Wie berechtigt sind Inflationsängste? - Swiss Economics - Credit Suisse

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Wie berechtigt sind Inflationsängste? - Swiss Economics - Credit Suisse
Swiss Economics

      Wie berechtigt sind
      Inflationsängste?
      Monitor Schweiz | 3.Q 2021

Konjunktur                         Fokus                             Geldpolitik
Sand im Getriebe der Erholung      Vorübergehender Inflationsschub   Höhere Inflation im Visier

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Wie berechtigt sind Inflationsängste? - Swiss Economics - Credit Suisse
Swiss Economics | 3.Q 2021   2
Wie berechtigt sind Inflationsängste? - Swiss Economics - Credit Suisse
Editorial

            Liebe Leserinnen und Leser

            Die Schweizer Wirtschaftsleistung hat ihr Vorkrisenniveau mittlerweile wieder erreicht, und die Er-
            holung dauert an. Die Corona-Pandemie und ihre Folgen dürften die Schweiz jedoch noch länger
            beschäftigen. Der bisherige Impffortschritt sowie die Agilität der Wirtschaft sollten zwar ausrei-
            chen, um das Risiko einer erneuten Rezession in engen Grenzen zu halten, übertriebener Optimis-
            mus ist aber nicht angebracht. In einigen Branchen, wie etwa in der Gastronomie oder in gewis-
            sen Freizeitbetrieben, gibt es nach wie vor punktuelle Einschränkungen, und in anderen Berei-
            chen, wie dem internationalen Tourismus oder bei Grossveranstaltungen, wird eine Rückkehr zur
            «Normalität» wohl noch bis weit ins kommende Jahr auf sich warten lassen.

            In der Industrie hingegen ist die Nachfrage weltweit derart hoch, dass die bestehenden Kapazitä-
            ten kaum ausreichen, was wiederum die Güterpreise steigen lässt. Preissprünge in Verbindung
            mit massiven Staatsausgaben und extrem expansiven Zentralbanken wecken Inflationssorgen und
            erinnern an die durch die Teuerung verursachten Schäden in den 1970er-Jahren. Damals ver-
            zerrte die hartnäckig hohe Inflation die relative Preisstruktur: Sie liess Unternehmen glauben, dass
            sie Gewinne machten, obwohl sie tatsächlich Verluste schrieben, was massive Fehlinvestitionen
            zur Folge hatte. Gleichzeitig waren die Haushalte ständig bestrebt, den Kaufkraftverlust ihrer Ein-
            künfte und Ersparnisse abzuwenden. Erst das entschlossene Handeln der Zentralbanken, allen
            voran des damaligen Vorsitzenden der US-Notenbank (Fed), Paul Volcker, bezwang den
            «Inflationsdrachen» letztlich.

            Es folgte bekanntlich eine lange Phase mit weltweit tiefer und vergleichsweise stabiler Inflation. In
            Krisenzeiten, wie zuletzt im Pandemiejahr 2020, war die Teuerung zeitweilig sogar negativ, insbe-
            sondere in der Schweiz. Auf breiter Front fallende Preise sind jedoch mindestens so schädlich wie
            zu stark steigende. Die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre beispielsweise war geprägt durch eine
            Deflationsspirale, d.h. einen Teufelskreis mit sinkenden Preisen, abwartenden Konsumenten und
            steigender Arbeitslosigkeit. Die Angst vor Deflation hat sich vor allem in den USA tief ins wirt-
            schaftliche Gedächtnis eingebrannt. In der Schweiz hingegen wurde das sinkende Preisniveau
            zuweilen sogar als etwas Positives wahrgenommen. Günstiger wurden nämlich vor allem impor-
            tierte Güter, weshalb der negative Rückkopplungseffekt auf den Arbeitsmarkt ausblieb. Aus volks-
            wirtschaftlicher Sicht ist es aber dennoch zu begrüssen, dass die Inflation jüngst auch in der
            Schweiz wieder in den positiven Bereich gedreht hat.

            In Bezug auf unser Hauptszenario, wonach das milde Inflationsklima in der Schweiz und in Europa
            bis auf Weiteres anhalten wird, sind wir weiterhin optimistisch. Wir gehen zudem davon aus, dass
            das Inflationsrisiko selbst in den USA überschaubar bleiben wird (vgl. Fokus-Artikel Seite 12). Die
            risikoreichen Nebenszenarien lassen sich jedoch nicht gänzlich ausschliessen und müssen daher
            genau im Auge behalten werden.

            Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.

            André Helfenstein                                   Claude Maurer
            CEO Credit Suisse (Schweiz) AG                      Chefökonom Schweiz

                                                                           Swiss Economics | 3.Q 2021          3
Wie berechtigt sind Inflationsängste? - Swiss Economics - Credit Suisse
Inhalt

Konjunktur                                                                                                      6
Sand im Getriebe der Erholung                                                                                           6
Die COVID-19-Pandemie wird die Schweiz noch länger beschäftigen, die wirtschaftliche Erholung
dauert jedoch an. Wir rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von 3.5% in diesem und von
2.5% im kommenden Jahr. Gewisse Branchen hinken aber hinterher.                                                         6

Konjunktur | Monitor                                                                                            8

Branchen | Monitor                                                                                              9

Fokus I Inflation                                                                                             12
Vorübergehender Inflationsschub                                                                                        12
Die Konsumentenpreisinflation beschleunigt sich weltweit und weckt Befürchtungen vor einer
Überhitzung der Wirtschaft, angetrieben durch eine aussergewöhnlich expansive Geld- und
Fiskalpolitik. Das Inflationsrisiko hat tatsächlich zugenommen, insbesondere in den USA. In der
Eurozone, der Schweiz und Japan allerdings wird die Teuerung die lockere Geldpolitik in
absehbarer Zukunft wohl nicht gefährden.                                                                               12

Geldpolitik                                                                                                   19
Höhere Inflation im Visier                                                                                             19
Diverse Zentralbanken haben ihre Inflationsziele in jüngster Vergangenheit erhöht. Demgegenüber
hat die Schweizerische Nationalbank ihr Ziel unverändert belassen; sie hat jedoch wiederholt
versichert, auch künftig einen lockeren geldpolitischen Kurs beibehalten zu wollen.                                    19

Geldpolitik I Monitor                                                                                         20

Im m obilien | Monitor                                                                                        21

Credit Suisse Vorlaufindikatoren                                                                              22

Prognosen und Indikatoren                                                                                     24

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Swiss Economics | 3.Q 2021   5
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Konjunktur

Sand im Getriebe der Erholung

                                      Die COVID-19-Pandemie wird die Schweiz noch länger beschäftigen, die wirtschaftliche
                                      Erholung dauert jedoch an. Wir rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von 3.5% in
                                      diesem und von 2.5% im kommenden Jahr. Gewisse Branchen hinken aber hinterher.

Starkes BIP-                          Das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz ist im 2. Quartal um 1.8% gegenüber dem Vorquartal
Wachstum dank                         gewachsen. Zu verdanken ist diese Expansion der auf breiter Front erfolgten Lockerung der
Lockerung                             COVID-19-Eindämmungsmassnahmen, die im Zuge des Lockdowns im 1. Quartal 2021 verhängt
der COVID-19-                         worden waren, und einer gleichzeitig weltweit hohen Nachfrage nach Gütern. Offensichtlich ist die
Massnahmen                            Schweiz wirtschaftlich bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen (vgl. Abb. 1): Nur in
                                      den USA, wo die Regierung das Wirtschaftswachstum mittels Staatsausgaben massiv stimulierte,
                                      und in Schweden, wo die Corona-Massnahmen zumeist weniger streng waren, lag die Wirt-
                                      schaftsleistung im 2. Quartal 2021 im Vergleich zum Vorkrisenniveau höher als in der Schweiz.

BIP in den letzten                    Obwohl das Schweizer BIP sein Vorkrisenniveau gemäss dem wöchentlichen Wirtschaftsindikator
Wochen wieder über                    des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO in den letzten Wochen sogar wieder übertroffen hat
Vorkrisenniveau                       (vgl. Abb. 2), dürfte der Wohlstandsverlust infolge der Pandemie beträchtlich sein: Unter Berück-
                                      sichtigung des entgangenen Wachstums schätzen wir die pandemiebedingten BIP-Einbussen
                                      hierzulande auf rund CHF 57 Mrd. (rund 8% des BIP von 2019). Zudem verläuft die Erholung
                                      äusserst uneinheitlich: Während einige Branchen, wie etwa die Industrie (darunter insbesondere
                                      die Pharmaindustrie), der Fahrzeughandel oder Versicherungs- und Finanzdienstleistungen, sogar
                                      wieder über das Vorkrisenniveau zugelegt haben, liegen andere, wie beispielsweise der Tourismus
                                      oder das Transportgewerbe (inklusive öffentlicher Verkehr), noch weit darunter (vgl. Abb. 3).

Positive Vorlauf-                     Die wirtschaftliche Erholung dürfte in den kommenden Monaten andauern. Der von uns in Zusam-
indikatoren                           menarbeit mit procure.ch erstellte Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Industrie notiert weiterhin
                                      nahe an seinem historischen Rekordstand, und sein Pendant für den Dienstleistungssektor liegt
                                      ebenfalls deutlich in der Wachstumszone. Zudem verbessert sich die Arbeitsmarktlage, was sich
                                      positiv auf die Konsumentenstimmung auswirkt. Die Arbeitslosenquote sollte sukzessive weiter
                                      sinken und Ende 2022 2.5% erreichen, während die Nutzung der Kurzarbeit weiter abnimmt.

Abb. 1: Schweiz meistert Wirtschaftskrise vergleichsweise gut                 Abb. 2: Wöchentliche Wirtschaftsaktivität über Vorkrisenniveau
Reales BIP, saisonbereinigt. 4. Quartal 2019 = 100                            Wirtschaftsaktivität relativ zum Vorkrisenniveau, Veränderung in %

105                                                                             4
              Frankreich    Deutschland      Schweden      USA      Schweiz
                                                                                2
100
                                                                                0
 95
                                                                               -2

 90                                                                            -4

                                                                               -6
 85
                                                                               -8
 80
                                                                              -10
 75
                                                                              -12
       Q4 2019 Q1 2020 Q2 2020 Q3 2020 Q4 2020 Q1 2021 Q2 2021
                                                                                 2020                                            2021

Quelle: Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 2. Quartal 2021        Quelle: Staatsekretariat für Wirtschaft SECO, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt:
                                                                              Woche 32, 2021

                                                                                                                Swiss Economics | 3.Q 2021                       6
Pandemie dauert an,                            Zu viel Optimismus ist aber nicht angebracht, denn die Erholung dürfte wieder gebremst werden,
Rezessionsrisiko                               zumal es wohl noch länger dauern wird, bis die Pandemie vollständig unter Kontrolle ist. In gewis-
aber klein                                     sen Bereichen, namentlich im interkontinentalen Tourismus, ist eine Normalisierung der Nachfrage
                                               bis Mitte 2022 nicht realistisch, und in anderen, wie etwa in der Gastronomie oder in gewissen
                                               Freizeitbetrieben, gibt es wiederholt punktuelle Einschränkungen. Der bisherige Impffortschritt so-
                                               wie die Agilität der Wirtschaft dürften aber selbst bei einer deutlichen Verschlechterung der epide-
                                               miologischen Lage und erneuten punktuellen Eindämmungsmassnahmen ausreichen, um das Ri-
                                               siko einer Rezession in engen Grenzen zu halten.

Lieferschwierigkeiten                          Eingeschränkt wird die Erholung zudem bis auf Weiteres durch weit verbreitete Lieferengpässe in
sorgen für anhaltende                          der Industrie: Rund 70% der von uns befragten Einkaufsmanager vermelden im Rahmen unserer
Güternachfrage, …                              monatlichen Umfrage derzeit längere Lieferfristen und steigende Einkaufspreise. Ein Teil der ho-
                                               hen Güternachfrage wird entsprechend noch länger nicht befriedigt werden können, und die Zei-
                                               ten sinkender Preise, welche die Konsumenten zusätzlich zum Kauf animierten, sind vorerst vorbei
                                               (vgl. Fokus zur Inflation auf Seite 12). Die Lieferprobleme dürften die bisher boomhafte Erholung
                                               der Industrie zwar bremsen, aber nicht abwürgen. Darüber hinaus sollte die erhöhte Güternach-
                                               frage angesichts der diversen Lieferverzögerungen länger andauern als bisher von uns prognosti-
                                               ziert. Wir rechnen dementsprechend erst für Mitte 2022 mit einem spürbaren Abflachen der Gü-
                                               ternachfrage. Wegen einer künftig drohenden Sättigung und eines möglichen Abbaus von Lager-
                                               beständen könnte Letztere dann aber durchaus stark einbrechen.

… die sich aber                                Eine gewisse Sättigung der Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern ist nämlich bereits heute
künftig abschwächen                            in den monatlichen Zahlen der Detailhandelsumsätze ersichtlich (vgl. Abb. 4): Der Ausschlag der
dürfte                                         Umsätze mit langlebigen Konsumgütern nach oben war nach dem zweiten Lockdown deutlich ge-
                                               ringer als nach dem ersten. Dies rührt teilweise sicherlich daher, dass der zweite Lockdown kürzer
                                               und weniger einschneidend war als der erste, und zudem mehr alternative Konsummöglichkeiten
                                               zu Verfügung standen. Doch es liegt auch in der Natur von langlebigen Konsumgütern, dass sie –
                                               nachdem sie erst einmal gekauft sind – ein gewisses Bedürfnis über längere Zeit befriedigen.

Erholung dauert an,                            Für Mitte 2022 erwarten wir folglich eine deutliche Abschwächung der Industriedynamik bei
die Divergenz                                  gleichzeitig höherem Angebot, wodurch sich die Lage hinsichtlich der Lieferfristen und Preise ent-
zwischen den                                   spannen sollte. Des Weiteren dürfte dann die Erholung auch diejenigen Branchen erfassen, die
Branchen ebenso                                derzeit noch unter Einschränkungen leiden und hinterherhinken. Während das Schweizer BIP in
                                               diesem Jahr um insgesamt 3.5% expandieren sollte, dürfte sich das Wachstumstempo im kom-
                                               menden Jahr auf 2.5% verlangsamen.

                                               claude.maurer@credit-suisse.com

Abb. 3: Grosse Unterschiede nach Branchen                                               Abb. 4: Umsätze mit langlebigen Konsumgütern flachen ab
Abweichung der Wertschöpfung vom Niveau im 4. Quartal 2019, in %                        Index Januar 2020 = 100

       Kunst und Unterhaltung
               Chemie/Pharma
                                                                                            Haushalt und Wohnen      Heimelektronik     DIY/Garten/ Autozubehör    Freizeit
                   Detailhandel
Versicherungsdienstleistungen                                                           160
                       Industrie
               Fahrzeughandel
        Finanzdienstleistungen                                                          140
                       Bergbau
       Öffentliche Verwaltung                                                           120
            Gesundheitswesen
                 Landwirtschaft
                    Entsorgung                                                          100
                      Erziehung
              Wohnungswesen
                            Bau                                                          80
    Sonstige Dienstleistungen
                        Energie                                                          60
              Private Haushalte
             Transportgewerbe
                     Tourismus                                                           40
                                   -60   -50   -40   -30   -20   -10   0   10      20    Jan 2020    Apr 2020     Jul 2020   Okt 2020     Jan 2021    Apr 2021    Jul 2021

Quelle: Staatsekretariat für Wirtschaft SECO, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt:        Quelle: GfK, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juli 2021
2. Quartal 2021

                                                                                                                         Swiss Economics | 3.Q 2021                           7
Konjunktur | Monitor

Inflation                                                       Vorübergehender Inflationsanstieg
                                                                Veränderung in %

Die Teuerung wird in den nächsten Monaten auf 1% anstei-         1.5
                                                                                                                                                     Prognose
gen, bevor sie sich 2022 wieder bei unter 1% einpendelt.
                                                                 1.0
Im Durchschnitt dürfte die Inflationsrate sowohl 2021 als
auch 2022 0.5% betragen. Zu den Haupttreibern des der-           0.5
zeit beschleunigten Preisauftriebs zählen die Komponenten
                                                                 0.0
«Wohnen», «Transport», «Haushaltsartikel» sowie «Restau-
rants und Hotels». Höhere Ölpreise (welche die Kategorien       -0.5
«Wohnen» und «Transport» beeinflussen) haben seit Mai
2021 rund 0.5 Prozentpunkte zur Inflationsrate beigetragen.     -1.0
Geht man von künftig konstanten Ölpreisen aus, dürfte ihr
                                                                -1.5
Beitrag an die Schweizer Teuerung bis Dezember 2021                 2015          2016      2017         2018      2019          2020   2021         2022
gleich hoch bleiben und danach graduell nachlassen.                        Erdölprodukte         Andere Güter und Dienstleistungen         Inflationsrate

maxime.botteron@credit-suisse.com
                                                                Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: August 2021

Beschäftigung                                                   Temporärbranche hat coronabedingten Einbruch wettgemacht
                                                                Beschäftigung (Vollzeitäquivalente): Veränderung ggü. Vorjahr in % (Total) und
                                                                Wachstumsbeiträge in Prozentpunkten (Sektoren)

Nachdem die Beschäftigung im 1. Quartal 2021 noch ge-            2.5%
                                                                               Temporärbranche           Übriger Tertiärsektor      Sekundärsektor      Total
sunken war, erholte sie sich im Zuge der Lockerungen der         2.0%
Corona-Massnahmen im 2. Quartal (+0.3% ggü. Vorjahr).
                                                                 1.5%
Ein Grossteil des Wachstums ist auf die Temporärbranche
zurückzuführen, die wie in früheren Krisen stark auf den         1.0%
konjunkturellen Ab- und Aufschwung reagierte. Nach dem           0.5%
heftigen Einbruch im 2. Quartal 2020 (–18% ggü. Vorquar-
                                                                 0.0%
tal) zog die Zahl der Temporärangestellten relativ zügig wie-
der an; Mitte 2021 lag sie saisonbereinigt sogar um 9%          -0.5%
über ihrem Niveau von Ende 2019. Für die Gesamtbeschäf-         -1.0%
tigung rechnen wir mit einem Wachstum von 0.3% im Jah-
                                                                -1.5%
resdurchschnitt 2021 und von 1.2% im nächsten Jahr.                     2009         2011          2013          2015            2017      2019         2021

emilie.gachet@credit-suisse.com                                 Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 2. Quartal 2021

Zuwanderung                                                     Bilanz im 1. Halbjahr 2021 leicht unter Vorjahreswert
                                                                Migrationssaldo der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung (ohne Registerkor-
                                                                rekturen), kumulierte Werte

In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres sind per
                                                                70’000
Saldo 109’103 Personen in die Schweiz eingewandert. Mit                         2018       2019      2020        2021
dieser Halbjahresbilanz liegt die Zuwanderung um 9.2% un-       60’000
ter dem Wert der Vorjahresperiode. Dies steht im Einklang       50’000
mit unserer Prognose einer leichten Abschwächung der
Nettozuwanderung im laufenden Jahr. Zum einen sollte die        40’000

Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften vor dem Hin-        30’000
tergrund der verhaltenen Beschäftigungsdynamik tiefer aus-
                                                                20’000
fallen; zum anderen ist zu erwarten, dass dieses Jahr nach
der starken Abnahme bei den Kurzaufenthaltern im Jahr           10’000
2020 weniger Statuswechsel von der nichtständigen zur                  0
ständigen Wohnbevölkerung erfolgen werden.                                  Jan    Feb     Mär     Apr    Mai    Jun    Jul      Aug Sep   Okt    Nov       Dez

sara.carnazzi@credit-suisse.com                                 Quelle: Staatssekretariat für Migration Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021

                                                                                                         Swiss Economics | 3.Q 2021                               8
Branchen | Monitor

Pharmazeutische Industrie                                         Pharmaexporte nach Spanien schnellen in die Höhe
                                                                  Entwicklung der Pharmaexporte ggü. Vorjahresquartal, nach Ländern, saisonberei-
                                                                  nigt, und Anteile an gesamten Pharma-Exporten (2019)

Die Pharmaindustrie hat im 2. Quartal 2021 massgeblich zur
Erholung der Schweizer Gesamtexporte beigetragen. Die                1.Q 2020         2.Q 2020      3.Q 2020     4.Q 2020       1.Q 2021       2.Q 2021         Gewicht
                                                                  120%
grösste Zunahme verzeichneten die Pharmaexporte nach
                                                                  100%
Spanien mit einem Plus von 106% im Vergleich zum Vorjah-
resquartal. Dies ist wohl auf die Auslieferung von Wirkstof-        80%

fen für COVID-19-Vakzine nach Spanien zurückzuführen,               60%
wo Impfstoffe hergestellt, abgefüllt und schliesslich ausge-        40%
liefert werden. Die Nachfrage nach Impfstoffen dürfte wei-
                                                                    20%
terhin hoch bleiben – genauso wie der internationale Bedarf
an anderen pharmazeutischen Produkten aus der Schweiz.               0%

                                                                   -20%
                                                                              100%          45%          25%          15%          5%            5%              4%
                                                                   -40%
                                                                              Total        Andere         USA    Deutschland      Italien       China        Spanien

tiziana.hunziker.2@credit-suisse.com                              Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung, Credit Suisse

Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM)                   MEM-Exporte klettern im 2. Quartal 2021 auf Vorkrisenniveau
                                                                  MEM-Exporte nach Land, saisonbereinigt, Veränderung ggü. Vorjahresquartal, und
                                                                  Anteile an gesamten MEM-Exporten (2019)

Die MEM-Exporte sind im 2. Quartal 2021 wieder auf ihr
                                                                     Q1 2020      Q2 2020          Q3 2020      Q4 2020        Q1 2021       Q2 2021            Gewicht
Vorkrisenniveau geklettert. Dazu trugen insbesondere die
                                                                   60%                                                                                                1.2
starken Wachstumsraten bei den wichtigsten europäischen
Abnehmern bei. Aber auch die Exporte in die USA und nach           40%                                                                                                1
China nahmen weiter zu. Trotz einiger Lieferengpässe bleibt
die Stimmung in der globalen Industrie optimistisch, und die       20%                                                                                                0.8

Produktion läuft auf Hochtouren. Folglich sollte die internati-     0%                                                                                                0.6
onale Nachfrage nach Schweizer MEM-Exporten weiterhin
stark bleiben.                                                    -20%                                                                                                0.4

                                                                  -40%                                                                                                0.2

                                                                              100%          28%            11%          7%              6%              5%
                                                                  -60%                                                                                                0
                                                                              Total      Deutschland       USA          China      Frankreich         Italien
tiziana.hunziker.2@credit-suisse.com                              Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung, Credit Suisse

Uhrenindustrie                                                    Nachfrage in China hat zugenommen
                                                                  Uhrenexporte in CHF Mio., nach Ländern, saisonbereinigt

Auch bei den Uhrenexporten hat das 2. Quartal 2021 eine                    Andere                China          USA             Hongkong                Japan
vollständige Erholung gebracht. Die Ausfuhren legten wieder       2500
auf das Niveau aus dem Vorkrisenjahr 2019 zu, und insbe-
sondere China verzeichnet eine starke Nachfrage nach              2000
Schweizer Uhren. Während Letztere früher vornehmlich von
chinesischen Touristen auf Reisen erworben wurden, finden         1500

sie nun aufgrund der Corona-Pandemie vermehrt im Inland
einen neuen Besitzer. Die Delta-Variante von COVID-19             1000

stellt ein gewisses Risiko dar, das die Nachfrage nach
Schweizer Uhrenexporten wieder dämpfen könnte. Dies ent-           500

spricht jedoch nicht unserem Basisszenario.
                                                                      0
                                                                       2005      2007       2009         2011    2013       2015        2017      2019          2021

tiziana.hunziker.2@credit-suisse.com                              Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung, Credit Suisse

                                                                                                          Swiss Economics | 3.Q 2021                                      9
Branchen | Monitor

Detailhandel                                                    Bekleidungssegment holt einen Teil des Umsatzeinbruchs auf
                                                                Entwicklung der saisonbereinigten nominalen Detailhandelsumsätze ggü. Vorjahr

                                                                 30%
Der durch die COVID-19-Pandemie bedingte Boom in den                                                         2018               2019                    2020                         2021*
                                                                 20%
Kategorien Do-it-yourself/Garten/Autozubehör und Freizeit
                                                                 10%
setzt sich bis anhin auch im Jahr 2021 fort. Das Beklei-
                                                                  0%
dungs- und Schuhsegment konnte in der 1. Jahreshälfte ei-
                                                                -10%
nen Teil des Umsatzeinbruchs aus dem Vorjahr aufholen.                                                                                                                                     Non-Food
                                                                -20%
Zum Vorkrisenniveau fehlten per Ende Juni aber nach wie
                                                                -30%
vor rund 16%. Diese Lücke dürfte sich mit der schrittweisen

                                                                                                                       Bekleidung/ Schuhe
                                                                                                           Non-Food

                                                                                                                                              Personal Care und
                                                                               Total

                                                                                          Food/Near-Food

                                                                                                                                                                                             Heimelektronik

                                                                                                                                                                                                                                             Freizeit
                                                                                                                                                                     Haushalt und Wohnen

                                                                                                                                                                                                                DIY/Garten/ Autozubehör
Rückkehr zur Normalität weiter schliessen. Der Strukturwan-

                                                                                                                                                 Gesundheit
del und der Umsatzabfluss ins Ausland dürften eine vollstän-
dige Umsatzerholung jedoch weiterhin hemmen.

tiziana.hunziker.2@credit-suisse.com                            Quelle: GfK, Credit Suisse. * Für 2021 wurden die Umsätze bis Juni berücksichtigt

Tourismus                                                       Inländische Gäste stützen Schweizer Tourismus
                                                                Logiernächte, indexiert, 12-Monats-Durchschnitte, nach Herkunft der Gäste

Der Schweizer Tourismus hat auch im 2. Quartal 2021 weit-             Afrika           Amerika             Asien                  Europa                          Ozeanien                          Schweiz                               Total
                                                                250
gehend vergebens auf die Rückkehr ausländischer Gäste
gewartet. Gleichzeitig erwies sich der Inlandtourismus erneut
                                                                200
als wichtige Stütze. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019
schnellten die Logiernächte heimischer Gäste im 2. Quartal
                                                                150
2021 um 55% nach oben. Obwohl internationale Reisen
dank COVID-19-Impfzertifikaten und gelockerter Schutz-
                                                                100
massnahmen wieder an Bedeutung gewinnen werden, dürf-
ten die nach wie vor bestehenden Hürden und Unsicherhei-
                                                                 50
ten zumindest einen Teil der Schweizer Touristen auch künf-
tig von Auslandreisen abhalten. Dies wird dem Inlandtouris-
                                                                   0
mus weiterhin Unterstützung bieten.                                 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
tiziana.hunziker.2@credit-suisse.com                            Quelle: Bundesamt für Statistik, Credit Suisse

Informationstechnologie (IT)                                    Rekordhohe Anzahl der Neugründungen im Jahr 2021
                                                                Anzahl Neugründungen und Konkurse bei IT-Dienstleistern

Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage während der            3-Monats-Durchschnitt Neugründungen                                              5-Jahres-Durchschnitt Neugründungen
Corona-Krise hat im IT-Sektor keine Konkurswelle stattge-          3-Monats-Durchschnitt Konkurse                                                   5-Jahres-Durchschnitt Konkurse
funden. Dank der staatlichen Unterstützungsmassnahmen           250
lag die Konkursrate zeitweise sogar unter dem langfristigen
                                                                200
Durchschnitt. Seit Mitte 2020 lässt sich hingegen eine rege
Gründungaktivität beobachten. Die Anzahl Neugründungen
                                                                150
erreichte in der 1. Jahreshälfte 2021 Rekordwerte. Dies
dürfte damit zu tun haben, dass die COVID-19-Pandemie           100
den Strukturwandel in vielen Bereichen beschleunigt hat.
Davon werden IT-Dienstleister auch in den kommenden              50
Monaten profitieren.
                                                                   0
                                                                    2015               2016                 2017                            2018                    2019                                 2020                             2021

tiziana.hunziker.2@credit-suisse.com                            Quelle: Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF), Credit Suisse

                                                                                                                      Swiss Economics | 3.Q 2021                                                                                                    10
Swiss Economics | 3.Q 2021   11
Fokus I Inflation

Vorübergehender Inflationsschub
                                        Die Konsumentenpreisinflation beschleunigt sich weltweit und weckt Befürchtungen vor
                                        einer Überhitzung der Wirtschaft, angetrieben durch eine aussergewöhnlich expansive
                                        Geld- und Fiskalpolitik. Das Inflationsrisiko hat tatsächlich zugenommen, insbesondere
                                        in den USA. In der Eurozone, der Schweiz und Japan allerdings wird die Teuerung die
                                        lockere Geldpolitik in absehbarer Zukunft wohl nicht gefährden.

Jüngster Anstieg                        Die Inflationsraten haben seit Ende der 1990er-Jahre weltweit weitgehend konvergiert und sind
der Inflationsraten                     seit der globalen Finanzkrise besonders niedrig (vgl. Abb. 1 und 2). Obwohl die Teuerung im his-
weltweit ist                            torischen Vergleich bisher nicht besonders hoch ist, hat die jüngste Beschleunigung der Inflations-
hauptsächlich                           rate an den Märkten Aufmerksamkeit erregt. Sie ist grösstenteils dem Preisanstieg bei Rohstoffen
höheren Erdölpreisen                    und insbesondere bei Öl geschuldet (vgl. Box zur Inflation, S. 8), wodurch der Eindruck entsteht,
zuzuschreiben                           dass die Inflationsraten der einzelnen Länder weitgehend miteinander korrelieren. Die Kerninflati-
                                        onsraten, welche die Preise für Energie und Nahrungsmittel ausklammern, in den grössten Indust-
                                        rieländern (USA, Eurozone und Japan) sowie in der Schweiz zeigen indes jüngst keine starke Kor-
                                        relation (vgl. Abb. 3 und 4). Dies impliziert, dass die Entwicklung der Konsumentenpreise bei ein-
                                        gehenderer Betrachtung vor allem von binnenwirtschaftlichen Faktoren abhängt.

Abbildung 1: Beschleunigung der Inflation in Industrieländern ...                       Abbildung 2: ... und in Schwellenländern
Konsumentenpreisinflation, in % ggü. Vorjahr                                            Konsumentenpreisinflation, in % ggü. Vorjahr

25                                                                                      25

20                                                                                      20

15                                                                                      15

10                                                                                      10

 5                                                                                       5

 0                                                                                       0

 -5
                                                                                         -5
   1970    1975    1980 1985 1990 1995          2000    2005 2010      2015   2020
                                                                                           1970   1975    1980 1985 1990 1995            2000    2005 2010      2015     2020
                     20%-80% Perzentile                  Mittelwert                                          20%-80% Perzentile                 Mittelwert
Erhebung berücksichtigt Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland,           Erhebung berücksichtigt Brasilien, China, Indien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, die
Frankreich, Grossbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, die Niederlande, Norwe-    Philippinen, Polen, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Thailand und die Türkei. Da-
gen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz, Singapur, Spanien, Südkorea           ten vor 1993 nur teilweise verfügbar. Die vertikale Skala ist absichtlich abgeschnit-
und die USA. Quelle: Refinitiv Datastream, Internationaler Währungsfonds, Credit        ten. Quelle: Refinitiv Datastream, Internationaler Währungsfonds, Credit Suisse.
Suisse. Letzter Datenpunkt: 2. Quartal 2021                                             Letzter Datenpunkt: 2. Quartal 2021.

Abbildung 3: Keine synchronisierten Bewegungen der Kerninflati-                        Abbildung 4: Schweizer Kerninflation nicht stark von Entwicklung im Aus-
onsraten                                                                               land abhängig
Bestimmtheitsmass R2 einer gleitenden linearen Regression der Kerninflationsraten      Bestimmtheitsmass R2 einer gleitenden linearen Regression der Kerninflationsraten
über fünf Jahre. Ein R2-Wert nahe 1 bedeutet eine stark korrelierende Datenreihe.      über fünf Jahre. Ein R2-Wert nahe 1 bedeutet eine stark korrelierende Datenreihe.

1.00                                                                                   1.00
               Eurozone ggü. USA       Japan ggü. USA       Eurozone ggü. Japan                   Schweiz ggü. USA       Schweiz ggü. Eurozone      Schweiz ggü. Japan
0.90                                                                                   0.90
0.80                                                                                   0.80
0.70                                                                                   0.70
0.60                                                                                   0.60
0.50                                                                                   0.50
0.40                                                                                   0.40
0.30                                                                                   0.30
0.20                                                                                   0.20
0.10                                                                                   0.10
0.00                                                                                   0.00
    2002    2004    2006    2008    2010   2012    2014    2016    2018    2020            2002    2004    2006   2008    2010    2012   2014    2016    2018    2020
Quelle: Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021                                   Quelle: Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021

                                                                                                                          Swiss Economics | 3.Q 2021                       12
Ein sprunghafter         Während Ökonomen sich einig sind, dass hohe Inflationsraten unerwünscht sind, gibt es unter-
Anstieg der              schiedliche Ansichten in Bezug auf die Treiber der Inflation und ihre Bedeutung im aktuellen Kon-
Geldmenge und            text. Wir konzentrieren uns im Folgenden hauptsächlich auf die zwei gängigsten Erklärungsan-
eine «heiss» laufende    sätze. Laut der ersten Erklärung handelt es sich bei Inflation immer um ein monetäres Phänomen.
Wirtschaft sind          Sie beruht auf der Idee, dass die Preise immer dann anziehen, wenn die Geldmenge schneller
gängige Erklärungen
                         steigt als die Menge der von einer Volkswirtschaft produzierten Güter und Dienstleistungen. Die
für Inflationsschübe
                         zweite Erklärung beruht auf einer zyklischeren Sicht der Inflation und assoziiert diese mit dem ak-
                         tuellen Zustand der Wirtschaft – also mit einer Wirtschaft, die «heiss» läuft und von einer niedrigen
                         Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. Eine hohe Kapazitätsauslastung zieht höhere Preise nach sich,
                         weil die Löhne steigen, die Produktion hinter der Nachfrage zurückbleibt und die Konsumenten
                         ihre Anschaffungen vorverlegen, da sie mit künftig höheren Preisen rechnen. Darüber hinaus kon-
                         zentrieren wir uns auf die Industrieländer, zumal sich die Wirtschafts- und Inflationstrends in den
                         Schwellenländern stärker unterscheiden.

Zusammenhang             Gemäss Abbildung 5 sind die Geld- und die Fiskalpolitik in den USA und der Eurozone zurzeit im
zwischen Geldmenge       historischen Vergleich besonders expansiv und haben die Geldmenge sprunghaft steigen lassen.
und Inflation hat sich   Dies hat wiederum Befürchtungen vor einer schnellen Zunahme der Inflation geweckt. Wir teilen
mit der Zeit             diese Befürchtungen nicht. Denn effektiv hat sich der Zusammenhang zwischen Geldmengen-
beträchtlich             wachstum und Inflation sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern beträchtlich ab-
abgeschwächt
                         geschwächt (vgl. Abb. 6). Eine mögliche Erklärung hierfür ist der Rückgang der sogenannten
                         Geldumlaufgeschwindigkeit oder – mit anderen Worten – der Geschwindigkeit, mit der Geld aus-
                         gegeben wird. Leider lässt sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht direkt beobachten.
                         Sie muss vielmehr aus dem Verhältnis zwischen dem nominalen Bruttoinlandprodukt (BIP) und der
                         Geldmenge abgeleitet werden. Abbildung 7 zeigt den Rückgang der Geldumlaufgeschwindigkeit in
                         ausgewählten Industrieländern. Diese Verlangsamung lässt sich unter anderem mit dem Rück-
                         gang der Zinssätze erklären. Da die Zinsen derzeit sehr niedrig oder negativ sind, sind die Oppor-
                         tunitätskosten von Geld sehr tief. Anders gesagt: Die Rendite auf physischem Bargeld und Bank-
                         einlagen ist deutlich attraktiver geworden, sodass Unternehmen und Haushalte eher bereit sind,
                         Cash zu halten. Darüber hinaus gibt es Belege dafür, dass der sogenannte Gleichgewichtszinssatz
                         in vielen Industrieländern auf sehr niedrige Niveaus gesunken ist. Da der Gleichgewichtszins als
                         «normales» Zinsniveau verstanden werden kann, impliziert ein tieferer Gleichgewichtszinssatz eine
                         permanent geringere Geldumlaufgeschwindigkeit. Vereinfacht gesagt ist in einem Tiefzinsumfeld
                         folglich viel mehr Geld erforderlich, um Inflation zu generieren. Dementsprechend würde die Infla-
                         tion mehr Anlass zur Sorge bieten, falls der Gleichgewichtszins nachhaltig steigen und den Geld-
                         umlauf damit beschleunigen würde.

                         Abbildung 5: Expansive Geld- und Fiskalpolitik in den USA und in der Eurozone
                         Eine Verschiebung nach links signalisiert eine lockerere Fiskalpolitik, eine Verschiebung nach unten eine lockerere Geldpolitik. Die verti-
                         kale Achse repräsentiert den Unterschied zwischen dem Schattenleitzins, der auch unkonventionelle fiskal- bzw. geldpolitische Massnah-
                         men berücksichtigt (Schattenleitzins nach Wu und Xia), und einer nominalen Schätzung des Gleichgewichtszinssatzes (nach Holston, Lau-
                         bach und Williams). Die horizontale Achse repräsentiert den Budgetsaldo in % des nominalen BIP (Eurozone: Primärhaushaltssald o).

                               -25                -20                 -15                  -10                  -5                   0                    5
                           0

                                                                        1.Q. 2020        1.Q. 2019
                                                                                                                                              1.Q. 2008
                                                                                                                     ​                   ​
                          -2
                                                                                                 1.Q. 2008                                    1.Q. 2014

                                             1.Q. 2021                                                                                        1.Q. 2015
                                                                                          1.Q. 2009
                          -4                                                                                         1.Q. 2009
                                                                       1.Q. 2010                                                             1.Q. 2016
                                                                                                                         1.Q. 2013
                                                                                                  1.Q. 2012
                                                                                                                                             1.Q. 2017
                          -6
                                     Lockerere Fiskalpolitik
                                                                                                                                              1.Q. 2018
                                                                                                                 1.Q. 2021
                          -8
                                                           Lockerere Geldpolitik
                                                                                                                                              1.Q. 2019
                         -10
                                                                                                                     1.Q. 2020
                                                     USA          Eurozone
                         -12

                         Quelle: Refinitiv Datastream, Europäische Zentralbank, Federal Reserve Bank of St. Louis, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 1. Quartal
                         2021

                                                                                                                Swiss Economics | 3.Q 2021                     13
Abbildung 6: Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation                          Abbildung 7: Geldumlaufgeschwindigkeit ist in den grössten indust-
hat sich abgeschwächt                                                               rialisierten Volkswirtschaften zurückgegangen
Beziehung zwischen Geldmengenwachstum und Inflation (langfristige Koeffizienten)    Die Geldumlaufgeschwindigkeit ist definiert als das Verhältnis zwischen dem annuali-
sowie Konfidenzintervall (+/– 2 Standardabweichungen).                              sierten nominalen BIP und dem Geldmengenbestand M2.

1.2                                                                                 2.5

  1
                                                                                      2

0.8
                                                                                    1.5
0.6
                                                                                      1
0.4

                                                                                    0.5
0.2

  0                                                                                   0
             1950-1984                 1985-2011                  1995-2011            1995           2000            2005          2010        2015                2020
                                   Industrieländer         Schwellenländer                               USA        Japan     Deutschland   Schweiz

Quelle: Gertler, P. und B. Hofmann (2016), Credit Suisse                            Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 1. Quartal 2021

                                       Allerdings ist der Rückgang des Gleichgewichtszinssatzes das Resultat von seit mehreren Jahr-
                                       zehnten anhaltenden Trends, die von demografischen und produktivitätsseitigen Entwicklungen
                                       getrieben werden. Eine plötzliche und schnelle Trendwende ist nicht zu erwarten, weshalb ein sub-
                                       stanzieller Anstieg des Gleichgewichtszinses auf kurze bis mittlere Sicht höchst unwahrscheinlich
                                       ist.

Damit die Preise                       Die Vergangenheit lehrt, dass Phasen mit Hyperinflation oftmals mit hohen Haushaltsdefiziten ein-
steigen können,                        hergehen, die mit Zentralbankgeld finanziert werden. Damit die Konsumentenpreise steigen (und
müssen die                             sich die Inflation folglich beschleunigt), muss dieses Geld jedoch für den privaten Konsum ausge-
Konsumenten                            geben werden. Bisher war dies nur teilweise der Fall. Ein Blick auf die vier grössten industrialisier-
mehr ausgeben                          ten Volkswirtschaften (die USA, die Eurozone, Japan und Grossbritannien) zeigt, dass die Kon-
                                       sumausgaben nach wie vor deutlich unter ihrem Vorkrisentrend liegen (vgl. Abb. 8). Dies ist
                                       hauptsächlich auf die Social-Distancing-Massnahmen und die Lockdowns zurückzuführen, welche
                                       die Regierungen im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie umgesetzt haben. Dadurch war der
                                       Konsum erheblich eingeschränkt oder in vielen Bereichen sogar gänzlich verunmöglicht, sodass
                                       die entsprechenden Ausgaben ebenfalls begrenzt ausfielen. Gewisse weniger betroffene Katego-
                                       rien hingegen, insbesondere Güter, verzeichneten eine aussergewöhnlich starke Nachfrage, die
                                       den Konsum weiterhin deutlich über dem Vorkrisentrend hält (vgl. Abb. 9). Es überrascht daher
                                       nicht, dass sich der Anstieg der Güterpreise sichtlich beschleunigt hat und zum Haupttreiber der
                                       Inflation avanciert ist (vgl. Abb. 10 und 11).

Abbildung 8: Ausgaben für den Privatverbrauch in den grössten in-                   Abbildung 9: Güterkonsum sprunghaft gestiegen, nachdem er zu
dustrialisierten Volkswirtschaften nach wie vor deutlich unter Vorkri-              Beginn der Pandemie eingebrochen war
senniveau
In USD Mrd., nicht annualisiert, zu konstanten Preisen und Wechselkursen Erhebung   In USD Mrd., nicht annualisiert, zu konstanten Preisen und Wechselkursen. Erhe-
berücksichtigt die USA, die Eurozone, Japan und Grossbritannien.                    bung berücksichtigt die USA, die Eurozone, Japan und Grossbritannien.

7500        Ausgefallene Ausgaben für den Privatgebrauch                            900
            im Vergleich zum Vorkrisentrend
            Vorkrisentrend
                                                                                    850
7000        Ausgaben für den Privatgebrauch
                                                                                    800

6500                                                                                750

                                                                                    700
6000
                                                                                    650
                                                                                                                     Detailhandelsumsätze          Vorkrisentrend
5500                                                                                600
    2014       2015      2016      2017       2018     2019       2020     2021        2014       2015       2016      2017       2018      2019      2020          2021

Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 2. Quartal 2021    Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021

                                                                                                                      Swiss Economics | 3.Q 2021                       14
Abbildung 10: Die Güterpreise sind weltweit viel schneller gestiegen                    Abbildung 11: ... als in der Schweiz, wo dies in geringerem Mass
...                                                                                     der Fall war
Annualisierte 3-Monats-/3-Monats-Veränderung in % für die USA, die Eurozone, Ja-        Annualisierte 3-Monats-/3-Monats-Veränderung in %
pan und Grossbritannien, gewichtet nach nominalen Ausgaben für den Privatver-
brauch

 12                                         Inflationsrate                               12                                                             Inflationsrate
                                            Güterpreise
 10                                                                                      10                                                             Güterpreise
                                            Dienstleistungspreise
  8                                                                                       8                                                             Diensleistungspreise
  6                                                                                       6
  4                                                                                       4
  2                                                                                       2
  0                                                                                       0
 -2                                                                                      -2
 -4                                                                                      -4
 -6                                                                                      -6
 -8                                                                                      -8
-10                                                                                     -10
   2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021                                  2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021

Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juli 2021              Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: August 2021

Güternachfrage sollte                  Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Güternachfrage so hoch bleiben wird, wie sie seit Juni
sich normalisieren                     2020 ist. Effektiv beruhte die zusätzliche Nachfrage nach Gütern teilweise darauf, dass anstelle
und folglich den                       von Dienstleistungen vermehrt Güter konsumiert wurden. Da die Haushalte ihr Geld nicht für Res-
Aufwärtsdruck auf die                  taurantbesuche, Hotelübernachtungen, Konzerte und Reisen ausgeben konnten, kauften sie statt-
Preise etwas                           dessen Möbel, Unterhaltungselektronik und Sportartikel. Weil die Corona-Restriktionen jedoch
reduzieren
                                       mehr und mehr gelockert werden, dürfte sich der Dienstleistungskonsum erholen und der Substi-
                                       tutionseffekt wieder nachlassen. Dieser Gleichgewichtsfindungsprozess wird voraussichtlich Auf-
                                       wärtsdruck auf die Dienstleistungspreise erzeugen, während sich die Inflation der Güterpreise wohl
                                       graduell abschwächen wird. Besteht also Anlass zur Sorge, dass sich die Teuerung im Dienstleis-
                                       tungssektor substanziell beschleunigen könnte?

Dienstleistungs-                       Es gibt einige Gründe zur Annahme, dass der Konsum von Dienstleistungen den Vorkrisentrend
nachfrage dürfte                       nicht derart stark überschiessen wird, wie dies der Güterkonsum tat. Erstens ging ein Teil der
sich zwar erholen,                     Konsumausgaben für Dienstleistungen während der Lockdowns unwiederbringlich verloren, weil
aber nicht so stark                    die Haushalte verpasste Restaurant- und Coiffeurbesuche kaum nachholen dürften. Zweitens,
überschiessen, wie                     und dies trifft unter anderem insbesondere auf die Eurozone und die Schweiz zu, fielen die verfüg-
dies bei der
                                       baren Einkommen während der Pandemie unter ihren Vorkrisentrend und haben sich seither noch
Güternachfrage
zu beobachten war                      nicht erholt (vgl. Abb. 12). Die Haushalte in diesen Volkswirtschaften haben infolge der be-
                                       schränkten Konsummöglichkeiten zwar mehr gespart als üblich, angesichts der Einkommensero-
                                       sion werden sie diese Ersparnisse aber wohl kaum unmittelbar nach der Wiedereröffnung der
                                       Wirtschaft vollumfänglich wieder ausgeben.

Abbildung 12: Die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte sind                        Abbildung 13: ... wogegen sie in den USA aufgrund der fiskalischen
in der Eurozone unter ihren Vorkrisentrend gefallen, ...                                Unterstützung nach oben schnellten
In EUR Mrd., annualisiert und saisonbereinigt, Quartalsdaten                            In USD Mrd., annualisiert und saisonbereinigt, Quartalsdaten

7800                                                                                    24000

7600
                                                                                        22000
7400
                                                                                        20000
7200

7000                                                                                    18000

6800                                                                                    16000
                                                             Verfügbare Einkommen
6600
                                                             Vorkrisentrend             14000                                                   Verfügbare Einkommen
6400
                                                                                                                                                Vorkrisentrend
6200                                                                                    12000

6000                                                                                    10000
    2014        2015      2016       2017        2018       2019      2020       2021        2014        2015      2016      2017      2018      2019        2020        2021

Quelle: Europäische Zentralbank, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 1. Quartal          Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021
2021

                                                                                                                          Swiss Economics | 3.Q 2021                       15
Abbildung 14: Die Beschäftigung hat sich in den meisten Ländern                      Abbildung 15: US-Konsumenten erwarten, dass Preise kurzfristig
noch nicht vollständig erholt                                                        viel schneller steigen werden als auf längere Sicht
Beschäftigung, Index (100 = Dezember 2019 oder 4. Quartal 2019), saisonbereinigt     Erwartete Veränderung der Preise pro Jahr, in %

102                                                                                  6                                                 Während des nächsten Jahres

100                                                                                                                                    Während der nächsten fünf bis
                                                                                     5                                                 zehn Jahre
 98

 96                                                                                  4

 94
                                                                                     3
 92

 90                                                                                  2
                                                USA
 88                                             Eurozone
                                                                                     1
                                                Schweiz
 86
                                                Grossbritannien
 84                                                                                  0
   2014       2015     2016      2017      2018      2019         2020   2021         2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020

Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: August 2021 (USA)   Quelle: Bloomberg, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: August 2021

                                      Anders präsentiert sich die Lage in den USA, wo die verfügbaren Einkommen der Haushalte auf-
                                      grund erheblicher fiskalischer Transferzahlungen deutlich über dem Vorkrisentrend liegen (vgl.
                                      Abb. 13). Die Ausgaben für den Privatverbrauch (PCE) dürften daher in den USA während einiger
                                      Zeit über dem Vorkrisentrend zu liegen kommen, was auch erklärt, weshalb das Inflationsrisiko
                                      dort höher ist als in der Eurozone und der Schweiz. Indessen stehen die verfügbaren Einkommen
                                      in den USA kurz davor, sich zu normalisieren und auf ihren Vorkrisentrend zurückzukehren. Dar-
                                      über hinaus dürften die Haushalte ihre zusätzlichen Einkommen ohnehin nicht sofort ausgeben,
                                      sondern ihren Privatkonsum über längere Zeit glätten.

Beschäftigung erholt                  Das Risiko besteht insbesondere in den USA darin, dass die Unternehmen aufgrund einer anzie-
sich, aber die Löhne                  henden Nachfrage mehr Personal einstellen müssen, was wiederum Aufwärtsdruck auf die Löhne
steigen nicht mit                     erzeugen würde. Angesichts steigender Arbeitskosten werden die Dienstleistungsanbieter ihre
höherem Tempo                         Preise erhöhen müssen, was eine Lohn-Preis-Spirale anstossen könnte. Obwohl gewisse Sekto-
                                      ren tatsächlich Einstellungsschwierigkeiten vermelden und die Erwerbsquote vermutlich aufgrund
                                      des Pandemieumfelds gesunken ist, haben sich die Arbeitsmärkte in den meisten Industrieländern
                                      noch nicht wieder auf ihre Vorkrisenniveaus erholt (vgl. Abb. 14). Die Beschäftigung in den USA
                                      nimmt zwar rasant zu, hat aber die Vollbeschäftigung noch nicht erreicht. Es gibt Berichte über
                                      steigende Löhne. Letztere sind bisher jedoch unter dem Strich nicht stärker als vor der COVID-
                                      19-Krise gewachsen. In Europa (einschliesslich der Schweiz) werden Zwangsbeurlaubungs- und
                                      Kurzarbeitsprogramme weiterhin auf breiter Front genutzt. Dies bedeutet, dass Dienstleistungsan-
                                      bieter ihre Aktivitäten schnell wieder hochfahren können, indem sie ihre beurlaubten Mitarbeiter
                                      zurückrufen. Da beurlaubte und in Kurzarbeit geschickte Mitarbeiter nicht formell entlassen wer-
                                      den, kehren sie ohne erneute Verhandlungen zum selben Lohn an die Arbeit zurück. Entspre-
                                      chend konzentrieren sich Lohn-Neuverhandlungen doch tendenziell auf das Jahresende oder ei-
                                      nen Stellenwechsel. In diesen Volkswirtschaften ist eine inflationstreibende Lohn-Preis-Spirale
                                      folglich höchst unwahrscheinlich.

Es gibt keine Belege                  In den USA, Europa und der Schweiz erwarten die Konsumenten, dass die Preise in den nächsten
dafür, dass die                       zwölf Monaten schneller steigen werden als im Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Falls diese Er-
Konsumenten                           wartungen anhalten, könnten sie tatsächlich inflationstreibend wirken. Die Konsumenten würden
anhaltend höhere                      dann Ausgaben vorverlegen, weil sie damit rechnen, später mehr bezahlen zu müssen. Vorgezo-
Inflationsraten                       gene Ausgaben würden die Nachfrage seitens der Haushalte ankurbeln und die Preise steigen
erwarten
                                      lassen. In den USA, wo die Konsumenten auch zu ihren längerfristigen Inflationserwartungen be-
                                      fragt werden, scheinen die Antwortenden allerdings mehrheitlich einen nur vorübergehenden Infla-
                                      tionsschub zu erwarten. Im Zentralbankjargon würde man sagen, dass die langfristigen Inflations-
                                      erwartungen anscheinend gut verankert bleiben. Für die Eurozone und die Schweiz liegen zwar
                                      keine ähnlichen Umfragen vor, es ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass die hiesigen Konsu-
                                      menten auf längere Sicht viel höhere Inflationsraten erwarten, zumal die Inflation in diesen beiden
                                      Volkswirtschaften seit vielen Jahren konstant tief ist und in den letzten Monaten viel verhaltener
                                      zugenommen hat als in den USA.

                                                                                                                      Swiss Economics | 3.Q 2021                       16
Inflationsrisiko ist in   Nach Jahren der Lethargie hat sich die Konsumentenpreisinflation jüngst weltweit beschleunigt. In
den USA am                den USA ist unseres Erachtens das Risiko, dass die Inflation das Ziel der US-Notenbank (Fed)
höchsten, wogegen         von 2% während längerer Zeit überschiessen könnte, so hoch wie seit mindestens zehn Jahren
die Teuerung              nicht mehr. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit für eine derartige Entwicklung ausreichend hoch, um
in der Eurozone,          eine genaue Überwachung der Inflationsdynamik in den kommenden Quartalen zu rechtfertigen.
der Schweiz und
                          Und doch sind die Risiken in unseren Augen nicht hoch genug, um eine unmittelbare geld- und
Japan niedrig bleiben
dürfte, sodass            fiskalpolitische Straffung zu rechtfertigen. Wiederum glauben wir, dass der Inflationsausblick in der
Leitzinserhöhungen        Eurozone, in Japan und in der Schweiz viel günstiger ist und dass sich der Anstieg der Konsumen-
hier unwahrscheinlich     tenpreise, der insbesondere in der Eurozone und bis zu einem gewissen Grad auch in der Schweiz
sind                      zu beobachten ist, als weitgehend temporär erweisen wird, selbst wenn die Inflationsrisiken in den
                          USA tatsächlich eintreten sollten. In jedem Fall ist eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine anhal-
                          tend höhere Inflation vor dem Hintergrund einer aussergewöhnlich lockeren Geld- und Fiskalpolitik
                          ein willkommenes Ergebnis. Hätte dieses Risiko nämlich nicht zugenommen, hätten sich sämtliche
                          Hoffnungen darauf, dass die Zentralbanken ihre Leitzinsen jemals wieder anheben können, zer-
                          schlagen. Mit Blick auf die Zentralbanken in der Eurozone, in der Schweiz und in Japan ist dieses
                          Risiko indessen leider nicht stark genug gestiegen, um baldige Leitzinserhöhungen rechtfertigen
                          und ihnen damit einen Ausstieg aus ihrer Negativzinspolitik ermöglichen zu können.

                          maxime.botteron@credit-suisse.com

                                                                                         Swiss Economics | 3.Q 2021         17
Swiss Economics | 3.Q 2021   18
Geldpolitik

Höhere Inflation im Visier

                                            Diverse Zentralbanken haben ihre Inflationsziele in jüngster Vergangenheit erhöht.
                                            Demgegenüber hat die SNB ihr Ziel unverändert belassen; sie hat jedoch wiederholt
                                            versichert, auch künftig einen lockeren geldpolitischen Kurs beibehalten zu wollen.

US-Notenbank (Fed)                          Sowohl die US-Notenbank (Fed) als auch die Europäische Zentralbank (EZB) haben ihre geldpoli-
und EZB haben                               tischen Strategien überprüft und dabei eine Aufwärtsrevision ihrer Inflationsziele vorgenommen.
Inflationsziele                             Beide Zentralbanken visieren nun eine Inflationsrate von 2% an, wobei ein gewisses Überschies-
angehoben                                   sen toleriert wird, wenn das Inflationsziel zuvor während längerer Zeit verpasst wurde. Die Bank of
                                            Japan (BoJ) erhöhte ihr Inflationsziel bereits im Jahr 2013 von 1% auf 2%, während die Bank of
                                            England (BoE) einen Zielwert von 2% anstrebt und verpflichtet ist, eine etwaige Abweichung der
                                            Inflationsrate zu rechtfertigen.

SNB behält Zielband                         Die Schweizerische Nationalbank (SNB) verfolgt ein konservatives Inflationsziel, strebt sie doch
bei …                                       eine positive Inflationsrate von weniger als 2% an. Angesichts einer Inflation von 0.9% im August
                                            2021 impliziert dies, dass die SNB ihr Ziel der Preisstabilität gegenwärtig erreicht (vgl. Abb. 1),
                                            obschon die Schweiz eine der niedrigsten Inflationsraten weltweit aufweist. Das Risiko besteht da-
                                            rin, dass diese Ausgangslage Erwartungen hinsichtlich einer Normalisierung der Geldpolitik we-
                                            cken könnte, was wiederum eine Aufwertung des CHF auslösen würde – also genau die Entwick-
                                            lung, welche die SNB vermeiden will. Darüber hinaus hat die SNB ihre Bilanz im 1. Halbjahr 2021
                                            nicht im selben Ausmass mit Wertschriftenkäufen verlängert wie andere Zentralbanken, und das
                                            Tempo ihrer entsprechenden Erwerbungen dürfte auch in den nächsten 18 Monaten hinter jenem
                                            ihrer Pendants zurückbleiben (vgl. Abb. 2).

… aber ebenso die                           Um die anscheinende Präferenz für eine im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften tieferen Infla-
expansive Politik                           tion zu kompensieren und den resultierenden Aufwärtsdruck auf den CHF zu mindern, hat die
                                            SNB wiederholt verlauten lassen, dass eine expansive Geldpolitik in der Schweiz gerechtfertigt sei,
                                            obwohl das Ziel der Preisstabilität erreicht zu werden scheint. Darüber hinaus hat die SNB bei
                                            zahlreichen Gelegenheiten demonstriert, dass sie bereit ist, bei Bedarf auf Fremdwährungen lau-
                                            tende finanzielle Vermögenswerte zu kaufen, und zwar in einem Umfang, der in Relation zum
                                            Bruttoinlandprodukt deutlich grösser ist als bei anderen Zentralbanken. Unter dem Strich sollte all
                                            dies ausreichen, um eine übermässige Aufwertung des CHF zu verhindern.

Abbildung 1: Zentralbanken verfehlen ihre Inflationsziele meistens                            Abbildung 2: Wertschriftenkäufe durch Zentralbanken
Beobachtete Inflationsrate und Inflationsziel                                                 In % des annualisierten nominalen BIP im 1. Quartal 2021

      Inflationsziel unterschossen   Inflationsziel getroffen   Inflationsziel überschossen   4.0                                                   EZB     Fed     BoJ

Fed                                                                                           3.5
                                                                                                                                                    BoE     SNB
                                                                                              3.0
BoE
                                                                                              2.5
EZB                                                                                           2.0

                                                                                              1.5
BoJ
                                                                                              1.0
SNB
                                                                                              0.5

                                                                                              0.0
      2017               2018              2019                 2020              2021         03.2021             09.2021             03.2022            09.2022

Quelle: Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021                                          Quelle: Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: 2. Quartal. 2021 Ab dem 3. Quartal
                                                                                              2021: Prognosen. Annahmen SNB: Fremdwährungskäufe zwischen null und den ge-
                                                                                              schätzten durchschnittlichen Käufen im Zeitraum Februar 2015 bis Mai 2016

                                                                                                                              Swiss Economics | 3.Q 2021               19
Geldpolitik I Monitor

COVID-19-Kredite                                                Unternehmen zahlen weiterhin COVID-19-Kredite zurück
                                                                COVID-19-Kredite, in CHF Mrd.

Seit unserem letzten Update (am 12. Mai 2021) haben Un-          18
                                                                               16.9                 3.1
ternehmen in der Schweiz weitere CHF 1032 Mio. an CO-            16
VID-19-Krediten zurückerstattet. Damit haben sie bisher          14                                                        0.2
                                                                                                                                                 13.6

insgesamt rund CHF 3.1 Mrd. oder 18% der gewährten
                                                                 12
COVID-19-Kredite beglichen. Die Ausfälle sind seit unserer
                                                                 10
letzten Erhebung ebenfalls gestiegen, und zwar von
CHF 171 Mio. auf CHF 239 Mio. Relativ zu den insgesamt              8
vergebenen Krediten blieben sie damit jedoch tief (Ausfall-         6
quote von 1.4%). Die noch ausstehenden COVID-19-Kre-                4
dite (im Umfang von CHF 13.6 Mrd.) entsprechen rund
                                                                    2
2.7% aller Kreditlimiten (einschliesslich Hypothekenkredite),
                                                                    0
welche die Banken Unternehmen in der Schweiz eingeräumt                     31.07.2020           Paid back            Defaulted                08.09.2021
haben.
maxime.botteron@credit-suisse.com                               Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft, Credit Suisse

Hypothekenkredite                                               Wachstum von Hypothekenkrediten hat sich beschleunigt

                                                                In % ggü. Vorjahr (YoY)
Das Wachstum der Hypothekenkredite hat sich in der Pan-         6
demie bisher als äusserst robust erwiesen. Dies ist im We-                             An Unternehmen         An Haushalte        Total Hypothekarkredite
                                                                5
sentlichen den an Privathaushalte vergebenen Hypotheken-
krediten zu verdanken, die konstant zugenommen haben. Im
                                                                4
Gegensatz dazu entwickelten sich die Hypothekenkredite für
Unternehmen volatiler, stiegen sie doch im 3. Quartal 2020      3
eher langsam und verzeichneten danach eine markante Be-
schleunigung. Trotz dieser Volatilität haben Hypothekenkre-     2
dite an die Adresse von Unternehmen in den letzten vierein-
                                                                1
halb Jahren schneller zugenommen als solche für Privat-
haushalte. Mit Blick auf die ausstehenden Volumen zeich-        0
nen an Haushalte vergebene Hypotheken für 74% aller in-          2011    2012     2013    2014    2015       2016   2017     2018       2019    2020    2021
ländischen Hypothekenkredite (im Umfang von
CHF 1’089 Mrd.) verantwortlich.
maxime.botteron@credit-suisse.com                               Quelle: SNB, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Mai 2021

SNB-Gewinn                                                      Einbehaltene Gewinne lassen Rückstellungen der SNB stark steigen

                                                                Rückstellungen und Eigenkapital der SNB, in CHF Mrd.
                                                                 250
Die SNB wies für das 1. Halbjahr 2021 einen Reingewinn
von CHF 43.5 Mrd. aus. Unter Berücksichtigung dieses Ge-
winns und ihres Anteils, der Ende Jahr zurückgestellt wer-       200

den wird, dürften rund CHF 126 Mrd. für künftige Aus-
schüttungen an Bund und Kantone zur Verfügung stehen.            150
Sofern die SNB für die 2. Jahreshälfte 2021 nicht einen
Verlust von über CHF 86 Mrd. ausweist, werden Bund und           100
Kantone den in der aktuellen Vereinbarung über die Ge-
winnausschüttung festgeschriebenen Maximalbetrag erhal-             50
ten, also CHF 6 Mrd. im nächsten Jahr. Die SNB verfügt
zwar über einen umfangreichen Puffer, eine etwaige Auf-             0
wertung des CHF um 1% führt aber zu einem Verlust von                2007       2009       2011       2013          2015         2017          2019     2021
beinahe CHF 10 Mrd. für die SNB.
maxime.botteron@credit-suisse.com                               Quelle: Refinitiv Datastream, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021

                                                                                                    Swiss Economics | 3.Q 2021                              20
Immobilien | Monitor

Bautätigkeit                                                    Neubautätigkeit rückläufig
                                                                Anzahl baubewilligter Wohneinheiten, gleitende 12-Monats-Summe

Der Mietwohnungsbau hat seinen Zenit überschritten. Innert                      Mietwohnungen        Einfamilienhäuser     Eigentumswohnungen
                                                                30’000
Jahresfrist ist die Anzahl baubewilligter Wohnungen um
11.5% gesunken. Die eingereichten Baugesuche sind im            25’000

gleichen Zeitraum um 11.6% tiefer ausgefallen. Trotzdem
                                                                20’000
bleibt die Mietwohnungsbautätigkeit vielerorts noch zu hoch.
Bei Wohneigentum zeigt sich ein zweigeteiltes Bild: Die Be-     15’000
willigungen für Eigentumswohnungen verzeichnen ein Minus
von 2.3%, und die Gesuche haben sogar um 8.9% nachge-           10’000

geben. Demgegenüber liegen sowohl die Bewilligungen
                                                                 5’000
(+3.0%) als auch die Gesuche (+5.4%) für Einfamilienhäu-
ser wieder leicht im Plus.                                             0
                                                                        2002   2004   2006    2008   2010    2012   2014     2016   2018   2020

thomas.rieder@credit-suisse.com                                 Quelle: Baublatt, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juni 2021

Wohneigentum                                                    Nochmals beschleunigter Anstieg der Preise für Wohneigentum
                                                                Preisentwicklung mittleres Segment; gestrichelte Linien: Durchschnitt 2000 – 2020

Wohneigentum erfährt gegenwärtig ein hohes Interesse                                                      Jahreswachstum Einfamilienhäuser
                                                                10%                                       Jahreswachstum Eigentumswohnungen
vonseiten Kaufwilliger. Da das Angebot gleichzeitig knapp                                                 Mittelwert Einfamilienhäuser
                                                                 8%
bleibt hat sich die Preisdynamik in den letzten Quartalen                                                 Mittelwert Eigentumswohnungen

sukzessive erhöht. Innert Jahresfrist stiegen die Preise für     6%
Einfamilienhäuser um 6.3%. Bei den Eigentumswohnungen            4%
belief sich das Preisplus sogar auf 6.8%. Dies sind die
                                                                 2%
höchsten Wachstumsraten seit 2011/2012. Dass das
Preiswachstum nicht noch höher ausfiel, dürfte in erster Li-     0%

nie auf die strikten regulatorischen Finanzierungsanforderun-   -2%
gen zurückzuführen sein. Diese limitieren auch in Zukunft
                                                                -4%
den Spielraum der Preise nach oben.
                                                                -6%
                                                                       2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
fabian.waltert@credit-suisse.com                                Quelle: Wüest Partner. Letzter Datenpunkt: 2. Quartal 2021

Immobilienanlagen                                               Immobilienrenditen sinken leicht
                                                                Renditedifferenzen zwischen Immobilienanlagen (Ausschüttung) und 10-jährigen CHF-
                                                                Staatsanleihen, in Basispunkten (linke Skala)
                                                                 700           Schweizer Benchmarkanleihe 10 Jahre (r. Skala)                7%
Die Renditeprämie von Immobilienanlagen gegenüber                              Renditedifferenz zu Immobilienaktien
Staatsanleihen ist in den vergangenen Quartalen etwas ge-        600           Renditedifferenz zu Immobilienfonds                           6%
                                                                               Renditedifferenz zu Direktanlagen Wohnen (Netto-Cashflow)
sunken. Zum einen haben sich die Renditen der «Eidgenos-         500                                                                         5%
sen» etwas erholt – auch wenn sie deutlich im negativen
                                                                 400                                                                          4%
Territorium bleiben. Zum anderen hält der Abwärtsdruck auf
                                                                 300                                                                          3%
die Immobilienrenditen an. Dies ist insbesondere bei den Im-
mobilienfonds der Fall, die zuletzt starke Preiszuwächse ver-    200                                                                          2%
zeichneten. Zu den Ausschüttungs- beziehungsweise Cash-          100                                                                          1%
flow-Renditen gesellen sich jedoch Wertzuwächse. Vorab
                                                                   0                                                                          0%
bei direkten Immobilienanlagen, wie etwa Mehrfamilienhäu-
                                                                -100                                                                          -1%
sern, dürfte das Aufwertungspotenzial noch nicht vollständig
ausgereizt sein.                                                -200                                                                          -2%
                                                                    2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020
fabian.waltert@credit-suisse.com                                Quelle: Datastream, IAZI, Credit Suisse. Letzter Datenpunkt: Juli 2021.

                                                                Historische Wertentwicklungen und Finanzmarktszenarien sind keine verlässlichen In-
                                                                dikatoren für zukünftige Ergebnisse.

                                                                                                 Swiss Economics | 3.Q 2021                       21
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