen eine globa- Wer hier arbeitet, muss ab dem ersten Tag sozialversichert le Mindestbesteuerung für Konzerne einführen. Europas sein. Das ist auch wichtig für die Rentenansprüche, sowie da- Steueroasen – Luxemburg, Irland – sträuben sich dagegen. für, dass das allgemeine Lohnniveau nicht sinkt. Wie wichtig ist Ihnen dieses Ziel? Sehr wichtig! Unterschiedliche Steuersätze und Steuerdum- Um dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu begegnen, ping sind ein riesiges Problem, denn dadurch können Konzer- würden Sie Immobilienkonzerne sogar enteignen. Was wür- ne Staaten so gegeneinander ausspielen, dass die öffentliche de das bringen? Hand am Ende immer verliert. Auch die Besteuerung von Ver- Wir unterstützen das Berliner Volksbegehren „Deutsche Woh- mögen muss harmonisiert werden. Sie ist in den USA übrigens nen, Vonovia & Co enteignen“. Es geht uns nicht um gemein- deutlich höher als hier. nützige Wohnungsgesellschaften, auch nicht um private Eigen- tümer, sondern um riesige, börsennotierte Immobilienkonzerne. Wohnungen sind nicht dafür da, Rendite zu erzielen. Vonovia 4
hat im letzten Jahr 2.045 Euro pro Wohnung an seine Aktio- diensten mit der Folge, dass mehrere Zusteller in dieselbe Stra- näre ausgeschüttet, das heißt, dass jeder Vonovia-Mieter rein ße fahren. Wir brauchen ein anderes Wirtschaften und einen rechnerisch jeden Monat 170 Euro an die Aktionäre zahlt. Die- sozialen Ausgleich. Die Kosten für den Klimaschutz dürfen nicht se Konzerne vernichten eher Wohnraum, als dass sie neuen denen aufgebürdet werden, die ohnehin wenig haben, sondern schaffen: Sie kaufen Wohnungen auf, sanieren sie teilweise den Verursachern. Ein sozial-ökologischer Umbau kann die Le- und vermieten sie teurer weiter. Die öffentliche Hand muss wie- bensqualität steigern und führt eben nicht zu dem, was Sie an der mehr Einfluss auf Wohnungen bekommen. die Wand malen: dass wir frieren müssen. Wieso glauben Sie, dass deutsche Kommunen gute Ver- Der Grüne Anton Hofreiter ist dafür verhöhnt worden, dass mieter wären? In Berlin hat sich die Verwaltung schon bei er gesagt hat, dass Einfamilienhäuser pro Kopf mehr En- Großunterkünften für Geflüchtete so über den Tisch ziehen ergie verbrauchen als Mehrfamilienhäuser. Auch alte, un- lassen wie das Bundesgesundheitsministerium bei Mas- sanierte Wohnungen sind für den Klimaschutz Gift, dafür ken. aber billig. Wie wollen Sie die soziale Frage mit der ökologi- Das stimmt leider! Kommunale Wohnungsgesellschaften sind schen versöhnen? vielerorts Teil des Problems und nicht der Lösung, weil sie Die energetische Sanierung muss vorangehen, aber über För- selbst hochpreisig bauen. Aber immerhin haben sie eine Sat- derprogramme statt über Mietsteigerungen. Klimaschutz darf zung und den Auftrag, für das Gemeinwohl zu handeln. Bei der nicht zu Lasten derer gehen, deren CO2-Fußabdruck am ge- Aktiengesellschaft ist das nicht der Fall, die müssen Rendite ringsten ist, weil sie am wenigsten haben. Sonst zahlen Leute abwerfen für die Investoren – im Gegensatz zur kommunalen für eine Party, auf der sie gar nicht waren. Wohnungsgesellschaft, die anders agieren könnten. Und wie würden Sie die mit dem größeren Fußabdruck zum Es sei denn, die Stadt will Profite abschöpfen ... Verzicht bewegen: mit Verboten? ... kommunale Wohnungsgesellschaften sollten kein Geld an Die Frage ist, was man als erstes macht: Verbietet man erst den städtischen Haushalt abführen müssen, sondern bezahlba- den Autoverkehr in der Innenstadt oder macht man Bus und re Wohnungen schaffen. Bahn attraktiver und schafft damit Alternativen? Wenn die Menschen bequem zum Nulltarif in die City fahren können, mit Sie würden Berlins gescheiterten Mietendeckel gern in Bahnhöfen, die so gepflegt sind wie Flughäfen, kann man Städ- ganz Deutschland einführen. In der Hauptstadt sind zuletzt te autofrei machen. Dann geht es nicht um Verzicht, sondern weniger Neuvermietungen zustande gekommen als zuvor; um einen Gewinn an Lebensqualität. Die Städte stehen voll mit Wohnungsbauprojekte liegen auf Eis. Könnte ein Mieten- parkenden Autos. Was würden wir an Platz gewinnen, für Grün- stopp in Ballungszentren womöglich zu weniger statt zu anlagen, für Ateliers, aber auch für Wohnungen, denken Sie nur mehr Wohnraum führen? an die Parkhäuser. Pendler stünden nicht im Stau, und die Luft Das glaube ich nicht. Als Mittel gegen Wohnungsknappheit wird wäre viel besser. immer „Bauen, Bauen, Bauen“ angepriesen. Nur kann das nicht funktionieren, wenn wir ständig bezahlbare Wohnungen verlie- Bei der letzten Bundestagswahl verlor Ihre Partei 400.000 ren; es ist auch klimapolitisch nicht klug. Fakt ist: Alle zwölf Minu- Zweitstimmen gegenüber 2013 an die AfD. In Sachsen-An- ten fällt eine Sozialwohnung aus der Sozialbindung. Diese Woh- halt hat sich dieser Trend jetzt fortgesetzt. Wie wollen Sie nungen sind ja nicht weg, sondern werden so teuer, dass man diese Wähler*innen zurückgewinnen, fragt „Drobs“ aus sie sich nicht mehr leisten kann. Wir müssen also etwas tun im Dresden? Gebäudebestand! Da ist zum Beispiel die Rentnerin, die seit 40 Die AfD ist überall da stark, wo sie ihre Themen auf die Agenda Jahren in der Familien-Fünfzimmerwohnung wohnt und jetzt al- setzen konnten – dort, wo die Unionsparteien rechte Themen leine lebt. Sie hätte gern eine barrierefreie Zweizimmerwohnung, besetzen. Wir als Linke müssen deutlich machen, dass wir in kann sie sich aber nicht leisten, weil ihre Miete sich verdreifa- Opposition stehen zu den herrschenden Verhältnissen: zur so- chen würde. Wieso ermöglichen wir ihr keinen Wohnungstausch zialen Ungerechtigkeit, zur ungleichen Verteilung von Reichtum. mit dem jungen Paar, das das zweite Kind erwartet? Die AfD ist eine zutiefst rassistische Partei, die keine Antworten auf diese Probleme hat. Und was bringt da der Mietendeckel? Er ist ein Instrument, um eine Verschnaufpause auf dem über- Viele Politiker*innen sind von Rechtsradikalen angegriffen hitzten Markt zu gewinnen; Berlin hat ihn als „Akt der Notwehr“ worden, vor zwei Jahren ist der Kassler Regierungsprä- bezeichnet. Nur darf so einen Deckel laut Bundesverfassungs- sident Walter Lübcke sogar ermordet worden. Sie haben gericht eben nur der Bund verhängen. Dass in Berlin wenig ge- anonyme Drohbriefe von einem „NSU 2.0“ erhalten. Was baut worden ist, lag nicht am Mietendeckel, der galt ja gar nicht muss passieren? für Neubau, sondern unter anderem an der Steigerung der Bo- Die Gefahr von Rechts betrifft alltäglich vor allem nicht promi- denpreise durch Spekulation. nente Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religions- zugehörigkeit oder schlicht ihres Namens angefeindet werden. Ihre Partei will auch die Grundstückspreise deckeln. Würde Auch wenn im Fall NSU 2.0 ein Verdächtiger festgenommen das nicht Schadenersatzforderungen der Eigentümer nach worden ist: Wir wissen noch nicht, ob der Mann zu einem Netz- sich ziehen? werk gehört hat. Nach den Attentaten in Kassel oder Hanau gab Nicht, wenn der Staat Bodenspekulationsgewinne besteuert. es einen öffentlichen Aufschrei, die Innenminister rüsten verbal auf – aber an die Strukturen dahinter geht niemand. Reflexhaft Ihre Partei will sogar vor den Grünen Deutschlands CO2- ist die Rede von „Einzeltaten“, von „Einzeltätern“. Dabei muss Neutralität erreichen, nämlich 2035, Sie fordern eine „Ener- man die rechte Szene entwaffnen, Haftbefehle auch vollstrec- gierevolution“. Also: dicke Pullis statt Heizen? ken, die Zivilgesellschaft stärken. Wir werden das 1,5-Grad-Klimaziel verfehlen ohne ein Umsteu- ern. Selbst wenn alle beschlossenen CO2-Einsparziele umge- Was machen Sie, wenn Ihre Partei nicht die Fünfprozent- setzt würden, kämen wir laut neuesten Berechnungen auf eine hürde schafft? Erwärmung von 2,4 Grad. Deutschland muss Bahnland wer- Wir schaffen sie! Wir sind die Partei des Straßenwahlkampfes, den, mit einem attraktiven, günstigen ÖPNV, auch im ländlichen der Kundgebungen – all das fehlte uns während der Pandemie. Raum. Nach der Coronakrise soll niemand mehr von Frankfurt Aber wir kämpfen um Direktmandate und stehen in den Um- nach Stuttgart fliegen! Auch die Liberalisierung der Logistik fragen bei sechs bis acht Prozent: Wir kommen wieder in den treibt irre Blüten. Wir brauchen keinen Wettbewerb bei Paket- Bundestag. 5
Künstlerportrait Außen Rock, innen weicher Kern - Band „Diebe und Komplizen“ im Künstlerportrait „Diebe und Komplizen“ sind eine Rockband aus Regens- eigene Note beifügen. Inzwischen ist es für uns fast schon zur burg, die sich auf der Bühne stets neu zu erfinden vermag. Normalität geworden, dass wir das Ambiente einer Konzert-Lo- „Original handcrafted rock sound“ ist das Markenzeichen cation, eines Publikums nutzen und einfließen lassen. Dieses der reifen Musiker, musikalisch verankert im Classic Rock, Sich-Lösen von für das Publikum optimierten Songs hat letztlich erinnert ihr Sound an die „Dire Straits“. auch mit Freiheit zu tun. In ihrer jetzigen Besetzung spielt die Band bereits über 10 Ihr hadert, vor allem mit fortschreitender Bandgeschichte, Jahre und weiß rotzfrech und mit einer gehörigen Portion immer wieder mit der Rolle als politische Band. Wie geht Selbstironie noch immer zu begeistern. ihr heute damit um? Die Regensburger Band „Diebe und Komplizen“ sind Musiker Gerade in den letzten Jahren haben wir uns oft gedacht, wie der alten Schule: Martin Hert (Keyboard, Vocals), Anton „Toni“ viel leichter es wäre, würden wir uns nicht als politische Band Krammel (Lead Vocals, Gitarre), Herbert Ehrl (Drums, Percus- sehen und auch von außen so wahrgenommen. Ganz so ein- sion) und Charly Haimerl (Bass) vereint die Liebe zur Musik. fach ist es aber leider nicht: Wir sehen uns ein wenig als ro- Mit einem einzigartigen Sound, der „100 % cover-free“, also mantische Minnesänger - und würden am liebsten nur über die nur aus Eigenkompositionen besteht, überzeugen sie Jung und schönen Dinge des Lebens und menschlichen Daseins singen Alt. Es geht ihnen darum, einen Band-SOUND zu prägen, der – aber dann holt uns die Realität früher oder später ein. Un- unverwechselbar und einzigartig ist. Jeder ihrer Songs ist eine sere Texte, auf Deutsch und Englisch, erzählen nicht umsonst eigene kleine faszinierende Welt – zusammen ergeben sie ein „vom Leben“ – den Dramen, den Freuden, den Leidenschaften Programm, das das Lebensgefühl der Musiker auf die Bühne und – ja, auch – von der Zeit, in der wir leben, inklusive all ih- bringt; einer Generation, die sich das Feeling des Rock’n Roll rer Verwerfungen. Der Zeitgeist zeigt uns dabei immer wieder über Jahrzehnte in feuchten Kellern mit analogen Instrumenten auf, dass ein Wegschauen von aktuellen Geschehnissen nicht erspielt hat. mit unserer Gesinnung zu vereinbaren ist; eine totale Abkehr ist schlicht nicht möglich. Das Rebellische ist ein Teil von uns, ob Im Interview mit dem DONAUSTRUDL beantwortet Schlag- wir wollen oder nicht - und das ist auch das Feedback, das wir zeuger Herbert Ehrl einige Fragen. beispielsweise bei und nach Live-Auftritten direkt vom Publikum Hallo Herbert, nimm uns doch mal mit an den Anfang von erhalten. „Diebe und Komplizen“ – Was macht euch heute wie da- mals aus? Ob live auf der Bühne oder im Proberaum: Ein Miteinander Wir gehen zurück in die frühen 80er Jahre, damals hießen wir steht für euch klar vor Einzelgängertum. Wie hat sich euer noch „Diebe der Nacht“. Zuerst waren wir in Regensburg, dann kreativer Schaffensprozess mit und durch Corona verän- in Bayern und vom Bayrischen Rundfunk aus eine Art Kultband. dert? Damals haben wir unseren eigenen ungewöhnlichen Sound ge- Ein Freund von mir sagte einmal über uns, dass wir in unserer funden - das ist uns bis heute geblieben. Im Gegensatz zu heu- musikalischen und kreativen Zusammenarbeit, bei Proben und te ist unsere Musik aber wesentlich straighter. Auftritten immer ein bisschen so wirken, als wären wir gerade Damals waren wir stark von Frank Zappa und Klängen, die einmal 17 Jahre alt. Dieses Feeling, das er beschreibt, ist zu- eher im Ska zu verorten sind, beeinflusst. Uns ist eigen, dass sammengesetzt aus, und ich teile da seine Auffassung, einem wir die Musik und Musikerfahrung an unsere Band „Diebe und Miteinander, einer gemeinsamen Geschichte und der Liebe Komplizen“ herantragen, die wir auch in der Jugend gemacht zum Rock, die wir teilen. Die größte Zutat bleibt Freundschaft: haben. Ich selber komme etwa aus dem Bayrischen Wald und Wir können uns sowohl auf als auch hinter der Bühne aufein- habe mich viel mit Musik befasst, ander verlassen – über den Punkt, die man heute „Krautrock“ nennen sich wegen kleinerer Zerwürfnisse würde. zu trennen, sind wir längst hinaus. Da wird dann auch mal Beethoven Und das gibt uns letztlich eine Ge- zum Rockmusiker, wenn wir seine lassenheit und den kreativen Boden, Stücke auf dem Keyboard perfor- auf dem die Früchte unserer Leiden- men. schaft für Musik gut wachsen. Natürlich waren während Corona Bei euren Auftritten geht es nicht immer Proben möglich, aber nicht unbedingt darum, das Ge- wir haben auch hier unseren Weg probte eins zu eins aufzuführen gefunden: In meinem Gartenhaus – ihr seid auch offen für Experi- nehme ich Snippets auf, die ich dann mente. Wie muss man sich das Toni weiterleite. Er kann, im hausei- vorstellen? genen kleinen Tonstudio, daran wei- Bei einem Live-Auftritt kann es terarbeiten und diese Aufnahmen an schon mal vorkommen, dass die anderen Bandkollegen weiterlei- wir unsere wunderbaren Proben ten. vergessen und uns auf die At- Dies deckt sich wiederum mit unse- mosphäre einlassen, die wir vor rem Freiheitsgedanken: Sich kleine Ort vorfinden. Gerade bei Live- Freiheiten, wie die Musik, dort zu su- Performances ist es wichtig, sich chen, wo sie anderen nicht schaden von Zwängen frei zu machen und können. ein Stück weit loslassen. Uns liegt viel daran, dass wir uns im End- Der Donaustrudl bedankt sich bei effekt „selbst covern“, also auch Herbert Ehrl für das Gespräch. zu erprobten und uns bekannten Annika Zinkler Stücken jedes Mal aufs Neue eine 6
Lyrik Ich bin Zu verstehen hatte ich nie die Zeit Aber wäre es wirklich vergnüglich in Ordnung zu sein? Ich mag Rätsel und Buchstaben Um zu verstehen, wie ... wie viel ich fühlte, bevor … Ich bin unromantisch Ich bin ohne Bedürfnis und doch gerade jetzt brauche ich einen Freund, der Magische Kreaturen liebt Ich bin freundlich und verwandle die Küche in Gedichte Ich spiele mit Raum Ich bewundere Formen Ich bin froh, dass Ich steuer Ich bin definitiv in Führung Es geht mir besser Aber ich liebe auch dich Mir wird gesagt, in Ordnung zu sein, wenn ich den Hauch mag, den Wink, die Spur... Ich bin wirklich gut darin Ja worin eigentlich? Ich bin aromantisch und nicht jeder versteht, dass ich Ich bin Ich bin definitiv nicht unaromatisch und liebe gute Essen Ich liebe meine Freiheit Ich bin frei Ich bin unendlich dankbar für meine Gefühle Ich komponiere mein Leben Zeit zu backen oder Sirup-Kuchen zu machen, denn dadurch werde ich zur Königin. Magdalena Treutwein Gedicht und Foto der Lyrikseite aus der Juni-Ausgabe Magdalena Treutwein.
Kochseite Lachsfilet auf Spargel mit Minze und Petersilie Von Andy Maltschik und Jonas Schriefer Rezept: Zutaten für 2 Personen Zuerst Minze, Petersilie, Knoblauch, Zwiebel und Chili kleinschneiden und etwas Je ½ Bund Minze und Petersilie Schale von der Zitrone abreiben. Alles vermischen und für später bereitstellen. 2 Knoblauchzehen Dann den Spargel schälen, die holzigen Enden abschneiden (aufheben für die 1 Zwiebel Suppe) und ca. 8 Minuten in Salzwasser vorgaren. Anschließend in eine mit Olivenöl 1 Bio-Zitrone (ungespritzt) eingefettete Auflaufform legen und mit circa der Hälfte der vorher kleingehackten 500g Spargel Zutaten bestreuen. 400g Lachs 1 Chili Den Lachs in vier Stücke schneiden und ca. 60g Butter mit der Haut nach oben auf den Spargel legen. Olivenöl Die Butter zerlassen, mit zwei TL Honig Honig, einer Prise Salz und Pfeffer Salz, Pfeffer verrühren und über den Spargel Zutaten für 2 Personen gießen. Abschließend die übrige Je ½ Bund Minze und Petersilie Minze-Petersilie-Mischung darüber- 2 Knoblauchzehen streuen und für ca. zehn Minuten 1 Zwiebel bei 200 Grad backen. Etwa drei 1 Bio-Zitrone (ungespritzt) Minuten vor Ende zusätzlich den 500g Spargel Grill einschalten, damit die Haut des 400g Lachs Lachses knusprig wird. Zum Schluss 1 Chili mit etwas Zitronensaft verfeinern. ca. 60g Butter Guten Appetit! Olivenöl Honig Tipp: Als Vorspeise schmeckt eine Salz, Pfeffer Cremesuppe aus den pürierten En- destücken des Spargels lecker. Die würden ansonsten wohl nur im Abfall landen, aber dafür sind sie eigentlich viel zu schade… 8
Rezension „Der Alchemist“ Roman von Paulo Coelho ISBN: 978-3-257-23727-6 Ein wiederkehrender Traum bewegt Santiago, einen an- dalusischen Hirten, dazu, seine Herde und alles ihm Ver- traute zurückzulassen für eine Reise durch die Wüste. Stets sein Ziel, die Pyramiden von Gizeh, vor Augen, erlebt der Jüngling eine fesselnde Odyssee im Flair von 1001 Nacht. Paulo Coelhos „Der Alchemist“ wurde in 61 Sprachen übersetzt und über 30 Millionen Mal verkauft. Grund dafür könnte wohl der universelle Mix von Weisheiten aus al- ler Welt, vor allem aus dem Arabischen, sein. Jede/r kann sich in dem Buch wiederfinden und in der mitreißend er- zählten Handlung verlieren. Mit nur knapp 170 Seiten ist diese literarische Exkursi- on durch den Orient zwar schnell vorbei, aber regt auch lange danach noch zum Nachdenken an. Die Reise des jungen Santiagos steht sinnbildlich für die Entscheidung, trotz Ungewissheiten einen Aufbruch ins Unbekannte zu wagen. Sowohl im Großen als auch Kleinen werden wir alle immer wieder vor derlei Entscheidungen gestellt. Wie ein roter Faden zieht sich Santiagos Suche nach dem Sinn des Lebens und seines eigenen Weges durch das Buch. Ähnlich wie in Hermann Hesses „Siddhartha“ begleiten wir in „Der Alchemist“ den jungen Santiago auf dieser Reise und tauchen dabei ein in eine spirituelle Welt. Natürlich kann ein kleines Büchlein keine Antworten auf die großen Fragen des Lebens geben. Dennoch eröffnet es auch nach mehrmaligem Lesen noch neue Perspek- tiven, denn auch wir gehen auf unserem persönlichen Lebensweg vorwärts und finden neue Interpretationen für alte Weisheiten. „Der Alchemist“ ist jetzt schon ein zeitloser Klassiker, den es sich zu Lesen lohnt. Die perfekte Lektüre zum Tagträu- men, die aber dazu anspornt, diese Träume auch zu ver- wirklichen. Von Jonas Schriefer 9
Freiheit Frei sein Hannah Arendt schreibt in ihrem Essay „Die Freiheit frei zu sein“, dass nicht jeder Mensch gleiche Freiheiten hat. Sie wirft in ihrem Essay den Blick hauptsächlich auf Revolutio- nen und deren Entstehung aus dem Verlangen heraus, sich aus der Unterdrückung zu befreien. „[...]wo der Wunsch nach Befreiung, also frei zu sein von Unterdrückung, endet und der Wunsch nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen, beginnt.“ ist nicht leicht zu entscheiden, lautet ihre Einschätzung. Bevor unterdrückte Menschen ein freies politisches Leben führen können, müssen sie sich erst befreien. Aber nicht nur Unterdrückte haben keine Freiheit. Auch ein Mensch, der Hunger leidet, ist nicht gänzlich frei, selbst wenn er in einem freien Land, wie Deutschland, lebt. Die- Wann bin ich eigentlich frei? se Person ist in ihrer Lebensweise dadurch stark einge- schränkt, dass sich alles darum dreht, Essen aufzutreiben. Aus einer philosophischen Sicht kann man zwischen po- Sie macht sich weniger Gedanken darum, ob sie sich frei sitiver beziehungsweise negativer Freiheit unterscheiden. bewegen darf, sagen darf, was sie möchte, tun darf, wie Veranschaulicht wird dieser Ansatz oft mit folgendem Bei- es ihr beliebt. Das alles ist nebensächlich, wenn es darum spiel: Ein Pferd, das eingezäunt auf einer Wiese steht, geht, am Leben zu bleiben. könnte davongaloppieren, es kann aber auch stehen blei- ben und grasen – ihm stehen alle Möglichkeiten offen, es Menschen, welche kein Dach über dem Kopf haben, ste- ist also negativ frei. Erst, wenn es aber von seiner Freiheit hen mit ihren Freiheiten hinter jenen, die einen trockenen, Gebrauch macht, ist es positiv frei. warmen Schlafplatz ihr Zuhause nennen können. Manche mögen eine romantische Vorstellung von einem ungebun- Aus diesem Beispiel folgt für uns Menschen, damit wir denen Leben, ohne häusliche Pflichten, haben. Doch die wirklich frei sind, müssen wir unsere Freiheit auch nutzen. Realität sieht meist anders aus. Ob ich selbst entscheide mit Um sich auf den Sattel zu schwingen und davonzureiten, einem Zelt durch die Gegend zu streifen, eins zu werden mit braucht man nicht zwangsläufig ein Pferd. Ein Drahtesel der Natur und mich von Beeren und Kräutern ernähre, ist genügt auch, um Freiheit, im wahrsten Sinne des Wor- etwas ganz und gar anderes als das nicht selbst gewählte tes, zu erfahren. Gerade während der Corona-Pandemie Leben in Obdachlosigkeit. wurden lange Radtouren mein Erlebnis positiver Freiheit. Wenn ich also die Privilegien habe, keinen Hunger zu leiden Nicht zu wissen, wo ich am Abend mein Zelt aufschlage und ein festes Zuhause zu haben, so bin ich freier. Ich kann und was mich am nächsten Tag erwartet, all die ungeplan- mir womöglich aussuchen, wie ich mein Geld verdiene, in ten Entdeckungen und Ereignisse, die ich zwischen Start welchem Beruf ich arbeite. Ich habe „Freizeit“, die ich nach und Ziel der Tour erlebe, sind für mich Freiheit. Frei fühle Gutdünken selbst gestalten kann. ich mich dabei aber nur, weil ich weiß, dass ich danach Ich kann mich dann auch dafür entscheiden, mich in mei- auch wieder zurückkehren kann und zuhause ein festes ner Freizeit oder auch im Beruf für die Freiheit anderer zu Dach über dem Kopf habe. Wer sich nicht freiwillig dazu engagieren, die nicht die Möglichkeit und Kraft haben, dies entscheidet, draußen zu schlafen, der fühlt sich wohl auch selber zu tun. unterm schönsten Sternenzelt nicht frei. Magdalena Treutwein Jonas Schriefer Was ist Freiheit für mich? Freiheit - lediglich eine Umschreibung für „es gibt nichts mehr zu verlieren“ (Janis Joplin) Freiheit als Abkehr vom Materialismus? Schön wäre es - -> leider Utopie Für mich ist „Freiheit“ immer ein Kompromiss zwischen WOLLEN - KÖNNEN - DÜRFEN Hans-Jürgen Hinz 10
Persönliche Freiheit Meine Freiheit Beim ersten Lockdown hab ich mich einige Mal auf den Freiheit bedeutet für mich, ein Leben zu führen, in dem auto- und menschenleeren Alten Kornmarkt gestellt und jederzeit theoretisch alles möglich ist. Ich könnte jeder- einen mitgebrachten Kaffee getrunken: Hab mich dabei zeit losgehen, losfahren, mich in einen Zug setzen und „frei“ gefühlt und gespürt, dass die Virus-Einschränkun- aussteigen, wo es mir gerade beliebt. Zu der Freiheit, gen auch einen Blick aufs Wesentliche erlauben. Weg jederzeit an jedem Ort sein können, gehört auch die Frei- von Alltagsgewohnheiten und hin zu mehr persönlichem heit, dies nicht zu tun. Seine Freiheiten nicht zu nutzen Erleben. ist vielleicht letztlich das größte Privileg. Und erklärt viel von dem Unmut, den ich während des Lockdowns über Zu Hause war wieder mehr Lesen und allerlei „was ich die Ausgangssperre empfunden habe. Habe ich mir diese schon lange erledigen wollte“ angesagt und mit Partne- Freiheit dennoch immer nehmen lassen? - Vielleicht rin und einzelnen guten Bekannten konnte man sich eh nicht… sehen. Am Fernseher kommen bisweilen auch recht gute Dokus. Auch Zoom-Konferenzen kann man was abgewinnen, weil sie einen frei von Parkplatzsuche, Treffpunktorten (gibt zu wenige!) und unabhängig vom Wetter machen. Insgesamt ist das Leben für mich in diesen Zeiten „lang- samer“ und vielleicht auch ein wenig nachhaltiger gewor- den: Wünsche mir richtig, dass davon einiges bleibt. Na- türlich auch eine bessere Bezahlung für Verkäufer*innen und Pflegepersonal, damit diese mehr Anerkennung und persönliche Freiheiten haben. Reinhard Kellner Freiheit? Hmmm..... Was ist Freiheit für mich ...bis 3 Uhr feiern und um 7 völlig verkatert in der Arbeit Wenn mein Geist frei ist, fühle ich mich frei. Dieses erscheinen, Gefühl von Freiheit im Geist empfinde ich, wenn ich auf’m ...ein Semester lang faulenzen und jedes Mal bereuen, Radl sitze und mir der Fahrtwind ins Gesicht weht. Wenn dass man zu spät angefangen hat zu lernen, ich auf einen Gipfel gewandert bin und die Aussicht mich ... bis in die Nacht Serien schauen, obwohl man am überwältigt. Wenn ich singe, wenn ich Harfe spiele, die nächsten Tag früh raus muss, Schwingung spüre und in der Musik aufgehe. Wenn ich ... den Bus verpassen, weil man die Schlummertaste zum meditiere und meinem Atem nachspüre. In diesen Augen- achten Mal gedrückt hat, blicken fühle ich mich frei. Magdalena Treutwein ...Freiheit heißt für mich, eigene Entscheidungen zu tref- fen und die Folgen und Konsequenzen selbst zu tragen. Auch wenn es eine dumme Entscheidung war, war es meine Entscheidung. Freiheit, die ich meine LG ICH, als "freier" Mensch. ;) Was ist das, wenn ich mich, ohne darüber nachzudenken, Khang Do in ein Café setze, mir einen Kaffee bestelle und in freund- liche Gesichter blicke? Was ist das, wenn ich an einer Demonstration teilnehme und für oder gegen etwas ein Schild in die Höhe halte? Was ist das, wenn ich mich zwischen verschiedenen Ländern in Europa bewege? Was ist das, wenn ich die Zeitung oder Zeitschrift besor- ge, die ich möchte? Meine kleine persönliche Freiheit! Claudia Bernhard 11
“Ich glaube jeder, der hier im Osten gelebt hat, hatte andere Eindrücke.” Interview mit Renate N. über ihr Leben in der DDR Renate* ist für mich seit knapp fünf Jahren Familie und obwohl ich sind. Ich will das nicht nochmal ausgraben, denn es macht viel- wusste, dass sie und ihre Familie in der DDR aufgewachsen sind, leicht nur noch mehr Erinnerungen kaputt. habe ich bisher noch nie mit ihr darüber gesprochen. Als ich sie Wie war es dann für euch nach der Wende, im Rahmen unserer Ausgabe zum Thema Freiheit fragte, ob sie dieses penetrante Gefühl der Überwachung sich vorstellen könne, mit mir über ihr Freiheitsempfinden zu re- verschwindet doch nicht einfach so? den, war sie zurückhaltend. Nicht, weil sie Angst hatte, darüber zu Natürlich haben wir das mitgenommen, das wurde uns mit der sprechen, sondern weil sie vielmehr nicht so recht wusste, ob sie Muttermilch mitgegeben und es liegt noch heute in mir drin. Seit mir mit meinem Artikel helfen könnte. Nur geht es gar nicht darum, einiger Zeit wohne ich wieder hier im Osten und ich sehe das auch dass sie mir helfen sollte, sondern vielmehr soll dieses Interview bei den Menschen, denen ich begegne. Wenn die mich anschau- ihr Leben (so gut das hier möglich ist) porträtieren. Ich wollte ihre en, weiß ich genau, was die denken. Das Misstrauen ist hier im- subjektive Meinung hören. Danke für deine Zeit, deine Offenheit mer noch groß und durch Corona auch wieder verstärkt. Das hat und das tolle Gespräch. hier im Osten nochmal ganz andere Auswirkungen, weil die Wen- “Ich sag dir jetzt meine Eindrücke, meine Empfindungen, wie ich degeschichte noch in den Zellen drin ist, egal ob Jung oder Alt. es erlebt habe. Ich glaube jeder, der hier im Osten gelebt hat, hat- Das tut mir richtig weh, man kommt an die Menschen hier nicht te andere Eindrücke.” - Renate N. ran, die sind so zu. Renate, willst du mir eine kleine Einordnung geben zu deiner Wie standen deine Eltern denn dazu, dass ihre Tochter sich Kindheit und ob du den Unterschied zwischen Ost- und West- so früh schon gegen das System aufgelehnt hat? deutschland damals schon wahrgenommen hast? Meine Eltern standen dem Ganzen nicht sehr positiv gegenüber, Ich bin 1954 in eine große Familie mit vielen Tanten geboren. Bis die haben immer gedacht: “Ja, lass se‘ mal machen.” Ich war zu meiner Einschulung war meine Kindheit normal, wie bei den glücklicherweise immer sehr frei und konnte in ihrer Gegenwart meisten auch. 1961, kurz bevor ich in die erste Klasse gekommen auch offen reden und machen. Vieles in dem Alter läuft über die bin, wurde dann die Mauer gebaut. Ab da waren es zwei Welten Mode und so erinnere ich mich an einen Moment in der Mittelstu- und es sind heute noch zwei Welten. In unserem kleinen inneren fe, als eine Freundin, deren Vater Pfarrer war, von ihrer Familie Familienkreis konnten wir wirklich alles sagen und machen, was aus dem Westen immer Pakete zugeschickt bekommen hat. Ei- wir wollten. Meine Eltern waren nicht sehr politisch, weshalb bei nes Tages kam sie mit einer Levis-Jeans in die Schule. Wir haben uns dann auch mehr Privates besprochen wurde. Die Grenze zu alle nur geguckt und wollten auch so eine haben. Das Wort Jeans dieser familiären Freiheit begann dann eigentlich an der Haustüre: gabs gar nicht bei uns, wir wussten gar nicht, was das ist. So Wir mussten schon immer überlegen, bei wem man was sagt und eine Hose konnte ich natürlich nicht haben, aber meine Mama hat tut. Das war meine ganze Kindheit und Jugend so. Wirklich wahr- mir dann eben eine richtige Schlaghose genäht. Dann bin ich mit genommen habe ich es dann in meiner Jugend. Mit 16 Jahren meinen 17/18 Jahren auch jedes Wochenende ausgegangen und habe ich schon Diskussionen mit meiner Staatsbürgerkundelehre- hab mir Livebands angehört mit dieser Hose, engen T-Shirts und rin über Freiheit geführt. Da ging es schon auch mal etwas härter langen dicken Haaren. Das waren eben die 70er. zu, denn sie hat natürlich ihren Standpunkt vertreten und wir un- Wie ging es dann weiter? seren. Wir haben uns in dem Alter dann schon selbstständig in die Wann hast du deine Familie gegründet? Richtung orientiert, hauptsächlich über die Musik. In den Texten Dann kam eigentlich die Phase mit Hochzeit, Haushalt, Familie wurde natürlich die absolute Freiheit verbreitet, das hat uns sehr und Kindern. Jeden Tag von Montag bis Freitag hart arbeiten. Die gereizt. Es gab damals eine Band, die wir gerne gehört haben: Kinder haben wir dann tagsüber mit einem Jahr weggegeben, das ‘The Kinks’ mit dem Lied Lola und da haben wir in der Schulpause bereue ich heute noch sehr, aber wir konnten trotz geringer Mie- immer im Chor gerufen: „Wir wollen keine Limo, wir wollen keine ten von dem Geld, das mein Mann und ich verdient haben, nicht Cola, wir wollen die Kinks mit Lola!“ Die Lehrer wussten gar nicht, wirklich leben. was los war. Einer meiner Klassenkameraden hat dann einen Mein Mann war im Bauwesen, hat sich einen abgeschuftet und Brief mit den Unterschriften aus unserer Klasse an einen Radio- doch kaum was verdient. Ich war Bürofachangestellte beim Uran- sender geschickt, damit das Lied gespielt wurde. Da konnte man bergbaubüro. Acht Jahre lang habe ich dort gearbeitet, und als ich ja nicht wie heute einfach anrufen. Nun hat der Initiator des Briefes noch Lehrling war, sind wir auch mal mit der ganzen Belegschaft aber nicht seine Privatadresse als Absender darauf geschrieben, nach Berlin gefahren. Mein Arbeitgeber hatte da auch ein ‘beson- sondern die Schuladresse. Der Brief wurde abgefangen und dann ders tolles Abzeichen’ am Revers. Er hatte schon eine bessere kamen die ‘besonderen Mitarbeiter’ und haben das ganz groß auf- Stellung im System. Wir waren knapp 15 Leute und wollten dann gerollt. Die Schule wurde von A-Z kontrolliert und auch auf den auch auf den Fernsehturm, vor dem die Leute Schlange standen. Toiletten waren Frauen, die uns abgehört haben. Wir wurden alle Unser Chef ist dann mit uns einfach an den wartenden Leuten verhört und sollten jeder einzeln erzählen, wieso wir auf dem Brief vorbei gegangen, ohne dass sich jemand beschwert hat oder unterschrieben haben. Da haben wir eigentlich zum ersten Mal sich gar getraut hat, sich zu beschweren. Oben haben wir uns wirklich wahrgenommen, wo wir leben. Und so ging dann meine dann hingesetzt, um nach unten zu schauen. Da habe ich dann Stasiakte los. die Mauer wirklich richtig gesehen, von oben, wie sie die schöne Hast du denn nach der Wende Einsicht Stadt spaltet. Ich habe mir das wirklich verinnerlicht, der Anblick in deine Akte beantragt? hat mich sehr beeindruckt und auch berührt. Viele haben das gemacht, aber ich habe mich dann innerlich ge- Ich bin 1978 dann konvertiert, von der evangelischen zur katho- fragt, ob das gut ist und hab mich dann entschieden, sie nicht ein- lischen Kirche. Ob es ein Fehler war oder ob es damals gut war, zusehen. Die aufregenden Zeiten waren schon aufregend genug. das weiß ich nicht. Aber in dieser Zeit, wo man nach außen hin Ich wusste schon grob, welche Menschen in meinem Umfeld Din- nichts sagen konnte, tat es als kleine Familie schon gut, dort sei- ge weitergegeben haben, wie zum Beispiel bei meiner Arbeitsstel- nen Kreis zu haben. Nun ja, dann Mitte bis Ende der 80er kamen le. Wenn jemand schnell seine Schreibmaschine zudeckte, wenn dann die ganzen Ausreiseanträge auf. Obwohl wir keine Handys du reinkamst, wusste man genau, dass die gerade einen Bericht oder Internet hatten, hat sich das verbreitet, dass Menschen aus schreibt. Es gab auch Menschen, die sich das Leben genommen ihrer Wohnung geholt worden sind und weggebracht wurden. haben, weil sie einfach mit den Realitäten nicht klargekommen Auch Verwandte von mir sind in der Nacht geholt worden, weil 12
sich der Mann mit seinen Sprüchen zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Sie wurden dann di- rekt ausgewiesen. Das ist krass gewesen. Ausgewiesen? Wohin wurden sie dann hin- gebracht? Sie wurden nach Gießen in dieses Auffanglager gebracht, das war 1987. Damals durfte man auch nicht sagen ‘Ich muss meine Blumen gie- ßen. ’ Jeder wusste ja, was dort war. Von dort aus wurden sie dann verteilt. Meine Cousine ist dann ganz weit rüber an die holländische Grenze gebracht worden. Kontakt habe ich mit ihr seither keinen mehr gehabt, das tut mir auch sehr leid. Hätte uns damals jemand gesagt, dass in zwei Jahren die Wende kommt, hätten wir das alle nicht geglaubt. Dann kam die evangelische Kirche auf den Plan. Wir haben an den Demos und den Frie- densgebeten jeden Montagabend teilgenom- men. Das ging ganz klein los. Dort konnte man dann mal seine Meinung sagen. Es hat so un- anderen wurde es eigentlich immer schlimmer. Das war in den wahrscheinlich gutgetan, wenn jemand aufgestanden ist und sich 90er Jahren. Die Beamten waren immer noch dieselben, das ging frei geäußert hat. Denn uns wurde ja damals direkt das Sprechen mit den Lehrern und Polizisten los. Bei denen war auch das Mot- abtrainiert, das fällt mir ja heute noch schwer. to: Ich werde dir schon zeigen, wo’s lang geht. Woher hätte man Jedenfalls hat sich das in den Kirchen dann immer mehr aufge- auch neue Leute hernehmen sollen? - Das ganze System war schaukelt. Für mich waren das auch große Initiatoren der Wende. so verstrickt. Mein Mann ging von einer Arbeit zur nächsten und Jede Woche waren dann mehr Menschen in der Kirche und als ich wurde da auch noch in meiner Arbeit denunziert. Bis wir dann mein Mann und ich dann im Nebenort auch wieder dort waren hat 1998 den Schritt gewagt haben, nach Nürnberg zu ziehen. Ich mich der Geist unter den Menschen in der Kirche überwältigt. Ich bin froh, dass ich dort 20 Jahre lang auch die andere Seite habe weiß nicht, ob andere Menschen das auch so wahrgenommen kennenlernen dürfen. haben, aber ich habe das so empfunden. Dieser lichtvolle Spirit, Nach all den Erfahrungen, die du gemacht hast, was bedeutet den wir dann mit nach draußen genommen haben, hat meiner für dich heute Freiheit? Meinung nach verhindert, dass es zu Handgreiflichkeiten gekom- Ich lebe nun seit fünf Jahren alleine und ich genieße es endlich, men ist. Denn dort waren natürlich auch bewaffnete Spitzel ein- meine eigenen Entscheidungen zu treffen und mit meinem Inne- geschleust. Diese andere Ebene von Protest hat auch geholfen, ren im Einklang zu sein. Für mich ist Freiheit, wenn das Innen wie dass der Mauerfall so friedlich war. Außen passt. Nach der Wende dachten wir dann alle: Jetzt machen wir ein *der Name wurde von der Redaktion geändert neues Land. Aber es war leider nicht so. Von einem Jahr zum Fenia Julie Salm 13
Die Freiheit im Kleinen – Campingreisen in der DDR Bild aus Privatbesitz Wilhelm Tietböhl Masken-Pflicht, Ausgangssperre, Kontaktbeschränkungen: – aufgrund erhöhter Fluchtgefahr sind diese Ziele jedoch nur mit Während der Coronapandemie haben wir uns an beschrän- staatlicher Erlaubnis bereisbar. kende Bestimmungen gewöhnt oder sie viel eher, mit dem Gedanken des Infektionsschutzes, geduldet. In Ostdeutsch- FDGB – Ferienheime für alle land mussten die Menschen, zwischen 1949 und 1990, mit Der FDGB betreibt Ferienheime auf dem Staatsgebiet, und das weit größeren Beschränkungen leben, die sich durch prak- bereits seit 1947. Zuerst nutzen nur einige Tausend das Ange- tisch alle Lebensbereiche, wie Freizeit, Arbeit und Alltag, zo- bot, später sind es über 5 Millionen Reisende jedes Jahr. Knapp gen. 700 von diesen staatlich betriebenen Gewerkschaftsheimen gab Kaum zwei Begriffe stehen daher scheinbar so im Wider- es. Günstig, also mit geringer Eigenbeteiligung war fast allen spruch, wie Freiheit und DDR. Dass es jedoch immer wieder Bürger*innen hier die Möglichkeit zum Verbringen des Urlaubs „Freiheiten im Kleinen“ gab, die sich um die Vorgaben von gegeben – mit allen Folgen, die so eine Massenabfertigung eben Partei und Regierung herum entfalteten, zeigt sich am Bei- mit sich brachte, sozialistisches Rahmenprogramm und Essen im spiel des Urlaubsverhaltens von DDR-Bürger*innen. Schichtbetrieb inklusive. In der DDR herrschte über ihr gesamtes Bestehen hinweg keine Weniger Überwachung und Propaganda – Zelten, der Urlaub Freizügigkeit, man durfte sich also nicht frei in der Welt bewe- des kleinen Mannes gen. Trotzdem waren die Bürgerinnen und Bürger wahre Reise- Während viele Bürger*innen das Angebot zum Urlaub in den weltmeister – und reisten sogar, gemessen an Urlaubsfahrten und staatlichen Ferienheimen des FDGB gerne nutzten, setzte sich Bevölkerungszahlen, mehr als ihre Nachbarn in Westdeutschland. seit Anfang der 60er Jahre vor allem eine Form des Urlaubs durch: Das Zelten. In den Hochzeiten verbringen rund 5 Millionen Recht auf Urlaub - Den Grundstein legt der Sozialismus Bürger*innen pro Jahr, das sind fast ein Drittel der Gesamtbevöl- „Wer gut erholt ist, arbeitet besser“, so oder so ähnlich dürfte das kerung, ihren Urlaub auf den staatlichen Zeltplätzen. Zelten be- Motto der Autor*innen der Verfassung beim Thema Urlaub gelau- deutete Zeit abseits des Kollektivs, Selbstbestimmung im Rahmen tet haben. Seit 1949 war das Recht auf Urlaub in der Verfassung der Möglichkeiten – wenn auch nur für die Dauer von ein paar Wo- der DDR verankert: Immerhin will der Staat kräftige und tüchtige chen. Auf der Suche nach weniger Kontrolle, Überwachung und Arbeiter*innen herausbilden, so das oberste Ziel. Also ist Reisen „Urlaub vom Staat“ zieht es viele auf etwa 500 Campingplätze. nicht Privatsache, sondern sorgfältig geregelt: Staatliche Betriebe Zwar regelte auch hier die Platzzuweisung eine zentrale Vergabe- oder der Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbun- stelle - man war also immer noch vom Wohlwollen der staatlichen des, kurz FDGB, machen es möglich. Sie leiten im Staatsgebiet Behörden abhängig – doch die Vorteile überwogen für viele, zu- knapp 700 Einrichtungen und Ferienheime, deren freie Urlaubs- mal die Zeltplatzmiete sehr günstig war. plätze die Nachfrage nicht befriedigen können. Zusätzlich gab es ein Recht auf sogenannte Auszeichnungsrei- Mit dem Fall der Mauer ein neues Gefühl: Keine Grenzen der sen: Wer sich um seinen Betrieb, den Staat oder den Sozialismus Reisefreiheit besonders verdient machte, hatte Anspruch auf Sonderreisen. Zu Die Unzufriedenheit über den so begrenzten Reisehorizont gip- diesen Sonderreisen zählten etwa Kreuzfahrten und Urlaube in felte nicht zuletzt in den Protesten im Herbst 1989, die schließ- Luxushotels im In- und Ausland. lich zum Fall der Berliner Mauer führten. In den Tagen nach dem neunten November stehen die Menschen Schlange für den Stem- Wohin die Reise gehen darf pel im Reisepass, der eine Ausreise ermöglicht. In der DDR herrschte keine Freizügigkeit, der Reisehorizont war Zu lange hatten die Menschen sich mit den „kleinen Freiheiten“, daher mehr als eingeschränkt und nur sehr schwer auszudehnen. dem „kleinen Camping-Glück“ begnügt, der Fall der Mauer bringt Trotzdem brachen jedes Jahr Millionen von DDR-Bürger*innen zu für viele ein neues Lebensgefühl der vollkommenen Reisefreiheit. Urlauben auf. Im Inland sind etwa das Mittelgebirge und die Ost- Wen wundert es da, dass das Wort „Reisefreiheit“ zum Wort des see beliebte Reiseziele. Das Ausland wiederum lockte mit Orten Jahres 1989 gewählt wurde. in sozialistischen Bruderländern, wie dem Schwarzen Meer in Bul- Annika Zinkler garien, der Krim in der Sowjetunion oder dem Balaton in Ungarn 14
Soziales Projekt Nach dem Umzug kehrt bei der Tafel Routine ein. Seit August 2020 ist die Tafel Regensburg in ihren neuen gen müssen, vielen fällt das nicht leicht.“ Vor allem erlebe sie Räumen in der Abensstraße in der Nähe des Donauein- immer wieder Senioren, deren Rente gering ausfällt und denen kaufszentrums zu finden. Zeit für eine erste Bilanz. das unangenehm ist. „Wir versuchen das für die Menschen so angenehm wie möglich zu gestalten“, sagt Gansbühler. „Nie- Regensburg – Geduldig warten die Menschen in einer mand muss sich dafür schämen.“ Pro Lebensmittel-Tüte ver- Schlange vor der Ausgabestelle der Tafel auf ihre Lebensmittel- langt die Tafel von ihren Kunden zwei Euro. Diesen symboli- Tüte. Immer wieder kontrolliert ein Helfer des Vereins Corona- schen Betrag zu bezahlen, sei für viele Kunden wichtig für das bedingt die Abstände zueinander. Rund 150 Personen kommen Selbstwertgefühl. Nötig ist ein Berechtigungsschein, der nach pro Ausgabetag zu der Einrichtung, um für sich und ihre Fami- Prüfung der finanziellen Situation von Mitarbeitern der Tafel lien Lebensmittel abzuholen, Tendenz steigend. „Die letzten ein- ausgestellt wird. einhalb Jahre waren anstrengend für uns“, sagt die Vorstands- vorsitzende der Tafel Regensburg e.V. Christine Gansbühler. 2019 und im vergangenen Jahr mussten die rund 80 Ehren- „Das hat uns an unsere Grenzen gebracht.“ Sie meint damit die amtlichen monatelang um ihre Einrichtung bangen, weil ihnen frühere räumliche Situation in der alten Ausgabestelle der Ein- ihre bisherigen Räume in der Liebigstraße gekündigt worden richtung, aber auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie waren und sich keine neue Bleibe für den Verein samt seiner auf die Arbeit der Tafel. Infrastruktur finden ließ. „Gefühlt haben wir uns in Regensburg jedes Loch angeschaut“, sagt Gansbühler. Viele hätten jedoch Seit sechs Jahren steht Christine Gansbühler dem Verein vor. die Tafel als Mieter abgelehnt. „Sie wollten unsere Kunden nicht Noch länger ist sie als Helferin dabei und musste anfänglich vor ihrer Haustüre haben“, glaubt Gansbühler. „Sie verschlie- sogar selbst die Leistungen der Tafel in Anspruch nehmen. ßen lieber die Augen davor, dass es auch bei uns Menschen Als die Drogeriekette Schlecker 2012 Pleite ging, war auch gibt, die wenig Geld haben.“ Die Zeit eilte voran und lange war sie von Arbeitslosigkeit betroffen und wusste nicht, wie sie ihre keine Lösung in Sicht. Belastend war zudem beständiger Ärger beiden Kinder versorgen sollte. „Ich war froh, dass es die Tafel mit Anwohnern. Erst durch das Engagement des Bundestags- gab“, betont sie. „Ich kann gut nachvollziehen, wie es unse- abgeordneten Peter Aumer (CSU) gelang es, für die Tafel einen ren Kunden geht, wenn sie bei uns um Lebensmittel nachfra- neuen Standort zu finden. „Wir sind ihm und allen, die gehol- 15
Sie können auch lesen