Krebs und Sexualität Schwerpunkt
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Schwerpunkt Krebs und Sexualität Stefan Zettl, Heidelberg Schreer, 1995). Margolis et al. (1990) fin- Ist das Thema Sexualität im Zusammenhang mit einer Krebs- den dazu in ihrer Vergleichsstudie fol- erkrankung überhaupt bedeutsam? Benötigen Krebspatienten und gende Ergebnisse: Innerhalb der Grup- pe der brustamputierten Frauen fühlen deren Partner in einer solchen Situation eine Sexualberatung oder sich 78 % nach der Behandlung weni- -therapie – oder sind sie nicht durch ganz andere Probleme ger attraktiv als vorher, während dies nur belastet? bei 3 % nach einer Lumpektomie (brust- erhaltende Entfernung des suspekten Knotens) der Fall ist. Alle Mastektomie- patientinnen haben das Gefühl, infolge der Operation unbekleidet unattraktiv Die Konfrontation mit der Diagnose ierten Ängste beansprucht sind? Viele zu sein, jedoch keine in der anderen „Krebs“ löst bei den Betroffenen und würden diese Frage sicher verneinen, Gruppe. Nach einer Ablatio sind 57 % ihren Angehörigen in besonderer Weise und für die Mehrzahl der Patienten ist beschämt über ihre Brust, nach der Angst und Verunsicherung aus. Gerdes diese Einschätzung für den Zeitraum der Lumpektomie nur 6 %. Zum Zeitpunkt (1984) spricht von einem „Sturz aus der Ersterkrankung und ihrer stationären der Interviews lag die Therapie minde- Wirklichkeit“, der durch die Befundmit- Therapie auch zutreffend. Mit der Rück- stens ein Jahr zurück. Aus den Körper- teilung ausgelöst wird. Bei den seeli- kehr in die „Normalität“, in den Lebens- bildveränderungen resultieren häufig schen Belastungen muß zwischen ver- alltag werden jedoch auch diese Be- sexuelle Einschränkungen – allerdings schiedenen Phänomenen differenziert dürfnisse wieder bedeutsam – sei es muß dies keine zwangsläufige Folge werden: den Beeinträchtigungen durch durch das Auftauchen eigener Wünsche sein. Schover et al. (1995) vertreten auf- die Erkrankung und deren Behandlung und Phantasien, durch die Erwartungen grund ihrer retrospektiven Studie an über als äußere Realität, der spezifischen in- des Partners oder die ständige Konfron- 200 Frauen die Auffassung, daß der all- dividuellen Bedeutsamkeit bzw. Bedeu- tation mit dem Thema Sexualität in der gemeine Gesundheitszustand, die Qua- tungserteilung des Traumas als innerer Umwelt. lität der partnerschaftlichen Beziehung, Realität und im späteren Verlauf den In den folgenden Abschnitten werden an ein schlechtes Körperbild, ein niedriger Auswirkungen des sog. „Damokles-Syn- ausgewählten Krebserkrankungen deren Bildungsstand und das Sexualleben vor droms“ der Überlebenden: Auch nach mögliche Auswirkungen auf das sexuel- Ausbruch der Erkrankung viel bessere der sog. und inzwischen als zu kurz ge- le Erleben und Verhalten beschrieben. Prädiktoren für die spätere Sexualität griffen anzusehenden „Fünf-Jahres-Hei- sind als das Ausmaß des Eingriffs. lung“ sind Rezidive nicht sicher auszu- Durch die bei dem operativen Eingriff schließen. Außerdem wird zunehmend unvermeidliche Durchtrennung von die Gefahr von Zweitmalignomen deut- Mammakarzinom Nervenbahnen treten in einer Reihe von lich, die durch manche Krebstherapien Fällen postoperativ Wund- und Nar- induziert werden. Eine psychosoziale Die Brust wird von der Mehrzahl der benschmerzen auf oder es kann sich Behandlungsbedürftigkeit wird überein- Frauen als Symbol ihrer Weiblichkeit, eine vorübergehende oder auch dauer- stimmend bei etwa einem Drittel der der eigenen Identität und erotischen hafte Taubheit oder Überempfindlichkeit Krebspatienten gesehen (z. B. Holland u. Potenz sowie als eine Quelle körperli- von Hautbezirken entwickeln. Diese Rowland, 1989). Belastungsreaktionen cher Lustempfindungen erlebt. Die mei- kann über die Innenseite des Oberarmes von Krankheitswert bei Partnern, oft ver- sten von Brustkrebs betroffenen Frauen und die Brustwand bis in den Rücken bunden mit Beziehungsproblemen, wer- fühlen sich daher sowohl durch die Er- reichen. In seltenen Fällen kommt es zu den in 25 – 50 % der Fälle angegeben krankung als auch durch den bevorste- „Phantomschmerzen“ der entfernten (Keller et al., 1995). henden Eingriff bedroht. Die allgemei- Brust, d. h., die Brust wird schmerzhaft Daher ist die oben gestellte Frage ge- ne psychische Anpassung nach einem wahrgenommen, obwohl sie nicht mehr rechtfertigt: Können sexuelle Beein- brusterhaltenden Eingriff gelingt deutlich vorhanden ist. Im Bereich der Opera- trächtigungen wirklich von Bedeutung besser als nach einer Mastektomie (Ent- tionsnarbe treten manchmal schmerz- sein in einer Situation, in der die Pati- fernung der gesamten Brustdrüse). Das hafte Spannungszustände auf, die durch enten vollständig von der Bewältigung Körperbild wird nicht so sehr beein- den Verlust mehr oder weniger großer ihrer Erkrankung und der damit assozi- trächtigt (de Haes & Welvaart, 1985; Haut- und Muskelanteile verursacht 144 psychomed 12/3, 144 – 150 (2000)
Schwerpunkt werden. Außerdem ist die normaler- Zervixkarzinom Symptomatisch empfehlen sich entzün- weise vorhandene Verschieblichkeit der dungshemmende Vaginalovula und Sitz- Haut auf der Unterhaut häufig durch bäder mit Kamillosan. Zur Prophylaxe Verklebungen eingeschränkt. Beides Beim operativen Vorgehen entsteht eine einer Verengung der Vagina sind die lo- kann neben der oben beschriebenen ört- Wunde am Scheidenstumpf, die in der kale Applikation östrogenhaltiger Salben lichen Taubheit bzw. Überempfindlich- Regel nach 2 – 3 Wochen problemlos sowie die Verwendung von Dilatatoren keit bei Berührungen Mißempfindungen verheilt. Außerdem kommt es zu einer ab 6 Wochen nach Beendigung der The- auslösen. Regelmäßige gymnastische Verkürzung der Vagina, die jedoch häu- rapie sinnvoll. Ebenso hilft die Wieder- Übungen sowie krankengymnastische fig keine Beschwerden verursacht oder aufnahme sexueller Aktivitäten dabei, Behandlungen können diese Beschwer- sich durch häufigeren Verkehr von selbst diese Nebenwirkung zu begrenzen. Die den schrittweise beseitigen. Die opera- korrigiert. Bei einem kombinierten chi- häufig zu beobachtende Tendenz, den tive und Strahlentherapie im Bereich der rurgischen und strahlentherapeutischen Koitus mehr als 3 Monate hinweg nicht Axilla hat in einer Reihe von Fällen ein Vorgehen nimmt die Zahl dieser Ne- zuzulassen, begünstigt dagegen Steno- Lymphödem zur Folge. Die meisten benwirkungen deutlich zu. Eine Strah- sierungen der Vagina. Die Auswirkun- Ödeme entwickeln sich in den ersten lentherapie beeinträchtigt die Sexualität gen der Bestrahlung auf die Ovarien ver- zwei bis fünf Jahren nach der Primär- auf unterschiedlichen Ebenen: Als Fol- ursachen durch in der Folge auftre- therapie; es können aber auch noch ge tritt häufig eine radiogene Kolpitis auf; tende menopausale Beschwerden und Jahre später neue, nicht krebsbedingte nach einer perkutanen Bestrahlung eine mangelnde Lubrikation weitere Be- Ödeme entstehen; die angegebenen klingt diese Entzündung in der Regel schwerden, die durch eine Hormon- Häufigkeiten schwanken zwischen 28 % nach wenigen Tagen ab, nach intrava- substitution zu vermeiden sind. (Woods et al., 1995) und 38 % (Kissen ginalen Radium-, Zäsium- oder Iridium- Bei den unerwünschten Nebenwirkun- et al., 1986). Die Häufigkeit des Auftre- einlagen kann sie über Wochen andau- gen der Strahlentherapie sind auch die tens ist abhängig von der Radikalität der ern und allmählich in eine teilweise oder Auswirkungen auf Blase und Darm zu be- Therapie, von der Größe des Primärtu- vollständige Obliteration der Vagina rücksichtigen. Chronische Entzündun- mors und dem regionären Lymphknoten- übergehen. Ebenso besteht die Möglich- gen, Fistelbildungen und Schmerzemp- status. keit einer Verengung und Verkürzung der findungen tragen ebenso zu einer Beein- Eine adjuvante Chemotherapie führt in Vagina. Akut, aber auch chronisch wer- trächtigung der Sexualität bei. Sowohl Abhängigkeit von der Substanz und Do- den zystistische und proktitische Pro- aus der operativen Therapie als auch aus sierung zu einer vorübergehenden Ame- bleme berichtet, die sich in Beschwer- der Strahlentherapie können zusätzlich norrhö, die aber bei Frauen unter 40 Jah- den bei der Miktion und Defäkation Miktionsschwierigkeiten resultieren. ren häufig reversibel ist. Im Gegensatz äußern. Sie können ebenso wie Darm- Die öffentliche Diskussion über mögli- zu einer alleinigen Hormon- und Strah- krämpfe aufgrund von Dünndarmsteno- che Ursachen des Zervixkarzinoms trägt lentherapie ist das Ausmaß sexueller sen und Briden (bindegewebige Ver- bei einigen Frauen mit dazu bei, sexu- Dysfunktionen (verminderte Appetenz, wachsungsstränge), Fibrosen im kleinen elle Kontakte zu vermeiden, um den Tu- mangelnde vaginale Lubrikation, Dyspa- Becken und Fistelbildungen im Bereich mor nicht zu „aktivieren“. Hier sind eine reunie, sexuelle Befriedigung) nach einer von Blase, Rektum, Dünndarm und Va- gründliche Information und Beratung zusätzlichen Chemotherapie vorüber- gina das Allgemeinbefinden erheblich erforderlich. gehend deutlich erhöht. beeinträchtigen. Einige wenige Patien- Bei der Strahlentherapie kommt es ne- tinnen berichten nach intrakavitärer Be- ben akuten lokalen Auswirkungen (z. B. strahlung über Tenesmen im Bereich des Rötung bis Blasenbildung der Haut) im Rektums (Krampf der Verschlußmus- Endometrium- und bestrahlten Bereich gelegentlich zu einer keln), die auch das sexuelle Erleben Korpuskarzinom nachfolgend vermehrten Hautpigmen- negativ beeinflussen. Über Schmerzen tierung, zu Erweiterungen der Blutgefäße beim sexuellen Verkehr berichten in den Die Gebärmutter stellt für viele Frauen sowie in etwa 6 % der Fälle zu einer ersten Monaten nach der Therapie etwa ein wichtiges Organ dar, das insbeson- Strahlenfibrose mit Verhärtungen oder 40 – 50 % der Frauen, später geht die dere im Rahmen von Schwangerschaf- Schrumpfungen des Gewebes. Häufigkeit auf 8 – 15 % zurück. Intensität ten in einer hohen Wertigkeit erlebt wird. Die Hormontherapie weist im allgemei- und Häufigkeit dieser Nebenwirkungen Die Hysterektomie bedeutet den Verlust nen weniger Nebenwirkungen auf als ei- hängen von der Bestrahlungstechnik und der Fortpflanzungsfähigkeit und damit ne Chemotherapie. Die so behandelten -dosis sowie der Dauer der vaginalen einen Einschnitt in das bisherige Körper- Frauen müssen aber mit den für die Strahlenbelastung ab. Die Häufigkeit selbst der Frau. Trotzdem scheint sich für Wechseljahre typischen Symptomen wie einer Stenosierung wird in der Literatur die Mehrzahl der Frauen keine Einschrän- Hitzewallungen, Schwitzen, Trocken- sehr unterschiedlich angegeben. Sie kung des sexuellen Erlebens zu ergeben, heit der Scheide und dadurch verur- wird in Erhebungen, in denen sie nicht zumal durch das operative Vorgehen sachte Schmerzen beim sexuellen Ver- explizit erfragt wird, mit 3,7 – 15,0 % wesentliche (somatische) Quellen des kehr rechnen. Gelegentlich kommt es zu angegeben; bei gezielter Untersuchung Lustempfindens (Klitoris, Schamlippen, Schlafstörungen, Depressionen sowie und Befragung wurde sie bei 62 – 88 % Scheideneingang) nicht beeinträchtigt einem teilweisen oder vollständigen Ver- der Frauen gefunden (Wulf & Flentje, werden. Bei komplikationsloser Wund- lust des sexuellen Begehrens. 1998). heilung kann das normale Sexualleben psychomed 12/3, 144 – 150 (2000) 145
Schwerpunkt nach etwa 4 – 6 Wochen wieder aufge- einseitige oder beidseitige operative Ent- Wird eine primäre oder adjuvante nommen werden. Lubrikationsstörun- fernung der Eierstöcke führt deshalb Bestrahlung durchgeführt, kommt es gen nach einfacher Hysterektomie sind nicht per se zu einem mangelnden se- manchmal zu vorübergehenden Ödem- meist Folge eines Appetenzverlustes, der xuellen Interesse. Die klinische Beob- bildungen in der Leistenregion sowie als psychogen zu erklären ist. achtung zeigt jedoch, daß sich viele Spätfolge zu einer Fibrosierung des Die empirischen Befunde zu den Folgen Patientinnen nach diesem Eingriff sexu- Schwellkörpergewebes, die eine für der Hysterektomie sind widersprüchlich; ell zurückziehen. Dagegen führt der bei eine Erektion ausreichende Blutfülle ver- während einige Autoren negative Aus- beidseitiger Ovarektomie verursachte hindert. Zum Schutz der Keimdrüsen wirkungen beschreiben, zeigen andere Östrogenmangel u. a. zu einer Störung gegen die bei der Behandlung anfallen- keinen signifikanten Einfluß auf. In einer der Erregungsphase, die sich in einer de Streustrahlung wird eine Bleikapsel Reihe von Fällen kommt es sogar zu ei- Atrophie und damit verbundenen man- verwandt. Trotzdem ist mit einer Beein- ner Verbesserung der Sexualität. Larsen gelnden Erweiterungsfähigkeit und Lu- trächtigung der Spermiogenese durch u. Jensen (1982, zit. nach Hertoft, 1989) brikation der Vagina bemerkbar macht. Streustrahlung zu rechnen. Bei beste- fanden bei einer prospektiven Untersu- Bei fehlender symptomatischer Be- hendem Kinderwunsch ist deshalb ein chung von 61 Frauen (Durchschnittsalter handlung (z. B. lokale Anwendung eines zeitlicher Sicherheitsabstand nach der 43 Jahre) 6 Monate nach dem Eingriff die Gleitgels) resultiert eine Dyspareunie. Strahlentherapie empfehlenswert. sexuellen Funktionen (Appetenz, Koi- Bei präklimakterischen Frauen setzen tusfrequenz, Orgasmusfähigkeit) bei 55 % postoperativ die typischen Beschwerden unverändert, bei 34 % gebessert und bei der Wechseljahre ein, die durch Hitze- Hodenkarzinom 13 % verschlechtert. Eine Reihe von wallungen, Schweißausbrüche, Depres- Autoren sieht das verminderte orgasti- sionen und Reizbarkeit die Sexualität zu- Die bisher vorliegenden Untersuchun- sche Erleben als Folge der fehlenden sätzlich einschränken können und die gen zu den psychosozialen Folgen ei- Kontraktionen der Uterusmuskulatur. durch eine hormonelle Substitution zu nes Hodenkarzinoms belegen, daß die Während des Orgasmus wird von der beheben sind. Tumorerkrankung zu erheblichen sub- Hypophyse das Hormon Oxytocin aus- jektiven Beeinträchtigungen führen kann geschüttet, das u. a. Gebärmutterkon- – gerade auch deshalb, weil sie Män- traktionen auslöst, die allerdings von der ner in einem Altersabschnitt betrifft, in Mehrzahl der Frauen nicht bewußt wahr- Peniskarzinom dem der Sexualität meist eine wichtige genommen werden. Nach einer Hyste- Bedeutung zukommt. Klippel u. Weiß- rektomie fallen diese Empfindungen aus Je radikaler das Vorgehen, desto schwer- bach (1976) beschreiben, daß sich 17 % und können dadurch die Intensität des wiegender sind die Auswirkungen auf ihrer Patienten durch die Resektion des orgastischen Erlebens mindern. die Sexualität. Bei der partiellen Penek- tumortragenden Hodens deutlich be- Wegen der kaum vorhersagbaren Ver- tomie wird der distale Teil mit der Eichel einträchtigt fühlen. Eine beidseitige änderungen des Sexualverhaltens emp- entfernt. Bei manchen Patienten ist trotz Orchiektomie führt zu einem drasti- fehlen einige Autoren explizit eine prä- dieses Eingriffs ein befriedigendes Lie- schen Abfall des Testosteronspiegels und postoperative Beratung, die be- besleben möglich; bei sexueller Erre- und damit zum weitgehenden Appe- wußt das Sexualleben vor und nach dem gung wird der verbliebene Teil des tenzverlust; eine adäquate Hormonsub- Eingriff einbezieht. Für die als „Post- Gliedes steif und ist häufig groß genug stitution ist möglich und nicht kontra- hysterektomie-Syndrom“ bezeichnete für einen Koitus. Obwohl die Eichel als indiziert. Störung (Depression, sexuelle Antriebs- besonders empfindsames Organ fehlt, Nach einer radikalen (bilateralen) retro- minderung usw.) scheinen diejenigen besteht trotzdem die Möglichkeit, einen peritonealen Lymphadenektomie (RLA) Frauen besonders prädestiniert, deren Orgasmus und damit verbundenen Sa- tritt bei 70 – 100% der Patienten ein Familienplanung zum Zeitpunkt des Ein- menerguß zu erleben. Da bei der Frau irreparabler Verlust der Ejakulations- griffs noch nicht abgeschlossen ist. die äußeren Geschlechtsorgane (insbe- fähigkeit ein. Die heute bekannten Me- Als Folge einer Strahlentherapie können sondere die Klitoris) und das untere Drit- tastasierungswege des Hodenkarzinoms Blasenentleerungsstörungen und Fistel- tel der Scheide auf Stimulation beson- erlauben es allerdings, statt einer radi- bildungen auftreten, die in vielen Fällen ders empfindsam reagieren, ist auch kalen beidseitigen Lymphadenektomie die Sexualität massiv einschränken. Bla- trotz einer Penisteilamputation des Part- eine einseitige ipsilaterale Sanierung sen-Scheiden-Fisteln oder Kloaken kön- ners eine befriedigende Sexualität bis vorzunehmen: Bei einer rechtsseitigen nen auch noch Jahre nach abgeschlos- zum Orgasmus möglich. Dissektion der Lymphknoten kann da- sener Behandlung entstehen. Ist der Vollzug eines Koitus nach totaler her der linksseitige Grenzstrang ge- Penisamputation nicht mehr möglich, schont werden und umgekehrt. Durch kann es für den Patienten hilfreich sein, diese modifizierte einseitige Lymph- Ovarialkarzinom den eigenen Körper neu zu „erforschen“ adenektomie kommt es noch bei 20 – und bisher vielleicht unbekannte ero- 40 % aller operierten Patienten zu einem Für die Entwicklung der sexuellen Ap- gene Zonen wie den Hodensack sowie Verlust der Ejakulationsfähigkeit (Doerr petenz sind auf hormoneller Ebene die die ihn umgebende Hautregion und den et al., 1993; Fossa et al., 1990; Jaeger & Androgene verantwortlich, die in der After zu entdecken, die sich zur sexuel- Hauri, 1988; Skinner, 1976). Durch in- Nebennierenrinde gebildet werden. Die len Stimulation eignen. traoperative Neurostimulation können 146 psychomed 12/3, 144 – 150 (2000)
Schwerpunkt diese Nervenfasern identifiziert und dar- tiv eingestellt sind; bei Gritz et al. (1989) zystitis, Strahlenproktitis, Harnretention gestellt werden. Dadurch ist heute in nehmen 42,8 % der Patienten dieses oder die Ausbildung eines penoskrota- etwa 95 – 100 % der Fälle ein Erhalt der Angebot in Anspruch. Dagegen finden len Ödems aus. Diese Nebenwirkungen antegraden Ejakulation möglich, ohne Erpenbach u. Freudenberg (1991) trotz bilden sich jedoch in der Regel zurück; daß die Radikalität der Tumorchirurgie vorheriger Information ihrer Hodentu- lediglich in etwa 4 – 7 % der Fälle muß beeinträchtigt wird (Donohue et al., morpatienten über die operativen Mög- mit einer Chronifizierung gerechnet wer- 1990; Fritz & Weissbach 1985; Fossa lichkeiten einer Prothesenimplantation den, die auch die Sexualität der Betroffe- et al., 1985; Hofmann et al., 1994). Al- nur bei 7,5 % eine Bereitschaft zum nen dauerhaft beeinträchtigt (schmerz- lerdings steht die Technik der „nerven- prothetischen Vorgehen. Nach ihren hafte Ejakulation usw.). Das Risiko einer schonenden“ modifizierten RLA bisher Aussagen waren für die Mehrzahl der Erektionsstörung steigt mit dem Alter, nicht in allen operativen Zentren zur Ver- Befragten die möglichen Risiken des Ein- der applizierten Strahlendosis und dem fügung. Nach Voroperationen können griffs (Entzündungen, Unverträglich- Tumorstadium und liegt je nach ver- aber atypische Lymphabflußwege be- keitsreaktionen, Abstoßungsreaktionen, wendeter Strahlentherapietechnik zwi- stehen, die eine erweiterte Lymphkno- Nachhärten der Prothese) für diese Ent- schen 14 und 50 %. tenentfernung notwendig machen. Erek- scheidung nicht maßgeblich. Es ist da- Ist beim fortgeschrittenen Prostatakarzi- tions- und Orgasmusfähigkeit werden her zu vermuten, daß andere Ursachen nom eine systemische Therapie erfor- durch den Eingriff in der Regel nicht be- wie die Konfrontation mit der Diagnose derlich, wird durch eine operative Ka- einträchtigt. Grundsätzlich sollten Pati- Krebs und die damit zusammenhän- stration oder die Gabe dazu geeigneter enten mit bestehendem oder in Zukunft genden Belastungen für die psychoso- Medikamente (z. B. LHRH-Analoga) ein zu erwartendem Kinderwunsch wegen zialen Probleme der Patienten verant- Androgenentzug durchgeführt. Dadurch der möglichen postoperativen Ejakula- wortlich sind. ist mit einem weitgehenden Verlust der tionsstörung auf die Möglichkeiten einer sexuellen Appetenz zu rechnen. In einer präoperativen Samenspende hingewie- Vergleichsuntersuchung von Lopau u. sen werden, deren Kosten allerdings von Verres (1995) zu den unterschiedlichen den Betroffenen selbst getragen werden Prostatakarzinom Wirkungen der subkapsulären Orchiek- müssen. tomie vs. LHRH-Agonisten-Depot-Im- Die perkutane Strahlentherapie der pa- Die Mehrheit der Patienten verliert nach plantat geben alle Patienten in beiden raaortalen und parakavalen Lymphkno- der radikalen Prostatektomie die Fähig- Gruppen nach einem Zeitraum von 6 tenstationen und ggf. der gleichseitigen keit zur Erektion und zum Orgasmus. Bei Monaten ihre sexuellen Beziehungen iliakalen Lymphknoten bei Seminomen einem Teil der Patienten (10 – 15 %) vollkommen auf. Während vor Behand- führt dosisabhängig zu einer dauerhaf- kehrt die Erektionsfähigkeit durch die lungsbeginn die Hälfte der 60 Befragten ten Azoospermie, wenn der gesunde Regeneration von Nervenfasern des N. angab, hin und wieder den Wunsch Hoden nicht ausreichend abgeschirmt cavernosus in einem Zeitraum zwischen nach geschlechtlichem Kontakt zu ha- wird (Hodenschutzkapsel). 6 und 18 Monaten zurück. Um diese ben, äußerten 6 Monate nach Therapie- Die durch die Chemotherapie verur- spontane Regeneration zu unterstützen, beginn drei Viertel aller Patienten diesen sachten Schäden am Keimepithel gelten scheint eine frühe Behandlung mit der Wunsch nicht mehr. Die möglichen Be- in Abhängigkeit von Intensität und Do- Schwellkörper-Autoinjektionstherapie handlungsalternativen sollten mit den sis als reversibel. Die zu beobachtende (SKAT) sinnvoll. Das nervenschonende Betroffenen unter Nennung aller Vor- Azoospermie ist von den jeweils ange- Operationsverfahren nach Walsh (1984) und Nachteile ausführlich besprochen wandten Zytostatika, der Anzahl der vermindert das Risiko einer postopera- werden, um ihnen eine eigene Entschei- Zyklen, der kumulativen Gesamtdosis tiv auftretenden Erektionsstörung, trotz- dung zu ermöglichen. sowie dem Ausmaß der prätherapeu- dem bleibt ein im Einzelfall nur schwer Das Auftreten von Hitzewallungen ist bei tischen Fertilitätsminderung abhängig. abschätzbares Risiko bestehen. Bisher bis zu 80 % der Patienten eine häufige Eine Regeneration der Gonadenfunktio- dazu veröffentlichte Untersuchungen unerwünschte Begleiterscheinung der nen ist bei etwa 50 – 70 % der Patienten geben unterschiedliche Wahrschein- endokrinen Therapie, die das Allge- in einem Zeitraum zwischen einem und lichkeiten zwischen 28 und 89 % an. Ein meinbefinden zusätzlich erheblich be- fünf Jahren zu erwarten. Eine kumula- Teil der Patienten ist jedoch dazu in der einträchtigen kann. Die Symptome tre- tive Cisplatindosis von > 600 mg/m 2 hat Lage, bei entsprechender Stimulation ten Tage oder auch Monate nach Beginn eine bleibende Oligozoospermie bzw. trotz der radikalen Entfernung aller ak- der Hormonablation auf und persistie- Azoospermie zur Folge (Peterson et al., zessorischen Geschlechtsdrüsen einen ren bei fast der Hälfte der Betroffenen 1994). Orgasmus ohne Ejakulation zu erleben über Jahre. Sie werden von den Patienten Einige Autoren empfehlen zur Präven- („trockener Orgasmus“). Auch wenn kein als unterschiedlich störend erlebt; inwie- tion späterer Belastungsreaktionen die Eindringen in die Vagina mehr möglich weit durch diese unerwünschten Begleit- Einlage einer Hodenprothese. Klippel u. sein sollte, kann also z. B. durch Strei- erscheinungen auch die Sexualität be- Weißbach (1976) beschreiben, daß 17 % cheln des Gliedes ein Orgasmus herbei- einträchtigt wird, ist nicht gesichert. ihrer Patienten sich durch die Resektion geführt werden. Im Zusammenhang mit der radikalen des tumortragenden Hodens deutlich Die Strahlentherapie löst in Abhängig- Prostatektomie muß auch die Möglich- beeinträchtigt fühlen und 56,2 % einer keit von der Dosis in ca 30 – 50 % der keit einer Inkontinenz berücksichtigt Prothesenimplantation gegenüber posi- Fälle Nebenwirkungen wie Strahlen- werden. Die Häufigkeitsangaben schwan- psychomed 12/3, 144 – 150 (2000) 147
Schwerpunkt ken zwischen 3,6 und 16 %. In den bis- Appetenz wird durch das operative Vor- 28,9 % von 208 Stomaträgerinnen über herigen Studien zur Lebensqualität wur- gehen nicht direkt beeinflußt, Appe- Einschränkungen ihrer Sexualität. Das den allerdings die Auswirkungen des tenzstörungen sind daher meist psycho- Sexualleben wurde im Vergleich zum therapeutischen Vorgehens auf die Po- gen verursacht. präoperativen Erleben in 69,5 % als un- tenz und Kontinenz getrennt erfragt. Da- Bei Männern und Frauen können zu- zufriedenstellend empfunden. bei ergab sich bei einigen Studien ein sätzlich Schmerzen durch die Durch- Eine optimale Anleitung, Versorgung größeres Maß der subjektiven Beein- trennung der Nervenbahnen ausgelöst und Betreuung durch einen Stoma- trächtigung durch eine bestehende In- werden, die den Mastdarm und die Anal- therapeuten erleichtert es, sich mit der kontinenz – speziell in den Fällen, in de- region versorgen. Einige Patienten be- neuen Lebenssituation auseinanderzu- nen die Patienten auf das Tragen einer richten über das irritierende Gefühl, der setzen. Die sorgfältige Anleitung zur Vorlage angewiesen waren – als durch natürliche Darmausgang sei noch vor- Selbstversorgung ermöglicht ein schritt- die sexuelle Störung (z. B. Fowler et al., handen, andere leiden unter Schmerzen weises Sich-Herantasten an den durch 1995). Beides steht jedoch in einem wie bei einem Schließmuskelkrampf, die Operation veränderten Körper und unmittelbaren Zusammenhang: Es löst krampfartigem Stuhldrang sowie Paräs- seine Ausscheidungsfunktionen. Leider intensive Scham aus, „wie ein Kind Win- thesien oder neuralgiformen Schmerz- verfügen auch heute noch zu wenige deln tragen zu müssen“. Die Männer empfindungen, die u. a. durch sexuelle Akut- und Nachsorgekliniken über qua- fühlen sich deshalb häufig sexuell we- Handlungen ausgelöst oder intensiviert lifiziert ausgebildete Stomatherapeuten, nig begehrenswert und meiden schon werden können. so daß Patienten nach „erfolgreicher“ aus diesem Grund jeglichen intimen Während das operative Vorgehen bei der Stomaanlage teilweise immer noch Kontakt mit ihrer Partnerin. Häufig ist die Anlage eines vorübergehenden oder unzureichend vorbereitet nach Hause Inkontinenz wesentlich ausgeprägter, als dauerhaften Ileo- oder Kolostomas für entlassen und damit ihrem Schicksal es sich die Patienten nach dem präope- viele Chirurgen zum alltäglichen Hand- überlassen werden. Die Selbsthilfeorga- rativen Aufklärungsgespräch vorgestellt werk zählt, bedeutet dies für die Betrof- nisation Deutsche Ileostomie-, Colo- hatten. fenen einen tiefgreifenden Einschnitt in stomie- und Urostomievereinigung e.V. ihr bisher geführtes Leben. Gerade in un- (ILCO) mit etwa 250 regionalen Gruppen serer westlichen Kultur hat die Rein- im gesamten Bundesgebiet bietet einen lichkeitserziehung einen hohen Stellen- von ehrenamtlichen Mitgliedern getra- Kolorektales Karzinom wert; der Verlust der Sphinkterkontrolle genen Krankenhausbesuchsdienst an, ist daher für viele Menschen mit Scham- der ebenfalls zur Unterstützung Betroffe- Nach radikaler Rektumamputation mit gefühlen, Schmutz- und Geruchsäng- ner herangezogen werden kann. Entfernung des umliegenden lymphati- sten sowie der Furcht vor sozialer Aus- In dazu geeigneten Fällen (s. Delbrück, schen Gewebes und Kolostomaanlage grenzung verbunden. Viele fühlen sich 1997) sollten Patienten mit einem Des- kommt es zu besonderen Problemen, die nicht mehr „salonfähig“ und ziehen sich zendostoma auf die Möglichkeit der unter dem Sammelbegriff „Postproktek- sozial zurück. Eine Befragung von Irrigation hingewiesen werden. Durch tomiesyndrom“ zusammengefaßt wer- Köhler et al. (1989) ergibt folgende Be- eine regelmäßige Darmspülung mit den (Delbrück, 1996). Bei Frauen kann funde: Von den 128 Kolostomaträgern Wasser bleibt der Stomaträger 24 – 48 es postoperativ zu einer Verlagerung der ist für 31 % ihr Selbstbild durch den Stunden lang ausscheidungsfrei und inneren Genitalorgane in die Wund- Darmausgang gestört, für 27 % stellt das benötigt keine Beutelversorgung. Das höhle kommen, die langandauernde Be- Stoma einen Makel dar, 8 % ekeln sich Erlernen dieser Technik sollte unter An- schwerden auslöst. Der Koitus wird dann vor ihrem Stoma (durchschnittlicher leitung eines erfahrenen Arztes, einer wegen der fehlenden „Kissenfunktion“ Zeitraum der Befragung nach der Ope- Krankenpflegekraft oder eines Stoma- des Rektums als unangenehm schmerz- ration ca. 7 Jahre). Aufgrund des Stomas therapeuten erfolgen. haft erlebt. Ein Stellungswechsel, bei sind 48 % traurig oder verzweifelt. Fast dem die Frau während des Verkehrs auf ein Viertel der Stomaträger gibt an, daß ihrem Partner sitzt, kann diese Be- die Partnerschaft durch das Stoma ne- schwerden vermindern, da sie dadurch gativ beeinflußt sei. Mehr als die Hälfte Hormonelle und den Winkel, die Eindringtiefe und die der Stomaträger ist sexuell nicht mehr reproduktive Störungen Heftigkeit der Bewegungen besser kon- aktiv, wobei als Ursache in 38 % der trollieren kann. Einige Frauen berichten Fälle ein fehlender Partner, in 3 % das nach Chemotherapie über Orgasmusstörungen nach dem Ein- Alter, in 40 % eine postoperativ auf- griff. Vaginalfisteln und -hernien können getretene Erektionsstörung und in 19 % Zytostatika beeinträchtigen nicht nur die Situation weiter erschweren. das Stoma angegeben werden. Das Se- akut durch Nebenwirkungen wie Übel- Bei Männern sind Erektions- und Ejaku- xualleben wird nach eigenen Anga- keit, Brechreiz, Mattigkeit, Haut- und lationsstörungen bis zu einem gewissen ben durch das Stoma bei 55 % der Schleimhautreaktionen usw. das All- Grad unvermeidlich, ebenso Läsionen Betroffenen negativ beeinflußt. In einer gemeinbefinden und dadurch auch die von Samenleitern und -blasen. Für die Untersuchung von Künsebeck (1990) Sexualität. Mit zunehmenden Erfolgen Rektumexstirpation wird die Häufigkeit zur Lebensqualität von Kolostoma-, Uro- der Chemotherapie, v. a. bei Neoplasien operationsbedingter sexueller Dysfunk- stoma- und Ileostomaträgern berichteten des jugendlichen Alters, stellt sich auch tionen mit etwa 40 % angegeben. Die 62 % von 213 befragten Männern sowie die Frage nach den Folgen der thera- 148 psychomed 12/3, 144 – 150 (2000)
Schwerpunkt peutischen Maßnahmen für die Fertilität. oder sogar mit Erleichterung: „Endlich ses Selbstbild bedroht; durch die sexu- Die Applikation von Zytostatika wirkt habe ich einen Grund, um mich den elle Störung kam es dann zu einem Zu- sich auf das endokrine und das repro- Wünschen und Anforderungen meines sammenbruch des Selbstideals und dem duktive Zellsystem aus. Zytostatikabe- Partners entziehen zu können“ (Äuße- Durchbruch der Angst, jetzt nicht mehr dingte Schädigungen der Leydig-Zellen rung einer Patientin im Gespräch mit liebenswert zu sein. des Mannes bzw. der Granulosa- und ihrem Hausarzt). Die eigenen lebens- Thekazellen der Frau führen zu einem geschichtlichen Erfahrungen spielen da- Das Beispiel beleuchtet auch den Zu- Testosteronmangel bzw. einem Östra- bei eine wichtige Rolle: Menschen, die sammenhang zwischen sexuellen Stö- diolmangel. Die Störung der Gonaden- in jüngeren Jahren Freude an sexueller rungen und dem Selbstwerterleben: Für funktionen ist für mehrere Zytostatika be- Aktivität fanden, versuchen in einer sol- Frauen und mehr noch für Männer ist kannt; dabei besitzen die alkylierenden chen Situation eher, neue Formen von eine „intakte“ Sexualität eine wichtige Substanzen die stärkste fertilitätsschädi- Zärtlichkeit und Körperkontakt zu ent- Voraussetzung eines positiven Selbst- gende Potenz. Bei Männern wird durch wickeln. Andere, die ihr Leben lang wertgefühls. Frauen mit Orgasmus- die Zytostatika die Spermatogenese be- unter sexuellen Schuldgefühlen („Se- störungen erleben sich häufig als nicht einträchtigt; daraus resultiert in Ab- xualität ist etwas Schmutziges“), einer vollwertige Frauen. Männer mit sexuel- hängigkeit von den angewandten Sub- Abneigung gegen Sexualität oder Ge- len Problemen, insbesondere Erektions- stanzen, ihrer Dosis und der Anzahl der walterfahrungen gelitten haben, sind störungen, fühlen sich oftmals ganz Zyklen eine vorübergehende oder dau- eher froh, daß sie das Kapitel Sexualität allgemein ihrer Potenz beraubt. Dies erhafte Infertilität. Die Auswirkungen für sich abschließen können. Es können kommt auch in der Sprache zum Aus- einer Chemotherapie auf die Keimzel- auch frühere Konflikte reaktualisiert wer- druck, wenn von einem „Schlapp- len des Ovars der Frauen führen entwe- den und das gegenwärtige Erleben be- schwanz“ gesprochen wird. „Der Mann der zu dem Syndrom einer vorzeitigen stimmen, wie es die folgende Kasuistik hat keine Erektionsstörung, er ist im- Perimenopause mit reversibler Schädi- verdeutlicht: potent“ (Langer u. Hartmann 1992, S. 7). gung, das mehrere Monate oder auch Der Wunsch, wieder potent zu sein, läßt Jahre andauern kann, oder zu einer vor- Ein 69jähriger Patient wird ein Jahr nach dabei oft nach jedem Mittel greifen, das zeitigen Menopause mit dauerhafter radikaler Prostatektomie zu einem Heil- schnelle Abhilfe gegen die Störung ver- Infertilität. Da die Theka- und Granu- verfahren überwiesen. Im Aufnahme- spricht. losazellen ebenfalls betroffen werden, gespräch mit dem Stationsarzt deutet Sexuelle Störungen werden bisher in der kommt es außerdem zu einem Abfall er massive Konflikte mit seiner Ehe- Onkologie eher mit Stillschweigen „be- der Östrogenproduktion mit einer pa- frau an, mit der er zu diesem Zeit- handelt“, obwohl diese für die Betroffe- thologischen Erhöhung des FSH- und punkt bereits 42 Jahre verheiratet war. nen und deren Partner eine erhebliche LH-Spiegels. Die hormonelle Verschie- Es wird schnell deutlich, daß die Aus- Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität bung verursacht u. a. Symptome wie einandersetzungen nach dem opera- bedeuten können. Eine Befragung von Schweißausbrüche, Blutdruckschwan- tiven Eingriff begannen. Durch die Vincent et al. (1975) zeigt am Beispiel kungen und verminderte Lubrikation. Erektionsstörung fühle er sich nicht mehr des Zervixkarzinoms, daß 80 % der be- Die beschriebenen Effekte sind al- als „richtiger Mann“, da er seiner Frau fragten Frauen ausdrücklich mehr Infor- tersabhängig; bei Patientinnen unter 25 sexuell „nichts mehr bieten“ könne. mationen zu möglichen Auswirkungen Jahren wird eine Reversibilität deutlich Außerdem sei ihm öfter zum Weinen von Erkrankung und Behandlung auf häufiger beobachtet (Bokemeyer et al., zumute, was er früher bei sich gar nicht ihre Sexualität wünschen. Gemäß einer 1996). – gekannt habe. Befragung von Walcher et al. (1988) ha- Zu den bisher veröffentlichten Untersu- In weiteren Gesprächen werden die Ur- ben aber nur 20 % der Patientinnen im chungen über die möglichen Folgen ei- sachen greifbar. Der Patient wuchs als Zustand nach Zervixkarzinom ihren Arzt ner Krebserkrankung für die Sexualität Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf, von sich aus auf postoperativ aufgetre- ist kritisch anzumerken, daß die sexuel- deren Ehemann sich bereits während tene sexuelle Probleme angesprochen. len Funktionen im Zentrum des wissen- der Schwangerschaft von ihr getrennt Die Mehrzahl der Patienten wartet also schaftlichen Interesses standen. Über die hatte. Da der Vater des Patienten auch darauf, daß der Arzt nach möglichen subjektiven Auswirkungen auf das se- kaum Unterhaltszahlungen leistete, sexuellen Problemen fragt und damit xuelle Erleben oder die Einflüsse auf die mußte die Mutter einer Berufstätigkeit einen Weg für den Einstieg in die The- Partnerschaft liegen dagegen deutlich nachgehen, um sich und ihren Sohn ver- matik bahnt. Der Partner sollte dabei so weniger Befunde vor. sorgen zu können. Er mußte deshalb frühzeitig wie möglich mit einbezogen Die unterschiedliche Bedeutung und früh auf die Erfüllung kindlicher Be- werden. das individuelle Erleben der eigenen Se- dürfnisse verzichten und im Haushalt Die häufig unzureichende Beratung xualität sind dafür verantwortlich, daß mithelfen. Er wurde von seiner Mutter bei sexuellen Problemen berührt ein Patienten in ganz verschiedener Weise vor allem für Leistungen belohnt – eine grundsätzliches Defizit, nämlich die psy- auf krankheitsbedingte Einschränkun- Einstellung, die der Patient verinner- chosoziale Betreuung Krebskranker in gen ihrer Sexualität reagieren. Während lichte und die damit ein Teil seines Fragen ihrer alltäglichen Lebensführung der eine unter seiner sexuellen Beein- Selbstbildes wurde: „Ich werde für mei- und der Bewältigung krankheits- und trächtigung in hohem Maß leidet, erlebt ne Leistungen und Fähigkeiten geliebt.“ therapiebedingter Einschränkungen. sie ein anderer eher mit Gleichgültigkeit Bereits durch die Berentung wurde die- Laut einer Befragung von 200 Mamma- psychomed 12/3, 144 – 150 (2000) 149
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