DER KUNST IHRE TECHNIK - www.null41.ch Juni 2019 SFr. 9.
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HUGH ZOE ZACH JACKMAN SALDANA GALIFIANAKIS Musikfestwoche Meiringen SCALE 5.– 13. Juli 2019 Künstlerischer Leiter: Patrick Demenga Klassik – 10 Konzerte vom Feinsten Grosse Werke der Kammermusik, Neues und Rares in unerhörten Interpretationen … Die Grande Dame des Pianos: Elisabeth Leonskaja Der Goldene Bogen Das Quatuor Sine Nomine wird ausgezeichnet. Geigenbauschule Brienz Die besonderen Scalen der Musikinstrumente Vorverkauf: kulturticket.ch, Telefon 0900 585 887 haslital.ch, Telefon 033 972 50 50 www.musikfestwoche-meiringen.ch ONE ADVENTURE LINKS US ALL AB 30. MAI IM KINO © 2019 SHANGRILA FILMS LLC Roy Lichtenstein, Yellow Brushstroke, 1965, Kunsthaus Zürich, 1975 © Estate of Roy Lichtenstein / 2019, ProLitteris, Zurich
EDITORIAL Alles im Griff: Flurina «Flu» Hunkeler, Tontechnikerin, am analogen Mischpult im Luzerner Sedel einen Abend lang und führt Gespräche AN DER SCHALT- zwischen Kabelsalat und lauter Musik. Philosoph Arno Schubbach reflektiert über unser Verständnis von Kultur und ZENTRALE Technik und fragt: Wer beeinflusst hier wen? Stoph Ruckli trifft Tüftler und Tau- sendsassa Fabio Amarilli und spricht Liebe Leserinnen, liebe Leser über Festivaltechnik sowie schwer zu reparie- rende Maschinenteile. Es ist Juni, Monat des Frauenstreiks, Be- ginn des Sommers und Ende der Spielzeiten. Weiter gibt’s eine Literaturpause, die Für die Kultur bedeutet das: Es sich passend zum Heftfokus mit dem Thema Pascal Zeder geht nach draussen! Freilicht- der «Bedienungsanleitung» befasst. Ob beim Redaktionsleiter ad interim spiel, Open-Air-Festival und Aufbau von neuen Möbeln oder dem Umstel- Gartenkonzert; unter freiem len der Backofenuhr auf Sommerzeit: Anlei- Himmel werden die grossen Bühnen aufge- tungen zeigen bei alltäglichen Problemen Lö- baut. Eine besondere Berufsgruppe ist dabei sungen auf. In der Literaturpause präsentie- unverzichtbar: die Veranstaltungstechnike- ren uns Michelle Steinbeck, Heinz Stahlhut, rinnen und -techniker. Kaum je im Fokus, Lili Vanilly und Jules Claude Gisler ihre ganz sorgen sie doch dafür, dass alles reibungslos eigenen Bedienungsanleitungen für Kunst, abläuft – ob draussen oder drinnen. Zeit, un- Literatur und das Zusammenleben. seren «Techies» eine Ausgabe zu widmen! Und nun: Scheinwerfer an für unsere Dafür haben wir uns ins Getümmel ei- Juniausgabe! nes Bandcontests gestürzt: Nina Laky beglei- tet Tontechnikerin Flurina «Flu» Hunkeler Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 3
INHALTSVERZEICHNIS Frau der klaren Worte: Kate Tempest spielt am B-Sides > Seite 28 Fiston Mwanza Mujila liest mit musikalischer Begleitung > Seite 32 TÜFTEL- Editorial > Seite 3 Guten Tag > Seite 5 Poliamourös TAUSEND- Christof Schwenkel über Kartenspiele und Nachrufe > Seite 6 Kosmopolitour Mirjam Landolt sucht in der Berliner Hektik nach Inspiration > Seite 7 Stadt – Land SASSA Fabio Amarilli, self-made Zentralschweizer Hinterbühnenstar > Seite 12 Blick durch die Linse aus Luzern und Beromünster > Seite 8 Aktuell Der Leiter der Luzerner Museen macht den Sparkurs des Kantons nicht mit > Seite 10 Überdacht Andreas Brüll und Felix Lisske über die Rolle der Kunst in der TECHNISCH Tontechnik > Seite 22 Nachschlag Laurin Schwob über Trinkgeld und unfaire Tageszeiten > Seite 24 GESEHEN Technik in Kunst und Gesellschaft: eine Begriffsgeschichte > Seite 16 Käptn Steffis Rätsel > Seite 58 Gezeichnet > Seite 59 TONANGEBEND Tontechnikerin Flurina «Flu» Hunkeler > Seite 18 KULTURKALENDER JUNI 2019 Kunst > Seite 25 Musik > Seite 28 Bühne > Seite 30 Wort > Seite 32 Veranstaltungen > Seite 34 Ausstellungen > Seite 49 Ausschreibungen > Seite 54 Titelbild: Matthias Jurt Fabio Amarilli in seiner Tüftelwerkstatt Adressen A-Z > Seite 56 4 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
GUTEN TAG GUTEN TAG, MARCEL SCHWERZ- MANN Sie sind also der neue Mann im Bildungs- und GUTEN TAG, SPANGE NORD- Kulturdepartement. Wir sind gespannt. DEMONSTRIERENDE Aufgeregt, «041 – Das Kulturmagazin» Wir sind voll bei Euch, keine Frage. Weil absur- de Geldberge mitten in der Stadt in Strassen zu ver- wandeln, that’s so 1971. Aber warum in aller Welt demonstriert Ihr in der Fussgängerzone? Ab auf die Strasse mit Euch! Sollen die in den Autos ruhig mit- GUTEN TAG, LUZERNER STIMMBÜRGER bekommen, was Sache ist. Bei der Anrede sind die Frauen natürlich mitge- Verkehrserziehend, «041 – Das Kulturmagazin» meint. So wie sie auch mitvertreten werden von unse- ren wiedergewählten weisshaarigen Männern. Zwar wäre eine Frau ja schon wichtig, aber es ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt, sagt Herr Martinu und weiss: GUTEN TAG, LUZERNER KANTONAL- Konstanz ist wichtiger als die Frauen. Und auch die BANK Herkunft hat eine Rolle gespielt, sagt Herr Winiker und weiss: Die Leute wollten unbedingt zwei Krienser Da wollten wir uns sechs Jahre nach der Abstim- in der Kantonsregierung. Und an einen politischen mung über die autofreie Bahnhofstrasse am 1. Juli Entscheid nur für Männer kann er sich nicht erinnern, endlich unseren ersten Apéro auf dem Mittelstreifen sagt Herr Schwerzmann und weiss: Sein Männerteam gönnen, doch jetzt verhinderst Du diese Vorfreude macht Politik für die ganze Familie. Ausserdem sind auf den Sommer just auf der Zielgeraden mit einer die Linken verschlagen und die Grünen haben nichts Beschwerde gegen das Verkehrsregime vor Deiner geleistet, sagt Herr CVP-Präsident Ineichen und weiss: Tiefgarage am Blumenweg. Uns war nicht bewusst, Die Männer im Politzirkus haben alles im Griff. Wer wie kompetent Du neben dem Bankengeschäft auch braucht da denn bitte eine Frau. in der Verkehrsplanung bist. Deine solventen Park- platzmieter sollen schliesslich vor dem Stau bewahrt Alles geili Sieche!, «041 – Das Kulturmagazin» werden, der jetzt schon täglich auf Luzerns Strassen herrscht. So kann die Bevölkerung beruhigt weiter auf die Umsetzung ihres Volksentscheids warten, denn dank Deines Muts (und nicht etwa Deiner Staatsgarantie) lässt Du Dich in Zeiten des intensi- GUTEN TAG, LOREDANA ven öffentlichen Diskurses über unser Klima nicht davon abbringen, dass freie Fahrt für Boliden wichti- Was’n das für nen Drama? ger ist als Freiraum für Bürgerinnen und Bürger. Da war’n zehn Mille in bar da aber lag’s nicht an dein Karma Geduldig, «041 – Das Kulturmagazin» War geschnappt von eine Oma Wer klaut schon von die Oma Na-na-na, Loredana Das gibt echt nen scheiss Karma (aber immerhin einen Punkt für Gangsterinnen- Rap aus der Region!) GUTEN TAG, HORWER GEMEINDERAT Zwinkernd durch die Sonnenbrille, Der natürliche Feind einer Eisenskulptur ist der «041 – Das Kulturmagazin» Schweissbrenner. Das ist bekannt, das hätte man nicht unbedingt an einem 40-jährigen Kunstwerk praxiser- proben müssen. Für Kunst brennend, «041 – Das Kulturmagazin» Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 5
POLIAMOURÖS Jassen hallt nach Ich werde sterben. Als heute 38-jähri- Falls es Nekrologe in dieser ger, gesunder Mann vermutlich ir- Form auch in Zukunft noch geben gendwann in den 60er-Jahren dieses wird, wie soll man sich dann das An- Jahrhunderts. denken an die heutigen Jungen und Text: Christof Schwenkel Durch eine töd- Mittelalten vorstellen? «Die alte Tradi- Illustration: Stefanie Sager liche Kombina- tion der Instagram Stories hielt er tion aus Krank- noch lange aufrecht und bis zuletzt heit und Alter. Zumindest ist das sta- freute er sich über jeden einzelnen tistisch gesehen am wahrscheinlichs- Viewer»? «Mit ihren Enkelkindern ten. schaute sie stundenlang den Bauarbei- Wir werden alt. Von den 66 000 Die Jugendjahre der meist in den ten am neuen Durchgangsbahnhof Personen, die in der Schweiz im letz- 1920er- oder 1930er-Jahren Gebore- zu. Schade, dass sie die Fertigstellung ten Jahr gestorben sind, war fast die nen ähneln sich: der Vater Bauer, die nicht mehr erleben durfte»? Könnte Hälfte älter als 85 Jahre. Über den Tod Geschwister zahlreich, der Glaube sein. Gut möglich aber, dass auch bei dieser Menschen erfahren wir Jünge- fest. «Er musste schon früh anpacken uns einmal am häufigsten an ausge- ren für gewöhnlich nur etwas aus der und zu den jüngeren Geschwistern wiesene Jass-Kompetenzen erinnert Zeitung. «Heimat ist dort, wo einem schauen.» Das ist so ein typischer wird. die Todesanzeigen etwas sagen», Nachruf-Satz. Weiter werden Lebens- heisst es. Mir sind die Menschen in ereignisse aufgeführt: Start in den den Anzeigen der Region fremd: Ich Beruf, Hochzeit, Kinder, Schicksals- bin nicht hier aufgewachsen. Trotz- schläge, Enkelkinder, Pension, Krank- dem oder gerade deswegen gehören heit, Tod. So verdichten die Hinterblie- die Trauerseiten für mich zur span- benen in ihren Texten 80 oder 90 Le- nendsten Lektüre einer Zeitung. bensjahre. Und dies mit so grosser Erfreulicherweise gibt es näm- Sorgfalt und Liebe, dass man sich lich in den Zentralschweizer Tageszei- wünschte, der Rest der «Luzerner Zei- tungen neben den Anzeigen noch die tung» würde etwas davon abbekom- schöne Tradition des Nekrologs. An- men. gehörige verfassen Texte zum Leben Der kleinste gemeinsame und Sterben nahestehender Personen. Nenner der Nekrologe ist das Karten- Privates aus dem Leben der Verstorbe- spiel: Einen Jass haben die meisten nen wird in diesen Nachrufen auf eini- auch im hohen Alter gerne geklopft. gen Absätzen öffentlich. Ein bisschen So steht es zumindest in gefühlt 90 Voyeurismus spielt beim Lesen der Prozent der Beschreibungen. Trotz Texte dabei immer mit. dieser Gemeinsamkeiten ist jeder Die Nekrologe geben Einblicke Nachruf einzigartig und es gibt mit- in bestimmte Milieus. Und vor allem unter Erstaunliches über die Verstor- öffnen sie ein Fenster in eine andere benen zu lesen. In den letzten Wochen Zeit. In eine Zeit, in der man auf dem beispielsweise über eine Pionierin im Land noch arm und ungemein katho- Biolandbau, über einen Milchkontrol- lisch war. Lange Fussmärsche zur leur und Schnapsvogt, weiter den Schule, Arbeitsunfälle und Kinder- Schweizermeister in der Laufstaffel sterblichkeit gehörten damals zum und den Gründer einer Kegelbahnfa- Alltag. brik. 6 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
KOSMOPOLITOUR Stadt entgegenbringt. Es sind so viele Eindrücke, die mir da gleichzeitig an den Kopf geworfen werden, und ich habe zu Beginn Mühe, mich auf etwas zu konzentrieren. Ich schliesse mich zwei urbanen Gartengruppen an. Eine ist im Wedding, im Stadtteil also, wo sich auch das Atelier befindet, die andere in Hellersdorf, am Berliner Stadtrand. In diesen Gärten stosse ich auf echte Berlinerinnen und Berliner, Ein Stück Berlin – im Blaudruck festgehalten die mir zwischen Kompost, Hochbeet und dem zum Werkzeugschuppen umfunktionierten DDR-Bauwagen sehr viel über diese faszinierende Blaudruck, Ost-West, Stadt beibringen. Es ist beeindruckend, ihre Ge- schichten zu hören, die oft mit Ost Werkzeugschuppen oder West, vor oder nach der Mauer beginnen oder enden. Neben meinen Recherchen zur urbanen Gartenwelt Kinosäle gesucht, Blaudruck gefunden, ersten Zeit in Berlin auf der Karte besuche ich einen Blaudruck-Kurs – nach Kinosälen suche und mit dieses Medium zieht mich schliess- Englisch im Ohr. Und immer wieder dem Fahrrad kreuz und quer lich in seinen Bann und ich sehe über- gedacht: Diese Stadt ist eine Wucht. durch die Stadt fahre, fällt mir all potenzielle Flächen und Sujets. Seit auf, wie weitläufig sie ist. Auf einiger Zeit suche ich nach etwas, das Und dann bin ich da. In einer hellen, diesen langen Fahrten sehe ich, wie der digitalen Bilderflut und unbe- riesengrossen Berliner Loft, dem hier von einem Stadtteil zum anderen grenzten Vervielfältigung etwas ent- Künstleratelier der Zentralschweizer Welten auseinanderklaffen. Und an gegenhält – und habe es im Blaudruck Kantone. Draussen kaltes, unfreund- fast jeder Ecke ist man mit der Ge- gefunden. liches Februarwetter. Aber das ist halb schichte Berlins konfrontiert. In Residenz zu sein ist eine Frei- so schlimm, denn ich freue mich, end- Irgendwann überkommt mich heit, an die ich mich am Anfang ein lich mal an der Berlinale dabei sein zu ein komisches Gefühl, nachdem man wenig gewöhnen musste. Inzwischen können. Meine Freude wird aber mir mehrmals auf mein Deutsch möchte ich am liebsten gar nichts an- ziemlich schnell getrübt. Nach drei er- mit Englisch antwortet. Schliesslich deres mehr. Die Zeit geht viel zu folglosen Versuchen, morgens bei der merke ich, dass das nicht auf mein schnell vorbei und schon bald muss Eröffnung des Online-Ticketverkaufs schweizerisch angehauchtes Hoch- ich wieder meinen Koffer packen. ein paar Billette zu ergattern – zuerst deutsch zurückzuführen ist, sondern ist das System überlastet und an- auf die multikulturelle Besiedlung schliessend alles ausverkauft – gebe Berlins. ich es auf. Schliesslich sehe ich aber Vier Monate also zum Experi- Mirjam Landolt, geboren in Küssnacht doch noch ein paar Filme dank der mentieren und mich auf Umwege be- am Rigi, hat ihren Weg zum Film über «Auf-gut-Glück-Methode», die darin geben. Ein grosser Luxus, wenn auch die Ausbildung zur Fotografin gefun- den. Von Februar bis Mai 2019 arbeite- besteht, direkt am Eingang ein Ticket nicht immer einfach. Oft bin ich er- te sie in der Berliner Atelierwohnung zu erwerben. Während ich in dieser schöpft von der Wucht, die mir diese der Zentralschweizer Kantone. Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 7
STADT 11. MAI, NEUBAD CLUB – VELO-DISKO AN DER VELONACHT LUZERN «Sprinten um Gold an der ‹Velonacht-Party› im Neubad-Keller.» Bild & Wort: Franca Pedrazzetti 8
LAND 14. MAI, KKLB LANDESSENDER BEROMÜNSTER «Das temporäre Atelier im ehemaligen Landessender KKLB dient dem Künstler Sipho Mabona als grossräu- miger Vorbereitungsort seiner kommenden Ausstellung.» Bild & Wort: Marlene Jost 9
AKTUELL EIN WEGZUG, DER SCHMERZT Ende Juli wird sich Christoph Lichtin in Luzern verabschieden: Der Leiter des Historischen Museums und des Natur-Museums hat Konsequenzen gezogen und seine Stelle gekündigt. Er will nicht mehr Sparpläne umsetzen, sondern Historie zu den Leuten bringen. In Luzern sieht der 56-Jährige die Bedingungen dafür nicht mehr als gegeben an. Nun wechselt er nach Winterthur. Vor sechs Jahren haben Sie die Gesamtleitung der meine Hauptaufgabe gewesen ist. Es stehen ganz andere beiden kantonalen Museen, des Natur-Museums und Aufgaben an. Darum ist es sinnvoll, wenn jemand, der des Historischen Museums, in Luzern übernommen. neu von aussen kommt, diesen Prozess übernimmt. Ihr Ziel sei es, Historie zu den Leuten Text: René Regenass zu bringen, sagten Sie damals in einem Kann das neu vorgegebene Konzept umgesetzt Interview mit « 041 – Das Kulturmaga- werden, also die Zusammenlegung der beiden zin». Vieles ist gelungen, denken wir nur an die Museen und die Weiterführung im Natur-Museum, Ausstellungen über Emil Manser, Emil Steinberger begleitet von einer Kürzung des bisherigen Budgets oder die Tatort-Serie. Bedauern Sie jetzt den Wegzug von 3,6 Millionen um eine Million Franken? aus Luzern? Ich bin überzeugt von der Projektskizze des neuen Christoph Lichtin: Bedauern allein ist es nicht. Ich Konzepts. Wenn es so umgestellt und eingerichtet habe die Arbeit in Luzern am Historischen Museum sehr werden kann, erhält Luzern eines der innovativsten gerne gemacht. Es war eine gute Zeit. Aber ich musste Museen der Schweiz. Ob es tatsächlich gelingt, ist die mich jetzt entscheiden, ob ich den von der Politik vorge- grosse Frage. Den Lead dafür muss die Politik überneh- gebenen Schritt mit dem Sparszenario hier in Luzern men, also die Regierung des Kantons. machen will oder ob ich etwas anderes anpacken soll. Hier wurde ein politischer Prozess angestossen. Hätte Was ist der Inhalt dieser Projektskizze? ich dazu Ja sagen können, hätte ich diesen sicher fünf bis Neben dem Spar- und Reduktionsteil gibt es einen sechs Jahre mittragen müssen. Aber ich habe mich für die neuen Ansatz, um Themen aufzugreifen, welche Politik Stelle in Winterthur entschieden und werde die Leitung und Gesellschaft heute beschäftigen. Das Museum soll der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte überneh- bei aktuellen Brennpunkten ansetzen, Zusammenhänge men. Ich sehe bei der durch Bruno Stefanini gestifteten aufzeigen. Zum Beispiel bei den Projekten auf der Rigi, Institution die Chance, noch einmal etwas komplett an- bei der Spange-Nord oder im Entlebuch, wo Bäuerinnen deres anzupacken und aufzubauen. versuchen, natürliche Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Diese Zielsetzung ist schon richtig, weil wir eine Haben Sie den von der Luzerner Regierung neue Legitimation für die historische Arbeit schaffen vorgegebenen Spardruck nicht mehr ausgehalten? müssen. Wir müssen in der Gegenwart ansetzen. Der Hauptgrund für meinen Wegzug war die Ein- sicht, dass ich in Zukunft nur noch mit Management-Auf- Welches waren Highlights in Ihrer Zeit als gaben belastet sein würde. Nur noch Prozessbegleitung, Museumsleiter in Luzern? Restrukturierung, Bauaufgaben und kaum noch Inhalte Es gab zwei: «Emil» 2015 und «Victoria» im vergan- und Ausstellungen, was in der Vergangenheit doch genen Jahr. Die Ausstellung über Emil Steinberger 10 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
AKTUELL In meinem Alter will man mit Menschen zusammenarbeiten, wo die Chemie stimmt. denen ich mich seit rund 20 Jahren beschäftige: Schwei- zer Kunstgeschichte, Historie in unterschiedlichsten Be- zügen. Und die Stiftung ist riesig: Sie umfasst zwischen 50 000 und 100 000 Objekte. Das Ganze ist wie ein unge- schliffener Diamant, wo die Ziele noch definiert werden müssen. Christoph Lichtin: Der Museumsleiter tritt ab Was soll mit den Werken geschehen? Wir werden sicher kein Museum schaffen – es gibt genug davon. Ich denke an Kooperation, Leihgaben. Viel- weckte eine neue Aufmerksamkeit für das Historische leicht finden wir ein neues Format. Museum. Wir haben uns mit ihm an der Gegenwart und an der Gesellschaft orientiert, nicht an der Historie. Und Im Gegensatz zur aktuellen Situation treten Sie es war eine gute Erfahrung, einmal mit einer lebenden eine Aufgabe an, für welche die Mittel vorhanden sind. Person eine Ausstellung zu gestalten. Mit der Ausstel- Sicher. Das ist eine hochpotente Stiftung. Es gibt lung über Königin Victoria ist es gelungen, mit einem his- keine politischen Vorgaben. Geld ist kein Problem. torischen Thema aus dem Museum herauszutreten, mit einem Theater, Veranstaltungen und Einladungen. Die Stiftung wird aktuell präsidiert von Bettina Dafür spürte ich Dankbarkeit beim Publikum und in der Stefanini, der Tochter des verstorbenen Bruno Politik, weil wir etwas für Luzern getan hatten. Die gröss- Stefanini. Haben Sie einen guten Draht zu ihr? te Überraschung in meiner Arbeit erlebte ich mit der Ich denke schon. Das war auch entscheidend für Emil-Manser-Ausstellung vor zwei Jahren. Das war für meine Wahl. In meinem Alter will man mit Menschen mich ein eher kleines Projekt. Aber wir erfuhren bereits zusammenarbeiten, wo die Chemie stimmt. Ich habe auf die Kommunikation eine unbeschreiblich breite Re- auch festgestellt, dass bei Bettina Stefanini ein grosser aktion. Die Emotionen waren gewaltig, weil Manser Wille da ist, das Erbe des Vaters in eine gute Zukunft zu einer von uns war. führen. Und ich finde Rahmenbedingungen, die stim- men. So kann ich funktionieren. Sie treten Ende Juli eine neue Stelle in Winter- thur an als Leiter der Stefanini-Stiftung an. Was Dieser Text ist ab SA 1. Juni auch auf der Website www.luzern60plus.ch zu lesen. lockte sie dorthin? Die Stiftung betreut eine der bedeutendsten priva- ten Sammlungen in der Schweiz. Sie besetzt Themen, mit Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 11
FOKUS: TECHNIK DER MEISTER DER MASCHINEN Sie sind die Stars im Hintergrund: Veran- staltungstechnikerinnen und -techniker. Ohne sie klingt kein Lautsprecher, leuchtet keine Lampe, findet keine Show statt. Einer der umtriebigsten Zentralschweizer Hinterbühnenstars ist Fabio Amarilli – und der hat noch mehr auf dem Kasten. Text: Stoph Ruckli Bilder: Matthias Jurt 12 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
FOKUS: TECHNIK Gute Musik, kühle Getränke, Bühnenspektakel: Es ist Daneben arbeitet der Luzerner für das B-Sides Fes- Schweizer Hochsaison für Kulturliebende im Land mit tival, die Volière vom Radio 3fach, den Nordpol, das Par- der weltweit höchsten Festivaldichte. Aber auch Hoch- terre, Kleinlaut Festival und Neustadt-Strassenfest. Je saison für eine Garde, die in dieser Zeit dafür sorgt, dass nach Fall plant er die veranstaltungstechnische Infra- gute Musik, kühle Getränke sowie Bühnenspektakel struktur, stellt Bühnen hin, baut Sound- und Lichtanla- überhaupt in Betrieb genommen werden können. Die gen auf, vermietet Equipment und liefert Strom, mischt Rede ist von der Zunft der Veranstaltungstechnikerin- zudem in Ausnahmefällen auch mal den Sound oder lich- nen und -techniker. Zumeist ganz in Schwarz huschen sie telt eine Runde. Grundsätzlich überlässt er diese Berei- vor, hinter und auf den Bühnen umher, sorgen für Ton, che aber lieber den Fachleuten: «Es gibt leidenschaftliche Licht, Spezialeffekte, Infrastruktur und Logistik. Tontechnikerinnen und -techniker, welche hier überneh- men sollen – das hilft der guten Stimmung und somit der Auf Nadeln, wenn alles läuft Qualität, wenn jeder macht, was er am besten kann», Fabio Amarilli kennt diese Bereiche in- und aus- findet Amarilli und fährt fort: «Ausserdem mag ich nicht wendig. Der 30-jährige Luzerner ist seit über zehn Jahren mehr im FOH-Gärtchen eingesperrt sein.» in der Veranstaltungstechnik tätig und besitzt seine eigene kleine Bude. «Der schlimmste Moment ist, wenn Vielfältige Veranstaltungstechnik alles funktioniert», meint er auf die Schwierigkeiten an- «FOH» alias «Front of House» steht für den Bereich gesprochen und grinst schief. «Dann bin ich auf Nadeln. der Veranstaltungstechnik, wo die «Techies» mehrheit- Nun kann es nur noch schlimmer werden.» Amarilli lich vor der Bühne arbeiten: In ihrem Aufgabengebiet weiss, wovon er spricht, plant er doch beispielsweise die liegen Ton, Licht sowie Spezialeffekte. Aber auch auf Stromzufuhr sowie Beleuchtung von Festivals wie den sowie hinter den Bühnen («Backstage» oder «Back of Stanser Musiktagen oder dem Funk am See. Kurz: Wer House» respektive «BOH») geht’s nach dem Aufbau ab. dort blitzschnell den Weg zum WC findet, kann davon Gearbeitet wird an Festivals, in Konzert- oder Theater- ausgehen, dass Amarillis Lichtkonzept ihm diesen Pfad häusern, Kultur- und Kongresszentren, Fernsehanstal- erhellt hat. ten, Filmproduktionsstätten, Zirkussen sowie bei Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 13
FOKUS: TECHNIK «Der schlimmste Moment ist, wenn alles funktioniert.» Dienstleistungsbetrieben der Veranstaltungs- und Produkti- onstechnik oder bei Messebau- und Eventbetrieben. Ergänzend dazu gibt es Technikerinnen und Techniker, die sich um das Moni- toring kümmern, damit die For- mation auf der Bühne hört, was sie performt. Etwas abseits der Kernbranche spielen weiter die Instrumententechnikerinnen und -techniker sowie die Back- liner wichtige Rollen, wobei letz- tere schauen, dass Instrumente sowie Zubehör am richtigen Ort stehen und funktionieren. Und nicht zu vergessen: die Haustech- nik. Lehr- sowie Studienplätze sind dabei äusserst begehrt. Learning by Doing Elektro- und Veranstaltungstechniker, weiter verant- Eine solche Ausbildung hat Amarilli nicht gemacht. wortet er den Unterhalt beim Radio 3fach. Sein Weg ist wie bei vielen Technikerinnen und Techni- kern der alten Garde durch leidenschaftliches «Learning «Immer die Scheiss-Kühlschränke» by Doing» geprägt. Der Funke zur Veranstaltungstech- Alle diese Tätigkeiten haben dem Tausendsassa zu nik sprang im «Adler» Emmenbrücke. Dort organisierte einem eindrücklichen Portfolio verholfen. So plante und der Luzerner erste kleine Konzerte, amtete für die Tech- programmierte Amarilli verschiedenste Maschinen nik und bekam bald darauf Freelance-Aufträge. In seiner zumeist von Grund auf. Als Beispiele wären etwa die so- Tätigkeit ist Amarilli dabei äusserst gewissenhaft und genannten «Motorisierten Horizontalen Blechbundzan- klar: «Unerreichbare Träume haben bei Veranstaltungen gen» sowie «Spreader» zu nennen, welche am Hafen Con- nichts verloren», sagt er und fährt fort: «Ich plane ordent- tainer oder Stahlwerk-Erzeugnisse herumhieven. Oder lich und probiere nicht einfach rum.» Diese Strenge sowie aber Hallenkräne und eine Saugnapf-Putzmaschine für Gewissheit wird ihren Ursprung durchaus in den Jobs ein weltberühmtes Museum. Als eines seiner «gröbsten haben, die der «Kulturtechniker» zusätzlich ausübt. Projekte» bezeichnet Amarilli den Bau der Standseilbahn Seine Lehre absolvierte der ausgebildete Elektro- Schwyz–Stoos, wo er die Tunnelbohrmaschine program- monteur in einem winzigen Zwei-Personen-Betrieb. mierte und mitangepackt hat: «Das war stellenweise wie Weil es an Arbeit fehlte, wurde er immer mal wieder ir- im Krieg dort oben: Finster, minus zehn Grad Celsius, gendwohin ausgeliehen. Das hat ihm so jedoch nicht ge- Schnee – zwei taube Finger und ein Loch im Bein erin- passt: «Ich war schon immer ein stures Arschloch. Dem- nern mich immer mal wieder dran», beschreibt er das Sze- entsprechend wollte ich mir meine eigenen Alternativen nario. suchen.» Sagte es, tat es und kam zum Tunnelbau, wo er Entspannter, aber nicht minder spannend scheint mit Maschinen- und Anlagebau in Berührung kam. Es da seine Diplomarbeit. In deren Rahmen baute er ein in- folgten wichtige Stationen als Abteilungsleiter bei einem telligentes Mini-Wasserkraftwerk, das imstande ist, der grössten Bau- und Baudienstleistungsunternehmen zwei Haushalte mit Strom zu versorgen. Wer auf ein- der Schweiz sowie bei einer Kranfirma, während derer schlägig bekannten Videoplattformen «Fabio Amarilli der Luzerner ein Elektrotechnik-Studium absolvierte. Diplomarbeit» eingibt, kann sich diese Konstruktion an- Heute arbeitet Amarilli als selbstständiger Ingenieur, schauen. Überhaupt ist der Luzerner ein leidenschaftli- 14 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
FOKUS: TECHNIK cher Tüftler, der von Ungetümen wie einem gigantischen «Mich interessiert nur Zeugs, das Kirovets-Traktor («Ein Freund von mir hat den als Hob- byprojekt gekauft») über den Tribelhorn-Elektro-Hotel- es nicht schon in der Art gibt. Alles bus «Mathilde» im Verkehrshaus bis zum Radio andere ist keine Herausforderung, 3fach-Studio («Es sind immer die Scheiss-Kühlschränke und -Geschirrspüler!») alles reparieren und konstruieren braucht kaum Kompetenz.» kann. Sein Credo beim Tüfteln ist simpel: «Mich interes- siert nur Zeugs, das es nicht schon in der Art gibt. Alles andere ist keine Herausforderung, braucht kaum Kompe- dem Drucker kommt, schon kein Geld mehr haben.» Und tenz.» Gerade bei solchen Zitaten brennt der ohnehin macht, was ihm Spass bereitet – mit allen Höhen und schon leidenschaftliche Techniker. Ob er sein Hobby Tiefen: «Ein richtiges Projekt hat viele Lacher, aber auch ebenso feurig angeht? Amarilli sammelt ausgefallene Tränen», meint der Kulturtechniker und fährt fort: «Ich Instrumente, besitzt neben riesigen Spieldosen seit hoffe trotzdem, dass die nächsten 30 Jahre nicht so inten- Kurzem eine Drehorgel und ist gerade dran, ein selbst siv werden wie die letzten zehn.» Ob diese Hoffnung er- spielendes Piano zu erwerben. füllt wird, wird sich zeigen. Kurz darauf erreicht ihn nämlich ein Notfall: In Nachtfahrt nach Tschechien einer Firma im Ausland ist eine Maschine ausgefallen, Eine kostspielige Sache, die der Luzerner zwar die repariert werden muss – und der Luzerner ist eine der locker bewältigen könnte, kann er sich doch vor finanzi- wenigen Fachkräfte, die diese überhaupt flicken können. ell attraktiven Aufträgen kaum retten. Trotzdem stellt Trotz aller Kurzfristigkeit und dem Aufwand nimmt Amarilli klar: Das grosse Geld reizt ihn nicht. Er komme Fabio Amarilli die Anfrage locker – «Ich mag solche Auf- mit wenig aus, hat das Büro in einem Bauernhof abseits träge, da passieren die besten Geschichten» – und fährt von Littau: «Lieber so als wie ein fancy Start-up in der noch am gleichen Abend los: Eine Nachtfahrt nach Tsche- Stadt Räume mieten und nach der ersten Seite, die aus chien ist angesagt. Anzeigen NEU! im Neubad AB 13. JUNI IM © 2019 IMAGE ELEVEN PRODUCTIONS INC. ALL RIGHTS RESERVED. / ARTWORK © 2019 FOCUS FEATURES LLC Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 15
TECHNISCH GESEHEN Philosoph Arno Schubbach reflektiert über die Bedeutung von Technik in unserer Kultur – und dreht den Spiess um. 16 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
FOKUS: TECHNIK Wer heute ins Theater oder ins Konzert geht, dürfte nur Glauben wir auf der einen Seite, dass wir den Hammer in selten Technik im Sinn haben, bekommt es aber doch der Hand haben, um zu tun, was wir wollen, fürchten zwangsläufig mit allerlei Techniken zu tun. Ob man eine viele auf der anderen Seite, dass wir die Computer nicht eher traditionelle Aufführung wählt oder eine Perfor- mehr durchschauen und sie bald uns in der Hand haben: mance mit Kameras, Displays und Projektionen, ob man Sie scheinen sich selbstständig zu machen und richten ein akustisches Gitarrenkonzert sich vielleicht gar gegen uns – wie es allerdings schon von Text: Arno Schubbach bevorzugt oder elektronische vielen Techniken befürchtet wurde. Vieles spricht wohl Illustration: Laura D’Arcangelo Experimentalmusik, ohne Tech- eher für eine graduelle Differenzierung. Denn auch zum nik geht es nicht. Hammer kann ich nur greifen, weil meine Welt schon Kein Kulturleben, keine eine technische ist, weil ich mit dem Vorgang des Na- Dr. Arno Schubbach ist Philosoph Künste ohne Technik! Für diese gelns vertraut bin, Hammer wie Nägel aufeinander abge- und Mathematiker. Er forscht an These spricht schon, dass sich die stimmt sind und dank industrieller Produktion zur Ver- der ETH Zürich zur Technik-, Wis- senschafts- und Kulturphilosophie Bezeichnung der Künste aus der fügung stehen. sowie zur Geschichte der Philoso- lateinischen Übersetzung, ars, phie. Er lehrt zudem Bildtheorie an der Hochschule für Gestaltung des alten griechischen Begriffs Ein Wechselspiel und Kunst Basel FHNW. techné entwickelt hat: Beide be- Technik so breit zu fassen und ihre fundamentale zeichneten zunächst ein sachge- Bedeutung für die menschliche Kultur zu betonen, heisst mässes Können oder eine Fertig- aber nicht, diese Kultur durch Technik einseitig be- keit, die meist mit dem Gebrauch von Werkzeugen, der stimmt zu sehen. Denn so sehr Techniken unsere Kultur Kenntnis von Verfahren und der umsichtigen Nutzung im Allgemeinen und die Künste im Besonderen durch- von natürlichen Bedingungen einhergehen. Diese Be- dringen, so sehr sind sie ihrerseits abhängig von der griffsgeschichte legt nahe, den Begriff der Technik nicht, Kultur und den Künsten. Jede Technik muss den Geset- wie mitunter im öffentlichen Diskurs, allein auf die mo- zen der Natur gehorchen, verdankt sich aber zugleich Er- dernen Technologien zu beziehen, die unsere Gegenwart findungen und Entwicklungen, die auf bestimmte kultu- prägen, sondern auch auf mechanische Bühnentech- relle Funktionen abzielen. Ein gutes Beispiel ist die Foto- niken, den Instrumentenbau oder die Architektur. Auch grafie. Sie wurde seit ihren Anfängen oft als Technik die theoretischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte gesehen, durch die die Natur Bilder von sich selbst her- haben meist einen solch weiten Technikbegriff ange- vorbringt, und zwar in einer Naturgesetzen gehorchen- nommen, der bereits bei einfachen Werkzeugen wie Faust- den Reaktion zwischen Licht und Chemikalien. Der keil oder Hammer ansetzt, mechanische Apparate und Ma- Kunsthistoriker und Philosoph Hubert Damisch schlägt schinen einbezieht und sich bis zu den elektronischen Tech- bereits in den 1960er-Jahren eine ganz andere Perspekti- nologien des 20. Jahrhunderts erstreckt, die uns heute vor ve vor. Die photografische Technik wurde entwickelt, allem unter dem Schlagwort der Digitalisierung umtrei- um die altbekannten Bilder der camera obscura festzuhal- ben. Ohne Techniken in diesem weiten Sinne ist mensch- ten, und die optischen Linsen wurden optimiert, damit liches Leben kaum denkbar, sie durchdringen mehr und diese Bilder den gewohnten Raumdarstellungen entspra- mehr dessen natürliche Grundlagen, ob den eigenen chen. Schliesslich setzte sich Henry Talbots Positiv-Ne- Körper oder die Umwelt. Allerdings wurde diese Umwelt gativ-Verfahren durch, weil es eine einfache Reproduk- seit jeher durch menschliches und technisches Handeln tion von Bildern ermöglichte, sodass die Fotografie, wie gestaltet wie verunstaltet, wenn auch nie in dem Masse wir sie heute kennen, eine Kultur der massenhaften Ver- wie im Anthropozän, dem ersten vom Menschen gepräg- vielfältigung von Bildern antreibt. Sie ist wie jede Tech- ten Erdzeitalter. nik seit ihren Anfängen ein durch und durch kulturelles Phänomen. Vom Nagel zum Smartphone Eine solche Perspektive liesse sich vielfältig aktua- Technik umfasst so betrachtet ein breites Spek- lisieren. Wurde die Farbfotografie nicht vor allem für die trum von Werkzeugen, Maschinen und Technologien. Reproduktion sogenannt weisser Hauttöne optimiert? Natürlich ist es aber ein grosser Unterschied, ob ich einen Bestimmen nicht mehr und mehr rechtliche Regulierun- Hammer benutze, um einen Nagel einzuschlagen, oder gen technische Standards, wie zum Beispiel das Copy- mein Smartphone, um einen Schnappschuss zu machen. right den Transport digitaler Videoströme? Und was Das Smartphone macht vieles, von dem ich wenig weiss, wäre wohl aus der kurzlebigen Attraktion der Techniken und optimiert mein Foto automatisch. Es ist zudem ver- des Bewegtbildes geworden, wenn Filmschaffende nicht netzt, sodass dieses Foto sogleich hochgeladen oder ästhetische Strategien für den abendfüllenden Spielfilm gepostet werden kann, rasch weltweit zugänglich ist und ersonnen hätten? Es mag keine Kultur ohne Technik algorithmisch als Bild des Eiffelturms identifiziert und geben. Weil Technik aber zugleich von Kultur abhängt, weiterverwertet werden kann. Daher kann es so schei- kommt es letztlich darauf an, was wir alle und die Künste nen, als bestünde hier ein prinzipieller Unterschied: mit den Techniken anstellen. Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 17
FOKUS: TECHNIK NO WOMAN NO SHOW Flurina «Flu» Hunkeler (26) ist Tontechnikerin und kann das analoge Mischpult im Sedel aus dem Effeff bedienen. Ein Abend, vier Bands, unzählige Kabel und eine unbändige Lampe – ein Erfahrungsbericht. Text & Bilder: Nina Laky An diesem Samstag startet Flurina «Flu» Hunkelers Ar- Check.» Alles funktioniert soweit, alles ist angepasst, beitstag um 17 Uhr. Die Bands sind schon im Sedel ange- einzig ein mysteriöses Piepen ist noch da. Es verhallt aber kommen und trinken Dosenbier oder Tee. Flu kauert auf von alleine. Zeit, kurz etwas zu essen. Das Tupperware ist der Bühne und dreht Kabel in Kreise. Das Schlagzeug in ihrem Auto, das sie seit Kurzem besitzt. «So kann ich und die Verstärker sind schon aufgestellt, die Mikrofone viel mehr Aufträge annehmen», sagt sie, setzt sich auf müssen noch auf die richtige Höhe gestellt werden. Der eine Bank und isst. Job sei nicht so anstrengend, wie manche vermuten, meint sie. Man schleppe schon nicht die ganze Zeit grosse 20.17 Uhr: 1. Band PA-Anlagen rum, «aber ich bin sicher fitter als ein Studio- Track ab Playlist: Strange – Built to techniker», sagt Flu und lacht. Spill Sie springt auf und setzt sich am Ende des Saales Die ersten Leute sind da, das Konzert beginnt. Es hinter das Mischpult, dreht an Knöpfen und schiebt ist laut, ein Kind hält sich die Ohren zu. Flu ist Tontechni- Regler rauf und runter. Es blinken rote, grüne, gelbe und kerin mit eidgenössischem Fachausweis und erzählt, sie orange Lämpchen, verschiedene Buchstaben und Zahlen habe schon immer etwas mit Musik machen wollen. leuchten auf. An diesem Abend ist sie nicht nur für den «Mein Bruder hat bei Musicals mitgemacht, ich wollte Ton zuständig, sondern auch für die Beleuchtung und die eine Band und bin dann bei der Tontechnik gelandet.» Musik ab Playlist, die zwischen den Bands den Raum be- Am Anfang habe sie öfters gedacht, sie mische schlecht, schallt. «Wo mach ich nur dieses Licht aus?!», fragt sie und bis sie bemerkt habe, dass manchmal auch einfach die sucht am Pult einen Schalter für die Lampe an der linken Band nicht ihren besten Tag habe. Haben Tontechnike- Wand. Die Band steht schon auf der Bühne und fragt ih- rinnen auch sowas wie einen eigenen Stil? «Ja, ich zum rerseits, ob es mit dem Soundcheck losgehen kann. Beispiel möchte es so klingen lassen, wie es reinkommt, und nichts verschönern.» Am Mischpult im Sedel hat sie 19.10 Uhr: Veranstaltungsstart / ihre präferierten Voreinstellungen gespeichert. Soundcheck / Licht einstellen Track ab Playlist: Wolf Parade – Cloud 21.00 Uhr: 2. Band Shadow on the Mountain Track ab Playlist: The Kills – Cheap Während Flu die Instrumente der Band am analo- and Cheerfull genMischpult richtig einstellt, schwärmt sie von diesem. Abende wie dieser sind für Flurina Hunkeler selte- Im Sedel die Tontechnik zu machen sei easy, hier funkti- ner geworden. «Ich habe irgendwann realisiert, dass ich oniere alles: «Es ist ein total anderer Workflow, als wenn nicht nur leidenschaftlich arbeiten kann, sondern auch ich mit einem digitalen Mischpult arbeite. Ich muss mich wirtschaftlich arbeiten muss.» Sie macht heute auch den aufs Essenzielle konzentrieren.» Zuerst gilt es aber auf Ton an Medienkonferenzen oder grossen Messen. «Die der Bühne zwei Kabel auszuwechseln. «Heute machen Wertschätzung ist meistens sehr gross. Manchmal auch die drei anderen Bands vor dem Konzert kurz einen Line- fast ein bisschen too much. Nicht jede Band oder jeder 18 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
FOKUS: TECHNIK Flurina Hunkeler erfüllt im Sedel viele Aufgaben gleichzeitig: Sie kümmert sich um Licht, Ton und die Musik zwischen den Konzerten. Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 19
#SOLIDARITÄT Am 14. Juni findet schweizweit der Frauen*streik statt. Kulturmagazin 20 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
FOKUS: TECHNIK Veranstalter muss mir namentlich auf der Bühne noch für den Ton danken. Aber ich schätze es.» Am Mischpult bei Flu steht nun ein Bandmitglied und fragt, ob sie eine Setlist gesehen habe. Sie verneint und hilft kurz beim Suchen, damit das zweite Konzert starten kann. 21.50 Uhr: 3. Band Track ab Playlist: Journey – Don’t Stop Believin’ Mit Bands hat Flurina Hunkeler bis jetzt noch keine sehr schlechten Erfahrungen gemacht. «À la Marilyn Manson, der den Technikern Mikrofone anschmeisst? Überlegen, wie ich künftig arbeiten soll, aber habe darauf Nein, aber eine Band kam schon mal zu spät, weil sie noch noch keine Antwort. Mein Traumjob wäre es ja, den in der Sauna war.» Flu muss wieder auf die Bühne: Mit Soundtrack für Filme zusammenzustellen.» dem Piano und Gitarrenverstärker stimmt etwas nicht. «Ich hatte bis jetzt recht viel Glück, ein grosser Fauxpas 23.55 Uhr: Veranstaltungsende / Alles ist mir nie passiert. Einmal habe ich für einen Stromaus- auf null / Lampe aus fall in einem Stadion gesorgt, aber das lag auch an den Track ab Playlist: Pixies –Where Is My Stromleitungen», sagt sie und schmunzelt. Fehler von Mind Technikerinnen seien zum Glück meist flüchtig. Und Das Publikum hat die letzte Band mit viel Klat- gebe es einmal kurz Rückkopplung oder es fiept, hätten schen und Wooh-Rufen feierlich verabschiedet. Flu über- die Leute das am nächsten Tag meist vergessen. legt sich, welche Songs ab der Playlist sie noch spielt, bis der Abend zu Ende ist. Das Mischpult braucht es jetzt 22.48 Uhr: 4. Band nicht mehr: «Ein digitales Mischpult schaltet man ein- Track ab Playlist: Aerosmith – Dream fach ab, bei diesem hier muss man jeden Regler auf null On drehen», sagt sie. Jetzt kommt ihr auch in den Sinn, wo der Die vierte Band des Abends gibt alles, inklusive verflixte Lichtschalter ist. «Die Lampe hängt nicht mit Funkenregen aus den Gitarrenköpfen. Das Publikum hat dem Lichtpult zusammen, ich muss sie vorne an der Spass, Flu ebenso. «Mir ist es wichtig, neben dem Job Wand ausmachen!» Ihr Arbeitstag endet bald. Bis sie auch noch Zeit für Hobbys zu haben. Für viele Tontechni- wieder im Sedel mischt, dauert es nun eine Weile. Aber ker ist ihr Job ihr Hobby, einige sind sicher ambitionierter einige private Termine kommen in nächster Zeit auf sie als ich», sagt Flu. Am liebsten hört sie Musik beim Auto- zu. «Tontechnik, das kann nicht jeder. Mich freut es fahren oder Hörbücher, überall. Sie erzählt, dass immer immer, wenn mich Freundinnen und Freunde anfragen, mehr Bands ihre eigenen Tontechnikerinnen mitbringen. an einem Fest die Technik zu machen. Mein Know-how Wird es für sie in Zukunft schwieriger? «Ich bin schon am schenke ich am liebsten.» Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 21
ÜBERDACHT Welche Rolle spielt Kunst in der Tontechnik? «Ästhetische Entscheide zu treffen, ist unabdingbar.» Es gibt verschiedene Kunstbegriffe, der erschaffenden, kreativen und der die sich auch historisch unterschei- rein ausführenden Person? den. Zur Beantwortung der im Rah- Ich stelle mich auf den Stand- men dieser Kolumne ge- punkt, dass diese Frage nicht absolut Text: Andreas Brüll stellten Frage möchte ich beantwortet werden muss, sondern auf drei davon eingehen: dass vielmehr das Selbstverständnis der Akteure Kunst konstituiert. Es 1. Kunst als Gegenteil der Natur im geht also nicht so sehr darum, ob die Sinne von künstlich. Tontechnikerin von aussen als Künst- Was die Tontechnikerin hervor- lerin wahrgenommen wird, sondern bringt, ist künstlich. Natürlich sind darum, ob sie sich selber als Künstle- wir oft damit konfrontiert, dass eine rin versteht. Wenn sie also selber ent- oder dem druck vollsten Sound. möglichst natürliche Wiedergabe er- scheiden kann, ob sie sich als Künstle- Leute, die bereit sind hinzustehen für wünscht ist. De facto ist es aber so, rin sieht oder nicht, stellt sich die ihre Entscheidungen, aber auch bereit dass die Tontechnikerin sich der He- Frage neu: Soll sich die Tontechnike- sind diese zu hinterfragen und auf rausforderung stellt, mit künstlichen rin am Mischpult als Künstlerin ver- Kritik einzugehen. Sie können sich Mitteln die Illusion einer natürlichen stehen? voll und ganz der Darbietung hinge- Darbietung zu schaffen. Ich bin unbedingt der Ansicht, ben und das Bestmögliche aus dem dass die Tontechnikerin oder die Moment machen. 2. Kunst als Derivat von Können, im Tonmeisterin am Mischpult ein Sinne der Handwerkskunst Selbstverständnis als Künstlerin Ob das Kunst ist oder nicht, ist Die technische Ebene unseres pflegen soll. Natürlich gibt es heute unbedeutend. Berufs ist für mich zu vergleichen mit in der zum Teil hochspezialisierten den motorischen Fähigkeiten eines Welt der Tontechnik Bereiche, die Andreas Brüll ist selbstständiger Musikers oder den Fertigkeiten einer nur technische Aspekte umfassen. Tonmeister und Hauptfachdo- Handwerkerin. Die Tontechnikerin Für die Tonmeisterin am Mischpult zent in der Vertiefung Tonmeister muss die Technik kennen und verste- ist es allerdings unabdingbar, ästhe- an der Zürcher Hochschule der hen. Sie muss ein geschultes Gehör tische Entscheide zu treffen und Künste. Seit über 20 Jahren haben und in der Lage sein, auch un- sich künstlerisch mit dem Produkt arbeitet er im Studio und live. ter Zeitdruck eine klangliche Vorstel- auseinanderzusetzen. Sie wird Teil Seine Spezialität sind Musicals lung umzusetzen. Das ist eine Frage des Produkts und übernimmt damit und andere Beschallungen, die der Übung und ist Voraussetzung für Verantwortung. unkonventionelle Lösungen kreatives Arbeiten. So soll die Ton- Und genau diese Bereitschaft, erfordern. Zudem führt er ein frau einem Instrument gleich auf ih- Verantwortung zu übernehmen, professionelles Tonstudio in rem Equipment spielen können. macht die gute Tontechnikerin aus. Winterthur. Unsere Branche braucht keine Leute, 3. Kunst im Sinne der Schönen die erklären können, weshalb es «Überdacht», das sind zwei Künste schlecht klingt oder die Darbietung Antworten auf eine Frage: Jetzt wird die Sache delikat. so nicht funktioniert. Wir brauchen Profis aus Theorie und Praxis äussern sich monatlich und Sind Tontechnikerinnen Kunstschaf- Leute, die stets auf der Suche sind aktuell zu Kultur und ihren fende; ist das, was sie machen, Kunst? nach dem perfekten K lang, der Wirkungsbereichen. Wo ziehen wir die Grenze zwischen realsten Illusion von Natürlichkeit 22 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
ÜBERDACHT nenden Abschluss bei einem Feuer- spiel auf dem Balkon den zwei Kilo- meter entfernten Sendeturm be- trachteten, wurde der Eindruck er- weckt, dass dieser wieder live zu senden beginnt. Wenn man diese Ideen zu einem grossen Teil alleine technisch umsetzt, dabei das Budget und die Zeit einhalten muss, dann ist das für mich, wenn nicht unbedingt künstlerisch, so doch immerhin ein sehr kreativer Prozess. Vielleicht ist es die Herausforderung, mit den vor- handenen Mitteln das gewünschte subjektive Erlebnis zu erzeugen, was sinnbildlich eine Kunst sein kann und an den Nerven kitzelt. Solche Be- «Wie gross mein eigener dingungen mag ich. Und ich emp- finde es als Luxus, der Kunst so nahe künstlerischer Einfluss war, zu sein und die Umsetzung der Arbei- ten zu unterstützen. bleibt (hoffentlich) verborgen.» An einem Konzertabend ist der Umfang meiner Anteilnahme viel- leicht etwas geringer. Oft ist es meine Wie hoch der künstlerische Anteil in ist noch nicht viel von künstlerischen Aufgabe, die Kunst einer Band nach meiner Arbeit ist – eine schöne Frage. Aspekten zu spüren. Diese Sicht- dem Kennenlernen beim Sound- Bei den meisten Menschen, welche in weise ist mir allerdings zu einfach, check und einem gemeinsamen der Rolle einer Technikerin stecken, denn der künstlerische Aspekt findet Abendessen möglichst so zu präsen- klopft wohl immer auch ein in den Zwischenräumen statt. Meine tieren, wie es sich die Musikschaffen- Text: Felix Lisske Künstlerherz mit. Selbst alltägliche Arbeit besteht aus viel Pla- den vorstellen. Dabei kann meine ei- Illustration: Till Lauer wenn man Technikerin ist, nung, Organisation, Unterhalt, Wei- gene Interpretation zwar das Endpro- weil man all die Geräte mit terentwicklung von Strukturen, Be- dukt verschieden stark beeinflussen, bunten Lämpchen, komplizierten Be- sprechungen und Dokumentation – am Ende geht es aber stets darum, zeichnungen und die Fachsimpelei aber eben auch aus vielen Nischen. dass der Betrachter den Eindruck be- darüber liebt: Auch diese werden ja Diese kreativ zu nutzen, sehe ich als kommt, dass das Erlebte von den erst spannend, wenn sie ein lebendi- künstlerische Arbeit. Künstlerinnen in diesem Moment ges Signal bearbeiten können. Anderswo wird die Kreativität selber so gesteuert wird. Idealerweise Ich selber bin vom Technik- in der Arbeit explizit gefordert. Zum wird die Performance als ein Ge- Virus auch ein bisschen infiziert und Beispiel als ich im KKLB, dem ehema- samterlebnis wahrgenommen. Dann dadurch wohl in diesem Berufsfeld ligen Landessender in Beromünster, ist das Ziel erreicht. Und wie gross gelandet. Aber wann bekommt das das Projekt «Signal» mit umsetzen mein eigener künstlerischer Einfluss Handwerk nun einen künstlerischen durfte. In dessen Rahmen wurden war, bleibt (hoffentlich) verborgen. Aspekt? Ich empfinde den Spielraum die Gegenwart, Vergangenheit und Ich mag das so und freue mich darü- und das Spektrum hier als sehr weit. Zukunft des Landessenders mit ei- ber, wenn es mir selbst gefallen hat. Pragmatisch betrachtet bin ich nem kulturellen Erlebnisabend be- ein Dienstleister für Kunstschaf- leuchtet. Es erklangen in Koffern, Felix Lisske ist seit 2009 im fende, Besucherinnen und Veranstal- welche vom Publikum beim Rund- Luzerner Südpol als Techniker ter. Ich soll mich einbringen, damit gang durch das Museum getragen tätig. Seit 2016 leitet er dort die der Ablauf technisch reibungsfrei wurden, Klänge: Alte Radios aus den technische Abteilung. Daneben vonstatten geht, die Darbietung die 40er-Jahren sollten synchron im arbeitet er als freischaffender erwünschte Wirkung auf den Be- Raum verteilt die Moderation des Tontechniker. trachter erzeugt, und auch so, dass die Projekts übernehmen, zwei Konzerte Lautstärke im gesetzlichen Rahmen an unterschiedlichen Orten im Ge- bleibt und alle Beteiligten körperlich bäude mussten einwandfrei klingen. unversehrt bleiben. In diesen Worten Und als die Zuschauer für den krö- Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 23
NACHSCHLAG 20 aufrundet, hat gerade mal 2,5 Prozent gegeben. Für dieses haben bis zu sechs Personen gearbeitet, das Bier hingegen wird von einer Person und innert Kürze ge- zapft. Ist denn Trinkgeld nun Teil vom Lohn? Irgendwie ja schon. Und somit sinkt klar die Lust, an einem Sonntag zu arbeiten. Auf Wunsch vom Team seit einigen Mona- ten bei uns im Test: der Trinkgeld-Kalkulator. Anstatt direkt zu verteilen, wird im Topf gesammelt und Ende des Monats entsprechend gearbeiteter Stunden ausge- rechnet und aufgeteilt. Eine Würdigung des Ge- samtteams und der Tages- und Aufräumarbeit – aber halt nicht mehr so schön niederschwel- lig und direkt. Mindestens genauso schwierig wie die Fragen wann, warum und wie viel Trinkgeld fliesst, ist, wie dieses fair verteilt wird. Hat die Küche einen Anspruch auf ihren Teil? Zählen die Randstunden bei geschlossenem Be- trieb dazu? Allen gerecht zu werden bei einem grossen WER TRINKT, Team scheint unmöglich. Trotzdem, wir konnten uns vorerst einigen. Ob es nun wirklich fair für alle ist, sei da- hingestellt. GIBT GELD Die Trinkgeld-Geberei ist etwas sehr Irrationales. Viele tun es aus Gewohnheit. Man gibt, was üblich ist. Hier mein Appell: Liebe Gäste, redet über die Trinkgeld- Das Schöne am Trinkgeld: Nach getaner Arbeit gibt es frage. Es ist nämlich eine spannende Angelegenheit. zum Feierabendbier ein paar Batzeli direkt in die Hosen- Überlegt gut, was angemessen ist, und vergesst es beim tasche, womit der Kaffee am nächsten Morgen finanziert Essen und tagsüber nicht. Auch wenn bei uns im Neubad ist. Wenn viel los und der Service gut diese Ungleichheit beim Verteilen ausgebügelt wurde, Text: Laurin Schwob war, gibt’s mehr, sonst weniger – denkt schön wäre, wenn es ohne funktionieren würde. Um das man. Im Neubad ist das seit Kurzem aber nicht mehr so. Ganze ins Bewusstsein zu rufen, zum Schluss ein paar Fakt ist: Wie viel Trinkgeld pro Schicht so rein- offene Fragen zum Thema Trinkgeld: kommt, schwankt enorm. Dafür gibt es tausend Gründe und ich glaube mittlerweile, die Leistung des einzelnen Gibt man auch dann Trinkgeld, wenn man eigentlich gar Mitarbeitenden spielt dabei (leider) gar keine so grosse nicht so zufrieden war? Rolle. Die Uhrzeit macht den Hauptunterschied. Der Wie sehr beeinflussen Preise das Trinkgeld? Freitagabend kann gut und gerne das Fünffache pro Mit- Ist es frech, wenn man extrem wenig oder kein Trinkgeld gibt? arbeiterin einbringen wie ein rappelvoller Sonntag. Ir- gendwie unfair, denn Cappuccino und pochiertes Ei sind Kann man zu viel Trinkgeld geben? mindestens genauso streng wie Gin Tonic und Bier. Ist Warum gibt es in anderen Branchen kein Trinkgeld? denn unser Sonntagsservice so viel weniger wert? Zahlt jemand an der Bar 8 Franken für ein Bier, das Ist Trinkgeldgeben gesellschaftlicher Usus oder doch eine 6 Franken 50 kostet, sind das 23 Prozent Trinkgeld. Das sehr bewusste Wertschätzung? kommt bei Feierabendlaune öfters vor. Meistens auch mehrmals pro Abend; bleibt es ja selten bei nur einem Bier. Wer bei einem Mittagsmenü die 19 Franken 50 auf Anzeigen 24 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz Juni 2019
KUNST JUNI 2019 Interview, Lina Müller & Luca Schenardi, Central Park, Lina Müller & Luca Schenardi, Tusche und Filzstift auf Papier, 2019 Tusche und Filzstift auf Papier, 2019 BOB SECRET – FUNDSTÜCKE AUS NEW YORK - Ausstellung - nun zwei Jahre später für die 15-tei- dien oder auf Reisen gemeinsam un- Bob Secret. Das ist der Titel der Aus- lige Bildserie wiederum als Vorlagen terwegs. So tourten sie etwa mit dem stellung von Lina Müller (*1981, Solo- dienten. Mit Tusche und Filzstift Pfeifer-Mobil, dem Wohnmobil der thurn) und Luca Schenardi (*1978, setzten die beiden Punkte aufs Pa- Luzerner Kunst- und Kulturstiftung Altdorf) in der Alpineum Produzen- pier, aus denen sie nach und nach ihre Otto Pfeifer, durch Frankreich und tengalerie Luzern. Welches Geheim- damals spontanen Beobachtungen Nordspanien. Dort begann auch ihre nis sich wohl hinter diesem Wortwitz der Umgebung herausschälen: Men- zeichnerische Kollaboration: Die eine versteckt? Schenardi träumt regel- schen im Central Park, ein chinesi- setzt einen Anfangspunkt, der andere mässig Namen, und so ist ihm die sches Schriftzeichen oder das tägli- zeichnet daran weiter, man wechselt Idee zu diesem tatsächlich auch im che Rush-Hour-Chaos. Weniger chro- sich ab, bis sich die beiden Hand- Traum zugeflogen, wie er lachend er- nologische Erzählung als assoziative schriften Punkt um Punkt zu einem zählt. Bob Secret, vielleicht steht der Bildwelten, zeugen die Fundstücke Ganzen fügen. «Denn Punkte sind Name beispielhaft für eine Person, aus New York von den persönlichen weniger charakteristisch als Striche», die den beiden Kunstschaffenden Erkundungen und Eindrücken in der erklärt Lina Müller, sie lassen sich während ihres Atelierstipendiums nie schlafenden Metropole. also weniger einfach einer bestimm- 2017 in New York begegnet ist? Dort Müller und Schenardi, die pri- ten Person zuweisen. im urbanen Dschungel sind nämlich vat ein Paar sind, waren in den letzten Müller und Schenardi sind die Skizzen entstanden, welche ihnen Jahren regelmässig in Atelierstipen- beide neben ihrer Arbeit im Feld der Juni 2019 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz 25
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