Wieviel muss oder darf die Krankenkasse wissen?

Die Seite wird erstellt Merle Glaser
 
WEITER LESEN
Recht

Wieviel muss oder darf die Krankenkasse
wissen?
Datenschutz und Datenfluss unter dem Regime von TARMED im KVG-Bereich

P. Meier

Die Tarifstruktur TARMED mit ihrem hohen Detaillierungsgrad, mit den stren-                       Berufskollegen, was immer wieder vergessen
gen Anforderungen an die Leistungserbringer und dem erhöhten Zeitaufwand                          wird – oder Krankenversicherer sind, grund-
für Ärzte und Ärztinnen – zumindest in der Anfangsphase – löst Misstrauen und                     sätzlich gilt. Natürlich gibt es Ausnahmen (Ein-
Ängste aus und stösst zum Teil auf Ablehnung.                                                     willigung des Patienten, Entbindung durch
    Mit medienträchtigen Kampagnen werden einzelne Nebenpunkte von                                die Aufsichtsbehörde usw.). Nachstehend werde
TARMED, wie z.B . die Frage der Diagnoseangabe auf einer Rechnung, hoch-                          ich versuchen, die Ausnahmen, die gesetzlich
gespielt. Der Autor zeigt im folgenden Artikel die gesetzlichen und vertrag-                      vorgegeben sind – soweit sie den KVG-Bereich
lichen Grundlagen insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes                          betreffen –, etwas detaillierter zu beschreiben.
auf, und er gibt am Schluss unter Ziff. 11 neun Ratschläge an Ärztinnen und                           Das Thema ist – wie Sie wissen – uralt (Eid des
Ärzte für den Praxisalltag.                                                                       Hippokrates, Eid der Askleptiaden usw.) und es
                                                                                                  wurde schon verschiedentlich in der Schweize-
                                  Am Anfang stand eine überspitzte                                rischen Ärztezeitung abgehandelt. Je nach
                                  Aussage                                                         Standpunkt der Verfasser fallen entsprechend
                                                                                                  auch die Interpretationen aus! Ich gehe nicht
                                  In den infosantésuisse Nr. 1–2/04 [1] und in der                so weit zurück, sondern nur in die Zeit des
                                  Schweizerischen Ärztezeitung Nr. 7/2004 [2]                     KUVG.
                                  waren zwei inhaltlich gleichlautende Artikel
                                  mit dem Titel «Versicherer sind nicht blosse
                                  Zahlstellen» bzw. «Der Datenschutz und die                      Was sagte das KUVG?
                                  Weitergabe medizinischer Daten an die Versi-
                                  cherer» von Dr. iur. T. Mattig und C. Lutz                      Art. 22bis Abs. 7 KUVG vom 13. Juni 1911 [3]
                                  abgedruckt. Unter «Rechtmässige Datenweiter-                    lautete: «Der Arzt hat in der Krankenpflege- und
                                  gabe» waren folgende Aussagen zu lesen:                         Krankengeldversicherung dem Honorarschuld-
                                  «1. Der Arzt als Leistungserbringer nach KVG                    ner alle Angaben zu machen, die für die Festset-
                                      ist im Verhältnis zum Krankenversicherer                    zung des Anspruchs auf Leistungen der Kasse
                                      von seinem Berufsgeheimnis befreit (Art. 42                 notwendig sind. Der Arzt ist berechtigt, die
                                      Abs. 3 und 4 und Art. 57 Abs. 6 KVG)                        medizinischen Angaben nur dem Vertrauensarzt
                                      und untersteht einer gesetzlichen Auskunfts-                der Kasse bekanntzugeben.» In der Dissertation
                                      pflicht. Dies gilt für die Grundversicherung.               von Dr. J. Boll aus dem Jahre 1983 [4] «Die
                                  2. Im Bereich der Zusatzversicherungen muss                     Entbindung vom Arzt- und Anwaltsgeheimnis»
                                      der Arzt durch die versicherte Person von der               schreibt der Verfasser in bezug auf das KUVG:
                                      Schweigepflicht entbunden werden.»                          «Der Arzt ist auch gegenüber ‹der Krankenkasse›
                                                                                                  grundsätzlich an die Schweigepflicht gebunden,
                                  Die erste dieser Aussagen verursachte den «Sturm                doch bestehen derart zahlreiche und schwer-
                                  im Wasserglas» mit Todesanzeigen für das Arzt-                  wiegende Ausnahmen, dass dadurch das Arzt-
                                  geheimnis, Medienrummel u.a.m. Ich befasse                      geheimnis weitgehend aufgehoben wird.» Wei-
                                  mich im folgenden nur mit der ersten dieser                     ter unten führt er aus: «Für die Rechtfertigung
                                  Aussagen, die sich auf den KVG-Bereich bezieht.                 seiner Behandlung kann er (der Arzt) daher
                                                                                                  gezwungen sein, nicht nur die genaue Anamnese
                                                                                                  und Diagnose, sondern auch höchst vertrauliche
Korrespondenz:                    Wie steht’s um den Eid des Hippokrates?                         Angaben des Patienten (z.B. psychosomatische
Peter Meier
                                                                                                  Krankheiten) preiszugeben. Solche Auskünfte,
Rechtsanwalt und Notar /
Rechtsberater G7                  Es ist eine juristische Selbstverständlichkeit, dass            vor allem wenn sie nicht gegenüber dem Ver-
Schmiedengasse 33                 das strafrechtlich geschützte ärztliche Berufs-                 trauensarzt erfolgen, beeinträchtigen die Persön-
CH-5012 Schönenwerd
                                  geheimnis gemäss Art. 321 StGB gegenüber                        lichkeitsrechte des Patienten schwer.» In bezug
Tel. 062 849 42 00
                                  Dritten, ob dies nun Angehörige, gesetzliche Ver-               auf die Diagnose in der Arztrechnung verweist
E-Mail: aeg.so@bluewin.ch         treter, Behörden, Aufsichtsbehörden – auch                      dann der Autor auf den damals bestehenden Ver-

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1154
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  trag zwischen der AerzteGesellschaft des Kan-                   Und weiter:
                                  tons Zürich und dem Verband der Kranken-                          «Der Arzt ist nach KVG 22bis Abs. 7 Satz 3
                                  kassen im Kanton Zürich vom 13. Dezember                          berechtigt, die ‹medizinischen Angaben nur
                                  1976. Dieser enthielt zur Diagnose folgende Be-                   dem Vertrauensarzt der Kasse bekannt zu
                                  stimmung: «Ziff. 21: Die gemäss vereinbartem                      geben›. Er wird von dieser Möglichkeit
                                  Diagnose-Code (Anhang) verschlüsselte Angabe                      besonders dann Gebrauch machen, wenn
                                  über die Art der Krankheit erfolgt auf der Rech-                  es sich um Angaben handelt, welche die
                                  nung. Darüber hinaus gehende Details medizi-                      Intimsphäre des Versicherten betreffen
                                  nischer Art sind nur dem Vertrauensarzt auf des-                  (Geschlechtskrankheiten, Schwangerschafts-
                                  sen Verlangen sowie Beschwerdeinstanzen be-                       unterbrechungen usw.). Der Vertrauensarzt
                                  kanntzugeben.» (Selbstverständlich mit Zustim-                    soll dafür sorgen, dass die Angaben nur
                                  mung des Patienten, da die AerzteGesellschaft                     gerade jenen Kassenbeamten zukommen, die
                                  und der Krankenkassenverband nicht über Dritt-                    sie für die Beurteilung des Versicherungs-
                                  geheimnisse [Patient] verfügen können!)                           falles benötigen.»
                                      Auch Karin Keller hält in ihrer Dissertation
                                  [5] grundsätzlich fest: «Auch die Versicherungen                Diese über 20jährigen Aussagen scheinen die
                                  stellen bezüglich des Vertrauensverhältnisses                   These von Dr. iur. T. Mattig und C. Lutz zu
                                  zwischen Arzt und Patient Aussenstehende dar.                   bestätigen.
                                  Der Arzt hat somit auch gegenüber diesen
                                  Schweigen zu bewahren. Dasselbe gilt für den
                                  Vertrauensarzt, der bezüglich der für die ihm                   Die Rolle des Vertrauensarztes
                                  vom behandelnden Arzt zugestellten Angaben                      gemäss KVG
                                  an das Berufsgeheimnis gebunden ist; auch
                                  gegenüber der Krankenkasse bzw. Versicherung.»                  In der Botschaft des Bundesrates über die Revi-
                                  Wie die Autorin weiter hinten zu Recht ausführt,                sion des Krankenversicherungsgesetzes [7] ist
                                  besteht seit eh und je ein Dilemma zwischen                     folgende Bestimmung enthalten:
                                  dem Informationsbedürfnis der Versicherungen                        «Art. 36
                                  und der Schweigepflicht der Ärzte.                                  3 Der Leistungserbringer muss dem Schuld-
                                      Der «Altmeister» des Sozialversicherungs-                       ner eine detaillierte und verständliche
                                  rechtes, Prof. Dr. A. Maurer, macht in seinem                       Rechnung zustellen. Er muss ihm auch alle
                                  Standardwerk «Sozialversicherungsrecht» [6] fol-                    Angaben machen, die er benötigt, um die
                                  gende Aussagen:                                                     Berechnung der Vergütung und die Wirt-
                                      «Der Arzt muss nach KVG 22bis Abs. 7 Satz 3                     schaftlichkeit der Leistung überprüfen zu
                                      dem Honorarschuldner – gleichgültig, ob der                     können. Der Bundesrat regelt das Nähere.
                                      Versicherte oder die Kasse Honorarschuldner                     4 Der Versicherte kann verlangen, dass
                                      ist – in der Krankenpflege- und Krankengeld-                    medizinische Angaben nur dem Vertrauens-
                                      versicherung alle Angaben machen, ‹die für                      arzt des Versicherers (Art. 49) gemacht wer-
                                      die Festsetzung des Anspruches auf Leistun-                     den.
                                      gen der Kasse notwendig sind›. Zu diesen                        5 Der Versicherer kann eine genaue Diagnose
                                      Angaben dürfte auch die Diagnose gehören.                       oder zusätzliche Auskünfte medizinischer
                                      Die Kasse hat nämlich darüber zu wachen,                        Natur verlangen.»
                                      dass der Arzt korrekt Rechnung stellt; sie
                                      kann ihre Kontrollfunktion in der Regel nur                 Diese Bestimmung wurde mit einer wesentli-
                                      ausüben, wenn sie die Diagnose kennt, da                    chen Ergänzung im heute gültigen Gesetz über-
                                      diese die Grundlage für den Behandlungs-                    nommen. Art. 42 Abs. 5 KVG lautet wie folgt:
                                      plan bildet.»                                                  «5 Der Leistungserbringer ist in begründeten
                                                                                                     Fällen berechtigt und auf Verlangen der
                                  Maurer verweist auch auf Schären, der sich zur                     versicherten Person in jedem Fall ver-
                                  Frage der Diagnoseangabe wie folgt äussert:                        pflichtet, medizinische Angaben nur dem
                                     «Daran, dass die Diagnose zu den ‹not-                          Vertrauensarzt oder der Vertrauensärztin des
                                     wendigen Angaben› im Sinne von Art. 22bis                       Versicherers nach Art. 57 bekanntzugeben.»
                                     Abs. 7 zu zählen ist, kann im Ernste nicht
                                     gezweifelt werden. Der Arzt erfüllt mit der                  Hier liegt ein entscheidender Unterschied zum
                                     Bekanntgabe der Diagnose eine gesetzliche                    KUVG – «zugunsten der versicherten Person».
                                     Pflicht, weshalb er die ihm grundsätzlich auf-               Diese kann in jedem Fall verlangen, dass der Arzt
                                     erlegte Schweigepflicht nach Art. 321 StGB                   die medizinischen Angaben, und dazu gehört
                                     nicht verletzt.»                                             selbstverständlich vor allem die Diagnose – in

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1155
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                     welcher Form auch immer – nur dem Vertrau-                      ligt sind, gegenüber Dritten Verschwiegenheit
                                     ensarzt bekanntgeben darf. Dies ist ein wesent-                 zu bewahren hätten, nicht weitergeben. Dies
                                     licher Unterschied zum KUVG, und schon in                       wird auch im Artikel infosantésuisse 4/04 [9] mit
                                     bezug auf diese Erweiterung gilt natürlich die                  dem Untertitel «Die Diagnose ist ein Kranken-
                                     These von T. Mattig und C. Lutz bezüglich der                   versicherergeheimnis» suggeriert. Dieser Ver-
                                     automatischen Befreiung vom Berufsgeheimnis                     wechslung vom ärztlichen Berufsgeheimnis und
                                     nicht.                                                          von der Schweigepflicht muss entschieden ent-
                                         Dem Kommentar zur Botschaft des Bundes-                     gegengetreten werden. Es handelt sich um zwei
                                     rates ist folgendes zu entnehmen: Unter den                     völlig verschiedene Dinge.
                                     Angaben, welche der Leistungserbringer dem                          Art. 33 ATSG lautet wie folgt: «Personen, die
                                     Versicherer zu machen hat, sind notgedrungen                    an der Durchführung sowie der Kontrolle oder
                                     zahlreiche Angaben mit medizinischem Inhalt.                    der Beaufsichtigung der Durchführung der So-
                                     Solche Angaben können mit Bezug auf den                         zialversicherungsgesetze beteiligt sind, haben
                                     Persönlichkeitsschutz des Patienten ein sehr                    gegenüber Dritten Verschwiegenheit zu bewah-
                                     unterschiedliches Gewicht haben. Eher banale                    ren.»
                                     Daten wird der Leistungserbringer normaler-                         Die Schweigepflicht gilt für alle Personen, die die
                                     weise direkt an die Verwaltung des Versicherers                 Sozialversicherungsgesetze durchführen, gegenüber
                                     leiten. Verlangt jedoch der Versicherte, dass der               Dritten.
                                     Leistungserbringer die medizinischen Angaben nur                    Das ärztliche Berufsgeheimnis gilt für den Arzt
                                     gegenüber dem Vertrauensarzt macht, so ist dieser               und seine Hilfspersonen im Interesse und zum
                                     Wunsch rechtlich verbindlich. Und genau hier greift             Schutze der Privatsphäre seiner Patienten gegenüber
                                     natürlich die ärztliche Schweigepflicht: Wenn der               Dritten. Geheimnisherr ist und bleibt der Patient oder
                                     Arzt dem Verlangen des Versicherten nicht nach-                 die Patientin!
                                     kommt und die medizinischen Angaben der Versi-                      Durch die Schweigepflicht der Organe der Kran-
                                     cherung, und nicht dem Vertrauensarzt, weiterleitet,            kenversicherung wird selbstverständlich das ärztli-
                                     macht er sich nach Art. 321 StGB strafbar [5].                  che Berufsgeheimnis nicht aufgehoben!
                                         Auch A. Maurer weist in seinem Kommentar
                                     «Das neue Krankenversicherungsrecht» [8] aus-                   Einheitlicher Diagnose-Code (Art. 59 KVV)
                                     drücklich darauf hin, dass der Versicherte ver-                 In diesem Artikel wird darauf hingewiesen, dass
                                     langen kann, dass der Leistungserbringer medi-                  die Rechnungen der Leistungserbringer auch die
                                     zinische Informationen «in begründeten Fällen»                  Diagnosen zu enthalten haben, aber eben mit
                                     nur dem Vertrauensarzt des Versicherers und                     den erwähnten Auflagen gemäss Art. 42 Abs. 5
                                     nicht dessen Administration mitteilt. Hier wird                 KVG. Im weiteren enthält dieser Artikel in der
                                     bei gewissen Krankenversicherern auch heute                     Verordnung die Bestimmung: «Das Departement
                                     noch gesündigt, obwohl Art. 8 des Vertrauens-                   kann auf gemeinsamen Antrag der Versicherer und
                                     arztvertrages vom 14. Dezember 2001, abge-                      der Leistungserbringer einen gesamtschweizerisch
                                     schlossen zwischen santésuisse und der Ver-                     gültigen, einheitlichen Diagnose-Code festlegen.»
                                     bindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte                       Dies ist faktisch durch die Genehmigung des
                                     FMH, die Bestimmung enthält, dass die an den                    Tessiner Codes durch den Bundesrat (siehe
                                     Vertrauensarzt gerichteten Informationen vom                    hinten) erfolgt.
                                     Vertrauensarzt oder von seiner Hilfsperson ent-
                                     gegengenommen werden und dass Auskünfte
                                     im Namen des Vertrauensarztes nur vom Ver-                      Was sind «notwendige medizinische
                                     trauensarzt oder von einer seiner Hilfspersonen                 Angaben»?
                                     erteilt werden dürfen.
                                                                                                     Das Bundesgesetz über den Datenschutz ist be-
                                     Berufsgeheimnis und Schweigepflicht                             kanntlich am 1. Juli 1993, das KVG am 1. Januar
                                     unterscheiden sich                                              1996 in Kraft getreten. Art. 84 KVG enthielt fol-
                                     Es gibt auch heute noch Versicherer, die sich auf               genden Hinweis:
                                     den Standpunkt stellen, zufolge der Schweige-                      «Der Datenschutz richtet sich nach dem
                                     pflicht nach Art. 33 ATSG seien ihnen Angaben,                     Bundesgesetz über den Datenschutz vom
                                     die dem ärztlichen Berufsgeheimnis unterliegen,                    19. Juni 1992, die Art. 12 bis 15 des genann-
                                     zugänglich. Sie dürften sie ja gestützt auf die                    ten Gesetzes sind dabei nicht anwendbar.»*
* Diese Bestimmungen befassen sich   erwähnte Bestimmung, die besagt, dass Per-
  mit dem Bearbeiten von Personen-   sonen, die an der Durchführung sowie der                        Anlässlich der KVG-Revision 2000, in Kraft seit
  daten durch private Personen
  und sind hier nicht weiter von     Kontrolle oder der Beaufsichtigung der Durch-                   1. Januar 2001, wurden umfassende Ergänzun-
  Bedeutung.                         führung der Sozialversicherungsgesetzes betei-                  gen bezüglich der Bearbeitung von Personen-

                                     Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22    1156
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  daten [10] in die Art. 84 und Art. 84a des KVG                  1. die notwendigen Angaben auf der Rechnung
                                  aufgenommen. Dies mit der Begründung, dass                         des Arztes;
                                  jegliche Bearbeitung besonders schützenswerter                  2. die Frage eines einheitlichen Rechnungsfor-
                                  Personendaten oder von Persönlichkeitsprofilen                     mulars;
                                  durch Bundesstellen in einem formellen Gesetz                   3. die Probleme im Zusammenhang mit der
                                  festzulegen ist.                                                   Abrechnung in elektronischer Form.
                                      In seiner Botschaft wies der Bundesrat darauf
                                  hin, dass bei der Bearbeitung von Personendaten                 Die notwendigen Angaben
                                  der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Vor-                  auf der Rechnung des Arztes
                                  dergrund zu stehen habe. Art. 84 KVG enthält im                 Diese finden sich in Art. 11 Abs. 8 des Rahmen-
                                  Grundsatz die Befugnis der Krankenversicherer,                  vertrages vom 5. Juni 2002 [13] wie folgt:
                                  Personendaten, einschliesslich besonders schüt-                     «8 Die Rechnung muss folgende Angaben
                                  zenswerter Daten und Persönlichkeitsprofile,                        enthalten:
                                  zu bearbeiten, aber nur diejenigen, die sie                         a) Name und Adresse des Arztes, die Reg.-Nr.
                                  benötigen, um […] Leistungsansprüche zu be-                         und die EAN-Nr.
                                  urteilen sowie Leistungen zu berechnen und zu                       b) Name, Adresse, Geburtsdatum und – so-
                                  gewähren.                                                           weit vorhanden – die Versichertennummer
                                      Es geht mit anderen Worten einmal mehr                          des Patienten
                                  darum, was denn unter «notwendigen medizini-                        c) Grund der Behandlung (Krankheit, Unfall,
                                  schen Angaben» zu verstehen ist. Der Streit über                    Mutterschaft und Geburtsgebrechen)
                                  die sogenannten notwendigen medizinischen                           d) Kalendarium der Leistungen
                                  Angaben wird in Einzelfällen abschliessend                          e) Tarifpositionen, Nr. und Bezeichnung
                                  durch das Eidg. Versicherungsgericht beurteilt.                     f) Taxpunkte, Taxpunktwerte, Gesamtbetrag
                                  Solche Streitigkeiten können von grundsätz-                         pro Tarif
                                  licher Bedeutung sein, sie nützen aber in den                       g) Diagnosen nach dem vereinbarten Dia-
                                  meisten Fällen weder Patienten noch Ärzten                          gnosecode
                                  oder Versicherern etwas und tragen höchstens                        h) Bezeichnung von Nichtpflichtleistungen
                                  zur Verwirrung bei, wenn sie einseitig interpre-                    gemäss KVG
                                  tiert werden.                                                       i) Rechnungsdatum».
                                      So ist es z.B. interessant zu wissen, dass
                                  Patientendaten schon vor der Einleitung eines                   Praktisch in allen Kantonalen Anschlussver-
                                  Wirtschaftlichkeitsverfahrens an Versicherer                    trägen wurde dieser Absatz wortwörtlich über-
                                  herauszugeben sind. Dieses Urteil des Eidg. Ver-                nommen. Schon bei der Angabe des Namens des
                                  sicherungsgerichtes [11] nützt dem einzelnen                    Arztes können sich natürlich datenschutz-
                                  Arzt in der Praxis überhaupt nichts, wohl aber                  mässige Probleme ergeben, steht nämlich z. B.
                                  den Versicherern, wenn sie gegen einen Lei-                     «Spezialarzt für Psychiatrie und Psychothera-
                                  stungserbringer ein Wirtschaftlichkeitsverfah-                  pie», weiss jedermann, der die Rechnung sieht,
                                  ren einleiten wollen.                                           dass der Patient bei einem Psychiater in Be-
                                      Das gleiche gilt übrigens auch bezüglich                    handlung war. Aber auch beim Kalendarium, bei
                                  der Bekanntgabe der Diagnose in Wirtschaft-                     den Medikamenten usw. kann ein erfahrener
                                  lichkeitsprozessen gegenüber den zuständigen                    Sachbearbeiter einiges aus einer Rechnung her-
                                  Schiedsgerichten [12]. Auch dieses Urteil, das ein              auslesen. Ich werde dies anhand von konstruier-
                                  Wirtschaftlichkeitsverfahren gegenüber einem                    ten Beispielen im Kapitel Rechnungsstellung
                                  Arzt betraf, hilft den einzelnen Ärzten im Alltag               aufzuzeigen versuchen.
                                  nicht weiter.                                                       Bei den Rechnungsangaben hat vor allem
                                                                                                  die Lit. g der oben erwähnten Bestimmungen
                                                                                                  den «Sturm im Wasserglas» ausgelöst. Dort steht
                                  Einheitliche Rechnungen gemäss                                  folgendes:
                                  Rahmenvertrag TARMED und                                            «Art. 11 Abs. 8
                                  Kantonalen Anschlussverträgen mit                                   Die Rechnung muss folgende Angaben ent-
                                  den massgebenden Anhängen                                           halten:
                                                                                                      g) Diagnosen nach dem vereinbarten Dia-
                                  Während der Verhandlungen mit santésuisse                           gnosecode».
                                  standen für die Delegation der FMH und der
                                  Kantonalen Ärztegesellschaften, aber auch für                   In den ersten Entwürfen hatten wir folgende For-
                                  santésuisse, folgende Probleme, die den Daten-                  mulierung gewählt: «Diagnosen nach Art. 42
                                  schutz tangieren, im Vordergrund:                               Abs. 3 und 4 KVG». Im Laufe der Verhandlungen

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1157
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  haben wir uns dann auf einen einfachen «Dia-                         tions- und Datenaustausch im Gesundheits-
                                  gnose-Code» zu einigen versucht, und zwar mit                        wesen›.
                                  der Begründung, dass genaue Indikationen oder                        4 Die vom ‹Forum für den elektronischen
                                  Diagnosen nur dem Vertrauensarzt bekannt-                            Informations- und Datenaustausch im Ge-
                                  gegeben werden dürfen. Da bereits unter dem                          sundheitswesen› erlassenen Standards und
                                  KUVG in verschiedenen Kantonen gemäss den                            Richtlinien können von santésuisse und der
                                  bis dahin gültigen Tarifverträgen solche Codes                       FMH gemeinsam für alle Versicherer und
                                  existierten, einigten wir uns schliesslich auf den                   Ärzte, die dem Rahmenvertrag beigetreten
                                  Diagnosecode des Kantons Tessin, vgl. Lukas S.                       sind, verbindlich erklärt werden.»
                                  Brühwiler [14].
                                      Im Anhang 4 zum Rahmenvertrag TARMED                        Das im Anhang 3 erwähnte «Forum für den
                                  «Regelung über Diagnose/Diagnosecode» wur-                      elektronischen Informations- und Datenaus-
                                  den folgende Bestimmungen aufgenommen:                          tausch im Gesundheitswesen» hat am 15. Januar
                                      «Gemäss Art. 11 Abs. 8 lit. g des Rahmen-                   2004 ein einheitliches Rechnungsformular für
                                      vertrages TARMED vereinbaren die Parteien                   Ärzte und Spitäler genehmigt, auf das sich santé-
                                      folgendes:                                                  suisse und die FMH am 1. November 2003 in
                                      1. Als Grundlage für den anzuwendenden                      einer Zusatzvereinbarung zu Anhang 3 wie folgt
                                      Diagnosecode für die gesamte ambulante                      geeinigt haben:
                                      Praxistätigkeit gilt zur Zeit die nachfolgende                  «3. Vereinbarung
                                      Codeliste.                                                      Der vom Forum Datenaustausch am 31. Ok-
                                      2. Die Parteien beabsichtigen, diesen Dia-                      tober 2003 verabschiedete Standard für das
                                      gnosecode aufgrund ihrer Erfahrungen                            einheitliche Rechnungsformular im KVG-
                                      durch ein kohärentes System auf der Basis                       Bereich (Vers. 4.0) und seine Überführung in
                                      ICPC/ICD-10-Codierung abzulösen.                                den XML-Standard (Vers. 4.0) wird von den
                                      3. Die Ärzte mit anerkanntem Praxis-OP                          Parteien gemäss Rahmenvertrag TARMED
                                      wenden den ICD-10-Code bzw. die aktuelle                        Anhang 3 Art. 3 Abs. 4 für alle Versicherer
                                      Version CHOP an.                                                und Ärzte, die dem Rahmenvertrag beige-
                                      4. Die Parteien haben die gesetzlichen Be-                      treten sind, verbindlich erklärt.»
                                      stimmungen, insbesondere das Datenschutz-
                                      gesetz zu beachten.»                                        Für Handabrechnungen wird vorläufig bis am
                                                                                                  1. Juni 2004 seitens der santésuisse ein einfaches
                                  Einheitliches Rechnungsformular                                 Handabrechnungsformular toleriert.
                                  Bezüglich der Einheitlichkeit des Rechnungs-
                                  formulars gab es im Laufe der Verhandlungen                     Vertragsloser Zustand im elektronischen
                                  immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwi-                     Datenverkehr
                                  schen den Parteien, sollte doch nach Meinung                    Hier gilt Art. 11 Abs. 5 Rahmenvertrag TARMED
                                  der Vertreter von santésuisse dieses Rechnungs-                 mit folgendem Wortlaut:
                                  formular bezüglich der Inhalte, der Topologie,                     «Art. 11 Abs. 5 RV
                                  der Rechnungskopie, des Rückerstattungsbeleges                     Die Abrechnung erfolgt innert 2 Jahren nach
                                  usw. einheitlich sein, was von unserer Delega-                     Einführung von TARMED in elektronischer
                                  tion verneint wurde.                                               Form. Allfällige Ausnahmen, insbesondere
                                      Anhang 3 des Rahmenvertrages TARMED                            für Ärzte kurz vor der Praxisaufgabe und die
                                  enthält diesbezüglich folgende zusätzliche Be-                     Modalitäten beim elektronischen Daten-
                                  stimmung:                                                          transfer im tiers payant und im tiers garant
                                      «2. Rechnungsstellung                                          sind im Anhang 3 dieses Vertrages geregelt.»
                                      1 Die Vertragsparteien verpflichten sich, die
                                      Vorgaben betreffend einheitlichem Rech-                     Obwohl der elektronische Datentransfer erst in
                                      nungsformular, elektronischer Rechnungs-                    2 Jahren vorgesehen ist, unterbreitete die Ver-
                                      stellung und Weitergabe medizinischer                       handlungsdelegation FMH (G7) santésuisse bei
                                      Daten gemäss Art. 11 Abs. 4, 5 und 6 sowie                  der Ausarbeitung der Kantonalen Anschluss-
                                      Art. 14 Abs. 2 des TARMED Rahmenvertrages                   verträge zum Rahmenvertrag TARMED einen
                                      umzusetzen.                                                 detaillierten Vorschlag bezüglich der elektro-
                                      2 Die inhaltliche und technische Umsetzung                  nischen Übermittlung der Rechnungsdaten im
                                      und die Regelung über die Kostentragung                     «tiers garant». Für den «tiers payant» war eine
                                      erfolgt auf Basis der gemeinsam erarbeiteten                ähnliche Abmachung vorgesehen. Leider geneh-
                                      Standards und Richtlinien im Rahmen des                     migte der Verwaltungsrat von santésuisse diese
                                      ‹Forums für den elektronischen Informa-                     Vereinbarung nicht, so dass bezüglich des elek-

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1158
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  tronischen Datenverkehrs im Moment ein ver-                     –    Das System des autorisierten Holprinzips
                                  tragsloser Zustand besteht. Für die Vertrags-                        garantiert die Einwilligung des Patienten in
                                  delegation FMH (G7) standen dabei folgende                           die elektronische Rechnungsverarbeitung für
                                  Gesichtspunkte im Vordergrund:                                       jede einzelne Rechnung.
                                  – Der Patient entscheidet im «tiers garant»                     –    Das System des Tokens verhindert ein un-
                                      durch Einsenden des Rückerstattungsbeleges                       autorisiertes systematisches Abfragen von
                                      an die Krankenversicherung, ob der Arzt die                      Rechnungsdaten durch Unberechtigte.
                                      Informationen dem Krankenversicherer bzw.
                                      dem TrustCenter elektronisch übermittelt.                   Ich bin überzeugt davon, dass der Inhalt des
                                      Es war vorgesehen, auf der Rechnung den                     leider bis jetzt nicht vereinbarten Anhangs F mit
                                      sogenannten Token (d.h. eindeutige, nicht                   eventuell zusätzlichen Sicherheiten bezüglich
                                      kopierbare Identifikation einer Rechnung)                   des Datenschutzes über kurz oder lang gesamt-
                                      anzubringen. Sobald der Patient diesen                      schweizerisch für verbindlich erklärt werden
                                      Token entfernt (wegschneidet), ist eine elek-               muss, um die Vorgaben des Datenschutzes zu
                                      tronische Übermittlung der Rechnung des                     gewährleisten. Zurzeit verhandeln die einzelnen
                                      Patienten vom Arzt bzw. TrustCenter an die                  TrustCenter bezüglich der Datenweitergabe mit
                                      Versicherer ausgeschlossen. Damit wären                     einzelnen Krankenversicherern. Die Erfahrun-
                                      nach unserer Auffassung die datenschutz-                    gen aus diesen Verhandlungen dürften eine
                                      relevanten Erfordernisse auf seiten der Ärzte-              Grundlage für eine gesamtschweizerische Ver-
                                      schaft erfüllt gewesen.                                     einbarung zwischen Krankenversicherern und
                                  – Auf jeder einzelnen Rechnung an den                           der FMH bilden, welche vor Inkrafttreten auch
                                      Patienten wäre im «tiers garant» zusätzlich                 dem Eidg. Datenschutzbeauftragten zur Stel-
                                      folgender Hinweis anzubringen:                              lungnahme vorgelegt werden soll.
                                      «Mit Einsenden des Rückerstattungsbeleges
                                      an die Krankenversicherung erklärt sich                     Wie codieren?
                                      der Patient ausdrücklich einverstanden, dass                Kollege Hanspeter Kuhn, Fürsprecher und stv.
                                      der Arzt die Informationen dieser Rechnung                  Generalsekretär der FMH, hat im Jahre 2001 in
                                      dem Krankenversicherer elektronisch über-                   der Schweizerischen Ärztezeitung [15] einen
                                      mittelt. Die Bestimmungen über den Daten-                   ausgezeichneten Artikel zum Thema «Daten-
                                      schutz werden dabei eingehalten.»                           schutz und KVG» geschrieben. Er weist ins-
                                      Dies war für unsere Verhandlungsdelegation                  besondere auch auf die Problematik der Dia-
                                      aus Gründen des Datenschutzes, aber auch                    gnoseangaben hin. Die Versicherer müssen
                                      zur Wahrung des Patientengeheimnisses,                      sich eher nach einer Indikation als nach einer
                                      eine entscheidende Auflage!                                 Diagnose erkundigen, um die Wirtschaftlich-
                                  – Der erwähnte Anhang enthält auch techni-                      keit der Behandlung hinterfragen zu können.
                                      sche Sicherheitsvorrichtungen und anderes                   Dieser Problematik waren wir uns bei der ver-
                                      mehr.                                                       traglichen Regelung der Diagnoseangaben auch
                                                                                                  bewusst, wir wollten aber eine pragmatische,
                                  Die Rolle der TrustCenter                                       d.h. eben eine in der Praxis umsetzbare Lösung
                                  Es ist offensichtlich, dass bei dieser Art von Rech-            finden.
                                  nungsstellung die TrustCenter eine entschei-                        Beim sogenannten Tessiner Code haben sich
                                  dende Rolle spielen. Gerade der Datensicherheit                 die Vertragsparteien auf einen einfachen Rah-
                                  und den Anforderungen an das Datenschutz-                       mendiagnosecode geeinigt, der sich über Jahre
                                  gesetz soll ja vor allem durch die Trust Center                 in vielen Kantonen eingebürgert hat [14]. Dabei
                                  als «Intermediäre» Rechnung getragen werden.                    handelt es sich um einen Code, eingeteilt in
                                      Der Anhang enthält folgende Bestimmungen                    einen Haupt- und einen Zusatzcode mit etwa
                                  zum Datenschutz:                                                100 rudimentären Diagnosen, verschlüsselt über
                                  – Ein direkter Zugriff auf die elektronischen                   grosse Buchstaben und Zahlen. Beispiel:
                                      Praxisadministrationssysteme, welche zu-                        G 1 = komplikationsloser Infekt
                                      nehmend neben Abrechnungsdaten auch                             M 1 = Schlafstörungen
                                      Elemente der elektronischen Krankenge-                          M 2 = psychische Erkrankungen
                                      schichte enthalten, ist ausgeschlossen.
                                  – Die gemäss Rahmenvertrag TARMED zu lie-                       Ganz wichtig ist der Buchstabe U. Dort steht
                                      fernden Abrechnungsdaten werden bereits                     folgendes: «Vertrauensarzt orientiert (anstelle Dia-
                                      im Praxiscomputer vor der elektronischen                    gnose)».
                                      Übermittlung an das Trustcenter anonymi-                        Bei den Interpretationen steht: «Code U»
                                      siert bzw. pseudonymisiert.                                 meint die Angabe der genauen Diagnose an den

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1159
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  zuständigen Vertrauensarzt (bei Folgeschäden                    Quizfrage an die geübten Leserinnen
                                  von Suizidversuchen ist dieser obligatorisch).                  und Leser: Welche Krankheiten könnten die
                                      Demgegenüber enthält der ICD-10 [16] 10                     beiden Musterpatienten haben?
                                  Diagnosefelder mit 18 000 verschiedenen Dia-                    Exkurs: Von Krankenkassenseite werden heute
                                  gnosen oder der CHOP mit 4300 möglichen Be-                     im Zusammenhang mit dem «Warmlaufen» von
                                  handlungen. Zwischen den Aussagen des Tessi-                    TARMED die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
                                  ner Codes und des ICD-10 liegen Welten. Wenn                    ter auf Rechnungsinhalte sensibilisiert. Diese
                                  ein Arzt z.B. eine leichte Depression mit M2                    entwickeln dann zunehmend kriminalistische
                                  codiert, würde diese mit dem ICD-10 mit F 32.0                  Fähigkeiten. Dabei beachten sie allfällig ange-
                                  codiert. Der Code F3 enthält Interpretationen                   botene Diagnosebündel oder eben einen ein-
                                  über 4 Seiten. Der Tessiner Code M1 enthält                     fachen Code allerhöchstens subsidiär, wenn
                                  keine Interpretationen. Damit soll gezeigt wer-                 überhaupt. Spielt doch dieser für die Erfassung
                                  den, dass eine Codierung im Sinne einer                         der Wirtschaftlichkeit gar keine Rolle. So sinn-
                                  Rahmencodierung in vielen Fällen sinnvoll sein                  los und vertragswidrig es ist, wenn Ärztinnen
                                  kann, häufig ist sie unnötig, manchmal sogar                    oder Ärzte sämtliche Rechnungen mit dem
                                  schädlich. Genau aus diesen Gründen ist es                      Diagnosecode U versehen, so sinnlos und unse-
                                  Sache des Arztes oder der Ärztin, in kritischen                 res Erachtens ebenfalls gesetzes- und vertrags-
                                  Fällen mit den Patienten darüber zu sprechen, ob                widrig ist es, wenn einzelne Krankenversicherer
                                  und was codiert werden soll. In Zweifelsfällen ist              von den Ärzten, hauptsächlich den Konsiliar-
                                  sicher der Code U zu verwenden. In den meisten                  ärzten, generell sämtliche Berichte einverlangen.
                                  Fällen dürfte dies nicht nötig sein.                            Solche Berichte unterstehen selbstverständlich
                                      Es bringt auch nichts, wenn die Kantonalen                  auch dem Patientengeheimnis!
                                  Ärztegesellschaften, die bisher keinen Code                         Wie Sie selbst sehen, nützt im Rechnungs-
                                  verwendet haben, ihren Mitgliedern empfehlen,                   beispiel Nr. 482 die Diagnose U nicht sehr viel.
                                  den Diagnosecode generell wegzulassen. Das                      Der Patient muss aber, um die Rechnung
                                  führt höchstens zu Rechnungsrückweisungen                       zurückerstattet zu erhalten, diese dem Kran-
                                  seitens der Versicherer, was meistens nicht                     kenversicherer weiterleiten und möchte auch
                                  primär den Arzt, sondern den Patienten trifft.                  die vom Arzt verordneten oder abgegebenen
                                      Anhand von zwei Beispielen wird aufgezeigt,                 Medikamente zurückerstattet erhalten!
                                  dass die Codierung bei der Rechnungsstellung
                                  meistens unwesentlich ist. Der geschäftsfüh-
                                  rende Direktor der Ärztekasse, Anton Prantl, hat                Sonderstatus Kanton Graubünden?
                                  diese zwei Beispiele konstruiert, und der Ver-
                                  waltungsratspräsident der Ärztekasse, Dr. Guido                 Der Bundesrat hat mit Entscheid vom 30. Sep-
                                  Probst, ein erfahrener Praktiker, hat sie kom-                  tember 2002 den Rahmenvertrag TARMED und
                                  mentiert. Ich möchte Ihnen damit zeigen, dass                   sämtliche Anhänge, also auch den Anhang 3
                                  ein einigermassen erfahrener Sachbearbeiter                     «Vereinbarung betreffend Eröffnung Dignitäts-
                                  einer Krankenversicherung die Diagnose auch                     daten und Rechnungsstellung» und den Anhang
                                  bei einem U-Code in Kürze feststellen kann.                     4 «Regelung über Diagnose/Diagnose-Code»,
                                      Den Musterrechnungen (Abb. 1 und 2) kann                    mit dem entsprechenden Tessiner Code vorbe-
                                  die einigermassen erfahrene Sachbearbeiterin                    haltlos genehmigt.
                                  der Krankenversicherung auch ohne Angaben                          Die Regierung des Kantons Graubünden hat
                                  der Diagnose u.a. folgendes entnehmen:                          demgegenüber den Art. 11 Abs. 5 lit. g des Bünd-
                                  – die Höhe des Rechnungsbetrages: Rechnun-                      nerischen Anschlussvertrages nicht genehmigt,
                                      gen unter Fr. 200.– bis Fr. 250.– sind eher                 und zwar mit folgender interessanter Begrün-
                                      unauffällig;                                                dung:
                                  – die Medikamentenkosten: Namen der Medi-                          «Die Prüfung des Vertrages und der Anhänge
                                      kamente (Produkte) – die Spezialitätenliste                    ergibt, dass diese mit Ausnahme von Art. 11
                                      liegt auf dem Pult der Sachbearbeiterin der                    Abs. 5 lit. g des Vertrages mit dem Gesetz im
                                      Krankenversicherung!                                           Einklang stehen und entsprechend geneh-
                                  – Ausmass und Art von Laborleistungen;                             migt werden können.
                                  – Anordnung und Menge der reinen Arztlei-                          Die Bestimmung über die Weitergabe von
                                      stungen: Konsultationen, allfällige Besuche                    Diagnosen in Art. 11 Abs. 5 lit. g des Vertra-
                                      usw.;                                                          ges kann in der vorliegenden Form aus
                                  – allenfalls teure bildgebende Verfahren;                          Datenschutzgründen nicht genehmigt wer-
                                  – Dauer der Behandlung;                                            den. Die Weitergabe von Diagnosedaten
                                  – eventuell Jahreszeit.                                            an die Versicherer ist nur mit Zustimmung

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1160
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                          Abbildung 1

                                        Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1161
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                           Abbildung 2

                                         Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1162
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                      des Patienten zulässig. Er kann verlangen,                  mehr einen gläsernen Patienten schaffen. Schuld
                                      dass der Leistungserbringer die medizini-                   daran sind die neuen Auflagen im Bereich des
                                      schen Daten nur dem Vertrauensarzt des                      Tarifwesens (TARMED) und der vom Bund ver-
                                      Versicherers mitteilt (BBI 1992 S. 171 f.,                  ordneten Statistiken (ICD/CHOP).» Weiter unten
                                      S. 190 f.).»                                                führt er aus: «Die angespannte finanzielle Lage
                                                                                                  im Gesundheitswesen scheint den zunehmenden
                                  Diese Ziffer im Anschlussvertrag enthält den                    Fluss an Informationen zu Kostenträgern zu legi-
                                  genau gleichen Wortlaut wie diejenige des                       timieren. Einzig der Gesetzgeber kann dem Einhalt
                                  Rahmenvertrages, nämlich                                        gebieten.»
                                     «g) Diagnosen nach dem vereinbarten Dia-
                                     gnosecode».
                                     In einem erläuternden Schreiben an den                       ICD-10-Diagnose zu komplex
                                     Bündner Ärzteverein weist das Justiz-, Poli-                 für Kostenkontrolle
                                     zei- und Sanitätsdepartement Graubünden
                                     darauf hin, dass gemäss Ausführung des Eidg.                 Eine solch umfassende Diagnose könnte rasch
                                     Datenschutzbeauftragten die Angabe «eines                    zu einem Persönlichkeitsprofil im Sinne des
                                     detaillierten Diagnose- und Operationscodes                  Datenschutzgesetzes führen. Die ICD-10-Dia-
                                     (ICD-10 und CHOP) auf den Abrechnungen                       gnose ist viel zu komplex, um damit Kosten-
                                     nicht zulässig sei. […] Zulässig sei somit                   kontrollen durchführen zu können. Dieser Weg
                                     einzig die systematische Bekanntgabe einer                   scheint gefährlich und sollte nicht weiterver-
                                     Rahmendiagnose, d.h. einer allgemeinen                       folgt werden.
                                     Diagnose, wie sie zur Bearbeitung eines                          Die nationale Konferenz der Datenschutz-
                                     durchschnittlichen Normalfalles erforder-                    beauftragten hat im Dezember 1997 eine Reso-
                                     lich ist.»                                                   lution verfasst, in welcher die automatische
                                                                                                  Mitteilung der Diagnose mittels ICD-10 als Ver-
                                  Meiner Meinung nach hätte, wenn diese Über-                     letzung des Patientengeheimnisses erachtet
                                  legungen richtig sind, der Regierungsrat des                    wurde. Dieser Datenfluss widerspreche dem
                                  Kantons Graubünden die Ziff. 2 und 3 des                        Grundgedanken des KVG. Immer häufiger laufe
                                  Anhangs 4, in welchem der IDC-10-Code bzw.                      eine grosse Masse von Informationen auto-
                                  die aktuelle Version CHOP für den Praxis-OP                     matisch und oft ohne Wissen der Betroffenen
                                  vorgeschrieben werden, nicht genehmigen                         vom Spital zum Versicherer. Eine automatisierte
                                  dürfen, nicht aber Art. 11 Abs. 5 lit. g, in                    Mitteilung solcher Datenmengen in Form von
                                  welchem auf den Tessiner Code mit seinen                        ICD-10-Diagnosecodes sei durch das KVG nicht
                                  Rahmendiagnosen hingewiesen wird.                               abgedeckt. Das Recht der Versicherer beschränke
                                      Im weiteren kann auch die Frage aufgewor-                   sich auf die Befugnis, im Einzelfall detaillierte
                                  fen werden, ob eine Bestimmung, die mit dem                     Angaben zu verlangen … Und selbst wenn die
                                  gleichen Wortlaut durch den Bundesrat geneh-                    Eignung grundsätzlich bejaht werden könnte,
                                  migt worden ist, durch eine Kantonsregierung                    so wäre eine für alle Fälle automatische Be-
                                  nicht genehmigt werden kann. Was gilt jetzt im                  kanntgabe als unverhältnismässig zu bezeich-
                                  Kanton Graubünden? Insbesondere in bezug auf                    nen, weil sie längst nicht in jedem Fall als
                                  die Anwendung des Tessiner Codes gemäss Rah-                    notwendig bezeichnet werden könnte. Eine
                                  menvertrag und Anhang 4?                                        systematische Bekanntgabe von IDC-10-Codes
                                                                                                  an Krankenversicherer widerspräche daher auch
                                  Übrigens                                                        dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäs-
                                  Beim ganzen Gestürm um die Angabe der Dia-                      sigkeit.
                                  gnose gemäss Tessiner Code ist völlig in Verges-                    Seitens der Versicherer wird auch argumen-
                                  senheit geraten, dass die meisten Spitäler in                   tiert, der ICD-10 habe sich in Deutschland
                                  der Schweiz schon seit Jahren ursprünglich                      bewährt. Anlässlich einer Veranstaltung zum
                                  den ICD-9-, jetzt den ICD-10-Code verwenden,                    Thema «Statistiken des ambulanten Sektors
                                  was offenbar vom eidgenössischen und von                        des Gesundheitswesens» vom 16. September
                                  den kantonalen Datenschutzbeauftragten nicht                    1997 in Bern führte der Präsident der Deutschen
                                  verhindert werden konnte [4]. Der Projekt-                      Ärztekammer, Dr. Frank Mader, unter anderem
                                  leiter der Informatikabteilung der Solothurner                  aus, «dass die ambulanten Praktiker, welche wäh-
                                  Spitäler, Dr. Pascal Walliser, meint auf der                    rend einem halben Jahr mit dem ICD-10-Code
                                  Suche nach Schuldigen in seiner Stellungnahme                   codieren mussten, jeden Abend 30–60 Minuten hin-
                                  vom 12. August 2003 zu einem NZZ-Artikel                        ter die KGs des Tages sitzen mussten, um richtig zu
                                  folgendes: «Es ist eine Tatsache, dass wir immer                codieren.»

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1163
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                      Bemerkung des Verfassers: Die Versicherer                   2003 mit sämtlichen in jenem Zeitpunkt be-
                                  würden diese Arbeit sicher liebend gerne mit                    kannten Unterlagen, insbesondere über den
                                  einer speziellen Tarifposition «Kodierungsarbeiten              Stand des Verfahrens bezüglich einheitlichem
                                  in Abwesenheit des Patienten» belohnen!                         Rechnungsformular und elektronischem Daten-
                                                                                                  transfer. Am 3. Dezember 2003 teilte der Eidg.
                                                                                                  Datenschutzbeauftragte den involvierten Par-
                                  Was sagt der Eidg. Datenschutz-                                 teien und den Medien das Ergebnis seiner Sach-
                                  beauftragte?                                                    verhaltsabklärung zur elektronischen Abrech-
                                                                                                  nung gemäss Rahmenvertrag TARMED mit.
                                  Anlässlich einer Tagung vom 24. April 2002,                     Er führte unter anderem folgendes aus:
                                  Weiterbildungsseminar HSG [17], äusserte sich                       «Mit dem neuen ‹einheitlichen Rechnungs-
                                  Hanspeter Thür zu den aufgeworfenen Proble-                         formular› erhält der Versicherer neben den
                                  men wie folgt:                                                      Personalien und weiteren administrativen
                                     «Der Rahmenvertrag zum TARMED zwischen                           Daten des Patienten systematisch ausführ-
                                     santésuisse und der FMH sieht vor, dass                          liche Informationen in Form der im Tarmed
                                     die Rechnung u.a. Diagnosen nach dem                             detailliert beschriebenen Leistungspositio-
                                     vereinbarten Diagnosecode enthalten soll.                        nen und des detaillierten Diagnosecodes
                                     Man möchte, dass die Spitäler sowie die Ärzte                    bzw. Diagnosetextes. Diese Informationen
                                     mit akkreditiertem Praxis-OP den ICD-10-                         ermöglichen es ohne weiteres, ein umfas-
                                     Code bzw. die genaue Version CHOP anwen-                         sendes Bild über den Gesundheitszustand
                                     den. Für Fälle, in denen keine Diagnose-                         des Versicherten zu gewinnen, was zu einem
                                     erstellung möglich ist, soll eine Kodierung                      Persönlichkeitsprofil gemäss Art. 3 lit. d des
                                     nach ICPC erfolgen. Sowohl ICD als auch                          Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG;
                                     ICPC geben ausführliche Informationen                            SR 235.1) führen kann.
                                     über den Gesundheitszustand der Versi-                           Die Fragen zur Begründung der Verhältnis-
                                     cherten weiter. Die Frage stellt sich, ob eine                   mässigkeit der bearbeiteten Personaldaten
                                     systematische Weitergabe von detaillierten                       wurden entweder nicht oder nur deskriptiv
                                     Diagnosen an die obligatorischen Kranken-                        beantwortet, d.h. die einzelnen Positionen
                                     versicherer über die Rechnungsstellung ge-                       des Datenkataloges wurden lediglich erläu-
                                     rechtfertigt ist.                                                tert (z.B. Diagnose Behandlungsursache).
                                     Für die Weitergabe von Gesundheitsdaten                          Eine Beschreibung ist keine Begründung. Für
                                     gemäss KVG braucht es eine gesetzliche                           eine datenschutzrechtliche Begründung
                                     Grundlage. Art. 42 KVG lässt eine systemati-                     muss Eignung, Notwendigkeit und Zweck-
                                     sche Weitergabe von detaillierten Diagnosen                      Mittelrelation der verwendeten Personen-
                                     nicht zu: Der Leistungserbringer ist nach                        daten nachgewiesen werden. Zum Datum
                                     dieser Gesetzesbestimmung zwar berechtigt                        ‹Diagnose› muss beispielsweise begründet
                                     und verpflichtet, dem Schuldner eine detail-                     werden, weshalb für die Leistungsabrech-
                                     lierte und verständliche Rechnung zuzu-                          nung systematisch, d.h. in jedem Fall, eine
                                     stellen. Es sind alle Angaben zu machen,                         detaillierte Diagnose notwendig ist – im
                                     welche der Krankenversicherer benötigt, um                       Gegensatz zu einer allgemein gehaltenen Rah-
                                     die Berechnung der Vergütung und die Wirt-                       mendiagnose, wie sie bisher in den Rechnungen
                                     schaftlichkeit überprüfen zu können (Abs. 3).                    aufgeführt wurde.
                                     Eine genaue Diagnose (z.B. im Sinne der                          Die Frage der Verhältnismässigkeit der Da-
                                     ICD-10-Klassifikation) erhält der Versicherer                    tenbearbeitung bleibt somit offen. Solange
                                     gemäss geltender Gesetzesbestimmung aber                         diese nicht beantwortet ist, d.h. Notwendig-
                                     nicht automatisch mit der Rechnung. Er                           keit, Geeignetheit und Zweck-Mittelrelation
                                     muss diese vielmehr im Einzelfall ausdrück-                      der im Rechnungsformular enthaltenen Per-
                                     lich verlangen (Abs. 4).»                                        sonendaten nicht erwiesen ist, verstösst die
                                                                                                      systematische Weitergabe einer Leistungs-
                                  Zum Tessiner Code äussert sich der Eidg. Daten-                     abrechnung mit einem solchen Detaillie-
                                  schutzbeauftragte in diesem Referat nicht. In der                   rungsgrad gegen das Verhältnismässigkeits-
                                  Folge führte der Eidg. Datenschutzbeauftragte                       prinzip von Art. 4 DSG. Diagnoseangaben,
                                  gestützt auf Art. 27 und Art. 29 Bundesgesetz                       welche über eine allgemeine Rahmendiagnose
                                  über den Datenschutz eine Sachverhaltsab-                           hinausgehen, dürfen nicht systematisch auf
                                  klärung durch. Dies am 9. Juli 2003. FMH und                        Rechnungsformularen aufgeführt werden,
                                  G7 dokumentierten den Eidg. Datenschutz-                            die ohne weiteres in die Verwaltung des
                                  beauftragten mit Schreiben vom 31. Oktober                          Kostenträgers gelangen.»

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1164
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  Damit ist das letzte Wort sicher noch nicht                        Spycher erstellen liess [18]. Es ist deshalb an
                                  gesprochen. Immerhin sei noch einmal fest-                         den Haaren herbeigezogen, wenn plötzlich
                                  gehalten, dass es sich beim Tessiner Code um                       die Diagnose für diese Prüfungen eine Rolle
                                  eine allgemeine Rahmendiagnose und nicht                           spielen sollte. Ich habe dies bei konkreten
                                  um eine Detaildiagnose handelt.                                    Wirtschaftlichkeitsverfahren erst im Laufe
                                      Aber wissen Arzt und Ärztin nun, was sie kon-                  des Verfahrens erlebt; bei der Pauschalüber-
                                  kret bei der Rechnungsstellung machen sollen?                      prüfung ist dies gar nicht möglich. Im übri-
                                                                                                     gen besteht beim Eruieren der schwarzen
                                                                                                     Schafe durch die Krankenversicherung ein
                                  Was hat die Angabe der genauen                                     erhöhtes Farbenblindheitsrisiko!! (Diagnose-
                                  Diagnose mit der Überprüfung der                                   vorschlag gemäss Tessiner Code P9)!
                                  WZW-Kriterien zu tun?                                           3. Das Eidg. Versicherungsgericht hat entschie-
                                                                                                     den, dass die Versicherer bei der Überprüfung
                                  Im Zusammenhang mit der Überprüfung der                            von Einzelfällen einen Anspruch auf die
                                  Wirtschaftlichkeit von Leistungserbringern im                      Herausgabe der entsprechenden Daten durch
                                  Sinne von Art. 56 KVG – die Wirksamkeit und                        Ärzte oder Spitäler haben. Dazu gehören
                                  Zweckmässigkeit wird gewöhnlich sowieso nicht                      auch die Diagnosen [11, 12].
                                  überprüft – wurde anlässlich einer Tagung des
                                  Datenschutzforums vom 31. März 2004 seitens                     Im weiteren hat der Vertreter der Krankenver-
                                  der Versicherer geltend gemacht, mit der Nicht-                 sicherer am obenerwähnten Anlass geltend
                                  bekanntgabe der Diagnose wollten die soge-                      gemacht, für die Patienten entstehe durch die
                                  nannten «schwarzen Schafe» unter den Ärzten                     Mitteilung der Diagnose an die Versicherer gar
                                  verhindern, dass die Versicherer die WZW-Krite-                 kein Schaden. Diese sehr pauschale Aussage ist
                                  rien überprüfen können. Hiezu ist folgendes                     meines Erachtens zu materialistisch geprägt und
                                  zu sagen:                                                       verkennt wesentliche Inhalte des Persönlich-
                                  1. Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirt-                       keitsschutzes, wie er in Art. 13 der Bundesver-
                                      schaftlichkeit (Art. 32 KVG) sind völlig un-                fassung ausdrücklich festgelegt ist.
                                      befriedigend definiert. Zum Rahmenvertrag
                                      TARMED existiert bekanntlich der Anhang 6,
                                      aber nur in Form eines Titels, «Regelung                    Die Arztrechnung!
                                      über Qualitätserfordernisse und WZW-Kriterien               Ratschläge für die Praxis
                                      (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaft-
                                      lichkeit)», mit dem Vermerk im Text: «Wird                  Die Sorgen vieler Ärztinnen und Ärzte, Patien-
                                      später geregelt.» Es ist überfällig, dass die               tinnen und Patienten, Daten- und Konsu-
                                      Krankenversicherer und die Ärzteschaft zu-                  mentenschützer usw. über die Aushöhlung des
                                      sammen die Inhalte dieses Anhanges defi-                    ärztlichen Berufsgeheimnisses oder den soge-
                                      nieren (Art. 56 Abs. 5 KVG und Art. 77 KVV).                nannten «gläsernen Patienten» sind berechtigt
                                      Sonst verordnet sie nämlich der Bundesrat                   und müssen ernst genommen werden.
                                      (Art. 58 Abs. 1 KVG) oder im schlimmsten                        Es bringt uns aber nichts, Patientinnen und
                                      Fall wird die Rechnungsstellerstatistik direkt              Patienten noch mehr zu verunsichern. Arzt und
                                      als «heilige Kuh» ins KVG implementiert,                    Patient im Alltag wollen wissen, ob die Rech-
                                      was bei der letzten Revision versucht wurde.                nung schliesslich von den Krankenversicherern
                                  2. Das Schwergewicht der Überprüfung der                        vergütet wird. Eine realistische praxisbezogene
                                      Rechnungen einzelner Ärzte durch die                        Auslegung der gesetzlichen und vertraglichen
                                      Krankenversicherung liegt eindeutig bei                     Vorgaben sind dabei gefragt und keine medien-
                                      der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit.                     trächtigen Selbstdarstellungsorgien mit exhibi-
                                      Die Kriterien, nach denen entschieden wird,                 tionistischen Zügen. Die Probleme bei der
                                      ob ein Arzt wirtschaftlich oder nicht wirt-                 Umsetzung von TARMED sind vielseitiger und
                                      schaftlich praktiziert, sind der Index der                  komplizierter als die praktische Anwendung des
                                      Kosten des Arztes pro Erkrankten, der Index der             Tessiner Codes. Deshalb empfehlen wir Ihnen in
                                      Kosten der Medikamente aus Selbstdispensation               «kritischen Fällen» folgendes Vorgehen – gilt nur
                                      oder von der Apotheke, evtl. der Index der Kosten           im KVG-Bereich!:
                                      des Arztes pro Grundleistung. Bei der Pauschal-             1. Sprechen Sie mit Ihren Patientinnen und
                                      überprüfung von santésuisse spielt die Dia-                     Patienten auch über die Rechnung, deren
                                      gnose überhaupt keine Rolle. Dies ergibt sich                   Inhalt und insbesondere über die Diagnose,
                                      klar aus dem Gutachten, das santésuisse am                      und erklären Sie ihnen die von Ihnen ge-
                                      10. Mai 2002 durch Jürg Noth und Dr. Stefan                     stellte Diagnose.

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1165
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  2. Sie müssen den Tessiner Code anwenden!                       9. Sie müssen das einheitliche Rechnungs-
                                     Dieser ist Bestandteil des Rahmenvertrages                      formular Version 4.0 verwenden. Dies hat
                                     bzw. der Anhänge. Wenden Sie ihn nicht                          nichts mit der elektronischen Abrechnung
                                     an, wird die Rechnung zurückgeschickt. Der                      via TrustCenter–Krankenversicherer zu tun;
                                     Eidg. Datenschutzbeauftragte hat gegen die                      diese ist erst in zwei Jahren verbindlich. Die
                                     Anwendung des Tessiner Codes im ambu-                           Grundlage bildet die Vereinbarung zwischen
                                     lanten Bereich an sich nichts einzuwenden!                      santésuisse und FMH, ein einheitliches
                                  3. Verwenden Sie bei heiklen Diagnosen in                          Rechnungsformular zu verwenden. Das
                                     Absprache mit Ihren Patienten und Patien-                       Handabrechnungsformular ist nur noch
                                     tinnen die Diagnose U. Das bedeutet aber                        bis zum 30. Juni 2004 verwendbar! Wenn
                                     nicht, dass Sie die Diagnose U «flächen-                        Ihre Software noch nicht «up to date» ist,
                                     deckend» anwenden dürfen, sonst werden                          müssen Sie Ihre Softwarehersteller kontak-
                                     Ihre Rechnungen ebenfalls zurückgeschickt.                      tieren. Ärzte, die kurz vor der Beendigung
                                  4. Schicken Sie die medizinischen Angaben –                        ihrer Praxistätigkeit stehen, sollen sich
                                     dazu kann auch die Bezeichnung eines                            bei santésuisse um eine Fristverlängerung
                                     Medikamentes gehören (Beispiel oben) – nur                      bemühen.
                                     dem Vertrauensarzt und nicht der Kran-
                                     kenversicherung. Nehmen Sie mit diesem
                                     aber unbedingt persönlich Kontakt auf,                       Und fast zum Schluss noch etwas
                                     damit Sie ihm die Ängste, Bedenken oder                      aus der Humorkiste eines erfahrenen
                                     Befürchtungen des Patienten weitergeben                      Praktikers im Kanton Solothurn bzw.
                                     können.                                                      eines ehemaligen Kantonalpräsidenten
                                  5. Krankheiten, insbesondere psychische Krank-                  unserer Gesellschaft
                                     heiten oder Aids, dürfen nicht dazu führen,
                                     dass die Patienten ausgegrenzt und/oder                      Der erste erzählte mir kürzlich folgendes: Für
                                     stigmatisiert werden. Jede Patientin und                     eine bestimmte Krankheit hätte er nicht den im
                                     jeder Patient hat Anspruch darauf, dass auch                 Kanton Solothurn gültigen Kurzdiagnosecode
                                     diese Krankheiten behandelt und die medi-                    gewählt, sondern er hätte jeweils eine Wortdia-
                                     zinischen Leistungen gemäss Krankenver-                      gnose aufgeschrieben, nämlich «Popopathie».
                                     sicherungsgesetz vergütet werden.                            Von keiner Krankenversicherung sei je nachge-
                                  6. In 99% der Fälle dürfte die Rechnungs-                       fragt worden, um welche Krankheit es sich denn
                                     stellung an den Patienten und die Weiter-                    dabei handle. Sie finden sie im Tessiner Code
                                     leitung an die Krankenversicherung (im                       unter E3!
                                     «tiers garant» oder im «tiers payant») keine                     Vom ehemaligen, leider viel zu früh verstor-
                                     Probleme bieten. Nehmen Sie Ihren Patien-                    benen Präsidenten unserer Gesellschaft, Dr.
                                     ten allfällige Ängste, anstatt diese zu schüren.             Christoph Binswanger, weiss ich folgendes:
                                  7. Nutzen Sie den Spielraum, den Ihnen der                      Wegen der «Pseudogenauigkeit» von Diagnosen
                                     Gesetzgeber gewährt. Ihre Patientin und ihr                  pflegte er in Fällen, in denen es ihm einfach
                                     Patient entscheiden mit Hilfe von Ihnen als                  nicht möglich war, eine genaue Diagnose zu
                                     Fachperson darüber, ob und welche Angaben                    stellen, die Abkürzung «OGK» zu verwenden,
                                     nur dem Vertrauensarzt weitergegeben wer-                    obwohl es diese Codierung nach Solothurner
                                     den sollen (Art. 47 Abs. 5 KVG). Der Patient                 Tarif nicht gab. Er erhielt nie irgendwelche
                                     kann im übrigen auch auf die Rückerstattung                  Rückfragen seitens der Krankenversicherer. Die
                                     durch die Kasse verzichten. Um so mehr                       Abkürzung, die nur er kannte, lautete: «Only
                                     müssen Sie mit ihm darüber reden, welche                     God knows!»
                                     Lösung er bevorzugt. Nicht vergessen: der
                                     Patient ist der Geheimnisherr!
                                  8. Wenn Sie Probleme mit den Vertrauens-                        Und ganz zum Schluss noch dies
                                     ärzten haben, nehmen Sie mit diesen zuerst
                                     direkt Kontakt auf oder wenden Sie sich an                   Das Patientengeheimnis ist durch das KVG nicht
                                     ihre Kantonalgesellschaften. Auch die Kran-                  aufgehoben. Es liegt an Ihren Patientinnen und
                                     kenversicherer müssen ein eminentes Inter-                   Patienten und an Ihnen zu entscheiden, wie sie
                                     esse haben, die Rolle des Vertrauensarztes,                  damit umgehen wollen.
                                     die ihm das Gesetz, aber auch der Vertrau-
                                     ensarztvertrag gibt, zu stärken, und nicht
                                     durch «administrative Pannen» zu schwä-
                                     chen.

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22   1166
Editores Medicorum Helveticorum
Recht

                                  Literatur                                                       10 Botschaft über die Anpassung und Harmonisie-
                                                                                                     rung der gesetzlichen Grundlagen für die Bear-
                                   1 Mattig T, Lutz C. Versicherer sind nicht bloss
                                                                                                     beitung von Personendaten in den Sozialversiche-
                                     Zahlstellen. Infosantésuisse 2004;1-2.
                                                                                                     rungen, 99.093, vom 24. November 1999.
                                   2 Mattig T, Lutz C. Der Datenschutz und die Weiter-
                                                                                                  11 Datenschutz bei Überprüfung der Wirtschaftlich-
                                     gabe medizinischer Daten an die Versicherer.
                                                                                                     keit. Urteil EVG vom 9. Oktober 2001 (K 34/01).
                                     Schweiz Ärztezeitung 2004;85(7):341-2.
                                                                                                  12 Aktenedition im Schiedsgerichtsverfahren/
                                   3 Bundesgesetz über die Krankenversicherung
                                                                                                     Wirtschaftlichkeitsprozess. Urteil EVG vom
                                     vom 13. Juni 1911, KUVG.
                                                                                                     27. November 2001, (K 90/01).
                                   4 Boll J. Die Entbindung vom Arzt- und Anwalts-
                                                                                                  13 Rahmenvertrag TARMED vom 5. Juni 2002.
                                     geheimnis. Zürich: Eigenverlag des Verfassers;
                                                                                                     www.fmh.ch ➞ Dienstleistungen ➞ Tarife ➞
                                     1983.
                                                                                                     TARMED ➞ KVG-Bereich ➞ Rahmenvertrag.
                                   5 Keller K. Das ärztliche Berufsgeheimnis gemäss
                                                                                                  14 Brühwiler-Frésey LS. Medizinischer Behandlungs-
                                     Art. 321 StGB unter besonderer Berücksichtigung
                                                                                                     vertrag und Datenrecht. Zürich: Schulthess; 1996.
                                     der Regelung im Kanton Zürich. Zürich:
                                     Schulthess; 1993.                                            15 Kuhn HP. Datenschutz und KVG. Schweiz Ärzte-
                                                                                                     zeitung 2001;82(24):1266-75.
                                   6 Maurer A. Schweizerisches Sozialversicherungs-
                                     recht. Band II, Besonderer Teil. Bern: Stämpfli;             16 Internationale statistische Klassifikation der
                                     1981.                                                           Krankheit und verwandter Gesundheitsprobleme,
                                                                                                     10. Revision.
                                   7 Botschaft über die Revision der Krankenversiche-
                                     rung, 91.071, vom 6. November 1991.                          17 Thür H. Übersicht über aktuelle datenschutzrecht-
                                                                                                     liche Probleme im Gesundheitswesen. Daten-
                                   8 Maurer A. Das neue Krankenversicherungsrecht.
                                                                                                     schutz im Gesundheitswesen. Weiterbildungs-
                                     Das Recht in Theorie und Praxis. Basel und
                                                                                                     seminare HSG vom 24. April 2002, Zürich.
                                     Frankfurt am Main: Verlag Helbling & Lichten-
                                     hahn; 1996.                                                  18 Noth J, Spycher S. Auswirkungen der Einführung
                                                                                                     des santésuisse-Datenpools auf die Prüfung der
                                   9 Diagnosecode auf TARMED-Abrechnungen.
                                                                                                     Wirtschaftlichkeit von Leistungserbringern
                                     Angabe der Diagnose? Ja, weil Krankenversiche-
                                                                                                     nach Artikel 56 KVG. Gutachten. Bern: Büro für
                                     rer-Geheimnis. Infosantésuisse 2004;4.
                                                                                                     Arbeits- und Sozialpolitische Studien; 2002.

                                  Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 22    1167
Editores Medicorum Helveticorum
Sie können auch lesen