Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...

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Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
LVR-Dezernat Klinikverbund
                                          und Verbund
                                          Heilpädagogischer Hilfen

   Wohnraum, Tagesstruktur,
           Integration
 - auch für Drogenabhängige?!
               Suchtkrankheit und Armut
Eine Kooperationsveranstaltung von

• Fachverband Qualifizierte stationäre

                       Titelseite
	Akutbehandlung Drogenabhängiger e. V.

• LVR-Koordinationsstelle Sucht

Dokumentation der Fachtagung
am 16. Januar 2019
in Köln-Deutz
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Wohnraum, Tagesstruktur,
      Integration
           -
auch für Drogenabhängige?!

     Dokumentation der Fachtagung
         am 16. Januar 2019
           in Köln-Deutz
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Impressum

Herausgeber:			Landschaftsverband Rheinland
				                      LVR-Dezernat Klinikverbund und Verbund Heilpädagogischer Hilfen
				                      LVR-Fachbereich Planung, Qualitäts- und Innovationsmanagement
				Koordinationsstelle Sucht
				50663 Köln
				www.lvr.de

Redaktion und Layout:		   Daniela Geiß, Gerda Schmieder, Guido Gierling

Druck:				                LVR-Druckerei, Inklusionsabteilung, Tel 0221 809-2418

Köln, im Januar 2020

1. Auflage: 1-500
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Inhalt
Begrüßung                                                                                                                 5
Friedhelm Kitzig

Ohne Wohnung auf der Suche nach Wohnraum -                                                                                    9
Empfehlungen der BAG Wohnungslosenhilfe
Werena Rosenke

Problemlagen wohnungsloser Menschen in NRW -                                                                              25
Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“
Gabriele Schmidt

Erfahrungen und Fragen aus der klinischen Praxis                                                                          33
Dr. med. Thomas Kuhlmann

Arbeitsgruppe 1                                                                                                           41
Niedrigschwellige Hilfen und Qualifizierte Akutbehandlung
Claudia Holzknecht und Udo Horwat

Arbeitsgruppe 2                                                                                                           43
Ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen und Qualifizierte Akutbehandlung
Dr. Antje Niedersteberg und Dominik Neugebauer

Arbeitsgruppe 3                                                                                                           49
Medizinische Rehabilitation und Qualifizierte Akutbehandlung
Dr. Georg Merker und Renate Steinert

Plenum - Diskussion der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen                                                                 51
Dr. med. Thomas Kuhlmann

Referent*innen1                                                                                                           52

1   Definition: Mit der Verwendung des Gender*Stern, bei der zwischen dem Wortstamm und der weiblichen Endung ein „*“
    eingefügt wird, möchten wir auf alle Menschen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit hinweisen und neben Frauen und
    Männern ausdrücklich all diejenigen einbeziehen und ansprechen, die sich nicht in die Geschlechterkategorien „weiblich“
    und „männlich“ einordnen können oder möchten.

                                                Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!             3
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Friedhelm Kitzig

Begrüßung

                                                                                          Friedhelm Kitzig

Guten Morgen meine Damen und Herren,                  sein einer eigenen, ausreichend großen, sicheren
                                                      und warmen Wohnung hat. Es ist nicht einfach
wieder einmal darf ich als Gastgeber und Mit-
                                                      nur ein Verlassen und Wiederkehren an einen Ort,
veranstalter Sie ganz herzlich zur nunmehr 9.
                                                      der einem vertraut ist. Die Publikation „Zur Ge-
Kooperationsveranstaltung des Fachverbandes
                                                      schichte des Wohnens“ liefert folgende Charak-
Qualifizierte stationäre Akutbehandlung Dro-
                                                      terisierung:
genabhängiger und der LVR-Koordinationsstelle
Sucht hier in Köln begrüßen.                          „Als dritte Haut werden die eigenen vier Wände
                                                      oft liebevoll betitelt. Die menschliche Behausung,
Im Kreis der Veranstalter fehlen in diesem Jahr
                                                      sie ist weit mehr als ein Schutz vor der Witterung.
die Suchtreferent*innen der Freien Wohlfahrts-
                                                      Sie schenkt ein Gefühl von Geborgenheit, erfüllt
pflege; personelle Veränderungen innerhalb der
                                                      den Geschmack der Bewohner, offenbart manch-
Freien Wohlfahrtspflege führten dazu, dass der
                                                      mal Träume und Sehnsüchte, dient Repräsenta-
nahtlose Anschluss an die Tradition dieser Ver-
                                                      tionsabsichten, und sie wirkt zurück auf das Le-
anstaltungsreihe - an die über Jahre gewachsene
                                                      bensgefühl, heute wie gestern“ (Zur Geschichte
Kooperation - zu unserem Bedauern noch nicht
                                                      des Wohnens/Monumente online 2005).
gelungen ist.
                                                      In seinem Buch „Die dritte Haut – Psychoanalyse
Von daher zeichnen dieses Jahr die beiden oben        des Wohnens“ äußert sich Dieter Funke dahin-
genannten Kooperationspartner allein verant-          gehend, dass die Metapher von der dritten Haut
wortlich für die heutige Tagung. Ich begrüße          auf ein körpernahes Verständnis des Wohnens
daher herzlich Herrn Dr. Thomas Kuhlmann              hinweise. Die erste Haut erweitert sich mit der
als Vorsitzender des Fachverbandes und Frau           Kleidung - unserer zweiten Haut - zu Wänden,
Gerda Schmieder von der LVR-Koordinationsstel-        Decken und Böden in einen Raum der Kultur.
le Sucht.                                             Baustile, Häuser, Wohnungen dienen dem Aus-
Begrüßen möchte ich ebenfalls herzlich die Lei-       druck unserer psychischen Grundbedürfnisse:
terin der Abteilung AIDS, Sucht und Drogen des        „Die Art des Wohnens beeinflusst unser seeli-
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales      sches Wohlbefinden, das wir durch Öffnen und
des Landes NRW, Frau Dr. Sandra Dybowski.             Schließen, Weggehen und Wiederkommen, Sam-
Besonders freuen wir uns über das Interesse           meln und Entrümpeln regulieren“.
der politischen Vertretung des Landschaftsver-        Damit verweist der Autor auf die Wechselwirkung
bandes Rheinland und deshalb möchte ich Frau          der äußeren Räume und Grenzen mit den inneren
Helga Loepp, Herrn Willi Bündgens und Herrn Dr.       Räumen und Grenzen, mit der Notwendigkeit und
Martin Schoser als Mitglieder der Landschafts-        den Möglichkeiten, solche zu bilden. Und dort, wo
versammlung willkommen heißen.                        die Möglichkeiten nicht gegeben sind, droht die
                                                      äußere wie innere Entgrenzung mit all ihren Fol-
Meine Damen und Herren,
                                                      gen.
Sie und ich - wir haben heute Morgen alle unsere
                                                      Wie leben Menschen, die keine Wohnung haben?
Wohnung verlassen und uns auf den Weg hierher
                                                      Wie ist ihre Lebenssituation?
gemacht - eine Handlung von unhinterfragter
Selbstverständlichkeit, wahrscheinlich ohne Ge-       Wohnungslosigkeit ist nicht dasselbe wie Obdach-
danken darüber, welchen Wert das Vorhanden-           losigkeit: Wohnungslos zu sein bedeutet nicht

                                      Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   5
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Friedhelm Kitzig

zwingend, auf der Straße – auf der Platte – zu               ohne Möglichkeiten, sich äußere Räume anzueig-
leben, sondern keinen vertraglich abgesicherten              nen, um innere Räume und Grenzen überhaupt zu
Wohnraum zu haben.                                           bilden. Unter solch entgrenzten Lebensbedingun-
                                                             gen wird der Drogenkonsum Bestandteil eines
Aus dem Wohnungsnotfall-Bericht des Sozialmi-
                                                             ziellosen Kampfes ums Überleben wie die tägli-
nisteriums NRW (Nordrhein-Westfalen ist bisher
                                                             che Sorge um Wärme, Nahrung und Sicherheit.
das einzige Land in der Bundesrepublik, das re-
                                                             Wie soll hier eine Auseinandersetzung mit dem
gelmäßig eigene Zahlen zur Wohnungslosigkeit
                                                             eigenen Drogenkonsum gelingen? Und wozu? Mit
erhebt) geht hervor, dass 32.300 Menschen in
                                                             welchem Ziel, wenn der Kreislauf des Überlebens
NRW zum Stichtag 30. Juni 2017 wohnungslos ge-
                                                             ohne sichere Räume und Grenzen sich selbst ver-
meldet waren, dies bedeutet ein nahezu 30%iger
                                                             stetigt?
Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Besonders tra-
gisch in meinen Augen ist dabei, dass jeder siebte           Wohnungslosigkeit, Obdachlosigkeit, zunehmen-
wohnungslose Mensch minderjährig ist.                        de Wohnraumprobleme haben also Folgen auf die
                                                             Möglichkeiten einer Lebensgestaltung, Gestal-
Der 1. systematischen Lebenslagenuntersu-
                                                             tung eines Tagesablaufs, auf das Vorhandensein
chung wohnungsloser Menschen – einer Studie
                                                             einer noch einigermaßen sinnvoll erlebten Ta-
der Alice Salomol Hochschule Berlin (ASH) in
                                                             gesstruktur und auf die Chancen eines Mindest-
Kooperation mit dem Evangelischen Bundes-
                                                             maßes an sozialer Teilhabe, was alles eine Vor-
fachverband Existenzsicherung und Teilhabe e. V.
                                                             aussetzung ist für eine Alternative zur haltlosen
(EBET) e. V. – von September 2018 ist zu entneh-
                                                             vereinzelten Bindung an die Szene.
men, dass von 1135 befragten Wohnungslosen
14% auf der Straße leben, in Zelten oder Abriss-             Bereits im Jahr 2000 hat genau hier in diesem
häusern.                                                     Raum auf Wunsch der politischen Gremien des
                                                             Landschaftsverbandes Rheinland schon einmal
12% übernachten in Notunterkünften, die mor-
                                                             eine Veranstaltung stattgefunden, die sich dem
gens verlassen werden müssen. Die übrigen fin-
                                                             Thema „Suchtkrank und Wohnungslos – Sucht-
den ein Obdach bei Freunden, Bekannten oder
                                                             krankenhilfe und Wohnungslosenhilfe im Dialog“
leben in einer Pension oder einem Wohnheim.
                                                             widmete. Ich zitiere aus der Eröffnungsrede – ge-
Der genannten Studie ist zu entnehmen, dass                  halten vom damaligen LVR-Dezernenten Rainer
fast 20% der auf der Straße Lebenden in einer                Kukla:
sehr schlechten Lebenslage sind, 55% in einer
                                                             „Es wird einem (…) schlagartig klar, dass es in-
schlechten. In Wohnheimen sind es 15% und
                                                             nerhalb unserer Gesellschaft eine Gruppe von
6% in Betreuten Wohngemeinschaften, die sich in
                                                             Menschen gibt, bei der weder die existentielle
einer sehr schlechten oder schlechten Lebensla-
                                                             noch die gesundheitliche Grundsicherung ge-
ge befinden.
                                                             währleistet ist. Viele Betroffene sind dabei - auch
Die Wohnsituation, der Zugang zu medizinischer               - suchtkrank. Mit diesem Elend darf sich die Ge-
Versorgung und das Gefühl von Sicherheit als we-             sellschaft nicht einfach abfinden.“
sentliche Faktoren der existentiellen Sicherheit
                                                             In den LVR-Kliniken, die damals noch Rheinische
sind entscheidend für die gesamte Lebenslage
                                                             Kliniken hießen, mussten viele der Patient*innen
von Wohnungslosen:
                                                             nach erfolgreicher Behandlung auf den Suchtsta-
Menschen können sich erst Gedanken über ihr                  tionen mangels angemessener Alternativen in ein
Leben machen, wenn sie eine sichere Wohnung                  ungesichertes Leben auf der Straße entlassen
haben, eine sichere Basis, die alleine vielleicht            werden.
eine nicht hinreichende Bedingung, aber eine
                                                             Ungeklärte Zuständigkeiten, mangelnde Kontak-
grundlegende Notwendigkeit als Ausgangsbasis
                                                             te und fehlende Kooperationsstrukturen galten
für die Vorstellung einer eigenen Zukunft und für
                                                             als Hauptursache für dieses Dilemma.
zukunftsorientiertes Handeln ist. Wer auf der
Straße lebt, lebt in einem grenzenlosen Zeitstrom

 6    Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Friedhelm Kitzig

Vieles hat sich seitdem verbessert, Hilfen sind             ben, um uns mit Ihrem Beitrag die Sicht und
vernetzt, Kooperationsvereinbarungen sind abge-             die Position und die Forderungen der BAG
schlossen, Unterstützungsangebote wurden auf-               Wohnungslosenhilfe darzulegen.
gebaut und weiterentwickelt.                           ■■   Frau Gabriele Schmidt vom Ministerium für
Und dennoch stehen wir fast 20 Jahre später                 Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW/ Refe-
wieder hier und sehen uns einer eher noch ver-              rat Grundsatzfragen Soziales, Sozialplanung
schärften Situation gegenüber.                              und -berichterstattung, Wohnungslosigkeit,
                                                            Armutsbekämpfung sei an dieser Stelle auch
Gibt es denn Ansätze, diesen Kreislauf zu durch-
                                                            schon herzlich willkommen geheißen, auch
brechen?
                                                            wenn Sie erst am Nachmittag zu uns stoßen
Zunehmender Wohnungslosigkeit soll der relativ              wird. Von ihr werden wir einen Bericht zum
neue vielversprechende Ansatz des Housing First             Thema „Wohnungslosenhilfe in schwierigen
entgegenwirken. Dieser Ansatz basiert darauf,               Zeiten“ hören.
dass obdachlose Menschen vor allem anderen             ■■   Herr Dr. med. Thomas Kuhlmann übernimmt
eine stabile Unterkunft brauchen und erst dann              nicht nur die Tagungsmoderation, sondern
mit kontinuierlich angebotenen Unterstützungs-              wird uns als Chefarzt der Psychosomatischen
leistungen andere Problemlagen und Angelegen-               Klinik Bergisch Gladbach - wie es gute Tradi-
heiten angegangen werden sollten und können.                tion ist - wieder an seinen Erfahrungen aus
Housing First wird in USA und einigen europäi-              dem Klinikalltag teilhaben lassen.
schen Ländern erfolgreich vor allem bei Langzeit-      Und es ist auch gute Tradition, dass Sie alle Ge-
arbeitslosen mit komplexen Lebenslagen einge-          legenheit haben, sich in Arbeitsgruppen intensiv
setzt und findet mittlerweile auch in Deutschland      über Ihre Praxis, Ihre Probleme und Ihre Erfah-
zunehmend in Bereich der Suchtkrankenhilfe und         rungen auszutauschen.
der Hilfen für Wohnungslose Anwendung.
                                                       Die Arbeitsgruppen werden unterstützt von
Das wäre vielleicht ein Ansatz. Reicht das? Haben
                                                       ■■   Frau Claudia Holzknecht vom LWL-Rehabili-
wir die Lösung?
                                                            tationszentrum Ruhrgebiet in Dortmund
Meine Damen und Herren,                                ■■   Herrn Udo Horwat vom Diakoniewerk Duis-
wie kann dem Dilemma von einer wachsenden                   burg GmbH
Anzahl wohnungs- und/oder obdachloser Men-             ■■   Frau Dr. Antje Niedersteberg von der LVR-
schen bei gleichzeitig wachsendem Mangel an                 Klinik Düren
bezahlbarem Wohnraum entgegengetreten wer-
                                                       ■■   Herrn Dominik Neugebauer von der Jugend-
den?
                                                            und Drogenberatungsstelle des Caritas-
Welche Hilfen helfen?                                       verbandes Paderborn
Wir möchten die heutige Veranstaltung dazu nut-        ■■   Frau Renate Steinert von der LWL-Klinik
zen, diese und weitere Aspekte und Fragestellun-            Münster
gen gemeinsam mit Ihnen und unseren heutigen           ■■   Herrn Dr. Georg Merker von der Fachklinik
Referent*innen zu diskutieren und Handlungs-                Meckenheim
möglichkeiten zur Abhilfe auszuloten.                  Ihnen allen unser Dank und ein herzliches Will-
Werfen wir also einen Blick in das Tagungspro-         kommen!
gramm und ich begrüße herzlich:
                                                       Und Ihnen wünsche ich nicht nur für heute eine
■■   Frau Werena Rosenke ist Geschäftsführerin         erkenntnisreiche Tagung, sondern trotz aller
     der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungs-           Belastungen, die Ihr Arbeitsfeld mit sich bringt,
     losenhilfe e.V. – herzlichen Dank, dass Sie       Freude am Engagement und Kraft für Ihre
     den Weg von Berlin auf sich genommen ha-          schwierige Aufgabe!

                                       Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   7
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?! - auch für ...
Werena Rosenke

Ohne Wohnung auf der Suche nach Wohnraum -
Empfehlungen der BAG Wohnungslosenhilfe

                                                                                                                                  Werena Rosenke

                                                     Ca. 193.000 (70%) der wohnungslosen Men-
                                                     schen sind alleinstehend, 82.000 (30%) leben
                                                     mit Partner*innen und/oder Kindern zusammen.
                                                     Die BAG W schätzt die Zahl der Kinder und min-
                                                     derjährigen Jugendlichen auf 8% (22.000), die
                                                     der Erwachsenen auf 92% (253.000). Der Anteil
                                                     der erwachsenen Männer liegt bei 73% (185.000);
                                                     der Frauenanteil liegt bei 27% (68.000) und ist
                                                     seit 2011 um 3% gestiegen. (Alle Angaben je-
                                                     weils ohne Berücksichtigung der wohnungslosen
                                                     Flüchtlinge.)

Nach Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft         Ca. 15% der Wohnungslosen (ohne Einbe-
Wohnungslosenhilfe (BAG W) steigt die Zahl der       zug der wohnungslosen Flüchtlinge) sind EU-
wohnungslosen Menschen in Deutschland seit           Bürger*innen; das sind ca. 40.000 Menschen.
2009. In der Zahl von 650.000 sind 375.000 Ge-       Viele dieser Menschen leben ohne jede Unter-
flüchtete ohne eigene Wohnung erhalten.              kunft auf der Straße. Vor allem in den Metropo-
                                                     len beträgt ihr Anteil an den Personen ohne jede
Struktur der Wohnungslosigkeit
                                                     Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50%. Wenn
Die folgenden Zahlen zur Struktur der Woh-
                                                     also die „Straßenobdachlosigkeit“ stark durch
nungslosigkeit berücksichtigen nicht die woh-
                                                     die EU-Binnenzuwanderung geprägt wird, trifft
nungslosen Flüchtlinge, da für diese Gruppe der
                                                     dies für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht
Wohnungslosen keine entsprechenden soziode-
                                                     zu. Gleichwohl hat in den letzten Jahren die Woh-
mografischen Daten verfügbar sind:
                                                     nungslosigkeit von Menschen aus anderen EU-
Ca. 48.000 Menschen leben ohne jede Unterkunft       Staaten und sogenannten „Drittstaaten“ deutlich
auf der Straße.                                      zugenommen.

                                                        Bestand belegungsgebundener
                                                        Sozialwohnungen in Deutschland
                                                         Ausgrenzung aus

                                                           Eigene Berechnung auf Grundlage von Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE
                                                           (Bundestagsdrucksache 18/885511)

                                                                                                       BAG Wohnungslosenhilfe                                                 5
                                                                                                           www.bagw.de

                                     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!                                                                    9
Werena Rosenke

Seit 1990 gibt es in Deutschland fast 1,7 Millio-              ■■   In vielen städtischen Ballungsräumen haben
nen Sozialwohnungen weniger, d. h. der Bestand                      fast 50% der Haushalte einen Anspruch auf
ist um fast 60% geschrumpft und liegt in 2017                       einen Wohnberechtigungsschein.
bei knapp 1,2 Millionen. Bis 2020 werden weitere               ■■   Bezieher*innen niedriger Einkommen müs-
130.000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen.                     sen einen überproportionalen Anteil ihrer
                                                                    Einkünfte für das Wohnen ausgeben; die
                                                                    durchschnittliche     Wohnkostenbelastung
                                                                    (Miete, Heizung, Warmwasser, Haushalts-
                                                                    strom) von Mieterhaushalten liegt bei 30%.
                                                                    Aber je nach Einkommenshöhe ergeben sich
                                                                    sehr ungleiche Werte: Haushalte in der Min-
                                                                    destsicherung wenden 44% ihres Einkom-
                                                                    mens für die Wohnkosten auf, Niedrigeinkom-
                                                                    mensbeziehende ohne Transferleistungen
                                                                    40%. Haushalte außerhalb der Mindestsiche-
                                                                    rung und des Niedrigeinkommensbereichs
                                                                    hingegen wenden im Schnitt 24% ihres Ein-
                                                                    kommens für die Wohnkosten auf.

Besonders groß ist der Mangel an bezahlbaren                   Wohnungslosigkeit ist eine extreme Form sozia-
Kleinwohnungen, dies hat insbesondere in die-                  ler Ausgrenzung. Wohnungslose Menschen sind
sem Segment zu massiven Mietpreissteigerun-                    nicht nur aus dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt,
gen geführt. Insgesamt wird der Bau von 400.000                sondern auch aus anderen existenziellen Lebens-
Wohnungen im Jahr, davon mindestens 150.000                    bereichen wie: Erwerbsarbeit, Bildung, medizini-
preiswerte Wohnungen und Sozialwohnungen für                   scher Versorgung. Oftmals können sie selbst ihre
nötig gehalten.                                                Rechte auf Transferleistungen nicht realisieren,
Weitere Eckpunkte zur Beschreibung der Lage                    leben sozial sehr isoliert und erfahren Stigmati-
auf den Wohnungsmärkten sind:                                  sierung, Diskriminierung und Gewalt im öffentli-
                                                               chen Raum.
■■    Öffentlich geförderter Wohnraum nimmt suk-
      zessive ab, auch durch Privatisierung ehe-                 Dimensionen der Ausgrenzung
      mals öffentlicher Wohnungsbestände.
                                                                  Ausgrenzung aus
■■    Gentrifizierung
                                                                                  Gesellschaftlicher       Wohnungs-
                                                                                                           versorgung
■■    Es fehlen systematische Präventionsmaß-                                        Teilhabe

      nahmen.
                                                                            Öffentlichem Raum                       Arbeitsmarkt
■■    Armut hat sich durch den Niedriglohnsektor
      und atypische Beschäftigungsverhältnisse
      verfestigt.                                                                Gesundheits-
                                                                                                                Bildung
                                                                                  versorgung

                                                                                                Ausbildung

                                                                                           BAG Wohnungslosenhilfe                  7
                                                                                               www.bagw.de

 10     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Werena Rosenke

Das hat folgenschwere Auswirkungen:                           Deswegen fordert die BAG W eine umfassende
                                                              Nationale Strategie zur Überwindung von Woh-
■■   Kein Zugang zu normalen und menschen-
                                                              nungsnot und Armut.
     würdigen Wohnungen
■■   Gefahr: menschenunwürdige Notversorgung
■■   Barrieren bei der Gesundheitsversorgung
■■   Hürden bei der Integration in den Arbeits-
     markt
■■   U 25-Jährige: Diskriminierungen im und bei
     der Anwendung des Sozialrechts
■■   Besondere Gefährdung wohnungsloser Men-
     schen auf der Straße
■■   Häufig fehlendes frauengerechtes Hilfean-
     gebot
■■   Erhebliche Zugangsprobleme wohnungslo-
     ser Migrant*innen zur Notversorgung und
     zu weitergehenden sozialrechtlichen An-
                                                              Welche zentralen Handlungsfelder ergeben sich?
     sprüchen

     Auswirkungen auf Menschen in
     Wohnungsnot
  Kein Zugang zu normalen und menschenwürdigen
   Wohnungen
  Gefahr: menschenunwürdige Notversorgung
  Barrieren bei der Gesundheitsversorgung
  Hürden bei der Integration in den Arbeitsmarkt
  U 25-Jährige: Diskriminierungen im und bei der
   Anwendung des Sozialrechts
  Besondere Gefährdung wohnungsloser Menschen auf der
   Straße
  Häufig fehlendes frauengerechtes Hilfeangebot
  Erhebliche Zugangsprobleme wohnungsloser
   MigrantInnen zur Notversorgung und zu weitergehenden
   sozialrechtlichen Ansprüchen
                     BAG Wohnungslosenhilfe
                                                          8
                         www.bagw.de

Diese Dimensionen der Exklusion befördern und                 Zur Verwirklichung des Rechts auf eine Wohnung
begründen in individuell unterschiedlichem Aus-               ergeben sich diese zentralen Handlungsfelder:
maß Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit. So ist
                                                              ■■   Die Ressource Wohnraum: Wohnungen für
es notwendig, dass die Menschen in einer Woh-
                                                                   Wohnungslose
nungsnotfallsituation auch Hilfen zur Überwin-
dung der sozialen Ausgrenzung in den anderen                  ■■   Prävention, um Wohnungsverluste zu
Lebensbereichen erhalten, um die Ursachen von                      verhindern
Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit zu über-
winden.
Zugleich ist dies ohne eigene Wohnung kaum
möglich: Denn das Leben in Wohnungslosigkeit
oder in einem vom Verlust bedrohten Wohnver-
hältnis ist oft zugleich Ursache der anderen Di-
mensionen der Ausgrenzung.

                                              Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   11
Werena Rosenke

Nicht nur, aber insbesondere in Zeiten fehlenden               Arbeitsförderung und Arbeitsmarktpolitik
bezahlbaren Wohnraums sind Präventionsan-
                                                               ■■    Inklusiver Sozialer Arbeitsmarkt
strengungen unverzichtbar: Wer in dieser Situati-
                                                               ■■    Gesetzliche Verankerung von
on die Wohnung verliert, wird für lange Zeit ohne
                                                                     Sozialunternehmen
eigene Wohnung bleiben und die verlorene Woh-
nung wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch als
                                                               Schutz vor Gewalt und Vertreibung:
bezahlbarer Wohnraum abzuschreiben sein.
                                                               ■■    Präventive Maßnahmen zum Schutz vor
■■    Unterstützung im Wohnraum, um eine
                                                                     Gewalt und Sicherheit im öffentlichen Raum
      Wohnung nachhaltig zu sichern
                                                               ■■    Konsequente Strafverfolgung bei Gewalt
Die Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation                       gegen Wohnungslose
müssen unterstützende und fördernde soziale                    ■■    Dokumentation von menschenverachtenden
Hilfen erhalten, um die vielfältig erfahrene soziale                 und rechtsextremen Motiven und Hintergrün-
Exklusion zu überwinden.                                             den von Gewalt
■■    Ein menschenwürdiges Notversorgungssys-
                                                               Doch zurück auf die zentralen wohnungsbezoge-
      tem, wenn trotz aller Bemühungen ein Woh-
                                                               nen Handlungsfelder (Seite 11). Welche Hand-
      nungsverlust nicht verhindert werden kann
                                                               lungsnotwendigkeiten ergeben sich für den Bund?
Und es muss persönliche Hilfen - auch in der ord-
                                                                  Wohnungs- und sozialpolitische
nungsrechtlichen Unterbringung - zur Wiederer-                    Handlungsnotwendigkeiten
langung einer Wohnung geben.                                    Handlungsebene Bund
                                                                 Dauerhafte Beteiligung des Bundes an der sozialen Wohnraumversorgung
                                                                 Dauerhafte Sozialbindung
Darüber hinaus lassen sich weitere Handlungs-                    Neue Gemeinnützigkeit
                                                                 Verpflichtende, bundeseinheitliche, geschlechtsdifferenzierte
felder benennen, die Teil einer Nationalen Strate-                 Wohnungsnotfallstatistik
                                                                 Ausreichender Regelsatz
gie zur Überwindung von Wohnungsnot und Woh-                     Wirksame Mietpreisbremse
                                                                 Änderung des Gewerbemietrechts, damit soziale Träger und ihre KlientInnen
nungslosigkeit sein sollten.                                       und MieterInnen Rechtssicherheit erhalten
                                                                 „Heilungsfrist“ bei der Prävention retten
                                                                 Übernahme von Schulden für Unterkunft und Heizung auch im SGB II als
Gesundheitsversorgung und Gesundheitspolitik:                      Beihilfe
                                                                 Abschaffung der Sanktionen bei den KdU
                                                                 BImA: Bund stellt Konversionsliegenschaften und weitere Immobilien verbilligt
■■    Grundsätzliche Umsteuerung der Gesund-                       zur Verfügung
                                                                 Gezielte Förderprogramme zur Versorgung von Menschen in einer
      heitspolitik, um die besonderen Bedarfslagen                 Wohnungsnotfallsituation
                                                                 Leitlinien für eine menschenwürdige Unterkunft
      von Menschen in Wohnungsnot und Armut zu                                               BAG Wohnungslosenhilfe
                                                                                                                                              11
                                                                                                 www.bagw.de

      berücksichtigen
■■    Gemeinsamer Fonds von Kassenärztlicher
      Bundesvereinigung, Gesetzlicher Kranken-
      versicherung und öffentlicher Hand, um me-
      dizinische Versorgungsprojekte ausreichend
      und nachhaltig zu sichern
■■    Gesundheit ist ein Menschenrecht, deshalb
      müssen Menschen ohne Hinterfragung ihres
      rechtlichen Status behandelt werden können.

 12     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Werena Rosenke

Wohnungs- und sozialpolitische Handlungsnot-              ■■   Bei der Prävention droht die sog. Heilungs-
wendigkeiten des Bundes und der Länder                         frist - ein ganz wesentliches Element wegzu-
                                                               brechen. In seinem Urteil vom 18. September
■■   Die Beteiligung des Bundes an der sozialen
                                                               2018 hat der Bundesgerichtshof bestätigt,
     Wohnraumversorgung muss dauerhaft erhal-
                                                               dass eine fristlose Kündigung eines Wohn-
     ten bleiben und gesteigert werden. Es scheint,
                                                               raummietverhältnisses mit einer hilfsweise
     dass die aktuellen Kompensationsmittel des
                                                               erklärten ordentlichen Kündigung verbunden
     Bundes an die Länder in Höhe von 1,5 Mrd.
                                                               werden kann. Hier müsste m. M. auf Bundes-
     €/ Jahr in den Jahren 2020/ 2021 wieder auf 1
                                                               ebene geklärt werden, welche gesetzlichen
     Mrd./ Jahr zurückgefahren werden.
                                                               Möglichkeiten es gibt, die Heilungsfrist zu
■■   Notwendig ist die dauerhafte Sozialbindung
                                                               retten.
     von Wohnraum.
                                                          ■■   Bei der Übernahme von Schulden für Un-
■■   Um bezahlbaren Wohnraum dauerhaft zur
                                                               terkunft und Heizung sollte – wie im
     Verfügung stellen zu können, ist ein gemein-
                                                               Sozialgesetzbuch XII - auch im Sozi-
     nütziger Wohnungsbausektor ein wichtiges
                                                               algesetzbuch II die Möglichkeit einer Leis-
     Instrument. Der Bund müsste den Rahmen
                                                               tungsgewährung als Beihilfe vorgesehen
     und die Instrumente für eine neue Gemein-
                                                                werden.
     nützigkeit bei der Wohnraumversorgung
                                                          ■■   Keine Sanktionierung bei den Kosten von
     schaffen.
                                                               Unterkunft und Heizung, dies ist besonders
■■   Durch die Einführung einer gesetzlich ver-
                                                               wichtig bei den unter 25-Jährigen, die ja im-
     pflichtenden,     bundeseinheitlichen      ge-
                                                               mer noch einem verschärften Sanktionsre-
     schlechtsdifferenzierten       Wohnungsnot-
                                                               gime unterliegen.
     fallstatistik lässt sich die Wohnungsnot
                                                          ■■   Städtischen    Wohnungsbaugesellschaften,
     natürlich nicht beseitigen, aber auf jeden Fall
                                                               Genossenschaften,      Organisationen    und
     der Wohnraumbedarf und das Ausmaß der
                                                               Initiativen, die langfristig gebundenen
     Wohnungslosigkeit genauer ermitteln. Die
                                                               Wohnraum schaffen, sollte vorrangig der
     BAG W hat dazu eine ausführliche Empfeh-
                                                               Erwerb von Grundstücken der Bundesan-
     lung erarbeitet, die auch dem Ministerium
                                                               stalt für Immobilienaufgaben (BimA) und
     vorliegt. Bei Nachfragen dazu stehe ich gerne
                                                               der Liegenschaftsverwaltungen der Län-
     zur Verfügung.
                                                               der ermöglicht werden - zu Preisen, die
■■   Die Armut der unteren Einkommensgruppen
                                                                dann den Bau öffentlich geförderter und be-
     hat sich verfestigt, u. a. durch die Ausweitung
                                                               zahlbarer Wohnungen erlauben. Also Schluss
     des Niedriglohnsektors und der atypischen
                                                               mit dem Höchstbietverfahren.
     Beschäftigung sowie durch den unzureichen-
                                                          ■■   Innenministerkonferenz entwickelt Leitlinien
     den ALG II-Regelsatz. Die Verantwortung für
                                                               für eine menschenwürdige Unterbringung
     einen ausreichenden Regelsatz in der Grund-
                                                               wohnungsloser Menschen. Dies könnten Eck-
     sicherung liegt beim Bund.
                                                               punkte solcher Leitlinien sein.
■■   Ebenfalls beim Bund liegt die Verantwortung
     für eine tatsächlich wirksame Mietpreis-
     bremse.
■■   Änderung des Gewerbemietrechts, sodass
     soziale Träger, die für ihre Klientel Wohn-
     raum anmieten, um diesen dann weiterzu-
     vermieten, Rechtssicherheit erhalten und ih-
     nen nicht einfach grundlos gekündigt werden
     kann.

                                          Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   13
Werena Rosenke

                                                                      Vermietermarkt und in der Wohnungswirt-
   Menschenwürdiges Notversorgungssystem                              schaft fördern. Wichtig auch bei der Krisenin-
   Keine Verfestigung der Wohnungslosigkeit in der Unterkunft        tervention zum Wohnungserhalt. Kriseninter-
   Sicherheit gewährleisten:
                                                                      vention wird oft von freien Trägern geleistet,
      Geschlechtsgetrennte Unterbringung
      Personalpräsenz 24 Stunden                                     jedoch zum Zeitpunkt einer solchen Interven-
      Geschulte Hausbewirtschaftung
   Wahrung und Achtung der Privatsphäre:
                                                                      tion ist die Finanzierung des Angebotes oft
      Unterbringung EZ / abgeschlossene WE f. Familien               nicht gesichert.
   Schnellstmögliche Vermittlung in Wohnraum:
      Beratende Angebote                                        ■■   Das Förderprogramm »Von der Straße in die
   Anspruch auf ordnungsrechtliche Unterbringung
    unabhängig von der Nationalität und dem Aufenthaltsstatus         Wohnung« (Umfang: 10 Mio. Euro, Laufzeit:
                                                                      vier Jahre) soll wohnungslose Menschen,
                        BAG Wohnungslosenhilfe             12
                                                                      auch langzeitwohnungslose Menschen auf
                            www.bagw.de
                                                                      der Straße, durch aufsuchende Hilfen auf
Neben diesen allgemeinen Maßnahmen können                             der Straße, Akquise von Immobilien für diese
Bund und Länder mit gezielten Förderprogram-                          Menschen und wohnbegleitende Hilfen för-
men zur Versorgung von Menschen in einer Woh-                         dern.
nungsnotfallsituation Maßnahmen auf lokaler
Ebene wirksam flankieren.

  Förderprogramme zur Versorgung
  von Menschen in einer
  Wohnungsnotfallsituation
  Förderprogramm „Prävention“ zum Aufbau kommunaler
   Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten
  Förderprogramm „Pro Wohnen“ zur Unterstützung von
   Netzwerken privater Vermieter/Wohnungsunternehmen mit
   Kommunen und freien Trägern zur Prävention und zur
   Erschließung von Wohnraum für Wohnungslose
  Förderprogramm „Von der Straße in die Wohnung“:
     aufsuchende Hilfen für Wohnungslose auf der Straße
     Akquirierung von Immobilien für diesen Personenkreis
     wohnbegleitenden Hilfen

                      BAG Wohnungslosenhilfe
                                                           13
                                                                 Letztlich steht jede Kommune in der Verantwor-
                          www.bagw.de
                                                                 tung für die Wohnungsversorgung aller ihrer
Die BAG W fordert deshalb:                                       Bürger*innen.

■■    Ein Förderprogramm zum Aufbau von kom-                     Ein Wohnraumversorgungskonzept auf kom-
      munalen Fachstellen zur Verhinderung von                   munaler bzw. regionaler oder Kreisebene muss
      Wohnungsverlusten unter Beteiligung der                    alle genannten Handlungsfelder umfassen sowie
      Dienste der Freien Wohlfahrtspflege mit                    alle in diesen Handlungsfeldern aktiven Akteure
      Schwerpunkt im ländlichen Raum. Das Pro-                   einbinden. Die freiverbandlichen Hilfen in Woh-
      gramm sollte ein Volumen von insgesamt 50                  nungsnotfällen müssen sich auf kommunalpoliti-
      Mio. Euro und eine Laufzeit von vier Jahren                scher Ebene in die Wohnungspolitik einmischen,
      umfassen.                                                  um solche Konzepte mit zu entwickeln.

■■    Das Förderprogramm »Pro Wohnen« (Um-                       Wichtiger Partner der Kommune bei der Sicher-
      fang: 40 Mio. Euro, Laufzeit: vier Jahre) soll             stellung der Ressource Wohnraum ist die kom-
      Netzwerke von privaten Vermieter*innen                     munale Wohnungsbaugesellschaft. Wie groß die
      oder Wohnungsunternehmen mit Kommu-                        Handlungsmöglichkeiten der kommunalen Woh-
      nen und freien Trägern zur Prävention von                  nungsbaugesellschaft sind, ist eine politische
      Wohnungsverlusten und zur Erschließung                     Entscheidung der Kommune.
      von Wohnraum für Wohnungslose im privaten

 14     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Werena Rosenke

Die Handlungsmöglichkeit bestimmt sich letzt-           Wohnungsaufsichtsgesetz, Zweckentfremdungs-
lich durch die politische Abwägung zwischen den         verordnung, Milieuschutz
Renditeerwartungen, die die Kommune an »ihr«            Die Gemeinden können gemäß Wohnungsauf-
kommunales Wohnungsunternehmen richtet und              sichtsgesetz durch Satzung „Gebiete mit erhöh-
den wohnungs- und sozialpolitischen Verpflich-          tem Wohnungsbedarf festlegen, in denen Wohn-
tungen, die erfüllt werden sollen.                      raum nur mit Genehmigung zweckentfremdet
Kommunale Wohnungsunternehmen sind und                  werden darf.“
bleiben ein unverzichtbares Steuerungselement,          Zweckentfremdungsverordnungen können ver-
deshalb dürfen sie nicht verkauft werden.               hindern, dass Mietwohnungen, insb. in attraktiven
Aber nicht alle Bürger*innen mit Zugangsschwie-         Lagen und/ oder Regionen als Ferienwohnungen
rigkeiten zum Wohnungsmarkt werden durch das            auf den Markt kommen.
kommunale Wohnungsunternehmen versorgt                  Gemeinden können durch Satzung Gebiete be-
werden können. So wird es notwendig werden,             zeichnen „in denen zur Erhaltung oder Zusam-
auch die private Wohnungswirtschaft und private         mensetzung der Wohnbevölkerung der Rückbau,
Vermieter*innen, direkt oder über ihre Verbän-          die Änderung oder die Nutzungsänderung bauli-
de, in ein »Bündnis für bezahlbaren Wohnraum«           cher Anlagen der Genehmigung bedürfen.“ Sol-
einzubeziehen. Deswegen sind wir als BAG W seit         che Milieuschutzsatzungen sollten rechtzeitig als
knapp vier Jahren im direkten Gespräch mit Haus         Instrument zur Eindämmung von Luxussanierun-
& Grund, um gemeinsame Interessen und Mög-              gen und der damit einhergehenden Gentrifizie-
lichkeiten der besseren Kooperation auszuloten          rung offensiv genutzt werden.
und für solche Kooperationen zu werben.
                                                        Richtlinien zur Angemessenheit der Kosten der
Welche weiteren Handlungsmöglichkeiten der              Unterkunft (KdU)
Kommune gibt es?
                                                        In vielen Kommunen sind Angemessenheitsgren-
                                                        zen zu knapp bemessen. Zu niedrig bemessene
Konzeptionelles Bauen
                                                        KdU können mittel- und langfristig zu einer Über-
Um Anreize für den Bau von bezahlbarem Wohn-
                                                        schuldung der einkommensarmen Haushalte
raum zu schaffen, sind Grundstücke nicht nach
                                                        führen und in der Konsequenz Mietverhältnisse
dem Höchstbieterverfahren zu vergeben, sondern
                                                        gefährden.
nach festgelegten Konzeptionen zu verkaufen,
damit sichergestellt wird, dass der öffentlich ge-      Oft ist argumentiert worden, dass zu großzügige
förderte Wohnungsbau qualitativ, attraktiv und          Angemessenheitsgrenzen bei den KdU zu Mitnah-
in ausreichender Zahl errichtet wird und damit          meeffekten auf der Vermieterseite führten. Auf
auch wohnungslosen Menschen zugutekommt,                angespannten Wohnungsmärkten ist die Situation
die besondere Zugangsschwierigkeiten zum Woh-           wohl anders einzuschätzen: Aufgrund des hohen
nungsmarkt haben.                                       Konkurrenzdrucks wird das Wohnungssegment
                                                        für Menschen, die ALG II bzw. Sozialhilfe bezie-
Umwandlung von ordnungsrechtlichen Unter-               hen, durch niedrige Angemessenheitsgrenzen
künften in Sozialwohnungen                              weiter eingeschränkt und sie geraten deutlich
Damit ist gemeint, die gezielte Umwandlung von          schneller in eine Verschuldung bzw. überschrei-
geeigneten ordnungsrechtlichen Obdachlosen-             ten die Angemessenheitsgrenze mit der negati-
siedlungen oder Schlichtwohnungsbeständen in            ven Konsequenz, dass eine eventuell notwendige
einen regulären kommunalen Sozialwohnungs-              Mietschuldenübernahme zur Verhinderung eines
bestand mit entsprechendem baulichen Stan-              Wohnungsverlustes dann nicht mehr möglich ist.
dard. Vormals ordnungsrechtlich untergebrachte
Menschen erhalten so eigenen mietvertraglich
abgesicherten Wohnraum.

                                        Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   15
Werena Rosenke

Die örtlichen Regelungen zur Übernahme der                     Dafür gibt es bereits diverse Modelle und auch
KdU und zur Beurteilung ihrer Angemessenheit                   gute Praxis, die nachgeahmt werden kann. (Pool-
können zugunsten von Menschen in Wohnungsnot                   Management Bielefeld, Geschütztes Marktseg-
gestaltet werden, wenn sie entsprechende Rege-                 ment Berlin, Akquise privaten Wohnraums in KA,
lungen enthalten:                                              Koop. Stadtmission Kiel mit Haus & Grund)
■■    Richtwerte statt Höchstwerte bzw.                        Dabei müssen die Vereinbarungen der Kommu-
      Mietobergrenzen                                          ne mit der Wohnungswirtschaft so bindend wie
■■    Erhöhte KdU-Richtwerte für wohnungslose                  nötig sein, um den gewünschten Effekt, die Ver-
      Haushalte                                                sorgung von wohnungslosen Menschen bzw. von
                                                               Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation, si-
■■    Die Anforderung die KdU zu senken, zeitlich
                                                               cherzustellen.
      begrenzen: Also, wenn jemand schon Monate
      lang vergeblich nach alternativem Wohnraum               Vor Ort muss natürlich immer im Detail unter-
      sucht, sollte man ihn in seiner Wohnung woh-             sucht werden, ob die Bestimmungen und die Pra-
      nen lassen                                               xis eines solchen Verbundes (noch) angemessen
■■    Die Hürden zur Anerkennung schwerwie-                    und tauglich sind, insb. in Bezug auf:
      gender sozialer Gründe im Bereich der U25-               ■■   die Zahl der beteiligten Unternehmen und die
      Sonderregelungen zur Anmietung einer Woh-                     von ihnen eingebrachten Wohnungskontin-
      nung sollten nicht zu hoch sein                               gente (Quantität)
■■    Die regelhafte Übernahme von Maklerkosten                ■■   die Qualität der Kontingente
      und/ oder Vermittlungskosten bei Obdach-
                                                               ■■   die sozialräumliche Verteilung der
      und Wohnungslosen
                                                                    Kontingente
Dies sind Punkte, die wir als BAG W in unserer                 ■■   die Definition der Zugangsberechtigten
aktuellen Empfehlung „Bezahlbaren Wohnraum                     ■■   die Vergabepraxis
schaffen, Wohnraum für wohnungslose Men-
schen akquirieren“ ausführlich dargelegt haben.                Der Wohnraum kann auch durch freie Träger
                                                               selbst geschaffen werden. Als eine Art Ultima Ra-
Zugang zu Wohnraum für Menschen in einer Woh-                  tio stellt sich diese Aufgabe immer dann, wenn es
nungsnotfallsituation sichern                                  nicht gelingt, Klient*innen in mietvertraglich ab-
Der Bau und die Existenz preiswerten Wohnraums                 gesicherten Wohnraum zu vermitteln.
ist zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von                  Werden freie Träger wohnungswirtschaftlich ak-
Wohnungslosigkeit, aber nicht ausreichend. Wir                 tiv, dann sind sie allerdings im besonderen Maße
fordern deshalb die Kommunen auf, Belegungs-                   zu unterstützen.
quoten für wohnungslose Haushalte einzuführen
                                                               Ein großes Problem, mit dem freie Träger, die
und weitere Maßnahmen zu ergreifen, um sicher-
                                                               Wohnraum bauen wollen, konfrontiert sind, dürfte
zustellen, dass wohnungslose Haushalte mit ei-
                                                               die erforderliche Eigenkapitalbasis sein. Nur wenn
genen Wohnungen versorgt werden.
                                                               diese gegeben ist, können öffentliche Wohnungs-
Kommunen sollten versuchen, Wohnungen für                      baumittel bzw. Hypothekendarlehen in Anspruch
Wohnungslose bei privaten Vermieter*innen zu                   genommen werden. Darlehen oder Bürgschaften
akquirieren, aber selbstverständlich auch durch                von Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbänden,
Vereinbarungen mit den Unternehmen der Woh-                    Trägern sind deswegen notwendig.
nungswirtschaft.

 16     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Werena Rosenke

Auch die Überlassung eines Baugrundstücks              In §68 Abs. 1 SGB XII werden explizit die »Maß-
durch eben diese oder die Kommune sind eine            nahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer
wichtige Unterstützung beim Eigenmittelnach-           Wohnung« genannt.
weis.
                                                       Zudem gibt es auch Fallkonstellationen, in de-
Ähnlich wie der Bau von Wohnraum durch freie           nen der Wohnungsverlust nicht allein aufgrund
Träger, ist die Anmietung von Wohnraum durch           von Mietschulden droht. Ich finde der Eisberg ist
freie Träger eine wichtige Handlungsoption. Sie        dafür ein gutes Symbol: Nur ein kleiner Teil des
ist quasi ein Instrument, um den Konkurrenz-           Eisbergs ist auf den ersten Blick zu sehen.
nachteil der Klientel durch die Bonität und Ver-
trauenswürdigkeit des freien Trägers auszuglei-        Ebenfalls sind bei den Interventionen zum Erhalt
chen.                                                  der Wohnung, die in der Phase vor Beginn des
                                                       gerichtlichen Verfahrens einsetzen, die Hilfen zur
Wenn ein freier Träger der Wohnungslosenhilfe
                                                       Überwindung besonderer sozialer Schwierigkei-
an Klient*innen vermietet, sollten im Verhältnis
                                                       ten nach §67 SGB XII ein wichtiges Instrument.
zur/zum Klient*in/ Mieter*in möglichst die Be-
reiche „Vermietung, Mieterberatung“ und „per-          Zu den Akteuren bei der Prävention
sönliche Hilfen im Wohnraum“ getrennt sein, um         Die zentrale Fachstelle zur Vermeidung und Be-
Rollenkonflikte zu vermeiden.                          hebung von Wohnungslosigkeit sollte die zentrale
                                                       Handlungseinheit bei der Prävention darstellen,
Handlungsfeld Prävention
                                                       da dann idealerweise die Kompetenzen für die
Nicht nur, aber insb. in Zeiten fehlenden bezahl-      wirtschaftlichen Wohnhilfen (Mietschuldenüber-
baren Wohnraums sind Präventionsanstrengun-            nahme), die ordnungsrechtliche Unterbringung
gen unverzichtbar.                                     sowie für die persönlichen Hilfen zur Erhaltung
Neben der Mietschuldenübernahme nach §22               von Wohnraum bzw. zur Reintegration in Wohn-
SGB II und §6 SGB XII kommt bei den Bemühun-           raum gebündelt sind. Besonders wichtig ist, dass
gen zum Wohnungserhalt den Hilfen nach §§67 ff.        die zentrale Fachstelle die Wohnungssicherung
SGB XII große Bedeutung zu.                            nach SGB II und SGB XII – also für alle Wohnungs-
                                                       notfälle – übernimmt.

                                       Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   17
Werena Rosenke

                                                               Sie können auch gut Gründe und Auslöser von
  Fachstelle unter Beteiligung der                             Wohnungsverlusten wahrnehmen, die nicht auf
  Wohnungslosenhilfe
                                                               Mietschulden zurückzuführen sind.
  1. Kommunale Fachstelle kooperiert mit einem
                                                               Beratungsstellen freier Träger von Hilfen im Woh-
     Träger der Hilfen im Wohnungsnotfall bei
     spezifischen soz. Dienstleistungen - die Träger           nungsnotfall sind oft die ersten Anlaufstellen für
     bleiben organisatorisch getrennt                          vom Wohnungsverlust bedrohte Menschen.
  2. Gemeinsame Trägerschaft einer Fachstelle
  3. Freier Träger ist Träger einer Fachstelle und             Darüber hinaus haben Hilfen freier Träger wich-
     kooperiert in Bezug auf hoheitliche Aufgaben              tige Aufgaben bei der nachhaltigen Stabilisierung
     und sonstige von ihm nicht wahrnehmbare                   bedrohter Wohnverhältnisse, d. h. Aufgaben, die
     Aufgaben mit dem öffentlichen Träger
                                                               über die akute Krisenintervention zum Erhalt des
                      BAG Wohnungslosenhilfe         16        Wohnraums hinausgehen.
                          www.bagw.de

Man kann zwischen drei Typen von Fachstellen                      Freie Träger der Hilfen im Wohnungsnotfall
unterscheiden:
■■    Typ I: Die von der Kommune getragene Fach-                   Kompetenzen im Präventionsprozess
      stelle kooperiert mit einem freien Träger der               Aufsuchende Kontaktaufnahme
                                                                  Beratung, Begleitung, Unterstützung von
      Hilfen im Wohnungsnotfall bzgl. spezifischer                 Menschen in schwierigen sozialen Lebenslagen
      sozialer Dienstleistungen und beide Träger                  Wahrnehmung der Gründe und Auslöser von
                                                                   Wohnungsverlusten, die neben Mietschulden
      bleiben organisatorisch getrennt.                            relevant sind
■■    Typ II: Die kommunale Fachstelle geht eine                  Nachhaltige Stabilisierung bedrohter
                                                                   Wohnverhältnisse nach der akuten
      gemeinsame Trägerschaft mit einem freien                     Krisenintervention (Unterstützung im Wohnraum)
      Träger der Hilfen im Wohnungsnotfall ein,
      d. h. Personal, Finanzen und Organisation                                     BAG Wohnungslosenhilfe
                                                                                        www.bagw.de
                                                                                                                17

      sind integriert.
                                                               Im Rahmen des Forschungsverbundes »Woh-
■■    Typ III: Ein freier Träger der Hilfen im Woh-
                                                               nungslosigkeit und Hilfen in Wohnungsnotfäl-
      nungsnotfall ist selbst Träger einer Fachstel-
                                                               len« waren u. a. persönliche Hilfebedarfe der
      le zur Verhinderung von Wohnungsverlusten
                                                               Klient*innen in Fach- und Präventionsstellen er-
      und kooperiert in Bezug auf nicht-übertrag-
                                                               mittelt worden. Danach haben nach Einschätzung
      bare hoheitliche Aufgaben bzw. sonstige von
                                                               der Fach- und Präventionsstellen zwei Drittel der
      ihm nicht wahrnehmbare Aufgaben mit dem
                                                               dort anhängigen Haushalte einen über die aktu-
      öffentlichen Träger.
                                                               elle Krisenintervention zum Erhalt der Wohnung
Beim Typ III ist es allerdings wichtig, dass die Mit-          hinausgehenden Hilfebedarf (Schulden, beson-
teilungen in Zivilsachen [nach §22 Absatz 9 SGB                dere soziale Schwierigkeiten, Sucht, psychische
II und §36 Absatz 2 SGB XII] in diesen Fachstellen             Störungen).
einlaufen.
                                                               Knapp 40% der Präventionsfälle waren vorher be-
In der Praxis vorherrschend sind Fachstellen in                reits ein- oder zweimal in ähnlicher Krisensitua-
kommunaler Trägerschaft, die in unterschiedli-                 tion (ebenda).
chem Ausmaß mit freien Trägern der Hilfen im
                                                               Von den Fachstellen wird also ein Bedarf an auf-
Wohnungsnotfall kooperieren.
                                                               suchenden Hilfen und persönlichen Hilfen im An-
Weiterer Akteur: Freie Träger der Hilfen im                    schluss an eine unmittelbare Krisenintervention
Wohnungsnotfall                                                gesehen.
Freie Träger sind kompetent in der Beratung, Be-
gleitung, Unterstützung und in der aufsuchenden
Kontaktaufnahme von Menschen in schwierigen
sozialen Lebenslagen.

 18     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Werena Rosenke

Die kommunalen Fachstellen intervenieren i. d. R.        Ich komme nun zu den Voraussetzungen erfolg-
bei einer Mietschuldenproblematik. Die Interven-         reicher Interventionen zum Erhalt der Wohnung.
tion ist dabei i. d. R. nicht aufsuchend (Komm-
                                                         ■■   Frühe Intervention
Struktur). Persönliche Hilfen können im An-
                                                              ●●   Früher Kontakt zu dem vom Wohnungs-
schluss an die Krisenintervention kaum geleistet
                                                                   verlust bedrohten Haushalt
werden. Diese können und sollten von den freien
Trägern der Hilfen im Wohnungsnotfall erbracht                     ➝➝   Persönliche Hilfen
werden.                                                            ➝➝   Arbeit im Quartier
                                                                   ➝➝   Niedrigschwellige Beratungs-
Die Phasen des drohenden Wohnungsverlustes
                                                                        angebote
Der drohende Wohnungsverlust ist in der Regel
ein Prozess, der sich in drei Hauptphasen unter-              ●●   Frühzeitige Ansprache des Vermieters
teilen lässt, die unterschiedlichen Interventions-       ■■   Nachhaltiger Kontakt zu dem vom Wohnungs-
möglichkeiten eröffnen:                                       verlust bedrohten Haushalt
Die Details lassen sich hier und jetzt nicht erör-       ■■   Bündelung der Zuständigkeiten
tern.                                                    ■■   Enge Kooperation der Akteure
Wichtig sind mir die drei Phasen Grün - Gelb - Rot :

                                         Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!   19
Werena Rosenke

1. Frühe Intervention                                          Beratungsstellen freier Träger sollten neben den
Es lässt sich erkennen, dass eine möglichst er-                Hilfen für wohnungslose Menschen auch explizit
folgreiche und kostensparende Intervention zum                 präventive Hilfen anbieten beispielsweise durch
Erhalt von Wohnraum an bestimmte Vorausset-                    aufsuchende präventive Hilfen bei Haushalten,
zungen geknüpft ist. Der Interventionszeitpunkt                die durch postalische Anschreiben nicht frühzei-
sollte so früh wie möglich sein, d. h. idealerweise            tig erreicht werden oder bei denen es keine Be-
in der außergerichtlichen Phase, weil:                         nachrichtigung aufgrund einer Räumungsklage
                                                               wegen Mietschulden gibt. Neben der Einzelfall-
■■    Mietschulden noch gering sind
                                                               beratung, Begleitung, Betreuung etc. gewinnt die
■■    keine Kosten für ein gerichtliches Verfahren             Quartiersarbeit große Bedeutung, damit betroffe-
      anfallen                                                 ne Haushalte frühzeitig Hilfeangebote wahrneh-
■■    daher eine größere Verhandlungsbereitschaft              men können.
      des Vermieters vorausgesetzt werden kann                 Auch die sehr frühzeitige Ansprache des Vermie-
■■    ein »kalter« Wohnungsverlust verhindert                  ters ist wichtig. Der private Vermieter sollte sich
      werden kann, also vermieden werden kann,                 bei anbahnenden Konflikten im Mietverhältnis an
      dass der Mieter die Wohnung ohne Kündi-                  feststehende Ansprechpartner*innen in der zen-
      gung verlässt, weil er glaubt, die Situation             tralen Fachstelle und/oder der Beratungsstelle
      nicht mehr in den Griff zu bekommen.                     des freien Trägers der Hilfen im Wohnungsnot-
                                                               fall wenden können, die dann verlässlich die Ver-
Ein früher Interventionszeitpunkt verschafft einen
                                                               handlungen zwischen der/des Vermieter*in und
deutlich größeren Handlungsspielraum für alle
                                                               der/des Mieter*in unterstützend und beratend
Beteiligten. Eine bereits erhobene Räumungskla-
                                                               begleiten oder sich um die Einleitung/ Beantra-
ge nötigt wegen der relativ kurzen Heilungsfrist
                                                               gung der Mietschuldenübernahme und/oder die
von zwei Monaten quasi zur Mietschuldenüber-
                                                               Vermittlung anderer flankierender Maßnahmen
nahme oder zur ordnungsrechtlichen Unterbrin-
                                                               kümmern.
gung, wenn der Wohnungsverlust nicht verhindert
wird.                                                          Wendet sich die/der private Vermieter*in an sei-
Nach Erkenntnissen der Studie zur Prävention                   ne Interessenvertretung, beispielsweise des ört-
von Wohnungslosigkeit in Nordrhein-Westfalen                   lichen Haus & Grund-Verein, dann sollte es eine
(Busch-Geertsema/ Evers/ Ruhstrat, 2014) findet                vereinbarte Kooperation zwischen Haus & Grund
eine frühe Intervention aber in vielen Fällen nicht            und den Hilfen im Wohnungsnotfall geben, damit
statt:                                                         vor dem Einschalten der/des Anwältin/Anwalts
                                                               und vor Beginn eines gerichtlichen Verfahrens
Weniger als die Hälfte der Fälle werden in der au-
                                                               ausgelotet werden kann, ob und wie die Wohnung
ßergerichtlichen Phase bekannt, die an sich die
                                                               erhalten bleiben kann.
besten Interventions- und »Heilungs«chancen
birgt. Gut 40% der Fälle werden nach Eingang                     Initiative Pro Wohnen
der Räumungsklage und weitere knapp 14% erst
nach angesetztem Zwangsräumungstermin be-
kannt (vgl. ebenda, S. 49).
                                                                Vermieterverband Haus & Grund und BAG
Um sehr früh im Vorfeld eines eventuellen Woh-                  Wohnungslosenhilfe starten Initiative gegen
                                                                Wohnungslosigkeit
nungsverlustes eingreifen zu können, müssen
Hilfeangebote den Haushalten, deren Wohnung                     Kooperation zwischen privaten Vermietern, sozialen Diensten
                                                                und Kommunen stärken
gefährdet ist, bekannt sein. In der Stadt, im Wohn-             Berlin, 27.09.2016. Der Vermieterverband Haus & Grund Deutschland und
                                                                die BAG Wohnungslosenhilfe, Dachverband der Dienste und
quartier muss durch eine gute Öffentlichkeits-                  Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen in Deutschland, wollen
                                                                gemeinsam die Zusammenarbeit mit den Kommunen stärken, um
arbeit deutlich werden, welche Stellen in einer                 Wohnungslosigkeit bereits im Entstehen zu verhindern.

Wohnungsnotfallsituation angesprochen werden                                               BAG Wohnungslosenhilfe                       20
                                                                                               www.bagw.de
können.

 20     Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!
Werena Rosenke

Seit 2014 arbeiten BAG Wohnungslosenhilfe und            Haushalten auf, ebenfalls 28% nehmen »nie« ei-
Haus & Grund Deutschland, der Dachverband der            nen Kontakt mittels Hausbesuch auf. »In der Re-
privaten Vermieter, zusammen um solche Koope-            gel« erfolgt eine postalische Kontaktaufnahme.
rationen vor Ort zu befördern.                           Die Beratungsstellen freier Träger können hier
                                                         mit ihrer aufsuchenden Arbeit eine wichtige Rolle
Die zentrale Idee der Kooperation „Pro Wohnen“
                                                         übernehmen.
ist die Bildung örtlicher Kooperationsnetzwerke
zwischen lokalen Haus- & Grund-Vereinen ei-
                                                         3. Bündelung der Zuständigkeiten in der zentra-
nerseits und sozialen Diensten freier Träger der
                                                         len Fachstelle
Wohnungsnotfallhilfen bzw. der Kommunen an-
                                                         Die Bündelung der Zuständigkeit in der zentralen
dererseits, das Problem der Mietschulden der
                                                         Fachstelle hatte ich eingangs angesprochen. Die
Mieter*innen einerseits und der Mietausfälle bei
                                                         Hilfe im Wohnungsnotfall kann sicher effektiver
privaten Vermieter*innen zu lösen.
                                                         werden, wenn zudem festgelegt wird, dass die
Wohnungsunternehmen, die kein eigenes Sozi-              »Mitteilungen über Räumungsklagen« auch dem
almanagement unterhalten, sollten in den freien          kooperierenden freien Träger der Hilfen im Woh-
Trägern der Hilfen im Wohnungsnotfall verlässli-         nungsnotfall zugehen, damit dieser umgehend
che Partner*innen finden, die frühzeitig bei sich        beratend und unterstützend tätig werden kann.
abzeichnenden Problemen im Mietverhältnis den            Dabei muss der Datenschutz gewährleistet sein.
betroffenen Haushalt aufsuchen können, um eine
                                                         Wir sind der Überzeugung, dass die Bearbeitung
Problemanalyse entwickeln und Problemlösun-
                                                         bedrohter Wohnverhältnisse nicht im Jobcen-
gen erarbeiten zu können.
                                                         ter geschehen sollte. Gegebenenfalls sollte eine
Im Benchmarking der 16 großen Großstädte ist             Übertragung auf eine zentrale Fachstelle passie-
festgestellt worden, dass in den Städten, in denen       ren. Will man das nicht, muss es sehr verbindli-
es Vereinbarungen mit der Wohnungswirtschaft             che Kooperationsvereinbarungen geben.
gibt, weniger Räumungsklagen auftreten, weil
die Fachstellen bei einer Kündigung eine entspre-        4. Enge und fest vereinbarte Kooperation der Ak-
chende Nachricht des Unternehmens bekommen               teure
und ein frühzeitiger Kontakt zu den betroffenen          Es bedarf in jeder Phase einer Kooperation von
Haushalten hergestellt werden kann (Hollenrie-           Fachstelle, freien Trägern, Vermieterseite, Job-
der/ König/ Lagler/ Kroll-Pautsch, 2013, S. 54 f).       centern, die ein zeitnahes Handeln ermöglicht.
Unter Berücksichtigung des Datenschutzes sind            Diese Kooperation sollte so weit wie möglich
Vereinbarungen zu treffen, dass beispielsweise           durch Kooperations- und Koordinationsverträge
Unterrichtungen bereits erfolgen, wenn es erste          zwischen öffentlichen und den jeweiligen freien
Unregelmäßigkeiten bei der Mietzahlung gibt und          Trägern vereinbart sein. Bestimmungen dafür
sich Probleme im Wohnumfeld zeigen.                      finden sich im §17 Abs. 2 SGB II.

2. Nachhaltiger Kontakt zu dem von Wohnungs-               Vertraglicher Rahmen der Kooperation im SGB II
verlust bedrohten Haushalt                                § 17 SGB II Einrichtungen und Dienste für Leistungen
                                                              zur Eingliederung
Eine 2. Voraussetzung erfolgreicher Interventi-           (2) Wird die Leistung von einem Dritten erbracht und sind
on ist der nachhaltige Kontakt zum vom Woh-                   im Dritten Buch keine Anforderungen geregelt, denen
                                                              die Leistung entsprechen muss, sind die Träger der
nungsverlust bedrohten Haushalt. In der bereits               Leistungen nach diesem Buch zur Vergütung für die
                                                              Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Dritten oder
erwähnten NRW-Präventionsstudie wird festge-                  seinem Verband eine Vereinbarung insbesondere über
stellt:                                                       1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen,
                                                              2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für
                                                                 einzelne Leistungsbereiche zusammensetzen kann, und
Nur 28% der zuständigen Stellen in den kreisan-               3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen
                                                                 besteht. Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der
gehörigen und kreisfreien Städten und Gemein-                    Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit
                                                                 entsprechen.
den nehmen »in der Regel« über Hausbesuche
                                                                                    BAG Wohnungslosenhilfe                        21
Kontakt zu den vom Wohnungsverlust bedrohten                                            www.bagw.de

                                        Wohnraum, Tagesstruktur, Integration - auch für Drogenabhängige?!                    21
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