NATUR - QUELLE DES LEBENS - FRANZ WEBER - Fondation Franz Weber
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u n a b h ä n g i g — u n e r s c h r o c ke n — ko m p e t e n t JOUR NA L FRANZ WEBER Ju l i | Au g u st | S eptemb er 2 02 0 | Nr. 1 3 3 NATUR – QUELLE DES LEBENS f f w. c h
INHALT Editorial 3 En Bref 4–5 Kein Sturm im Wasserglas auf dem Friedhof Hörnli in Basel 6–9 Ja zum Naturschutzgebiet in Basel – deshalb Nein zum Hafenbecken 3 10 – 12 Die ethische Empörung und die politischen Aktio- Sieg für Montreux, dank Helvetia Nostra 14 – 15 nen rund um den Abschuss der Rehe im Friedhof Hörnli sei kein Sturm im Wasserglas, sondern ein Chliforst: Keine Zerstörung der Natur im Namen des öffentlichen Verkehrs16 – 17 Vorzeichen eines guten Wetterumschlags, sagt Marcel Heider – unermüdlicher und kluger Pionier der Philosophie Professor Markus Wild. Die Fon- an Franz Webers Seite von «Sauver Lavaux» 18 – 21 dation Franz Weber und Helvetia Nostra fordern Jetzt für die bedrohten Wildtiere in der Schweiz einstehen! 22 – 24 unblutige Alternativen. Seite 6 Die EU subventioniert weiterhin die Fleischlobby 25 – 27 Massentierhaltung: Wird Argentinien zu Chinas Schweinestall? 28 – 29 Ein Tag, der die Welt veränderte – Stierkampfverbot in Katalonien 30 – 33 Equidad: Ein gutes Pferdeleben 34– 36 FFW will eine Elefantenherde umsiedeln37 Überfischung: Zerstört China die Galapagosinseln? 38 – 39 Fondation Franz Weber kommt der Karibik zu Hilfe 40 – 43 Das UNESCO-Weltkulturerbe Lavaux ist wieder Alika Lindbergh: Jede Spezies in der Überzahl ist schädlich 44 – 47 in Gefahr: Ein grosses Bauprojekt ist in diesem demokratisch geschützten Gebiet geplant. Diese IMPRESSUM erneute Bedrohung nimmt die Fondation Franz EINE PUBLIKATION DER FONDATION FRANZ WEBER Weber zum Anlass, Marcel Heider (Bild) zu Wort CHEFREDAKTION: Vera Weber und Matthias Mast kommen zu lassen; er hat an der Seite von Franz REDAKTION: Matthias Mast, Julia Fischer, Vera Weber, Weber für den Erhalt des Lavaux gekämpft und ERSCHEINT 4 x im Jahr nichts von seiner Kraft eingebüsst. Seite 18 KONZEPT: KARGO Kommunikation GMBH LAYOUT: Gianpaolo Burlon DRUCK: Swissprinters AG ABONNEMENTE: Journal Franz Weber, Abo, Postfach 257, 3000 Bern 13, Schweiz T: +41 (0)21 964 24 24 | E-Mail: ffw@ffw.ch | www.ffw.ch | | Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck von Fotos oder Texten nur mit Genehmigung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotos kann keine Verantwortung übernommen werden. Die Karibik ist in grosser Gefahr: Überfischung und Massentourismus richten die Karibik nach und nach zugrunde. Doch noch besteht die Hoffnung, dass dieses einzigartige Welterbe am Leben erhalten werden kann. Mit Unterstützung der «Great Seaflower»-Kampagne der Fondation SPENDENKONTO: Postkonto Nr. 18-6117-3, Fondation Franz Weber, 3000 Bern 13 Franz Weber wollen sechs Länder die Tierwelt IBAN: CH31 0900 0000 1800 6117 3 und das Ökosystem retten. Seite 40 2
NR . 133 J U L I | A U G U S T | S E P T E M B E R 2020 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Für uns Tier- und Naturschützer existieren keine Landesgrenzen. Die einzige Grenze, die wir kennen ist diejenige unserer eigenen Möglichkeiten, die Grenze unserer Ressourcen an Zeit, an Arbeits- kraft, an Energie und auch an finanziellen Mitteln. Und weil es eben im Kampf für Tier und Natur keine Landesgrenzen VERA WEBER gibt, arbeiten wir, das Team Ihrer Fondation Franz Weber, überall Präsidentin Fondation Franz Weber dort, wo wir zu Gunsten unserer Mutter Erde etwas bewegen können. Die Berichte über unser Wirken, die Sie auf in den nächsten Seiten lesen werden, sind Ausdruck davon: Von den Weinbergen des Lavaux bis zur Karibik, vom Naturschutz- gebiet in Basel bis zu den Galapagos-Inseln, von den geschützten Wildtieren in der Schweiz bis hin zu den Elefanten in Afrika sind wir aktiv. Wir bearbeiten die Drahtzieher an den Schalthebeln der Macht und nehmen Einfluss auf die Politik und die öffentliche Meinung. Vor einer Tatsache, die ich als Ursache der meisten Verbrechen an der Natur beurteile, sind wir jedoch anscheinend machtlos: die Bevölkerungsexplosion, gekoppelt mit dem Drang nach immer mehr Wachstum. Sie zerstört die Natur – Quelle des Lebens, die Lebens- grundlage von uns und den Tieren und führt uns unweigerlich zu unserem Untergang, wenn wir nicht handeln. Deshalb schliesse ich hier mit den Worten, entnommen aus dem aktuellen Beitrag unserer Wegbegleiterin und Freundin, der wunder- baren Alika Lindbergh (Seiten 44 bis 47): «Wenn wir das Notwendige tun, haben wir eine ZUKUNFT.» Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen Vera Weber 3
EN BREF Bedrohte Töten Geschützte Tiere können abgeschossen werden, ohne T dass sie je einen Schaden i statrte Tötene angerichtet Geschützte haben. Tiere 1’600 Feldhasenkönnen abgeschossen werden in derwerden, Schweizohne alljährlich dass sie jeabgeschossen. einen Schaden sjstacaghteütnt?zen ? Mitangerichtet dem missratenen haben. Jagdgesetz geht das Töten weiter. * TIERSCHUTZ sc h ü t zen ? Trophäenjagd: Jedes Jahr töten Schweizer 50 ge- schützte Wildtiere Löwen, Flusspferde, Elefanten, Giraf- fen und Nashörner: Gemäss einer Aus- wertung des Bundes für die SRF-Sen- dung Rundschau töteten Schweizer Umdenken, jetzt ! zwischen 2010 und 2018 423 geschützte Abschuss-Gesetz Umdenken, jetzt ! Umdenken, jetzt !in Tiere im Ausland, und durften die Tro- e Abschuss-Gesetz N phäen dann in die Schweiz importie- 27. Sept. 2020 ren, um sich zu Hause an den Fellen, Nein Geweihen oder Stosszähnen zu ergöt- zen. Auf organisierten Safaritouren er- legen die Jäger die Wildtiere und geben Abschuss-Gesetz 27. Sept. 2020 Nein dabei an, bei dem Scharmützel handle Alle Schweizer Natur- es sich um ein «Duell auf Augenhöhe». und Tierschutzorganisationen Welch ein Hohn! Der Import von Jagd- sagen Alle Schweizer 7. Sept. 2020 NEIN 2Natur- Verein «Jagdgesetz NEIN», Dornacherstr. 192, 4018 Basel jagdgesetz-nein.ch trophäen bedrohter Tierarten in die und Tierschutzorganisationen Schweiz gehört verboten. Im Rahmen sagen NEIN Verein «Jagdgesetz NEIN», Dornacherstr. 192, 4018 Basel jagdgesetz-nein.ch des CITES-Abkommens setzt sich die Alle Schweizer Natur- FFW deshalb seit über 40 Jahren für und Tierschutzorganisationen den Schutz und gegen den Handel mit sagen NEIN Verein «Jagdgesetz NEIN», Dornacherstr. 192, 4018 Basel jagdgesetz-nein.ch bedrohten Arten ein. www. ffw.ch/cites.ch 4
NR . 133 J U L I | A U G U S T | S E P T E M B E R 2020 * «Der persönliche Profit verdirbt das Gewissen und führt zur Zerstörung des Schönen. Wahrer Wohlstand besteht in einer schönen Landschaft, glücklichen Menschen und Tieren.» FRANZ WEBER Das Naherholungsgebiet Rütihard bleibt wie es ist! Die intensive, mit viel Herzblut und Hartnäckigkeit geführ- te Arbeit der IG «Rettet die Rütihard», unterstützt von der Fondation Franz Weber (FFW), hat ihre Wirkung erzielt: Die Abbaupläne zur Salzgewinnung im Naherholungsge- biet Rütihard in Muttenz (BL) werden sistiert. Die Soleförde- rung im betroffenen Konzessionsgebiet wird für mindestens 20 Jahre nicht weiterverfolgt werden. Die Schweizer Salinen wollten auf der Muttenzer Rütihard, einem urigen Landstrich mit Obstbäumen und Feldern vor den Toren Ba- sels, über Jahrzehnte Bohrungen durchführen, um Salz zu fördern. Der Boden hätte dafür über eine Strecke von mehreren Kilometern aufgerissen werden müssen, um Wasser- und Salzwasserleitungen zu jedem einzelnen der 30 geplanten Bohrlöcher zu legen. Für Na- Siedlung Waldhaus in Chur tur und Umwelt, aber auch für die Menschen, die sich in der grü- nen Lunge von Muttenz erholen wollen, wäre das eine unzumutbare droht Zerstörung Belastung gewesen. Die IG «Rettet die Rütihard», seit Herbst 2019 Am grünen Stadtrand von Chur im Kanton Graubünden unterstützt von der FFW, setzte sich gezielt gegen die Abbaupläne stehen zwölf Einfamilienhäuser mit interessantem und zur Wehr. Mit entscheidendem Erfolg: Vera Weber, Präsidentin der architektonisch schützenswertem Geschichts-Hintergrund FFW, freut sich: «Der Wert dieser Oase der Ruhe, in direkter Nähe (siehe Bild oben). Umgeben werden die historischen Häuser zum Stadtraum, für Natur, Tiere, Landwirtschaft und für uns Men- von über 138 Bäumen und Hecken mit unzähligen Tieren, schen wird über die Jahre gar noch weiter steigen.» die zum Teil auf der Liste mit gefährdeten Arten stehen. Die IG «Rettet die Rütihard» und die Fondation Franz Weber sind Diese Anlage soll nun zerstört werden! 124 Wohnungen froh, dass die Schweizer Salinen den weitsichtigen Entscheid ge- sind an diesem bis jetzt wunderschönen Ort mit enormer troffen haben, die Muttenzer Rütihard vor dem Salzabbau zu be- Biodiversität geplant. Im Namen der Verdichtung. wahren, und sind erfreut, dass der Rütihard damit nun die Ruhe Die Folgen wären verheerend: Leblosigkeit, Lärm, Im- gegönnt wird, welche sie uns allen schenkt. redaktion@ffw.ch missionen. Dahinter steckt ausschliesslich das Bestreben, den Boden nach dem Prinzip der Rendite auszunützen. Eine wichtige Grünfläche ginge unwiederbringlich verloren. Das DANKE MURPHY! darf nicht passieren! In Gedenken an ihren von einem Auto Helvetia Nostra (HN), die Schwesterorganisation der Fon- überfahrenen treuen Kater, «meinen dation Franz Weber, unterstützt deshalb die Interessens- einzigartigen Freund Murphy», hat gemeinschaft Siedlung Waldhaus Chur und wird mit juris- Vreni Bänziger der Fondation Franz tischen Mitteln gegen diese angekündigte Zerstörung der Weber eine grosszügige Spende Natur und Kultur vorgehen. zukommen lassen. Wir bedanken uns Unterstützen Sie die Rettung der Siedlung Waldhaus in herzlich – Murphy wird in den Herzen Chur! von vielen geretteten Tiere weiterleben! Info: www.petitionen.com/siedlungwaldhaus 5
Gute Nachricht für die Rehe auf dem Friedhof am Hörnli BEHÖRDEN SISTIEREN REKURS: DIE FONDATION FRANZ WEBER ARBEITET AM «RUNDEN TISCH» AN EINVERNEHMLICHER LÖSUNG Im vergangenen Mai hatte die Polizei des der Gräber ihrer Familien getötet werden. Weil sie die Chance, zusammen eine nachhaltige Lösung zu Kantons Basel-Stadt den Abschuss von Blumen fressen, die als Grabschmuck dienen, und finden: «Gemeinsam arbeiten wir an Alternativen, Rehen genehmigt, die auf dem baselstäd- damit eine gewisse «Unordnung» schaffen, sollen wie die Anzahl Rehe, die Pflege und der Unterhalt tischen Friedhof am Hörnli – dem grössten einige der Rehe erschossen werden. Am 12. Mai dieser einmaligen historischen Friedhofsanlage Friedhof der Schweiz – leben. Dank eines 2020 erteilte die Polizei eine entsprechende Ab- am Hörnli sowie Biodiversitätsaspekte im Gleich- Rekurses der Fondation Franz Weber (FFW) schussgenehmigung, um die Rehpopula-tion auf gewicht gehalten werden können.» konnten die Abschüsse bisher verhindert dem Friedhof zu dezimieren. werden. Gleichzeitig wurden von der FFW Das Justiz- und Sicherheitsdepartement an- Gespräche am Runden Tisch initiiert, um Unschuldige Tiere töten, nur weil sie Blumen erkennt das Lösungspotenzial des von der FFW Alternativen für die Abschusspläne zu fin- fressen? Unvorstellbar für die Fondation Franz We- initi-ierten Runden Tisches: Es sistiert von sich den. Dies hat nun bewirkt, dass das Justiz- ber und Helvetia Nostra, die dagegen beim Justiz- aus das Rekursverfahren der Fondation Franz We- und Sicherheitsdepartement des Kantons und Sicherheitsdepartement (JSD) des Kantons ber und Helvetia Nostra gegen die Bewilligung der Basel-Stadt eine Einigung ohne Blutver- Basel-Stadt Rekurs eingelegt haben. Die Rehe ha- Kantonspolizei Basel-Stadt vom 12. Mai 2020 be- giessen für möglich hält. Es sistiert darum ben so eine Verschnaufpause erhalten, da die auf- treffend Reduktion des Rehbestandes am Friedhof den Rekurs, bis die derzeit laufenden Ge- schiebende Wirkung des Rekurses es nicht erlaubt, am Hörnli, bis die Gespräche am Runden Tisch ab- spräche abgeschlossen sind. sie während des Verfahrens zu töten. geschlossen sind. Der Friedhof am Hörnli in der Gemeinde Riehen Gemeinsam mit der Friedhofsverwaltung, der Mit diesem Sistierungsentscheid des JSD rückt (BS) ist ein spezieller Ort der Andacht: Seit etli- Stadtgärtnerei und Wildexperten nimmt die FFW die Rettung der Rehe in Sichtweite. Die FFW und chen Jahren leben Rehe in dieser eigens angeleg- zudem an Gesprächen am Runden Tisch teil, um Helvetia Nostra sind zuversichtlich, dass eine Ei- ten Ruhestätte in unmittelbarer Nähe des Waldes geeignete Alternativen zur Tötung der Tiere zu fin- nigung zwischen den Teilnehmenden am Runden und spenden den Besuchenden zusätzlichen Trost den, und somit die Friedhofsverwaltung dabei zu Tisch gefunden werden kann, um das Wildtierma- und Frieden – sei es bei einer spontanen Begeg- unterstützen, die Rehpopulation zu kontrollieren, nagement zum Wohle aller zu verbessern, und der nung am Fusse eines Baumes, oder beim Spazier- ohne tödliche Massnahmen ergreifen zu müssen. Friedhof am Hörnli somit vielleicht gar eine Vorrei- gang entlang der Friedhofspfade. Seit vergange- terrolle für weitere öffentliche Stätten ein-nehmen nem Mai müssen die Angehörigen der Verstorbenen Vera Weber, Präsidentin der Fondation Franz kann, wo sich Mensch und Wildtier regelmässig nun befürchten, dass die sanften Tiere in der Nähe Weber, sieht in den Gesprächen am Runden Tisch begegnen. 6
Abschuss auf dem Friedhof Hörnli: Kein Sturm im Wasserglas. Die ethische Empörung und die politischen Aktionen rund um den Abschuss der Rehe im Friedhof Hörnli sei kein Sturm im Wasserglas, sondern ein Vorzeichen eines guten Wetter- umschlags, sagt der Philosophie Professor Markus Wild. Für viele gilt als schönster Schweizer Roman «Der Grüne Heinrich» (1854) rich Lee hätte ihm auch diesseits des Rheins leicht begegnen können. Dass * MARKUS WILD von Gottfried Keller. Er erzählt die Le- sich Rehe auch in Parkanlagen nieder- Philosophie Professor bensgeschichte von Heinrich Lee, der lassen, wusste man bei der Eröffnung Universität Basel – als junger Maler in sein kulturelles des Basler Parkfriedhofs Hörnli. Eben- Traumland reist: von Zürich über den falls kannte man die symbolische Be- Rhein nach Deutschland. Wie er nachts deutung solcher Tiere für Trauernde. Auch könnte man den positiven Ein- mit einem Schiffchen über den Strom Als das Hörnli 1932 eröffnet wurde, fluss solcher Tiere auf unsere Gesund- setzt, macht Heinrich eine zauberhafte existierte der weltgrösste Parkfriedhof, heit endlich seriös beziffern. Ein sel- Begegnung im Mondlicht: «und als ein Hamburg-Ohlsdorf bereits seit über tenes und scheues Wildtier, das einem Reh aus dem Busche an das Ufer trat, 50 Jahren mit Tieren. Auf dem Fried- begegnet und sogar nahe kommt, kann ein in der Schweiz schon seltenes Tier, hof Hamburg-Ohlsdorf leben heute beides sein: Ein freundliches Zeichen da begrüsste er es freudigen Mutes als zahlreiche wilde Säugetierarten. Das für den Hoffnungsvollen (wie im Falle einen freundlichen Vorboten». ist besser und spannender als jeder Zoo Heinrichs), aber auch ein freundliches Übertreibt Keller nicht, wenn er vom der Welt. In diesem Jahr wurde in Ohls- Zeichen für den Trauernden. Wer den Reh als einem in der Schweiz schon dorf der erste Hund bestattet. Zwar gibt Film «Three Billboards Outside Ebbing, seltenen Tier spricht? Keineswegs. es in Deutschland zahlreiche Tierfried- Missouri» (2017) gesehen hat, wird die Im 19. Jahrhundert verschwanden höfe, aber kaum Möglichkeiten für ge- Szene kaum vergessen haben, in der Rothirsch und Steinbock ganz aus der meinsame Bestattungen. der Heldin Mildred Hayes (Frances Schweiz, Reh und Gämse überlebten McDermond) eine Hirschkuh begegnet nur noch in kleinen Beständen. Dank EIN FREUNDLICHES ZEICHEN während sie schon fast an ihrem Kampf des unermüdlichen Einsatzes des Seit geraumer Zeit weisen Psychologen um Gerechtigkeit für ihre vergewaltigte Tierschutzes und der Verbreitung des und Psychologinnen mit guten Grün- und ermordete Tochter verzweifelt. Tierschutzgedankens hat sich diese den darauf hin, dass wir die Trauer um Darum bereiten diese Tiere den deprimierende Lage glücklicherweise den Verlust unserer tierlichen Beglei- Menschen auf den Friedhöfen trotz gewandelt. Im 20. Jahrhundert ver- ter ernst nehmen müssen und nicht aller Trauer eine grosse Freude. Sie breitete sich das Reh wieder und Hein- als Überempfindlichkeit abtun dürfen. sehen darin ein freundliches Zeichen 7
TIER SCHUT Z und einen Trost. Es darf also nicht niederlage einstecken müssen. Der Zoo Drei einfache Grundgedanken tra- wundern, dass es Empörung auslöst, hat sich auf den Standpunkt gestellt, gen diese politische Wende. Erstens sol- wenn Rehe auf Friedhöfen abgeschos- dass Zoofragen ausschliesslich Fragen len Tiere mit fundamentalen Rechten sen werden sollen. Man stelle sich die für Zoobiologen und Veterinärmedizi- besser geschützt werden, das schliesst Szene vor: Heinrich Lee fährt über den ner seien. Ein folgenschwerer Irrtum! nicht nur ein Recht auf Unversehrtheit, Rhein, ein Reh tritt aus dem Busch, Das ist sO, als würde man eine globa- sondern auch ein Recht auf Leben ein. er nimmt es als freundlichen Vorbo- le Pandemie ausschliesslich als eine Zweitens wird dieser bessere Schutz ten und in diesem Augenblick wird Sache der Medizin ansehen. Ebenso von Tieren als zwingend betrachtet, das Tier erschossen. Ist das nicht eine haben die Stadtgärtnerei und die Ge- wenn wir die zwei vielleicht grössten doppelt sadistische Fantasie? meinde Riehen offenbar gedacht, ein Probleme der Gegenwart einer Lösung Offenbar waren wir in den letzten Rehabschuss auf dem Hörnli sei eine entgegenführen wollen, nämlich die Jahren zu fantasielos, denn wir haben nur administrative und weidmänni- Pandorabüchse der Klimaerwärmung uns sehenden Auges in eine Situation sche Angelegenheit. Dabei haben sie, und das Damoklesschwert globaler manövriert, in der die Administration wie der Zoo, die Zeichen der Zeit ver- Pandemien. Beides wird durch unsere sich auf den Standpunkt stellt, dass kannt. Nutzung von Tieren und durch unse- eben diese doppelt sadistische Phan- re Zerstörung des Lebensraums von tasie Wirklichkeit zu werden hat. So WANDEL IN DER TIERETHIK Tieren entscheidend mitverursacht. wurden beispielsweise letztes Jahr auf Seit vielen Jahren nämlich existiert in Drittens müssen wir an Alternativen dem Stadtfriedhof Hogenkamp im nie- der Tierethik der sogenannte «politi- und mit viel Fantasie arbeiten. Heute derdeutschen Pinneberg zwei Böcke cal turn». Menschen, die sich für eine werden Alternativen zu Fleisch, Milch mit Schrot geschossen. Ein verletztes grundlegende Veränderung unserer Be- und Käse auf einen rasant wachsenden Rehkitz starb auf der lokalen Wildtier- ziehung zu Tieren theoretisch und prak- Markt gebracht, Alternativen zu Tier- station. Sowohl der Abschuss als auch tisch engagieren, kommen von einer versuchen erprobt, Alternativen zur die Methode haben harsche Kritik von Ethik des nur privaten Verhaltens weg Jagd, zu Zoos und Meeresaquarien ent- Tierschützerinnen und Tierschützern und zielen auf einen politischen und worfen. ausgelöst. rechtlichen Wandel. Die beim renom- mierten Suhrkamp-Verlag erschienen POLITIK MUSS SICH EINMISCHEN ZEICHEN DER ZEIT VERKANNT Bücher «Zoopolis: Eine politische Theo- Für all dies setzen sich Menschen in Dasselbe soll nun mit einigen Rehen rie der Tierrechte» (2011) von Due Do- Vereinen und Unternehmen ein, in auf dem Friedhof Hörnli geschehen: naldson und Will Kymlicka und «Politi- Wissenschaft und Politik, auf Lebens- sie sollen erschossen werden. Dagegen sche Philosophie der Tierrechte» (2020) höfen und auf Feldern, in Kultur und regt sich nun mit Recht Widerstand. von Bernd Ladwig sind zwei exzellente Kunst, in Schulen und in Familien. Un- Der Widerstand geht jedoch über die Beispiele für die theoretische Seite die- ser Umgang mit Tieren kann unmög- besondere Situation der Anwesenheit ses Wandels. Doch als «political turn» lich länger eine Frage der persönlichen von Tieren auf Friedhöfen hinaus, die braucht dieser Wandel eben auch Per- Überzeugung und des privaten Ge- ich bislang beschrieben habe. Sie hat sonen und Organisationen, die sich ge- schmacks bleiben. Wer so denkt, denkt eine politische Dimension. sellschaftlich einsetzen. So haben sich nicht nur naiv, sondern fahrlässig. Viel- Die politische Dimension besteht gegen das Ozeanium Privatpersonen, mehr wird unser Umgang mit Tieren darin, dass unser Umgang mit Tieren Politiker und Politikerinnen und Orga- zu Recht mehr und mehr Gegenstand mehr und mehr zu einer Sache der öf- nisationen wie die Fondation Franz We- wegweisender politischer Auseinan- fentlichen, politische Auseinanderset- ber, der Verein Animal Rights Switzer- dersetzungen. Die ethische Empörung zung wird. Ein gutes Beispiel dafür war land oder Greenpeace eingesetzt. Wenn und die politischen Aktionen rund um die Abstimmung über das vom Basler ein Verein wie SOS Chats oder eine Pri- den Abschuss der Rehe im Friedhof Zoo geplante Meeresaquarium «Ozean- vatperson wie Olivier Bieli eine Petition Hörnli zeigen diesen Wandel im Klei- ium» im Mai 2019. Obwohl der Zoolei- gegen den Rehabschuss starten, wenn nen. Das ist kein Sturm im Wasserglas, tung bereits Jahre zuvor immer wieder die Fondation Franz Weber und Hel- sondern ein Vorzeichen eines guten deutlich signalisiert worden ist, dass sie vetia Nostra eine Verfügung erwirken, Wetterumschlags. eine öffentliche Debatte nicht scheuen dann drückt sich darin diese politische Aus den drei Grundgedanken der po- dürfen, hat sie dies sträflich unterlas- Wende in der Tierethik sowohl in Theo- litischen Wende ergibt sich eine ganz sen und ein krachende Abstimmungs- rie als auch in Praxis aus. einfache Forderung an die politischen 8
NR . 133 J U L I | A U G U S T | S E P T E M B E R 2020 Entscheidungsträger: Die Politik darf an einem Runden Tisch. Dabei darf es als experimentierfreudigen Standort, die Stadtgärtnerei in dieser Frage nicht nicht an der Bereitschaft fehlen, auch wo man bereit ist, neue Wege zu gehen. allein lassen. Der Abschuss der Rehe Alternativen zu prüfen, die aufwändig Er könnte Vorbildcharakter für unse- auf dem Hörnli kann kein erstes, aber und kostspielig sind. ren Umgang mit Tieren haben. Und auch kein viertes oder neuntes Mittel Dazu braucht es vielleicht auch die er erhält dasjenige, worum er letztlich der Wahl sein; zuvor sind sämtliche Unterstützung der Wissenschaft. Der geht: das Leben der Tiere und die Freu- Alternativen zu prüfen, und zwar mit Gewinn eines solchen Vorgehens ist de der Menschen an den Begegnungen den Interessengruppen gemeinsam nicht zu überschätzen. Es zeigt Basel mit ihnen. Rehböcke erkennt man am Geweih, das sie jeweils im Spätherbst abwerfen sowie am nierenför- migen Fleck auf dem «Hintern» (links), beim Weibchen ist er herzförmig (rechts). DAS REH – UNSER HEIMLICHER NACHBAR Erstaunlich anpassungsfähig und heim- vor, dass die Einjährigen immer noch bei der abgeworfen. Die Jungtiere verhalten sich lich leben Rehe nicht nur im Wald, sondern Mutter sind. Die Kitze kommen zwischen nicht territorial und sind noch «verspielt». auch unbemerkt in Siedlungen und in Stadt- Mai und Juni des darauffolgenden Jahres zur Zwei- bis dreijährige Böcke besitzen be- nähe. Noch im 19. Jahrhundert wurden sie Welt. Sie werden oft im hohen Gras geboren, reits stämmigere Beine und tragen ihr Haupt aufgrund der Jagd fast ausgerottet, so wie weshalb es beim Mähen von Feldern und nicht mehr so hoch. Das Geweih trägt weni- auch ihre Cousins die Rothirsche und Gäm- Wiesen immer wieder zu Unfällen kommt. ger lang «Bast» (Haut, die um das wachsen- sen. Den Steinbock hatte man bereits Mitte Nur die Böcke tragen ein Geweih, das sie de Geweih liegt). Sie verhalten sich ängstlich desselben Jahrhunderts ausradiert. Gegen- im Spätherbst abwerfen. Die Geschlech- gegenüber anderen Böcken, da sie ebenfalls wärtig ist das Reh nicht mehr gefährdet, ter lassen sich aber auch am sogenannten noch nicht territorial sind. sondern sogar die häufigste freilebende und «Spiegel», dem weissen «Hintern», erken- Ein vierjähriger oder älterer Bock ist absolut wehrlose Huftierart der Schweiz. nen. Ist dieser Fleck nierenförmig, handelt es stämmig und steht breit. Sein Fell ist im Rund 140 000 Rehe und rund 40 000 Tiere sich um ein Männchen, wohingegen es beim Unterschied zu jüngeren im Juni immer noch werden pro Jahr frei für die Jagd erlegt. Weibchen herzförmig aussieht (siehe Foto grau gefärbt, und er wirft sein Geweih Ende Das Reh sucht sich ganz gezielt Pflanzen oben). Beide Geschlechter wechseln zwei- Oktober ab. Er verhält sich misstrauisch aus. Als Vegetarier fressen die Tiere im Som- mal im Jahr ihr Fell und sind im Sommer rot- und vorsichtig und vertreibt andere Böcke. mer Blüten, Kräuter und Blätter, im Herbst braun und im Winter eher grau. Die Kitze sind Die Böcke besitzen an der Stirn eine Duft- Früchte, Beeren, Eicheln und Pilze. Im Winter weiss gefleckt. drüse, mit der sie Bäume und Sträucher in und Frühfrühling läuft der Stoffwechsel auf Will man das Alter eines Rehes beurteilen, ihrem Revier markieren. Dieses «Fegen» Sparflamme. In dieser Zeit fressen sie deut- schaut man auf den Körperbau, auf die Fär- kann Jungbäume verletzen, weshalb Be- lich weniger. bung, das Geweih und das Verhalten. Einjäh- pflanzungen häufig mit Plastikmanschetten In den Sommermonaten Juli und August rige haben meist einen schmalen Kopf und geschützt werden. Monica V. Biondo kommt es zur Brunft, und der Rehbock be- lange dünne Beine. Das Geweih erscheint Dr. phil. nat. gattet die Geiss. Dabei kommt es durchaus etwas verspätet und wird erst im Dezember Leiterin Forschung und Naturschutz 9
Einem Refugium un für gefährdete Arten d Im wertvollsten Naturschutzgebiet der Region Basel, das gleich- zeitig einer der wichtigsten Trocken-Lebensräume der Schweiz ist, soll ein neues Hafenbecken und ein Containerterminal gebaut werden. Deshalb: Nein zum Hafenbacken 3 in Basel! * soll dereinst der Grossteil des Schwei- eines der letzten seiner Art, denn seit zerischen Container-Im- und Exportes dem Jahr 1900 sind 95 Prozent aller JULIA FISCHER stattfinden. Brisant an der Sache: SBB Trockenlebensräume in der Schweiz Umwelt- und Politökonomin Cargo und das Bundesamt für Verkehr verschwunden. Nachdem die Fläche — planten dieses Mega-Containertermi- anfangs des 20. Jahrhunderts als Ran- nal aufgrund der zentralen Lage zu- gierbahnhof des Badischen Bahnhofs Laut Initianten soll damit der Güterver- nächst im Mittelland – dort scheiterte genutzt worden war, wurde das Ge- lad auf die Schiene gefördert werden. das Projekt aber am Widerstand durch lände seit Ende der 1980er-Jahre nicht Mit dem Argument soll dem Projekt die dortige Bevölkerung und Behörden mehr benötigt. Im Auftrag des Kantons ein «grüner Anstrich» verpasst werden. gegen Mehrverkehr und Gefahrengü- Basel-Stadt wurde es aber gepflegt und Doch die Hochrechnungen und Ver- tertransporte. Nun soll das Terminal in offen gehalten, womit die Trockenwie- sprechungen der Befürworter werden Basel gebaut werden, kombiniert mit sen und Ruderalflächen im Lauf der von unabhängigen Fachleuten stark be- einem neuen, unnötigen und vor allem Zeit zu einem einmaligen Refugium für zweifelt. Dank dem Referendum, wel- laut Schifffahrtsexperten fehl konstru- Tiere und Pflanzen wurde. Gleichzeitig ches die Fondation Franz Weber (FFW) ierten Hafenbecken, um den Anschein wurde es zum zentralen Teil des Wan- gemeinsam mit weiteren Umwelt- zu erwecken, das Terminal könne auf- derkorridors, der diesen Arten im Zuge schutzorganisationen im Frühjahr 2020 grund des Rheinanschlusses nur in Ba- des Klimawandels eine Verschiebung ergriffen hat, werden die Basler Stimm- sel liegen. Doch das ist nicht alles. in Nord-Süd-Richtung erlaubt. Gefähr- berechtigten am 29. November 2020 das dete Tierarten wie der Himmelblaue letzte Wort über diese unverschämte EIN NATURSCHUTZGEBIET VON NATIO- Steinkleebläuling, die Schlingnatter Zerstörung geschützter Natur erhalten. NALER BEDEUTUNG SOLL WEICHEN und auch der Feldhase haben auf der Ein Kilometer vom Rhein entfernt Das Gelände, auf dem das Megaterminal 20 Hektar grossen Fläche ein Zuhause soll in Basel aus Steuergeldern ein kom- künftig 260 000 Container umschlagen gefunden, genauso wie über 400 – eine plett neues Hafenbecken und ein riesi- will, ist ein Naturschutzgebiet von na- Vielzahl davon gefährdete – Pflanzen- ger Güterumschlagplatz entstehen, das tionaler Bedeutung im Bundesinventar arten. Doch dies kümmert ein Grossteil sogenannte «Gateway Basel Nord». Hier der Trockenwiesen und -weiden. Es ist der amtierenden Politikerinnen und 10
nd Wanderkorridor droht die Zerstörung Politiker Basels nicht. Das Argument: den per Schiff in Basel eintreffenden Bundes für die Projektdurchführung. «Klimaschutz». Containern werden heute tatsächlich Nur dann wird das Eidgenössische nur 8 Prozent auf die Bahn verladen. Der Departement für Umwelt, Verkehr, DER «GRÜNE ANSTRICH»: Grund für diese geringe Zahl ist, dass in- Energie und Kommunikation (UVEK) EIN NEUER TRICK nerhalb der Schweiz die wenigsten End- die «Anpassung Mobilität» des Basler Unter diesem Deckmantel versprechen kunden einen direkten Bahnanschluss Richtplans, welche für den Bau des die Initianten des geplanten «Gateway haben. Die Kosten und der Zeitver- Container-Terminals nötig ist, ge- Basel Nord» «ein Miteinander von Na- lust für den zweimaligen Umschlag – nehmigen. Doch die Suche nach den tur und Logistik». Die angepriesene Gü- in Basel vom Schiff auf die Bahn und sogenannten adäquaten «Ersatzflä- terumlagerung von der Strasse auf die irgendwo in der Schweiz dann auf den chen» gestaltet sich schwierig. Denn Schiene der Befürworter klingt gut, hält LKW – machen den Zwischenverlad auf in der Realität kann ein aufgrund der Realität allerdings nicht stand: Von die Bahn komplett unrentabel. Durch seiner Fauna und Flora besonders den Bau des «Gateway Basel Nord» und wertvoller Standort – über die Jahre Hafenbecken 3 würden deshalb keine zu dem gewachsen, was er heute ist LKW-Fahrten eingespart, sondern die – nicht einfach so an einen anderen Zahl der umgeschlagenen Container Ort transferiert werden. Die Ankün- würde massiv erhöht. Die angestrebte digung der SBB, dass Ersatzflächen Zentralisierung des Containerverkehrs zerstückelt entlang von bestehenden würde zu weiteren Lastwagenfahrten Bahnlinien gefunden und geschaffen und Gefahrengütertransporte durch werden könnten, wirkt geradezu gro- Basel führen. Kein Klimaschutz, son- tesk wenn wir uns vor Augen führen, dern eine massive zusätzliche Umwelt- was hier auf dem Spiel steht: Kommt belastung wären die Folge – und die dieses Projekt zustande, verlieren die Zerstörung eines Naturrefugiums ge- im jetzigen Naturschutzgebiet leben- fährdeter Arten. Der vorgebliche Zweck den Tiere und Pflanzen unwiderruf- soll die Mittel heiligen. lich ihr Zuhause und ihr Leben. ERSATZFLÄCHEN FÜR EINMALIGES ÖKO- TROTZ CORONA-LOCKDOWN: 4 281 SYSTEM: EIN DING DER UNMÖGLICHKEIT UNTERSCHRIFTEN FÜR REFERENDUM Die Befürworter behaupten an dieser Dennoch beschloss der Grosse Rat Stelle, für einen «angemessenen Er- des Kanton Basel-Stadt am 12. Feb- Gefährdete Tierarten wie der Himmelblaue satz» der Naturschutzflächen, welche ruar 2020, das 150-Millionen-Projekt Steinkleebläuling haben auf dem Gelände ein durch das Grossprojekt zerstört wür- zum Bau des neuen Hafenbecken 3 Zuhause gefunden. Foto: Thomas Stalling den, zu sorgen. Dies ist eine Auflage des zu bewilligen, und damit das einma- 11
NATUR SCHUT Z lige Naturschutzgebiet dem Untergang der Sammelfrist 4'281 Unterschriften zu weihen. Dies konnte und wollte die gegen das Hafenbecken 3 an die Staats- Fondation Franz Weber nicht hinneh- kanzlei Basel-Stadt übergeben werden men: Gemeinsam mit einer Vielzahl – mehr als doppelt so viele als benötigt! von Naturschutzorganisationen, Quar- Dank diesem Eingreifen des Referen- tierbewohnern, Schiffsführern und dumskomitees und der Unterstützung Tierfreunden wurde das Referendum unserer Gönnerinnen und Gönner in ergriffen. Und obschon die Unterschrif- der Region Basel wird nun die Stimm- tensammlung durch den Corona-Lock- bevölkerung des Kantons Basel-Stadt down und den damit verbundenen am 29. November 2020 über das Gross- Fristenstillstand eine grosse Heraus- projekt bestimmen können. Das Votum Auch der Feldhase lebt auf der 20 Hektar forderung darstellte, konnten innert ist klar: «Nein zum Hafenbecken 3!» grossen Fläche. Foto: Ingo Seehafer. AM 29. NOVEMBER 2020: NEIN ZUM HAFENBECKEN 3 • NEIN zur Zerstörung eines der wertvollsten Naturschutzgebiete der Schweiz • NEIN zu einem untauglichen Hafenbecken, das unsere Pflanzen und Tiere bedroht • NEIN zur zusätzlichen Umweltbelastung durch die Zentralisierung des Containerverkehrs mit weiteren Lastwagenfahrten und Gefahrengütertransporten durch Basel Was können Sie tun? • Informieren Sie Familie, Freunde und Bekannte, welche in Basel-Stadt wohnen, über das anstehende Referendum. Nur so können wir das Schicksal, welches dem einmaligen Naturschutzgebiet droht, abwenden! Gerne schicken wir Ihnen dazu auch unsere Informationsflyer, welche Sie bei uns bestellen können (ffw@ffw.ch / 021 964 24 24). • Sie wohnen in der Region Basel? Bestellen Sie jetzt eine Kampagnen-Fahne zum Aufhängen und zeigen Sie Flagge gegen das unverschämte Grossprojekt (Kontakt siehe oben). • Als Stimmberechtigte im Kanton Basel-Stadt: Stimmen Sie «NEIN zum Hafenbecken 3» am 29. November 2020! Im Namen des Referendumskomitees danken wir Ihnen für Ihre wertvolle Unterstützung – es zählt jede Stimme für die Natur! Das Referendumskomitee wird getragen von IG Schiffsführer Basel, Dorfverein Pro Kleinhüningen, Entomo- logische Gesellschaft Basel, Ornithologische Gesellschaft Basel, BastA!, WWF Region Basel, Pro Natura Basel, Ökostadt Basel, Greenpeace Regionalgruppe Basel, umverkehR, Integrale Politik Nordwestschweiz, Fondation Franz Weber (Stand 04.08.2020) Weitere Informationen: www.hafenbecken3nein.ch 12
IHR TESTAMENT IHR TESTAMENT FÜRFÜR TIER TIER UNDUND NATUR NATUR Lassen Sie Lassen Sie Ihren Ihren letzten letzten Willen Willen für eine für eine lebenswerte Welt lebenswerte wirken! Welt wirken! Wünschen Sie über Ihr irdisches Leben hinaus Tiere und Natur zu schützen? Dann bitten wir Sie, in Ihren letzten Verfügungen an die Fondation Franz Weber zu denken. FONDATION FONDATIONFRANZ FRANZWEBER WEBER Kontaktieren Sie uns telefonisch für eine vertrauliche und unverbindliche Postfach Postfach257, 257,3000 3000Bern 13 13 Bern Beratung. Unsere Spezialistin, Lisbeth Jacquemard, unterstützt Sie gerne und T +41 +41(0)21 (0)21964 9642424 2424 freut sich auf Ihre Anfrage. ffw@ffw.ch ffw@ffw.ch| www.ffw.ch | www.ffw.ch 129 3
Sieg für Montreux HEIMAT SCHUT Z Dank Helvetia Nostra, Tochterorganisation der Fondation Franz Weber, fallen der bestehenden * ANNA ZANGGER Rechtsanwältin Bauten, die Landschaften und Grünflächen von — Montreux nicht der ausufernden Überbauung zum Opfer. Nach einer mehr als zehnjährigen schaft und die Grünflächen der Stadt Anforderungen des Bundes- und Kan- erbitterten Auseinandersetzung gibt zu erhalten, offenbart. Der neue, 2007 tonsgesetzes gerecht werden sollte. Ab das Bundesgericht der Stiftung recht von der Stadt erarbeitete Allgemeine 2007 wurde der ANP erarbeitet. Bereits und stoppt den Allgemeinen Nutzungs- Nutzungsplan (ANP) enthielt nicht nur ein erster ANP-Entwurf, der einer Um- plan (ANP) der Gemeinde: Eine herbe die Fehler der Vergangenheit, sondern frage unterzogen wurde, erhielt damals Niederlage für die ansässigen Behör- noch schlimmer: Ebendiese Fehler soll- 88 Gegenstimmen und Kommentare. den, die nach dem vorliegenden Bun- ten institutionalisiert werden. Bei Hel- desgerichtsurteil ihr Raumplanungs- vetia Nostra schürte dies die schlimms- EINSPRUCH GEGEN DEN ANP-ENTWURF konzept nun komplett überarbeiten ten Befürchtungen für die Zukunft von – LANGER KAMPF FÜR HELVETIA NOSTRA müssen. Und gleichzeitig der Beleg da- Montreux, und kämpfte deshalb seit Der heftige Widerstand gegen den ANP- für, dass Montreux seine Raumpolitik 2007 gegen die Verabschiedung des Entwurf von 2007 brachte die Gemein- ändern muss und nicht unter dem ANP. Nun setzte sie sich durch: Mont- de dazu, mehrere Änderungen am ur- Beton ersticken darf. reux kann aufatmen. sprünglichen Entwurf vorzunehmen. Montreux: Eine wunderschöne 2013 wurde eine zusätzliche öffentliche Kleinstadt zwischen Schwindel erre- NUTZUNGSPLAN VON 1972 – SEIT MEHR Umfrage durchgeführt, bei der sich genden Berggipfeln und dem Blau des ALS 40 JAHREN HINFÄLLIG! ebenfalls zahlreiche Gegenstimmen Genfersees. Eine ruhige Ortschaft, die Die Gemeinde Montreux verfügt über erhoben (44!), darunter diejenige von nicht nur während des berühmten Jazz- einen kommunalen Nutzungsplan, der Helvetia Nostra. Die Tochterorgani- Festivals jährlich Tausende von Touris- seit Jahren hinfällig ist, denn er stammt sation der Fondation Franz Weber ten anzieht. Doch Montreux birgt auch aus dem Jahr 1972. Gemäss Schweizer brachte vor, dass der ANP den Schutz eine andere Seite, die eine fragwürdige Raumplanungsgesetz (RPG) bestand der bestehenden Bebauungen, der mit Raumplanung, Baufehler, eine relativ deswegen die Verpflichtung, einen neu- Bäumen bepflanzten Räume und der chaotische Raumgestaltung und vor al- en Allgemeinen Nutzungsplan (ANP) Anhöhen von Montreux nicht gewähr- lem den mangelnden Willen, die Land- zu erstellen, der den raumplanerischen leistete. Dennoch wurde der ANP 2014 14
NR . 133 J U L I | A U G U S T | S E P T E M B E R 2020 vom Gemeinderat verabschiedet. 2015 reduzieren oder zu belegen, dass die Planung für den gesamten Raum ach- erteilte dann auch der Kanton seine Zu- vorgesehenen Bebauungsflächen ei- ten, um eine «ganzheitliche Vorstel- stimmung. nem für die nächsten 15 Jahre nachge- lung» und ein gewisses Mass an Rechts Dies konnte und wollte Helvetia wiesenen und vorhersehbaren Bedarf sicherheit zu gewährleisten. Die Orte Nostra nicht hinnehmen. Es folgte ein entsprechen. Noch schlimmer: Um die Les Avants, Caux und Vallon de Villars langjähriger Rechtsstreit über mehre- Begrenzung der Bebauungsflächen zu müssen daher in den ANP integriert re Instanzen: Zunächst vor dem Kan- verhindern, nutzte die Gemeinde eine werden. tonsgericht, das die Einsprüche von rechtliche Grauzone aus und klassi- Helvetia Nostra zurückwies und dem fizierte zahlreiche Parzellen als «re- ZURÜCK AUF ANFANG umstrittenen ANP recht gab. Doch ge- servierte Flächen» (insgesamt nahezu Die Gemeinde Montreux muss nun nau wie die anderen Beschwerdeführer 80 000 Quadratmeter!) – das heisst, als den Nutzungsplan von Grund auf neu liess sich auch Helvetia Nostra nicht Bebauungsflächen, die vorübergehend erarbeiten, und diesmal das Bundes- von der Kantonsentscheidung entmu- nicht bebaut werden, in der Zukunft recht beachten. Insbesondere darf sie tigen und legte mithilfe des seit vielen aber bebaut werden könnten. Das Bun- die Vorschriften über die Festlegung Jahren für die Initiative arbeitenden desgericht beschied: Die Bebauungs- von Bebauungsflächen nicht mit miss- Rechtsanwalts Rudolf Schaller vor dem fläche eines Nutzungsplans darf nicht bräuchlichen Raumplanungswerkzeu- Bundesgericht Einspruch ein. künstlich durch die Festlegung von gen umgehen. Montreux darf sich da- reservierten Flächen reduziert werden. bei keinen Fehler mehr erlauben: Der URTEIL DES BUNDESGERICHTS – Diese «Trickserei» verstösst gegen Bun- neue ANP muss tadellos sein. ERFOLG FÜR HELVETIA NOSTRA desrecht. In Bezug auf die derzeit laufenden Am 16. April 2020 gab das Bundesge- Baugenehmigungsprozesse in Mon- richt Helvetia Nostra recht und stoppte DIE ANHÖHEN VON MONTREUX MÜSSEN treux herrscht Unsicherheit. Klar ist, den ANP von Montreux endgültig. Für TEIL DES ANPS WERDEN dass der ANP von 1972 hinfällig ist und die Stiftung ist dies ein grosser Sieg, Das Bundesgericht kritisierte ebenfalls, der neue, vom Bundesgericht gestopp- dank dem ihre langjährige Arbeit für dass die Gemeinde Montreux sich dar- te ANP nicht gilt. Unter diesen Umstän- den Schutz sowohl der bestehenden auf beschränkt hatte, den urbanen Teil den könnte es durchaus dazu kommen, Bebauung als auch der Landschaft und ihres Raums zu regulieren, was insbe- dass Baugenehmigungen eingefroren der Grünflächen von Montreux nun sondere die Anhöhen von Montreux, werden. Für diese Gemeinde, die seit mit Erfolg gekrönt wird. die im Norden des Gemeindegebiets Jahren unter einer schlechten Baupla- Das Urteil – das zweifelsohne als gelegenen Dörfer, ausschloss. Gemein- nung leidet, ist dies vielleicht die Ge- Grundsatzentscheid für zukünftige den müssen bei der Aufstellung ihrer legenheit, erst einmal wieder durchzu- Planungen gelten wird – ist ein starker Nutzungspläne auf eine koordinierte atmen. Rüffel des Bundesgerichts an die Ge- meinde Montreux. Mit der Einschät- zung, die Gemeinde Montreux halte DAS SCHREIBT ARTIKEL 15 DES RPG VOR sich «seit mehr als 30 Jahren» nicht an die Rechtsprechung, beurteilte Das Raumplanungsgesetz (RPG) ist ein Bundesgesetz, welches die von den Kantonen und das Bundesgericht die Situation die- Gemeinden zu beachtenden und umzusetzenden Grundsätze und Leitlinien für die schweize- ser Stadt als «absonderlich und nicht rische Raumplanung festlegt. Die Kantone verabschieden darüber hinaus kantonale Raum- nachvollziehbar». planungsgesetze, und die Gemeinden bereiten darauf basierend allgemeine und detailliertere Nutzungspläne vor, in denen die Bauweise in ihrem Gemeindegebiet festgelegt wird. Allge- ZU GROSSE BEBAUUNGSFLÄCHEN mein teilt sich die Schweiz in zwei grosse Kategorien auf: Die Bebauungsflächen, auf denen Aus technischer Sicht bemerkte das öffentliche Einrichtungen und unter bestimmten Bedingungen Privatgebäude errichtet wer- Bundesgericht, dass der ANP von Mon- den dürfen, und die nicht bebaubaren Flächen, das heisst, landwirtschaftliche und geschütz- treux gegen Artikel 15 RPG verstösst, da te Flächen (Wasserläufe, Wälder etc.). Artikel 15 RPG gibt häufig Anlass zu heftigen Debatten die im ANP vorgesehene Bebauungs- in der Justiz. Er betrifft das Baugebiet und schreibt zwei wichtige Bedingungen dafür vor, fläche zu gross und schwer abgrenzbar dass eine Gemeinde eine Parzelle als bebaubar klassifizieren darf: (1) Die Bebauungsfläche ist. Tatsächlich ist die Gemeinde ihrer muss dem vorhersehbaren Bedarf der 15 nächsten Jahre entsprechen, und (2). Zu grosse Verpflichtung nicht nachgekommen, Bebauungsflächen müssen reduziert werden (dies wird als «Verdichtung» bezeichnet). die übergrossen Bebauungsflächen zu 15
HEIMAT SCHUT Z Das Gäbelbachtal mit dem «Chliforst Nord» ist ein malerischer Naherholungs- raum auf dem Gemeindeboden der Stadt Bern. Hier befindet sich der Lebens- raum einer bemerkenswerten Artenvielfalt mit seltenen gefährdeten Tieren und Pflanzen. Doch diese einzigartige grüne Lunge steht in Gefahr! Abseits von Industriegebiet, Autobahnan- Quadratmeter artenreiches Wald- und Wie- Mäntelchen des «öffentlichen Ver- schluss und einem ausgebautem Strassen- senland geopfert werden – eine Fläche von kehrs» begrünt sind – wie im aktu- netz plant die BLS AG eine riesige Bahn- 20 Fussballfeldern! ellen Fall, wo die BLS mitten in der Werkstätte zur Reinigung ihrer Züge mit 24 Die Fondation Franz Weber (FFW) kämpft Naturlandschaft «Chliforst Nord» Stunden-Schichtbetrieb. Für diesen regel- gegen industrielle Grossprojekte auf der grü- eine riesige Reinigungsanlage für rechten Grossklotz sollen weit über 150 000 nen Wiese. Auch dann, wenn sie mit dem Züge bauen will. Idyllische Land- Heute sieht das idylische Naherholungsgebiet Chliforst im Westen der Stadt Bern so aus. 16
Zerstörung der Natur im Namen des öffentlichen Verkehrs? Nein! Fotos: Michael Stahl schaften wie die des «Chliforst Nord» gibt es tigen Industriekomplexes verstösst gegen das bestehende eidgenössi- im Mittelland nicht mehr viele. Daher wehrt als negativ. Denn der ge- sche Raumplanungsgesetz. sich die FFW vehement gegen die ange- plante Standort liegt in einer Die Fondation Franz Weber (FFW) wird kündigte Zerstörung dieses Naherholungs- «Insel-Lage». Das heisst, er sich gegen diesen von der BLS geplanten raums. schliesst nicht an eine Bau- «Grossklotz im Chliforst» vehement zur Auch das Amt für Gemeinden und Raum- oder Industriezone an. Die Wehr setzen: Auf politischem Weg oder auch ordnung des Kantons Bern (AGR) bewertet geplante Anlage ist gemäss mit juristischen Mitteln. Nötigenfalls bis vor den «Chliforst Nord» für den Bau des gewal- AGR daher unzulässig und Bundesgericht. CHLIFORST: NATURPERLE MIT SCHÖNHEITS-MAKELN Es gibt zahlreiche Punkte, die man zum weit Ja, in und um den Chliforst befinden sich ein paar Schweizer Natur, die nichts für ihre Makel kann, über 400 Millionen Steuerfranken teuren «unschöne» Flecken wie ein Übungsgelände für deshalb gänzlich unter dem Beton verschwinden? BLS-Projekt Chliforst anmerken muss. die Feuerwehr, ein Schiessplatz oder auch ein ehe- Nicht nur die Anwohnerinnen und Anwoh- Hier nur eine Auswahl: maliges, jedoch schon lange nicht mehr erkennba- ner, sondern auch die Stadtbevölkerung braucht res Tanklager aus dem 2. Weltkrieg. Umso wichtiger Naherholungsgebiete wie den Chliforst, die immer Es ist nicht gerechtfertigt, in einer Naturlandschaft ist es, diesen Erholungsraum nicht noch weiter zu seltener werden. Gerade während der Coronakrise fernab von Industrieerschliessungen einen Indus- verschandeln, sondern die Natur intakt zu halten! haben wir erlebt, dass sich immer mehr Menschen trieklotz hinzustellen. Dieser Ort ist so naturbe- Für eine Eisenbahn-Werkstätte soll Wald gerodet — in der Natur aufhalten, um eine Pause von all den lassen, wie wir es vielerorts nicht mehr auffinden gemäss Schweizer Gesetz rechtlich verboten —, ein Einschränkungen des Alltags zu erhalten. Der Chli- können! Der Chliforst beherbergt bedrohte Tiere Wildtierkorridor von nationaler Bedeutung durch- forst muss ein Naherholungs- und Naturgebiet wie zum Beispiel den Neuntöter, Vogel des Jahres schnitten sollen, neue Strassen durch Waldgebiete bleiben! 2020, der aus immer eintöniger werdenden Land- erstellt oder bestehende verbreitert werden? Die Fondation Franz Weber wird dieses hängige schaften verschwindet. Oder auch den Biber, der es Würde man mit dem Argument der «Schön- oder drohende Verbrechen an der Natur mit allen im auf weiten Strecken frei mäandrierenden Gä- heitsmakel» unsere Schweizer Landschaften Mitteln bekämpfen. belbach bis fast an seine Quelle im Forst geschafft durchkämmen, so fänden sich zahlreiche Orte, wo Monica V. Biondo, und unweit der geplanten BLS-Werkstätte einen der Mensch bereits auf schändliche Weise sei- Dr. phil. nat. Damm gebaut hat. ne Spuren hinterlassen hat. Soll die verbleibende Leiterin Forschung und Naturschutz 17
Marcel Heider – unermüdlicher und kluger Pionier von Sauver Lavaux Das UNESCO-Weltkulturerbe Lavaux ist wieder in Gefahr: Immobilienentwickler versuchen ein trojanisches Pferd ins Herz dieses demokratisch geschützten Gebiets einzuschleusen. Über das unsägliche Spekulationsprojekt der Immobiliengruppe Orlatti/ Erbengemeinschaft Testuz im historischen Dézaley-Treytorrens berichteten wir bereits in der letzten Ausgabe des Journals. Diese erneute Bedrohung nehmen wir zum Anlass, uns noch einmal der Gründungsgeschichte von Sauver Lavaux zu widmen und einen * JEAN-CHARLES KOLLROS Pionier der Bewegung - den angesehenen Rechtsanwalt Marcel Journalist — Heider - zu Wort kommen zu lassen, der in all den Jahren seines Wirkens für den Erhalt des Lavaux nichts von seiner Kraft eingebüsst hat. Das von Franz Weber gerettete UNESCO-Weltkurlturerbe Lavaux ist wegen eines geplanten Bauprojektes wieder in Gefahr. 18
NR . 133 J U L I | A U G U S T | S E P T E M B E R 2020 Zeit mit Marcel Heider zu verbringen, insbesondere auf seinem einladenden Wohnsitz in Aran, ist ein reines, ele- mentares Vergnügen, für das die Gast- freundschaft ebenso ausschlaggebend ist wie ein stets aufrichtiger Humanis- mus. Dem Dahinfliehen der Jahre und den unzähligen Schlachten, die er ge- schlagen hat, zum Trotz ist der Mann nach wie vor bemerkenswert vital, und stellt ein unfehlbares Gedächtnis unter Beweis. Ein wahres intellektuelles Ka- pital, in dem der Einsatz für die Be- wegung Sauver Lavaux für immer eine Sonderstellung einnehmen wird. Seine berufliche Laufbahn begann Marcel Heider 1960, nachdem er Steu- er- und Verwaltungsrecht an der juris- tischen Fakultät Heidelberg studierte und an der Universität von Lausanne 1958 seinen Doktortitel in Rechtswis- senschaften erwarb. 1960 erhielt er sein Anwaltspatent im Kanton Waadt. Der weitherum bekannte Marcel Heider ist Mitglied der Waadtländer Anwaltskam- mer und des Schweizerischen Anwalts- verbands. Marcel Heider (oben) gehörte an der Seite Franz Webers zu den Rettern des Lavaux. Vor dem Plakat der ersten «Sauver Lavaux»-Initiative (1977) bekräftigt er seinen Widerstand gegen Marcel Heider: «1968 hielten sich das geplante Spekulations-Bauprojekt in Dézaley-Treytorrens. Foto: C.W. Marsens meine Frau und ich in Sils Maria in Graubünden auf. Von diesem Zeit- «Wir schreiben den 30. Januar 1972, einzusetzen. Nach einer Ortsbesichti- punkt an verfolgten wir mit grossem und neben unserem persönlichen gung beschliesst er am 9. Februar 1972, Interesse das Engagement von Franz Engagement fungieren wir als Wort- die Vereinigung Sauver Lavaux («Ret- Weber, der sich kurz zuvor erstmals führer einer Gruppe von Winzern von tet das Lavaux») zu gründen. Seitdem für das Natur- und Architekturerbe Villette, zu der namentlich die Stadt- stellt Marcel Heider sein Fachwissen in stark gemacht hatte, um das Dorf räte Paul Bujard und Marcel Joly so- den Dienst der Rettung des Lavaux. Surlej im Engadin und das Ufer des wie der ehemalige Ammann Marcel Silvaplanersees vor einem Immobi- Riccard gehören.» «Franz Weber und wir hielten es von lienprojekt zu retten.» Anfang an für unerlässlich, die Ret- Tatsächlich ist die Bedrohung äuserst tungsaktion auf die gesamte Region Dieser erste Kampf eines Mannes, der ur- real: Ein Projekt zum Bau von 43 Villen auszuweiten, denn ganz offensicht- sprünglich Schriftsteller und Journalist zwischen Aran und Villette, inmitten lich – man denke daran, was heute werden wollte, ebenso wie Franz Webers des Lavaux, steht kurz vor seiner Ver- mit dem Projekt Orlatti-Testuz ge- Kreuzzug für den Schutz von Baux-de- wirklichung. Von der irreversiblen Ver- schieht – war der Fall von Villette nur Provence weckt die Bewunderung des schandelung einer historischen Land- die Spitze des Eisbergs, ein Türöffner jungen Anwalts. Mehr braucht es nicht, schaft einmal abgesehen, gingen den für andere Projekte. Und Franz We- damit sich Heider, der nebenbei bereits Winzern durch dieses Projekt 2,2 Hek- ber beschrieb diese Situation sehr damals eine Leidenschaft für gute Weine tar Anbaufläche verloren. treffend: «Wenn wir zulassen, dass hegte, und seine Gattin Denise Heider- Voller Anteilnahme willigt Franz We- sich der Pickel oder die Beule von Piccard, an Franz Weber wenden. ber ein, sich für die Winzer von Villette Aran-Villette ungehindert entwi- 19
HEIMAT SCHUT Z ckelt, dann wird die Betonkrankheit im Wasser, doch auch durch meine der Liebe, zur Rettung von Lavaux ei- auf die Weinberge übergreifen.» Liebe zur Kultur und zum Wein kann- nen starken Nachhall fanden. te ich alle, die in dieser Zeit Rang und Franz Weber wiederum stellt von Be- Neben seinem Scharfsinn als junger Namen hatten. Und oft hatten wir ginn an sein journalistisches Können in Anwalt, der für sein strategisches Ge- Verbindungen, die nicht den politi- den Dienst der Sache, so dass innerhalb schick und seinen Kampfgeist ebenso schen Zwängen unterworfen, aber kürzester Zeit die gesamte Schweiz über geschätzt wie gefürchtet ist, steuert hochwirksam waren. Zudem kulti- den Kampf zur Rettung der historischen Heider noch ein weiteres wesentliches vierte ich diese Beziehungen, indem Weinterrassen informiert ist. Für Franz Instrument zu Sauver Lavaux bei: Seine ich bei informellen Treffen oder beim Weber ist der Fall klar: Diese Landschaft unschätzbaren persönlichen Netzwer- Aperitif die Kontakte intensivierte. gehört allen und nicht nur den Men- ke, die er während seiner Studenten- Sie glauben gar nicht, was man mit schen, die dort leben. Als die Bewegung jahre geknüpft hat, sowie durch seine einem Glas in der Hand alles vor- Sauver Lavaux eine erste Petition zur Beziehungen innerhalb der Studenten- schlagen, aushandeln und erreichen Erhaltung des Lavaux lanciert, reicht sie verbindung Helvétia und Belles-Let- kann, wenn sich die Zunge löst und diese daher nicht bei den Waadtländer tres mit Charles Apothéloz gewonnen der Geist öffnet. Insbesondere orga- Behörden ein, sondern beim Bundesrat. hat. Und nicht zuletzt durch seine per- nisierte ich mit meiner Passion für Fortan handelt es sich um ein Anliegen fekte Einbindung in die Welt der Kunst. erlesene Weine jahrelang zahlreiche sowie eine Kampagne von nationaler und der Politik geniesst. Und das al- Besuche auf exzellenten Weingütern Bedeutung. les, ohne überzogenen Aktivismus zur in Burgund und an anderen dem Ge- Schau zu stellen und ohne Zerwürfnis- nuss zuträglichen Orten. Ich kannte «Sehr schnell schliessen sich uns be- se zu provozieren: Er kommt mit dem mich in dem Bereich aus, was ich mei- rühmte Persönlichkeiten aus der führenden Kopf der PdA, André Mu- nem Vater und meiner über 20-jäh- Kulturszene an, darunter der Diri- ret, späterer Nationalrat und brillanter rigen Erfahrung als Importeur von gent Victor Dezarsens, der berühmte Journalist, ebenso gut zurecht wie mit Weinen aus dem Burgund verdanke.» Philosoph und Schriftsteller Denis de der sozialdemokratischen Partei, etwa Rougemont und insbesondere der ge- mit dem Ständerat Jacques Morier- Bescheiden und diskret, was solche für niale und sehr bekannte Dichter und Genoud, sowie mit zahllosen anderen die Sache von Sauver Lavaux gleich- Chansonnier Jean Villard-Gilles. Persönlichkeiten dieser Zeit. Und die wohl entscheidende Aktionen angeht, Zudem unterstützen nach und nach Überzeugungskraft des Anwalts ist al- gibt Marcel Heider – der der Degusta- auch bekannte politische Persön- lein schon ein scharfes Schwert, um tion eines guten Weins in angenehmer lichkeiten unseren Kampf, entweder Menschen auf seine Seite zu ziehen. Gesellschaft auch heute nicht abge- öffentlich oder mit rechtschaffener neigt ist – immerhin zu, dass seine Vor- Diskretion. Diese Zeit hat einige vor- «Durch mein Studium und die Tatsa- gehensweise «einen positiven Beitrag treffliche Freigeister hervorgebracht, che, dass ich mich im politischen Le- dazu leisten konnte, dass einige seiner an denen es uns zu Beginn dieses ben von Waadt bewegte wie ein Fisch beherzten Aufschreie, gleichwohl Akte dritten Jahrtausends schmerzlich 20
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