DER KUNST IHRE TECHNIK - www.null41.ch Juni 2019 SFr. 9.

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    Juni 2019
     SFr. 9.–

   DER
 KUNST
  IHRE
TECHNIK
DER KUNST IHRE TECHNIK - www.null41.ch Juni 2019 SFr. 9.
HUGH            ZOE                  ZACH
                                                                           JACKMAN         SALDANA            GALIFIANAKIS

                     Musikfestwoche Meiringen

SCALE
                     5.– 13. Juli 2019

                     Künstlerischer Leiter: Patrick Demenga

                     Klassik – 10 Konzerte vom Feinsten
                     Grosse Werke der Kammermusik, Neues und Rares
                     in unerhörten Interpretationen …
                     Die Grande Dame des Pianos: Elisabeth Leonskaja

                     Der Goldene Bogen
                     Das Quatuor Sine Nomine wird ausgezeichnet.

                     Geigenbauschule Brienz
                     Die besonderen Scalen der Musikinstrumente

                     Vorverkauf:
                     kulturticket.ch, Telefon 0900 585 887
                     haslital.ch, Telefon 033 972 50 50

                     www.musikfestwoche-meiringen.ch                   ONE ADVENTURE LINKS US ALL
                                                                             AB 30. MAI IM KINO
                                                                                     © 2019 SHANGRILA FILMS LLC

Roy Lichtenstein, Yellow Brushstroke, 1965, Kunsthaus Zürich, 1975
© Estate of Roy Lichtenstein / 2019, ProLitteris, Zurich
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EDITORIAL

                             Alles im Griff: Flurina «Flu» Hunkeler, Tontechnikerin, am analogen Mischpult im Luzerner Sedel

                                                                                             einen Abend lang und führt Gespräche

AN DER SCHALT-                                                                               zwischen Kabelsalat und lauter Musik.
                                                                                             Philosoph Arno Schubbach reflektiert
                                                                                             über unser Verständnis von Kultur und

ZENTRALE                                                                                     Technik und fragt: Wer beeinflusst hier
                                                                                             wen? Stoph Ruckli trifft Tüftler und Tau-
                                                                                             sendsassa Fabio Amarilli und spricht
                      Liebe Leserinnen, liebe Leser                                      über Festivaltechnik sowie schwer zu reparie-
                                                                                         rende Maschinenteile.
                              Es ist Juni, Monat des Frauenstreiks, Be-
                       ginn des Sommers und Ende der Spielzeiten.                              Weiter gibt’s eine Literaturpause, die
                                        Für die Kultur bedeutet das: Es                  sich passend zum Heftfokus mit dem Thema
            Pascal Zeder                geht nach draussen! Freilicht-                   der «Bedienungsanleitung» befasst. Ob beim
            Redaktionsleiter ad interim spiel, Open-Air-Festival und                     Aufbau von neuen Möbeln oder dem Umstel-
                                        Gartenkonzert; unter freiem                      len der Backofenuhr auf Sommerzeit: Anlei-
                       Himmel werden die grossen Bühnen aufge-                           tungen zeigen bei alltäglichen Problemen Lö-
                       baut. Eine besondere Berufsgruppe ist dabei                       sungen auf. In der Literaturpause präsentie-
                       unverzichtbar: die Veranstaltungstechnike-                        ren uns Michelle Steinbeck, Heinz Stahlhut,
                       rinnen und -techniker. Kaum je im Fokus,                          Lili Vanilly und Jules Claude Gisler ihre ganz
                       sorgen sie doch dafür, dass alles reibungslos                     eigenen Bedienungsanleitungen für Kunst,
                       abläuft – ob draussen oder drinnen. Zeit, un-                     Literatur und das Zusammenleben.
                       seren «Techies» eine Ausgabe zu widmen!
                                                                                             Und nun: Scheinwerfer an für unsere
                           Dafür haben wir uns ins Getümmel ei-                          Juniausgabe!
                      nes Bandcontests gestürzt: Nina Laky beglei-
                      tet Tontechnikerin Flurina «Flu» Hunkeler

Juni 2019                                  041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                              3
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INHALTSVERZEICHNIS

    Frau der klaren Worte: Kate Tempest spielt am B-Sides > Seite 28               Fiston Mwanza Mujila liest mit musikalischer Begleitung > Seite 32

TÜFTEL-                                                                        Editorial > Seite 3
                                                                               Guten Tag > Seite 5
                                                                               Poliamourös

TAUSEND-
                                                                               Christof Schwenkel über Kartenspiele und Nachrufe > Seite 6

                                                                               Kosmopolitour
                                                                               Mirjam Landolt sucht in der Berliner Hektik nach Inspiration > Seite 7

                                                                               Stadt – Land

SASSA
Fabio Amarilli, self-made Zentralschweizer Hinterbühnenstar > Seite 12
                                                                               Blick durch die Linse aus Luzern und Beromünster > Seite 8

                                                                               Aktuell
                                                                               Der Leiter der Luzerner Museen macht den Sparkurs des Kantons
                                                                               nicht mit > Seite 10

                                                                               Überdacht
                                                                               Andreas Brüll und Felix Lisske über die Rolle der Kunst in der

TECHNISCH                                                                      Tontechnik > Seite 22

                                                                               Nachschlag
                                                                               Laurin Schwob über Trinkgeld und unfaire Tageszeiten > Seite 24

GESEHEN
Technik in Kunst und Gesellschaft: eine Begriffsgeschichte > Seite 16
                                                                               Käptn Steffis Rätsel > Seite 58
                                                                               Gezeichnet > Seite 59

TONANGEBEND
Tontechnikerin Flurina «Flu» Hunkeler > Seite 18
                                                                                KULTURKALENDER
                                                                                JUNI 2019
                                                                               Kunst > Seite 25
                                                                               Musik > Seite 28
                                                                               Bühne > Seite 30
                                                                               Wort > Seite 32
                                                                               Veranstaltungen > Seite 34
                                                                               Ausstellungen > Seite 49
                                                                               Ausschreibungen > Seite 54
Titelbild: Matthias Jurt
Fabio Amarilli in seiner Tüftelwerkstatt                                       Adressen A-Z > Seite 56

4                                              041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                     Juni 2019
DER KUNST IHRE TECHNIK - www.null41.ch Juni 2019 SFr. 9.
GUTEN TAG

      GUTEN TAG, MARCEL SCHWERZ-
      MANN
Sie sind also der neue Mann im Bildungs- und                                 GUTEN TAG, SPANGE NORD-
Kulturdepartement. Wir sind gespannt.                                        DEMONSTRIERENDE
Aufgeregt, «041 – Das Kulturmagazin»                                      Wir sind voll bei Euch, keine Frage. Weil absur-
                                                                      de Geldberge mitten in der Stadt in Strassen zu ver-
                                                                      wandeln, that’s so 1971. Aber warum in aller Welt
                                                                      demonstriert Ihr in der Fussgängerzone? Ab auf die
                                                                      Strasse mit Euch! Sollen die in den Autos ruhig mit-
      GUTEN TAG, LUZERNER STIMMBÜRGER                                 bekommen, was Sache ist.

     Bei der Anrede sind die Frauen natürlich mitge-                  Verkehrserziehend, «041 – Das Kulturmagazin»
meint. So wie sie auch mitvertreten werden von unse-
ren wiedergewählten weisshaarigen Männern. Zwar
wäre eine Frau ja schon wichtig, aber es ist einfach nicht
der richtige Zeitpunkt, sagt Herr Martinu und weiss:                         GUTEN TAG, LUZERNER KANTONAL-
Konstanz ist wichtiger als die Frauen. Und auch die                          BANK
Herkunft hat eine Rolle gespielt, sagt Herr Winiker
und weiss: Die Leute wollten unbedingt zwei Krienser                       Da wollten wir uns sechs Jahre nach der Abstim-
in der Kantonsregierung. Und an einen politischen                     mung über die autofreie Bahnhofstrasse am 1. Juli
Entscheid nur für Männer kann er sich nicht erinnern,                 endlich unseren ersten Apéro auf dem Mittelstreifen
sagt Herr Schwerzmann und weiss: Sein Männerteam                      gönnen, doch jetzt verhinderst Du diese Vorfreude
macht Politik für die ganze Familie. Ausserdem sind                   auf den Sommer just auf der Zielgeraden mit einer
die Linken verschlagen und die Grünen haben nichts                    Beschwerde gegen das Verkehrsregime vor Deiner
geleistet, sagt Herr CVP-Präsident Ineichen und weiss:                Tiefgarage am Blumenweg. Uns war nicht bewusst,
Die Männer im Politzirkus haben alles im Griff. Wer                   wie kompetent Du neben dem Bankengeschäft auch
braucht da denn bitte eine Frau.                                      in der Verkehrsplanung bist. Deine solventen Park-
                                                                      platzmieter sollen schliesslich vor dem Stau bewahrt
Alles geili Sieche!, «041 – Das Kulturmagazin»                        werden, der jetzt schon täglich auf Luzerns Strassen
                                                                      herrscht. So kann die Bevölkerung beruhigt weiter
                                                                      auf die Umsetzung ihres Volksentscheids warten,
                                                                      denn dank Deines Muts (und nicht etwa Deiner
                                                                      Staatsgarantie) lässt Du Dich in Zeiten des intensi-
      GUTEN TAG, LOREDANA                                             ven öffentlichen Diskurses über unser Klima nicht
                                                                      davon abbringen, dass freie Fahrt für Boliden wichti-
Was’n das für nen Drama?
                                                                      ger ist als Freiraum für Bürgerinnen und Bürger.
Da war’n zehn Mille in bar da
aber lag’s nicht an dein Karma
                                                                      Geduldig, «041 – Das Kulturmagazin»
War geschnappt von eine Oma
Wer klaut schon von die Oma
Na-na-na, Loredana
Das gibt echt nen scheiss Karma
(aber immerhin einen Punkt für Gangsterinnen-
Rap aus der Region!)                                                         GUTEN TAG, HORWER GEMEINDERAT
Zwinkernd durch die Sonnenbrille,                                         Der natürliche Feind einer Eisenskulptur ist der
«041 – Das Kulturmagazin»                                             Schweissbrenner. Das ist bekannt, das hätte man nicht
                                                                      unbedingt an einem 40-jährigen Kunstwerk praxiser-
                                                                      proben müssen.

                                                                      Für Kunst brennend, «041 – Das Kulturmagazin»

Juni 2019                            041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                            5
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POLIAMOURÖS

Jassen hallt nach

            Ich werde sterben. Als heute 38-jähri-                                                           Falls es Nekrologe in dieser
            ger, gesunder Mann vermutlich ir-                                                          Form auch in Zukunft noch geben
            gendwann in den 60er-Jahren dieses                                                         wird, wie soll man sich dann das An-
                                    Jahrhunderts.                                                      denken an die heutigen Jungen und
Text: Christof Schwenkel            Durch eine töd-                                                    Mittelalten vorstellen? «Die alte Tradi-
Illustration: Stefanie Sager        liche Kombina-                                                     tion der Instagram Stories hielt er
                                    tion aus Krank-                                                    noch lange aufrecht und bis zuletzt
            heit und Alter. Zumindest ist das sta-                                                     freute er sich über jeden einzelnen
            tistisch gesehen am wahrscheinlichs-                                                       Viewer»? «Mit ihren Enkelkindern
            ten.                                                                                       schaute sie stundenlang den Bauarbei-
                   Wir werden alt. Von den 66 000            Die Jugendjahre der meist in den          ten am neuen Durchgangsbahnhof
            Personen, die in der Schweiz im letz-     1920er- oder 1930er-Jahren Gebore-               zu. Schade, dass sie die Fertigstellung
            ten Jahr gestorben sind, war fast die     nen ähneln sich: der Vater Bauer, die            nicht mehr erleben durfte»? Könnte
            Hälfte älter als 85 Jahre. Über den Tod   Geschwister zahlreich, der Glaube                sein. Gut möglich aber, dass auch bei
            dieser Menschen erfahren wir Jünge-       fest. «Er musste schon früh anpacken             uns einmal am häufigsten an ausge-
            ren für gewöhnlich nur etwas aus der      und zu den jüngeren Geschwistern                 wiesene Jass-Kompetenzen erinnert
            Zeitung. «Heimat ist dort, wo einem       schauen.» Das ist so ein typischer               wird.
            die Todesanzeigen etwas sagen»,           Nachruf-Satz. Weiter werden Lebens-
            heisst es. Mir sind die Menschen in       ereignisse aufgeführt: Start in den
            den Anzeigen der Region fremd: Ich        Beruf, Hochzeit, Kinder, Schicksals-
            bin nicht hier aufgewachsen. Trotz-       schläge, Enkelkinder, Pension, Krank-
            dem oder gerade deswegen gehören          heit, Tod. So verdichten die Hinterblie-
            die Trauerseiten für mich zur span-       benen in ihren Texten 80 oder 90 Le-
            nendsten Lektüre einer Zeitung.           bensjahre. Und dies mit so grosser
                   Erfreulicherweise gibt es näm-     Sorgfalt und Liebe, dass man sich
            lich in den Zentralschweizer Tageszei-    wünschte, der Rest der «Luzerner Zei-
            tungen neben den Anzeigen noch die        tung» würde etwas davon abbekom-
            schöne Tradition des Nekrologs. An-       men.
            gehörige verfassen Texte zum Leben               Der kleinste gemeinsame
            und Sterben nahestehender Personen.       Nenner der Nekrologe ist das Karten-
            Privates aus dem Leben der Verstorbe-     spiel: Einen Jass haben die meisten
            nen wird in diesen Nachrufen auf eini-    auch im hohen Alter gerne geklopft.
            gen Absätzen öffentlich. Ein bisschen     So steht es zumindest in gefühlt 90
            Voyeurismus spielt beim Lesen der         Prozent der Beschreibungen. Trotz
            Texte dabei immer mit.                    dieser Gemeinsamkeiten ist jeder
                   Die Nekrologe geben Einblicke      Nachruf einzigartig und es gibt mit-
            in bestimmte Milieus. Und vor allem       unter Erstaunliches über die Verstor-
            öffnen sie ein Fenster in eine andere     benen zu lesen. In den letzten Wochen
            Zeit. In eine Zeit, in der man auf dem    beispielsweise über eine Pionierin im
            Land noch arm und ungemein katho-         Biolandbau, über einen Milchkontrol-
            lisch war. Lange Fussmärsche zur          leur und Schnapsvogt, weiter den
            Schule, Arbeitsunfälle und Kinder-        Schweizermeister in der Laufstaffel
            sterblichkeit gehörten damals zum         und den Gründer einer Kegelbahnfa-
            Alltag.                                   brik.

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KOSMOPOLITOUR

                                                                                                           Stadt entgegenbringt. Es sind so viele
                                                                                                           Eindrücke, die mir da gleichzeitig an
                                                                                                           den Kopf geworfen werden, und ich
                                                                                                           habe zu Beginn Mühe, mich auf etwas
                                                                                                           zu konzentrieren. Ich schliesse mich
                                                                                                           zwei urbanen Gartengruppen an.
                                                                                                           Eine ist im Wedding, im Stadtteil also,
                                                                                                           wo sich auch das Atelier befindet, die
                                                                                                           andere in Hellersdorf, am Berliner
                                                                                                           Stadtrand. In diesen Gärten stosse ich
                                                                                                           auf echte Berlinerinnen und Berliner,
            Ein Stück Berlin – im Blaudruck festgehalten                                                   die mir zwischen Kompost, Hochbeet
                                                                                                           und dem zum Werkzeugschuppen
                                                                                                           umfunktionierten DDR-Bauwagen
                                                                                                           sehr viel über diese faszinierende

Blaudruck, Ost-West,                                                                                       Stadt beibringen.
                                                                                                                  Es ist beeindruckend, ihre Ge-
                                                                                                           schichten zu hören, die oft mit Ost

Werkzeugschuppen                                                                                           oder West, vor oder nach der Mauer
                                                                                                           beginnen oder enden. Neben meinen
                                                                                                           Recherchen zur urbanen Gartenwelt
Kinosäle gesucht, Blaudruck gefunden,                               ersten Zeit in Berlin auf der Karte    besuche ich einen Blaudruck-Kurs –
                                                                   nach Kinosälen suche und mit            dieses Medium zieht mich schliess-
Englisch im Ohr. Und immer wieder                                   dem Fahrrad kreuz und quer             lich in seinen Bann und ich sehe über-
gedacht: Diese Stadt ist eine Wucht.                                durch die Stadt fahre, fällt mir       all potenzielle Flächen und Sujets. Seit
                                                                    auf, wie weitläufig sie ist. Auf       einiger Zeit suche ich nach etwas, das
                 Und dann bin ich da. In einer hellen,        diesen langen Fahrten sehe ich, wie          der digitalen Bilderflut und unbe-
                 riesengrossen Berliner Loft, dem             hier von einem Stadtteil zum anderen         grenzten Vervielfältigung etwas ent-
                 Künstleratelier der Zentralschweizer         Welten auseinanderklaffen. Und an            gegenhält – und habe es im Blaudruck
                 Kantone. Draussen kaltes, unfreund-          fast jeder Ecke ist man mit der Ge-          gefunden.
                 liches Februarwetter. Aber das ist halb      schichte Berlins konfrontiert.                      In Residenz zu sein ist eine Frei-
                 so schlimm, denn ich freue mich, end-               Irgendwann überkommt mich             heit, an die ich mich am Anfang ein
                 lich mal an der Berlinale dabei sein zu      ein komisches Gefühl, nachdem man            wenig gewöhnen musste. Inzwischen
                 können. Meine Freude wird aber               mir mehrmals auf mein Deutsch                möchte ich am liebsten gar nichts an-
                 ziemlich schnell getrübt. Nach drei er-      mit Englisch antwortet. Schliesslich         deres mehr. Die Zeit geht viel zu
                 folglosen Versuchen, morgens bei der         merke ich, dass das nicht auf mein           schnell vorbei und schon bald muss
                 Eröffnung des Online-Ticketverkaufs          schweizerisch angehauchtes Hoch-             ich wieder meinen Koffer packen.
                 ein paar Billette zu ergattern – zuerst      deutsch zurückzuführen ist, sondern
                 ist das System überlastet und an-            auf die multikulturelle Besiedlung
                 schliessend alles ausverkauft – gebe         Berlins.
                 ich es auf. Schliesslich sehe ich aber             Vier Monate also zum Experi-           Mirjam Landolt, geboren in Küssnacht
                 doch noch ein paar Filme dank der            mentieren und mich auf Umwege be-            am Rigi, hat ihren Weg zum Film über
                 «Auf-gut-Glück-Methode», die darin           geben. Ein grosser Luxus, wenn auch          die Ausbildung zur Fotografin gefun-
                                                                                                           den. Von Februar bis Mai 2019 arbeite-
                 besteht, direkt am Eingang ein Ticket        nicht immer einfach. Oft bin ich er-         te sie in der Berliner Atelierwohnung
                 zu erwerben. Während ich in dieser           schöpft von der Wucht, die mir diese         der Zentralschweizer Kantone.

Juni 2019                                  041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                            7
DER KUNST IHRE TECHNIK - www.null41.ch Juni 2019 SFr. 9.
STADT
    11. MAI, NEUBAD CLUB – VELO-DISKO AN DER VELONACHT LUZERN

                                   «Sprinten um Gold an
                                der ‹Velonacht-Party› im
                                         Neubad-Keller.»
                                                  Bild & Wort:   Franca Pedrazzetti

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LAND
14. MAI, KKLB LANDESSENDER BEROMÜNSTER

                                  «Das temporäre Atelier im
                                  ehemaligen Landessender
                                   KKLB dient dem Künstler
                                Sipho Mabona als grossräu-
                               miger Vorbereitungsort seiner
                                  kommenden Ausstellung.»
                                        Bild & Wort: Marlene Jost

                                                                9
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AKTUELL

EIN WEGZUG, DER SCHMERZT
Ende Juli wird sich Christoph Lichtin in Luzern verabschieden: Der Leiter des
Historischen Museums und des Natur-Museums hat Konsequenzen gezogen
und seine Stelle gekündigt. Er will nicht mehr Sparpläne umsetzen, sondern
Historie zu den Leuten bringen. In Luzern sieht der 56-Jährige die Bedingungen
dafür nicht mehr als gegeben an. Nun wechselt er nach Winterthur.

           Vor sechs Jahren haben Sie die Gesamtleitung der                 meine Hauptaufgabe gewesen ist. Es stehen ganz andere
           beiden kantonalen Museen, des Natur-Museums und                  Aufgaben an. Darum ist es sinnvoll, wenn jemand, der
           des Historischen Museums, in Luzern übernommen.                  neu von aussen kommt, diesen Prozess übernimmt.
                             Ihr Ziel sei es, Historie zu den Leuten
Text: René Regenass          zu bringen, sagten Sie damals in einem              Kann das neu vorgegebene Konzept umgesetzt
                             Interview mit « 041 – Das Kulturmaga-          werden, also die Zusammenlegung der beiden
           zin». Vieles ist gelungen, denken wir nur an die                 Museen und die Weiterführung im Natur-Museum,
           Ausstellungen über Emil Manser, Emil Steinberger                 begleitet von einer Kürzung des bisherigen Budgets
           oder die Tatort-Serie. Bedauern Sie jetzt den Wegzug             von 3,6 Millionen um eine Million Franken?
           aus Luzern?                                                           Ich bin überzeugt von der Projektskizze des neuen
                 Christoph Lichtin: Bedauern allein ist es nicht. Ich       Konzepts. Wenn es so umgestellt und eingerichtet
           habe die Arbeit in Luzern am Historischen Museum sehr            werden kann, erhält Luzern eines der innovativsten
           gerne gemacht. Es war eine gute Zeit. Aber ich musste            Museen der Schweiz. Ob es tatsächlich gelingt, ist die
           mich jetzt entscheiden, ob ich den von der Politik vorge-        grosse Frage. Den Lead dafür muss die Politik überneh-
           gebenen Schritt mit dem Sparszenario hier in Luzern              men, also die Regierung des Kantons.
           machen will oder ob ich etwas anderes anpacken soll.
           Hier wurde ein politischer Prozess angestossen. Hätte                  Was ist der Inhalt dieser Projektskizze?
           ich dazu Ja sagen können, hätte ich diesen sicher fünf bis             Neben dem Spar- und Reduktionsteil gibt es einen
           sechs Jahre mittragen müssen. Aber ich habe mich für die         neuen Ansatz, um Themen aufzugreifen, welche Politik
           Stelle in Winterthur entschieden und werde die Leitung           und Gesellschaft heute beschäftigen. Das Museum soll
           der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte überneh-           bei aktuellen Brennpunkten ansetzen, Zusammenhänge
           men. Ich sehe bei der durch Bruno Stefanini gestifteten          aufzeigen. Zum Beispiel bei den Projekten auf der Rigi,
           Institution die Chance, noch einmal etwas komplett an-           bei der Spange-Nord oder im Entlebuch, wo Bäuerinnen
           deres anzupacken und aufzubauen.                                 versuchen, natürliche Lebensmittel auf den Markt zu
                                                                            bringen. Diese Zielsetzung ist schon richtig, weil wir eine
                  Haben Sie den von der Luzerner Regierung                  neue Legitimation für die historische Arbeit schaffen
           vorgegebenen Spardruck nicht mehr ausgehalten?                   müssen. Wir müssen in der Gegenwart ansetzen.
                  Der Hauptgrund für meinen Wegzug war die Ein-
           sicht, dass ich in Zukunft nur noch mit Management-Auf-               Welches waren Highlights in Ihrer Zeit als
           gaben belastet sein würde. Nur noch Prozessbegleitung,           Museumsleiter in Luzern?
           Restrukturierung, Bauaufgaben und kaum noch Inhalte                   Es gab zwei: «Emil» 2015 und «Victoria» im vergan-
           und Ausstellungen, was in der Vergangenheit doch                 genen Jahr. Die Ausstellung über Emil Steinberger

10                                          041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                 Juni 2019
AKTUELL

                                                            In meinem Alter will man mit
                                                            Menschen zusammenarbeiten,
                                                            wo die Chemie stimmt.

                                                                               denen ich mich seit rund 20 Jahren beschäftige: Schwei-
                                                                               zer Kunstgeschichte, Historie in unterschiedlichsten Be-
                                                                               zügen. Und die Stiftung ist riesig: Sie umfasst zwischen
                                                                               50 000 und 100 000 Objekte. Das Ganze ist wie ein unge-
                                                                               schliffener Diamant, wo die Ziele noch definiert werden
                                                                               müssen.

     Christoph Lichtin: Der Museumsleiter tritt ab                                   Was soll mit den Werken geschehen?
                                                                                     Wir werden sicher kein Museum schaffen – es gibt
                                                                               genug davon. Ich denke an Kooperation, Leihgaben. Viel-
            weckte eine neue Aufmerksamkeit für das Historische                leicht finden wir ein neues Format.
            Museum. Wir haben uns mit ihm an der Gegenwart und
            an der Gesellschaft orientiert, nicht an der Historie. Und               Im Gegensatz zur aktuellen Situation treten Sie
            es war eine gute Erfahrung, einmal mit einer lebenden              eine Aufgabe an, für welche die Mittel vorhanden sind.
            Person eine Ausstellung zu gestalten. Mit der Ausstel-                   Sicher. Das ist eine hochpotente Stiftung. Es gibt
            lung über Königin Victoria ist es gelungen, mit einem his-         keine politischen Vorgaben. Geld ist kein Problem.
            torischen Thema aus dem Museum herauszutreten, mit
            einem Theater, Veranstaltungen und Einladungen.                         Die Stiftung wird aktuell präsidiert von Bettina
            Dafür spürte ich Dankbarkeit beim Publikum und in der              Stefanini, der Tochter des verstorbenen Bruno
            Politik, weil wir etwas für Luzern getan hatten. Die gröss-        Stefanini. Haben Sie einen guten Draht zu ihr?
            te Überraschung in meiner Arbeit erlebte ich mit der                    Ich denke schon. Das war auch entscheidend für
            Emil-Manser-Ausstellung vor zwei Jahren. Das war für               meine Wahl. In meinem Alter will man mit Menschen
            mich ein eher kleines Projekt. Aber wir erfuhren bereits           zusammenarbeiten, wo die Chemie stimmt. Ich habe
            auf die Kommunikation eine unbeschreiblich breite Re-              auch festgestellt, dass bei Bettina Stefanini ein grosser
            aktion. Die Emotionen waren gewaltig, weil Manser                  Wille da ist, das Erbe des Vaters in eine gute Zukunft zu
            einer von uns war.                                                 führen. Und ich finde Rahmenbedingungen, die stim-
                                                                               men. So kann ich funktionieren.
                  Sie treten Ende Juli eine neue Stelle in Winter-
            thur an als Leiter der Stefanini-Stiftung an. Was                         Dieser Text ist ab SA 1. Juni auch auf der Website
                                                                                      www.luzern60plus.ch zu lesen.
            lockte sie dorthin?
                  Die Stiftung betreut eine der bedeutendsten priva-
            ten Sammlungen in der Schweiz. Sie besetzt Themen, mit

Juni 2019                                      041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                               11
FOKUS: TECHNIK

DER
MEISTER
DER
MASCHINEN
Sie sind die Stars im Hintergrund: Veran-
staltungstechnikerinnen und -techniker.
Ohne sie klingt kein Lautsprecher, leuchtet
keine Lampe, findet keine Show statt.
Einer der umtriebigsten Zentralschweizer
Hinterbühnenstars ist Fabio Amarilli – und
der hat noch mehr auf dem Kasten.

Text: Stoph Ruckli
Bilder: Matthias Jurt

12                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Juni 2019
FOKUS: TECHNIK

            Gute Musik, kühle Getränke, Bühnenspektakel: Es ist                      Daneben arbeitet der Luzerner für das B-Sides Fes-
            Schweizer Hochsaison für Kulturliebende im Land mit               tival, die Volière vom Radio 3fach, den Nordpol, das Par-
            der weltweit höchsten Festivaldichte. Aber auch Hoch-             terre, Kleinlaut Festival und Neustadt-Strassenfest. Je
            saison für eine Garde, die in dieser Zeit dafür sorgt, dass       nach Fall plant er die veranstaltungstechnische Infra-
            gute Musik, kühle Getränke sowie Bühnenspektakel                  struktur, stellt Bühnen hin, baut Sound- und Lichtanla-
            überhaupt in Betrieb genommen werden können. Die                  gen auf, vermietet Equipment und liefert Strom, mischt
            Rede ist von der Zunft der Veranstaltungstechnikerin-             zudem in Ausnahmefällen auch mal den Sound oder lich-
            nen und -techniker. Zumeist ganz in Schwarz huschen sie           telt eine Runde. Grundsätzlich überlässt er diese Berei-
            vor, hinter und auf den Bühnen umher, sorgen für Ton,             che aber lieber den Fachleuten: «Es gibt leidenschaftliche
            Licht, Spezialeffekte, Infrastruktur und Logistik.                Tontechnikerinnen und -techniker, welche hier überneh-
                                                                              men sollen – das hilft der guten Stimmung und somit der
                 Auf Nadeln, wenn alles läuft                                 Qualität, wenn jeder macht, was er am besten kann»,
                   Fabio Amarilli kennt diese Bereiche in- und aus-           findet Amarilli und fährt fort: «Ausserdem mag ich nicht
            wendig. Der 30-jährige Luzerner ist seit über zehn Jahren         mehr im FOH-Gärtchen eingesperrt sein.»
            in der Veranstaltungstechnik tätig und besitzt seine
            eigene kleine Bude. «Der schlimmste Moment ist, wenn                     Vielfältige Veranstaltungstechnik
            alles funktioniert», meint er auf die Schwierigkeiten an-               «FOH» alias «Front of House» steht für den Bereich
            gesprochen und grinst schief. «Dann bin ich auf Nadeln.           der Veranstaltungstechnik, wo die «Techies» mehrheit-
            Nun kann es nur noch schlimmer werden.» Amarilli                  lich vor der Bühne arbeiten: In ihrem Aufgabengebiet
            weiss, wovon er spricht, plant er doch beispielsweise die         liegen Ton, Licht sowie Spezialeffekte. Aber auch auf
            Stromzufuhr sowie Beleuchtung von Festivals wie den               sowie hinter den Bühnen («Backstage» oder «Back of
            Stanser Musiktagen oder dem Funk am See. Kurz: Wer                House» respektive «BOH») geht’s nach dem Aufbau ab.
            dort blitzschnell den Weg zum WC findet, kann davon               Gearbeitet wird an Festivals, in Konzert- oder Theater-
            ausgehen, dass Amarillis Lichtkonzept ihm diesen Pfad             häusern, Kultur- und Kongresszentren, Fernsehanstal-
            erhellt hat.                                                      ten, Filmproduktionsstätten, Zirkussen sowie bei

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FOKUS: TECHNIK

«Der schlimmste Moment ist,
wenn alles funktioniert.»

      Dienstleistungsbetrieben der
      Veranstaltungs- und Produkti-
      onstechnik oder bei Messebau-
      und Eventbetrieben. Ergänzend
      dazu gibt es Technikerinnen und
      Techniker, die sich um das Moni-
      toring kümmern, damit die For-
      mation auf der Bühne hört, was
      sie performt. Etwas abseits der
      Kernbranche spielen weiter die
      Instrumententechnikerinnen
      und -techniker sowie die Back-
      liner wichtige Rollen, wobei letz-
      tere schauen, dass Instrumente
      sowie Zubehör am richtigen Ort
      stehen und funktionieren. Und
      nicht zu vergessen: die Haustech-
      nik. Lehr- sowie Studienplätze
      sind dabei äusserst begehrt.

            Learning by Doing                                           Elektro- und Veranstaltungstechniker, weiter verant-
             Eine solche Ausbildung hat Amarilli nicht gemacht.         wortet er den Unterhalt beim Radio 3fach.
      Sein Weg ist wie bei vielen Technikerinnen und Techni-
      kern der alten Garde durch leidenschaftliches «Learning                  «Immer die Scheiss-Kühlschränke»
      by Doing» geprägt. Der Funke zur Veranstaltungstech-                    Alle diese Tätigkeiten haben dem Tausendsassa zu
      nik sprang im «Adler» Emmenbrücke. Dort organisierte              einem eindrücklichen Portfolio verholfen. So plante und
      der Luzerner erste kleine Konzerte, amtete für die Tech-          programmierte Amarilli verschiedenste Maschinen
      nik und bekam bald darauf Freelance-Aufträge. In seiner           zumeist von Grund auf. Als Beispiele wären etwa die so-
      Tätigkeit ist Amarilli dabei äusserst gewissenhaft und            genannten «Motorisierten Horizontalen Blechbundzan-
      klar: «Unerreichbare Träume haben bei Veranstaltungen             gen» sowie «Spreader» zu nennen, welche am Hafen Con-
      nichts verloren», sagt er und fährt fort: «Ich plane ordent-      tainer oder Stahlwerk-Erzeugnisse herumhieven. Oder
      lich und probiere nicht einfach rum.» Diese Strenge sowie         aber Hallenkräne und eine Saugnapf-Putzmaschine für
      Gewissheit wird ihren Ursprung durchaus in den Jobs               ein weltberühmtes Museum. Als eines seiner «gröbsten
      haben, die der «Kulturtechniker» zusätzlich ausübt.               Projekte» bezeichnet Amarilli den Bau der Standseilbahn
             Seine Lehre absolvierte der ausgebildete Elektro-          Schwyz–Stoos, wo er die Tunnelbohrmaschine program-
      monteur in einem winzigen Zwei-Personen-Betrieb.                  mierte und mitangepackt hat: «Das war stellenweise wie
      Weil es an Arbeit fehlte, wurde er immer mal wieder ir-           im Krieg dort oben: Finster, minus zehn Grad Celsius,
      gendwohin ausgeliehen. Das hat ihm so jedoch nicht ge-            Schnee – zwei taube Finger und ein Loch im Bein erin-
      passt: «Ich war schon immer ein stures Arschloch. Dem-            nern mich immer mal wieder dran», beschreibt er das Sze-
      entsprechend wollte ich mir meine eigenen Alternativen            nario.
      suchen.» Sagte es, tat es und kam zum Tunnelbau, wo er                  Entspannter, aber nicht minder spannend scheint
      mit Maschinen- und Anlagebau in Berührung kam. Es                 da seine Diplomarbeit. In deren Rahmen baute er ein in-
      folgten wichtige Stationen als Abteilungsleiter bei einem         telligentes Mini-Wasserkraftwerk, das imstande ist,
      der grössten Bau- und Baudienstleistungsunternehmen               zwei Haushalte mit Strom zu versorgen. Wer auf ein-
      der Schweiz sowie bei einer Kranfirma, während derer              schlägig bekannten Videoplattformen «Fabio Amarilli
      der Luzerner ein Elektrotechnik-Studium absolvierte.              Diplomarbeit» eingibt, kann sich diese Konstruktion an-
      Heute arbeitet Amarilli als selbstständiger Ingenieur,            schauen. Überhaupt ist der Luzerner ein leidenschaftli-

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FOKUS: TECHNIK

            cher Tüftler, der von Ungetümen wie einem gigantischen                   «Mich interessiert nur Zeugs, das
            Kirovets-Traktor («Ein Freund von mir hat den als Hob-
            byprojekt gekauft») über den Tribelhorn-Elektro-Hotel-                  es nicht schon in der Art gibt. Alles
            bus «Mathilde» im Verkehrshaus bis zum Radio                            andere ist keine Herausforderung,
            3fach-Studio («Es sind immer die Scheiss-Kühlschränke
            und -Geschirrspüler!») alles reparieren und konstruieren
                                                                                           braucht kaum Kompetenz.»
            kann. Sein Credo beim Tüfteln ist simpel: «Mich interes-
            siert nur Zeugs, das es nicht schon in der Art gibt. Alles
            andere ist keine Herausforderung, braucht kaum Kompe-            dem Drucker kommt, schon kein Geld mehr haben.» Und
            tenz.» Gerade bei solchen Zitaten brennt der ohnehin             macht, was ihm Spass bereitet – mit allen Höhen und
            schon leidenschaftliche Techniker. Ob er sein Hobby              Tiefen: «Ein richtiges Projekt hat viele Lacher, aber auch
            ebenso feurig angeht? Amarilli sammelt ausgefallene              Tränen», meint der Kulturtechniker und fährt fort: «Ich
            Instrumente, besitzt neben riesigen Spieldosen seit              hoffe trotzdem, dass die nächsten 30 Jahre nicht so inten-
            Kurzem eine Drehorgel und ist gerade dran, ein selbst            siv werden wie die letzten zehn.» Ob diese Hoffnung er-
            spielendes Piano zu erwerben.                                    füllt wird, wird sich zeigen.
                                                                                   Kurz darauf erreicht ihn nämlich ein Notfall: In
                 Nachtfahrt nach Tschechien                                  einer Firma im Ausland ist eine Maschine ausgefallen,
                   Eine kostspielige Sache, die der Luzerner zwar            die repariert werden muss – und der Luzerner ist eine der
            locker bewältigen könnte, kann er sich doch vor finanzi-         wenigen Fachkräfte, die diese überhaupt flicken können.
            ell attraktiven Aufträgen kaum retten. Trotzdem stellt           Trotz aller Kurzfristigkeit und dem Aufwand nimmt
            Amarilli klar: Das grosse Geld reizt ihn nicht. Er komme         Fabio Amarilli die Anfrage locker – «Ich mag solche Auf-
            mit wenig aus, hat das Büro in einem Bauernhof abseits           träge, da passieren die besten Geschichten» – und fährt
            von Littau: «Lieber so als wie ein fancy Start-up in der         noch am gleichen Abend los: Eine Nachtfahrt nach Tsche-
            Stadt Räume mieten und nach der ersten Seite, die aus            chien ist angesagt.

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Juni 2019                                    041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                                                                                   15
TECHNISCH
GESEHEN
Philosoph Arno Schubbach
reflektiert über die Bedeutung
von Technik in unserer Kultur –
und dreht den Spiess um.

16                     041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Juni 2019
FOKUS: TECHNIK

              Wer heute ins Theater oder ins Konzert geht, dürfte nur          Glauben wir auf der einen Seite, dass wir den Hammer in
              selten Technik im Sinn haben, bekommt es aber doch               der Hand haben, um zu tun, was wir wollen, fürchten
              zwangsläufig mit allerlei Techniken zu tun. Ob man eine          viele auf der anderen Seite, dass wir die Computer nicht
              eher traditionelle Aufführung wählt oder eine Perfor-            mehr durchschauen und sie bald uns in der Hand haben:
              mance mit Kameras, Displays und Projektionen, ob man             Sie scheinen sich selbstständig zu machen und richten
                                      ein akustisches Gitarrenkonzert          sich vielleicht gar gegen uns – wie es allerdings schon von
Text: Arno Schubbach                  bevorzugt oder elektronische             vielen Techniken befürchtet wurde. Vieles spricht wohl
Illustration: Laura D’Arcangelo       Experimentalmusik, ohne Tech-            eher für eine graduelle Differenzierung. Denn auch zum
                                      nik geht es nicht.                       Hammer kann ich nur greifen, weil meine Welt schon
                                            Kein Kulturleben, keine            eine technische ist, weil ich mit dem Vorgang des Na-
Dr. Arno Schubbach ist Philosoph      Künste ohne Technik! Für diese           gelns vertraut bin, Hammer wie Nägel aufeinander abge-
und Mathematiker. Er forscht an
                                      These spricht schon, dass sich die       stimmt sind und dank industrieller Produktion zur Ver-
der ETH Zürich zur Technik-, Wis-
senschafts- und Kulturphilosophie     Bezeichnung der Künste aus der           fügung stehen.
sowie zur Geschichte der Philoso-     lateinischen Übersetzung, ars,
phie. Er lehrt zudem Bildtheorie
an der Hochschule für Gestaltung
                                      des alten griechischen Begriffs                 Ein Wechselspiel
und Kunst Basel FHNW.                 techné entwickelt hat: Beide be-                Technik so breit zu fassen und ihre fundamentale
                                      zeichneten zunächst ein sachge-          Bedeutung für die menschliche Kultur zu betonen, heisst
                                      mässes Können oder eine Fertig-          aber nicht, diese Kultur durch Technik einseitig be-
              keit, die meist mit dem Gebrauch von Werkzeugen, der             stimmt zu sehen. Denn so sehr Techniken unsere Kultur
              Kenntnis von Verfahren und der umsichtigen Nutzung               im Allgemeinen und die Künste im Besonderen durch-
              von natürlichen Bedingungen einhergehen. Diese Be-               dringen, so sehr sind sie ihrerseits abhängig von der
              griffsgeschichte legt nahe, den Begriff der Technik nicht,       Kultur und den Künsten. Jede Technik muss den Geset-
              wie mitunter im öffentlichen Diskurs, allein auf die mo-         zen der Natur gehorchen, verdankt sich aber zugleich Er-
              dernen Technologien zu beziehen, die unsere Gegenwart            findungen und Entwicklungen, die auf bestimmte kultu-
              prägen, sondern auch auf mechanische Bühnentech-                 relle Funktionen abzielen. Ein gutes Beispiel ist die Foto-
              niken, den Instrumentenbau oder die Architektur. Auch            grafie. Sie wurde seit ihren Anfängen oft als Technik
              die theoretischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte            gesehen, durch die die Natur Bilder von sich selbst her-
              haben meist einen solch weiten Technikbegriff ange-              vorbringt, und zwar in einer Naturgesetzen gehorchen-
              nommen, der bereits bei einfachen Werkzeugen wie Faust-          den Reaktion zwischen Licht und Chemikalien. Der
              keil oder Hammer ansetzt, mechanische Apparate und Ma-           Kunsthistoriker und Philosoph Hubert Damisch schlägt
              schinen einbezieht und sich bis zu den elektronischen Tech-      bereits in den 1960er-Jahren eine ganz andere Perspekti-
              nologien des 20. Jahrhunderts erstreckt, die uns heute vor       ve vor. Die photografische Technik wurde entwickelt,
              allem unter dem Schlagwort der Digitalisierung umtrei-           um die altbekannten Bilder der camera obscura festzuhal-
              ben. Ohne Techniken in diesem weiten Sinne ist mensch-           ten, und die optischen Linsen wurden optimiert, damit
              liches Leben kaum denkbar, sie durchdringen mehr und             diese Bilder den gewohnten Raumdarstellungen entspra-
              mehr dessen natürliche Grundlagen, ob den eigenen                chen. Schliesslich setzte sich Henry Talbots Positiv-Ne-
              Körper oder die Umwelt. Allerdings wurde diese Umwelt            gativ-Verfahren durch, weil es eine einfache Reproduk-
              seit jeher durch menschliches und technisches Handeln            tion von Bildern ermöglichte, sodass die Fotografie, wie
              gestaltet wie verunstaltet, wenn auch nie in dem Masse           wir sie heute kennen, eine Kultur der massenhaften Ver-
              wie im Anthropozän, dem ersten vom Menschen gepräg-              vielfältigung von Bildern antreibt. Sie ist wie jede Tech-
              ten Erdzeitalter.                                                nik seit ihren Anfängen ein durch und durch kulturelles
                                                                               Phänomen.
                  Vom Nagel zum Smartphone                                            Eine solche Perspektive liesse sich vielfältig aktua-
                  Technik umfasst so betrachtet ein breites Spek-              lisieren. Wurde die Farbfotografie nicht vor allem für die
            trum von Werkzeugen, Maschinen und Technologien.                   Reproduktion sogenannt weisser Hauttöne optimiert?
            Natürlich ist es aber ein grosser Unterschied, ob ich einen        Bestimmen nicht mehr und mehr rechtliche Regulierun-
            Hammer benutze, um einen Nagel einzuschlagen, oder                 gen technische Standards, wie zum Beispiel das Copy-
            mein Smartphone, um einen Schnappschuss zu machen.                 right den Transport digitaler Videoströme? Und was
            Das Smartphone macht vieles, von dem ich wenig weiss,              wäre wohl aus der kurzlebigen Attraktion der Techniken
            und optimiert mein Foto automatisch. Es ist zudem ver-             des Bewegtbildes geworden, wenn Filmschaffende nicht
            netzt, sodass dieses Foto sogleich hochgeladen oder                ästhetische Strategien für den abendfüllenden Spielfilm
            gepostet werden kann, rasch weltweit zugänglich ist und            ersonnen hätten? Es mag keine Kultur ohne Technik
            algorithmisch als Bild des Eiffelturms identifiziert und           geben. Weil Technik aber zugleich von Kultur abhängt,
            weiterverwertet werden kann. Daher kann es so schei-               kommt es letztlich darauf an, was wir alle und die Künste
            nen, als bestünde hier ein prinzipieller Unterschied:              mit den Techniken anstellen.

Juni 2019                                      041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                  17
FOKUS: TECHNIK

NO WOMAN
NO SHOW
Flurina «Flu» Hunkeler (26) ist Tontechnikerin und
kann das analoge Mischpult im Sedel aus dem Effeff
bedienen. Ein Abend, vier Bands, unzählige Kabel und
eine unbändige Lampe – ein Erfahrungsbericht.
Text & Bilder: Nina Laky

           An diesem Samstag startet Flurina «Flu» Hunkelers Ar-             Check.» Alles funktioniert soweit, alles ist angepasst,
           beitstag um 17 Uhr. Die Bands sind schon im Sedel ange-           einzig ein mysteriöses Piepen ist noch da. Es verhallt aber
           kommen und trinken Dosenbier oder Tee. Flu kauert auf             von alleine. Zeit, kurz etwas zu essen. Das Tupperware ist
           der Bühne und dreht Kabel in Kreise. Das Schlagzeug               in ihrem Auto, das sie seit Kurzem besitzt. «So kann ich
           und die Verstärker sind schon aufgestellt, die Mikrofone          viel mehr Aufträge annehmen», sagt sie, setzt sich auf
           müssen noch auf die richtige Höhe gestellt werden. Der            eine Bank und isst.
           Job sei nicht so anstrengend, wie manche vermuten,
           meint sie. Man schleppe schon nicht die ganze Zeit grosse                20.17 Uhr: 1. Band
           PA-Anlagen rum, «aber ich bin sicher fitter als ein Studio-              Track ab Playlist: Strange – Built to
           techniker», sagt Flu und lacht.                                          Spill
                 Sie springt auf und setzt sich am Ende des Saales                  Die ersten Leute sind da, das Konzert beginnt. Es
           hinter das Mischpult, dreht an Knöpfen und schiebt                ist laut, ein Kind hält sich die Ohren zu. Flu ist Tontechni-
           Regler rauf und runter. Es blinken rote, grüne, gelbe und         kerin mit eidgenössischem Fachausweis und erzählt, sie
           orange Lämpchen, verschiedene Buchstaben und Zahlen               habe schon immer etwas mit Musik machen wollen.
           leuchten auf. An diesem Abend ist sie nicht nur für den           «Mein Bruder hat bei Musicals mitgemacht, ich wollte
           Ton zuständig, sondern auch für die Beleuchtung und die           eine Band und bin dann bei der Tontechnik gelandet.»
           Musik ab Playlist, die zwischen den Bands den Raum be-            Am Anfang habe sie öfters gedacht, sie mische schlecht,
           schallt. «Wo mach ich nur dieses Licht aus?!», fragt sie und      bis sie bemerkt habe, dass manchmal auch einfach die
           sucht am Pult einen Schalter für die Lampe an der linken          Band nicht ihren besten Tag habe. Haben Tontechnike-
           Wand. Die Band steht schon auf der Bühne und fragt ih-            rinnen auch sowas wie einen eigenen Stil? «Ja, ich zum
           rerseits, ob es mit dem Soundcheck losgehen kann.                 Beispiel möchte es so klingen lassen, wie es reinkommt,
                                                                             und nichts verschönern.» Am Mischpult im Sedel hat sie
                 19.10 Uhr: Veranstaltungsstart /                            ihre präferierten Voreinstellungen gespeichert.
                 Soundcheck / Licht einstellen
                 Track ab Playlist: Wolf Parade – Cloud                             21.00 Uhr: 2. Band
                 Shadow on the Mountain                                             Track ab Playlist: The Kills – Cheap
                 Während Flu die Instrumente der Band am analo-                     and Cheerfull
           genMischpult richtig einstellt, schwärmt sie von diesem.                Abende wie dieser sind für Flurina Hunkeler selte-
           Im Sedel die Tontechnik zu machen sei easy, hier funkti-          ner geworden. «Ich habe irgendwann realisiert, dass ich
           oniere alles: «Es ist ein total anderer Workflow, als wenn        nicht nur leidenschaftlich arbeiten kann, sondern auch
           ich mit einem digitalen Mischpult arbeite. Ich muss mich          wirtschaftlich arbeiten muss.» Sie macht heute auch den
           aufs Essenzielle konzentrieren.» Zuerst gilt es aber auf          Ton an Medienkonferenzen oder grossen Messen. «Die
           der Bühne zwei Kabel auszuwechseln. «Heute machen                 Wertschätzung ist meistens sehr gross. Manchmal auch
           die drei anderen Bands vor dem Konzert kurz einen Line-           fast ein bisschen too much. Nicht jede Band oder jeder

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FOKUS: TECHNIK

Flurina Hunkeler
erfüllt im Sedel
viele Aufgaben
gleichzeitig: Sie
kümmert sich um
Licht, Ton und die
Musik zwischen
den Konzerten.

Juni 2019            041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   19
#SOLIDARITÄT
     Am 14. Juni findet schweizweit der Frauen*streik statt.

                                                                                  Kulturmagazin

20                041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                   Juni 2019
FOKUS: TECHNIK

            Veranstalter muss mir namentlich auf der Bühne noch
            für den Ton danken. Aber ich schätze es.» Am Mischpult
            bei Flu steht nun ein Bandmitglied und fragt, ob sie eine
            Setlist gesehen habe. Sie verneint und hilft kurz beim
            Suchen, damit das zweite Konzert starten kann.

                  21.50 Uhr: 3. Band
                  Track ab Playlist: Journey – Don’t Stop
                  Believin’
                   Mit Bands hat Flurina Hunkeler bis jetzt noch keine
            sehr schlechten Erfahrungen gemacht. «À la Marilyn
            Manson, der den Technikern Mikrofone anschmeisst?                 Überlegen, wie ich künftig arbeiten soll, aber habe darauf
            Nein, aber eine Band kam schon mal zu spät, weil sie noch         noch keine Antwort. Mein Traumjob wäre es ja, den
            in der Sauna war.» Flu muss wieder auf die Bühne: Mit             Soundtrack für Filme zusammenzustellen.»
            dem Piano und Gitarrenverstärker stimmt etwas nicht.
            «Ich hatte bis jetzt recht viel Glück, ein grosser Fauxpas              23.55 Uhr: Veranstaltungsende / Alles
            ist mir nie passiert. Einmal habe ich für einen Stromaus-               auf null / Lampe aus
            fall in einem Stadion gesorgt, aber das lag auch an den                 Track ab Playlist: Pixies –Where Is My
            Stromleitungen», sagt sie und schmunzelt. Fehler von                    Mind
            Technikerinnen seien zum Glück meist flüchtig. Und                       Das Publikum hat die letzte Band mit viel Klat-
            gebe es einmal kurz Rückkopplung oder es fiept, hätten            schen und Wooh-Rufen feierlich verabschiedet. Flu über-
            die Leute das am nächsten Tag meist vergessen.                    legt sich, welche Songs ab der Playlist sie noch spielt, bis
                                                                              der Abend zu Ende ist. Das Mischpult braucht es jetzt
                  22.48 Uhr: 4. Band                                          nicht mehr: «Ein digitales Mischpult schaltet man ein-
                  Track ab Playlist: Aerosmith – Dream                        fach ab, bei diesem hier muss man jeden Regler auf null
                  On                                                          drehen», sagt sie. Jetzt kommt ihr auch in den Sinn, wo der
                   Die vierte Band des Abends gibt alles, inklusive           verflixte Lichtschalter ist. «Die Lampe hängt nicht mit
            Funkenregen aus den Gitarrenköpfen. Das Publikum hat              dem Lichtpult zusammen, ich muss sie vorne an der
            Spass, Flu ebenso. «Mir ist es wichtig, neben dem Job             Wand ausmachen!» Ihr Arbeitstag endet bald. Bis sie
            auch noch Zeit für Hobbys zu haben. Für viele Tontechni-          wieder im Sedel mischt, dauert es nun eine Weile. Aber
            ker ist ihr Job ihr Hobby, einige sind sicher ambitionierter      einige private Termine kommen in nächster Zeit auf sie
            als ich», sagt Flu. Am liebsten hört sie Musik beim Auto-         zu. «Tontechnik, das kann nicht jeder. Mich freut es
            fahren oder Hörbücher, überall. Sie erzählt, dass immer           immer, wenn mich Freundinnen und Freunde anfragen,
            mehr Bands ihre eigenen Tontechnikerinnen mitbringen.             an einem Fest die Technik zu machen. Mein Know-how
            Wird es für sie in Zukunft schwieriger? «Ich bin schon am         schenke ich am liebsten.»

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ÜBERDACHT

Welche Rolle spielt Kunst
in der Tontechnik?
«Ästhetische Entscheide zu treffen,
ist unabdingbar.»
                   Es gibt verschiedene Kunstbegriffe,        der erschaffenden, kreativen und der
                   die sich auch historisch unterschei-       rein ausführenden Person?
                   den. Zur Beantwortung der im Rah-                 Ich stelle mich auf den Stand-
                              men dieser Kolumne ge-          punkt, dass diese Frage nicht absolut
     Text: Andreas Brüll      stellten Frage möchte ich       beantwortet werden muss, sondern
                              auf drei davon eingehen:        dass vielmehr das Selbstverständnis
                                                              der Akteure Kunst konstituiert. Es
                   1. Kunst als Gegenteil der Natur im        geht also nicht so sehr darum, ob die
                   Sinne von künstlich.                       Tontechnikerin von aussen als Künst-
                         Was die Tontechnikerin hervor-       lerin wahrgenommen wird, sondern
                   bringt, ist künstlich. Natürlich sind      darum, ob sie sich selber als Künstle-
                   wir oft damit konfrontiert, dass eine      rin versteht. Wenn sie also selber ent-      oder dem druck vollsten Sound.
                   möglichst natürliche Wiedergabe er-        scheiden kann, ob sie sich als Künstle-      Leute, die bereit sind hinzustehen für
                   wünscht ist. De facto ist es aber so,      rin sieht oder nicht, stellt sich die        ihre Entscheidungen, aber auch bereit
                   dass die Tontechnikerin sich der He-       Frage neu: Soll sich die Tontechnike-        sind diese zu hinterfragen und auf
                   rausforderung stellt, mit künstlichen      rin am Mischpult als Künstlerin ver-         Kritik einzugehen. Sie können sich
                   Mitteln die Illusion einer natürlichen     stehen?                                      voll und ganz der Darbietung hinge-
                   Darbietung zu schaffen.                           Ich bin unbedingt der Ansicht,        ben und das Bestmögliche aus dem
                                                              dass die Tontechnikerin oder die             Moment machen.
                   2. Kunst als Derivat von Können, im        Tonmeisterin am Mischpult ein
                   Sinne der Handwerkskunst                   Selbstverständnis als Künstlerin             Ob das Kunst ist oder nicht, ist
                         Die technische Ebene unseres         pflegen soll. Natürlich gibt es heute        unbedeutend.
                   Berufs ist für mich zu vergleichen mit     in der zum Teil hochspezialisierten
                   den motorischen Fähigkeiten eines          Welt der Tontechnik Bereiche, die            Andreas Brüll ist selbstständiger
                   Musikers oder den Fertigkeiten einer       nur technische Aspekte umfassen.             Tonmeister und Hauptfachdo-
                   Handwerkerin. Die Tontechnikerin           Für die Tonmeisterin am Mischpult            zent in der Vertiefung Tonmeister
                   muss die Technik kennen und verste-        ist es allerdings unabdingbar, ästhe-        an der Zürcher Hochschule der
                   hen. Sie muss ein geschultes Gehör         tische Entscheide zu treffen und             Künste. Seit über 20 Jahren
                   haben und in der Lage sein, auch un-       sich künstlerisch mit dem Produkt            arbeitet er im Studio und live.
                   ter Zeitdruck eine klangliche Vorstel-     auseinanderzusetzen. Sie wird Teil           Seine Spezialität sind Musicals
                   lung umzusetzen. Das ist eine Frage        des Produkts und übernimmt damit             und andere Beschallungen, die
                   der Übung und ist Voraussetzung für        Verantwortung.                               unkonventionelle Lösungen
                   kreatives Arbeiten. So soll die Ton-              Und genau diese Bereitschaft,         erfordern. Zudem führt er ein
                   frau einem Instrument gleich auf ih-       Verantwortung zu übernehmen,                 professionelles Tonstudio in
                   rem Equipment spielen können.              macht die gute Tontechnikerin aus.           Winterthur.
                                                              Unsere Branche braucht keine Leute,
                   3. Kunst im Sinne der Schönen              die erklären können, weshalb es                      «Überdacht», das sind zwei
                   Künste                                     schlecht klingt oder die Darbietung                  Antworten auf eine Frage:
                         Jetzt wird die Sache delikat.        so nicht funktioniert. Wir brauchen                  Profis aus Theorie und Praxis
                                                                                                                   äussern sich monatlich und
                   Sind Tontechnikerinnen Kunstschaf-         Leute, die stets auf der Suche sind                  aktuell zu Kultur und ihren
                   fende; ist das, was sie machen, Kunst?     nach dem perfekten K lang, der                       Wirkungsbereichen.
                   Wo ziehen wir die Grenze zwischen          realsten Illusion von Natürlichkeit

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ÜBERDACHT

                                                                                                               nenden Abschluss bei einem Feuer-
                                                                                                               spiel auf dem Balkon den zwei Kilo-
                                                                                                               meter entfernten Sendeturm be-
                                                                                                               trachteten, wurde der Eindruck er-
                                                                                                               weckt, dass dieser wieder live zu
                                                                                                               senden beginnt. Wenn man diese
                                                                                                               Ideen zu einem grossen Teil alleine
                                                                                                               technisch umsetzt, dabei das Budget
                                                                                                               und die Zeit einhalten muss, dann ist
                                                                                                               das für mich, wenn nicht unbedingt
                                                                                                               künstlerisch, so doch immerhin ein
                                                                                                               sehr kreativer Prozess. Vielleicht ist
                                                                                                               es die Herausforderung, mit den vor-
                                                                                                               handenen Mitteln das gewünschte
                                                                                                               subjektive Erlebnis zu erzeugen, was
                                                                                                               sinnbildlich eine Kunst sein kann
                                                                                                               und an den Nerven kitzelt. Solche Be-
«Wie gross mein eigener                                                                                        dingungen mag ich. Und ich emp-
                                                                                                               finde es als Luxus, der Kunst so nahe
künstlerischer Einfluss war,                                                                                    zu sein und die Umsetzung der Arbei-
                                                                                                               ten zu unterstützen.
bleibt (hoffentlich) verborgen.»                                                                                     An einem Konzertabend ist der
                                                                                                               Umfang meiner Anteilnahme viel-
                                                                                                               leicht etwas geringer. Oft ist es meine
                       Wie hoch der künstlerische Anteil in       ist noch nicht viel von künstlerischen       Aufgabe, die Kunst einer Band nach
                       meiner Arbeit ist – eine schöne Frage.     Aspekten zu spüren. Diese Sicht-             dem Kennenlernen beim Sound-
                       Bei den meisten Menschen, welche in        weise ist mir allerdings zu einfach,         check und einem gemeinsamen
                       der Rolle einer Technikerin stecken,       denn der künstlerische Aspekt findet         Abendessen möglichst so zu präsen-
                                 klopft wohl immer auch ein       in den Zwischenräumen statt. Meine           tieren, wie es sich die Musikschaffen-
Text: Felix Lisske               Künstlerherz mit. Selbst         alltägliche Arbeit besteht aus viel Pla-     den vorstellen. Dabei kann meine ei-
Illustration: Till Lauer         wenn man Technikerin ist,        nung, Organisation, Unterhalt, Wei-          gene Interpretation zwar das Endpro-
                                 weil man all die Geräte mit      terentwicklung von Strukturen, Be-           dukt verschieden stark beeinflussen,
                       bunten Lämpchen, komplizierten Be-         sprechungen und Dokumentation –              am Ende geht es aber stets darum,
                       zeichnungen und die Fachsimpelei           aber eben auch aus vielen Nischen.           dass der Betrachter den Eindruck be-
                       darüber liebt: Auch diese werden ja        Diese kreativ zu nutzen, sehe ich als        kommt, dass das Erlebte von den
                       erst spannend, wenn sie ein lebendi-       künstlerische Arbeit.                        Künstlerinnen in diesem Moment
                       ges Signal bearbeiten können.                    Anderswo wird die Kreativität          selber so gesteuert wird. Idealerweise
                              Ich selber bin vom Technik-         in der Arbeit explizit gefordert. Zum        wird die Performance als ein Ge-
                       Virus auch ein bisschen infiziert und      Beispiel als ich im KKLB, dem ehema-         samterlebnis wahrgenommen. Dann
                       dadurch wohl in diesem Berufsfeld          ligen Landessender in Beromünster,           ist das Ziel erreicht. Und wie gross
                       gelandet. Aber wann bekommt das            das Projekt «Signal» mit umsetzen            mein eigener künstlerischer Einfluss
                       Handwerk nun einen künstlerischen          durfte. In dessen Rahmen wurden              war, bleibt (hoffentlich) verborgen.
                       Aspekt? Ich empfinde den Spielraum         die Gegenwart, Vergangenheit und             Ich mag das so und freue mich darü-
                       und das Spektrum hier als sehr weit.       Zukunft des Landessenders mit ei-            ber, wenn es mir selbst gefallen hat.
                              Pragmatisch betrachtet bin ich      nem kulturellen Erlebnisabend be-
                       ein Dienstleister für Kunstschaf-          leuchtet. Es erklangen in Koffern,
                                                                                                               Felix Lisske ist seit 2009 im
                       fende, Besucherinnen und Veranstal-        welche vom Publikum beim Rund-
                                                                                                               Luzerner Südpol als Techniker
                       ter. Ich soll mich einbringen, damit       gang durch das Museum getragen
                                                                                                               tätig. Seit 2016 leitet er dort die
                       der Ablauf technisch reibungsfrei          wurden, Klänge: Alte Radios aus den
                                                                                                               technische Abteilung. Daneben
                       vonstatten geht, die Darbietung die        40er-Jahren sollten synchron im
                                                                                                               arbeitet er als freischaffender
                       erwünschte Wirkung auf den Be-             Raum verteilt die Moderation des
                                                                                                               Tontechniker.
                       trachter erzeugt, und auch so, dass die    Projekts übernehmen, zwei Konzerte
                       Lautstärke im gesetzlichen Rahmen          an unterschiedlichen Orten im Ge-
                       bleibt und alle Beteiligten körperlich     bäude mussten einwandfrei klingen.
                       unversehrt bleiben. In diesen Worten       Und als die Zuschauer für den krö-

Juni 2019                                      041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                       23
NACHSCHLAG

                                                                            20 aufrundet, hat gerade mal 2,5 Prozent gegeben. Für
                                                                            dieses haben bis zu sechs Personen gearbeitet, das Bier
                                                                            hingegen wird von einer Person und innert Kürze ge-
                                                                            zapft.
                                                                                  Ist denn Trinkgeld nun Teil vom Lohn? Irgendwie
                                                                            ja schon. Und somit sinkt klar die Lust, an einem Sonntag
                                                                            zu arbeiten. Auf Wunsch vom Team seit einigen Mona-
                                                                            ten bei uns im Test: der Trinkgeld-Kalkulator. Anstatt
                                                                            direkt zu verteilen, wird im Topf gesammelt und Ende
                                                                            des Monats entsprechend gearbeiteter Stunden ausge-
                                                                                    rechnet und aufgeteilt. Eine Würdigung des Ge-
                                                                                       samtteams und der Tages- und Aufräumarbeit
                                                                                        – aber halt nicht mehr so schön niederschwel-
                                                                                         lig und direkt.
                                                                                               Mindestens genauso schwierig wie die
                                                                                         Fragen wann, warum und wie viel Trinkgeld
                                                                                        fliesst, ist, wie dieses fair verteilt wird. Hat
                                                                                       die Küche einen Anspruch auf ihren Teil?
                                                                                     Zählen die Randstunden bei geschlossenem Be-
                                                                            trieb dazu? Allen gerecht zu werden bei einem grossen

WER TRINKT,                                                                 Team scheint unmöglich. Trotzdem, wir konnten uns
                                                                            vorerst einigen. Ob es nun wirklich fair für alle ist, sei da-
                                                                            hingestellt.

GIBT GELD                                                                         Die Trinkgeld-Geberei ist etwas sehr Irrationales.
                                                                            Viele tun es aus Gewohnheit. Man gibt, was üblich ist.
                                                                            Hier mein Appell: Liebe Gäste, redet über die Trinkgeld-
            Das Schöne am Trinkgeld: Nach getaner Arbeit gibt es            frage. Es ist nämlich eine spannende Angelegenheit.
            zum Feierabendbier ein paar Batzeli direkt in die Hosen-        Überlegt gut, was angemessen ist, und vergesst es beim
            tasche, womit der Kaffee am nächsten Morgen finanziert          Essen und tagsüber nicht. Auch wenn bei uns im Neubad
                             ist. Wenn viel los und der Service gut         diese Ungleichheit beim Verteilen ausgebügelt wurde,
Text: Laurin Schwob          war, gibt’s mehr, sonst weniger – denkt        schön wäre, wenn es ohne funktionieren würde. Um das
            man. Im Neubad ist das seit Kurzem aber nicht mehr so.          Ganze ins Bewusstsein zu rufen, zum Schluss ein paar
                  Fakt ist: Wie viel Trinkgeld pro Schicht so rein-         offene Fragen zum Thema Trinkgeld:
            kommt, schwankt enorm. Dafür gibt es tausend Gründe
            und ich glaube mittlerweile, die Leistung des einzelnen            Gibt man auch dann Trinkgeld, wenn man eigentlich gar
            Mitarbeitenden spielt dabei (leider) gar keine so grosse           nicht so zufrieden war?
            Rolle. Die Uhrzeit macht den Hauptunterschied. Der                 Wie sehr beeinflussen Preise das Trinkgeld?
            Freitagabend kann gut und gerne das Fünffache pro Mit-
                                                                               Ist es frech, wenn man extrem wenig oder kein Trinkgeld gibt?
            arbeiterin einbringen wie ein rappelvoller Sonntag. Ir-
            gendwie unfair, denn Cappuccino und pochiertes Ei sind             Kann man zu viel Trinkgeld geben?
            mindestens genauso streng wie Gin Tonic und Bier. Ist
                                                                               Warum gibt es in anderen Branchen kein Trinkgeld?
            denn unser Sonntagsservice so viel weniger wert?
                  Zahlt jemand an der Bar 8 Franken für ein Bier, das          Ist Trinkgeldgeben gesellschaftlicher Usus oder doch eine
            6 Franken 50 kostet, sind das 23 Prozent Trinkgeld. Das            sehr bewusste Wertschätzung?
            kommt bei Feierabendlaune öfters vor. Meistens auch
            mehrmals pro Abend; bleibt es ja selten bei nur einem
            Bier. Wer bei einem Mittagsmenü die 19 Franken 50 auf

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24                                          041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                      Juni 2019
KUNST
 JUNI 2019

      Interview, Lina Müller & Luca Schenardi,                                Central Park, Lina Müller & Luca Schenardi,
        Tusche und Filzstift auf Papier, 2019                                    Tusche und Filzstift auf Papier, 2019

BOB SECRET – FUNDSTÜCKE
AUS NEW YORK
            - Ausstellung -                             nun zwei Jahre später für die 15-tei-            dien oder auf Reisen gemeinsam un-
            Bob Secret. Das ist der Titel der Aus-      lige Bildserie wiederum als Vorlagen             terwegs. So tourten sie etwa mit dem
            stellung von Lina Müller (*1981, Solo-      dienten. Mit Tusche und Filzstift                Pfeifer-Mobil, dem Wohnmobil der
            thurn) und Luca Schenardi (*1978,           setzten die beiden Punkte aufs Pa-               Luzerner Kunst- und Kulturstiftung
            Altdorf) in der Alpineum Produzen-          pier, aus denen sie nach und nach ihre           Otto Pfeifer, durch Frankreich und
            tengalerie Luzern. Welches Geheim-          damals spontanen Beobachtungen                   Nordspanien. Dort begann auch ihre
            nis sich wohl hinter diesem Wortwitz        der Umgebung herausschälen: Men-                 zeichnerische Kollaboration: Die eine
            versteckt? Schenardi träumt regel-          schen im Central Park, ein chinesi-              setzt einen Anfangspunkt, der andere
            mässig Namen, und so ist ihm die            sches Schriftzeichen oder das tägli-             zeichnet daran weiter, man wechselt
            Idee zu diesem tatsächlich auch im          che Rush-Hour-Chaos. Weniger chro-               sich ab, bis sich die beiden Hand-
            Traum zugeflogen, wie er lachend er-        nologische Erzählung als assoziative             schriften Punkt um Punkt zu einem
            zählt. Bob Secret, vielleicht steht der     Bildwelten, zeugen die Fundstücke                Ganzen fügen. «Denn Punkte sind
            Name beispielhaft für eine Person,          aus New York von den persönlichen                weniger charakteristisch als Striche»,
            die den beiden Kunstschaffenden             Erkundungen und Eindrücken in der                erklärt Lina Müller, sie lassen sich
            während ihres Atelierstipendiums            nie schlafenden Metropole.                       also weniger einfach einer bestimm-
            2017 in New York begegnet ist? Dort                Müller und Schenardi, die pri-            ten Person zuweisen.
            im urbanen Dschungel sind nämlich           vat ein Paar sind, waren in den letzten                Müller und Schenardi sind
            die Skizzen entstanden, welche ihnen        Jahren regelmässig in Atelierstipen-             beide neben ihrer Arbeit im Feld der

Juni 2019                                        041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    25
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