Oberliner Ausgabe 1 - Aktiva Potsdam im Oberlinhaus
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Oberliner Das Magazin von Mitarbeitenden im Oberlinhaus Ausgabe 1 März 2015 TITELTH EM A Wir (er)leben Vielfalt Über das Arbeiten mit Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen Lesen Sie ab Seite 10 LESERBRIEFE WIR OBERLINER GESUNDHEITSQUARTIER BABELSBERG „Kluge Broschüre“ Oberlinhaus bewegt Zeitreise Was Andrea Nahles und Diana Haben Sie ein Bild davon? Durch die Geschichte des Hand- Golze zu unserer Inklusions- Machen Sie beim diesjährigen werkerhauses auf dem Oberlin- broschüre schrieben. Fotowettbewerb mit! Gelände. Seite 20 Seite 26 Seite 27
I N H A LT 3 REDAK TIONSBRIEF 17 A U S D E R S T E I N S T R A S S E – 26 V O R S TA N D S B E R E I C H Wir ticken alle anders NEUIGK EITEN AUS DEM BERUFS - Kurs auf das Jahr 2021 BILDUNGSWERK 4 EDITORIAL „Ich gehe meinen Weg.“ WIR OBERLINER Mitmachen beim Fotowettbewerb 6 KIRCHENFENSTER 18 SO ODER SO „Oberlinhaus bewegt“ Geistige Quellen Sozialtraining oder Gruppen- angebot zur Förderung sozialer 27 GESUNDHEITSQUARTIER 7 HÖHEPUNKTE Kompetenzen? BABELSBERG Einfühlsame Pflege ohne Minuten- Ein traditionsreiches Handwerk im takt 20 LESERBRIEFE Herzen Babelsbergs Großes Interesse an der Oberlin- 8 O B E R L I N -T E L E G R A M M – haus Inklusionsbroschüre 28 OBERLINER PERSÖNLICHKEITEN KURZMELDUNGEN AUS DEM 25 Jahre Taubblindenlehrer im OBERLINHAUS 21 L E B E N S W E LT E N Oberlinhaus – Gustav Damaschun Angebote für Mitarbeitende in den 10 T I T E LT H E M A LebensWelten 29 VERGESSENE ORTE – AUSSEN- Wir (er)leben Vielfalt S TAT I O N E N D E S O B E R L I N H A U S Erster Rollstuhl-Staffellauf im Außenstationen in Berlin und der 12 OBERLINER BEI DER ARBEIT Übergangswohnen des Thusnelda- Provinz Brandenburg um 1880 „Das ist schon ein bisschen wie von-Saldern-Hauses Detektivarbeit.“ FREUNDE DES OBERLINHAUS 22 REPORT Firma Wilhelm Hoyer KG spendet 14 B E R U F E V O R G E S T E L LT Hier wird Lernen gelebt 2.000 Euro für das Oberlinhaus Diplom-Pädagogin „Langweilig 115 Jahre Schule im Oberlinhaus wird es nie“ und 25 Jahre Namensgebung 30 ANNO DA ZUMAL Oberlinschule Stuhlflechten im Oberlinhaus Jobcoach „Ein Gewinn für Unter- nehmen“ 23 WISSENSWERTES GLOSSE Willst du mich nicht hören – oder Gibt´s hier etwa Rollstuhlfahrer im 15 Gruppenleiter „Eindeutigkeit, Klar- kannst du es nicht? Haus? heit und Struktur“ 24 OBERLIN-ABC RANDBEMERKUNGEN Sie möchten im Bereich Autismus E wie Ehrenamt Was zum Kuckuck? arbeiten? INSELGESPR ÄCHE – NEUIG- 31 F O T O R ÄT S E L 16 HINTERGRUND KEITEN AUF HERMANNSWERDER Bewegende 15 Monate beim Sammeln statt Abgammeln REZEP TE AUS BAD BEL ZIG Kooperationsverbund Autismus Kartoffel-Hackfleischauflauf und Berlin 25 R AT G E B E R G E S U N D H E I T Käse-Lauchsoße Aufgewacht! Der Frühling ist da! Wie gut kennen Sie Ihre Schulter? Impressum Herausgeber: Verein Oberlinhaus, Pfarrer Matthias Fichtmüller, Theologischer Vorstand, Andreas Koch, Kaufmännischer Vorstand Redaktionsteam: Julia Stoppa, Katharina Pankau, Katherine Biesecke, Birgit Fischer, Nicole Goldschmidt, Marcus Grünschneder, Stefanie Hahn, Manja Klein, Heike Köpping, Judith Saatmann, Ulrike Schulze, Andreas Sewing-Mordhorst | Die Redaktion behält sich Kürzungen eingesandter Beiträge vor. | Erscheinungsweise: viermal jährlich | Auflage: 4.000 Exemplare | Grafik & Satz: sprung marketing.kommunikation, Potsdam | Druck: Berufsbildungswerk im Oberlinhaus gGmbH | Hausadresse: Oberlinhaus, Rudolf-Breitscheid-Straße 24, 14482 Potsdam | Kontakt: redaktion@oberlinhaus.de | Fotos: Titelbild: Wolfgang Bellwinkel, Bilder Innenteil: sofern nicht anders angegeben Karoline Wolf und Oberlinhaus
REDAK TIONSBRIEF Oberliner 1/2015 3 Für diese Ausgabe haben wir uns nach eigenen, kleinen „Ticks“ Wir ticken alle anders gefragt. Eine Frage, die hin und wieder für Schmunzeln, aber auch für verständnisvolles Nicken gesorgt hat. Und welchen „Tick“ haben Sie? Liebe Leserinnen und Leser, jeder von uns hat kleine Eigenheiten oder spe- zielle Angewohnheiten. Sie können auf andere unsinnig oder bizarr wirken: Grünes auf dem Teller zuletzt essen, Bücher chronologisch nach dem Kaufdatum sortieren oder immer einen Rest im Glas lassen. Aber aufgepasst: Was wir umgangssprachlich als „Tick“ bezeichnen, ist nicht zu verwechseln mit der Tic-Störung, bei der Betroffene unwillkürliche, zwanghafte Bewe- Julia Stoppa (js), Katharina Pankau (kp), Marcus Grünschneder (mg), gungen ausführen, die sie nicht steuern können. Redaktionsleitung: „Ich liebe es, Redaktionsleitung: „Wenn ich AKTIVA Werkstätten: „Mein Gegenstände auf meinem Tisch, abends das Büro verlasse, muss Tick sind Lichtschalter. Sie auf Anrichten oder sonst wo in ich den Marker auf dem Büroka- müssen beim Schalten auf die Anderssein kann auch anders sein 3er-Gruppen anzuordnen. Dann lender schon auf den nächsten „richtige“ Weise klicken. Sonst Wenn sich jemand anders verhält, als ich es wirkt es auf mich besonders Tag stellen.“ muss ich den Schalter noch mal stimmig.“ betätigen, dass es richtig ist. erwarte oder gewohnt bin, kann schnell der Ein- Oder noch mal.“ druck entstehen, etwas stimme mit demjenigen nicht. Vielleicht denkt die Person das aber auch über mich? Wahrscheinlich sogar. Denn „An- derssein“ funktioniert durchaus in beide Richtun- gen: Wenn jemand für mich „anders“ ist, kann ich davon ausgehen, dass ich auch „anders“ auf denjenigen wirke. Anderssein ist normal Jeder Mensch ist auf seine Weise einzigartig. Katherine Biesecke (kb), Nicole Goldschmidt (ng), Ulrike Schulze (us), VOH: Das bringt Vielfalt in unser Leben und unsere LebensWelten: „Ich lösche stets Reha Zentrum: „Die Frisur muss „Ich mag im Alltag Strukturen das Licht, wenn niemand mehr im sitzen! An jedem Schnittpunkt und arbeite daher gern mit Excel- Gesellschaft. Und zuletzt: Auch wenn mancher Raum ist. Selbst wenn ich weiß, meines sozialen Lebens müssen Tabellen, egal, ob ich privat ein „Tick“ sinnlos erscheint: Er kann einen Men- dass hiermit gar keine Energie „Wachse“ und „Lacke“ griffbe- Familientreffen oder einen Umzug mehr gespart wird, da das Ein- reit sein.“ vorbereite oder dienstliche Pro- schen einzigartig und liebenswert machen. und Ausschalten mitunter mehr zesse begleite und organisiere.“ Energie verbraucht.“ Was könnte anders sein? Eine Frage, die wir ganz eigennützig stellen. Was denken Sie vom Oberliner? Was gefällt Ihnen, was nicht? Schreiben Sie uns an redaktion@oberlinhaus.de – wir freuen uns! Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen. Ihr Redaktionsteam Andreas Sewing-Mordhorst Heike Köpping (hk), Birgit Fischer (bf), BBW: (asm), Oberlinklinik: „Meine Reha Klinikum „Hoher Fläming“: „Zu Hause achte ich darauf, Armbanduhr geht immer zwei „Beim Wäscheaufhängen habe dass das Toilettenpapier immer Minuten vor. Dadurch hoffe ich, ich meine ganz eigenen Vorstel- so eingelegt ist, dass die Rolle nie den Bus, die Tram oder die lungen wie und wo die Kleidungs- vorwärts abgerollt wird.“ Bahn zu verpassen. (Klappt auch stücke hängen und vor allem mit meistens.)“ welchen Klammern. Oft freue ich mich über meine „Farbkomposi- tionen“.“ Leichte Sprache In dieser Ausgabe haben wir das Titelthema in Leichter Sprache zusammengefasst. Leichte Sprache heißt: Wir benutzen kurze Wörter. Wir benutzen einfache Wörter. Wir benutzen keine Abkürzungen. Manja Klein (mk), Oberlin- Judith Saatmann (jsa), WVS: Stefanie Hahn (sh), Oberlin- Wir benutzen gleiche Wörter für die stiftung: „Wenn ich aufgeregt „Für bestimmte Lebensmittel stiftung: „Wenn ich alleine zu gleichen Dinge. bin, kriege ich oft einen nervösen habe ich Lieblingsgeschirr und Hause bin, erwische ich mich Husten. Das ist mir unangenehm, -besteck. Zum Beispiel esse manchmal dabei, dass ich mein Wir erklären schwere Wörter. vor allem wenn ich vor größeren ich Müsli nur mit einem ganz eigenes Handeln kommentiere.“ Wir benutzen kurze Sätze. Gruppen sprechen soll.“ bestimmten Löffel.“
EDITORIAL Oberliner 1/2015 4 Ich behaupte, dass jeder Mensch gern arbei- Liebe Oberliner, tet. Die Dinge, die einem wichtig sind, erfüllt man gern. Auch wenn es manchmal schweiß- treibend, ermüdend oder monoton ist. Arbeit für viele Menschen wird die Vorstellung vom ist ein wesentlicher Aspekt des Menschseins. Paradies mit dem des Schlaraffenlandes gleich- Jeder Mensch, der zur Arbeit fähig ist, wird in gesetzt: Den ganzen Tag in der Hängematte der Beschäftigung auch Sinnerfüllung erfahren. liegen, gebratene Tauben und Wein gäbe es unbegrenzt. Ein Land, in dem statt Milch und Doch im Oberlinhaus treffen wir auf Menschen, Honig, Bier und Gänsebraten fließen. Frei sein die haben schlechtere Startvoraussetzungen zur von allen Verpflichtungen, nie mehr arbeiten. Erwerbsarbeit. Viele Menschen mit Autismus Oftmals wird damit das Bild eines grenzenlosen können diese Aufgaben so nicht erfüllen. Des- Luxusurlaubs verbunden. halb braucht es neue Ansätze, um eine sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen. Dies kann in Ich glaube, die Umsetzung dieser Vorstel- ganz unterschiedlichen Bezügen erfolgen. Ar- lung kommt der Hölle näher als dem Him- beit ist etwas Wesen- und Sinnprägendes. mel. Zum Wesen des Menschseins gehört Dafür lohnt sich jede Anstrengung in der Ober- auch, dass wir uns beschäftigen. Dass wir, so linschule, im Berufsbildungswerk, in den Ober- wir es können, aktiv sind. Etwas tun. Dabei kann lin-Werkstätten oder in den Integrationsbetrie- man zwischen Erwerbsarbeit – als das Arbeiten, ben. um den Lebensunterhalt zu verdienen – und der Arbeit im eigenen Ermessen unterscheiden. Arbeit hat im biblischen Kontext einen ho- Glücklich, wer beides gern macht. hen Stellenwert: Zwei Bibelstellen sollen das verdeutlichen: Man soll den Ochsen, der drischt, Ganz am Anfang der Bibel wird auch der Ur- nicht das Maul verbieten. (5. Mose 25,4) Und sprung von Arbeit beschrieben. Mit der Ver- Jesus stärkt seine Jünger, indem klar formuliert treibung aus dem Paradies ist Adam gesagt ist: Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert. (Lukas worden: 10,7) „Im Schweiße des Angesichts sollst Du dein Brot essen.“ (1. Mose 3, 19a) Herzlich grüßt Sie Das ist eine menschliche Erfahrung. Um für den Lebensunterhalt zu sorgen, braucht es Anstrengung. Auch wenn Spekulationen an Finanzmärkten oder riesige Erbschaftssummen manche Leute auf der Welt finanziell privilegie- Ihr Matthias Fichtmüller ren, das Grundprinzip wird deshalb nicht infrage Theologischer Vorstand gestellt. Auch deshalb ist die unverschuldete Arbeitslo- sigkeit für viele Menschen so schwer zu ertra- gen. Weil Menschen selbst für ihren Lebens- unterhalt sorgen wollen, ein angemessenes Einkommen erwarten und von dem Verdienst auch leben möchten.
Oberliner 1/2015 5 Beständiger Wandel Das Oberlinhaus feiert in diesem Jahr mäße und ideelle Aufgaben“, „Vermögens- und 144-jähriges Bestehen. Im Jahr 1871 wurde Immobilienmanagement“ und „Beteiligungsma- der „Verein Oberlinhaus“ in Berlin gegründet, nagement“ untergliedern. drei Jahre später wurde der Sitz des Vereins nach Potsdam verlegt und mit dem Aufbau der In den Bereich der satzungsgemäßen- und ideel- Leistungen begonnen. Heute, im Jahr 2015, ist len Aufgaben fällt, neben der Kirchengemeinde das Oberlinhaus einer der größten Arbeitgeber und der Oberlinstiftung, der Geschäftsbereich in Potsdam und versorgt über 30.000 Menschen LebensWelten. In den vier Kompetenzzentren jährlich. erbringt der Verein hauptsächlich Leistungen für Menschen mit verschiedensten Förderbedarfen. Organisatorisch hat sich unser diakonisches Un- Weitere in der Satzung festgeschriebene Lei- ternehmen im Laufe der Zeit immer gewandelt. stungsbereiche werden heute in Tochterge- Wenn wir in diesem Jahr das 25-jährige Jubilä- sellschaften des Vereins erbracht. Unter den um der Wiedervereinigung feiern, dann blicken Bereich „Beteiligungsmanagement“ fallen wir auf eine Zeit zurück, in der die Veränderun- Aufgaben der strategischen Steuerung dieser gen im Oberlinhaus besonders groß waren. Gesellschaften. Nach vielen wegweisenden Entscheidungen in den frühen Neunziger Jahren, wie der Grün- Der Aufgabenbereich des Vermögens- und dung der Oberlinschule und des Berufsbildungs- Immobilienmanagements nimmt im Verein werkes, waren es besonders die letzten zehn einen immer größeren Raum ein. Neben dem Jahre, in denen das Oberlinhaus große Sprünge denkmalgerechten Erhalt der bestehenden Ge- gemacht hat. Auch die Struktur musste mit- bäude müssen auch die räumlichen Ressourcen wachsen und sich der neuen Größe anpassen. für die weitere Entwicklung des Oberlinhaus Heute verstehen wir das Oberlinhaus als strate- geschaffen werden. Verfügbare und geeignete gische Holding mit verschiedenen Geschäftsfel- Immobilien sind dabei – neben der Finanzierung dern, der Begriff eines diakonischen Konzerns – immer stärker ein wichtiger Erfolgsfaktor. geht uns immer leichter von den Lippen – ohne dabei die Wurzeln und die Identität des Unter- Organisatorisch wurde zu Beginn des Jahres nehmens zu vergessen. den steigenden Anforderungen durch die Schaf- fung des Bereiches „Immobilienmanagement“ Basis dieses Konzerns ist nach wie vor der im Verein Rechnung getragen. Die Abteilung, die „Verein Oberlinhaus“, ein sogenannter Verein bisher Teil des Wirtschafts- und Verwaltungsser- alten Rechts. Das mag angestaubt klingen, vices war, wird sich in Zukunft noch stärker als ist es aber nicht. Nach der Überarbeitung der bisher um die strategische Immobilienentwick- Vereinssatzung im vergangenen Jahr hat uns lung kümmern. Der organisatorische Wandel das Innenministerium – es fungiert als Auf- geht weiter, das 150-jährige Jubiläum des sichtsbehörde des Vereins – bescheinigt, eine Oberlinhaus fest im Blick. der modernsten Vereinssatzungen des Landes Brandenburg zu besitzen. Die operativen Aufgaben des Vereins haben sich stark verändert – zuletzt mit der Ausgründung der Oberlinschule im Frühjahr 2014. Die wesent- lichen Aufgabengebiete des heutigen Vereins Andreas Koch lassen sich in die drei Bereiche „Satzungsge- Kaufmännischer Vorstand
KIRCHENFENSTER Oberliner 1/2015 6 Geistige Quellen Text: Matthias Amme, Kirchengemeinde Leben. Am Schluss hat sich jeder seine Schatz- kiste vollgepackt, um in seinen Alltag zurückzu- kehren. Und das mit dem Satz: „Nur wenn ich etwas habe, kann ich auch etwas weitergeben.“ Und selbst das kehrt zurück zu mir! Ich schreibe das in guter Erinnerung an diese Tage Anfang Januar. Auch 2016 wollen wir wieder solch ein „Einkehr-Wochenende“ für Mitarbeitende anbieten. Aber bis dahin vergehen noch viele Wochen und jeder und jede kann auf andere Weise in die „Welt der Spiritualität“ einkehren: Beim Glaubenskurs, bei den Mittags- andachten in der Passionszeit – ab 18. Februar immer mittwochs 13 Uhr – bei den Gottesdiens- ten, beim Willkommenssegen, bei den Konzer- ten und auch im seelsorgerlichen Gespräch. In der Spiritualität kann sich ein Raum öffnen, der eine geistige Quelle freilegt, die immer wieder erfrischt und erneuert. Lassen Sie sich dazu einladen! Pastor Matthias Amme Oberliner in Lehnin | Foto: privat Wir saßen zu zwölft im sogenannten „Königs- haus“ und schwiegen eine Weile über die Fra- gen: Wer hat mich eigentlich auf den Weg ge- bracht in meinem Beruf? Welche Vorbilder habe ich mir dazu ausgewählt? Und was haben diese Vorbilder mit dem Thema „Helfen“ zu tun? Elf von uns arbeiten im Oberlinhaus und sind „berufliche Helfer“. Die Zwölfte ist Pfarrerin und kennt sich mit den Themen Lebensbegleitung und Spiritualität aus. Sie heißt Andrea Richter und arbeitet für unsere Landeskirche im „Evan- gelischen Zentrum Lehnin“. Mit ihr zusammen haben wir dort zweieinhalb Tage verbracht. Für die Grundfrage „Ich komme an meine Grenzen. Und was dann?“ gab es keine schnellen Antworten. Wir haben uns deshalb langsam vorgetastet – jeder in seiner eigenen Geschichte. Wir haben in der Bibel gelesen Termin Passionsandachten bis zum 1. April 2015 und die verschüttete Sprache des Gebetes Oberlinkirche freigelegt. In der großen Klosterkirche sind wir singend unter dem Gewölbe hinweggegangen JEDEN und haben uns später am Kamin ausgetauscht MI 13 00 über das notwendige Gleichgewicht in unserem
HÖHEPUNKTE Oberliner 1/2015 7 Einfühlsame Pflege ohne Minutentakt Kooperation der Gemeindeschwestern Großbeeren und des Ambulanten Pflegedienstes im Oberlinhaus feiert 10. Geburtstag Text: Katharina Pankau, WVS | Fotos: Jannek Jänchen Sie steigen täglich in ihre privaten Fahrzeuge und besuchen Menschen, die Hilfe bei den täglichen Verrichtungen benötigen, eine Unterstützung in der ärztlichen Therapie oder einfach „nur mal reden“ wollen: die Gemeindeschwestern Großbeeren begleiten seit zehn Jahren Pflegebedürftige in Groß- beeren und Umgebung. 1 Waschen, anziehen, Verband wechseln: Für all das gibt es in der ambulanten Pflege Normzei- ten. Der Ambulante Pflegedienst im Oberlinhaus und die Kirchengemeinde Großbeeren, die vor zehn Jahren das „Gemeindeschwester-Projekt“ ins Leben riefen, sehen in ihrer Arbeit aber mehr. „Eine Pflege, bei der wir nicht ständig auf die Uhr schauen müssen und die auch die Angehörigen einbezieht, das war die Idee unserer Kirchengemeinde“, sagt die Gemeinde- schwester Celine van der Hoofd. Die individuelle 2 3 Pflege ist möglich, weil die Kirchengemeinde Großbeeren die Kosten für die dadurch entste- hende „Mehrzeit“ trägt. Zum Jubiläum wurde am 25. Januar 2015 ein Festgottesdienst in der Schinkelkirche zu Groß- beeren veranstaltet. Pfarrer Christian Manntz stellte die Würde des Menschen in den Vorder- grund und zeichnete die Arbeit der Schwestern aus. Die fünf examinierten Krankenschwestern sehen ihre Aufgabe in einer vertrauensvollen Begleitung ihrer Pflegekunden, die nicht als Abhängigkeit empfunden werden soll, sondern als Unterstützung bei einem selbstbestimmten 4 Leben in der gewohnten Umgebung. (1) Gut besucht: viele Gäste kamen den Festgottesdienst in der Schinkelkirche zu Großbeeren besuchen. (2) Musikalische Umrahmung beim anschließenden Empfang im Pfarrhaus (3) Pflegedienstleiter Steffen Lehnert übergibt Präsente an die Gemeindeschwestern. (4) Die fünf Gemeindeschwestern freuen sich über die Würdi- gung ihrer Arbeit. (5) Pfarrer Christian Manntz im Interview mit dem rbb 5 6 (6) Zeit für Glückwünsche und Gespräche beim Empfang
O B E R L I N -T E L E G R A M M – K U R Z M E L D U N G E N A U S D E M O B E R L I N H A U S Oberliner 1/2015 8 Oberlinhaus Oberlinstiftung Mitarbeitersommerfest 2015 Neue Ansprechpartnerin für Spender Seit 1. Januar 2015 ist Stefanie Hahn neue Mitar- beiterin der Oberlinstiftung. Sie ist unter anderem verantwortlich für die Betreuung der Spender, die Organisation von Benefiz-Veranstaltungen, die Planung und Durchführung der Pfingst- und Weih- nachtsmailings sowie die Kommunikation der Stif- tung nach innen und außen. mk Stefanie Hahn | Foto: privat Oberlinklinik Kooperation mit der BTU für mehr Fachkräfte in Gesundheitsberufen Foto: Marcus Grünschneder Die Oberlinklinik stellt seit dem Wintersemester 2014/2015 vier Prakti- Die Vorbereitungen für unser Sommerfest haben kumsplätze im Fachbereich Physiotherapie für Studierende der Therapie- begonnen. Wir laden Sie bereits heute recht wissenschaften an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) herzlich ein, am Freitag, 3. Juli 2015, mit uns Cottbus-Senftenberg zur Verfügung. Dabei handelt es sich um einen zu feiern. Merken Sie sich diesen Termin heute Modellstudiengang mit integrierter Berufsausbildung in der Physiotherapie. schon vor! Ziel ist es, die Attraktivität des Gesundheitsberufes zu erhöhen und junge Menschen dafür zu gewinnen. Der Studiengang wird fachlich durch einen Ihr Organisationsteam Beirat begleitet, der aus Vertretern der Universität und der Oberlinklinik besteht. Für die Oberlinklinik nimmt Dr. med. Michael Hücker, Geschäfts- Termin führer der Klinik, die Aufgabe wahr. js Mitarbeitersommerfest 2015 Oberlinhaus JULI AKTIVA Werkstätten Reha Klinikum „Hoher Fläming“ 03 Küsselstraße 45 auf Hermannswerder Physiotherapeuten fit in Faszien-Therapie Das gesamte Team der Physiotherapeuten der Reha Klinik hat sich in den zurückliegenden Monaten im Rahmen von je drei mehrtägigen Inhouse- Schulungen im Faszien-Distorsions-Modell fortgebildet. Diese neue und effektive Methode zur Schmerzbehandlung am Bewegungsapparat wurde vom amerikanischen Arzt Steven Typaldos entwickelt. Faszien sind feine, zähe, bindegewebige Häute, die im Körper eine Vermitt- lerrolle zwischen Muskeln und Knochen spielen. Fasziales Gewebe ist in allen Teilen unseres Körpers zu finden. Mit dem Wissen über Faszien und ihre Eigenschaften kann die manuelle Schmerztherapie für die Patienten der Klinik sinnvoll und erfolgreich ergänzt werden. hk Oberlinhaus Startschuss für die Anmeldung zum Firmenlauf Die Laufsaison ist eröffnet. Im letzten Jahr waren über 40 Teilnehmer beim Oberlinhaus-Laufteam am Start. Wer auch dieses Mal dabei sein möchte, kann sich ab sofort anmelden. Da die Resonanz bereits groß ist, müssen wir unser Startkontingent sorgfältig planen. Anmeldungen gehen an judith.saatmann@oberlinhaus.de. jsa Termin DAK-Firmenlauf 2015 (4,8 km Rundkurs) Volkspark Potsdam JUNI 17 18 30 Oberlinhaus-Laufteam 2014 | Foto: Oberlinhaus
Oberliner 1/2015 9 Oberlinschule Reha Klinikum „Hoher Fläming“ Kinder helfen Kindern Erfolgreich zum zweiten Mal rezertifiziert Nach einem intensiven Prüfungsverfahren wurde das Reha Klinikum im Januar 2015 erneut rezertifiziert. Die Auditoren haben der Klinik eine erneute Weiterentwicklung bescheinigt. Hervorgehoben haben sie die attraktive, gepflegte Anlage, die sehr gut organisierten Abläufe, die über- durchschnittliche Belegung und die Leidenschaft der Mitarbeitenden. Für stationäre Reha-Einrichtungen gibt es eine gesetzliche Verpflichtung, an einem Qualitätsmanagement-Verfahren teilzunehmen, dass von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation anerkannt wurde. Dazu ge- hört das Integrierte Qualitätsmanagement-Programm-Reha (IQMP-Reha), das vom Institut LGA InterCert geprüft wurde. Das Institut hat der Klinik erneut das Siegel „Exzellente Qualität in der Rehabilitation“ verliehen. hk Foto: Oberlinhaus Reha Klinikum „Hoher Fläming“ Insgesamt 1.500 Euro spendeten die Schüler der Oberlinschule am 30. Januar im Rahmen Reha Klinikum als Filmkulisse eines Winterfestes. Jeweils 750 Euro erhielten das „People Concern Children’s Project“ in Für einen Diplomfilm von verschiedenen Fach-Studenten der Filmuni- Uganda und die Deutsche Knochenmarkspen- versität Babelsberg Konrad Wolf dient das Reha Klinikum „Hoher Fläming“ derdatei. Die Spenden stammen aus den Erlö- für einige Szenen als Kulisse. So wurde in der Waldkapelle, in den Keller- sen der traditionellen Oberlin-Adventsbasare, gängen und in der Badeabteilung der Klinik gedreht. Der Film mit dem die Schüler aus allen Schulbereichen jährlich Arbeitstitel „Du willst ja richtig leben“ handelt von drei Frauen, die durch in der Vorweihnachtszeit veranstalten. jsa ganz unterschiedliche Umstände in einer psychiatrischen Klinik landen. Der Film wird vom Produzenten Jost Hering in Zusammenarbeit mit dem ZDF Kleines Fernsehspiel und dem Medienboard Berlin Brandenburg pro- duziert und gefördert. Für die Hauptrollen stehen der Regisseurin Schau- Oberlinstiftung spielprofis zur Verfügung, wie Jella Haase (Kriegerin, Fack ju Göhte), Lana Cooper und Marie-Lou Sellem. Der Film wird voraussichtlich Ende 2015 „Tag der guten Tat“ im fertig und ein Jahr später zu sehen sein. hk Thusnelda-von-Saldern-Haus Oberlinstiftung Benefiz-Kunstauktion in der Oberlinkirche Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten – verkauft! Mit diesen Worten werden am 26. April 2015 um 16.00 Uhr in der Oberlinkirche 50 bis 60 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken namhafter Künstler wie Max Klinger, Otto Dix, Wolfgang Mattheuer, Marc Chagall und Joseph Beuys, um nur einige Künstler zu nennen, versteigert. Ein ungewöhnlicher Ort für eine Auktion, der sicherlich großen Zuspruch bei Kunstinteressierten, Samm- lern, Freunden des Oberlinhaus und Menschen aus der Region finden wird. Bieten auch Sie mit für den guten Zweck, denn 15 Prozent des Gesamterlöses der Benefizauktion kommen dem Projekt „Sinnesgarten“ Bewohner des Thusnelda-von-Saldern-Hauses mit den Damen zugute. Auktionator Dr. Michael Ulbricht vom Leipziger Buch & Kunst- des IWC Potsdam und Heike Judazc, Leiterin des Kompetenzzent- rums für Körper- und Mehrfachbehinderung | Foto: Oberlinstiftung antiquariat veranstaltet die Auktion gemeinsam mit der Oberlinstiftung. sh Für die Damen des Inner Wheel Club (IWC) Termin Benefiz-Kunstauktion Potsdam ist der „Tag der guten Tat“ mittlerwei- Oberlinkirche le eine liebgewonnene Tradition: Mit Vorlesen und Waffelbacken bereiteten sie am 15. Januar APRIL Infos unter 2015 zum dritten Mal den Bewohner/-innen des 26 16 00 www.oberlinstiftung.de www.ulbricht-kunstauktion.de Thusnelda-von-Saldern-Hauses einen besonders schönen Nachmittag. sh
T I T E LT H E M A Oberliner 1/2015 10 Wir (er)leben Vielfalt Über das Arbeiten mit Menschen mit Autismus-Spektrum- Störungen Text: Juliane Höpfner, LebensWelten Im Moltke-Haus können sich Bewohner und Mitarbeitende entfalten und wohlfühlen. | Foto: Oberlinhaus „Wo kommen DIE denn alle her?“ In einem Artikel der Tageszeitung, im neuen Kinofilm auf der Leinwand, im persönlichen Umfeld und im Oberlinhaus sowieso – in unserer Gesellschaft begegnen wir ihnen immer wieder: Menschen mit Autismus und den Personen, die sie privat und beruflich unterstützen. Mittendrin, statt nur dabei! Autismus – (k)eine Modediagnose? Spektrum diagnostisch zuzuordnen sind. Aber Ist das nur unser Gefühl oder werden Menschen müssen wir das wirklich wissen? Vielmehr ist mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) tat- darauf zu achten Menschen mit Autismus- sächlich immer mehr? Bemerkenswert ist, dass Spektrum – mit oder vielleicht auch wegen in den meisten neueren Untersuchungen ein ihrer anderen Art zu denken, zu fühlen und zu INFO zum Teil enormer Anstieg der Zahl der diagnosti- handeln – als soziale Bereicherung zu verstehen. Autismus ist eine genetisch zierten Menschen mit Autismus zu verzeichnen bedingte tiefgreifende Entwick- lungsstörung. Es handelt sich ist. Ursächlich dafür sind in erster Linie die um- Arbeiten mit Menschen mit besonderen um eine angeborene und nicht fassende wissenschaftliche Auseinandersetzung Bedürfnissen heilbare Reiz- und Informations- verarbeitungsstörung des Ge- mit dem Thema Autismus im letzten Jahrzehnt Das Oberlinhaus ist Leistungsanbieter sehr hirns. Die einzelnen Symptome und die damit einhergehenden verbesserten verschiedener und spezialisierter Angebote variieren in Kombination und Schweregraden, weshalb heute Diagnoseverfahren. Nicht zu vergessen ist auch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im von Autismus-Spektrum-Stö- die enorme mediale Aufmerksamkeit, deren Autismus-Spektrum. Für alle diese Tätigkeiten rungen (ASS) gesprochen wird. In der Regel treten folgende mitunter verzerrte und klischeehafte Abbildung gilt: Die Qualität der Arbeit mit Menschen mit Auffälligkeiten bei allen Gruppen dazu beiträgt, dass Autismus zur „Modediagno- Autismus bemisst sich neben fachlichen Kom- auf: 1.) Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, 2.) Beein- se“ stigmatisiert. Umso wichtiger ist und bleibt, petenzen der Mitarbeitenden vor allem an deren trächtigung der Kommunikation, dass Diagnosen valide gestellt werden, um persönlichen Eigenschaften. 3.) Beeinträchtigung der Wahr- nehmung und Reizverarbeitung, deren Glaubwürdigkeit zu wahren und um den 4.) eingeschränkte, sich wieder- Menschen mit einem Störungsbild im Autismus- Im Kompetenzzentrum für Autismus im Ge- holende, stereotype Verhaltens- muster und Interessen. Spektrum sowie ihren Familien die notwendige schäftsbereich LebensWelten arbeiten in der Unterstützung zukommen zu lassen. Bis heute Wohnstätte Moltke-Haus 28 Mitarbeitende Quelle: ABC – Jobs für Men- kann keine konkrete Aussage dazu getroffen bei einer Platzkapazität von zehn Bewohner/ schen mit ASS, Ein Handlungs- leitfaden, Berufsbildungswerk werden, wie viele Menschen aufgrund ihrer -innen mit frühkindlichem Autismus. Allein an im Oberlinhaus gGmbH individuellen Symptomatik dem Autismus- diesem Zahlenverhältnis lässt sich erahnen,
Oberliner 1/2015 11 absolviert hat. Die Erfahrung in Bereichen, in denen Menschen mit ASS unterstützt werden, zeigt jedoch, dass allein der Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums im Bereich Pädagogik, Sozialwesen oder Psychologie dazu bei Weitem nicht ausreichend ist. Im besten Falle fand im Rahmen der Ausbildung oder des Studiums ein Abriss zu den Grundlagen der Symptomatik sowie den gängigsten Förderme- thoden statt. Im Widerspruch dazu gibt es kaum ein Arbeitsfeld in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, in der jene Fachkräfte nicht auf Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen treffen. In der Konsequenz erfolgt erst mit Beginn der praktischen Tätigkeit die zwingend Individuelle Förderung nach autismusspezfischen sowie heil-, musik- und gestaltungstherapeuti- notwendige Auseinandersetzung mit den vielen schen Ansätzen. | Foto: Oberlinhaus Facetten des Störungsbildes und bewährten Methoden zur Förderung, zur Kommunikation welcher Betreuungsaufwand notwendig ist, um den Bedürfnissen des und sozialen Interaktion sowie zur Deeskalation Personenkreises gerecht zu werden. Heilerziehungspfleger/-innen, Ergo- und Prophylaxe von herausforderndem Verhal- therapeuten/-innen, Sozialarbeiter/-innen sowie Mitarbeitende vergleich- ten. Mitarbeitende einer Förderstelle sind jedoch barer Qualifikationen und auch Mitarbeitende ohne Fachkraftqualifikation viel mehr „Einzelkämpfer“ als Mitarbeitende in stellen sich an 365 Tagen im Jahr den täglichen und wiederum nicht Wohnbereichen, die vor allem in der Einarbei- alltäglichen Herausforderungen ihrer Betreuungsarbeit. In der Kontakt-, tungszeit vom methodischen Know-how und Förder- und Beratungsstelle für Menschen mit Autismus-Spektrum- der Anleitung ihrer Teamkollegen/-innen profitie- Störungen arbeitet ein zehnköpfiges Team aus Mitarbeitenden verschie- ren. Hier wird mehr als ein Grundverständnis zur denster Studienabschlüsse der (Heil- und Sozial-)Pädagogik sowie Psy- Symptomatik des Störungsbildes für die Tätig- chologie. Aktuell werden etwa 100 Kinder, Jugendliche und Erwachsene keit vorausgesetzt. autismusspezifisch gefördert. Was zwischen den Zeilen steht Lebenslanges Lernen Das Fachwissen, welches für die autismusspezi- Als „Fachkraft“ wird gemeinhin eine Person bezeichnet, die in einem fische Arbeit von Bedeutung ist, kann und sollte bestimmten Berufsfeld eine entsprechende Berufsausbildung erfolgreich sich jeder Mitarbeitende durch Fortbildungen, zertifizierte Weiterbildungen, Anleitung und Selbststudium aneignen. Für den Blick auf den Menschen mit Autismus, für dessen individu- LE I C HTE SPR AC HE elle Besonderheiten und Bedürfnisse und für all das, was zwischen den Zeilen steht, gibt es Arbeiten mit besonderen Menschen kein Patentrezept. Das Selbstverständnis für ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander und das „Verstehenwollen“ der Person mit Au- Manche Menschen werden mit Autismus geboren. tismus, viel Geduld, starke Nerven, Humor und Autismus ist eine Störung. einen gewissen Grad „positiver Verrücktheit“ bringt man mit oder eben auch nicht – losgelöst Bei dieser Störung funktioniert das Gehirn anders. des Titels einer „Fachkraft“. Das Gehirn ist im Kopf. Menschen mit Autismus denken anders. Dadurch benehmen sie sich manchmal anders. Es gibt immer mehr Menschen, die Autismus haben. Die Ärzte können das heute besser erkennen. Es gibt auch mehr Hilfe als früher. Im Oberlin-Haus zum Beispiel. Da arbeiten viele Menschen. Sie helfen den Menschen mit Autismus. Betreuung in einem überschaubaren Lebensumfeld Foto: Oberlinhaus
OBERLINER BEI DER ARBEIT Oberliner 1/2015 12 „Das ist schon ein bisschen wie Detektivarbeit.“ Ein Tag mit Marcel Stürmer, Heilerziehungspfleger im Moltke-Haus Text & Foto: Manja Klein, WVS Zugegeben: Ein wenig mulmig ist mir schon, als ich mich auf den Weg mache zur Tages- förderung für Menschen mit frühkindlichem Autismus und geistiger Behinderung. Hier am Außenstandort vom Moltke-Haus treffe ich Marcel Stürmer im Gruppendienst. Immer werk- tags übernimmt er hier die intensive Betreuung seiner Klienten/-innen. Oliver Krüger und Marcel Stürmer (v.l.) üben unter Woche regelmäßig nützliche Alltagshandlungen wie Socken aufrollen. Bereits um 6.00 Uhr beginnt mit der Übergabe Individuelle Tagespläne hängen an der Wand vom Nachtdienst die Frühschicht von Marcel und schaffen Vorhersehbarkeit. Wie jeden Tag Stürmer im Moltke-Haus in der Steinstraße: gibt es Frühstück, dann geht es an die frische Gab es Vorkommnisse in der Nacht? Stehen Luft. „Trotz der vielen Gewohnheiten ist es wich- heute Arzttermine an? Bei aller Vorbereitung: tig, auch Variablen reinzubringen. Ansonsten Wie sein Arbeitstag verlaufen wird, weiß Marcel wird alles zur Routine und das macht letztlich Stürmer am Morgen meist nicht so genau. Zu unflexibel im Handeln“, sagt der 37-Jährige, der sehr sei das abhängig von der Tagesform der als Quereinsteiger ins Moltke-Haus kam. Jetzt – Bewohner/-innen, erklärt er mir vorab. viereinhalb Jahre später – hat er nicht nur seine berufsbegleitende Ausbildung zum Heilerzie- Zehn junge Erwachsene im Alter von 18 bis 34 hungspfleger erfolgreich bestanden, sondern Jahren leben im Moltke-Haus. Gemeinsam mit auch zahlreiche Weiterbildungen zum Störungs- seiner Kollegin weckt er Stephanie Müller, Oliver bild ASS absolviert. Krüger, Franziska Rohde und Doris Jansen*. Er hilft bei der Morgenhygiene und packt Medi- Auch die Fördereinheiten finden vormittags kamente für jeden, bevor sie zusammen in die statt. Jede/-r Bewohner/-in hat einen eigenen, Tagesförderung auf dem Stammgelände vom räumlich klar strukturierten Arbeitsplatz. Stepha- Oberlinhaus fahren. Hier gibt es eine Werkstatt, nie Müller fädelt Kronkorken auf eine Schnur. einen Therapieraum sowie eine große Küche. Sie hat Mühe bei der Sache zu bleiben, weint * Namen von der Redaktion geändert
Oberliner 1/2015 13 Der Tag von Oliver Krüger wird mit Hilfe eines bebilderten Zeitplans klar strukturiert. Kann ein Angebot nicht wie gewohnt stattfinden, kommt es in die „Schade Box“. zwischendurch und lautiert vor sich her. Im Weg fremdgefährdendes Verhalten wie Kratzen, stehen in der Regel nicht die fehlenden berufli- Beißen und Schreien reagieren. Letztes Jahr che Fertigkeiten, sondern vielmehr das zumeist hat er deshalb die dreitägige, interne Fortbildung sehr herausfordernde Verhalten der Bewohner/ ProDeMa® (Professionelles Deeskalationsma- -innen. „Super! Und dann gleich ran an die nagement) besucht. Hier wie in den zahlreichen nächste Aufgabe. Ganz toll“, lobt Marcel Stür- Teamsitzungen und Fallsupervisionen hat er mer immer wieder überschwänglich. So wer- gelernt, Anspannungssignale richtig zu deuten. den täglich arbeitsnahe Aufträge sowie haus- „Bevor ein Mensch explodiert, passiert schon wirtschaftliche Tätigkeiten geübt und positive viel im Voraus. Diese Unstimmigkeiten frühzeitig Verhaltensweisen verstärkt, um eine größtmög- zu erkennen und wenn möglich zu vermeiden, liche Selbständigkeit zu erreichen. das ist schon ein bisschen wie Detektivarbeit“, stellt er fest und gibt zu: „Das ist sehr heraus- Gemeinsam mit Stephanie Müller, Oliver Krüger forderndes Arbeiten.“ und Franziska Rohde deckt Marcel Stürmer spä- ter den Mittagstisch. Da alle drei kaum sprechen 14.00 Uhr, es geht zurück zum Moltke-Haus. können, zeigt er viel auf Gegenstände, benutzt Nach der Übergabe mit dem Spätdienst ist einfache Gebärden oder macht Handlungsabläu- Schluss. Ganz bewusst versucht er, sich in fe direkt vor: Gabel links, Messer rechts. Alles seiner Freizeit vom aufreibenden Arbeitsalltag wird im Anschluss genau dokumentiert. Welche abzugrenzen. Eine stabile Partnerschaft, viele Angebote wurden heute unterbreitet? Gab es gute Freunde und auch sein großer Garten kritische Momente? Vor einigen Tagen geriet helfen ihm dabei. Oliver Krüger in eine Krise, war hocherregt, weil der Fahrstuhl am Morgen kaputt war und er ihn nicht wie gewohnt benutzen konnte. Mehrmals die Woche muss Marcel Stürmer krisenbelaste- te Situationen aushalten, muss auf selbst- und
B E R U F E V O R G E S T E L LT Oberliner 1/2015 14 Diplom-Pädagogin Tina Schöck Text: Manja Klein, WVS „Langweilig wird es nie“ Foto: Oberlinhaus In der Kontakt-, Förder- und Beratungsstelle des Kompetenzzent- rums für Autismus werden Kinder, Jugendliche und Erwachsene betreut. Hier arbeitet Diplom-Pädagogin Tina Schöck entweder in den Räumlichkeiten im Oberlinhaus oder ist in ganz Potsdam und Umgebung unterwegs, um Menschen mit Autismus zu Hause, in Kita, Schule oder Werkstatt spezifisch zu fördern. „Ich mag die abwechslungsreiche Arbeit und die wahnsinnige Metho- Einzelförderung zur Verbesserung der Selbstständigkeit denvielfalt“, erklärt die 33-Jährige ihren Berufswunsch. Schwerpunkte der Förderung sind die Verbesserung kommunikativer Fähigkeiten und sozialer Kompetenzen sowie die Erweiterung von Interessen und Beschäftigungs- zusammen: „Dass immer alle an einem Strang möglichkeiten. In der Regel begleitet Tina Schöck ihre Klienten über einen ziehen, ist eine echte Herausforderung.“ Zu Zeitraum von zwei Jahren. ihren weiteren Aufgaben gehören die Erstbe- Einmal in der Woche besucht sie auch den 15-jährigen Jonas* mit ratung von Eltern autistischer Kinder sowie die frühkindlichem Autismus. Da er nicht sprechen kann, übt sie mit ihm auf Fachberatung von Wohnstätten und Schulen, der Grundlage von PECS (Picture Exchange Communications System) ein die fachliche Begleitung des Angehörigenkrei- alternatives, allgemein verständliches Kommunikationssystem. „Hauptziel ses, das Schreiben von Förderplänen und Ent- ist nicht die verbale Kommunikation. Überwiegend durch Bildkartentausch wicklungsberichten sowie die Durchführung soll Jonas angeregt werden, eine Handvoll verschiedener Bedürfnisse wie von Hilfeplangesprächen mit den Kostenträgern. trinken, essen, rausgehen oder schlafen sicher zu äußern“, erklärt sie. Dabei arbeitet sie eng mit seinen Eltern und anderen Bezugspersonen * Name von der Redaktion geändert mit seinen Gefühlen und Gedanken zu akzeptie- Jobcoach Steffen Bahre ren. So können bestehende Stärken und Res- sourcen entdeckt und gefördert, statt sanktio- niert werden. Text: Judith Saatmann, WVS „Ein Gewinn für Unternehmen“ Foto: Hans-Jürgen Wiedl Drei Fragen zum Berufsbild des Jobcoachs an Steffen Bahre, Diplom- Psychologe im Berufsbildungswerk im Oberlinhaus > Welche Fähigkeiten benötigt ein Jobcoach? Die Grundvoraussetzung ist eine hohe Fachlichkeit durch ein breites Me- thodenspektrum im Rahmen autismusspezifischer Weiterbildungen. Um Bedarfe und Potentiale bei Jugendlichen mit ASS feststellen zu können, benötigt ein Jobcoach auch eine gute Wahrnehmungs- und Beobachtungs- gabe. Die Bedarfe eines Klienten können sich schnell ändern und verlan- gen ein hohes Reaktionsvermögen. Jobcoaching ist immer sehr individuell und verlangt eine ganzheitliche Betrachtung der persönlichen Situation jedes Einzelfalls. > Wie muss der Arbeitsplatz für Menschen mit ASS gestaltet sein? Jobchoaching hilft, den Übergang von der Ausbildung zum Berufsleben erfolgreich zu gestalten. Mit den richtigen Rahmenbedingungen können Menschen mit ASS wert- volle Mitarbeiter sein. Die Voraussetzungen sind nicht verallgemeinerbar, jeder hat seine ganz individuellen Bedürfnisse. ASS-freundliche Rahmen- bedingungen könnten sein: reizarmer Arbeitsplatz, klar gegliederte Auf- INFO gabenstruktur mit gut planbaren Arbeitsabläufen, feste bzw. verlässliche Ansprechpartner und eine klare Kommunikation sowie Pausenzeiten oder Das Jobcoaching zielt darauf ab, Menschen mit ASS in einen Arbeits- platz zu integrieren. Dazu begleitet der Coach (als vertraute Bezugs- Rückzugsmöglichkeiten. person) den jungen Erwachsenen im Idealfall von der vollendeten > Welche Voraussetzungen müssen die Kollegen mitbringen? Berufsausbildung bis zum Abschluss eines Arbeitsvertrages und auch darüber hinaus. Der Jobcoach ist für arbeitsbezogene Beratung Die Grundvoraussetzung ist ein hohes Maß an Toleranz und Empathie. und Unterstützung des Klienten – aber auch des Unternehmens – Oft haben Menschen mit ASS „Verhaltensoriginalitäten“, die erst einmal zuständig. Momentan werden zwei Absolventen des Berufsbildungs- werks an ihrem Arbeitsplatz als Küchenhilfe in einem Hotel bzw. als komisch wirken. Informationen für die Kollegen über die Gründe für diese System Operator in einem Berliner Unternehmen durch Jobcoaching Verhaltensweisen helfen, den Mitarbeiter in seiner Gesamtpersönlichkeit, begleitet.
Oberliner 1/2015 15 Gruppenleiter Marcus Belitz Text: Judith Saatmann, WVS Eindeutigkeit, Klarheit und Struktur Foto: Wolfgang Bellwinkel Drei Fragen an Marcus Belitz, Gruppenleiter in der Abteilung Montage in den AKTIVA Werkstätten und gelernter Zimmermann mit sonder- pädagogischer Zusatzausbildung. > In welchen Bereichen sind Menschen mit ASS in den Werkstätten beschäftigt? Menschen mit ASS arbeiten in den Werkstätten in vielen Bereichen. Autisten sind in den Werkstätten z. B. in der Pulverbeschichtung, der Gar- ten- und Landschaftspflege, der Montage, in der Stuhlflechterei, kurzum in fast allen Arbeitsbereichen beschäftigt. Einen großen Schwerpunkt bildet > Was sind die Stärken im Arbeitsalltag von die abteilungsübergreifende Netzwerkarbeit und die enge Verzahnung mit Menschen mit ASS? Sozialarbeitern und Psychologen. Sie zeichnen sich oft durch eine sehr sogfältige, > Was ist das Besondere an der Arbeit mit Menschen mit ASS? exakte und selbständige Arbeitsweise aus. Je Die sehr sensible Wahrnehmung von Reizen kann schnell zu einer Reiz- nach Interesse können wir auch Vorlieben zu überflutung führen. Daher müssen die Arbeitsbereiche oft gegenüber Elementen wie Holz, Metall oder Kunststoffen Geräuschen oder anderen Menschen individuell abgeschottet sein. Nach bei der Arbeitsplatzsuche berücksichtigen. Da einer Einarbeitungszeit von sechs Monaten oder oft auch mehr gewöhnen Menschen mit ASS eine feste äußere Struk- sich die Beschäftigten an z. B. Produktionsgeräusche. Ein wichtiges Ele- tur benötigen, bedeutet dies klare Regeln im ment bildet die zeitliche Strukturierung des Arbeitstages. Täglich wieder- Arbeitsalltag um Entscheidungen abzunehmen, kehrende Abfolgen zählen zur Arbeitsgrundlage. Die Aufgaben müssen die sie sonst überfordern können. Diese Hilfen sehr klar benannt und Einzelschritte eingeübt werden. Zu den konstanten können oft nach und nach angepasst werden, Bezugspersonen wird ein hohes Vertrauen aufgebaut, sodass ich Vertre- sodass sie mehr Kompetenzen zur Selbstorga- tungen sehr detailliert vorbereite. nisation entwickeln können. Oberlinschule und Schule am Norberthaus Sie möchten im Bereich Autismus Beschulung (Lehrkräfte, Therapeuten, schulbe- arbeiten? gleitende Einzelfallhelfer etc.) Berufsbildungswerk im Oberlinhaus (BBW) Unterstützung und Begleitung bei Berufsfin- Hier finden Sie beispielhaft Tätigkeitsfelder im dung, Berufsvorbereitung und Berufsausbildung Oberlinhaus. Jobcoaching auf dem 1. Arbeitsmarkt AKTIVA Werkstätten LebensWelten im Oberlinhaus Unterstützung in der Gestaltung und Struktu- Kompetenzzentrum für Autismus rierung des Arbeitsplatzes von Menschen mit Kontakt-, Förder- und Beratungsstelle für Menschen mit Autismus Behinderung – ambulante und mobilespezifische Beratung & Förderung (Standorte Potsdam und Michendorf) Kooperationsverbund Autismus Berlin – Institutionsberatung und Fortbildung (KVA Berlin) – Verhaltenstherapeutisches Intensivtraining für Kinder mit Autismus Unterstützung, Förderung und Begleitung für im Vorschulalter Menschen mit Autismus und ihre Angehörigen – Sozialtraining an Schulen Vernetzung und Zusammenarbeit mit unter- Wohnangebote schiedlichen Akteuren der Versorgungsland- – autismusspezifische, stationäre Betreuung im Moltke-Haus schaft in Berlin und Brandenburg – ambulant unterstütztes Wohnen für Erwachsene mit ASS Kompetenzzentrum für Körper- und Mehrfachbehinderung IHRE BEWERBUNG SENDEN SIE BITTE AN : Wohnangebote Frau Anke Strzelczyk Gesellschaft bitte individuell ergänzen – 2 autismusspezifische Wohngruppen im Ludwig-Gerhard-Haus Rudolf-Breitscheid-Straße 24 14482 Potsdam Assistenzagentur Telefon: 0331 763-5228 – Schulbegleitung von Kindern und Jugendlichen mit Autismus E-Mail: bewerbermanagement@oberlinhaus.de
HINTERGRUND Oberliner 1/2015 16 Bewegende 15 Monate beim Kooperationsverbund Autismus Berlin Text: Stephanie Loos, Anke Menz, Kooperationsverbund Autismus Foto: Kooperationsverbund Autismus Berlin Der Kooperationsverbund Autismus Berlin (KVA Berlin) wurde zum 1. September 2013 als gemeinnütziger freier Träger mit Sitz in Berlin- Tempelhof gegründet. Seit Sommer 2014 ist der KVA Berlin ein Un- ternehmen im Oberlinhaus. Der Kooperationsverbund Autismus Berlin agiert und versteht sich als „Haus der offenen und vielfältigen Türen“. Er bietet wohnortnahe, indivi- duelle und lebensweltorientierte Unterstützung und Begleitung für Men- schen mit Autismus, ihren Familien und Bezugspersonen. Dabei stehen umfassende, präventiv und nachhaltig angelegte Leistungen über die gesamte Lebensspanne eines Menschen mit Autismus einschließlich der Einbeziehung der jeweiligen Lebenssituation und des Lebensumfeldes im Vordergrund. Der KVA Berlin steht für die Entwicklung förderlicher Bedingungen, denn gute Bedingungen erweitern die Handlungskompetenz. Entsprechend seines Namens legt der KVA Berlin großen Wert auf eine enge Vernetzung und Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteuren der Versor- gungslandschaft in Berlin und Brandenburg. Informationen werden pass- genau gebündelt und sind somit eine wertvolle Orientierungshilfe, welche Ratsuchende schneller ihr Ziel erreichen lässt. Der Weg zur Bereitstellung und Inanspruchnahme unterstützender oder fördernder Hilfen vereinfacht Im April 2014 war der KVA Berlin auf der Messe „Miteinander Leben Berlin“ vertreten. Unser Stand wurde sehr gut und nach- und verkürzt sich hierdurch deutlich. haltig besucht. Die vergangenen 15 Monate waren für den KVA Berlin äußerst bewegend. Inhaltlich und sinnentsprechend geht es aber weiter guten Schrittes voran. Wir sind eine Anlauf- und Begegnungsstätte, bieten hierfür z. B. dienstags von 16 bis 18 Uhr die Möglichkeit für den persönlichen und fachlichen Austausch von Menschen mit Autismus, ihren Angehörigen und Interes- sierten im Rahmen unseres „Offenen Treff“. Unsere Angebote der Autis- musspezifischen (Früh-)Förderung, der Sozialen Kompetenzgruppen, dem Betreuten Einzelwohnen werden mit deutlicher Zunahme nachgefragt. Ein durchweg positives Feedback erhielt der KVA Berlin auf seine schnell ausgebuchten Fortbildungen. Ein kooperativ besonderes Projekt war in diesem Bereich der Workshop mit Frau Bernard-Opitz. Wir begegneten dem in unseren Beratungen als häufig schwierig angesprochenem Themenfeld der schulischen Versor- gung von Schülerinnen und Schülern mit Autismus konstruktiv als auch aktiv, z. B. durch die engagierte Mitarbeit an einer Expertise für die Ber- liner Senatsverwaltung für Bildung. Der Kooperationsverbund Autismus Berlin hat in den vergangenen 15 Monaten ein gutes Netzwerk aufgebaut, wozu natürlich auch die stär- kere Verzahnung mit dem Oberlinhaus zählt. Wir freuen uns auf ein ge- ordnetes, ein im Angebot und Nachfrage wachsendes neues Jahr. In Kooperation mit einem Berliner Bezirksamt und dem Kinder Pflege Netzwerk hat der KVA Berlin die Broschüre „Frühe Hilfen, Beratung und Entlastung für Eltern von Kleinkindern mit einer Behinderung oder chronischer Erkrankung“ entwickelt. Eine Veröffentlichung in weiteren Berliner Bezirken steht in 2015 an.
AUS DER STEINSTR ASSE – NEUIGK EIT EN AUS D EM BERUFSBILDUNGSW ERK Oberliner 1/2015 17 „Ich gehe meinen Weg.“ Erfolgreich ins Arbeitsleben mit Autismus Text: Birgit Fischer, BBW Paul Kötz hat im Sommer 2012 seine Ausbildung zum Bürokauf- mann im Berufsbildungswerk erfolgreich abgeschlossen. Bereits im 4. Lebensjahr wurde bei dem inzwischen 24-Jährigen eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert. Er war der erste Inte- grationsschüler eines Gymnasiums an seinem Heimatort Leipzig, das er nach der 10. Klasse abbrach. Er sagt: „Ohne das BBW hätte ich eine Ausbildung nicht geschafft.“ Paul Kötz | Foto: privat Paul Kötz besuchte in Leipzig ein Gymnasium. ihn, um die Ausbildung erfolgreich absolvieren zu können. „Gerade in Der hochbegabte Asperger-Autist galt als erster Schlüsselmomenten war diese Hilfe entscheidend für den Verlauf meiner gymnasialer Integrationsschüler in der sächsi- Ausbildung“, sagt er rückblickend. „Positiv kam hinzu, dass ich einer von schen Metropole. Doch was sich so gut anhörte, vielen war und nicht mehr der „Andere“ in der Klasse. Alle Azubis hatten funktionierte in der Realität schlecht. Die beim ja irgendetwas“, resümiert er. Jugendamt beantragten Hilfen wurden nicht gewährt, die Unterstützung in der Schule blieb Nach seinem Ausbildungsabschluss vor der Industrie- und Handelskam- aus. In der 9. Klasse ging es dann nicht mehr. mer war Paul Kötz zunächst ein Jahr lang arbeitslos. Um überhaupt etwas Paul unterbrach die Schule für eine halbjährige zu machen, fing er in einem Callcenter an. Rückblickend war das eine gute Therapie an einer Tagesklinik. Doch auch danach Entscheidung. Die Arbeit dort machte ihm Spaß, es gab für die einzelnen wurde es im Unterricht nicht besser. Seine Teams Coaches, die als Mediatoren zwischen den Kollegen vermittelten Eltern schauten sich mit ihm zusammen nach und für schwierige Gesprächssituationen eine Supervision anboten. Alternativen um und fanden die Oberlinschule. Aufgrund der hohen Nachfrage konnte Paul je- Dann hörte er, dass in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in der er schon wäh- doch zeitnah kein Schulplatz angeboten werden, rend seiner Ausbildung ein längeres Praktikum gemacht hatte, eine Stelle aber Uwe Plenzke, Schulleiter der Oberlinschule, ausgeschrieben war. Seine Bewerbung war erfolgreich. empfahl der Familie, sich das Berufsbildungs- werk (BBW) anzuschauen. Spontan fuhren sie Seit November 2014 arbeitet Paul Kötz im Bereich Beschaffung und be- kurz darauf zum Tag der offenen Tür. treut die Ausschreibungen für die Zentrale der Rosa-Luxemburg-Stiftung und die deutschen Regionalbüros. Es gefällt ihm dort und er kommt gut Das war im Sommer 2007. Doch auch im BBW zurecht. Die Kommunikation ist offen, er versteht sich mit seinen Kollegen. war kurzfristig kein Platz frei, sodass Paul noch Noch wohnt Paul in Berlin zur Untermiete. Doch das soll sich ändern: Der die 10. Klasse in Leipzig beendete. Im August Umzug in eine eigene Wohnung ist geplant. 2008 begann er in Potsdam mit einer Berufs- vorbereitenden Bildungsmaßnahme und schloss die Ausbildung zum Bürokaufmann an. Während seiner BBW-Zeit erhielt er Unterstützung durch einen Coach und hatte regelmäßige Gespräche mit einem Psychologen. Die zusätzliche Sicher- heit, die ihm die Begleitung durch den Psycho- logischen Dienst im BBW gab, war wichtig für
SO Oberliner 1/2015 18 Sozialtraining oder Gruppenangebot zur Förderung sozialer Kompetenzen? Text: Juliane Höpfner, Welches Angebot machen wir Kindern und Jugendlichen mit LebensWelten Fotos: Oberlinhaus Autismus-Spektrum-Störung? Beeinträchtigungen in den Bereichen Kommunikation und soziale Interaktion zählen primär zur Symptomatik aller Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Menschen mit Autismus verspüren und äußern häufig den deutlichen Wunsch nach sozialen Beziehungen, die Gestaltung und Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Kontakte fällt jedoch oft sehr schwer. Schwierigkeiten bestehen unter anderem darin, die Wirkung des eigenen Verhaltens auf andere zu reflektieren, soziale Regeln zu erkennen und entsprechend danach zu handeln. Häufig stellt sich die Frage, welche Unterstützung in der Erweiterung sozialer Kompetenzen Kinder und Jugendliche benötigen. Im Folgenden werden zwei unterschiedliche Ansätze vorgestellt. Anders als andere? Das Sozialtraining Für Schüler mit Autismus bietet das Autis- Im zweiten Schritt spielen sie das Rollenspiel muszentrum ein Sozialtraining an. Es findet auf der Grundlage eigener Erfahrungen nach in der Regel wöchentlich als inklusives An- – mehrere Schüler in verschiedenen Rollen. gebot an Regelschulen statt. Vier bis sechs Trainer/-in und Mitschüler/-innen geben ein Schüler/-innen mit und ohne Autismus Feedback zum Rollenspiel. Am Ende der Sitzung werden von einem Mitarbeitenden (fortan gibt es eine Art Hausaufgabe, in der das geübte Trainer/-in) angeleitet und begleitet. bzw. erlernte Verhalten in der Freizeit oder in INFO der Schule angewendet werden soll. Ziel ist Juliane Höpfner Folgende Verhaltensweisen werden erlernt es, einen Transfer des Geübten/Gelernten in Leiterin Kompetenzzentrum für und oder erweitert: Fähigkeiten fürs Klassen- den Alltag erfolgen zu lassen. In der nächsten Autismus zimmer (z. B. sich ein Ziel setzen, Ablenkungen Sitzung wird der Erfolg zusammen ausgewertet Bereits während ihres Studiums zur Diplom-Sozialpädagogin/ ignorieren), Freundschaften schließen (z. B. um und das weitere Vorgehen besprochen. Der -Sozialarbeiterin absolvierte einen Gefallen bitten, ein Kompliment machen), Wechsel zum nächsten Thema richtet sich Juliane Höpfner eine autismus- spezifische Zusatzausbildung Umgang mit Gefühlen (z. B. Umgang mit der nach dem Bedarf der Gruppe. und war in einer Wohnstätte eigenen Angst, eigene Gefühle ausdrücken), für Erwachsene mit Autismus sowie ehrenamtlich in einer Alternativverhalten zur Aggression (z. B. Proble- Methodisch beruht das Sozialtraining auf einem Autismusambulanz tätig. 2003 me lösen, Streit vermeiden), Umgang mit Stress verhaltenstherapeutischen Ansatz. Die Schüler/ kam sie ins Oberlinhaus als Ein- zelfallhelferin eines autistischen (z. B. ein Nein akzeptieren, Umgang mit Grup- -innen sehen und spielen nur positive /“richtige“ Jungen. 2005 übernahm sie penzwang). Verhaltensweisen nach, um diese stärker zu ver- eine der Gruppenleitungen im Ludwig-Gerhard-Haus und war ankern. Vom Training, welches etwa ein bis zwei Ansprechpartnerin für fachliche In jeder Sitzung wird gemeinsam das Thema Jahre dauert, profitieren alle Teilnehmer/-innen Fragen in der Betreuung aller au- tistischen Bewohner/-innen der gefunden. Dabei werden unter anderem Fragen ob mit oder ohne Autismus, und so ganz neben- Wohnstätte. 2006 eröffnete das berücksichtigt wie: „Worin habe ich Schwierig- bei sorgt dieses Miteinander für mehr Toleranz Moltke-Haus, dessen Leitung sie übernahm. Aktuell leitet keiten? Was möchte ich gern lernen?“. Es folgt und Akzeptanz in der Klasse. Juliane Höpfner das Kompe- eine Definition eines bestimmten Verhaltens: tenzzentrum für Autismus und ist Mitglied im Fachbeirat vom „Wie kann ich mich verhalten, wenn ich…?“. Kooperationsverbund Autismus Das Verhalten wird von den Schülerinnen und Berlin. Schülern vorgespielt und anschließend beschrie- ben – neutral, wertfrei und konkret. Alle erhalten die Definitionen auf Karteikarten. Bezug neh- mend auf den Alltag der Schüler/-innen wird darüber diskutiert, in welchen Situationen sich das Verhalten anwenden lässt.
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