Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA

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Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA
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       Das SADOCC-Magazin für das Südliche Afrika         107/20

       Z I M B A B W E

       Widerstand
       gegen Repression
       S Ü D LI C H E S                A F R I K A

       Die Corona-Krise(n)
       E U R O PA             –    A F R I K A

       Robert Kappel
       im Interview
       A PA R T H E I D - S Ü DA F R I K A

       Spannender Gefängnisthriller
Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA
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                             SADOCC
           Das Dokumentations- und Kooperationszentrum
           Südliches Afrika in Wien setzt sich für eine solidarische
           Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik gegenüber
           den Ländern des Südlichen Afrika ein.

           SADOCC
           »   Dokumentation und Bibliothek in
                                                                              Elfriede Pekny-Gesellschaft
               1040 Wien, Favoritenstraße 38/18/1
               (Öffnungszeiten: Dienstag 14.00-18.00)
                                                                              Die Elfriede Pekny-Gesellschaft zur Förderung
               Tel. 01/505 44 84
               Fax 01/505 44 84-7
                                                                              von Southern African Studies in Österreich
               www.sadocc.at                                                  (benannt nach der Ende 2004 verstorbenen
           »   das quartalsweise erscheinende Magazin INDABA                  SADOCC-Generalsekretärin) ist der
           »   monatliche Veranstaltungen: »Forum Südliches Afrika«           wissenschaftliche Arm von SADOCC.
           »   Stadtspaziergänge »Afrikanisches Wien«                         Letzte Buchveröffentlichung: k.u.k. in Ostafrika
           »   Projekt Jugendzentrum in Soweto                                (Franz Kotrba). Aktuelle Projekte: Tiroler
           »   Nelson Mandela-Tag jeden 18. Juli                              Missionshelfer in Rhodesien (Andrea
                                                                              Sommerauer); 100 Jahre afrikanische Präsenz
           Interessierte Einzelpersonen und Institutionen können              in Wien (Vanessa Spanbauer, Simon Loidl).
           SADOCC durch ihren Beitritt als unterstützende Mitglieder
           fördern. In der Mitgliedsgebühr von jährlich EUR 30,–              Wir ersuchen um Spenden – diese können
           (für Institutionen EUR 50,–) sind sämtliche Aussendungen           laut Bescheid des zuständigen Finanzamtes
           und Einladungen enthalten.                                         von der Steuer abgesetzt werden.
           Das Abonnement von INDABA kostet EUR 18,–.
                                                                              Kto. Nr. 507 860 22463, BLZ 12000,
           Abos, Mitgliedsbeiträge und Spenden bitte auf unser                IBAN AT21 1200 0507 8602 2463,
           Konto bei der BA-CA, IBAN AT57 1200 0006 1051 2006,                BIC BKAUATWW
           BIC BKAUATWW.

                                                  107 Ausgaben INDABA.
                                                  Weiterhin bieten wir alte Ausgaben zu einem Sonderpreis von 1 Euro pro Stück an.
                                                  Wenn Sie also Ihre Sammlung vervollständigen oder sich gar eine vollständige
                                                  Kollektion der Ausgaben 1 bis 107 zulegen wollen, wenden Sie sich bitte
                                                  an unser Büro: sekretariat@sadocc.at

                                                  Das Angebot gilt je nach Verfügbarkeit und gegen Vorauszahlung der jeweiligen
                                                  Summe (plus Porto, außer bei Selbstabholung) auf unser Konto bei der BA-CA,
                                                  IBAN: AT57 1200 0006 1051 2006, lautend auf SADOCC.
Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA
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        ...................                                                                                                                INHALT

                                                                             3              Repression in Zimbabwe
                                                                                            Während sich alles auf die Pandemie konzentriert,
                                                                                            eskaliert der Machtkampf an der Spitze, Proteste
                                                                                            werden brutal unterdrückt. Von Panashe Chigumadzi

                                  Protestmarsch in Harare                     4

                                                                             9              Schluß mit den EPAs
                                                                                            Robert Kappel fordert im Interview einen
                                                                                            Neustart der Beziehungen zwischen Afrika
                                                                                            und der Europäischen Union

                                                                            12              Afrika zwischen Krisenimage
                                                                                            und Desinteresse
                                                                                            Martin Sturmer über die mediale Berichterstattung
                                                                                            zu Corona, plus Update zu sechs SADC-Ländern
                    Demokratischer Coup in Malawi                            18

                                                                            22              Escape from Pretoria
                                                                                            Ein spannender Film über ein spektakuläres
                                                                                            Event 1979. Von Simon Loidl

                  DDR, Kuba und der Südliche Afrika                          25

         IMPRESSUM: Herausgeber und Medieninhaber (Verleger): Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika (1040 Wien,
         Favoritenstraße 38/18/1). E-Mail: office@sadocc.at. URL: www.sadocc.at. Druck: Medienfabrik Wien. Papier: Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem
         Papier. Art Direction: Sander Design (1060 Wien). Layout: Dechant Grafische Arbeiten. Titelfoto: Solidaritätskundgebung für Zimbabwe in
         Kapstadt. Mitarbeiter/innen dieser Ausgabe: Bernhard Bouzek, Eric Burton, Panashe Chigumadzi, Helena Hornung, Adalbert Krims,
         Simon Loidl, Fadzayi Mahere, Lennart Oestergaard (FES), Richard Rooney (SAK Swazi Newsletter), Manfred Sauer, Walter Sauer, Daniel
         Stögerer, Martin Sturmer, Hemma Tengler. Fotos: Birgit Reiter, Robert Kappel, SADOCC, Signature Entertainment, Marcel Singhal, www.
         Redaktionsschluß dieser Ausgabe: 15. September 2020. Konto: BACA, IBAN AT 571200 0006 1051 2006, BIC BAWAATWW.
         Dem Beirat von SADOCC gehören an: Reginald Austin, Harare/London; Johann Gattringer; Ingeborg Grau; Helmuth Hartmeyer; Peter
         Jankowitsch; Peter Katjavivi, Windhoek; Horst Kleinschmidt, Kapstadt; Adalbert Krims; Shula Marks, London; Kirsten Rüther; Godwin Schuster.

       INDABA 107/20                                                                                                                                    1
Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA
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             EDITORIAL           ..................

                      Liebe Leserinnen und Leser!
                     Eines unserer Projekte, die Corona-bedingt stark in Mitleidenschaft gezogen wurden,
                 war die Jubiläumsausstellung zum 30. Jahrestag der Unabhängigkeit Namibias. Alles war
                 bereit, die Eröffnung für den 19. März geplant – und dann kamen die Beschränkungen und
                 der Lockdown. Umso mehr freuen wir uns, daß die Eröffnung nun wenigstens verzögert am
                 8. Oktober erfolgen kann. Ich möchte mich hier bei den Ge-
                 stalter/inne/n der kleinen, aber feinen Schau herzlich bedanken:
                 Elisabeth Friedel, auf deren Fotos und Leihgaben die Ausstel-
                 lung aufbaut, sowie Hans Döller und Theresa Fellinger für
                 Organisation und Gestaltung, und nicht zuletzt unserem
                 Kooperationspartner, dem International Institute for Peace und
                 seiner Direktorin Stephanie Fenkart.
                     Auch wenn die Zahl der Anwesenden bei der Eröffnung
                 selbst auf 30 Personen beschränkt ist, laden wir Sie herzlich
                 zur virtuellen Teilnahme per Internet bzw. zum Besuch der Aus-
                 stellung ein, die bis Ende November während der Bürozeiten
                           des IIP zugänglich sein wird (Details S. 28).          Unabhängigkeitsfeier im Stadion von Windhoek
                               Corona ist für das Südliche Afrika weiterhin ein
              Indaba       wichtiges Thema – allerdings nicht das einzige. Daher haben wir in diesem Heft be-
                           wußt die politische Entwicklung in Zimbabwe als Schwerpunkt gewählt. Die Pandemie
                heißt wird nicht nur die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Region ver-
            Neuigkeit ändern, sondern auch die politischen – in welche Richtung, bleibt abzuwarten.
                oder           Mehr denn je ist neben der Informationsfunktion von INDABA auch konkrete
                           Unterstützung gefragt, vor allem Unterstützung von konkreten Eigeninitiativen vor
            Gespräch
                           Ort (daß Afrika die Probleme habe und Europa die Lösung, wie Robert Kappel im
                           Interview so schön sagt, davon sollte man sich endgültig verabschieden). Daher
                 laden wir Sie noch einmal ein, die Civic Organisation von Masiphumelele in Kapstadt zu
                 unterstützen (S. 27f.). Wir werden in den kommenden Wochen aber auch die neue Grund-
                 einkommenskampagne in Namibia und die Anti-Korruptionsfront in Südafrika verstärkt ver-
                 folgen und Möglichkeiten der Kooperation ausloten.
                     Nach dem Systemwandel in Südafrika 1994 haben sich viele gefragt, ob Solidaritäts-
                 initiativen in Österreich bzw. Europa überhaupt noch notwendig wären – jetzt wissen sie
                 (Sie) es!

                                                                                         Walter Sauer

             2                                                                                               107/20 INDABA
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       Machtkampf, Pandemie und Repression

       Verschlimmerung der
       Situation in Zimbabwe
       Gerüchten zufolge bildete der anhaltende Machtkampf zwischen Präsident
       Emmerson Mnangagwa und seinem Stellvertreter Constantino Chiwenga
       den Hintergrund für die brutalen Polizeiaktionen rund um den 31. Juli.
       Davon abgesehen benützt das Regime die Corona-Pandemie, um Proteste
       der Bevölkerung im Keim zu ersticken. Von Panashe Chigumadzi.

       a     m 20. Juli verhaftete die Polizei eine Zunahme der Pandemie in man-
             in Harare den Journalisten chen Ländern bejaht oder zumindest
       Hopewell Chin'ono. Der prominente toleriert werden. In Zimbabwe aber ist
       Investigativreporter hatte im Juni einen sie zutiefst besorgniserregend. Denn
       60-Millionen-Dollar-Korruptionsskan- seit der Einführung der Notstands-
       dal aufgedeckt. Gleichzeitig nahmen bestimmungen im März hat die regie-
       sie auch Jacob Ngarivhume fest, rende ZANU PF-Partei COVID-19 als
       den Vorsitzenden von                                   bequeme Deckung ver-
       Transform Zimbabwe, ei-                                wendet, um das Budget
       ner politischen Organisa-                              zu plündern, die Presse-
       tion, die für den 31. Juli ei-
                                          Notstand            freiheit einzuschränken,
       nen nationalen Protest          als Ausrede Menschenrechte zu ver-
       gegen Korruption vorberei-        für Willkür letzen und Aktivist/inn/en
       tete. Beide Männer wer-                                zu verhaften. Am besorg-
       den beschuldigt, zu öffent-                            niserregendsten ist viel-
       licher Gewalt angestiftet zu haben.      leicht, daß der Lockdown genutzt
                                                                                          Panashe Chigumadzi
           Am Vorabend der Gerichtsan- wurde, um stillschweigend die Verfas-
       hörung von Chin'ono und Ngarivhume sung zu ändern und die Befugnisse
       am 22. Juli ordnete Präsident Emmer- der Exekutive ohne Mitsprache der             der Coronavirus Zimbabwe erreichte,
       son Mnangagwa eine landesweite Öffentlichkeit zu konsolidieren.                    war davon keine Rede mehr, aber die
       Ausgangssperre von der Dämmerung                                                   Pandemie hat die Sache noch schlim-
       bis zum Morgengrauen an sowie ein
       Verbot großer Versammlungen. An-            Lange ist es her, daß Mnangagwa
                                                    nach dem Sturz Robert Mugabes
       geblich geschah das als Reaktion auf im November 2017 das Versprechen
                                                                                          mer gemacht.
                                                                                             Chin'ono ist der letzte von sechs
                                                                                          Journalisten, die seit März in Zim-
       einen jüngsten Anstieg der COVID- abgab, eine »neue Ordnung« zu schaf-             babwe festgenommen wurden. Im Juni
       19-Fälle.                                fen, die wirtschaftliche Wiederbele-      hatte er eine Reihe von Facebook-
           Vielleicht könnte eine Verschärfung bung und demokratische Reformen            Postings veröffentlicht, in denen an-
       von Beschränkungen als Reaktion auf garantieren sollte. Schon lange bevor          gebliche Verbindungen zwischen dem

       INDABA 107/20                                                                                                          3
Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA
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             SCHWERPUNKT                 .................
             Sohn des Präsidenten, Collins Mnan-
             gagwa, und Drax International, einem
             in den Vereinigten Arabischen Emira-
             ten ansässigen Unternehmen, be-

                                                                        Harare: Dichter
             schrieben wurden, das einen Auftrag
             über 60 Millionen US-Dollar für die
             Lieferung von COVID-19-Testkits und
             medizinischen Geräten erhielt. Kurz
             nach der Veröffentlichung der Infor-         Fadzayi Mahere, Anwältin und Parlamentsabgeordnete der Oppo-
             mationen sagte Chin'ono, daß er um           sitionspartei MDC, nahm am 31. Juli an einem Protestmarsch in
             sein Leben fürchtete.                        Harare teil. Hier ihr Bericht.
                 Chin'onos Enthüllungen führten zur
             Kündigung des Vertrags sowie zur                 Sieben von uns entschlossen sich zu einem friedlichen Protest in
             Verhaftung und schließlich Entlassung        der Nachbarschaft. Wir erfüllten alle Vorsichtsmaßnahmen, trugen
             von Gesundheitsminister Obadiah              Gesichtsmasken und bewegten uns innerhalb des erlaubten Radius.
             Moyo. Er war der zweite in Mnangag-          Wir hatten Desinfektionsmittel mit. Wir respektierten social distancing.
             was Kabinett, der wegen Korruptions-         Unsere Aktion war friedlich. Wir hatten Plakate mit der Aufschrift
             vorwürfen festgenommen wurde. Für            »No Violence«, »Babies’ Lives Matter«, »Covid Kills, so does cor-
             den 31. Juli, den Tag seines ersten          ruption«, »Free Zimbabwe« usw. Es war ein herrlich sonniger Tag
             Gerichtsauftritts, organisierten die         mit blauem Himmel, aber die Luft war dick und bedrohlich. Die
             Opposition, Gewerkschaften und               Polizei hatte alle Zufahrtsstraßen zum zentralen Geschäftsviertel
             Organisationen der Zivilgesellschaft         verbarrikadiert.
             Proteste gegen Korruption und die                Kurz nachdem wir das Haus verlassen hatten, stand ein Fahrzeug
             sich verschärfende Wirtschaftskrise.         ohne Nummernschild da. Es folgte uns, und sie machten Fotos. Wir
             Ein Wendepunkt für Zimbabwe?                 gingen weiter. Mut bedeutet nicht, daß du hast keine Angst hast.
                                                          Mut bedeutet, daß man sich seinen Ängsten stellt und trotzdem han-

             i n verschiedener Hinsicht ist dies
               eine Zeit großer Spannungen. Wirt-
             schaftlich befindet sich das Land in
                                                          delt. Welche Art von Gesellschaft kriminalisiert ein Plakat mit der
                                                          Aufschrift »Rettet die Babies«? Nur eine Woche zuvor waren sieben
                                                          von acht Neugeborenen im Harare Hospital gestorben, weil Kran-
             einer Krise. Die Inflationsrate liegt der-   kenschwestern und Ärzte gegen ihre bedauernswerten Arbeits-
             zeit bei über 750%, was Erinnerungen         bedingungen streikten. Diese Babies kamen aufgrund unseres
             an die späten 2000er Jahre weckt, als        gescheiterten Gesundheitssystems ums Leben.
             die Hyperinflation die Ersparnisse aus-          Wir gingen weiter. Die Leute starrten uns an vor Schock. Als wir
             löschte und Zimbabwe schließlich             an einem Blumenmarkt vorbeikamen, hörten alle auf zu reden. Einige
             zwang, seine Währung zugunsten des           schauten zur Seite. Man konnte wie mit einem Messer durch den
             US-Dollars aufzugeben. Die Frustra-          dichten Nebel der Angst schneiden. Anfang der Woche hatte der
             tionen über das Management des Ge-           Staat Drohungen ausgesprochen. Jeder, der es wagen würde, am
             sundheitssektors durch die Regierung         31. Juli an einem Protest teilzunehmen, würde streng behandelt
             nehmen ebenfalls zu. Nur Tage nach           werden. Für mich ist die Verfassung oberste Priorität. Sie garantiert
             dem ersten COVID-19-Tod im März              das Recht auf friedlichen Protest. Wie kann die Regierung das igno-
             legten Ärzte und Krankenschwestern           rieren? Warum ist der Staat im Krieg mit seinen Bürgern, die friedlich
             wegen mangelnder persönlicher                ein besseres Leben fordern? Was ist Freiheit, wenn man nicht fragen,
             Schutzausrüstung ihre Arbeit nieder.         sprechen oder handeln darf?
             Am 6. Juli veranstalteten die Kranken-           Wir gingen weiter eine Hauptstraße hinauf, friedlich und mit
             schwestern weitere Proteste, um ihre         Abstand. Wir waren uns bewußt, daß wir von einem Auto mit Men-
             Gehaltszahlungen in US-Dollar zu for-        schen in Zivil verfolgt wurden. Wir gingen in ein Einkaufszentrum.
             dern. Dreizehn von ihnen wurden un-
             ter dem Vorwand festgenommen, ge-
             gen die Ausgangssperre verstoßen zu

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                                                                                 haben. Aus demselben Grund wurden
                                                                                 auch viele andere verhaftet, die gegen
                                                                                 die COVID-19-Politik der Regierung
                                                                                 sowie die Entscheidung der ZANU

         Nebel der Angst
                                                                                 PF, die Verfassung zu ändern, zu pro-
                                                                                 testieren. Nun hat der Präsident
                                                                                 zusätzlich Vollmachten erhalten.
                                                                                 Als die Aktivistinnen
         Aus der Ferne beobachteten wir, wie unsere Verfolger Uniformen          Namatai Kwekweza und
         anzogen. Kurz darauf überflutete Bereitschaftspolizei das Einkaufs-     Vongai Zimudzi versuch-
         zentrum, bewaffnet mit Gewehren. Wir blieben sitzen, bis sie an-        ten, eine Petition an Verfassung
         fingen, uns zu ergreifen. »Anstiftung zu öffentlicher Gewalt!« schrie   Justizminister Ziyambi          neuerlich
         ein Offizier.                                                           Ziyambi zu übergeben, in
             Alle sieben wurden wir auf der Ladefläche eines Polizeiwagens       der sie auf die mangelnde
                                                                                                                 geändert
         verstaut. Wir fuhren durch den bedrohlich stillen Central Business      öffentliche Konsultation
         District bis zur Polizeistation in Harare Central.                      zu den Verfassungsänderungen hin-
             Inkompetenz und Durcheinander bei den Verhören, die Polizisten      wiesen, wurden auch sie der An-
         hatten nicht einmal ein Strafgesetzbuch. Wir waren froh, daß wir        stiftung zu öffentlicher Gewalt
         unsere Anwälte angerufen hatten. Wir trafen Tsitsi Dangarembwa,         beschuldigt. Kwekweza wurde am
         Julie Barnes und andere, die ebenfalls friedlich protestiert hatten     15. Juli zum zweiten Mal festgenom-
         und verhaftet worden waren. Später sahen wir in den Zellen Terrence     men, nachdem sie ihre Ablehnung der
         und Loveridge, sie waren entführt, geschlagen und gefoltert worden.     Regierungsmaßnahmen kundgetan
         Sie hatten blutende Kopfverletzungen und waren benommen. Ihre           hatte.
         Kleidung war schmutzig. Man hatte ihnen die Augen verbunden und             Seit März wurden in Zimbabwe
         ihnen gesagt, man wäre am Lake Chivero, sie würden jetzt den            laut BBC insgesamt mehr als hun-
         Krokodilen gefüttert.                                                   derttausend Menschen wegen angeb-
             Als die Nacht hereinbrach, wurden wir nach oben in unsere Zellen    licher Verstöße gegen die Ausgangs-
         gebracht. Es gab kein Wasser, nur eine überlaufende Grubenlatrine.      sperre festgenommen. Viele von ihnen
         Überall waren Urinpfützen. Es gab kein Desinfektionsmittel und keine    gerieten ins Visier der Polizei, nach-
         Seife. Es gab einen Stapel schmutziger Decken, die wir gar nicht        dem sie sich Protesten angeschlos-
         benutzen wollten. Schließlich nahmen wir sie und kauerten uns an-       sen hatten. Der ungeheuerlichste Fall
         einander. Die Kälte strömte durch unsere Adern.                         ereignete sich im Juni, als drei Frauen
             Nach einem gefühlten Jahrtausend kam der Morgen. Weitere            – die Oppositionsabgeordnete Joana
         Ineffizienz, Verwirrung und Langsamkeit. Erst zu Mittag wurden wir      Mamombe zusammen mit den Aktivi-
         gegen Kaution freigelassen und mußten unsere Pässe abgeben.             stinnen Cecilia Chimbiri und Netsai
             Was ist das für eine Gesellschaft, in der die Menschen nicht in     Marova – nach einer Demonstration
         Freiheit leben könnten? Mein Anspruch ist, daß wir in einer Nation      entführt wurden. Fast 48 Stunden
         leben, in der es Freiheit gibt, Fairness und Chancen für alle. Die      später wurden sie auf einem Markt-
         Reise dorthin wird lang und oft mühsam. Wir dürfen jedoch niemals       platz aufgefunden und mußten wegen
         aufhören zu kämpfen, um Zimbabwe für Veränderungen zu gewinnen.         Verletzungen im Krankenhaus behan-
         Ich werde nie aufhören mir vorzustellen, daß Zimbabwe besser sein       delt werden. Es kursierten schockie-
         kann als jetzt. Retten wir die Babies – die ungeborenen, die eine       rende Videos der traumatisierten
         bessere Zukunft verdienen als sie die krisengeschüttelte Nation von     Frauen, die beschreiben, wie sie von
         heute bieten kann.                                                      unbekannten Männern aus der Stadt
             #FreeZimbabwe #FreeHopewell                                         gebracht, geschlagen und sexuell miß-
             #FreeJacob #FreeSimon                                               braucht wurden. Aber anstatt ihren
                                                                                 Behauptungen nachzugehen, wurden
                                                                                 sie wegen eines »gefälschten Entfüh-
                                                                                 rungsberichts« verhaftet.

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             SCHWERPUNKT               .................
                 Die Verhaftungen von Chin'ono            Dies veranlaßte
             und Ngarivhume wurden weltweit ver-       die Chefs des Si-
             urteilt. Aber die Regierung bleibt un-    cherheitsapparats,
             beeindruckt, und der Sprecher von         vor Insubordination
             ZANU PF, Patrick Chinamasa, warnt:        zu warnen. In einer
             »Wir bleiben wachsam gegenüber            Erklärung sagte der
             den Machenschaften des Feindes,           stellvertretende
             die in den letzten Wochen intensiviert    Polizeikommissar,
             wurden. Die ZANU PF schläft mit           Paul Nyathi: »Wir
             einem offenen Auge.«                      haben die jüngsten
                                                       Social-Media-Bei-

             W        ieder einmal hat die zim- träge mit Besorgnis
                      babwe‘sche Regierung nicht zur Kenntnis ge-
             erkannt, daß die größte Bedrohung, nommen, in denen
             der sie ausgesetzt ist, von ihr selbst die Mitglieder auf-
             ausgeht – durch fortgesetzte Plün- gefordert wurden,
             derungen der Staatskassa, wirtschaft- rechtmäßige Anwei-
             liches Mißmanagement und Unter- sungen, Befehle
             drückung. Sie sollte sich lieber auf die und Anweisungen
             Hyperinflation konzentrieren, die ihrer Kommandeure
                                                                            Weibliche Bereitschaftspolizei im Einsatz gegen Demonstrantinnen
             Grundnahrungsmittel für die meisten während der Aus-
             Zimbabwer/innen unerschwinglich ge- übung ihres Dienstes zu mißachten.«
             macht hat. Viele müssen jetzt wertvolle Er forderte die Beamten auf, Versuche Opposition kann nicht atmen und nor-
             Habseligkeiten verkaufen und sich zur »Spaltung der Sicherheitsdienste« male Bürger können nicht atmen. Und
             tiefer verschulden, nur um essen zu zu ignorieren.                                    am besorgniserregendsten für die Re-
             können. Im schlimmsten Fall müssen           Die Regierung nach Mugabe gierung ist es vielleicht, daß selbst
             viele Zimbabwer einfach darauf ver- nutzte die Pandemie, um die demo- ihre eigenen Sicherheitskräfte nicht
             zichten. Zimbabwe war schon vor kratischen Freiheiten und Reformen, atmen können, wenn sie eingesetzt
             Corona mit Wirtschafts- und Hunger- die sie bei der Machtübernahme ver- werden, um die Luft ihrer Mitbürger
             krisen konfrontiert, von denen Hun- sprochen hatte, weiter zu untergraben. zu unterdrücken.
             derttausende Menschen in städti- Genauso wie – oder vielleicht sogar
             schen und ländlichen Gebieten noch schlimmer als die Regierung sei-
             betroffen waren.                          nes Vorgängers – ist Mnangagwas Panashe Chigumadzi ist Schriftstellerin,
                 Die von der ZANU PF                            »neue Ordnung« in Bezug geboren in Zimbabwe und aufgewachsen in
             selbst verursachte Krise                           auf Wirtschaft und Soziales Südafrika. Ihr Debütroman »Sweet Medicine«
             wird durch die Tatsache                            korrupt und ahnungslos, (Blackbird Books, 2015) wurde 2016 mit dem
             verschärft, daß die Basis,          Ist die        aber äußerst einfallsreich, K. Sello Duiker Literary Award ausgezeichnet.
             auf die sie sich stützt – Polizei noch wenn es darum geht, Dis- Ihr zweites Buch, »These Bones Will Rise
             Militär, Polizei und die        verläßlich? sens zu unterdrücken und Again«, eine Reflexion über Robert Mugabes
             Central Intelligence Or-                           die Staatskassen zu plün- Sturz, wurde im Juni 2018 von Indigo
             ganization (CIO) – unter                           dern. Unter dem Gewicht Press veröffentlicht. Ihr Beitrag (hier
             der gleichen wirtschaftlichen Bela- des immer repressiveren Stiefels von redaktionell bearbeitet und gekürzt) wurde in
             stung leidet wie ihre Mitbürger/innen. ZANU PF können Journalisten nicht African Arguments vom 30. Juli veröffentlicht
             Daher forderten die Organisatoren der atmen, Aktivisten können nicht atmen, (https://africanarguments.org/2020/07/30/
             Proteste auch die Angehörigen des Anwälte können nicht atmen, Kranken- in-zimbabwe-no-one-can-breathe/).
             Militärs, der Polizei, der Luftwaffe und schwestern können nicht atmen,
             des Gefängnisdienstes auf, am 31. Lehrer können nicht atmen, Gewerk- Jacob Ngarivhume von Transform Zimbabwe
             Juli ihre Befehle zu mißachten.           schafter können nicht atmen, die wurde Anfang September freigelassen.

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       …        spektrum                  …                                                       Neustart der BIG-Kampagne in
                                                                                              Namibia. Die namibische Zivilge-
                                                                                              sellschaft hat mit einer live übertrage-
                                                                                              nen Internet-Veranstaltung am 8. Sep-
           Anti-Korruptionsfront in Süd-                                                      tember ihre Kampagne zur Durch-
       afrika? In einer virtuellen Veranstal-                                                 setzung eines Grundeinkommens
       tung am 13. August riefen der South                                                    wiederaufgenommen. Damit sollen die
       African Council of Churches (SACC),                                                    schweren sozialen Folgen der Corona-
       die Ahmed Kathrada Foundation und                                                      Pandemie zumindest teilweise abge-
       andere politische Stiftungen zur Grün-                                                 federt werden.
       dung einer breiten Anti-Korruptions-                                                       Wie berichtet, stand vor etwa zehn
       kampagne nach dem Vorbild der sei-                                                     Jahren die Einführung eines Basic
       nerzeitigen United Democratic Front                                                    Income Grant unmittelbar bevor, wurde
                                                   Thuli Madonsela
       auf, die in den 1980er Jahren gegen                                                    aufgrund von Interventionen aus der
       die Apartheid-Diktatur gekämpft hatte.                                                 BRD jedoch in letzter Minute abge-
       Der verabschiedete Aktionsplan              weit es die Corona-Beschränkungen          blasen und ist seither auf Eis gelegt
       #StopC19Corruption wurde mittler-           erlauben – an Fahrt gewinnen soll,         (INDABA 105/20). Die neue Aktion
       weile von zahlreichen NGOs an-              übt nicht zuletzt Druck auf Präsident      zielt auf eine Ausweitung des Beihilfen-
       genommen.                                   Cyril Ramaphosa aus und stellt somit       wesens in Richtung allgemeines
           Ausgangspunkt der Initiative, die       eine neue Facette der südafrikani-         Mindestsicherungssystem (»govern-
       am 91. Geburtstag von Mandela-              schen Innenpolitik dar. Als Sieger         ment social protection scheme«) ab.
       Mitkämpfer Ahmed Kathrada startete,         beim ANC-Parteitag im Dezember             Sie wird von namibischen NGOs
       sind die zahlreichen Korruptionsskan-       2017 gegen die Frontfrau der pro-          getragen, darunter dem Legal Assi-
       dale im Zusammenhang mit dem                Zuma-Fraktion, Nkosazana Dlamini           stance Center und dem Labour
       Corona-Hilfsfonds der Regierung, in         Zuma, genoß Ramaphosa ja ursprüng-         Resource and Research Institute
       die    hochrangige       ANC-Politiker      lich das Vertrauen der Zivilgesellschaft   (LaRRI). Beide Gewerkschaftsdach-
       wie Generalsekretär Ace Magashule           (INDABA 97/18).                            verbände, NUNW und Tucna, sowie
       und Regierungsmitarbeiter/innen ver-            Allerdings verfügt er in den Füh-      der Namibische Kirchenrat unterstützen
       wickelt sein sollen. Thuli Madonsela,       rungsgremien des regierenden ANC           das Projekt. Die Kampagne wird vom
       früher Public Protector und nun Pro-        über keine tragfähige Mehrheit, was        Economic & Social Justice Trust ge-
       fessorin an der Universität Stellen-        sich insbesondere im mangelnden            tragen und von Rinaani Musutua koor-
       bosch (INDABA 93/17), rief die Zivil-       Durchgreifen gegen die unter Kor-          diniert. Wie die Organisator/inn/en bei
       gesellschaft dazu auf, ihre Kapazitäten     ruptionsverdacht stehenden Schwer-         der Auftaktveranstaltung erklärten, be-
       als »Watchdog« der Demokratie zu            gewichte der pro-Zuma-Gruppe               steht das Ziel darin, den von der Re-
       stärken und gegen Korruption auf-           äußert. Angesichts eines weitgehend        gierung gewährten Emergency Income
       zustehen. Präsident Ramaphosa               handlungsunfähigen und in Fraktions-       Grant von N$ 750 für drei Monate zu
       forderte sie dazu auf, sich in einem        kämpfe verwickelten ANC, einer             einem Mindestsicherungsystem aus-
       Treffen mit den NGOs zu solidarisie-        schwachen und (EEF) ebenfalls              zuweiten, unter dem alle Namibier/innen
       ren. Derek Hanekom, Vorstandsvorsit-        korrupten Opposition sowie der             zwischen dem 19. und dem 59.
       zender der Ahmed Kathrada Founda-           aktuellen Gesundheitskrise scheint         Lebensjahr eine Zahlung von N$ 500
       tion (INDABA 100/18), schloß sich           das Engagement von Nichtregie-             pro Person und Monat erhalten sollen.
       dem Appell an; ebenso wie 1983, als         rungsorganisationen, Kirchen und           Damit soll langfristig die extreme Armut
       sich die UDF formierte, um die Apart-       Gewerkschaften so wie in den               in Namibia reduziert werden.
       heid zu bekämpfen, bestünde heute           1980er-Jahren wichtig, um die Bevöl-           Der Relaunch der BIG-Kampagne
       eine ähnliche Notwendigkeit, gemein-        kerung gegen ein weiteres Abrut-           wird von der Österreichischen Nami-
       sam Korruption auszurotten.                 schen Südafrikas in Kleptokratie und       bia-Gesellschaft und vom Österreichi-
           Die Kampagne, die in den kom-           Stagnation zu mobilisieren, schreiben      schen Gewerkschaftsbund finanziell
       menden Wochen und Monaten – so-             Kommentatoren.                             unterstützt.

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Widerstand gegen Repression - SÜDLICHES AFRIKA
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                 Perrance Shiri verstorben. Am         Truth and Reconciliation Commission.      den Nuklearmächten abgelehnt wird,
             29. Juli verstarb Zimbabwes 65-               Rafał Pankowski, Soziologiepro-       von einer Staatenkoalition jedoch mit
             jähriger     Landwirtschaftsminister      fessor in Warschau und Pressespre-        Mehrheit beschlossen wurde (INDABA
             Perrance Shiri an den Folgen von          cher der polnischen antirassistischen     101/2019). Mittlerweile haben 39
             COVID-19. Shiri kommandierte die          Bewegung »Nie wieder«, hat die zu-        Staaten ratifiziert, aus dem Südlichen
             für den Gukurahundi-Genozid verant-       nehmende Popularität von Walus            Afrika noch Lesotho und Namibia.
             wortliche Fünfte Brigade, welche in       seit 2013 dokumentiert. Vor allem bei     Insgesamt 81 Staaten haben mittler-
             den frühen 80er Jahren über 20.000        Fußballspielen wird von rechtsex-         weile unterzeichnet, aber noch nicht
             Menschen im ndebele-sprachigen            tremistischen Gruppierungen für seine     ratifiziert, darunter Angola, Botswana,
             Südwesten des Landes ermordete.           Freilassung und Rückkehr nach Polen       Malawi und Tanzania.
             Ungeachtet der ihm vorgeworfenen          mobilisiert. »Ihre Botschaft beruht auf
             Menschenrechtsverbrechen wurde er         einer antikommunistischen Rhetorik«,          Zimbabwe gegen Schweizer
             1986 am britischen Royal College of       sagt Pankowski, »aber vor allem da-       Konzern. In einem derzeit laufenden
             Defence Studies, einer weltweit           rauf, daß mit Hani ein Schwarzer er-      Gerichtsverfahren in Harare fordert
             renommierten Militärakademie, auf-        schossen wurde. Im Mittelpunkt steht      Zimbabwe vom Schweizer Konzern
             genommen und diente von 1992 bis          die Glorifizierung von rassistischer      ABB die Begleichung von hinter-
             2017 als Kommandant der zim-              Gewalt. Seine Begnadigung wird            zogenen Steuern in Höhe von 13,4 Mio.
             babwe’schen Luftwaffe. Zuletzt            auch nicht aus humanitären Gründen        US-$ plus eine Strafzahlung von 4,7
             amtierte er als Minister für Landwirt-    gefordert, sondern weil man für richtig   Mio. US$. ABB, eine der profitabelsten
             schaft und Landreform.                    findet, was er getan hat.«                Firmen der Schweiz mit Sitz in
                                                           Die Pro-Walus-Bewegung ist mitt-      Zürich, bestreitet die Vorwürfe, die
                 Rechtsextremisten in Polen            lerweile auch zu einem guten Ge-          allerdings durch Dokumente, die ein
             verherrlichen südafrikanischen            schäft geworden. T-Shirts, Buttons        Mitarbeiter Journalisten zugänglich
             Mörder. Janusz Walus, einer der           und Schals mit seinem Porträt und         machte, bestätigt werden.
             beiden Killer, die 1993 in Boksburg       Likes sind im Internet erhältlich. Eine       Bei dem Konflikt geht es um zwei
             Chris Hani, den Generalsekretär der       derartige Website ist der Second          Staatsaufträge unbekannten Wertes
             South African Communist Party             Hand-Internetmarkt OLX, der einer         aus dem Jahr 2011 an ABB Zimbabwe
             (SACP), erschossen, ist in Polen          Technologiefirma namens Prosus            Private Ltd. über Generatoren für die
             zu einer Symbolfigur der Rechtsextre-     gehört, die wiederum im Eigentum          Hwange Power Station sowie andere
             misten geworden. Zuletzt tauchten         des südafrikanischen Tech-Konzerns        Kraftwerksausrüstung. De facto wurden
             Solidaritätsplakate für ihn bei einem     Naspers steht! Wie eine Sprecherin        die Geräte allerdings von einer südafri-
             Fußballmatch zwischen Legia Wars-         von Naspers erklärt, verurteile die       kanischen Firma zugekauft, mit der nur
             zawa und Raków Częstochowa am             Firma jede Form von Rassismus und         mündliche Vereinbarungen abgeschlos-
             28. August in Warschau auf.               Gewalt und habe nun eine elektro-         sen wurden. ABB hatte somit einerseits
                 Die Ermordung von Hani führte         nische Blockade gegen Walus-              keinen Gewinn in Zimbabwe erzielt und
             seinerzeit zu einer tiefen Krise des      Namensnennungen und -Symbole              andererseits das Geschäft in Südafrika
             Übergangsprozesses in Südafrika zur       verhängt. Ob die getroffenen Maß-         »schwarz« abgeschlossen, und in Folge
             demokratischen Verfassung, die nur        nahmen wirksam waren, ist derzeit         wurden in keinem der beiden Länder
             durch eine dramatische Intervention       unklar. »Polnische Fußballteams sind      Steuern bezahlt. Die Vorgangsweise
             Nelson Mandelas gemeistert werden         sehr divers«, kommentiert Prof.           kam allerdings zur Kenntnis von Deloitte
             konnte. Hani wird bis heute als eine      Pankowski, »umso trauriger ist es,        South Africa und wurde beanstandet.
             Symbolfigur der Linken verehrt.           daß gerade Klubs und Stadien als          ABB scheint öfter mit »Steuervermei-
                 Während der zweite Hani-Mörder,       fruchtbarer Boden für Xenophobie          dungen« zu arbeiten, etwa als Kundin
             Clive Derby-Lewis, in der Haft 2016       und Rassismus fungieren.«                 von Mossack Fonseca, der Steuer-
             verstarb, büßt Janusz Walus weiterhin                                               beratungskanzlei in Panama, deren
             seine lebenslängliche Freiheitsstrafe         Abrüstung. Im Februar 2019            Machenschaften 2016 aufgedeckt wur-
             ab. Mehrere Anträge um Begnadigung        ratifizierte Südafrika als erster Staat   den. Wie das Verfahren in Harare aus-
             wurden ebenso abgelehnt wie die           im Südlichen Afrika den Vertrag über      gehen wird, ist offen.
             Erteilung von Amnestie durch die          ein Verbot von Atomwaffen, der von

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       Unterschiedliche Interessen

       Neustart der Beziehungen
       EU-Afrika gefordert
       Wenn die Corona-Pandemie dem Vorhaben nicht noch einen Strich durch die
       Rechnung macht, findet im Oktober ein »historischer« EU-Afrika-Gipfel in Brüssel
       statt. Wie österreichische (INDABA 101/19) und viele andere NGOs fordert auch
       der renommierte Afrikaexperte Robert Kappel einen Neustart der Beziehungen.
       Ob es dazu kommen wird, ist fraglich. Lennart Oestergaard von der Friedrich
       Ebert-Stiftung hat mit ihm gesprochen.

       Welche Folgen hat die Covid-19-                 Für die politische Führung der EU
       Pandemie für die Länder Afrikas?            gilt 2020 als »entscheidendes Jahr«
                                                   der europäisch-afrikanischen Bezie-
           Die Krise in Europa, den Schwel-        hungen. Der Entwurf für eine neue
       lenländern, China und den USA               Afrika-Strategie der EU wurde im März
       drückt das Wachstum der Weltwirt-           2020 veröffentlicht. Er enthält Stich-
       schaft. Ärmere Länder sind häufig ab-       worte für Frieden und Sicherheit, ein
       hängig vom Rohstoffexport, auch in          grünes Wachstumsmodell, zur Ver-
       Afrika. Da die Nachfrage gesunken ist,      besserung des Unternehmensumfelds
       gehen Afrikas Exporterlöse deutlich         und des Investitionsklimas, zur För-
       zurück. Zahlreiche Länder sind in           derung von Bildung, Forschung und
       Schuldenkrisen geraten, die Steuer-         Innovation, Ideen für die Schaffung
       einnahmen sinken, die Investitionen         menschenwürdiger Arbeitsplätze und       einer Reform des Agrarhandels. Die
       aus dem Ausland nehmen ab und die           Wertschöpfung durch nachhaltige          europäischen Bauern und Nahrungs-
       Rücküberweisungen von Migranten             Investitionen sowie Hinweise zur Be-     mittelkonzerne sind in jeder Hinsicht
       reduzieren sich. Die Folge all dieser       kämpfung des Klimawandels. Noch ist      durch hohe Subventionen übervorteilt.
       Entwicklungen ist der Verlust zahlrei-      diese Strategie nur ein Bündel von       Subventionierte Billigexporte von Nah-
       cher Arbeitsplätze – Millionen Men-         Ideen. Die EU sollte ihre Koope-         rungsmitteln zerstören die Existenz
       schen geraten erneut in die Armut.          ration mit Afrika grundlegend re-        von Afrikas Bauern. Hier braucht es
       Alle Erfolge der letzten Jahre bei der      formieren, um die historisch ge-         endlich eine Lösung.
       Armutsbekämpfung könnten zunichte           wachsene Abhängigkeit zu verrin-
       gemacht werden.                             gern und die asymmetrischen              Wie ist das Engagement anderer
                                                   Machtverhältnisse zu korrigieren.        Akteure, beispielsweise Chinas, in
       Die EU möchte ihre Beziehungen mit          Das wäre auch im europäischen In-        Afrika zu bewerten? Steht die EU mit
       Afrika verbessern und hat daher im          teresse. Gelingt dies, würde sich das    ihnen in Konkurrenz?
       März eine neue Afrikastrategie auf          europäische Engagement klar vom ge-
       den Weg gebracht. Für Oktober ist           ostrategischen Handeln der USA und            Im Unterschied zu Europa hat
       ein großer Gipfel mit der Afrikani-         Chinas unterscheiden. Allerdings muß     China »Zehn Große Kooperations-
       schen Union geplant. Was hat die EU         man sich dazu der Themen annehmen,       pläne« mit Afrika verabredet: Industria-
       konkret im Angebot?                         die seit langem überfällig sind, wie     lisierung, Modernisierung der Land-

       INDABA 107/20                                                                                                               9
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             INTERVIEW                 .................
             wirtschaft, Infrastrukturentwicklung,      ebenso Abschied nehmen wie China           Sie haben Investitionen angespro-
             finanzielle Kooperation, Grüne Ent-        und durch sein Engagement – sei es         chen. Dieses Thema wird immer wie-
             wicklung, Unterstützung von Handel         durch Handel, Investitionen, technolo-     der auf EU-Ebene, aber auch von der
             und Investitionen, Armutsbekämpfung,       gische Kooperation – Beiträge zu ei-       deutschen Bundesregierung betont.
             öffentliche Gesundheit, kultureller und    ner von innen getragenen afrikani-         Wie wichtig sind die vielfach als
             personeller Austausch sowie eine           schen Entwicklung leisten, die zu          Allheilmittel beschworenen Direkt-
             Zusammenarbeit für Frieden und             Wohlstand, sinkender Armut und mehr        investitionen aus Europa für die
             Sicherheit.                                Jobs führt.                                Schaffung von Wachstum und
                 China wie auch Indien haben es                                                    Arbeitsplätzen in Afrika?
             sehr gut verstanden, sich als globale      Was läuft falsch in der wirtschaftli-
             Netzwerker aufzustellen. Die afri-         chen Kooperation zwischen Europa               Die EU-Investitionen sind in den
             kanisch-chinesische Kooperation hat        und Afrika?                                letzten Jahren noch gestiegen, der Ab-
             sich deutlich vertieft, und damit haben                                               stand zu China und den USA hat sich
             sich auch die Spielräume der afrikani-          Europa ist der wichtigste Partner     vergrößert. Die entscheidenden Ver-
             schen Länder erweitert, sich von der       Afrikas. Seit dem Jahr 2000 etwa           änderungen aber müssen sich inner-
             allzu großen postkolonialen Abhängig-      wandelt sich die Form der Koope-           halb Afrikas vollziehen. Denn Aus-
             keit von Europa zu befreien. Dennoch       ration. Die Gründe sind vielfältig.        landsdirektinvestitionen leisten kaum
             ist Vorsicht geboten mit einer allzu op-   China wurde beispielsweise zu einem        Beiträge zur Verringerung von Armut
             timistischen Bewertung Chinas. Ge-         Hauptwettbewerber für die EU im            und Arbeitslosigkeit.
             rade die hohen Infrastrukturinvestitio-    Handel und bei Investitionen. Viele            Beispielsweise sind durch alle ex-
             nen und die Struktur der Investitionen     afrikanische Länder verzeichnen zu-        ternen Investitionen in Afrika in den
             wie des Außenhandels verdeutlichen,        dem seit etwa 15 Jahren ein relativ        letzten zehn Jahren durchschnittlich
             daß es sich nicht um ein neues Ko-         hohes Wirtschaftswachstum. Drittens        nur 100.000 neue Arbeitsplätze pro
             operationsmodell mit Afrika handelt.       nahm die Migration nach Europa zu.         Jahr entstanden. Benötigt werden
             Zwischen 2000 und 2017 vergab              Und schließlich zeigen afrikanische        aber 20 Millionen Arbeitsplätze pro
             China 130 Milliarden Euro an Darle-        Initiativen wie die im Jahr 2019 be-       Jahr. Diese müßten größtenteils von
             hen zum Ausbau der Infrastruktur.          schlossene Afrikanische Kontinentale       lokalen Unternehmen und Landwirten
             Heute entfallen 20 Prozent aller Schul-    Freihandelszone, daß die afrikani-         geschaffen werden. Europäische
             den Afrikas auf China.                     schen Staaten zunehmend strategisch        Maßnahmen können natürlich dabei
                 Die einseitige Ausrichtung auf         agieren und ihre Kooperationsmög-          helfen, ebenso beschäftigungsinten-
             Rohstoffexporte, Rohstoffinvestitionen     lichkeiten ausloten.                       sive Investitionen. Das bedeutet aber
             und die eher geringe Verbindung zur             Heute stehen die europäisch-afri-     auch, daß Auslandsdirektinvestitionen
             lokalen Industrie stehen dem afrikani-     kanischen Beziehungen vor gravieren-       mit lokalen Unternehmen in Industrie-
             schen Transformationsprozeß ent-           den Herausforderungen. Die politi-         clustern und Sonderwirtschaftszonen
             gegen. Auch China wird umdenken            sche Führung der EU sollte erkennen,       verknüpft werden müßten. Die bis-
             müssen. Die Strategie, die Infrastruk-     daß ein »Weiter so« den gegenwärti-        herige Ausbeutung billiger Arbeitskraft
             tur auszubauen, Rohstoffe auszubeu-        gen Herausforderungen nicht mehr           in den vielen Sonderwirtschaftszonen
             ten und dadurch Wachstum ohne              angemessen ist. Die afrikanischen          Afrikas darf dagegen nicht fortgesetzt
             Jobs zu generieren, erweist sich als       Interessen unterscheiden sich              werden.
             Sackgasse. Solch ein Agieren ver-          fundamental von denen der EU.                  Über Steuererleichterungen und
             stärkt die bereits bestehenden Asym-       Sie durch Hilfsansätze à la »Afrika hat    andere Anreize könnten Investoren
             metrien. Das chinesische Modell stößt      Probleme – wir haben die Lösungen«         dazu gebracht werden, gezielt Unter-
             an seine Grenzen. Es ist kein wirk-        zu überkleistern, ist realitätsfremder     verträge mit Unternehmen in Afrika
             liches Kooperationsmodell, sondern         denn je. Stattdessen sollte die euro-      abzuschließen, um Technologietrans-
             ein Modell der abhängigen Entwick-         päische Seite die Agrarpolitik, Investi-   fer und Ausbildungsmaßnahmen zu
             lung und führt zur Verschärfung der        tionen, Umwelt, die technologische         ermöglichen. Ein Programm, an dem
             Lage auf dem Kontinent. Europa sollte      Kooperation und Bildung in den Blick       auch Forschungseinrichtungen und
             von diesem geo-strategischen Modell        nehmen.                                    Universitäten beteiligt sind, könnte

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       dem Wissenstransfer und der Ent-            Handel und die regionalen Wert-            Robert Kappel ist emerit. Professor des
       wicklung von Unternehmen einen              schöpfungsketten vertiefen. Obwohl         Instituts für Afrikastudien der Universität
       Schub geben.                                die EU im Rahmen des »Everything           Leipzig und war von 2004 bis 2011 Professor
                                                   but Arms«-Beschlusses den Zugang           an der Universität Hamburg und Präsident
       Welche Rolle spielt die Handelspolitik      zu den europäischen Märkten erleich-       des German Institute of Global and Area
       für faire Beziehungen?                      tert hat, gibt es noch immer zahlreiche    Studies (GIGA). Das Interview mit ihm wurde
                                                   Beschränkungen. Es sollte den afri-        uns dankenswerterweise vom IPG-Journal
           Die EU hat mit ihrer Handels- und       kanischen Produzenten ermöglicht           der Friedrich Ebert Stiftung in Berlin zur
       Kooperationspolitik zu den heutigen         werden, leichter in die EU zu expor-       Verfügung gestellt und redaktionell leicht
       asymmetrischen Beziehungen bei-             tieren. Dafür sollte die EU ihre Zölle     gekürzt.
       getragen und damit auch die Verschul-       auf Importe aus Afrika weiter liberali-
       dungskrise befördert, die jetzt erneut      sieren und allen afrikanischen Ländern     Den gesamten Text lesen Sie auf
       eskaliert. Die überfällige Reform der       zollfreien Zugang zu den EU-Märkten        www.ipg-journal.de/interviews/artikel/
       Handelsbeziehungen der Europäi-             gewähren.                                  afrika-hat-probleme-europa-die-loesung-
       schen Union mit Afrika erfordert die                                                   voellig-realitaetsfremd-4581/
       Aussetzung der sogenannten Eco-
       nomic Partnership Agreements
       (EPAs). Durch die von der EU-Kom-
       mission verlangte Marktöffnung droht             Zur Erinnerung:
       afrikanischen Unternehmen und Klein-             Österreichische NGOs zum Verhältnis EU – Afrika
       bauern durch Importe eine noch                        Ob der »historische« EU-Afrikagipfel nun stattfinden wird oder nicht –
       weitere Marginalisierung. Die in den             auf jeden Fall scheint es sinnvoll, die Schlußfolgerungen der NGO-Kon-
       EPAs vorgesehene Senkung der Zölle               ferenz »Ungleichheit« am 26./27. November 2018 in Erinnerung zu rufen.
       auf EU-Importe auf afrikanischen                 Die Konferenz fand unter der österreichischen EU-Präsidentschaft statt
       Märkten wird den Prognosen zufolge               und wurde vom Vienna Institute for international Dialogue and Cooperation
       die Handelsströme der Region zugun-              (VIDC) und von SADOCC organisiert (INDABA 101/19).
       sten europäischer Produzenten beein-                  Ausgehend von der Analyse, daß die Einkommensschere zwischen
       flussen. Lokale oder effizientere Lie-           Europa und Afrika in den letzten Jahrzehnten wesentlich größer geworden
       feranten werden das Nachsehen                    ist, kamen die 120 Teilnehmer/innen zu dem Schluß, daß die Kooperation
       haben.                                           zwischen der EU und Afrika unter den gegenwärtigen Handels-, Entwick-
           Es ist angesichts der Gründung               lungs- und Sicherheitsregime unfähig gewesen sei, diesen gefährlichen
       der Afrikanischen Kontinentalen Frei-            Trend zu stoppen. Sie forderten daher eine »Neukonzeptualisierung der
       handelszone sinnvoll, diese zum Aus-             Beziehungen auf der Basis von gegenseitigem Respekt, Solidarität und
       gangspunkt für die Verhandlungen mit             sozialer Gerechtigkeit«.
       Europa zu machen. Die AfCFTA bietet                   Bei der zukünftigen ökonomischen Zusammenarbeit (Post-Cotonou)
       eine Grundlage für eine Einigung über            müßten nachhaltige Industrialisierung, regionale Integration nach den
       die wichtigsten Handels- und Investi-            Vorstellungen der Agenda 2063 der African Union sowie die Schließung
       tionsfragen. Sie wurde von 54 der 55             von EU-Steueroasen im Vordergrund stehen. Die EU müsse sich für den
       afrikanischen Länder unterzeichnet               geplanten verbindlichen UN-Vertrag über Konzerne und Menschenrechte
       und zielt darauf ab, freien Zugang zu            aussprechen. Internationale Mindeststandards für Arbeit sollten im Einklang
       Waren, Gütern und Dienstleistungen               mit den ILO-Konventionen durchgesetzt werden. Zivilgesellschaft und die
       auf dem gesamten Kontinent zu er-                afrikanische Diaspora müßten bei der politischen Entscheidungsfindung
       möglichen. Die vorgesehenen Maß-                 einbezogen werden.
       nahmen unterstützen die Entwicklung
       lokaler Fertigung und die Beschaffung            (Volltext abrufbar unter http://archiv.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/
       von mehr Zwischen- und Endproduk-                pdfs/Schmidjell/AFrika/Inequality_Africa_Europe/Conclusions_Vienna_
       ten zwischen den afrikanischen Län-              conference_inquality_2018_Nov_26_27.pdf)
       dern, indem sie den intrakontinentalen

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             CORONA                 .................
             Die Corona-Pandemie in Afrika im Spiegel der Medien

             Viel Abgrund, wenig Zuversicht
             Erst wurden Horrorszenarien vorausgesagt, dann erlahmte das Interesse.
             Afrika muß im globalen Drama wieder die Rolle der »tragischen Figur« spielen,
             kritisiert Martin Sturmer, der auf seiner Website https://afrika.info/corona/
             die Entwicklung akribisch verfolgt.

             a     m 14. Februar gab die ägyp-
                   tische Regierung den ersten
             Corona-Fall in Afrika bekannt. Wenige
                                                        während der Corona-Pandemie zum erstattung meinte Thomas Seifert,
                                                        Medienstar avancierte, kündigte in ei- stellvertretender Chefredakteur der
                                                        nem Podcast eine gigantische huma- Wiener Zeitung, im Jahr 2013 tref-
             Stunden zuvor hielt Microsoft-Gründer      nitäre Katastrophe für den Kontinent fend: »Im medialen Theater bekommt
             Bill Gates beim Jahreskongreß der          zwischen Juni und August an: »Da jeder eine Rolle. Die Rolle Afrikas ist
             American Association for the Advan-        wird es Szenen geben, die wir uns die der tragischen Figur, die am Ende
             cement of Science in Seattle eine          heute noch nicht vorstel-                             sterben muß.« Diese
             Rede, welche die Berichterstattung         len können«, sagte Dro-                               Rolle sei eingeübt über
             über die Corona-Pandemie in Afrika         sten am 17. März.                 Positive            die Jahrzehnte, vom
             nachhaltig beeinflussen sollte. Gates          Optimistischere Stim-                             Ende der Kolonialzeit
             warnte davor, daß in Afrika die Ge-        men fanden hingegen
                                                                                        Meldungen             bis heute, so Seifert.
             sundheitssysteme kollabieren könn-         kaum Gehör. So meinte         kaum gehört                 In deutschsprachi-
             ten. Dann sei mit mehr als zehn Millio-    etwa der britische Epi-                               gen Medien haben sich
             nen Corona-Toten zu rechnen.               demiologe Paul Hunter in der Finan- in den letzten 60 Jahren Standard-
             Wissenschaftlichen Beleg für seine         cial Times vom 24. März: »Ich denke, erzählungen eingebürgert, die in
             düstere Prognose nannte Gates im           Afrika wird nicht annähernd so Summe eine weitgehend negative und
             Übrigen keinen.                            schwer unter der Pandemie leiden einseitige Wahrnehmung des Kon-
                 Einen Monat später muß es aber         wie Europa oder Nordamerika.« Das tinents manifestierten. So wurde be-
             für Journalist/inn/en durchwegs plau-      niedrige Durchschnittsalter, die gün- reits der Übergang in die politische
             sibel geklungen haben, daß es Afrika       stigen klimatischen Bedingungen und Selbstverwaltung in den 1960er-Jah-
             viel schlimmer erwischen würde als         die geringe Bevölkerungsdichte wür- ren in österreichischen Medien als
             uns selbst. Der bedrückende Lock-          den die Ausbreitung des Coronavirus »völlig chaotisch« dargestellt – auf-
             down hinterließ Spuren – viele Medien      bremsen, war Hunter zuversichtlich.    grund von Konfliktparteien begange-
             sahen ein Horrorszenario heraufzie-                                               ner Grausamkeiten begannen sich
             hen. »Die Folgen werden für Afrika
             verheerend sein«, titelten die Salzbur-
             ger Nachrichten (25. März), »Afrika
                                                        d    ie Warnungen von Gates und erstmals Bilder eines »bestialischen«
                                                             Drosten fielen bei Journa- Kontinents zu etablieren. Diese Wahr-
                                                        list/inn/en auf einen fruchtbaren nehmung verfestigte sich in den fol-
             steht alleine am Abgrund« hieß es in       Boden aus eingelernten Stereotypen. genden Jahrzehnten durch die Schrek-
             einer Schlagzeile der Süddeutschen         Afrika wird vor allem dann zum Thema, kensherrschaften von Diktatoren wie
             Zeitung (4. April), der Schweizer Ta-      wenn Konflikte oder humanitäre Krisen Jean-Bédel Bokassa, Idi Amin Dada
             gesspiegel rechnete mit »Hunderttau-       auftreten. Dieses Narrativ wurde in oder Mobutu Sese Seko. Dazu kam
             senden, wenn nicht Millionen von           unzähligen kommunikationswissen- die extreme Gewalt in Bürgerkriegen
             Opfern« (31. März). Auch der deut-         schaftlichen Studien belegt. Bei einer wie in Liberia oder Sierra Leone und
             sche Virologe Christian Drosten, der       Diskussion über die Afrika-Bericht- im Genozid in Rwanda. Die Hunger-

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       katastrophen im Biafra-Krieg, in der        verlor die Berichterstattung über den           Die Corona-Pandemie ist für Afrika
       Sahel-Zone oder in Äthiopien drück-         Verlauf der Pandemie in Afrika an           also bislang relativ glimpflich verlau-
       ten Afrika den Stempel des »hilfs-          Dynamik. Das nachlassende Interesse         fen. Katastrophal war aber der Tenor
       bedürftigen Kontinents« auf. Eine op-       machte sich auch auf meiner Informa-        der Berichterstattung. Medien wären
       timistischere Afrika-Berichterstattung      tionsseite https://afrika. info/corona/     gut beraten gewesen, Expert/inn/en
       war erst um das Jahr 2010 herum             deutlich bemerkbar. Mit 3.285               aus Afrika zu Wort kommen zu lassen.
       feststellbar: Das hohe Wirtschafts-         Nutzer/inne/n verzeichnete das Ange-        Dadurch wäre eine wesentlich diffe-
       wachstum vieler afrikanischer Staaten       bot am 3. Mai einen Höchststand.            renziertere Berichterstattung möglich
       sowie die erfolgreiche Fußball-WM in        Danach gingen die Zugriffe deutlich         gewesen. Eine positive Ausnahme
       Südafrika führte zu deutlich mehr Be-       zurück.                                     stellte hier die Süddeutsche Zeitung
       richten über die Fortschritte auf dem           Das eigentlich Traurige dabei ist:      dar. Für die Serie »Welt im Fieber«
       Kontinent. Das Narrativ von »Africa         Das mediale Aufmerksamkeit sank, als        konnte u. a. auch der senegalesische
       Rising« verlor aber bald wieder an          die Pandemie in Afrika Fahrt aufnahm.       Sozialwissenschaftler Felwine Sarr ge-
       Glanz: Durch die Ebola-Epidemie in          Von Anfang Mai bis Ende Juli stieg          wonnen werden, der bei uns vor allem
       Westafrika und zunehmende wirt-             die Zahl der aktiven Fälle stark an –       durch sein Buch Afrotopia bekannt
       schaftliche Probleme machte sich            weitgehend unbeachtet von den Me-           geworden ist. Am 7. April schrieb Sarr
       wieder Ernüchterung breit.                  dien. Am 26. Juli wurde mit 338.326         eine wütende Erwiderung auf die an-
           Die Berichterstattung über die          aktiven Fällen ein Rekordhoch erzielt.      gekündigten Horrorszenarien und be-
       Corona-Pandemie in Afrika muß vor           Heute (4. September) liegen die             zeichnete diese als »alte rassistische
       dem Hintergrund dieser Standard-            Zahlen um mehr als 100.000 unter            Herablassung«, welche die Wirklich-
       erzählungen betrachtet werden. Die          dem Spitzenwert.                            keit verkenne: »Man sagt uns das
       mediale Aufmerksamkeit bei Kata-                                                        Schlimmste voraus. Es ist Afrika!
       strophen richtet sich nach den tat-
       sächlichen oder befürchteten Opfer-
       zahlen. Seriöse Prognosen machen
                                                   a     llen seriösen Beobachter/innen
                                                         ist klar, daß die Dunkelziffer der
                                                   Infektionen in afrikanischen Staaten
                                                                                               Unvorstellbar, daß der Kontinent
                                                                                               glimpflich davonkäme. Man vergißt
                                                                                               dabei, daß Afrika eine lange Erfah-
       keine Schlagzeilen. Das weiß auch Bill      höher ist als die offiziell verlautbarten   rung mit Infektionskrankheiten hat.
       Gates, der mit seiner düsteren Pro-         Zahlen. Bis Anfang September                Und eine größere Belastbarkeit
       phezeiung den medialen Diskurs über         wurden in ganz Afrika erst rund zwölf       Schocks gegenüber. Wir sprechen
       die Corona-Pandemie in Afrika ent-          Millionen Corona-Tests durchgeführt,        uns nach der Krise!«
       scheidend mitbestimmte.                     ein Drittel davon in Südafrika. Bei
           Ein Tiefpunkt war die »Tages-
       schau« in der ARD am Ostersonntag
       (12. April). Zur besten Sendezeit um
                                                   den Testhäufigkeiten gibt es enorme
                                                   regionale Unterschiede: So hat
                                                   Rwanda mit seinen 13 Millionen Ein-
                                                                                               i n der Tat haben die meisten afrikani-
                                                                                                 schen Staaten sehr schnell auf die
                                                                                               Ausbreitung von COVID-19 reagiert.
       20:00 Uhr moderierte Linda Zervakis         wohner/inne/n mehr Corona-Tests             Als ich Mitte Februar nach Nairobi
       einen Beitrag des Korrespondenten           durchgeführt als Nigeria bei einer          flog, wurde am Jomo Kenyatta Inter-
       Norbert Hahn aus Nairobi an: »Exper-        Bevölkerungszahl von über 200 Mil-          national Airport bei allen Reisenden
       ten gehen davon aus, daß die An-            lionen.                                     die Temperatur gemessen. Bei meiner
       steckungsrate dort (in Afrika, Anm.)            Doch selbst die Weltgesundheits-        Rückkehr am Flughafen Wien gute
       viel höher sein wird, als in Europa         organisation, deren Generaldirektor         zwei Wochen später fehlte von ver-
       oder den USA.« Wer tauchte im               Tedros Adhanom Ghebreyesus im               gleichbaren Gesundheitskontrollen
       Beitrag als Experte auf? Erraten. Bill      März noch »das Schlimmste« für Afrika       jede Spur.
       Gates. Was den US-Milliardär zum            befürchtet hatte, gibt sich in der
       Pandemie-Experten macht, blieb aller-       Zwischenzeit deutlich optimistischer.
       dings ein Rätsel.                           Die WHO-Regionaldirektorin für              Martin Sturmer ist promovierter Afrikanist
                                                   Afrika, Matshidiso Moeti, geht derzeit      und Kommunikationswissenschaftler.

       h  eute wissen wir: Das angekün-
          digte Massensterben mit Millionen
       von Toten traf nicht ein. Anfang Mai
                                                   nicht davon aus, daß es in Afrika
                                                   unentdeckte Cluster mit hohen Infek-
                                                   tionszahlen gibt.
                                                                                               Mit seiner Nachrichtenagentur afrika.info
                                                                                               setzt er sich für eine differenzierte
                                                                                               Wahrnehmung des Kontinents ein.

       INDABA 107/20                                                                                                                        13
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