Zusammenleben Zusammen leben - Stadt Zug
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Seite 2 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Editorial Auf Sie kommt es an! Wohnen Sie in Zug? Leben Sie auch hier? Dumme Fragen? Nein. Sie bringen das Thema dieses Stadt- magazins auf den Punkt. Leben ist mehr als Wohnen. In einer Stadt leben bedeutet Zusammenleben, selbst wenn man alleine wohnt. Zusammenleben heisst: zusammen leben, gegenseitiges Wahrnehmen, sich austauschen, tolerant sein, Rücksicht nehmen, sich engagieren. Für sich selbst und für andere. Unsere Stadt hat 30 000 Einwohnerinnen und Einwohner aus 120 Nationen. Sie alle machen unser Zusammenleben aus. Sie wohnen allein, zu zweit, in der Familie, in einer Gemeinschaft. Sie sind hier geboren oder zugezogen. Sie leben hier – erst kurz, schon länger oder nur vorübergehend. Vielen von ihnen ist nicht alles egal. Sie engagieren sich: in der Wohngemeinschaft, in der Nachbarschaft, in der Ausbildung, in einem Verein. Dieses Engagement ist unbezahlbar. Es bereichert unser Zusammenleben – und macht es vielfach erst möglich. Davon handelt dieses Heft. Danke, wenn auch Sie sich für unser Zusammenle- ben engagieren, sei es im Grossen oder Kleinen. Setzen Sie die persönliche Messlatte nicht zu hoch an. Manchmal reicht ein ehrliches Lächeln für jemanden, der dies nicht erwartet. Dieter Müller, Leiter Kommunikation
Seite 3 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Die Stadt Zug im Fokus INHALT Lebensraum 7 Zusammen leben Wohnformen Was in der neuen Jugend-WG am Kolinplatz so abgeht, warum die einen lieber allein wohnen und die anderen die spirituelle Gemeinschaft suchen. Und dafür alles aufgeben. Stadtpolitik 11 Familie: Was ist das? «Doing Family» Die Vielzahl von Familienformen macht deren Unterstützung zu einer komplexen Angelegenheit. Viele verschiedene Faktoren gilt es zu berücksichtigen. Ein Projekt des Vereins «Metropolitanraum Zürich», dem auch die Stadt Zug angehört, befasst sich damit. Wirtschaft 17 Dich knacken wir schon noch Zugezogen Wir kennen sie jetzt schon eine ganze Weile. Nur leider nicht so gut. Deshalb wollen wir wissen: Wie geht es den Expats eigentlich mit uns? Schule & Familie 25 Anders ist doch ganz normal Andere Inhalte, unterschiedliche Wege – die gleichen Ziele Wie in allen Stadtschulen werden auch die Schülerinnen und Schüler der HPS ab dem Schuljahr 2019 / 2020 gemäss den Bildungszielen des Lehrplans 21 auf das Leben vorbereitet. Kultur & Freizeit 29 Kit der Gesellschaft Vereine Sie sind ein wichtiger Bestandteil und das Sozialkapital einer modernen Gesellschaft. In Zug bilden rund 300 aktive Vereine eine vielfältige und traditionsreiche Vereinslandschaft, welche durch die Stadt unterstützt und gefördert wird. STADTMAGAZIN-APP Für zusätzliche Bildstrecken, direkte Web-Links, Filme und 4 Die Welt in Zug 32 Kolumne Till Feedback-Buttons: Laden Sie 15 GGR-Porträt 33 Mobile Spielanimation die Stadtmagazin-Zug-App via QR-Code oder Store auf Ihr 32 Dialog mit der Stadt 34 Kinderseite Smartphone oder Tablet oder nutzen Sie die Browser-Version. stadtzug.ch/stadtmagazin
Seite 4 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Die Welt in Zug 19 aus Island 35 aus Norwegen Rund 30 000 Menschen leben hier, davon knapp 20 000 Schweizerinnen und Schweizer. Die restlichen Personen stammen aus 120 Nationen. 175 aus Schweden 9 aus Luxenburg 87 aus Irland 115 aus Belgien 248 aus den Niederlanden 2063 aus Deutschland 797 aus Grossbritannien 67 aus Kanada 321 aus den USA 23 aus Mexiko 5 aus Guatemala 4 aus Kuba 458 aus Frankreich 2 von den Bahamas 1 aus Haiti 1 aus Costa Rica 430 aus Spanien 1 von Jamaika 8 aus der Dominika- nischen Republik 404 aus Portugal 19813 sind Schweizerinnen und Schweizer 2 aus Panama 1 aus St. Kitts und Nevis 4 aus Uruguay 7 aus Marokko 4 aus Bolivien 6 aus Algerien 13 aus Venezuela 13 aus Kolumbien 954 aus Italien 6 aus Argentinien 2 aus demSenegal 10 aus Ecuador 90 aus Brasilien 17 aus Chile 13 aus Malta 10 aus Peru Anzahl Einwohnerinnen und Einwohner nach Nationalitäten 31 aus Südafrika 1 aus Sierra Leone Quelle: Einwohnergemeinde Zug, Stand 29.3.2018 23 aus Tunesien 2 aus dem Sudan
Seite 5 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Infografik 1 Staatenloser 4 unbekannter Herkunft 16 aus Estland 21 aus Kasachstan 397 aus Russland 1 aus Nord-Korea 17 aus Litauen 22 aus Lettland 13 aus Belarus 1 aus Moldavien 10 aus Usbekistan 2 aus Kirgisistan 10 aus Süd-Korea 116 aus Finnland 3 aus Liechtenstein 53 aus Tschechien 53 aus der Ukraine 95 aus Rumänien 4 aus Thaiwan 5 aus Albanien 1 von Laos 153 aus Dänemark 323 aus Österreich 90 aus der Slowakei 34 aus Slowenien 77 aus Bulgarien 11 aus Vietnam 6 aus Montenegro 1 aus Kambodscha 22 von den Philippinen 213 aus Polen 173 aus Ungarn 157 aus China 14 aus Malaysia 6 aus Indonesien 24 aus Singapur 247 aus Kroatien 236 aus Serbien 110 aus Indien 1 aus Pakistan 44 aus Japan 1 aus Bangladesch 3 aus Saudi-Arabien 246 aus Bosnien 224 aus der Türkei 132 aus Sri Lanka 32 aus Thailand 1 von den Seychellen 65 aus Syrien 39 aus dem Irak 72 aus Afganistan 95 aus Australien 287 aus dem Kosovo 7 aus Äthiopien 6 aus Georgien 4 aus Aserbaidschan 1 aus Palästina 5 aus Armenien 15 aus Somalia 13 aus dem Iran 146 aus Griechenland 146 aus Mazedonien 15 aus Israel 1 aus Jordanien 1 aus dem Libanon 25 aus Zypern 1 aus Libyen 7 aus Ägypten 6 aus Nigeria 7 aus Kenia 4 aus Kamerun 3 aus Ghana 114 aus Eritrea 15 aus Neuseeland 1 aus Guinea-Bissau
Seite 6 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Lebensraum Lebensraum GRENZÜBERSCHREITENDER «HOSENLUPF» LIVING LIBRARY NACHBARSCHAFTSHILFE Bosnier vs. Eidgenossen Wenn Bücher KISS – «zäme isch sprechen schöner» In Zusammenarbeit mit dem kanto nalen Sozialamt organisierten die Bibliothek Zug und das Museum Burg Zug anlässlich der Internationalen Wochen gegen Rassismus zum zweiten Mal die «Living Library». Dabei konnten statt Bücher Men- schen für Gespräche «ausgeliehen» werden. Die KISS Genossenschaft Zug orga- Mit welchen Vorurteilen oder Res- nisiert die Betreuung von Men- sentiments haben Menschen schen mit Freiwilligen. Dank KISS zu kämpfen, die einer Minderheit lernen sich Menschen aus unter- oder einer Berufsgruppe mit be- schiedlichen Generationen kennen, stimmten Zuschreibungen angehö- sind aktiv und weniger einsam. ren oder an einer psychischen Anregend sind die Mitenand-An Krankheit leiden? Diese Fragen lässe von KISS wie Kafi, Mittags- Osteuropäische Ringer gegen eidgenössische standen im Zentrum der internatio- tisch, Tanzen – sie stehen auch Schwinger – wer liegt obenauf ? Wer hat die nalen Aktionswoche gegen Rassis- mus, die jeweils Ende März europa- Nicht-Mitgliedern offen. Jeder kann Mitglied werden. Die gebenden bessere Technik? Wer mehr Kraft? Das inter- weit stattfindet. Der Kanton Zug Freiwilligen bekommen für ihre Ein- unterstützte die «Living Library»- sätze Zeitgutschriften. Ältere oder nationale Kräftemessen findet anlässlich Veranstaltungen im Rahmen des Menschen in Not können Leistun- der 1.- August-Feier der Stadt Zug auf dem kantonalen Integrationsprogram- mes. Zur Verfügung für die jeweils gen beziehen. Es gibt keine Gebüh- ren, nur einen einmaligen Mitglie- Gerbiplatz statt. Organisiert vom Verein Zug- 30-minütigen Gespräche stellten derbeitrag. sich dieses Jahr eine Borderlinerin, Kalesija, der die Partnerschaft zwischen ein Imam, eine Rollstuhlfahrerin, Die Einsatzgebiete liegen in alltäg- Zug und der bosnischen Stadt Kalesija pflegt ein Polyamouröser und ein Rohstoff- händler. Die «Living Library» stiess lichen Hilfeleistungen: Gespräche führen, spazieren, etwas reparie- und sonst eigentlich den kulturellen Austausch auch in diesem Jahr auf viel posi- ren, helfen beim Einkauf oder beim tive Resonanz. Eine erneute Durch- Gang zum Arzt. Ausgeschlossen statt die Konfrontation sucht. Vereinspräsi- führung ist geplant. ist Pflege. Alle geleisteten Stunden dentin und Stadträtin Vroni Straub-Müller Die Idee von «Living Library» stammt sind gleich viel wert. KISS ist Nach- barschaftshilfe auf Augenhöhe. Die beruhigt ebenfalls: «Kampfsport ist hüben aus Dänemark, wo entsprechende geleisteten Stunden können ge- Veranstaltungen 2001 zum ersten spart oder verschenkt werden. KISS wie drüben ein Kulturgut. Diese Gemeinsam- Mal stattfanden. Seit 2003 ist das als vierte geldfreie Vorsorgesäule keit möchten wir vor dem Eidgenössischen Konzept Teil eines vom Europarat geförderten Jugendprogramms. entlastet Private und die öffentliche Hand auch finanziell. Die Lebens- Schwingfest in Zug feiern – mit Bratwurst Die Internationalen Wochen gegen qualität der Einzelnen steigt und Rassismus sind Aktionswochen der «Kitt» in der Gesellschaft wird und Cevapcici.» der Solidarität, die alljährlich rund gestärkt. um den Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März stattfinden. Die nächsten Daten: 13.6.18 Mittagessen im Quartier- www.bibliothekzug.ch treff Guthirt 12 –13.30 h 27.6.18 KISS-Kafi im Pfarreizentrum St. Johannes 14 –15.30 h www.kiss-zeit.ch/zug stadtzug@kiss-zeit.ch
Seite 7 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Lebensraum Zusammen leben Wohnformen Was in der neuen Jugend-WG am Kolin- platz so abgeht, warum die einen lieber allein wohnen und die anderen die spirituelle Gemeinschaft suchen. Und dafür alles aufgeben. Text und Fotos Michaela Eicher Treffpunkt Küche: Eine der zwei Wohngemeinschaften am Kolinplatz.
Seite 8 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Lebensraum «Heute sind fast alle da», sagt Muriel Käppeli (22). Vier der sechs WG-Bewohnenden am Kolinplatz 21 sitzen um den grossen Kü- chentisch. «Das grenzt an ein Wunder.» Es riecht nach gebratenem Fleisch und Rosma- rin-Süsskartoffeln. Mark Petrovic (19) ist am Kochen. «Irgendjemand ist immer da. Aber alle gemeinsam, das haben wir glaub noch nie geschafft.» Gelächter. Shivani Oza (22) ist erst letzte Woche eingezogen. «Ich finds mega cool hier.» Orell Endres (24) nickt: «Man ist nie allein und doch selbst- ständig. Darum gefällt mir die WG. Man lebt wie man will, nicht so wie zuhause.» Für die meisten ist die Kolin-WG die erste Bleibe weg von den Eltern. «Diese Wohnform ist perfekt, ich finde es toll, dass die Stadt Zug Ursula Popp im Park des Lassalle-Hauses. das fördert», sagt Oza. «Gerade in Zug, wo das Kulturelle manchmal fehlt und es so we- nig für Junge hat.» Mit dem «Haus für junge zukommen und noch mit jemandem zusam- «Tun und lassen, was ich will.» Menschen» bietet die Stadt Zug insgesamt menzusitzen, gemeinsam zu kochen, zu es- Gar nicht einsam ist Beat Flühler. Obwohl 12 Zimmer für Auszubildende, verteilt auf sen und zu reden.» Das gefällt auch Petrovic: für den 62-Jährigen nichts anderes in Frage zwei Wohngemeinschaften. Die Jungen sind «Es ist kein Muss, einfach locker und unver- kommt, als alleine zu wohnen. «Ich bin glück- überzeugt: Zug braucht ein solches Angebot: bindlich, wer grad da ist.» Das Zusammenle- lich, wenn ich tun und lassen kann, was ich «Meine Studiengspänli sind alle ganz nei- ben in der frisch gebackenen WG klappt bis- will. Niemand redet mir drein.» Selbstver- disch», sagt Shivani Oza. «Es waren ganz her reibungslos. Gemeinsames Aufräumen ständlich ist das nicht. Denn Beat Flühler viele hier, um die Zimmer anzuschauen.» der Küche, Kochen, Putzen – auch das Sam- leidet seit seiner Kindheit an einer schweren meln von PET, Plastik, Glas und Büchsen ist Epilepsie. Dank der Spitex und der Familien- Im Unterschied zu frei organisierten Wohn- bereits organisiert. «Nur der Ämtliplan fehlt hilfe kann er jedoch selbstständig zuhause gemeinschaften müssen die beiden Kolin- noch», sagt Muriel. Nein, alleine wohnen, sein. «Die meisten Menschen möchten so WGs nicht selber schauen, dass die Zimmer das möchte momentan keiner von ihnen. lange wie möglich zuhause leben», sagt vermietet werden, und es trägt auch keiner «Ich würde mich einsam fühlen», sagt Oza. Jasmin Blanc Bärtsch, Fachbereichsleiterin die Hauptverantwortung gegenüber der Alter und Gesundheit der Stadt Zug. «Darum Stadt als Vermieterin. Im grossen Ganzen findet betreutes Wohnen in Zug flächen fehle es ihnen an nichts, sind sich alle einig. «Es ist alles super organisiert. Und auch die «Ich bin glücklich, wenn deckend statt – ganz individuell auf die ein- zelnen Personen abgestimmt.» Klar gibt es Preise sind günstig im Vergleich zu anderen ich tun und lassen kann, auch alternative Wohnformen, wie Alters- WGs in der Stadt. Ein Traum, so zu wohnen», sagt Käppeli. Der Architekturstudentin ge- was ich will.» WGs. «Es ist jedoch ein kleines Segment von Menschen, die das wollen und brauchen.» fällt die Innenausstattung: «Modern und Beat Flühler, epilepsieerkrankt, wohnt allein Beat Flühler gehört nicht dazu. Seine wieder- doch nicht steril.» Die grosse Küche ist der dank der Unterstützung von der Spitex und gewonnene Selbstständigkeit bedeutet ihm perfekte Treffpunkt. «Ich schätze es, heim- der Familienhilfe. viel. Er war einmal für kurze Zeit in einem Pflegeheim. «Das hat mir gar nicht gefallen.» Heute kommt einmal in der Woche jemand Beat Flühler und Renata Lendi in der Cafeteria des Alterszentrums Frauensteinmatt. von der Spitex und richtet die Medikamente und übernimmt die Körperpflege. Die Mit arbeitenden der Familienhilfe kümmern sich täglich während vier Stunden um den Haus halt, kaufen ein, kochen, überwachen das Einnehmen der Medikamente oder begleiten ihn zu Terminen. Und auch der soziale Teil kommt nicht zu kurz. Heute ist Renata Lendi (69) da. «Wir kennen uns bereits seit sieben Jahren», sagt sie. «Da entsteht schon eine freund- schaftliche Basis. Ich finde es wichtig, dass wir unseren Klienten ein offenes Ohr schen ken.» Beat Flühler nickt: «Wir führen gute Gespräche. Manchmal schauen wir auch ei- nen Film. Colombo oder Peter Steiners Thea- terstadl.» Renata Lendi lacht: «Die Freude an der Gesellschaft ist ganz gegen s eitig. Ich
Seite 9 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Lebensraum «Man nimmt sich noch Zeit füreinander. Es ist gelebte Menschlichkeit.» Jacqueline Messmer, wohnt für eine längere Auszeit im Lassalle-Haus. fühle mich hier wie zuhause.» Als Lendi mit 57 Jahren ihre Stelle verlor, bewarb sie sich bei der Familienhilfe. «Ich wollte immer schon was Soziales machen.» Gesellschaft ist für beide nicht von der Wohnform abhän- gig. «Ich bin ein geselliger Mensch», so Flühler. Renata Lendi nickt: «Und hilfsbe- reit.» Ab und zu trinken die beiden zusam- Jacqueline Messmer (l.): «Mir gefällt dieser spirituelle Rahmen.» men Kaffee im gegenüberliegenden Restau- rant des Alterszentrums Frauensteinmatt. Beat Flühler kennt dort jeden. Kaum jemand, dem er nicht schon den Fernseher installiert Wohngemeinschaft für Sinnsuchende. Das formdiskussion als reines Altersthema zu oder den Drucker repariert hat. «Es gefällt Lassalle-Haus versteht sich als «Ort der Stille» behandeln, geht Popp zu wenig weit: «Es mir, mit den Leuten zu plaudern.» und ist ein Bildungs- und Begegnungszent- braucht Angebote für durchmischte alterna- rum der Schweizer Jesuiten. Drei Meditatio- tive Wohnformen. Wenn die 68er-Generation Die Gemeinschaft für Sinnsuchende nen und ein Gottesdienst gehören zum täg- älter wird, kommts anders. Wir haben schon Für immer ihr altes Zuhause hinter sich ge- lichen Programm von Jacqueline Messmer. früher in WGs mit verschiedenen Grundsät- lassen hat Jacqueline Messmer (57). Vor einer «Mir gefällt dieser spirituelle Rahmen.» zen gewohnt.» Stellt sich nur die Frage, ob Woche hat sie ihre Zelte in Biel abgebrochen Jung und Alt an einen Tisch sitzen. Und wer und ist als Langzeitgast ins Lassalle-Haus Ursula Popp (67) geht noch weiter: «Ich bin dann den Ämtliplan macht. oberhalb von Zug gezogen. Sie weiss, wie es hier im Hause, weil es mir wichtig ist, den ist, wenn eine Krankheit das Leben für im- negativen Entwicklungen in der Gesell- mer verändert. Eine schwere Krebsdiagnose schaft etwas entgegenzusetzen.» Sie leitet hat sie vor zweieinhalb Jahren durchge- verschiedene Kurse und wohnt als Mieterin schüttelt. Kurz davor musste sie ihr Geschäft im Lassalle-Haus. «Zwar ist die Wohnform aufgeben, begann einen neuen Beruf zu er- sehr klassisch. Das Besondere ist jedoch die lernen, dann kam es zur Trennung in der Spiritualität.» Wer hier lebt, entscheidet sich Partnerschaft. «All meine Zukunftspläne bewusst für die Gemeinschaft und darf an HINWEIS waren ruiniert. Ich war arbeitslos, überfor- den Meditationen oder Gottesdiensten teil- dert und alleine im grossen Haus und hatte nehmen. «Wir sind alle interessiert an ei- Unterstützung im Alltag finanzielle Probleme. Ohne Aufgabe. Einsam nem spirituellen Austausch», sagt Popp. «Ich Krankheit, Unfall, Schwangerschaft oder und erschöpft.» Sie fing an, sich mit dem komme hier sofort mit jemandem tief ins Geburt: Die Familienhilfe unterstützt im Kanton Zen-Buddhismus auseinanderzusetzen. «Ich Gespräch, nicht wie im Bus oder auf der Zug Einzelpersonen und Familien in schwieri- wusste, es muss eine Veränderung geben.» Strasse. Da frage ich gewisse Sachen nicht.» gen Lebenslagen zu sozial abgestuften Tarifen. Der Schritt zum Ausbrechen schien riesig. Messmer ergänzt: «Es ist gelebte Mensch- Sie richtet sich an Personen bis zum AHV-Alter. Heute sagt sie: «Es hat den Druck gebraucht. lichkeit. Man nimmt sich noch Zeit fürein- www.familienhilfe-zug.ch Jetzt bin ich vogelfrei – Gott sei Dank ge- ander. Ich merke, dass das im Alltag immer sund – und es ist alles offen. Das fühlt sich mehr verloren geht. Wir haben so viele Wohnformen, Betreuung und Pflege im Alter wahnsinnig toll an.» Jacqueline Messmer Spielsachen, womit wir beschäftigt sind. In Würde, selbstbestimmt und mit Lebens- wohnt zusammen mit einem anderen Gast Haus, Autos, Computer, Handy – je mehr qualität älter werden: Die Stadt Zug hat eigens in einem stilvoll renovierten Jungendstil- man hat, desto mehr muss man sich darum für die ältere Bevölkerung und ihre Ange- Gästehaus. Für Kost und Logis arbeiten sie kümmern, desto weniger Zeit bleibt einem. hörigen eine Beratungs- und Koordinations- 50 Prozent im Haus und Garten mit und sind Ich bin froh, dass ich nichts mehr muss.» stelle. Die Mitarbeitenden beantworten Fragen aktiver Teil der Gemeinschaft. Eine Art zu Wohnformen, Betreuung und Pflege und Das Zeitalter des Individualismus habe aus- unterstützen beim Finden individueller Lösungen gedient, davon ist Ursula Popp überzeugt: und Finanzierungsmöglichkeiten. Die Beratung «Die Wohnform ist «Ich spüre, dass es der Gesellschaft wieder ist kostenlos. viel mehr um die Gemeinschaft geht. In der sehr klassisch. Das Stadt Zug wird viel gemacht für ältere Leute. www.stadtzug.ch/alter Besondere ist jedoch Der Bedarf nach anderen Wohnformen ist Haus der Stille auf jeden Fall da. In Zug hat dies wohl auch die Spiritualität.» mit der Demografie und dem Wohlstand zu Das Lassalle-Haus ist an 365 Tagen geöffnet. Das Café ist öffentlich, ebenso wie die Gottes- Ursula Popp, wohnt, lehrt und lernt im tun. Das Durchmischte, das ich von Zürich dienste, Zen und Kontemplation. Lassalle-Haus. her kenne, fehlt hier noch.» Aber die Wohn- www.lassalle-haus.org
Seite 10 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Stadtpolitik Stadtpolitik BEBAUUNGSPLAN HERTIZENTRUM GUT PARLIERT ALTER & GESUNDHEIT Neues Leben fürs Quartier In dieser Rubrik servieren wir knackige Zitate aus den vergange- Fachstelle bietet Rat nen Sitzungen des Stadtparlaments, des Grossen Gemeinderats. «Wenn ich Ihren Voten zuhöre, sehe ich in einigen Augen schon das Dollarzeichen.» Jürg Messmer (SVP) zur Überweisung der Motion von Willi Vollenweider (parteilos) betreffend Einführung des Planungs-Mehrwert-Ausgleichs in der Stadt Zug. «Ich danke Vroni Straub Die Altersstrategie der Stadt Zug für ihre Charme-Offen- stellt die Lebensqualität und Würde Das Hertiquartier entstand ab den 1960er sive.» der älteren Bevölkerung sowie die Möglichkeit individueller Lebensge- Jahren vor den Toren der Stadt Zug. 1983 kam Philip C. Brunner (SVP) zum neuen staltung ins Zentrum. Die Fachstelle Alter und Gesundheit unterhält das «Hertizentrum» dazu. Es war zum Zeit- Finanzierungsmodell «Betreuungs- gutscheine» für die Betreuung in deshalb für die ältere Bevölkerung punkt seiner Eröffnung in seiner Kombination Kindertagesstätten bzw. der Teilre- und ihre Angehörigen eine kosten- lose Informations- und Beratungs- vision des Reglements über die einmalig: Einkaufen, Wohnen, Pflege im Alter. familienergänzende Betreuung von stelle für Fragen zu Wohnformen, Betreuung und Pflege. Diese Dienst- Nun ist es in die Jahre gekommen und soll Kindern. leistung gewährleistet den Zugang erweitert und modernisiert werden, durch zu verschiedenen Leistungserbrin- gern mit ihrem umfassenden Ange- verdichtetes Bauen und zahlreiche, zum Teil «Geiz ist geil hat bei bot und vernetzt die altersgerechte einem Standort, der von Versorgung. preisgünstige Wohnungen. Das sieht der Be- so hoher Qualität ist bauungsplan Hertizentrum vor, welcher der und einen so hohen Die ganzheitliche Betrachtung einer Situation ermöglicht individuelle Grosse Gemeinderat im Juni 2018 in einer Qualitätsanspruch hat Lösungen für die Unterstützung im zweiten Lesung beraten wird. Es ist vorgese- wie Zug, nichts verloren.» Alltag mit Kostenfolgen und Finan- zierungsmöglichkeiten. Durch die hen, das heutige Einkaufszentrum umfassend Tabea Zimmermann (Alternative-CSP) Auskünfte und Unterstützung bei der Vermittlung des richtigen Ange- zu erneuern und dessen Nutzfläche auf rund zur Finanzstrategie des Stadtrates. botes bietet die Fachstelle eine 89 000 Quadratmeter zu verdoppeln. An der wichtige Hilfestellung für Betroffene und Angehörige, damit sie ihr Leben Allmendstrasse entsteht ein 50 Meter hohes auch im hohen Alter selbstbestimmt führen können. Hochhaus, dahinter zwei kleinere Hochhäuser. Die bestehenden Wohnhäuser erhalten ein Es werden Informations- und Koor- dinationslücken geschlossen und zusätzliches Dachgeschoss. Die oberirdischen das Hand-in-Hand von ambulanten und stationären Betreuungs- und Parkplätze werden alle in eine Tiefgarage ver- Pflegeangeboten gefördert. lagert. Auf dem Foto des Stadtmodells (oben) Weitere Informationen, Adressen sind die Erweiterungen blau eingefärbt. und Telefonnummern unter www.stadtzug.ch/alter www.hertizentrum.ch
Seite 11 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Stadtpolitik Familie: Was ist das? «Doing Family» Heute gibt es eine Vielzahl von Familien- formen. Diese Vielzahl macht die Unterstützung für Familien zu einer komplexen Angelegenheit. Viele ver- schiedene Faktoren gilt es zu berücksichtigen. Ein Projekt des Vereins «Metropolitanraum Zürich», dem auch die Stadt Zug angehört, befasst sich damit. Text Sarah Büchel, Illustrationen Anita Allemann
Seite 12 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Stadtpolitik Heutzutage gibt es viele verschiedene Mög- das Zubettgehen bei jeder Familie anders ab. Sechs Familientypen lichkeiten, «Familie» zu leben. Grundsätzlich Bei einigen wird nach dem Zähneputzen in der Schweiz lässt sich zwischen sechs Familientypen un- noch ein Kinderbuch angeschaut oder ein terscheiden: bürgerliche Kleinfamilie, Ein- Lied gesungen. Andere haben gar keine fes- elternhaushalte, Patchwork-Familie, Mehrge- ten Strukturen. Den Ritualen und Routinen nerationen-Familie, Regenbogenfamilie und gibt jede Familie ihren eigenen Sinn und eine multilokal lebende Familie. Oftmals wählt eigene Bedeutung, weshalb eine Bewertung eine Familie ihr Modell nicht bewusst aus, von aussen (z. B. Ist das gut oder schlecht für sondern es ergibt sich aufgrund von verschie- die Kinder?) mit Vorsicht vorgenommen wer- denen Faktoren, die zusammenspielen (z. B. den sollte. Scheidung, Jobwechsel, Tod eines Elternteils Das dritte Teilprojekt zeigt auf, dass Unter- usw.). Eine Familienform kann sich von ei- stützungsleistungen auf der freien Wahl des nem Tag auf den anderen verändern. «Lebens- und Erwerbsmodells» basieren soll- ten. Das Ziel muss sein, dass Eltern selber Wirkt staatliche Unterstützung? entscheiden können, wie sie die Betreuung 1 Das Projekt «Doing Family» des Vereins Met- der Kinder und die Erwerbsarbeit gestalten Bürgerliche Kleinfamilie – 81 % ropolitanraum Zürich in Kooperation mit wollen. Dabei sollten sie bestmöglich von der Familie, die aus zwei hetero- dem Amt für Jugend und Berufsberatung des öffentlichen Hand unterstützt werden und sexuellen Erwachsenen und Kantons Zürich geht der Frage nach, inwie- zwar unabhängig davon, welches Lebens- und deren leiblichen Kindern besteht. fern Unterstützungsleistungen der öffentli- Erwerbsmodell sie gewählt haben. Synonym: Traditionelle Kleinfamilie chen Hand (z. B. Betreuungsangebote, Fami- lienberatung, Kinderzulagen etc.) Rücksicht auf verschiedene Familienformen nehmen. Wird von einem bestimmten Familientypus ausgegangen oder sind die Leistungen nicht an ein spezifisches Familienmodell, zum Bei- spiel an die traditionelle Kleinfamilie, ge- bunden? Um diese Zusammenhänge zu erfor- schen, wurden Berichte in drei Teilprojekten ausgearbeitet. In Teil eins wurde die Ge- schichte der Familie in der Schweiz unter- 3 Patchwork-Familie – 8 % sucht, in Teil zwei die ökonomische Leistung Familie, in der von unterschied- einer Familie beschrieben und in Teil drei lichen Eltern stammende Kinder wurde geprüft, welche Unterstützung die leben, die aus der aktuellen öffentliche Hand für Familien im Metropoli- oder einer früheren Beziehung tanraum anbietet und wie wirksam diese ist. der Partner hervorgegangen sind. Synonym: Fortsetzungsfamilie Erste Zwischenergebnisse Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand eine komplexe Angelegenheit sind. Vie- le verschiedene Faktoren sind zu berücksich- PROJEKT «DOING FAMILY» tigen: Erstens spielt – nebst der tatsächlich Die Stadt Zug ist Mitglied des Vereins «Metro- im Alltag gelebten Familienform – die «Vor- politanraum Zürich», der die Zusammenarbeit stellung» von Familie eine wichtige Rolle. zwischen Kantonen, Städten und Gemeinden Das Teilprojekt eins hat die Veränderungen fördert und eine Plattform für den Informa- der Familienbilder in der Schweiz erforscht tionsaustausch zur Verfügung stellt. Zudem und beleuchtet, wie stark die Vorstellungen realisiert er Projekte in den Handlungsfeldern von Familie kulturell und gesellschaftlich ge- Verkehr, Wirtschaft, Lebensraum und Gesell- prägt sind. So entstand beispielsweise das schaft. Das Projekt «Doing Family» wird zurzeit Bild der bürgerlichen Kleinfamilie in der Zeit von der Stadtentwicklung Zug geleitet. Der der Industrialisierung, als das Ehepaar nicht Projekttitel «Doing Family» wurde in Anlehnung mehr nur «Arbeitsgemeinschaft» war, son- an die gleichnamige Publikation von Karin dern zum Freundschafts- und Bildungspaar Jurczik gewählt, in welcher die Autorin eine wurde. neue Perspektive auf das Familienleben wirft. Zweitens ist eine zentrale Überlegung von Sie beschreibt, welche physischen und ideellen «Doing Family», dass «Familie» täglich neu Leistungen Familien erbringen und wer sie gestaltet und hergestellt werden muss: Wie erbringt. Der Familienalltag steht im Zentrum. wollen wir leben? Was ist uns wichtig? Wer Kerngedanke ist, dass «Familie» täglich neu übernimmt welche Aufgaben und wie organi- ausgehandelt werden muss: Wie wollen wir sieren wir uns? Wie das Teilprojekt zwei leben? Was ist uns dabei wichtig? Wer über- zeigt, spielen dabei Rituale und Routinen nimmt welche Aufgaben und wie organisieren eine wichtige Rolle. So läuft beispielsweise wir uns?
Seite 13 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Stadtpolitik DIE GESCHICHTE DER FAMILIE IN DER SCHWEIZ 1500 –1800 Vormoderne Hausgemeinschaft In der Zeit von 1500 bis 1800 waren Familien «Hausgemeinschaften», die aus allen Personen bestanden, die unter einem Dach lebten. Bei- spielsweise waren dies die Eheleute, ihre Kinder, das Gesinde und die Taglöhner. Arbeiten und Wohnen fanden am gleichen Ort statt und das Ehepaar verstand sich hauptsächlich als Arbeits- gemeinschaft. 2 Einelternhaushalte – 13 % Mütter oder Väter, die ledig, ver- 1800+ witwet, dauernd getrennt lebend Bürgerliche Familienmilieus oder geschieden sind und nicht Ab 1800 – in der Zeit der Industrialisierung – ent- mit einem anderen Erwachsenen, stand ein spezifisches Familienbild: die bürgerli- jedoch mit ihrem Kind oder ihren che Kleinfamilie. Dieses Ideal bestimmt bis heute Kindern in ständiger Haushalts- unsere Vorstellung von Familie. Das Ehepaar war gemeinschaft zusammenleben. nicht mehr nur eine Arbeitsgemeinschaft, sondern Synonym: Alleinerziehende wurde zum Freundschafts- und Bildungspaar. Charakteristisch für diese Zeit war die Trennung von Arbeits- und Wohnort. Das Wohnhaus wurde zum privaten Rückzugsort. Und damit entstand die Idee zweier hierarchisch unterschiedlicher Geschlechter: Die Welt des Mannes (Arbeit) und die Welt der Frau (Wohnen). Tatsächlich realisie- ren konnte dieses Modell aber nur ein kleiner Teil der Familien. Aus ökonomischen Gründen waren die meisten Familien darauf angewiesen, dass beide Elternteile arbeiteten. Ab 1950 Entwicklung des Mittelstandes Erst der wirtschaftliche Aufschwung der Nach- 5 Regenbogen-Familie – 0,1 % kriegszeit ab 1950 ermöglichte auch den unteren Familie, bei denen Kinder bei Schichten die Realisierung des Haushaltmodells 4 Mehrgenerationen-Familie * zwei gleichgeschlechtlichen im Sinne der bürgerlichen Kleinfamilie. Ab den Das Zusammenleben von mehr Erwachsenen leben. 50er und 60er Jahren wurde es zur Normalität, als zwei in aufsteigender Linie dass Männer die Ernährerposition einnahmen. verwandten Generationen Eine Vollerwerbstätigkeit der Frau wurde nur als in einem Haus oder in einer Übergangslösung zwischen Elternhaus und Heirat Wohnung. gesehen. Frauen sollten nach der Hochzeit ihre *keine Zahlen verfügbar. Arbeit aufgeben und sich den Kindern und dem Haushalt widmen. 6 Multilokal lebende Familie – 18 % * Bei der Definition von Multilokalität 2000+ steht die Sicht des Kindes im Zent- Vielfältige Familienformen rum. Sein Leben ist dann multilokal, In den 60er und 70er Jahren wuchsen die Wider- wenn es regelmässig in verschie- stände gegen das bürgerliche Familienmodell. denen Haushalten lebt und dabei Alternative Lebensformen wie nichteheliche zwischen verschiedenen (biologi- Lebenspartnerschaften, Hausgemeinschaften, schen oder sozialen) Elternteilen hin Wunschkind ohne Partner oder gewollte Kinder und her pendelt. Wie weit die losigkeit entstanden. Heutzutage können Familien Haushalte auseinanderliegen (im selber festlegen, wie sie leben wollen, ohne sich gleichen Haus oder in verschiede- von äusseren Familienbildern beeinflussen zu nen Ländern) spielt für das Vorliegen lassen. Trotzdem spielt sich das Familienleben von Multilokalität keine Rolle. immer auch vor dem Hintergrund der gesellschaft- *Hierzu gibt es keine Zahlen. Eine Studie aus dem lichen Lebens- und Arbeitsbedingungen ab. Nor- Jahre 2017 geht aber davon aus, dass 18 % aller mative Vorstellungen (Familienideen), auf denen Familienhaushalte multilokal organisiert sind. Multilokal lebende Familien können in den letztendlich Rechtsgrundlagen beruhen, sowie die Familienformen 1–5 vorkommen. Hilfen der öffentlichen Hand bestimmen Familie und Familienalltag.
Seite 14 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Stadtpolitik Nachgefragt bei Monika Cochard, Abteilung Kind Jugend Familie, Organisation «Ferien Zug», und Markus Jans, Leiter Soziale Dienste Monika Cochard, heute gibt es neue Familien- Markus Jans, sind klassische Familien weni- formen, und die klassische Mama-Papa- ger armutsanfällig als andere Familienformen? Kind-Familie wird weniger wichtig. Beobach- Verschiedene nationale Forschungen und Sta- ten Sie das im Alltag auch so? tistiken zur Armut zeigen, dass Einelternfa- Wir beobachten alle verschiedenen Formen. milien das grösste Armutsrisiko tragen. Dies Was mich jedoch erstaunt ist, dass es – unab- vor allem deshalb, weil die Unterhaltszahlun- hängig von der familiären Konstellation – im- gen nicht ausreichen, um ein finanziell unab- mer noch fast ausschliesslich die Frauen sind, hängiges Leben zu führen. Trotz neuem welche sich für die Organisation der Familie Scheidungsrecht werden die Kinder meist der zuständig fühlen. Sie müssen sowohl den Mutter zugeteilt. Zieht zu einem späteren normalen Alltag organisieren wie auch Unvorhergesehenes Zeitpunkt ein Kind auf eigenen Wunsch doch zum Vater, überbrücken. Fällt etwas aus, stossen sie zwischen Arbeit kann nur selten eine Änderung der Unterhaltszahlungen er- und Betreuung manchmal fast an die Grenzen ihrer Kräfte. wirkt werden. In einer solchen Situation besteht dann auch für den Vater ein gewisses Armutsrisiko: Er bezahlt die Ali- Welche Unterschiede bei den Familien stellen Sie fest? mente für beide Kinder und je nachdem noch für die Exfrau, Mir fällt vor allem auf, wie unterschiedlich die Haltung ge- gleichzeitig muss er für dasjenige Kind aufkommen, welches genüber den familienergänzenden Angeboten ist. Während bei ihm wohnt. privilegierte Familien oder Zugezogene teilweise sehr for- dernd auftreten und hohe Ansprüche stellen, sind bescheide- Und welchen Familienformen begegnen Sie in Ihrer Arbeit? nere Familie sehr dankbar für das, was wir ihnen bieten. Sehr verschiedenen. Allerdings ist zu sagen, dass es schon immer verzweigte familiäre Netzwerke gab. Nur getraute Was müsste verbessert werden? man sich früher nicht, zu ausserehelichen Beziehungen oder Das Problem ist, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu stehen. Heute viele Kinder auf der Warteliste stehen und die Eltern ver besteht der Wunsch, solche Beziehungen über eine rechtliche tröstet werden müssen. Viel zu reden gibt das Essen. Ernäh- Anerkennung zu etablieren. Damit wird auch die gegenseiti- rung ist sehr Werte behaftet. Weiter werden auch die nach ge Verantwortung geregelt. Das ist ein Fortschritt. gefragten Betreuungszeiten immer länger, da die Eltern teilweise lange Arbeitswege in Kauf nehmen müssen. Haben Sie Einblick in das Zusammenleben der Familien? Was hat sich verändert? Im Bericht wird festgestellt, dass die Kultur und familiäre Rituale in Wir stellen fest, dass Grosseltern heute eine grössere Rolle der Bewertung der Qualität von gemeinsam verbrachter Zeit eine in der Familienorganisation übernehmen, weil sie meist noch grosse Rolle spielen. Wie muss man das verstehen? gesund und unternehmensfreudig sind. Sie überbrücken Dazu habe ich eine eigene Erinnerung: Als Kind einer Fami- Randzeiten, schaffen Freiraum am Wochenende oder über- lie aus der ehemaligen Tschechoslowakei war bei uns das nehmen sogar ganze Betreuungstage. Mittagessen am Sonntag ein wichtiges Familienritual, das wir nie verpassen durften, was ich eher als Zwang empfand. Was hat sich im Alltag der Abteilung Soziale Dienste gegenüber früher Deshalb habe ich später meinen Kindern mehr Freiheiten verändert? gegeben, den Sonntag zu geniessen, wie sie wollten. Ich stelle Was auffällt ist, dass sich das Aufgabenspektrum stark erwei- fest, dass die Familien unterschiedliche Haltungen in Hin- tert hat. Fragen rund um das Alter haben einen viel grösseren blick auf die externe Kinderbetreuung haben. Wahrschein- Stellenwert als noch vor wenigen Jahren. Aber auch die Sozi- lich sind auch kulturelle Hintergründe ausschlaggebend. alhilfe selbst hat sich stark verändert, und der Kontrollauf- wand ist erheblich gestiegen. So tragen zum Beispiel Konku- Gibt es zum Thema Familienorganisation besondere Beobachtungen? binats-Paare eine grössere Verantwortung füreinander. Das Generell stelle ich fest, dass die Selbstorganisation und die heisst, dass Konkubinats-Partnerinnen oder -Partner nach informelle Nachbarschaftshilfe parallel zum Aufbau institu- zweijährigem Zusammenleben die gleiche Verantwortung tioneller Angebote abgenommen haben. Beide Eltern arbei- füreinander übernehmen müssen wie ein verheiratetes Paar. ten eher mehr; im Rest der Zeit möchten sie für sich sein und Das wird nicht immer von allen verstanden. Generell getrau- keine fremden Kinder betreuen. Das Zusammenleben in den en sich heute die Leute viel eher, Unterstützung zu beantra- Quartieren ist anonymer geworden. Kinderbetreuung ist gen. Früher schämte man sich dafür. Allerdings sind bei uns eine grosse Vertrauenssache. in Zug auch die Lebenshaltungskosten stärker gestiegen als in anderen Regionen.
Seite 15 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Stadtpolitik Eine versöhnliche und kämpferische Seite GGR-Porträt Barbara Müller Hoteit setzt sich für ein Miteinander statt Gegeneinander ein. Text und Foto Thomas Gretener Gang durch die Altstadt hinterliessen bei ihr ein Gefühl von Respekt und Ehrfurcht. Ein Gefühl, das geblieben ist. «Natürlich, im Rat geht es auch emotional und turbulent zu und her», sagt sie. Doch die Auseinanderset- zung im Parlament sieht sie als Ausdruck ei- ner urdemokratischen Form, als ein System, welches «normalen Bürgerinnen» erlaubt, mitzugestalten, mitzureden und sich aktiv einzubringen – auch wenn sich die Erfolgs- erlebnisse einer kleinen Gruppierung in Grenzen halten. «Wenn wir dann einen Er- folg erzielen, ist die Freude umso grösser.» Lieber miteinander statt gegeneinander ist dabei einer ihrer Leitsätze. Auf die Leute zu- gehen und versuchen, sie zu verstehen, ge- hört ebenso dazu. Begegnungen ausserhalb der Parlamentssitzungen mit ihren Kolle- ginnen und Kollegen aus allen politischen Lagern sind ihr wichtig: «Auch wenn ich die politische Meinung dann noch immer nicht teilen kann, so verstehe ich doch die Beweg- gründe und den Menschen dahinter.» Abseits von Parlamentsdebatten erlebt Bar- Barbara Müller Hoteit an einem ihrer Lieblingsplätze in Zug. bara Müller die parlamentarische Klein- arbeit: als Mitglied der Feuerschutzkommis- Vorne erhebt sich die St.-Oswalds-Kirche, in seiner kurzen Amtszeit Anfang der 1970er sion und der Nachhaltigkeitskommission. daneben trutzt die Burg Zug, im Rücken das Jahre für den Erhalt der Burg Zug eingesetzt. Zwei Kommissionen, die gegensätzlicher Gebäude des ehemaligen Zeughauses. In der «Heute kaum vorstellbar, dass der Abbruch nicht sein könnten, nicht nur bezüglich ih- Mitte dieses Raums stehen zwei einfache ernsthaft diskutiert wurde», sagt sie nach- res Auftrags, sondern auch in ihrer Wert- Bänke – einer der Lieblingsplätze von Bar denklich. Auch die Kirche St. Oswald weckt schätzung: die Feuerschutzkommission, die bara Müller Hoteit, die seit gut drei Jahren Erinnerungen: Als Vollwaise lebte sie in sich vornehmlich mit der Feuerwehr befasst, für die Christlich Soziale Partei (CSP) im Menzingen bei Verwandten in einer kirchli- hoch akzeptiert; der Nachhaltigkeitskom- Grossen Gemeinderat politisiert. Entdeckt chen, der CVP nahestehenden Familie. «Mit- mission, die sich der komplexen Materie von hat sie den Platz an der Einweihungsfeier genommen» von dieser Erziehung hat Bar- Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft ver- des Stadtparks: dort der neue, kecke Platz, bara Müller das Wertkonservative, also das schreibt, droht die Abschaffung, weil über- da der ruhige, unscheinbare. Im benachbar- Bewahren einer humanen und solidarischen flüssig, wie es im Parlament hiess. «Das tut ten Stadtpark herrscht gerade lebhaftes menschlichen Gemeinschaft. Von ihrem Va- weh», sagt Barbara Müller. Die Kommission Treiben. «Ja, auf junge Leute kann ich zwi- ter, aber auch durch den Kontakt mit ihren habe sicher noch nicht das Optimum heraus- schendurch verzichten», lacht sie. Junge Brüdern, hat sie liberale Impulse erhalten. geholt, räumt sie ein, aber gleich abschaf- Menschen hat die Schulleiterin einer Pri- Die Symbiose dieser beiden Denkweisen fen? «Das Thema ist zu wichtig, um es auf marschule in Wohlen keineswegs ungern – findet sie in der CSP, für die sie sich als der Seite zu lassen», gibt sie sich kämpfe- aber zuweilen tut Ruhe gut. Für Barbara Co-Präsidentin engagiert. risch. Auch das ist eine Seite von Barbara Müller sind diese historischen Gebäude Teil Müller, die sich am Mikrofon als streitbare der Erinnerung an ihre Jugend, als sie als Ihre ersten Stunden im Grossen Gemeinde- Politikerin, aber immer auch mit versöhnli- junges Mädchen die Eltern bei einem Unfall rat blieben Barbara Müller in starker Erin- chen Tönen zu verstehen gibt. verlor. Ihr Vater, René Müller, war Stadtrat nerung. Die Vereidigung im Ratssaal und in von Zug, vertrat die Liberalen und hat sich der Kirche St. Oswald mit anschliessendem
Seite 16 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Wirtschaft Wirtschaft E-MOBILITÄT HITCH HIKE SONDERAUSSTELLUNG WAVE macht Halt in Zug Carpooling gestartet «BodenSchätzeWerte» Für die heutige und zukünftige Be- Kupfer für Stromkabel, Erdöl zum wältigung der Herausforderungen Heizen, Silber für Schmuck, Seltene im Bereich der Mobilität sind inno- Erden für Bildschirme und Zink im vative Lösungen gefragt. Der Kanton Auto: mineralische Rohstoffe sind in und die Stadt Zug bieten seit Februar unserem Leben allgegenwärtig. ihren Mitarbeitenden eine Plattform Die Ausstellung informiert über die zur Bildung von Fahrgemeinschaften Entstehung, den Abbau und die in Zusammenarbeit mit dem Zentral- Nutzung von mineralischen Roh- schweizer Public-Carpooling-Anbieter stoffen – und unseren Umgang HitchHike. Nun ist dies auch für alle damit, wenn wir ein Produkt nicht Die WAVE – eine Welle von E-Mobilen – rollt Einwohnerinnen und Einwohner von mehr brauchen. Was können wir Zug möglich. tun, damit Rohstoffe wirtschaftlich, vom 8. bis 16. Juni 2018 schon zum 8. Mal umweltfreundlich und sozialver- durch die Schweiz. Sie ist in dieser Art die Autofahrer, die regelmässig be- stimmte Strecken fahren, können träglich gewonnen und so lange und so effizient wie möglich ge- grösste rollende E-Mobil-Veranstaltung der über das Internet auf der Hitch nutzt und wiederverwendet werden Hike-Plattform eine Fahrgemein- können? Die Komplexität der Thema- Welt. Am Freitagnachmittag, 15. Juni, stoppt schaft anbieten. Mitfahrer suchen tik wird aus unterschiedlichen Blick- die WAVE an verschiedenen Orten in Zug. auf der Plattform nach einer Fahr- gemeinschaft mit gleichen oder winkeln dargestellt – geologischen, umweltbezogenen, technischen, Teams aus aller Welt präsentieren um 16.30 ähnlichem An- und Abfahrtsort so- wirtschaftlichen und gesellschaftli- wie Fahrzeiten. Das Nutzen der chen – und lässt ein Netz aus welt- Uhr auf dem Bundesplatz ihre E-Cars, E-Mo- HitchHike-Plattform ist für die Be- weiten Interessen erkennen. torbikes und E-Bikes. Die WAVE will für die nutzerinnen und Benutzer kostenlos. Fahrer und Mitfahrer klären eine Im Rahmen der Sonderausstellung Elektromobilität, erneuerbare Energien und mögliche Vergütung für die Mitfahr- gibt es Vortragsabende mit Fachre- gelegenheit untereinander. Wichtig feraten und Diskussionsrunden. Nachhaltigkeit ein Zeichen setzen und zeigt, ist der soziale Aspekt des Carpoo- Gruppen können Führungen buchen. dass die Fortbewegung mit elektrisch betrie- lings, die Effizienzsteigerung bei der persönlichen Mobilität und die Spezielle Workshop-Angebote an den Wochenenden richten sich an benen Fahrzeugen alltagstauglich ist und niedrigere Belastung der Umwelt. Erwachsene, Familien, Kinder und Früher war «hitchhiking» oder «au- Jugendliche. Entwickelt hat die Aus- Spass macht. Erwartet werden insgesamt 120 tostöpeln» weit verbreitet und fand stellung das erdwissenschaftliche In- unterschiedliche Fahrzeuge. Auf ihrer Reise oftmals spontan statt. In der heuti- formations- und Forschungszentrum der ETH Zürich. Vom 12. April bis 21. gen Zeit bietet eine Online-Platt- durch die Schweiz legen die WAVE-Teams form eine gute Voraussetzung dafür, Oktober 2018 ist sie in Zug zu sehen. rund 1500 Kilometer zurück, überwinden dies wieder aufleben zu lassen. Museum für Urgeschichte(n) Zug, 8700 Höhenmeter und besuchen 40 Etappen- HitchHike wurde 2011 gegründet Hofstrasse 15, 6300 Zug. Dienstag und arbeitet seither an der Entwick- bis Sonntag 14.00–17.00 Uhr; Grup- orte. Das Teilnehmerfeld besteht aus Privat- lung des HitchHike-Ecosystems, mit pen auf Anmeldung. Öffentliche leuten, Unternehmen sowie Universitäten, die welchem Städte, Gemeinden, Unternehmen, Hochschulen und Vortragsreihe jeweils donnerstags 18.00 –19.30 Uhr. Veranstalterin: sich nach dem WAVE-Slogan «Let’s move the ähnliche Institutionen aktiv zur HSR Hochschule für Technik Rap- nachhaltigen Etablierung von Fahr- perswil, Institut WERZ, Zug. world!» zusammentun, um etwas zu bewegen. gemeinschaften beisteuern können. www.bodenschaetzewerte.ch www.wavetrophy.com www.hitchhike.ch
Seite 17 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Wirtschaft Dich knacken wir schon noch Zugezogen Wir kennen sie jetzt schon eine ganze Weile. Nur leider nicht so gut. Deshalb wollen wir wissen: Wie geht es den Expats eigentlich mit uns? Text Falco Meyer, Fotos Nora Nussbaumer Für Heike Rothenbusch war der Rugby Club der Schlüssel zu Zug.
Seite 18 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Wirtschaft Lieber Expat: Zug sagt Hallo zur Welt. Schon am Stadtrand sind wir freundlich zu dir: Hier wohnen Menschen aus 120 Nationen, steht da auf dem Schild. Auf dem Bildschirm im Bus sagen wir zu dir: Welcome. Auch die Häuser heissen so, dass du es verstehst: Park Tower, City Garden, Cloud. Wir lieben dich jetzt schon vierzig Jahre lang, mit deiner ganzen internationalen Pracht: deinem ent- spannten Englisch, deinem ungehemmten internationalen Akzent, deiner wirtschaftli- chen Potenz, deinem unangestrengt gut sit- zenden Anzug. Und seit vierzig Jahren verstehen wir dich Bill Lichtensteiger, Präsident International Mens Club of Zug. nicht. Du bist für uns ein Kuriosum. Wir schreiben in Zeitungsartikeln über dich, rät- seln im Grossen Gemeinderat, wie wir dich integrieren können, drücken dir Broschüren Ankunft gemacht hat: bei einem Training Die Firma habe ihn sofort unterstützt, als er in die Hand, schmeissen Feste für dich. vorbeigehen. In kurzer Zeit hat sie so mehr es angesprochen habe. «Glencore hat uns Ganz ehrlich: Wir sind etwas unglücklich in Bekanntschaften mit Schweizern geschlos- hier bei allem geholfen: bei der Wohnungs- dich verliebt. Deshalb entschuldige, dass sen als ihr Freund in drei Jahren. «Mein per- suche, bei allen Formalitäten, sogar bei der wir uns schon wieder mit dir beschäftigen, sönlicher Höhepunkt: Ich war auf dem Stie- Suche nach einem Auto. Das gab uns die Zu- hier im Stadtmagazin. Das geht dir vielleicht renmarkt, als ich plötzlich von hinten versicht, unsere Sachen zu packen und ans auf die Nerven. Aber so ist das mit der Liebe. gerufen wurde. Die Schweizer Mädels aus andere Ende der Welt zu ziehen.» Jetzt ist Die lässt nicht locker. Und jetzt, wo wir schon dem Club waren auch unterwegs. Es ist Schmidt einer der rund 800 Mitarbeitenden mit dir zusammenleben, da wollen wir auch schön, nach so kurzer Zeit auf der Strasse am Hauptsitz von Glencore. Die meisten mal hören: Wie geht es dir mit uns? Bekannte anzutreffen.» kennt er mittlerweile. Vier Mal pro Woche läuft er über Mittag zehn Kilometer durch Wiesen und Wald. Am Abend verbringt er Zeit mit seiner Tochter. «Ich versuche meine «Ich habe einige Bekannte, die nur mit anderen Frau abends und am Wochenende so gut wie Expats verkehren. Das wollte ich nicht.» Paul de Backker möglich zu entlasten», sagt Schmidt. Wenn die Tochter schläft, klemmt er sich hinter die Bücher, um sein Nachdiplomstudium im Durch die Mitte Um die Welt Finanzbereich zum Abschluss zu bringen. Heike Rothenbusch sitzt im Café in Zürich Arlen Schmidt spricht schnell, aber gewählt. Und die Stadt? Die ist einfach da. «Ich finde, an der Sonne, mitten im Bankenviertel. Sie Er ist 32 Jahre alt und Vater einer kleinen das Thema Expats versus Einheimische wird arbeitet seit November bei der Bank Vonto- Tochter. Sie krabbelt jetzt wohl gerade zu fest aufgeblasen. Ich sehe das nicht als bel im HR, und genauso lange wohnt sie durch die Wohnung, drüben an der Baarer- grosse Sache. Zug ist so international, dass schon in der Schweiz. Genauer: zwischen strasse. Gar nicht weit von hier, dem Sit- die Leute hier den Umgang mit Menschen den Gleisen und der Baarerstrasse in Zug. zungszimmer der Glencore. Der Australier aus dem Ausland gewohnt sind.» Sie ist ein Frischling. Als Expat noch kein wurde bereits in Sydney auf den Rohstoff- Schmidt hat einen unbefristeten Vertrag halbes Jahr alt. «Und so expatisch fühle ich konzern aufmerksam. Er hat einen Artikel und wird wohl noch eine Weile hierbleiben. mich auch nicht», sagt die 29-Jährige, kein über Ivan Glasenberg gelesen und gedacht: «Die Lebensqualität hier ist sehr hoch. Wenn Wunder: Spricht Deutsch, kommt aus Berlin. «Da will ich hin. Das unternehmerische Den- man in die Schweiz kommt, gibt es nichts, Rothenbusch hat schnell Fuss gefasst, res- ken und die internationale Ausrichtung ha- das einen zum Umkehren bewegt», sagt er, pektive, Ball: Jeden Dienstag- und jeden ben mich angezogen.» Es hat geklappt. «Call ausser vielleicht eine noch spannendere Donnerstagabend schnürt sie sich die Stol- it divine intervention, oder was auch immer. Möglichkeit im Ausland. «Wir haben ein lenschuhe, legt den Mundschutz an und Es war einer dieser Momente, wo du weisst, grosses Netzwerk in unserer Nachbarschaft rennt auf einer Wiese in Unterägeri Gegne- das ist alles Teil eines grösseren Plans. Ein aufgebaut.» Viele soziale Kontakte hat die rinnen über den Haufen. Im Rugby Club Zug. Headhunter hat mir gesagt, er sei mitten in Familie auch über eine Freikirche in Zürich Blaue Flecken trage sie als Abzeichen, sagt der Nacht aufgewacht und habe an mich ge- geknüpft. Sie geht regelmässig sonntagmor- sie und lacht, «da freut man sich fast ein dacht. Er habe einen Job für mich.» gens zum Gottesdienst. «Wir haben da eini- bisschen drüber, die zeigt man dann und Rund zwei Jahre lang hat Schmidt für Glen- ge enge Freunde gefunden – ein Mix aus Ex- denkt: Mein Sport ist halt ein bisschen hart, core als Treasurer für Australien gearbeitet. pats und Schweizern.» ich bin halt ein bisschen hart, das ist schon Im November 2015 ist er dann mit seiner in Ordnung so.» Der Club ist Rothenbuschs Frau in die Schweiz gezogen. «Im Ausland Schlüssel zu Zug. Das Erste, was sie bei ihrer zu leben, hat mich schon länger gereizt.»
Seite 19 Stadtmagazin Nr. 20 Mai 2018 Wirtschaft Auf Heimatbesuch Es gibt Menschen, die sich beruflich darum «Wir würden gerne mehr pelbürger aufgewachsen, hat er in seinem Le- ben etwa fünf Mal für Jahre komplett umge- kümmern, dass Expats in Zug einen guten mit Schweizern zu tun stellt, von London in die Schweiz und zurück. Ihm können wir die Frage ja stellen. Gibt es Start haben. Sabrina Vogelsang ist eine da- von. Sie leitet das dreiköpfige Team Global haben. Wir finden es nun eine abgeschottete Expat-Community in Mobility Services bei Siemens Schweiz. Ex- einfach sehr schwierig, Zug, die nichts mit Einheimischen zu tun ha- ben will? Ja und nein, sagt Lichtensteiger. «Es pat bedeutet für sie etwas ganz Spezifisches: interne Mitarbeiter aus anderen Siemens- sie gut kennenzulernen.» gibt viele Expats, die sich nur mit anderen Standorten, die für zwei Monate bis fünf Bill Lichtensteiger Ausländern austauschen.» Das liege auch dar- Jahre in die Schweiz kommen, aber weiter- an, dass sich Expats untereinander ähnlich hin im Ursprungsland unter Vertrag stehen. seien. «Das sind weltoffene Menschen, die 30 solcher Expats sind im Moment in der Neues kennenlernen wollen. Zudem stehen Schweiz, 20 davon am Standort Zug. alle vor ähnlichen Herausforderungen.» Viele Vogelsangs Team findet Lösungen für die dent eines etwas sonderbaren Vereins: dem Vernetzungsmöglichkeiten wie das soziale unterschiedlichen Herausforderungen, die International Mens Club of Zug. «Ist mir schon Netzwerk «Internations» seien auch mehr- eine Expatriation mit sich bringt: die Klä- klar, dass das Männerclub-Image nicht mehr heitlich auf Expats ausgerichtet. Gleichzeitig rung rechtlicher Themen mit den Behörden so in unsere Zeit passt», sagt Lichtensteiger. sei das gar nicht unbedingt so gewollt. «Ich im Herkunftsland und in der Schweiz zum «Aber zu unserer Verteidigung: Wir haben mit habe mich im Club extra noch einmal umge- Beispiel, aber auch die Unterstützung beim dem Zug International Womens Club einen hört, und alle haben mir dasselbe erzählt: Wir Umzug. «Wir helfen ihnen dabei, eine Woh- Schwesternclub, und sie sind auch an vielen würden gerne mehr mit Schweizern zu tun nung zu finden, sich richtig anzumelden, von unseren Events eingeladen. Zusammen haben. Wir finden es einfach sehr schwierig, eine Schule für ihre Kinder zu finden», sagt sind wir also offen für alle.» Sein Verein bietet sie gut kennenzulernen.» Vogelsang. Es sei für das Unternehmen wich- jede Woche einen englischsprachigen Stamm- tig, dass es den Expats gut gehe und sie die tisch, eines der vielen Angebote, die Expats Also, lieber Expat, so sieht das aus. Du triffst Entsendung nicht vorzeitig abbrechen. Denn und Zuger zusammenbringen können. «Wir uns mal beim Rugbyspielen, mal im Wohn- diese kann bis zu zwei Jahressaläre ver- haben immer wieder junge Expats, die bei block, bei der Arbeit, beim Rudern, im inter- schlingen. Wie viele Unternehmen, bezahlt uns mitmachen, um hier Leute kennenzuler- nationalen Männer- oder Frauenclub. Deine Siemens einen Teil der entstehenden Kosten: nen. Aber auch viele Schweizer, die gerne ihr Firma hilft dir sogar dabei, uns zu verstehen. doppelte Miete soll vermieden werden, Schul Englisch regelmässig benutzen.» Lichtenstei- Denn du findest uns manchmal etwas schwer kosten können übernommen werden. ger führt den Prototyp eines internationalen zugänglich. Manchmal hast du Lust aufs Zu- Vogelsang legt ein Konferenzgerät auf den Lebensentwurfs. Arbeitet seit neun Jahren sammenleben, manchmal schaust du schon, Tisch und verbindet uns mit Paul de Backker. bei Landis+Gyr, davor gabs viel Bewegung. ob neues Land in Sicht ist. Naja, wir geben Er ist gerade auf Heimatbesuch in Holland. «Ich nenne mich eher Transpat anstatt Expat», uns weiter Mühe. Dich knacken wir schon De Backker lebt seit drei Jahren am Kolin- sagt er. In England und der Schweiz als Dop- noch. platz und arbeitet am Hauptsitz von Sie- mens Building Technologies in Zug. Im Som- mer geht sein Schweiz-Aufenthalt wohl zu Ende. Wie es ihm in Zug gefällt? «Na, ich bin gerade in Holland in Rehab, um mich davon zu erholen», scherzt de Backker. «Nein im Ernst: Mir geht es sehr gut in Zug. Ich lebe mitten in der Altstadt, die sehr lebendig ist, ich habe ein gutes Netzwerk aufgebaut, die Stadt gefällt mir.» De Backker gleitet in seiner Freizeit lautlos mit dem Ruderclub Zug über den See. «Ich habe einige Bekannte, die nur mit anderen Expats verkehren. Das wollte ich nicht.» Im Gegenteil, er schätze es, dass die Stadt sogar einen Schritt auf ihn zu- mache: «Ich war zum Beispiel an der Neuzu- züger-Feier, das hat der Stadt für mich ein Gesicht gegeben. Seitdem begegne ich dem Stadtpräsidenten immer mal wieder per Zu- fall im gleichen Café.» Im Männerclub Bill Lichtensteiger kommt mit dem elektri- schen Trottinett angebraust. Er ist der Präsi- Sabrina Vogelsang, Leiterin Global Mobility Services bei Siemens Schweiz.
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