MENSCHENHANDEL - KONTURLOSE TATBESTÄNDE DANK EU-VORGABEN? - KRIPOZ

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16        1 | 2018

                      Menschenhandel – konturlose Tatbestände dank EU-Vorgaben?

                                                            *
                    von Prof. Dr. Martin Böse

     I. Einleitung
                                                                                 nicht nur der nationale, sondern auch der europäische Ge-
                                                                                 setzgeber gerecht werden. Letzteres wird daher zu Recht
     Der Bezugsrahmen der Kriminalpolitik ist traditionell die
                                                                                 von der European Criminal Policy Initiative (ECPI) ein-
     staatliche Gesetzgebung, der primäre Akteur das nationale
                                                                                 gefordert.5 Dessen ungeachtet bleibt der nationale Gesetz-
     Parlament. Dies spiegelt sich auch im Programm der
                                                                                 gebers bei der Ausfüllung der Gestaltungsspielräume, die
     zweiten Tagung des Kriminalpolitischen Kreises wider,
                                                                                 ihm die Richtlinie bei der Umsetzung in das innerstaatli-
     allerdings mit Ausnahme des mir zugedachten Themas,
                                                                                 che Recht belässt, weiterhin für die Wahrung grundlegen-
     das den Blick auf die Einflüsse des Unionsrechts auf die
                                                                                 der Prinzipien der Strafgesetzgebung verantwortlich.
     deutsche Strafgesetzgebung lenkt und zugleich mit ironi-
     schem Unterton danach fragt, ob und in welchem Umfang
                                                                                 Wie weit diese Spielräume auf nationaler Ebene reichen
     dem nationalen Gesetzgeber bei der Ausfüllung des uni-
                                                                                 und infolgedessen eine prinzipiengeleitete Strafgesetzge-
     onsrechtlichen Rahmens überhaupt noch kriminalpoliti-
                                                                                 bung überhaupt zulassen, wird der folgende Beitrag am
     sche Spielräume verbleiben. Besonders deutlich hervorge-
                                                                                 Beispiel des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 49 Abs. 1
     treten ist der beklagte Verlust an politischer Gestaltungs-
                                                                                 S. 1 GrCH, Art. 103 Abs. 2 GG) untersuchen. Als Bezugs-
     macht (und politischem Gestaltungsanspruch) in dem
                                                                                 gegenstand dient der Tatbestand des Menschenhandels
     Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zum Euro-
                                                                                 (§ 232 StGB), der zur Umsetzung der entsprechenden
     päischen Haftbefehl, in dem der Bundestagsabgeordnete
                                                                                 EU-Richtlinie6 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Be-
     Hans-Christian Ströbele zu Protokoll gab, dass er sich
                                                                                 kämpfung des Menschenhandels7 im Oktober 2016 neu
     aufgrund der Vorgaben des Unionsrechts bei der Abstim-
                                                                                 gefasst worden ist.
     mung über den Gesetzesentwurf „normativ unfrei“ gefühlt
     habe.1 Der dagegen gerichtete Appell des BVerfG an den
                                                                                 In einem ersten Schritt werden die unionsrechtlichen Vor-
     Gesetzgeber, die Umsetzung von Unionsrecht notfalls zu
                                                                                 gaben der Richtlinie erläutert; dabei wird auch auf die
     verweigern,2 ist seit der Eingliederung der strafrechtlichen
                                                                                 Frage einzugehen sein, ob und inwieweit die Definition
     Zusammenarbeit in den supranationalen Rahmen des Uni-
                                                                                 des tatbestandlichen Unrechts grundlegenden Be-
     onsrechts durch den Vertrag von Lissabon keine Option
                                                                                 stimmtheitsanforderungen gerecht wird (II.). In einem
     mehr. Das BVerfG hat vielmehr die Kompetenzen der
                                                                                 zweiten Schritt (III.) wird sodann auf die Umsetzung der
     Union, das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu harmonisie-
                                                                                 Richtlinie in das deutsche Recht beleuchtet, um die ein-
     ren und dem nationalen Gesetzgeber damit verbindliche
                                                                                 gangs aufgeworfene Frage zu beantworten, ob und inwie-
     Vorgaben zur Ausgestaltung von Strafvorschriften zu ma-
                                                                                 weit der deutsche Gesetzgeber den Tatbestand des Men-
     chen (Art. 83 AEUV), als mit dem Grundgesetz vereinbar
                                                                                 schenhandels präziser hätte fassen dürfen (angesichts der
     anerkannt.3 Diese Prämisse liegt – ungeachtet aller Kritik
                                                                                 unionsrechtlichen Vorgaben) und müssen (mit Blick auf
     an der Übertragung derartiger Zuständigkeiten auf die
                                                                                 das Bestimmtheitsgebot).
     Union4 – den folgenden Ausführungen zu Grunde.
                                                                                 II. Die Vorgaben der EU-Richtlinie und ihre Be-
     Im Rahmen der strafrechtlichen Zusammenarbeit sind
                                                                                 stimmtheit
     Union und Mitgliedstaaten gemeinsam für die Strafge-
     setzgebung verantwortlich (geteilte Zuständigkeit, Art. 2
                                                                                 Die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels
     Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV): Die Union legt
                                                                                 (im Folgenden: EU-Richtlinie) ist die erste Richtlinie zur
     durch Richtlinien Mindestvorgaben zu Straftaten und
                                                                                 Strafrechtsangleichung, die auf der Grundlage des Lissa-
     Strafen fest (Art. 83 Abs. 1, 2 AEUV), die von den Mit-
                                                                                 bonner Vertrages erlassen worden ist, und ersetzt den ent-
     gliedstaaten in das innerstaatliche Recht, d.h. in unmittel-
                                                                                 sprechenden Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2002.8 Die
     bar anwendbare Strafgesetze, umgesetzt werden. Den An-
                                                                                 unionsrechtlichen Vorgaben zur Strafbarkeit des Men-
     forderungen an eine rationale, rechtsstaatlichen Grundsät-
                                                                                 schenhandels gehen auf völkervertragliche Regelungen
     zen verpflichtete Strafgesetzgebung muss also nunmehr
                                                                                 5
     *   Der Verfasser ist Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht so-        Asp/Bitzilekis/Bogdan/Elholm/Foffani/Frände/Fuchs/Kaiafa-
         wie Internationales und Europäisches Strafrecht an der Rheinischen          Gbandi/Leblois-Happe/Nieto/Martín/Prittwitz/Satzger/Syme-
         Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Der Beitrag beruht auf einem           onidou-Kastanidou/Zerbes, European Criminal Policy Initiative
         Vortrag, der auf der Tagung des Kriminalpolitischen Kreises „Kri-           (ECPI) Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik, ZIS 2009,
         minalpolitik – Rückblick und Ausblick“ am 10.11.2017 an der Uni-            697 ff.
                                                                                 6
         versität zu Köln gehalten wurde.                                            Richtlinie 2011/36/EU v. 5.4.2011 zur Verhütung und Bekämpfung
     1
         Zitiert nach Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem          des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer, ABl. EU L
         Bundesverfassungsgericht (2006), S. 247.                                    101/1.
     2                                                                           7
         BVerfGE 113, 273 (301).                                                     Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels v.
     3
         BVerfGE 123, 267 (369 ff., 406 ff.).                                        11.10.2016, BGBl. I 2016, S. 2452.
     4                                                                           8
         S. zuletzt Noltenius, Die Europäische Idee der Freiheit und die Etab-       Rahmenbeschluss 2002/629/JI v. 19.7.2002 zur Bekämpfung des
         lierung eines Europäischen Strafrechts, 2017, S. 344 ff.                    Menschenhandels, ABl. EU L 203/1.
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gegen den Sklavenhandel zurück, deren Ursprünge sich                       Prostitution oder andere Formen sexueller Ausbeutung,
bis zum Wiener Kongress von 1815 zurückverfolgen las-                      Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, Sklave-
sen.9 Zentrale Bedeutung hat insoweit die UN-Konven-                       rei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder
tion gegen grenzüberschreitende Kriminalität mit dem Zu-                   die Organentnahme. Darüber hinaus werden – über die
satzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestra-                        bisherige völkervertragliche Definition hinaus – auch die
fung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und                     Ausnutzung zu Betteltätigkeiten oder Begehung strafbarer
Kinderhandels.10 Die in Art. 3 des Protokolls enthaltene                   Handlungen erfasst.
Definition des Menschenhandels wurde in der EU-Richt-
linie (Art. 2) nahezu wortgleich übernommen und nur ge-                    Sind diese unionsrechtlichen Vorgaben konturlos? Unge-
ringfügig ergänzt (s. dazu sogleich).11 Der nationale Ge-                  achtet der klaren Struktur der Beschreibung des tatbe-
setzgeber hat danach als Menschenhandel folgendes Ver-                     standlichen Unrechts ist einzuräumen, dass die verwende-
halten unter Strafe zu stellen:                                            ten Begriffe zum Teil recht vage sind (z.B. Missbrauch
                                                                           von Macht, Ausnutzung besonderer Schutzbedürftig-
Die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherber-                         keit).14 Dies gilt auch für die Definition der besonderen
gung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der                        Schutzbedürftigkeit, die dann vorliegen soll, wenn das
Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Per-                      Opfer keine wirkliche oder annehmbare andere Möglich-
sonen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt                       keit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen (Art. 2 Abs. 2
oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung,                        EU-Richtlinie).15 Mit Blick auf den Bestimmtheitsgrund-
Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnut-                       satz wäre dies allerdings nur dann problematisch, wenn
zung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewäh-                      man mit den Begründern der European Criminal Policy
rung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen                       Initiative davon ausgeht, dass der Unionsgesetzgeber
zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die                  beim Erlass von Richtlinien an diesen Grundsatz gebun-
Kontrolle über eine andere Person hat, zum Zwecke der                      den ist (vgl. Art. 49 Abs. 1 S. 1 GrCH).16
Ausbeutung (Art. 2 Abs. 1 EU-Richtlinie).
                                                                           Genau diese Prämisse erscheint indes nicht zweifelsfrei.
Diese Definition besteht aus drei Unrechtselementen,                       Art. 83 AEUV ermächtigt zur Festlegung von Mindest-
nämlich der Tathandlung, dem Tatmittel und dem Zweck                       vorschriften, d.h. dem nationalen Gesetzgeber bleibt es
der Tat:12                                                                 unbenommen, über diesen strafrechtlichen Mindeststan-
                                                                           dard hinauszugehen, indem er den Tatbestand weiter
Als Tathandlungen werden zunächst eine Reihe von Tä-                       fasst.17 Dementsprechend legt die Richtlinie fest, welche
tigkeiten auf der Nachschub- und Logistikebene genannt,                    Ausbeutungsformen der nationale Straftatbestand „min-
die sämtliche Phasen von der Rekrutierung bis zur Aus-                     destens“ erfassen muss (Art. 2 Abs. 3 EU-Richtlinie). So-
beutung der Opfer erfassen:13 Anwerbung, Beförderung,                      weit der nationale Gesetzgeber sich jedoch auf den uni-
Verbringung, Beherbergung und Aufnahme von Personen                        onsrechtlichen Mindeststandard beschränken will, wird
(einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kon-                       die Grenze zwischen straflosem und strafbarem Verhalten
trolle über diese Personen).                                               im Ausgangspunkt durch Unionsrecht festgelegt. Damit,
                                                                           so könnte man meinen, bleibt der Unionsgesetzgeber in
Zur Ausführung der Tat muss sich der Täter bestimmter                      der Pflicht, die entsprechenden Vorgaben für das natio-
Tatmittel bedienen, die es ihm ermöglichen, Kontrolle                      nale Strafrecht klar und präzise festzulegen.
über das Tatopfer auszuüben: Androhung oder Anwen-
dung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, Ent-                     Durch diese Vorgaben des Bestimmtheitsgebot gerät der
führung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder                      Unionsgesetzgeber indes in einen Zielkonflikt, denn die
Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit, Gewährung                       Beschränkung der in Art. 83 AEUV vorgesehenen Har-
oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur                        monisierungskompetenz auf das Instrument der Richtlinie
Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die                      soll gewährleisten, dass den Mitgliedstaaten bei der Um-
Kontrolle über eine andere Person hat.                                     setzung der unionsrechtlichen Vorgaben substantielle
                                                                           Spielräume verbleiben.18 Dieser Umsetzungsspielraum ist
Schließlich muss mit der Tat der Zweck verfolgt werden,                    notwendig, um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die
das Opfer auszubeuten. Nach Art. 2 Abs. 3 der EU-Richt-                    neuen Strafvorschriften in die bestehende Strafrechtsord-
linie umfasst der Begriff Ausbeutung die Ausnutzung zur                    nung einzufügen, ohne dass Wertungswidersprüche und

9                                                                          13
     Eingehend zur historischen Entwicklung Knospe, ZESAR 2017, 69              Renzikowski, Strafvorschriften gegen Menschenhandel und
     (70 ff.).                                                                  Zwangsprostitution de lege lata und de lege ferenda, 2014, S. 7.
10                                                                         14
     Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des               Satzger/Zimmermann/Langheld, EuCLR 2013, 107 (114); s. auch
     Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels                die allgemeine Kritik von Corral-Maraver, EuCLR 2017, 123
     v. 15.11.2000 (BGBl. II 2005, S. 995); s. auch das Europarats-Über-        (136 f.).
                                                                           15
     einkommen gegen Menschenhandel v. 16.5.2005 (SEV Nr. 197).                 Satzger/Zimmermann/Langheld, a.a.O.; vgl. dagegen ECPI, ZIS
11
     S. auch den Verweis auf das Zusatzprotokoll und das Europarats-            2009, 697 (703).
                                                                           16
     Übereinkommen (jeweils Fn. 10) in Erwägungsgrund (9) der Richt-            ECPI, ZIS 2009, 697 (698); dezidiert Satzger, in: Böse (Hrsg.),
     linie.                                                                     EnzEuR Bd. 9 (2013), § 2 Rn. 41 ff.
12                                                                         17
     Erläuternder Bericht zum Europarats-Übereinkommen gegen Men-               Zumindest in Bezug auf den hier thematischen Art. 83 Abs. 1 AEUV
     schenhandel, Rn. 74 ff.; McClean, Transnational Organized Crime            ist dies allgemein anerkannt, s. insoweit Böse, in: ders. (Hrsg.),
     – A Commentary on the UN Convention and its Protocols, 2007,               EnzEuR Bd. 9 (2013), § 4 Rn. 13 m.w.N.
                                                                           18
     S. 323; Pintaske, Das Palermo-Übereinkommen und sein Einfluss              S. auch ECPI, ZIS 2009, 697 (698).
     auf das deutsche Strafrecht, 2014, S. 281 ff.
18         1 | 2018

     Inkohärenzen entstehen. Mit der Beschränkung der uni-                      Macht“ und „Ausnutzung besonderer Schutzbedürftig-
     onsrechtlichen Vorgaben auf das zur Angleichung unbe-                      keit“. Natürlich lassen sich diese Begriffe über Definitio-
     dingt erforderliche Maß trägt der Unionsgesetzgeber den                    nen präzisieren, indem etwa die Kriterien angegeben wer-
     vertraglichen Schranken für die Kompetenzausübung                          den, auf denen die Machtstellung des Täters bzw. die
     Rechnung, die sich aus dem Prinzip der Verhältnismäßig-                    Schutzbedürftigkeit (besser: Hilflosigkeit) des Opfers be-
     keit ergeben (Art. 5 Abs. 4 EUV).19                                        ruht (Alter, Krankheit, wirtschaftliche Not).23 Es ist je-
                                                                                doch mit Blick auf die vertragliche Kompetenzordnung
     Unbestimmte Begriffe und vage Formulierungen in den                        grundsätzlich legitim, wenn der Unionsgesetzgeber den
     unionsrechtlichen Vorgaben mögen daher unter dem As-                       Mitgliedstaaten insoweit Umsetzungsspielräume eröffnet
     pekt mangelnder Bestimmtheit kritikwürdig sein, sind                       und es damit dem nationalen Gesetzgeber überlässt, diese
     aber zugleich mit Blick auf die Wahrung von Umset-                         Begriffe zu präzisieren.24
     zungsspielräumen des nationalen Gesetzgebers zu begrü-
     ßen. Bei der Ausfüllung dieser Spielräume ist der natio-                   Damit ergibt sich als Zwischenfazit eine erste Antwort auf
     nale Gesetzgeber dann freilich gehalten, die Anforderun-                   die eingangs gestellte Frage: Soweit die unionsrechtlichen
     gen des Bestimmtheitsgebotes zu beachten.                                  Vorgaben unbestimmte Begriffe enthalten, ist der natio-
                                                                                nale Gesetzgeber keineswegs gehalten, diese zu überneh-
     Exemplarisch: Nach der Richtlinie müssen die Mitglied-                     men, sondern vielmehr im Rahmen der Umsetzung zu ei-
     staaten eine erhöhte Strafe vorsehen, wenn dem Opfer                       ner Präzisierung dieser Begriffe berechtigt, wenn nicht so-
     durch die Tat ein besonders schwerer Schaden zugefügt                      gar verpflichtet. Der Tatbestand des Menschenhandels ist
     wurde (Art. 4 Abs. 2 lit. d EUV). Der deutsche Gesetzge-                   schon aus diesem Grund nicht „dank EU-Vorgaben“ kon-
     ber hat diese recht ungenaue Vorgabe20 durch eine Quali-                   turenlos.
     fikation umgesetzt, indem er den „besonders schweren
     Schaden“ durch den Begriff der schweren körperlichen                       III. Die Konturlosigkeit des § 232 StGB
     Misshandlung präzisiert hat, der seinerseits an den Begriff
     der schweren Gesundheitsschädigung (vgl. § 221 Abs. 1                      Damit stellt sich die Frage, ob der deutsche Gesetzgeber
     StGB) anknüpft.21 Dem nationalen Gesetzgeber wird es                       seiner Verantwortung gerecht geworden ist, die unions-
     auf diese Weise ermöglicht, an andere, bereits bestehende                  rechtlichen Vorgaben in dem Tatbestand des Menschen-
     Qualifikationen zu anderen Tatbeständen anzuknüpfen.                       handels in einer Weise zu präzisieren, die den Vorgaben
     Auf diese Weise wird zweierlei gewährleistet, nämlich ei-                  des Bestimmtheitsgebotes entspricht.
     nerseits die Kohärenz der nationalen Strafrechtsordnung,
     andererseits ein höheres Maß an Rechtssicherheit, da die                   Anders als die vorherige Konzeption, folgt die seit dem
     Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung der                         vergangenen Jahr geltende Fassung im Ausgangspunkt
     Qualifikation an ein bestehendes Begriffsverständnis an-                   der völker- bzw. unionsrechtlichen Beschreibung des tat-
     knüpfen kann.                                                              bestandlichen Unrechts.25 Die Umsetzung der drei Ele-
                                                                                mente (Tathandlung, Tatmittel, Tatzweck) variiert dabei
     Nun mag man dagegen einwenden, dass jede Präzisierung                      allerdings erheblich.
     durch den nationalen Gesetzgeber das Risiko birgt, die
     unionsrechtlichen Vorgaben zu verfehlen (z.B. indem in                     In Bezug auf die Tathandlung werden die unionsrechtli-
     dem oben genannten Beispiel finanzielle Schäden nicht                      chen Vorgaben nahezu wörtlich übernommen („anwirbt,
     erfasst werden).22 Im Ergebnis liefe dieser Einwand indes                  befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt“). Die
     auf eine Forderung nach maximaler Bestimmtheit hinaus,                     Übernahme oder Übergabe der Kontrolle wird nicht ei-
     die dem nationalen Gesetzgeber jeden Spielraum bei der                     gens erwähnt, aber der Gesetzgeber geht offenbar davon
     Ausgestaltung der betreffenden Strafvorschrift nähme.                      aus, dass diese von den anderen Handlungen (Weitergabe,
     Das Ziel, den Mitgliedstaaten solche Spielräume zu belas-                  Aufnahme) bereits erfasst werden;26 auch die Richtlinie
     sen, ist jedoch in der vertraglichen Zuständigkeitsvertei-                 legt nahe, dass die selbstständige Erwähnung vor allem
     lung zwischen Union und Mitgliedstaaten verankert. Das                     eine klarstellende Funktion hat („einschließlich“). Die
     Bestimmtheitsgebot (Art. 49 Abs. 1 S. 1 GrCH) gilt inso-                   Tathandlungen werden insoweit hinreichend bestimmt be-
     weit nicht absolut, sondern der Unionsgesetzgeber muss                     schrieben.
     zugleich das kompetenzrechtliche Verhältnismäßigkeits-
     prinzip (Art. 5 Abs. 4 EUV) beachten.                                      Bei den Tatmitteln wird der Überblick dadurch er-
                                                                                schwert, dass der deutsche Gesetzgeber diese zum Teil in
     Vor diesem Hintergrund relativiert sich die Kritik an der                  § 232 Abs. 1, zum Teil in § 232 Abs. 2 StGB erfasst hat,
     Vagheit der unionsrechtlichen Begriffe „Missbrauch von

     19                                                                         23
          S. allgemein F. Meyer, Strafrechtsgenese in Internationalen Organi-        S. insoweit die Vorschläge bei Satzger/Zimmermann/Langheld, Eu-
          sationen, 2012, S. 355 m.w.N.; s. insoweit zur Harmonisierung von          CLR 2013, 107 (118).
                                                                                24
          Strafen und Strafrahmen: Generalanwalt Mazak, Schlussanträge v.            S. auch zu ausdrücklich eingeräumten Umsetzungsspielräumen:
          28.6.2007, in: EuGH Rs. C- 440/05, Slg. 2007, I-9097 Rn. 106 ff.           Satzger, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR Bd. 9 (2013), § 2 Rn. 61; s. auch
     20
          S. die entsprechende Kritik von Satzger/Zimmermann/Langheld,               ECPI, ZIS 2009, 697 (698).
                                                                                25
          EuCLR 2013, 107 (115).                                                     S. insoweit Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, NK-StGB,
     21
          S. insoweit BT-Drs. 18/9095, S. 31.                                        5. Aufl. (2017), vor § 232 Rn. 1, § 232 Rn. 2 f.; Renzikowski, in:
     22
          Satzger/Zimmermann/Langheld, EuCLR 2013, 107 (115); Satzger,               MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 232 Rn. 29 ff.
                                                                                26
          in: Böse (Hrsg.), EnzEuR Bd. 9 (2013), § 2 Rn. 61.                         BT-Drs. 18/9095, S. 23 f.
1 | 2018                 19

da er bestimmten Tatmitteln einen höheren Unrechtsgeh-                   Damit bleibt als drittes Unrechtselement der Tatzweck
alt beigemessen hat.27 Zusammenfassend ergibt sich dabei                 (Ausbeutung). Die Umsetzung lehnt sich auch insoweit
folgendes Bild:28                                                        sehr eng an die unionsrechtlichen Vorgaben an.

     Tatmittel nach Art. 2 Abs. 1   Tatmittel nach § 232 StGB                 Tatzweck nach Art. 2 Abs. 3      Tatzweck nach § 232 StGB
     Richtlinie 2011/36                                                       Richtlinie 2011/36
     Androhung oder Anwendung       Gewalt, Drohung mit einem emp-            Prostitution, sexuelle Ausbeu-   Prostitution, Vornahme/Duldung
     von Gewalt oder anderer For-   findlichen Übel (Abs. 2 Nr. 1)            tung                             sexueller Handlungen (Abs. 1
     men der Nötigung                                                                                          S. 1 Nr. 1 lit. a)
     Entführung                     Entführen (Abs. 2 Nr. 2)                  Zwangsarbeit,       erzwungene   Schuldknechtschaft und entspre-
     Betrug, Täuschung              List (Abs. 2 Nr. 1)                       Dienstleistungen                 chende / ähnliche Verhältnisse
     Missbrauch von Macht, Aus-     •     Ausnutzung ihrer persönli-                                           (Abs. 1 S. 1 Nr. 2)
     nutzung besonderer Schutzbe-         chen oder wirtschaftlichen                                           Ausbeuterische Beschäftigung
     dürftigkeit                          Zwangslage oder ihrer                                                (Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b, Abs. 1
                                          Hilflosigkeit, die mit dem                                           S. 2)
                                          Aufenthalt in einem frem-           Betteltätigkeiten                Ausübung der Bettelei (Abs. 1
                                          den Land verbunden ist                                               S. 1 Nr. 1 lit. c)
                                          (Abs. 1)                            Sklaverei oder sklavereiähnli-   Sklaverei und entsprechende /
                                    •     Opfer mit einem Alter von           che Praktiken                    ähnliche Verhältnisse (Abs. 1
                                          weniger als 21 Jahren                                                S. 1 Nr. 2)
     Erlangung der Kontrolle        Sich-Bemächtigen (Abs. 2 Nr. 2)           Leibeigenschaft                  Leibeigenschaft und entspre-
     (durch Gewährung von Zah-                                                                                 chende / ähnliche Verhältnisse
     lungen oder Vorteilen)                                                                                    (Abs. 1 S. 1 Nr. 2)
     Übertragung der Kontrolle      Vorschub-Leisten der Bemächti-            Ausnutzung strafbarer Hand-      Begehung von mit Strafe bedroh-
     (durch Entgegennahme von       gung durch Dritte (Abs. 2 Nr. 2)          lungen                           ten Handlungen (Abs. 1 S. 1 Nr. 1
     Zahlungen oder Vorteilen)                                                                                 lit. d)
                                                                              Organentnahme                    Entnahme von Organen (Abs. 1
                                                                                                               S. 1 Nr. 3)
Der Gesetzgeber orientiert sich auch insoweit eng an den
unionsrechtlichen Vorgaben, präzisiert diese allerdings
                                                                         Der einzige Punkt, in dem der deutsche Gesetzgeber von
weiter, indem er sinngemäß auf entsprechende Tathand-
                                                                         der unionsrechtlichen Definition abweicht, betrifft die
lungen in den Delikten zum Schutz der Freiheit Bezug
                                                                         Ausbeutung im Wege der Zwangsarbeit. An die Stelle des
nimmt (§§ 234 ff. StGB).
                                                                         unions- bzw. völkerrechtlichen Begriffs („forced labour
                                                                         or services“) tritt in weiten Teilen die ausbeuterische Be-
Von besonderem Interesse ist insoweit die Umsetzung der
                                                                         schäftigung und damit ein Konzept, das weit über die uni-
als zu unbestimmt kritisierten Tatmittel (Missbrauch von
                                                                         onsrechtlichen Vorgaben hinausgeht.
Macht, Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit). Der
Gesetzgeber fasst diese beiden Tatmittel zusammen, was
                                                                         Eine ausbeuterische Beschäftigung liegt vor, wenn die Be-
insofern plausibel erscheint, als Macht und Schutzbedürf-
                                                                         schäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Ar-
tigkeit denselben Sachverhalt aus der unterschiedlichen
                                                                         beitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Miss-
Perspektive von Täter und Opfer darstellen: Es ist regel-
                                                                         verhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitneh-
mäßig die besondere Hilflosigkeit des Opfers, die dem Tä-
                                                                         mer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren
ter eine entsprechende Machtposition verleiht.29 Mit der
                                                                         Beschäftigung nachgehen (§ 232 Abs. 1 S. 2 StGB).
Umsetzung hat der Gesetzgeber dieses Tatmittel kontu-
riert, indem er Kriterien angibt, auf denen die besondere
                                                                         Das auffällige Missverhältnis ist dem Tatbestand des Wu-
Schutzbedürftigkeit des Opfers beruhen muss (persönli-
                                                                         chers (§ 291 StGB) entlehnt.31 Diese Bezugnahme trägt
che oder wirtschaftliche Zwangslage, auslandsspezifische
                                                                         jedoch nur bedingt zu einer Konturierung des tatbestand-
Hilflosigkeit, Alter unter 21 Jahren). Im Schrifttum ist in-
                                                                         lichen Unrechts bei.32 So stellt sich bereits die Frage, ob
soweit die Sorge geäußert worden, dass die unionsrechtli-
                                                                         die Kriterien des § 291 StGB (eines Vermögensdelikts)
chen Vorgaben mit dieser Konkretisierung recht eng ge-
                                                                         sinnvollerweise auf einen Tatbestand angewandt werden
fasst worden seien und es daher unter Umständen einer
                                                                         können, der vor Zwang zur Erbringung von Arbeitsleis-
richtlinienkonformen Auslegung bedürfe. 30 Diese Kritik
                                                                         tung schützen soll.33 Ausweislich der Gesetzesmaterialien
lässt erkennen, dass das Umsetzungsgesetz jedenfalls in
                                                                         will der Gesetzgeber selbst nicht an der im Rahmen des
höherem Maße bestimmt ist als die unionsrechtliche Un-
                                                                         Wuchertatbestandes entwickelten Auslegung festhalten,
rechtsbeschreibung. Zudem kann die Rechtsanwendung
                                                                         wonach ein auffälliges Missverhältnis bei Zahlung von
auch insoweit auf einem weitgehend entwickelten Be-
                                                                         weniger als 66 % des Tariflohns anzunehmen ist, sondern
griffsverständnis aufbauen. Ein grundlegendes Defizit an
                                                                         ein auffälliges Missverhältnis erst ab einer Unterschrei-
Bestimmtheit ist daher nicht auszumachen.
                                                                         tung des Mindestlohns um mindestens 50 % annehmen,34
                                                                         ohne dass ein Grund für diese Abweichung angegeben

27                                                                       32
       BT-Drs. 18/9095, S. 26.                                                  Vgl. dagegen die grundsätzlich positive Stellungnahme zu § 232
28
       S. insoweit BT-Drs. 18/9095, S. 24 f., 30.                               Abs. 1 S. 2 StGB bei Bürger, ZIS 2017, 169 (175).
29                                                                       33
       S. dagegen die Kritik an der fehlenden Umsetzung des Elements            Vgl. die entsprechende Kritik am wirtschaftlichen Konzept der Aus-
       „Missbrauch von Macht“: Bürger, ZIS 2017, 169 (176).                     beutung in § 232 StGB: Renzikowski, Stellungnahme zur Sachver-
30
       Eisele, Schriftliche Stellungnahme, Sachverständigenanhörung im          ständigenanhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
       Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundes-          des Deutschen Bundestages am 8.6.2016, S. 6.
                                                                         34
       tages am 8.6.2016, S. 5 f.; Petzsche, KJ 50 (2017), 236 (241).           BT-Drs. 18/9095, S. 28.
31
       BT-Drs. 18/9095, S. 27 f.
20         1 | 2018

     wird.35                                                                begründet. Soweit sich der Wortlaut des § 232 StGB eng
                                                                            an den unionsrechtlichen Vorgaben orientiert, gibt er in
     Weitere Unsicherheiten ergeben sich daraus, dass die                   puncto Bestimmtheit kaum Anlass zu Kritik (s. oben zu
     Feststellung einer ausbeuterischen Beschäftigung eine                  Tathandlungen, Tatmittel und Tatzweck). Demgegenüber
     „Gesamtbetrachtung“ erfordert, bei der alle Aspekte des                wird der neue Tatbestand – wie auch die Vorläuferfassung
     Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigen sind. Be-               – vor allem dort wegen seiner Unbestimmtheit kritisiert,
     deutsam sind u.a. die wöchentliche und tägliche Arbeits-               wo der deutsche Gesetzgeber über die unionsrechtlichen
     zeit, Ruhe- und Pausenzeiten, freie Tage, Urlaubsansprü-               Pflichten hinausgegangen ist (s. oben zur ausbeuterischen
     che, Provisionen, die Gewährung anderer geldwerter Leis-               Beschäftigung).
     tungen durch den Arbeitgeber, z. B. von freier Kost und
     Logis, mögliche unzulässige Lohnkürzungen oder „Stra-                  Darüber hinaus begegnet die Ausgangsthese auch grund-
     fen" des Arbeitgebers und sonstige Arbeitsbedingungen                  sätzlichen Bedenken: Soweit die EU-Richtlinie Vorgaben
     am Arbeitsplatz, einschließlich der Einhaltung anerkann-               enthält, die vage und unbestimmt sind, steht es dem deut-
     ter Regeln des Arbeitsschutzes.36 Ungeachtet der strenge-              schen Gesetzgeber nicht an, diese in stiller Demut hinzu-
     ren Anforderungen an das auffällige Missverhältnis                     nehmen und möglichst wortlautgetreu („eins zu eins“) in
     (s. oben zur Unterschreitung des Mindestlohns) trägt der               das deutsche Recht umzusetzen. Mit Blick auf die vertrag-
     Tatbestand trägt damit – wie bereits das entsprechende                 liche Kompetenzverteilung zwischen Union und Mit-
     Merkmal in § 233 StGB a.F. – die Gefahr einer nahezu                   gliedstaaten und die Eigenheiten der Richtlinie als Instru-
     uferlosen Anwendung in sich.37                                         ment der Strafrechtsangleichung ist es vielmehr Aufgabe
                                                                            des deutschen Gesetzgebers, die ihm auf diese Weise er-
     Schließlich setzt ein ausbeuterisches Verhältnis noch ein              öffneten Spielräume in eigener Verantwortung auszufül-
     „rücksichtsloses Gewinnstreben“ voraus. Mit diesem                     len und in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben
     Merkmal wollte der Gesetzgeber Konstellationen aus-                    Strafgesetze zu erlassen, die dem Bestimmtheitsgebot hin-
     schließen, in denen der Täter aus einer persönlichen Not-              reichend Rechnung tragen.40
     lage heraus handelt.38 Ob dem Merkmal damit eine sinn-
     volle Funktion zugewiesen werden kann, wird jedoch mit                 Dies entspricht auch der individualschützenden Funktion
     der (rhetorischen) Frage nach dem „rücksichtsvollen Aus-               des Bestimmtheitsgebotes: Anders als der Unionsgesetz-
     beuter“ zu Recht bezweifelt.39                                         geber, der über Richtlinien nur punktuell auf die Strafge-
                                                                            setzgebung einwirkt, kann der nationale Gesetzgeber an
     Die Feststellung eines ausbeuterischen Beschäftigungs-                 Begriffe und Rechtsnormen anknüpfen, die in der natio-
     verhältnisses ergibt sich damit aus einer Gesamtwürdi-                 nalen Strafrechtsordnung und ihrer strafrechtlichen Dog-
     gung objektiver und subjektiver Umstände, die im Gesetz                matik fest verankert sind und damit Orientierung für die
     nur ansatzweise beschrieben sind und deren Inhalt und                  Auslegung und Anwendung des harmonisierten Straf-
     Gewicht weitgehend unklar bleiben; das Ergebnis der Prü-               rechts bieten können. Daraus ergibt sich eine reduzierte
     fung ist daher für den Normadressaten kaum vorherseh-                  Bindung des Unionsgesetzgebers an das Bestimmtheits-
     bar.                                                                   gebot, der bei dem Erlass von Richtlinien zur Strafrechts-
                                                                            angleichung eine praktische Konkordanz zwischen Be-
     Als Zwischenfazit ist daher auch mit Blick auf die Neu-                stimmtheitsgebot (Art. 49 Abs. 1 S. 1 GrCH) und der
     fassung des § 232 StGB festzuhalten, dass ein Mangel an                Rücksicht auf die Kompetenz des nationalen Strafgesetz-
     Bestimmtheit nicht auf die unionsrechtlichen Vorgaben,                 gebers (Art. 5 Abs. 4 EUV) herzustellen hat.
     sondern auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurückzu-
     führen ist, den Tatbestand des Menschenhandels auf aus-                Die Europäische Kriminalpolitik liegt damit in der ge-
     beuterische Beschäftigungsverhältnisse zu erstrecken.                  meinsamen Verantwortung des unionalen und des natio-
                                                                            nalen Strafgesetzgebers. Ungeachtet der Verbindlichkeit
     IV. Ergebnis und Schlussbetrachtung                                    der nach Art. 83 AEUV erlassenen Richtlinien sollte der
                                                                            deutsche Gesetzgeber daher genau prüfen, welche Umset-
     Die im Titel dieses Beitrags enthaltene These, dass die                zungsspielräume ihm verbleiben. Die Vagheit sekundär-
     Unbestimmtheit des § 232 StGB den Vorgaben des Uni-                    rechtlicher Vorgaben stellt ihn keineswegs von der Bin-
     onsgesetzgebers zu verdanken ist, ist nach alledem nicht               dung an den Bestimmtheitsgrundsatz frei.

     35                                                                     40
          Kritisch auch Petzsche, KJ 50 (2017), 236 (242); Renzikowski           Diese Spielräume sind enger, soweit der nationale Gesetzgeber über
          (Fn. 33), S. 9.                                                        eine Richtlinie nach Art. 83 Abs. 2 AEUV zur Kriminalisierung von
     36
          BT-Drs. 18/9095, S. 28.                                                Verstößen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht verpflichtet
     37
          S. bereits die Kritik von Eydner, NStZ 2006, 10 (11, 13).              wird. Das Unionsrecht kann insoweit allerdings auch eine strafbar-
     38
          BT-Drs. 18/9095, S. 28.                                                keitsbegrenzende Wirkung entfalten, s. zum Kapitalmarktstrafrecht
     39
          Renzikowski (Fn 33), S. 10; s. auch Petzsche, KJ 50 (2017), 236        Böse, wistra 2018 (im Erscheinen).
          (242).
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