Zivilgesellscha! als Lackmustest für demokratische Governance

 
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Zivilgesellscha! als Lackmustest für demokratische Governance
Zivilgesellschaft als
           Lackmustest für
 demokratische Governance
 European Media Freedom Act als Chance
für die Einführung eines Open Media Fund

                                  Alexander Baratsits

                         Ein Auszug aus dem Buch:
      „BUILDING A EUROPEAN DIGITAL PUBLIC SPACE“

Das Gesamtbuch ist erhältlich unter: www.irights-lab.de
Zivilgesellschaft als
                     Lackmustest für
           demokratische Governance
          European Media Freedom Act als Chance
         für die Einführung eines Open Media Fund

                                              Alexander Baratsits

                                                       Abstract
In allen demokratischen Gesellschaften haben Medien als sogenannte
„Vierte Gewalt” bekanntlich die grundlegende Funktion der Informa-
tion, Meinungsbildung und Kontrolle der drei weiteren Gewalten im
Staat. Seit Längerem befinden sich die Medien der Europäischen Demo-
kratien allerdings in einer Krise, die durch die Covid-19-Pandemie noch-
mals dramatisch verschärft wurde. Vor allem die Disruption bisheriger
Geschäftsmodelle durch digitale Plattformen haben zu Verlusten von
Werbeeinnahmen von 30 bis hin zu 80 Prozent im Jahr 2020 geführt
(Gammeltoft 2020). Gleichzeitig findet die Kommunikation im digitalen
Raum weit überwiegend auf US-amerikanischen oder chinesischen Platt-
formen statt, deren Nutzungsbedingungen naturgemäß nach kommer-
ziellen Kriterien und nicht nach den Interessen des Gemeinwohls ausge-
staltet sind. Um nicht länger von US-amerikanischen oder chinesischen
Plattformen abhängig zu sein, reicht Plattformregulierung alleine nicht
aus. Vielmehr braucht Europa mittel- und langfristig eine eigene souve-

                                                                      1
Zivilgesellschaft als Lackmustest für demokratische Governance                                                                                Alexander Baratsits

räne digitale Infrastruktur basierend auf europäischen Werten. Ein                      den USA und China, immer mehr Einfluss darauf, wie wir miteinander
wichtiger Aspekt dabei ist eine demokratische Governance, wobei die                     kommunizieren. Zusammen führen diese Entwicklungen das bestehende
Einbindung der Zivilgesellschaft ein Lackmustest für die demokratische                  Geschäftsmodell kommerzieller Medien in Europa (und weltweit) in eine
Reife sein muss. Der im April 2021 vom EU-Kommissar für Binnen-                         existenzielle Krise, für die bisher noch keine Lösung in Sicht ist.
markt und Dienstleistungen Thierry Breton vorgeschlagene „European                          Die vorherrschende politische Reaktion auf die wirtschaftliche Krise
Media Freedom Act“ sollte nun konkreter Anlass dazu sein, pro-aktiv                     und die sinkende Reichweite der europäischen Massenmedien scheint
ein europäisches Förderprogramm – sprich einen Open Media Fund zu                       derzeit darin zu bestehen, das System durch staatliche Unterstützung
begründen. Dieser soll insbesondere auch für zivilgesellschaftliche Non-                aufrechtzuerhalten. Dies gibt den einzelnen europäischen Regierungen
Profit-Medien dazu dienen, die Digitalisierung voranzutreiben sowie die                 zunehmend die Möglichkeit, nicht nur auf die öffentlich-rechtlichen
Bildung und das Kuratieren als auch den Austausch von europäischen                      Medien Druck auszuüben, sondern auch auf kommerzielle Medien,
Formaten und Programmen für unterrepräsentierte Gruppen zu fördern.                     da auch diese zunehmend von der öffentlichen Finanzierung abhängig
    Die europäische(n) Öffentlichkeit(en) befindet/befinden sich in                     werden.
einem disfunktionalen Zustand.1 Schon immer stand die Idee einer euro-                      Nachdem die EU über fast zwei Jahrzehnte keine neuen Regeln für
päischen Öffentlichkeit vor großen Herausforderungen, konnten doch                      digitale Dienste und Online-Plattformen aufgestellt hatte, wurden mit
aufgrund der sprachlichen, kulturellen und politischen Vielfalt Europas                 der Datenschutzgrundverordnung (in Kraft seit 2018) und der Richtlinie
keine europaweiten Nachrichtenmedien entstehen, wie wir sie etwa aus                    über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (umzusetzen bis Ende
den USA mit der New York Times, der Washington Post oder den Kabel-                     2021) sehr verspätet Maßnahmen gesetzt bzw. 2020 mehrere (geplante)
netzwerken CNN oder Fox News kennen.                                                    regulierende Maßnahmen angekündigt. Im Dezember präsentierte die
    Daneben führte der Aufstieg der sozialen Medien nicht nur zu einer                  EU-Kommission den „EU Action Plan to support the media and audio-
Verlagerung der Nachrichtenrezeption weg von den journalistisch-                        visual sectors” (Europäische Kommission 2020). Er soll unter anderem
redaktionellen Massenmedien hin zu den Erstgenannten. Er führte auch                    dem Mediensektor einen besseren Zugang zu Finanzmitteln bieten, die
zu einer generellen disruptiven Veränderung des Mediensektors mit                       digitale Transition im audiovisuellen Sektor unterstützen und zusätz-
mehreren wichtigen Auswirkungen: Persönliche Profile von Nutzer:in-                     lich europäische Datenräume für Datenaustausch und Innovation in
nen werden an kommerzielle und politische Kund:innen vermarktet, was                    der Medienbranche fördern. Im Fokus stehen außerdem die Schaffung
zu einem System der Massenüberwachung (in der Regel unter Verstoß                       von Medienkompetenz bei den Bürger:innen sowie eine Stärkung der
gegen die Datenschutz-Grundverordnung) und der Intransparenz führt,                     Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden. Gegen die zunehmende
da nicht bekannt ist, wer zum Beispiel welche (politische) Werbung ange-                Desinformation soll vor allem der ebenfalls von der Kommission vorge-
zeigt bekommt.                                                                          stellte „Digital Service Act“ (DSA) regulierend eingreifen. Mit dem
    Gleichzeitig wird mit Hilfe von Algorithmen die Aufmerksamkeit                      „Digital Market Act“ (DMA) wiederum sollen EU-weite, harmonisierte
und damit auch die Aktivität der Nutzer:innen auf Dienste gelenkt, die                  Regelungen zur Schaffung von fairen und offenen digitalen Märkten
die meisten Interaktionen dadurch auslösen, dass sie starke positive                    eingeführt werden. Der Missbrauch künstlicher Intelligenz soll durch
oder negative Emotionen unterstützen. Dies verstärkt die politische                     den „Artificial Intellegence Act“ (AI Act) hintangehalten werden. Nicht
Polarisierung unserer Gesellschaften. Nicht zuletzt findet eine massive                 zuletzt soll der Medienpluralismus durch den „European Media Freedom
Verlagerung von Werbegeldern statt: weg von den traditionellen jour-                    Act“ geschützt werden.2 Diese Maßnahmen der EU sind in einigen Teilen
nalistisch-redaktionellen Massenmedien hin zu monopolistischen Platt-                   sehr zu begrüßen. Mehr Medienkompetenz und mehr Regulierung der
formen. Auf diese Weise bekommen diese Plattformen, vorwiegend aus                      großen Plattformen allein werden jedoch keinen European Public Space
                                                                                        herstellen können. Google, Facebook & Co. haben kein Interesse daran,
1   Eine genaue Betrachtung dieses Problems war Teil einer Erklärung, die der Autor
    auf der PublicSpaces-Konferenz am 11. März 2021 abgab, teilweise inspiriert durch
    den Text von Volker Grassmuck, der auf https://sdeps.eu/ veröffentlicht wurde.      2   Mehr dazu nachfolgend.

2                                                                                                                                                              3
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für unsere europäischen Demokratien die Funktion der Vierten Gewalt         sion), waren bisher nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Die General Data
zu übernehmen. Ihr funktioneller Auftrag liegt darin, Mehrwert für die      Protection Regulation (GDPR) etwa soll für eine bessere Durchsetzung
Eigentümer:innen herzustellen, basierend auf einem Geschäftsmodell          von Privacy-Regeln sorgen. Dass ein Gutteil der Geschäftsmodelle der
des Datenhandels. Daher werden die Nutzungsbedingungen im Kern              großen Plattformen nach europäischem Recht unzulässig ist, zeigen
immer dem Aspekt des Datenhandels und nicht der Herstellung von             die Urteile zu Schrems versus Facebook, nach denen der Europäische
Meinungsfreiheit und Medienpluralismus untergeordnet sein.                  Gerichtshof beide Male die Rechtsgrundlage für einen rechtmäßigen
    In den liberalen Demokratien Europas hat sich nach dem Zweiten          Datentransfer in die USA im Wesentlichen aufgehoben hat. Allerdings
Weltkrieg ein pluralistisches System entwickelt, das aus öffentlich-        werden die Regeln und Urteile bislang nur sehr zurückhaltend exeku-
rechtlichem Rundfunk und privaten Medien besteht, wobei letztere            tiert, wie das Beispiel Irland zeigt. Auch beim Digital Service Act, dem
kommerzielle wie auch nichtkommerzielle Medien einschließen. Der            Digital Market Act und dem AI Act muss man erst sehen, wie konsequent
öffentlich-rechtliche Rundfunk ist staatlich organisiert und mit dem        sie exekutiert werden oder ob sie, wie schon bei der GDPR zu beobachten
Auftrag objektiver wie pluralistischer Berichterstattung ausgestattet.      war, vor allem den europäischen, vergleichsweise kleinen Akteur:innen
In den Gremien sind Vertreter:innen der politisch stärksten Gruppie-        Compliance-Kosten aufzwingen, ohne den großen Big Tech-Unterneh-
rungen der jeweiligen Staaten repräsentiert, zum Teil unter Einschluss      men einschneidende Änderung ihres Geschäftsmodells aufzuerlegen.
von mehr oder weniger unabhängigen zivilgesellschaftlichen Gruppen.         Dies würde sogar zu einer noch schlechteren Ausgangslage für europäi-
Die Gesamtheit ergibt ein (innen-)pluralistisches System, dessen Infra-     sche Player führen ohne bei den US-amerikanischen und chinesischen
struktur zu einem wesentlichen Teil öffentlich-rechtlich, das heißt unter   Plattformen europäische Werte signifikant durchzusetzen.
demokratischer Kontrolle betrieben wird.                                         Doch selbst wenn die Rechtsdurchsetzung wirksam umgesetzt wird,
    Zum Innen-Pluralismus des öffentlich-rechtlichen Systems kommen         bleibt die Frage, wie Pluralismus und demokratische Kontrolle über die
private Medien, die in der Regel auf eigenen Infrastrukturen agieren.       Verfasstheit unserer europäischen Öffentlichkeiten im (dominierenden)
Auch für private Medien gibt es einen medienrechtlichen Auftrag zur         digitalen Raum hergestellt werden kann.
Einhaltung journalistischer Standards. Gleichzeitig sollen durch kartell-        Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften/ARD und
rechtliche Schranken mehr oder weniger erfolgreich monopolistische          private Verleger (Henning/Kagermann 2020, auch: acatech-Papier) oder
Entwicklungen hintangehalten werden. Dies führt insgesamt zu einem          Initiativen wie Shared Digital European Public Sphere (sdeps.eu) schla-
pluralistischen System.                                                     gen einen groß angelegten Bewusstseinswandel innerhalb Europas vor,
    Anders sieht das im digitalen Raum aus: Hier findet Massenkom-          um sich von kommerziellen monopolistischen Plattformen unabhängig
munikation zu wesentlichen Teilen auf den Infrastrukturen Dritter,          zu machen und eine digitale Souveränität zu erreichen, die auf euro-
sprich auf kommerziellen Plattformen statt. Durch die Gestaltung der        päischen Werten wie Pluralität, Offenheit, Privatsphäre, Demokratie,
technischen Infrastruktur und dadurch, dass man über die Daten der          Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit beruht.
Nutzer:innen verfügt, können diese Plattformen wesentlich beeinflussen,          Konkret soll eine europäische öffentliche Sphäre durch eine euro-
wohin Aufmerksamkeit geht und auch wohin Umsätze fließen. Mit ihren         päische digitale Infrastruktur geschaffen werden. Im Gegensatz zu den
Nutzungsbedingungen definieren sie ganz wesentlich die Spielregeln          geschlossenen monopolistischen Plattformen soll sie offene Standards
unserer Kommunikation. Da deren Inhalte – bis auf wenige Ausnahmen          verwenden, so dass neue Technologien leicht wiederverwendet werden
– nicht von den Plattformen selbst gestaltet werden, sind diese keine       können (Open Source, Interoperabilität, Übertragbarkeit). Außerdem
redaktionellen Medien und unterliegen damit auch keinem Auftrag zur         soll sie dezentral weiterentwickelt werden. Entstehen soll also keines-
Einhaltung journalistischen Standards.                                      wegs ein „EuroTube“, sondern ein Netzwerk europäischer Plattformen
    Alle Versuche Europas, durch Regulierung der Rahmenbedingungen          unter demokratischer Kontrolle.
einen digitalen Binnenmarkt durchzusetzen, der auf europäischen Werten      In diesem Sinne schlagen Vertreter:innen der SDEPS-Koalition (Shared
beruht (hier lag der Schwerpunkt der letzten Europäischen Kommis-           Digital European Public Spaces) im Rahmen der Konsultation der Euro-

4                                                                                                                                                  5
Zivilgesellschaft als Lackmustest für demokratische Governance                                                                      Alexander Baratsits

päischen Kommission zu den Prinzipien der Europäischen Kommis-               schen Plattformen zu sein: Wie sonst soll die sprachliche, kulturelle und
sion für die Digitale Dekade die Einführung eines neuen Prinzips eines       politische Vielfalt dargestellt und gewährleistet werden?
European Digital Public Space vor, nämlich: „The right to open, public           Die Frage der demokratischen Organisation ist daher verknüpft mit
alternatives: Access to an open, decentralised, trusted European digital     der Frage, wer die technischen Standards für die Protokolle setzt, die im
public space, built on democratic values and public digital infrastructure   Netzwerk europäischer Plattformen verwendet werden. Welche Techno-
that ensures a rights-based, people-centred alternative to commercial        logien kommen zum Einsatz und wo werden die Milliarden investiert,
platforms.“ (Quelle: unveröffentlichtes Papier) Im Mittelpunkt steht die     die für die Digitalisierung in die Hand zu nehmen sein werden?
(Weiter-)Entwicklung der European Public Sphere in einen European                Das acatech-Papier zur Gestaltung der digitalen Souveränität Euro-
Digital Public Space, der basierend auf einer souveränen europäischen        pas aus dem Jahr 2020 macht einen interessanten Vorschlag. Der Ansatz
Public Digital Infrastructure demokratische Grundrechte sichert. Kern-       für eine Governance-Structure ist hier die Gründung einer öffentlich-
frage wird sein, wer anstelle von US-amerikanischen oder chinesischen        rechtlichen Digitalagentur im Zusammenspiel mit einer European Public
Plattformen die European Public Digital Infrastructure betreibt. Gleich-     Sphere Alliance. Eine solche Digitalagentur hätte den gemeinwohlorien-
zeitig müssen folgende Fragen beantwortet werden: Wie kann eine              tierten Auftrag, den Aufbau eines digitalen Ökosystems zu koordinieren.
demokratische Organisation gesichert werden? Wie funktioniert die            Dies soll mit der Vergabe von Förderungen und der Umsetzung von
Finanzierung, sodass Unabhängigkeit gewährleistet ist? Welche Sonder-        Teilaspekten der European Public Sphere (EPS) erfolgen. Die Gründung
maßnahmen werden gesetzt, um ergänzend aktiv Maßnahmen zur                   der European Public Sphere Alliance (EPS-Alliance) soll zunächst staat-
Förderung von Vielfalt zu organisieren?                                      lich initiiert werden, letztlich jedoch die relevanten Akteur:innen aus
                                                                             Wirtschaft und Zivilgesellschaft einbinden. Prinzipiell könnten alle den
                                                                             Zielen der EPS verpflichtete Akteur:innen – europäisch wie nichteuro-
    Demokratische Governance                                                 päisch – Mitglieder der EPS-Alliance werden.
                                                                                 Anfänglich als reine Arbeitsgemeinschaft gedacht, könne diese
Durch ein dezentrales, föderiertes System kann schon innerhalb der           schrittweise in ein Modell überführt werden, das an genossenschaftli-
Grundstruktur eine erste Weiche für eine umfassende Pluralität gestellt      chen und meritokratischen Prinzipien orientiert ist: „Die Meritokratie
werden. Anstelle eines „EuroTubes“ sollte ein vernetztes System beste-       bringt Akteure in Verantwortung, die sich aufgrund von zu definieren-
hender, ausbaufähiger europäischer Infrastrukturen hergestellt werden,       den „Leistungen“ aus der Vergangenheit für zukünftige Aufgaben quali-
Durch die Vielfalt der Anbieter ist dann die gewünschte Pluralität           fiziert haben“ (Wilhelm/Kagermann 2020, S. 21). Staatliche Stellen und
vorgegeben. Dabei ist es jedoch essentiell, dass nicht allein einer Markt-   die EPS-Alliance sollen gemeinsam das Board und CEO der Digital-
logik gefolgt wird, wodurch über kurz oder lang kommerzielle Betrei-         agentur bestellen. Dieser Vorschlag wäre eine Verknüpfung des bishe-
ber dominieren würden. Vielmehr sollte ein verschränktes System von          rigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems mit einem staatlichen
öffentlich-rechtlichen, kommerziellen und nicht-kommerziellen Betrei-        Regulator sowie einer Interessensvertretung von Stakeholdern. Die
bern forciert werden.                                                        Kernfrage hier wäre – neben dem Zusammenspiel zwischen Agentur
Würde man hingegen auf einen einzigen, quasi Airbus-ähnlichen euro-          und EPS-Alliance – wie die Governance-Structure innerhalb der EPPS-
päischen „Digital Champion“ setzen, würde das wohl dazu führen, dass         Alliance aussehen könnte.
dieser „Champion“ den Wettbewerb zu US-amerikanischen und chinesi-               Zivilgesellschaftliche Vertretungen in Aufsichtsgremien öffent-
schen Plattformen rein kommerziell orientiert sucht. Dies würde letzt-       lich-rechtlicher Rundfunkanstalten (Public Service Media, PSM) sind
lich qualitativ im Sinne eines European Public Space zu keiner Verbesse-     oftmals parteinahe und vom Kräfteverhältnis letztlich nicht ausschlag-
rung des Status Quo führen.                                                  gebend. Dies führt dazu, dass PSM (mehr oder weniger) dem Druck von
    Zugleich scheint ein dezentraler Ansatz die einzig mögliche europäi-     Regierungen ausgesetzt sind, wodurch die Unabhängigkeit zum Teil
sche Antwort auf die Vorherrschaft der US-amerikanischen und chinesi-        beträchtlich leidet.

6                                                                                                                                                    7
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Das Beispiel World Wide Web-Consortium (W3C) belegt wiederum, dass               eine entsprechende finanzielle und organisatorische Ausstattung der
eine Mischung der Stakeholder dazu führt, dass sich ohne entsprechen-            geschäftsführenden Organe sicherzustellen, damit eine unabhängige
der Governance-Structure kommerzielle Industrieinteressen durch-                 Informationsaufbereitung und der Aufbau von langfristigem Know-how
setzen. So begründete 2017 die US-amerikanische Zivilgesellschafts-              möglich und Unabhängigkeit von Lobbygruppierung sichergestellt ist.
organisation Electronic Frontier Foundation ihren Rückzug vom W3C
im Streit um den Browser Kopierschutz damit, dass sich das W3C den
Industrieinteressen gebeugt hätte.
     Es braucht daher sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber                                               Unabhängige Finanzierung
reinen Industrieinteressen zivilgesellschaftliche Gruppierungen als
Gegenpol, um Unabhängigkeit, Transparenz und demokratische Kont-                 Die Finanzierung sollte durch eine eigene europäische Einnahmequelle
rolle sicherzustellen. Das acatech-Papier macht dazu den interessanten           sichergestellt werden. Dies könnte zum Beispiel eine sogenannte Euro-
Vorschlag, dass die EPS-Alliance nach kuriendemokratischen Prinzipien            pean Digital Levy sein, die prozentuell auf Waren und Dienstleistungen,
organisiert werden könnte. „In der Kuriendemokratie treffen Akteure              die Online von Unternehmen in Europa abgewickelt werden, erhoben
mit vergleichbaren Hintergründen zuerst aufeinander und verabschie-              würde (zurzeit werden 3 Prozent diskutiert). Durch einen fixen Prozent-
den dort Positionen, die dann in den Diskurs mit Akteuren anderer                satz und ein direktes Einnahmerecht für die Europäische Union sollte
Hintergründe eingebracht werden (…).“ (Wilhelm/Kagermann 2020,                   aufgrund der politischen Diversifikation für eine relativ hohe politische
S. 22). Stakeholdergruppen könnten zum Beispiel in öffentlich-rechtli-           Unabhängigkeit gesorgt sein.4
che Medien, private Medien, Telekom, Kultur- und Bildungseinrichtun-                 Neben einer fairen Beteiligung der Zivilgesellschaft an einer Gover-
gen oder zivilgesellschaftliche Initiativen organisiert werden. Auf diese        nance-Struktur einer Europäischen Digital Infrastruktur braucht es für
Weise könnten durch genossenschaftliche Prinzipien finanzielle Betei-            eine European Digital Public Sphere auch eine pro-aktive Pluralismus-
ligungen (etwa eingebrachte Entwicklungen, Kapital) von inhaltlicher             förderung, die die besonderen Bedürfnisse zivilgesellschaftlicher Medien
Mitbestimmung entkoppelt werden. Kräfteverhältnisse zwischen einigen             berücksichtigt.
großen und vielen kleinen Akteur:innen könnten so in einen geregelten
Ausgleich gebracht werden (Wilhelm/Kagermann 2020, S. 22).
     Die Einführung des Genossenschaftsprinzips hätte durchaus
Charme, stünde im Gegensatz zur pseudo-sharing Economy à la Airbnb                                                    Medienfreiheit
oder Uber und hätte Vorbilder im Platform Cooperative Movement3 wie                                   und European Media Freedom Act
auch Information Coops (Pollock, 2017).
     Wesentlich ist die Frage, wie ein Ausgleich zwischen den einzelnen          In seiner Rede vor dem Culture and Education Committe des Europäi-
Kurien erfolgen könnte und vor allem, wie es um die Absicherung der              schen Parlaments im April 2021 machte der EU-Kommissar für Binnen-
zivilgesellschaftlichen Mitbestimmung als Lackmustest einer demokra-             markt und Dienstleistungen Thierry Breton den Vorschlag, zum Schutz
tischen Kontrolle bestellt ist. Ein Zugang könnte sein, die Vertretung zu        von Pressefreiheit und Medienpluralismus einen „European Media Free-
Dritteln: ein Drittel Industrie, ein Drittel öffentlich-rechtlich, ein Drittel   dom Act“ zu erlassen.5 Unter Verweis auf die beunruhigenden Entwick-
Zivilgesellschaft. Die Bestellung des CEO könnte durch eine entspre-             lungen in Polen, Ungarn, Slowenien und der Tschechischen Republik
chend hohe erforderliche Mehrheit eine breite Zustimmung sicherstel-             erscheine das bisherige Instrumentarium der Europäischen Kommis-
len, wie dies etwa auch bei der Wahl zu ZDF-Intendant:innen vorgesehen           sion in Fragen der Medienfreiheit zu intervenieren sehr eingeschränkt,
ist. Ein Board könnte mit Drittelparität besetzt werden, ferner ist auch
                                                                                 4   Vgl. https://ec.europa.eu/taxation_customs/fair-taxation-digital-economy_de
3   https://www.siceurope.eu/network/collaborative-and-sharing-economy/collab-   5   https://ec.europa.eu/commission/commissioners/2019-2024/breton/announce-
    orative-and-sharing-economy                                                      ments/european-media-freedom-act_en

8                                                                                                                                                                  9
Zivilgesellschaft als Lackmustest für demokratische Governance                                                                                Alexander Baratsits

auch wurde Österreichs Politik der Regierungsinserate im Rule of Law                    Pluralismus gegründet ist, dessen letzter Garant der Staat ist.“ (Euro-
Report (concerns about transparency & fairness, potential political influ-              pean Court of Human Rights 1993). „Anknüpfend an die ausdrückliche
ence) kritisiert6. Er forderte daher einen neuen Mechanismus Transpa-                   Verankerung der Pflicht zur Achtung der Pluralität der Medien in Art.
renz, Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht bei Maßnahmen, die die                    11 Abs. 2 GRC unterstreicht auch der Europäische Gerichtshof (EuGH)
Kontrolle und die Pressefreiheit betreffen zu erhöhen. Die Governance                   auf EU-Ebene die Bedeutung dieses Leitprinzips unter Bezugnahme auf
von Public [Service] Media soll gestärkt werden, um das Risiko einer                    die GRC, die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR.“ (Cole/Ukrow/
Politisierung verhindern zu können. Gleichzeitig sollen Diversität und                  Etteldorf 2020, Rz 26) In ihrer Untersuchung zur Kompetenzverteilung
Pluralismus besser gewährleisten werden können. Dabei soll nach Breton                  zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten im Medien-
die Gelegenheit genutzt werden, (i) die Widerstandsfähigkeit der kleinen                sektor kommen Mark D. Cole, Jörg Ukrow und Christina Etteldorf zu
Akteur:innen und ihre innovativen Finanzierungsmodelle zu unter-                        dem Ergebnis, dass aus der Grundrechtsdogmatik der Grundrechte-
suchen und (ii) über die Förderung zur Unterstützung von Pluralismus                    charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention eine schutz-
und Medienfreiheit und der Strukturen, die diese Finanzierung tragen,                   rechtliche Komponente folge, die von den Grundrechtsverpflichteten
nachzudenken.                                                                           (der Europäischen Union) verlange, „sich für die Voraussetzungen einer
    In seiner Rede betonte Breton eingangs, dass die Richtlinie über                    effektiven Möglichkeit der Grundrechtsausübung wahrend einzusetzen.
audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie), einschließlich der                       Zu diesen Voraussetzungen der Freiheit zählt nicht zuletzt auch die
Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden, der Ausgangspunkt für alle                     Vielfalt der Medien.“ (Cole/Ukrow/Etteldorf 2020, Rz 35) Der digitale
Maßnahmen sein wird. Er sprach damit auch an, dass es auf Ebene der                     Wandel schaffe zwar keine zusätzlichen Kompetenzen der Europäischen
EU grundsätzlich keine Kompetenz zur Regelung von Medienfreiheit                        Union, aber es bestehe eine digitalisierungsorientierte Auslegungsoffen-
und Pluralismus gibt und bisher alle Maßnahmen, wie eben auch die                       heit (Cole/Ukrow/Etteldorf 2020, Rz 7).
AVMD-Richtlinie, sich auf die Binnenmarkt-Kompetenz bezogen hatten.                         Aufgrund des oben beschriebenen Systems und einer von monopolis-
Hier besteht die Problematik, dass der Verweis auf die mitgliedstaatliche               tischen Plattformen beherrschten Infrastruktur mit von diesen Platt-
Kompetenz eben in Mitgliedstaaten, in denen es um die Medienfrei-                       formen vorgegebenen Regeln ist eine effektive Möglichkeit der Grund-
heit nicht gut bestellt ist, jede Maßnahme zu deren Sicherung ins Leere                 rechtsausübung im Sinne einer European Digital Public Sphere und
laufen lässt. Europäische Instrumente werden auf re-aktive Maßnahmen                    die demokratische Verfasstheit des Mediensystems ernsthaft in Frage
beschränkt. Das heißt beispielsweise, dass der Versuch, ein staatlich                   gestellt. Daraus lässt sich eine Verpflichtung auch der Europäischen
verhängtes Aus eines unabhängigen Mediums im Nachhinein für rechts-                     Union als Grundrechtsverpflichteter ableiten, selbst pro-aktiv Maßnah-
widrig zu erklären, in der Regel zu spät für eine Sanierung kommen wird.                men für Meinungsfreiheit und Pluralismus zu setzten.
Es braucht daher (auch) pro-aktive Maßnahmen zum Schutz der Pluralität.
    Für diese Forderung spricht auch eine zeitgemäße Auslegung von
Art. 11 der erst 2009 eingeführten Grundrechtecharta (GRC) der Europäi-
schen Union, wonach das Recht auf freie Meinungsäußerung zugesichert                                  Aktive Maßnahmen zur Förderung
und die Freiheit der Medien und ihre Pluralität geachtet werden, dem                               von Meinungsfreiheit und Pluralismus
Art. 10 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nach-
gebildet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)                         Im Folgenden möchte ich insbesondere auf die von Breton vorgeschla-
hat mehrfach festgestellt, dass in „einer demokratischen Gesellschaft                   gene Betrachtung der Widerstandsfähigkeit kleiner Akteur:innen und
die Verpflichtung zur Sicherung der Freiheit der Meinungsäußerung                       ihrer Finanzierungsmodelle eingehen und auf die von ihm empfohlene
nur erfolgreich erfüllt werden kann, wenn sie auf dem Grundsatz des                     Förderung von Pluralismus und Medienfreiheit.
6    https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/2021_rolr_country_chapter_austria_       Die Digitalisierung verändert nicht nur öffentlich-rechtliche und
     en.pdf                                                                             kommerzielle Medien, deren bisherigen Geschäftsmodelle und Vertriebs-

10                                                                                                                                                            11
Zivilgesellschaft als Lackmustest für demokratische Governance                                                                                  Alexander Baratsits

kanäle. Nicht-kommerzielle/Non-Profit Medien, zivilgesellschaftlich          Dialekte. Geschweige denn gibt es ein entsprechendes Open Source
organisierte Medien, seien es Community Medien oder gemeinnütziger           Produkt. Und selbst wenn, setzt der Einsatz von Open Source Tools
Journalismus sehen sich bei der geforderten digitalen Transition beson-      entsprechend technisches Know-how und Infrastruktur voraus. Werden
deren Herausforderungen gegenüber – zumal es sich typischerweise um          hier keine Maßnahmen gesetzt, dann wird der Dritte Sektor in teure
kleine Organisationen mit geringen finanziellen Ressourcen für Invest-       bzw. inakzeptable (weil dateninvasive) kommerzielle Provider oder über-
ments in digitale Entwicklungen handelt und die Digitalisierung kräf-        haupt zum Aufgeben gedrängt. Dass zumindest das Training von Open
tigen Ressourceneinsatz verlangt. Während große Medienhäuser inzwi-          Source Spracherkennungs-Modellen staatlich finanziert wird, wäre
schen parallel digitale Vertriebskanäle entwickeln konnten, ist es für       daher dringend notwendig. Diese Finanzierung würde letztlich nicht
Akteur:innen des Dritten Sektors, also für Non-Profit-Organisationen,        nur dem Dritten Sektor zugutekommen, sondern der gesamten Bran-
wie Vereine, Verbände, Stiftungen oder gemeinnützige GmbHs, ungleich         che – einschließlich öffentlich-rechtlicher und kommerzieller Anbieter.
herausfordernder, parallel auf verschiedenen Plattformen gleichzeitig        Letztere benötigen die Spracherkennung schon allein dazu, um die in der
Inhalte auszuspielen. Hinzu tritt der Umstand, dass Förderungen für          AVMD-Richtlinie der EU festgelegte Verpflichtung zur Untertitelung
Forschung und Entwicklung regelmäßig an Kommerzialisierungsstra-             umsetzen zu können.
tegien bzw. eine Art StartUp-Ansatz geknüpft sind. Für den Dritten               Die bisherige Förderpraxis auf europäischer Ebene nimmt auf klei-
Sektor sind diese Entwicklungsressourcen in der Regel damit von vorn-        nere Akteur:innen bislang keine Rücksicht. Als Beispiel sei der Call der
herein verschlossen, weil ihre Geschäftsmodelle definitionsgemäß nicht-      Europäischen Kommission „European Media Platforms/Preparatory
gewinnorientiert bzw. nicht-kommerziell sind.                                Action“ genannt.9 Der grundsätzliche Ansatz ist absolut begrüßenswert:
     Ausnahmen von dieser Verpflichtung zur Gewinnorientierung, wie          Die Europäische Kommission möchte damit in die Entwicklung europä-
etwa beim deutschen Prototype Fund7 oder der netidee8 in Österreich          isch vernetzter Medien-Plattformen investieren und neben der techno-
sind gut und wichtig. Jedoch sind diese Ausnahmen aufgrund der gerin-        logischen Entwicklung auch die Formatentwicklung für Content Sharing
gen Dotierung (bis zu 50.000 Euro) eben auch nur dazu geeignet, einen        und das Kuratieren fördern.
Prototypen zu finanzieren (wie es der Name schon sagt), nicht aber dazu,         Dieser Call ist eine Preparatory Action, es werden voraussichtlich
eine skalierbare Software aufzusetzen und dauerhaft zu pflegen.              nur zwei bis drei Antragstellende ausgewählt werden. Das Budget ist
     Betrachten wir bespielhaft den Rundfunksektor: Die Entwicklung          mit 5,9 Millionen Euro angesetzt, bei einer Co-Finanzierungsrate von
von linearer (nur zu einer bestimmten Zeit rezipierbarer) hin zu digita-     80 Prozent. Der damit einhergehende Eigenmittelbedarf von 400.000
ler, zeitungebundener Angebote führt zu einer massiven Erhöhung der          bis 600.000 Euro sprengt selbstverständlich den Rahmen jedes nicht-
gleichzeitig angebotenen Inhalte, ein rein redaktionelles Kuratieren ist     kommerziellen Trägers/Konsortiums. Diese verfügen im Bestfall über
vom Umfang her nicht möglich und verlangt letztlich eine Personalisie-       ein Jahres-Budget in dieser Größenordnung, sicher aber nicht über frei
rung durch ein Vorschlagsystem. Für die Entwicklung von Vorschlag-           verfügbare Mittel in dieser Dimension. Gleichzeitig sieht die Ausschrei-
systemen ist aber zunächst eine Spracherkennung notwendig, um                bung in keiner Weise vor, dass die Ergebnisse Open Source zu stellen
Audiodaten überhaupt maschinenlesbar zu machen und algorithmische            wären bzw. dass eine Mindestanzahl des einreichenden Konsortiums
Suchsysteme einsetzen zu können. Daneben braucht es Identity-Provi-          nicht-kommerzielle/gemeinnützige Antragstellende sein müssen. Das
der-Systeme, um eine notwendige Personalisierung umsetzen zu können.         bedeutet, dass die Förderung nie für Akteur:innen des Dritten Sektors
Beides sind hochtechnologische Bereiche, für die nur beschränkt Open         verfügbar sein wird. Da es sich um eine Preparatory Action handelt ist
Source-Anwendungen zur Verfügung stehen. So gibt es – soweit ersicht-        davon auszugehen, dass Folge-Calls darauf aufsetzen werden, das heißt
lich – derzeit nicht einmal ein Spracherkennungssystem, das auf Daten        der Dritte Sektor wird hier auf Dauer ausgeschlossen sein!
für z. B. österreichisches Standarddeutsch trainiert ist, noch für diverse   Letzteres ist auch vor dem Hintergrund unverständlich, dass laut
7    https://prototypefund.de/
8    https://www.netidee.at/                                                 9   https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/funding/european-media-platforms

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Zivilgesellschaft als Lackmustest für demokratische Governance                                                                                Alexander Baratsits

Ausschreibung nicht ein einzelner Anbieter den Zuschlag erhalten soll,                  ihren inklusiven, dezentralen, demokratischen und gemeinschaftsbilden-
sondern ein diverses Konsortium, das untereinander Inhalte tauscht.                     den Ansatz einen wichtigen Beitrag zu einer europäischen Öffentlichkeit.
Damit ist ein dezentraler Ansatz inhärent. Ein solcher macht aber nur                   Sie sind spezialisiert auf niederschwelligen Zugang, medienpädagogische
dann Sinn, wenn die Technologie dezentral und zugänglich für viele                      Trainings und fortlaufend im Dialog mit medial unterrepräsentierten
Anbieter eingesetzt werden kann, weil nur so genügend User:innen die                    Gruppen. In der Pandemie etwa wurden genau in diesen Medien wich-
Angebote nutzen werden und es zu Netzwerkeffekten kommen kann, die                      tige Informationsprogramme für Menschen mit Migrationshintergrund
das Netzwerk von Plattformen gegenüber YouTube/Facebook & Co rele-                      in deren Muttersprache aufgesetzt. Nicht zuletzt sind Community
vant werden lassen.                                                                     Medien oftmals die einzigen Medien mit lokalen Nachrichten, die diese
                                                                                        Zielgruppen etwa aufgrund Information in der Sprache der Herkunfts-
                                                                                        länder überhaupt erreichen können.
     Open Media Fund                                                                        Mit der Digitalisierung droht vielen dieser community- und zivilge-
                                                                                        sellschaftlichen Medien und damit auch ihren Communities, dass ihnen
Medienpluralismus an sich braucht pro-aktive Maßnahmen, dafür sollte                    der Zugang zu digitalen Öffentlichkeiten zunehmend faktisch verwehrt
von der Europäischen Kommission ein Open Media Fund eingerich-                          wird. Denn bestehende Entwicklungen auf Basis von Big Tech oder
tet werden. Wenn es um deren Ausgestaltung geht ist insbesondere auf                    Technologiesprüngen wie DAB+ sind ausschließlich kommerziell ausge-
einen gemeinsamen Aufruf von Pressefreiheit-, Medienentwicklungs-                       richtet und bisherige Vertriebs- und Finanzierungsmodelle werden mehr
und Journalistenorganisationen (Joint Call) an die EU-Mitgliedstaaten                   und mehr verdrängt.
zu verweisen, der einen ehrgeizigen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR)                         Die Europäische Kommission sollte daher dringend spezifische
2021–2027 fordert, der den Mediensektor stärkt und den unabhängigen                     Maßnahmen für community- und zivilgesellschaftliche Medien ergreifen,
Journalismus unterstützt.10 (Siehe auch den Aufsatz „Independence and                   um besondere Beiträge zu einer vielfältigen und demokratisch verfassten
Sustainability of Journalism” von Mira Milosevic in diesem Band)                        europäischen Öffentlichkeit im Dialog mit den Bürger:innen zu fördern.
    Gefordert wurde von der Koalition unter anderem: „Um den Jour-                      Im Vordergrund sollten dabei (i) Maßnahmen zur digitalen Transforma-
nalismus, insbesondere gemeinnützige, investigative und lokale Medien,                  tion, (ii) die Entwicklung europäischer Formate und Content Sharing
wirksam zu unterstützen, sollte der sektorübergreifende Teil des Haus-                  Strategien und (iii) Maßnahmen zur Unterstützung von Diversität und
halts verzehnfacht werden.“ (siehe Joint Call)                                          Pluralismus wie etwa Förderung des Zugangs von Sprachminderheiten,
    In diesem Sinne sollte der Open Media Fund neben den oben ange-                     Barrierefreiheit stehen. Das bedeutet, dass Akteur:innen des Dritten
sprochenen Forderungen des Joint Calls auch ein Programm beinhalten,                    Mediensektors gleichberechtigten Zugang zu wichtigen Entwicklungen
das gezielt Fördermittel an nicht-kommerzielle, gemeinnützige, zivil-                   in der Digitalisierung erhalten sollten, wie zum Beispiel (Open-Source-)
gesellschaftliche/kommunale Medieneinrichtungen vergibt und damit                       Spracherkennungswerkzeuge, insbesondere auch für kleinere Sprachen
die digitale Transformation auch für diesen Mediensektor sicherstellt.                  und Gemeinschaften wie Dialekte. Auch Barrierefreiheit durch auto-
Gerade community- und zivilgesellschaftliche Medien leisten durch                       matische Untertitelung, Open-Source-Übersetzungs-Tools oder die
10    https://www.ecpmf.eu/joint-call-on-eu-member-states-to-adopt-an-ambitious-
                                                                                        Einrichtung transparenter algorithmischer Empfehlungssysteme seien
     multiannual-financial-framework/                                                   hier genannt. Ko-Finanzierungssätze von bis zu 90 Prozent oder mehr
     Zu erwähnen sind auch die Diskussionen rund um den International Fund for Public
     Interest Media (IFPIM, https://ifpim.org/the-fund/) und die Bemühungen der
                                                                                        sollten den besonders schwierigen finanziellen Bedingungen des Sektors
     Media Freedom Coalition (MFC, https://www.gov.uk/government/publications/          Rechnung tragen. Die Vergabe könnte durch die oben skizzierte Digital-
     media-freedom-coalition-an-overview/media-freedom-coalition-an-overview) mit
     dem von der UNESCO gehosteten Global Media Defence Fund (https://en.unesco.
                                                                                        agentur erfolgen, wobei als Matching-Partner von Seiten der EPS-Alli-
     org/news/g7-highlights-global-media-defence-funds-role-providing-practical-        ance die Vertreter:innen der Kurie des Dritten Mediensektors eingebun-
     technical-and-programmatic) als Zeichen dafür, dass die Krise des Mediensektors
     aufgrund der digitalen Transformation weltweit zur Diskussion steht und ähnliche
                                                                                        den sein sollten. Auch dieser Open Media Fund könnte finanziell aus der
     Maßnahmen gefordert werden.                                                        oben erwähnten European Digital Levy gespeist werden.

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Zivilgesellschaft als Lackmustest für demokratische Governance

Dadurch kann ein wichtiger Beitrag zur Pluralität und des Entstehens
eines European Digital Public Spaces geleistet werden.

     Autor
Alexander Baratsits, Dr. iur, MAS, ist Gründungsmitglied des Shared
Digital European Public Space (SDEPS), Vorsitzender des Cultural
Broadcasting Archive Vereins zur Förderung digitaler Kommunikation
und Chapterlead von Creative Commons Österreich. Seit 1994 ist er in
verschiedenen Funktionen für den Verein Freier Rundfunk Oberöster-
reich tätig (www.baratsits.at).

     Bibliographie
Cole, Mark D., Ukrow, Jörg, Etteldorf, Christina Etteldorf (2020): Zur
    Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den
    Mitgliedstaaten im Mediensektor. Eine Untersuchung unter beson-
    derer Berücksichtigung medienvielfaltsbezogener Maßnahmen,
    https://www.rlp.de/de/regierung/staatskanzlei/medienpolitik/
    rundfunkkommission/aktuelle-studien-gutachten, [9/9/2021]
Europäische Kommission (2020): Digitale Dekade: Kommission startet
    Aktionsplan zur Unterstützung der Medien und des audiovisuellen
    Sektors und ihres Wandels, https://ec.europa.eu/commission/press-
    corner/detail/en/IP_20_2239 [9/9/21]
European Court of Human Rights 24.11.1993, 36/1992/381, 455–459
Gammeltoft, Jakob (2020): “COVID-19 and the news media: journalism
    always comes at a cost”, In: News Media Europe, http://www.news-
    mediaeurope.eu/news/covid-19-and-the-news-media-journalism-
    always-comes-at-a-cost/, [9/9/21]
Pollok, Rufus (2017): Information Coops: Collective Funding of Infor-
    mation Goods from Software to Medicines, https://rufuspollock.
    com/2017/01/11/information-coops-collective-funding-of-infor-
    mation-goods-from-software-to-medicines/
Wilhelm, Henning/Kagermann, Ulrich (Hg.) (2020): European Public
    Sphere, Gestaltung der digitalen Souveränität Europas, https://
    www.acatech.de/publikation/european-public-sphere/download-
    pdf?lang=de [9/9/21]

16                             Eine englische Version des Artikels ist in dem Buch
                        „BUILDING A EUROPEAN DIGITAL PUBLIC SPACE“ zu finden.
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