100Jahre 1921-2021 Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum
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· Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum · 10 0 J a h r e S t u d i e r e n d e n w e r k Freiburg | 1921-2021 Freiburg 10 0 J a h r e 1921-2021 Studierendenwerk · Festschrift zum 100 - jährigen Jubiläum ·
Kolumnentitel 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 2 3 100 J a h r e 1921-2021 Studierendenwerk Freiburg · Festschrift zum 100 - jährigen Jubiläum ·
I n h a lt s v e r z e i c h n i s 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 4 5 Einladung Clemens Metz 7 Grußwort Ministerin Theresia Bauer 11 Grußwort Martin Horn 13 Grußwort Achim Meyer auf der Heyde 15 1920-1930 er Jahre 17 Grußwort Kerstin Krieglstein 27 1930-1940 er Jahre 29 Grußwort Ulrich Druwe 39 1940-1950 er Jahre 41 Grußwort Joachim Beck 51 1950-1960 er Jahre 53 Grußwort Theodor Sproll 63 Inhalt 1960-1970 er Jahre 65 Grußwort Stephanie Bohlen 77 1970-1980 er Jahre 79 Grußwort Ulrich Kotthaus 89 1980-1990 er Jahre 91 Grußwort Renate Kirchhoff 101 1990-2000 er Jahre 103 Grußwort Ludwig Holtmeier 111 2000-2010 er Jahre 113 Grußwort Rolf Schofer 123 2010-2020 er Jahre 125 Grußwort Winfried Lieber 135 Ausblick 137 Grußwort Lucas Flach 144 Grußwort Josefine Morgan 145 # swfr 100 147 Grußwort Hans-Jochen Schiewer 157 Chronik der Geschäftsführenden 158 Bildnachweis 160 Impressum 166
Clemens Metz 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 6 7 Einladung Foto: Kay Herschelmann Clemens Metz G e sch ä ftsf ü h r e r d e s S t u d i e r e n d e n w e r ks F r e i b u r g Seit 100 Jahren an eurer Seite Das Studierendenwerk Freiburg feiert in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag. Seit 100 Jahren beraten und unterstützen wir Studierende darin, ein optimales Studienumfeld vorzufinden – ganz nach dem Motto „Du studierst – wir machen den Rest!“ Dies gilt es zu feiern, und aus diesem Grund haben wir eine Reihe von Veranstaltungen und Jubi- läumsfesten geplant. Daneben wurde eine historische Ausstellung erstellt, die im Jubiläumsjahr an prägnanten Standorten der Stadt sowie in den Außenstellen des Studierendenwerks in der Region präsentiert werden soll. Danach wird sie dauerhaft auf unserer Website zu sehen sein. Darüber hinaus ist diese Festschrift das Herzstück unseres Jubiläums: In ihr werden zunächst die geschichtlichen Rahmenbedingungen eines jeden Jahrzehnts beleuchtet (#spotlighthistory). In der Folge wollen wir die soziale Situation der Freiburger Studierenden im historischen Kontext untersuchen (#studylifeblackforest) und die Entwicklung ihrer Betreuung im Lauf der vergangenen hundert Jahre aufzeigen (#swfr100). Im Anschluss legen wir den Fokus auf das gegenwärtige Selbstver- ständnis des Studierendenwerks als Partner der Studierenden und der Hochschulen: Wie können wir optimale Rahmenbedingungen schaffen, damit das Studium, unabhängig von der sozialen Herkunft der Studierenden, gelingt? Und natürlich wollen wir auch einen Blick in die Zukunft werfen und unsere Zielsetzungen aufzeigen: Nachhaltige Ernährung in unseren Mensen, bezahlbares Wohnen, soziale Unterstützung für mehr Chancengleichheit und vieles mehr! Lassen Sie sich von uns auf eine Zeitreise durch die Weltpolitik und die wechselvolle Geschichte Südbadens mitnehmen und gewinnen Sie spannende Einblicke in das „Studentenleben“ in Freiburg und der Region – gestern und heute. Clemens Metz Geschäftsführer Studierendenwerk Freiburg
Theresia Bauer 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 10 11 Grußwort Foto: Sabine Arndt T h e r e s i a Ba u e r M i n i st e r i n f ü r W i ss e n schaft, F o r sch u n g u n d K u n st Bad e n - W ü r tt e m b e r g Studierendenwerke bieten Chancengleichheit Gute Rahmenbedingungen sind für ein Studium wichtig und sie sind ein essenzieller Beitrag zur Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Jeder und jede Studierwillige soll – unabhängig von der sozialen Herkunft – die gleichen Möglichkeiten haben, einen akademischen Abschluss zu erreichen. Die soziale Betreuung und Förderung der Studierenden sind für ein erfolgreiches Studium genauso wichtig wie ein exzellentes Lehrangebot. Die Studierendenwerke des Landes leisten hierzu einen ganz wesentlichen Beitrag. Das Studierendenwerk Freiburg kümmert sich nun seit 100 Jahren um die sozialen Belange von derzeit fast 50.000 Studierenden. Das Studierendenwerk schafft nicht nur bezahlbaren Wohnraum für Studie- rende und bietet preisgünstige Verpflegungsangebote an, sondern unterstützt seine Studierenden auch bei Fragen der Studienfinanzierung oder Kinderbetreuung und bietet Anlaufstellen in persönlichen Krisensituationen. Das Wissenschaftsministerium unterstützt die Studierendenwerke hierbei durch die verlässliche Bereitstellung von Landesmitteln. Zudem stellt das Land je nach Verfügbarkeit Grundstücke für Wohnheimbauten im Rahmen von Erbbaurechten zur Verfügung, um so die notwendige Infra- struktur für Studierende zu sozial verträglichen Preisen zu gewährleisten. Ich bedanke mich hiermit ganz herzlich im Namen der Landesregierung bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Studierendenwerks Freiburg für ihren unermüdlichen Einsatz für unsere Studierenden. Auf die nächsten 100 erfolgreichen Jahre! Theresia Bauer MdL Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
M artin Ho rn 100 Jahre Studi e re n denwerk freiburg 12 13 Grußwort Foto: Fionn Große Martin Horn O b e r b ü r g e r m e i st e r d e r S tadt F r e i b u r g Die Stadt und die Universität gehören zusammen Im Namen der Stadt Freiburg und des Gemeinderates gratuliere ich dem Studierendenwerk Freiburg ganz herzlich zum 100. Geburtstag. Besucherinnen und Besucher unserer schönen Stadt stellen schnell fest: Die Stadt und die Universität Freiburg gehören fest zusammen. Die übers Stadtgebiet verteilten Gebäude der Uni und der weiteren Hochschulen prägen das Stadtbild ebenso wie die zahlreichen Studierenden. Damit das Studium in Freiburg gelingt, braucht es aber nicht nur gute Hörsäle und qualifiziertes Lehrpersonal – vermutlich genauso wichtig sind gutes, gesundes Essen und ein sicheres sowie bezahlbares Dach über dem Kopf. Darum kümmert sich mit großem Einsatz das Studierendenwerk. Zu den Wohnheimen, Mensen und Cafeterien kommen unverzichtbare Leistungen zur Studien- finanzierung, Kitas, hilfreiche Beratungsangebote, Sport- und Freizeitaktivitäten, die Betreuung ausländischer Studierender und viele weitere Serviceangebote dazu. Es ist eine beeindruckende Zahl: Das Studierendenwerk kümmert sich um fast 50.000 Studierende in der Hochschulregion Freiburg und Schwarzwald. Hier in Freiburg unterstützt das Studierendenwerk die Programme für bezahlbares Wohnen der Stadt mit der Planung eines Studierendencampus im künftigen Stadtteil Dietenbach. Stolze 660 Wohnheim- plätze sollen dort in den kommenden Jahren entstehen. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „Wohnen für Hilfe“: Es vermittelt Wohnpartnerschaften zwischen Studierenden und Senior*innen oder Allein- erziehenden. Das erfolgreiche Programm wurde 2014 mit dem Deutschen Engagementpreis ausge- zeichnet, seit letztem Jahr wird es personell von der Stadtverwaltung gefördert. Für die wichtige und ausgezeichnete Arbeit des Studierendenwerk Freiburg an die Leitung und alle Aktiven ein großes Dankeschön – und alles Gute zum Geburtstag! Martin W. W. Horn Oberbürgermeister der Stadt Freiburg
Achi m Meyer auf der H ey d e 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 14 15 Grußwort Foto: Kay Herschelmann A ch i m M e y e r a u f d e r H e y d e G e n e r als e k r e tä r d e s D e u tsch e n S t u d e n t e n w e r ks Freiburg leuchtet. Freiburg liegt am Meer 100 Jahre alt? Unglaublich! Das Attribut „alt“, im direkten Zusammenhang mit dem Studierendenwerk Freiburg, das geht nur schwer zusammen. Das 100 Jahre alte Studierendenwerk Freiburg ist ein junges Studierendenwerk, ein agiles, frisches, fröhliches, erfolgreiches. Freiburg leuchtet. Weit über Baden- Württemberg hinaus. Wo sonst hat ein Studierendenwerk so viele Leuchtturm-Projekte vorzuweisen? Die MensaBar in der Mensa Rempartstraße beispielsweise ist einzigartig. Zumindest in Nicht-Pandemie-Zeiten gehen hier Mensa und studentische Kultur eine wunderbare Symbiose ein: Mensa als Kultur-Ort; Kultur in der Mensa; Essen und Kultur. Welches andere Studierendenwerk hat eine eigene, studentische Musical- Truppe mit einer Inszenierung wie „Freiburg liegt am Meer“? Bei welchem anderen Studierendenwerk kann ich sonntagabends in der Mensa bei einer heißen Suppe „Tatort“ gucken? Wie das Studierendenwerk Freiburg in seiner Kommunikation über die Sozialen Medien Studierende selbst einbindet, wie Studierende für Studierende hier posten, schreiben, fotografieren, reflektieren, schreiben: einsame Spitze. Wie das Studierendenwerk Freiburg internationale Studierende mit seinem „Internationalen Club“ erreicht, integriert ins Hochschulleben und in die Stadt, in der Pandemie mit über Nacht klug digitalisierten Angeboten: absolut preiswürdig. Findet übrigens nicht nur das Auswär- tige Amt. Ich persönlich auch. Wie gern hätte ich das alles auch genossen – vor 46 Jahren, als ich in Freiburg ein Jahr studiert habe. Ein Hoch auf das Studierendenwerk Freiburg! Achim Meyer auf der Heyde Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks
GRUSSWORT 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 16 17 n 1920-30 er Jahre 1930-40er Jahre 1940-50er Jahre 1950-60er Jahre 1960-70er Jahre 1970-80er Jahre 1980-90er Jahre 1990-00er Jahre 2000-10er Jahre Die Altstadt an der Fischerau 2010-20er Jahre
1920 - 30er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 18 19 1920 - 1930 Foto: Stadtarchiv Karlsruhe Plakat des Lebensbedürfnisvereins Karlsruhe, um 1925 Der 1865 gegründete Lebensbedürfnisverein bot seinen Mitgliedern günstige Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs und spielte in den Notzeiten der Weimarer Republik eine wichtige Rolle. #spotlighthistory Die Gründung der Freiburger Studentenhilfe e.V., der Vorgängerorganisation des heutigen Studierendenwerks, fällt in eine schwierige Zeit. Der Erste Weltkrieg (1914- 1918), die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, endet im November 1918 mit der militärischen Niederlage des deutschen Kaiserreiches und seines Bündnispartners Österreich-Ungarn. Die Zahl der Toten und Verletzten bis 1918 ist immens: Weltweit sterben rund neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilist*innen. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges ist das deutsche Kaiserreich Geschichte und eine neue Staatsform nimmt Gestalt an: Im Jahr 1919 wird die „Weimarer Republik“ gegründet, die erste deutsche Demokratie. Durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Versailler Friedensvertrag mit seinen Reparations- forderungen hat die junge Republik schwere Lasten zu tragen, sowohl außen- als auch innenpolitisch. Die Bevölkerung ist gespalten. Außerdem muss sich die parlamentarische Demokratie von Beginn an gegen radikale Kräfte zur Wehr setzen, die das demokratische System ablehnen. Dennoch kann sich die Weimarer Republik zunächst behaupten und den Grundstein für einen modernen Sozialstaat legen. Durch die Aufnahme in den Völkerbund wird das „besiegte“ Deutschland 1926 schließlich außenpolitisch als gleichberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft anerkannt. Einschneidende Folgen für die neue deutsche Republik hat die Weltwirtschaftskrise 1929. Bedeu- tende Kredite aus dem Ausland bleiben aus, die Industrieproduktion sinkt um 40 Prozent und sechs Millionen Menschen werden arbeitslos. Ein großer Teil der Bevölkerung verelendet und die Skepsis Die Weltwirtschaftskrise 1929 löst eine gewaltige gegenüber der Stärke und der Stabilität der demokratischen Weimarer Republik wächst. Innerhalb Inflation in der Weimarer Republik aus, sodass von elf Jahren hat die junge Demokratie ihren zehnten Regierungschef. Viele Bürger*innen verlieren immer mehr Geld von der deutschen Reichsbank gedruckt wird. Weil die Mengen an Papier nicht den Glauben in die Weimarer Republik. Sie wollen eine Regierung, die sie vor Inflation und Arbeits- schnell genug bedruckt werden können, müssen losigkeit rettet, manche wollen sogar eine Regierung, die sich selbstbewusst gegen die Siegermächte des auch Städte und Gemeinden mit der Ausgabe von Ersten Weltkrieges (Russland, Großbritannien, Irland, Frankreich und Italien) stellt. Notgeld einspringen.
Kolumnentitel 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 20 21 Hoher Freizeitwert im Schwarzwald und Spiegel der Gesellschaft – die geringe Frauenquote ist zu jener Zeit nicht nur an der Universität sichtbar. #studylifeblackforest Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ist die Not unter den Studierenden besonders groß. Un- terernährt und in zerschlissener Kleidung sitzen sie in kalten Räumen und lernen. Der Mangel an Brennstoffen zwingt dazu, die Lehrveranstaltungen einzuschränken. Da Bücher durch die Inflation nahezu unerschwinglich werden, sind die Lesesäle der Bibliotheken stets überfüllt. Krieg und Infla- tion haben die alten Stipendienfonds der Universität erschöpft. Mittellose Studierende müssen sich daher an den Staat oder an kirchliche Hilfswerke wenden, um Unterstützung zu bekommen. Wer dabei leer ausgeht, ist auf Ermäßigungen der Gebühren, Kohlenzuteilungen und andere Vergünsti- gungen angewiesen. Dennoch ist Freiburg eine attraktive Studienstadt. Wegen ihres hohen Freizeitwerts kommen die Studierenden aus allen Teilen der deutschen Republik für ein paar Semester an den Fuß des Schwarzwalds. Vor allem sind es männliche Studierende, die im Sommer die Umgebung zu Fuß oder mit dem Rad erkunden und im Winter Ski laufen. Frauen werden in Baden erst seit der Jahrhun- Thomas Theodor Heine: Frauen- dertwende zum Studium zugelassen. Im Jahr 1900 setzt die Regierung das Frauenstudium durch, studium. Kandidatin, sagen Sie mir, was fällt Ihnen an der Patientin auf? gegen die männlichen Proteste aus der Professorenschaft. Die Universität Freiburg ist die erste in der – Daß das Mensch einen seidenen Region, die das umsetzt. Und so schreiben sich hier die ersten Studentinnen ein! Unterrock anhat, 1901 Doch sie haben es nicht leicht. Von den Dozenten oft nicht ernst genommen und von den Kom- militonen angefeindet, müssen sie ihr Können ständig unter Beweis stellen. Die Vorurteile gegen Studentinnen sitzen auch 20 Jahre nach der Einführung des Frauenstudiums noch tief: Frauen, so wird behauptet, seien unfähig, wissenschaftlich-abstrakt zu denken. Wissenschaft schade zudem der Gesundheit und mache unweiblich. Viele Dozenten und Studenten unterstellen den Studentinnen, Zulassung der Frauen zum Studium aus: sich an der Universität lediglich einen Akademiker „angeln“ zu wollen. In Sprüchen und Zeichnun- UAF: Registraturakten XIV 2/11 gen lassen die Männer ihren Ängsten und Aggressionen freien Lauf, Als erstes Bundesland lässt Baden 1903 Frauen offiziell zum Studium zu. Die ersten während sie den Kontakt mit Kommilitoninnen eher meiden. Selbst Studentinnen haben es jedoch nicht leicht. die Vermietenden sind zunächst misstrauisch. Einige Studentinnen Von vielen Dozenten und Kommilitonen nicht ernst genommen, müssen sie sich auch müssen daher in Pensionen oder Mädchenpensionaten wohnen. noch sexistische Sprüche gefallen lassen, welche sogar auf die Sitzbänke geschrieben werden. Kollegbankspruch zum Frauen- studium, 1911
1920 - 30er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 22 23 Kampf auf „hoher See“ – Studierende am Ufer Abgangszeugnis Medizin, des Waldsees, vermutlich um 1930 (li.) Georg Klöß, 1924 Belegungsplan des Fechtbodens (u.) Schilder, die auf ein freies Zimmer hinweisen, sieht man in den 20er Jahren höchstens in den Semesterferien, da viele Studieren- de ihre Unterkunft zwischenvermieten, bevor sie nach Hause fahren. Obwohl die Universität regelmäßig vor Beginn des Se- mesters Aufrufe an die Freiburger Bevölkerung richtet, Zimmer zu vermieten, kann der Wohnraumbedarf nicht gedeckt werden. Wochenlang leben Studierende in Hotels oder Jugendherbergen, bevor sie ein frei werdendes Zimmer übernehmen können. Die Pläne, ein Studierendenwohnheim zu errichten, scheitern. Es fehlt an Geld. Trotz der schwierigen finanziellen Verhältnisse wird dennoch gefeiert in Studentenkreisen. Und das nicht schlecht. Danach hilft das beliebteste Katerfrühstück der damaligen Zeit: Heringe und Ochsen- maulsalat! Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ / Frauen- studium Berlin 1912 Dennoch steigt die Zahl der Studentinnen nach und nach weiter an. 1911 sind es bereits 155! Kontakt suchen die männlichen Studierenden Die Mehrheit der Studierenden in Freiburg lehnt besonders gern in studentischen Verbindungen jedoch die Mensuren ab. Sie fokussieren sich oder beim Fechten, einer besonders beliebten stattdessen auf politische Kundgebungen. Die Freizeitbeschäftigung. Manche Verbindungen wachsende deutsch-nationale Gesinnung in wei- machen bei „Mensuren“ mit, dem traditionellen, ten Teilen der Studentenschaft äußerst sich unter streng reglementierten Fechtkampf zwischen anderem in der Stiftung eines Denkmals für den zwei männlichen Mitgliedern unterschiedli- hochverehrten Reichsgründer Bismarck und in cher Studentenverbindungen mit geschärften Versammlungen, bei denen der Kampfgeist des Klingenwaffen. Verletzungen, auch „Schmisse“ deutschen Heeres trotz der Niederlage im ersten genannt werden von ihnen mit Stolz getragen. Weltkrieg wortreich beschworen wird.
1920 - 30er Jahre 1 0 0 J ah r e S t u d i e r e n d e n w e r k f r e i b u r g 24 25 E i n S t u d e n t, d e r e i n e n A n t r a g a u f F r e i t i sch e st e llt, sch i ld e r t s e i n e N o tla g e : „Bin der älteste Sohn des Lehrers (...) und stehe im 8. Sem. meines medizinischen Studiums. (...) Wenn ich auch in den letzten zwei Jahren in jeden Ferien als Werk- Übersichtlich: student im Bergwerk gearbeitet habe, und so den größten Teil meines Studiums selbst Die Bilanz des Freiburger Studen- bezahlen konnte und mußte, sind jedoch jetzt durch die Geldentwertung und Teuerung tenhilfe e.V. zum 31. März 1926 meine Ersparnisse aus den Ferien vollständig aufgebraucht. Mit den geringen Zu- schüssen von Zuhause ist es mir trotz aller Selbsthilfe und Einschränkung nicht möglich, die täglichen notwendigsten Ausgaben zu bestreiten.“ Aus: Erfahrungs- und Tätigkeitsbericht der Freiburger Studentenhilfe e.V. über die erste Hälfte des W-S. 1923/24, in UAF, B1/1819. #swfr100 Happy Birthday! Die Notsituation der Nachkriegszeit zusammenstellen. Auf Antrag erhalten mittellose Studierende beim Fürsorgeamt wird zur Geburtsstunde des heutigen Studierendenwerks der Studentenhilfe sogenannte „Freitische“, also kostenlose Mensaessen. Pro Tag Freiburg. Auf Anregung des damaligen Universitätsrek- werden 1923/24 rund 150 kostenlose Mahlzeiten ausgegeben, bei rund 2.500 Studie- tors Oskar de la Camp wird 1921 der „Freiburger Studentenhilfe e.V.“ gegründet. Die renden an der Universität. Auch heute noch vergibt das Studierendenwerk Gutschei- Organisation hat das Ziel, den vielen in Not geratenen Studierenden zu helfen. Finanziert aus Spen- ne für kostenloses Essen an Studierende in Not. den sowie Zuschüssen des Staates werden die Studierenden vielfältig unterstützt. Das Werbeamt der Studentenhilfe bemüht sich um die Akquise von Spenden und Zuschüssen aller Zusätzlich zu den Ämtern gibt es noch eine Darlehenskasse für Kredite und Stipen- Art. Mit Erfolg: Insgesamt aus 45 Ländern fließen Spenden: Aus Südafrika, den USA, Spanien uvm. dien. In den Räumen der Alten Universität ist eine Näh-, Flick- und Waschstube Aus Mexiko gibt es zu Weihnachten 1923 zwei Kisten Mehl, Zucker, Reis, Schmalz, Milchpulver und eingerichtet, in der die Studierenden ihre Wäsche waschen und reparieren können. andere Grundnahrungsmittel für bedürftige Studierende. Das Wirtschaftsamt sorgt für verbilligte In der Schreibstube werden für wenig Geld Examensarbeiten getippt und gedruckt. Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs. Bei der Holzabgabestelle im Jahr 1923 zum Von Beginn an bemüht sich die Arbeitsvermittlung der Freiburger Studentenhilfe, Beispiel holen 600 Studierende sich insgesamt 300 Zentner (= 15.000 kg) Feuerholz! Das Bücheramt neue Beschäftigungsmöglichkeiten für die Studierenden zu finden, die im Zusam- gewährt für bedürftige Studierende einen Rabatt von 20-25% für notwendige Studienbücher. Und menhang mit dem Studium stehen. Viele Studierende sind auch nach 1923, als sich das Wohnungsamt der Studentenhilfe bemüht sich mit Anzeigen und Aufrufen um die Vermittlung die soziale Lage allmählich etwas entspannt, auf Unterstützung und eigene Erwerbs- von Zimmern an Studierende. „Wer ein Zimmer nicht gegen Entgelt abgeben will (es ist dabei an die tätigkeit zusätzlich zum Studium angewiesen. Einige Kommiliton*innen können in zahlreichen Villenbesitzer gedacht), der möge es kostenlos tun; Abnehmer finden sich.“ Der Wunsch den Einrichtungen der „Freiburger Studentenhilfe“ beschäftigt werden, die anderen nach einem eigenen Wohnheim der Studentenhilfe scheitert jedoch am Geld. arbeiten in unterschiedlichsten Branchen, sogar in Sägewerken und im Bergbau. Allmählich wird der Ruf nach einer Mensa lauter. Denn mit leerem Magen studiert es sich wirklich Dennoch darf auch das Vergnügen nicht zu kurz kommen: Ob Theaterfreikarten schwer. Da man jedoch keine geeigneten Räume findet, wird die von Ordensschwestern geführte oder ein eigener Skiverleih seit 1926 – der Freiburger Studentenhilfe e.V. ist in jeder Kantine „vorläufig“ im Keller des Kollegiengebäudes eingerichtet. Das Provisorium wird übrigens bis Lebenslage für die Studierenden da! in die 60er Jahre hinein genutzt. Mittags und abends können sich die Studierenden in dieser „mensa academica“ aus dem jeweiligen Angebot eine billige Mahlzeit Um den vielen in Not geratenen Studierenden zu helfen wird 1921 die „Freiburger Studentenhilfe“ gegründet, die sich aus Beiträgen, Spenden und Zuschüssen des Staates finanziert. Sie versorgt und unterstützt die Neben dem Studium jobben? Schon Studierenden bei zahlreichen Dingen des alltäglichen Lebens. 1931 werden Studierende über die Zentrale Anlaufstelle ist das Hauptbüro der Freiburger Studentenhilfe Arbeitsvermittlung der „Freiburger in der alten Universität. In der Näh- und Flickstube können Kleider billig Studentenhilfe“ vermittelt. Bis heute repariert, in der Schreibstube Examensarbeiten für wenig Geld getippt werden. ist Studijob, die Jobvermittlung des Studierendenwerks Freiburg ein be- gehrter und kostenfreier Service.
K e r st i n k r i e g lst e i n 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 26 27 Grußwort Foto: Jürgen Gocke P r o f. D r . K e r st i n k r i e g lst e i n R e kt o r i n d e r U n i v e r s i tät F r e i b u r g Hervorragende Hochschulen und exzellente Betreuung gehören zusammen Bildung ist Zukunft. Und Hochschulen sind Orte, an denen Zukunft entsteht. Um die Gesellschaft von morgen mitprägen zu können, stehen wir in der Verantwortung, alle Bildungsressourcen zu nut- zen und die Vielfalt der Lehrenden und Lernenden als Bereicherung von Forschung und Lehre zu begreifen. Die Teilhabe möglichst aller am Bildungsprozess ist eine Grundlage unseres Bildungssystems. Dennoch gibt es vor allem im Hochschulbereich Barrieren, seien sie ökonomischer, sozialer oder persönlicher Art, die sich hemmend auf den Hochschulzugang und den Studienverlauf auswirken können. Eine exzellente Hochschule verlangt nach Spitzenleistungen. Sie kann aber nur dann wirklich „exzellent“ sein, wenn sie sich auch das Ziel setzt, ihre Studierenden individuell zu fördern und so zu mehr Chancengerechtigkeit beizutragen. Das Studierendenwerk Freiburg ist der Universität in diesem Kontext ein verlässlicher und unverzichtbarer Partner. Es kümmert sich um die Studien- finanzierung, es sorgt für erschwinglichen Wohnraum und günstiges Essen, es steht Studierenden mit sozialen oder psychischen Problemen zur Seite und fördert den interkulturellen Austausch der Studierenden aus aller Welt. Das deutsche Bildungssystem muss sich im internationalen Kontext behaupten, um zukunftsfähig zu sein. Hervorragende Hochschulen und eine exzellente soziale Betreuung sind dabei entscheidende Faktoren. Ich freue mich auf die gute Zusammenarbeit mit dem Studierendenwerk Freiburg in den kommenden Jahren und gratuliere sehr herzlich zum 100-jährigen Jubiläum. Prof. Dr. Kerstin Krieglstein Rektorin der Universität Freiburg
1930 -40er Jahre 1 0 0 J ah r e S t u d i e r e n d e n w e r k f r e i b u r g 28 29 1920-30er Jahre n 1930-40 er Jahre 1940-50er Jahre 1950-60er Jahre 1960-70er Jahre 1970-80er Jahre 1980-90er Jahre 1990-00er Jahre 2000-10er Jahre SA-Fackelumzug für Stabschef Lutze durch die Innenstadt 2010-20er Jahre
1930 -40er Jahre 1 0 0 J ah r e S t u d i e r e n d e n w e r k f r e i b u r g 30 31 1930 - 1940 Plakat zum Auftritt Hitlers in Freiburg 1932 im Möslestadion am Waldsee #spotlighthistory Wieso scheitert die Weimarer Republik, unsere erste deutsche Demokra- tie? Trotz der Erfolge der jungen Republik, die sich Mitte der 20er Jahre allmählich stabilisiert, ist die Demokratie in den Köpfen der Bevölkerung und in denen der Politiker nicht wirklich verankert. Die Altlasten aus dem Kaiserreich mit dem obrigkeitsstaatlichen Militär- und Beamtenapparat wiegen schwer. Im Parlament gibt es keinen tragfähigen Verfassungskonsens, der alle Teile des politischen Spektrums von rechts bis links einbindet. Der ökonomische Zusammen- bruch durch die Weltwirtschaftskrise 1929 führt schließlich dazu, dass die radikalen Kräfte an den linken und rechten Rändern immer mehr Zustimmung aus dem Volk bekommen. Zwei Tage vor den Reichstagswahlen 1932 kommt Adolf Hitler mit dem Flugzeug für einen Wahl- kampfauftritt seiner Partei, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), nach Freiburg. Bei der Wahl erhält die NSDAP 33,1 % der Wählerstimmen. Auch in Freiburg erfährt die neue Partei großen Zuspruch. Durch die offizielle Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30.01.1933 wird aus der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik eine Ein-Parteiendiktatur unter der Führung Hitlers. Gestützt durch das Füh- rerprinzip und die NS-Ideologie, die danach strebt, eine einheitliche deutsche Volksgemeinschaft zu schaffen, führt er Deutschland und die Welt in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) – unterstützt von Interessengruppen aus allen gesellschaftlichen Bereichen und großen Teilen der Bevölkerung. Eine inszenierte Friedensaktion findet im Juli 1937 zusammentreffen, um sich verstehen zu lernen und in Freiburg statt: Das Deutsch-französische Front- gemeinsam der Opfer des Krieges zu gedenken, kämpfertreffen, bei welchem deutsche Soldaten und so ist in diesem Ereignis eine Demonstration für den französische Soldaten aus Besançon gemeinsam mar- Frieden zu erblicken, die Ehrfurcht gebietet und die schieren. „Wir vergessen nicht die 10 Millionen Holz- ihre Wirkung auf die Völker trotz allem, was sich kreuze“ steht dabei als mahnender Spruch auf einem trennend dazwischen stellt, nicht verfehlen kann. Banner über die Gefallenen des Ersten Weltkrieges – In diesem Bewusstsein nehmen die Stadt und ihre welches man auch auf dem Foto im Hintergrund Bewohnerschaft an der kameradschaftlichen Zusam- erkennen kann. Der damalige Freiburger Ober- menkunft französischer und deutscher Kriegsteil- Stramm rechts – Plakat bürgermeister Dr. Franz Kerber inszeniert mit nehmer den freudigsten Anteil und grüßen in zur Bücherverbren- pathetischen Beschwörungen den Frieden: „Die zum aufrichtiger Gesinnung die Gäste aus Frankreich“. nungsaufforderung Internationalen Frontkämpfertreffen vereinigten der deutschen Studen- französischen und deutschen Kameraden mögen Zwei Jahre später beginnt Deutschland den Zweiten tenschaft: „Wider den wissen, dass sie von der Bevölkerung mit ganzer Weltkrieg und am 14. Juni 1940 ziehen die Wehr- undeutschen Geist!“ Herzlichkeit aufgenommen sind. Wenn Gegner von machtsverbände in das menschenleer wirkende Paris einst die Welt des Misstrauens in sich beseitigen und ein.
1930 -40er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 32 33 Buntes Angebot: „Erteilung von Tanz- und Anstandslehre“ – aber auch Modetänze. Werbeblatt der Tanz- schule Fritz Büttner „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ H e i n r i ch H e i n e #studylifeblackforest „Darf ich bitten?“ Der Besuch einer Tanzschule gehört für die Studierenden spätestens seit Beginn der Weimarer Republik zum beliebten „Pflichtprogramm“. Neben Gesellschaftstänzen und der Ge- legenheit, sein Gegenüber beim Tanzen näher kennenzulernen, stehen auch die Umgangsformen im Zentrum. Das ist auch nötig, denn die Zeiten, in denen die Männergesellschaft unter sich blieb, sind vorbei. 1931 wächst die Zahl der Studentinnen an der Universität auf 909. Sie stellen damit 23,4 % aller Freiburger Studierenden. Der Studierendenrat (StuRa) der Universität ist das Legislativorgan der Studierenden. Der StuRa wählt den AStA, der die Studierendenschaft nach außen vertritt, Studierende berät, sich in die Hoch- schulstruktur einbringt und Kultur- und Bildungsveranstaltungen organisiert. Anfang der 30er Jahre beschäftigt sich der AStA jedoch zunehmend mit Politik. Er fordert unter anderem die Absetzung von Professoren, die als Anhänger der Weimarer Republik bekannt sind. Auch die Rufe nach Auf- rüstung und die Wiederherstellung des Großdeutschen Reiches werden lauter. Studierendenvertreter, die sich solchen rechten Aufrufen widersetzen, werden von den nationalsozialistischen Studieren- den beleidigt, bedroht und von den Sitzungen ausgeschlossen. Im AStA-Wahlkampf 1932 wirbt der NS-Studentenbund für die Grundsätze der NSDAP. Obwohl dies verboten ist, wird der Bund nicht von der Teilnahme ausgeschlossen. Aus Protest dagegen ziehen die demokratischen Gruppen ihre Kandidatur zurück, ihre Anhänger*innen wählen nicht. Da das Ministerium einen Einspruch gegen die Wahl ablehnt, ist die Vertretung der Freiburger Studierenden bereits 1932 fest in den Händen der Nationalsozialisten. Ab der „Machtergreifung“ im Jahr 1933 ändert sich auch das Leben an den Hochschulen enorm: Um den künftigen Studierenden die nationalsozialistischen Vorstellungen nahe zu bringen, wird im August 1933 die Arbeitsdienstpflicht für Studierende eingeführt, für Männer im Straßen- und Bunkerbau, für Frauen vorwiegend in der Kranken- und Kinderbetreuung. Der Nachweis des abgeleisteten Dienstes wird zur Voraussetzung für die Zulassung zum Studium. Auch neben dem Am 1. Mai 1939 kommt nicht nur der NS-Studentenbund auf den Münsterplatz, sondern es versammeln sich auch weitere NS-Gruppierungen und Funktionäre. Schon seit Mai 1933 wird die Studentenschaft nach dem Studium haben die Freiburger Studierenden viele Pflichten. Körperliche Arbeitseinsätze im Führerprinzip neu organisiert. Der NS-Studentenbund, der nun als Elite gilt, hat die politische Schulung aller Freiburger Umland bei der Ernte, in der Fabrik oder regelmäßige Teilnahme an politischen Studierender sicherzustellen. Schulungen sind obligatorisch. Für viele Studierende sind diese Verpflichtungen eine Last, die Studium und Privatleben beeinträchtigen.
1930 -40er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 34 35 Studenten und Akademiker im Visier Arbeitspflicht. Bereits im August 1933 wird die der Werbetreibenden. Arbeitsdienstpflicht für Studierende eingeführt. Durch präzise Zielgruppenansprache Dieser „Dienst am Volk“ bedeutet harte körperliche versuchen Geschäftsleute, die wachsende Arbeit, zum Beispiel auf dem Feld, im Straßenbau, Klientel zu gewinnen. aber auch (vorwiegend von Frauen) bei der Kranken-, Kinder- und Sozialbetreuung. 1935 kommt der Heeresdienst als weitere Pflicht für die Männer hinzu. Hochschulsport: Wettlauf im Universitätsstadion. Bilderschau der Freiburger Zeitung, Nr. 28 vom 13.07.1929 Ab 1933 wird der Anteil an Studentinnen auf zehn Prozent beschränkt, weil die nationalsozialistische Ideologie die Frauen als „Fruchtschoß des Dritten Reiches“ betrachtet, die ihrer „Bestimmung als Sport hat im NS-Regime eine wichtige Bedeu- aller Fakultäten teilnehmen, wird vom diesem Ehefrau und Mutter“ zugeführt werden müssen. Und es wird auch weiter selektiert: Wenige Wochen tung: Zum einen dient er zur Darstellung und Institut organisiert. Das Angebot umfasst nicht nach dem Verbot linker und pazifistischer Gruppen verweist man die Studierenden, die dem National- Formung einer rassistisch begründeten „Volks- nur Traditionelles, wie Leichtathletik, Turnen gemeinschaft“. Zum anderen ist der Körper und Gymnastik, auch ausgefallene Sportarten sozialismus vor der Machtergreifung feindlich gegenüberstanden, von der Hochschule. 1934 werden bald mehr als nur Kultusobjekt – er wird zum wie Jiu-Jitsu stehen auf dem Programm. Die rückwirkend die Akademischen Vorschriften geändert, um nicht linientreue Studierende generell Kriegsinstrument. Anders als oft angenommen, Sport-Stadien der Region werden aber auch wurde das Universitätsstadion in Freiburg für Auftritte und NS-Veranstaltungen genutzt: vom Hochschulstudium auszuschließen. Übergriffe gegen jüdische Kommiliton*innen oder gegen nicht in der NS Zeit erbaut, sondern schon Zwei Tage vor den Reichstagswahlen 1932 die jüdische Verbindung Neo Friburgia gehören bald zur Tagesordnung. Mit der im Mai 1933 begin- 1928 als „Anlage für Leibesübungen“ nach Plä- kommt Adolf Hitler mit dem Flugzeug nach nen des Architekten Hermann Reinhard Alker Freiburg für einen Wahlkampfauftritt seiner nenden Kampagne „Wider den undeutschen Geist“ werden auch in Freiburg jüdische Professoren (1885-1967) im Auftrag des „Instituts für Lei- Partei, der NSDAP (Nationalsozialistische entlassen, ebenso wie Professoren, die dem Regime kritisch gegenüberstehen. Die Zahl der jüdischen besübungen“ der Universität Freiburg. Der all- Deutsche Arbeiterpartei) und tritt im FFC- gemeine „Studentensport“, an dem Studierende Stadion auf. Studierenden wird auf drei Prozent begrenzt. Die Ahnennachweispflicht wird eingeführt. Halb- und Vierteljuden bekommen statt der braunen Studierendenkarte für „Arier“ eine gelbe für Juden. Nach der Reichspogromnacht muss in Freiburg der letzte „Volljude“ die Hochschule verlassen. Die Skiverleihstelle der Studentenhilfe e.V. mit 30 Paar Ski war im Laufe des Winters ständig aus- gebucht.
1930 -40er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 36 37 „Alle Juden werden beurlaubt oder aus dem Staatsdienst entlassen. Überall Mißhandlungen. Diese Sünde, die das deutsche Volk begeht, indem es wehrlose Menschen seelisch und körperlich mißhandelt, wird sich an ihm furchtbar rächen. Gott ist auch ein rächender Gott.“ A u s d e m Ta g e b u ch v o n W alt e r E u ck e n , 2 1. Okt o b e r 19 3 5 #swfr100 Der Freiburger Studentenhilfe e.V. ist nach wie vor für die Studierenden da und expandiert. Im Gegensatz zu den Verbindungsstudierenden stehen den Freistudierenden bis dato keine Räume zur Verfügung, in denen sie mit ihren Kommiliton*innen diskutieren, arbeiten oder einem Hobby nach- gehen können. Die Einrichtung eines Tagesheims durch die Freiburger Studentenhilfe im Jahr 1931 schafft hier Abhilfe. Dort gibt es ab sofort beheizte Aufenthaltsräume, vier Klubräume, ein Lesezim- mer und einen Erfrischungsraum. Unter den Nationalsozialisten werden alle einzelnen, bisher selbständigen Studentenwerke Deutsch- lands gleichgeschaltet, die Freiburger Studentenhilfe im Jahr 1933 in Freiburger Studentenwerk umbenannt und 1934 in das sogenannte „Reichsstudentenwerk“ überführt. Durch den zugrundelie- genden Erlass des Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung wird nun die Richtung aus Berlin vorgegeben und nach nationalsozialistischen Kriterien definiert. Beispielsweise werden nur noch Studierende „nach nationaler Zuverlässigkeit“ gefördert, wie das Merkblatt für Studienförde- rung des Reichsstudentenwerks 1935 beweist: „Die Bewerber müssen Nationalsozialisten sein und das in Gliederungen der Bewegung, der HJ, SA, SS, PO, NSDStB, dem Arbeitsdienst und der Studenten- Das Faulerbad 1933 (o.li.); Holzabgabe bei der Freiburger Studentenhilfe. Die Freiburger Studenten- hilfe versorgt die Studierenden auch mit Heizmaterial zum Selbstkostenpreis oder – bei Studierenden, schaft unter Beweis gestellt haben.“ die weniger als 150 Mark im Monat verfügen – umsonst, 1931 (o.re.). 1937 entlässt das Studentenwerk die Ordensschwestern, die bisher die „mensa academica“ betrieben Den Freistudierenden stehen im Gegensatz zu den Verbindungsstudierenden keine Räume zur Verfügung, in denen sie mit ihren Kommiliton*innen diskutieren, arbeiten, spielen oder einem haben, weil man nicht länger bereit ist, mit einer kirchlichen Institution zusammenzuarbeiten. Die Hobby nachgehen können. Die Einrichtung des Tagesheims der „Freiburger Studentenhilfe“ schafft Leitung und Organisation der Mensa bleibt im Eigenbetrieb des Studentenwerks. Sie wird im Zweiten hier Abhilfe. Außenaufnahme und Blick in das Runde Zimmer, ca. 1931 (u.re.) Weltkrieg auch vom Militär genutzt. Es gehen damals täglich ca. 1.000 Mahlzeiten über den Tresen. Das Studentenwerk erklärt sich bereit, im Falle eines Bombenangriffs auf Freiburg „den wohnungslos gewordenen Volksgenossen“ Essen auszuteilen. Der Wunsch und das Bemühen um ein dringend benötigtes Studierendenwohnheim geht weiter und unterschiedlichste Gespräche werden geführt. Als Standort wird auch ein Grundstück ins Auge ge- fasst, das unmittelbar neben dem Kollegiengebäude liegt: Das Gelände der in der Reichspogromnacht 1938 zerstörten Synagoge. Am 15. März 1939 erwirbt die Stadt das Gelände für 67.000 RM – deutlich Auszug aus der unter Wert und möchte diese „Baulücke“ dringend schließen: „Der Zustand ist jämmerlich (...). Unser Dienstordnung der Ziel muß also sein: Alsbaldige Bebauung des ehem. Synagogengeländes.“ Das Grundstück soll dem Deutschen Studen- tenschaft von 1934. Studentenwerk kostenlos überlassen werden, aber das Bauvorhaben scheitert, da sich das badische Kultusministerium nicht in der Lage sieht, das Projekt finanziell zu unterstützen.
Ulrich Druwe 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 38 39 Grußwort Zuhause im Studium! P r o f. D r . Ul r i ch D r u w e R e kt o r d e r P ä da g o g i sch e n H o chsch u l e F r e i b u r g Studieren, also Lernen und (Mit-)Forschen an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, steht (hoffent- lich) im Zentrum der Studierenden; aber erst mit der Bewältigung des studentischen Alltags ist die Grundlage für ein erfolgreiches Studium gelegt. - Studieren ohne Bude? -> Wohnheimplätze, „Wohnen für Hilfe“, u.a. direkt neben der PH - Geldprobleme? -> BAföG, Jobvermittlung, Überbrückungshilfe - Fahrt zur PH? -> Semesterticket bis zum PH-„eigenen“ Bahnhof; kostenfreie Fahrt mit Bussen und Bahn ab 19 Uhr - Hunger? Kaffeedurst? -> PH-Mensa (die beste Mensa in Freiburg), Café-Cube - Betreuung der eigenen Kinder? -> Kita Pusteblume, direkt neben der PH - „Kulturhunger“? -> Musik, Film, Kunst – Angebote en masse von Studierenden für Studierende und mit internationalem Flair. Um all das und noch vieles mehr kümmert sich das Studierendenwerk Freiburg. Es schafft so die Voraussetzungen dafür, dass sich unsere PH-Studierenden am Standort Littenweiler und in Freiburg wirklich wohlfühlen. Ständig auf der Suche nach Verbesserungen am Standort (zuletzt Café-Cube), jederzeit offen für studentische Anfragen und Wünsche (wg. Corona Ermöglichung studentischen Arbeitens in der Mensa), unterstützend auch in der Lehre (Preise für hervorragende Abschlussarbeiten) und immer freundlich und zuvorkommend im Service ist das SWFR ein absolut unerlässlicher Partner der Hochschule und aller Studierenden. Ich danke ganz herzlich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Studierendenwerk Freiburg, insbesondere am Standort Littenweiler, namentlich der Geschäftsführung Herrn Metz und Frau Heyberger, und gratuliere Ihnen allen zum 100. Geburtstag. Prof. Dr. Ulrich Druwe Rektor der Pädagogischen Hochschule Freiburg
1940 - 1950 Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 40 41 1920-30er Jahre 1930-40er Jahre n 1940-50 er Jahre 1950-60er Jahre 1960-70er Jahre 1970-80er Jahre 1980-90er Jahre 1990-00er Jahre 2000-10er Jahre Blick in die Kaiser-Joseph-Straße 2010-20er Jahre
1940 -50er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 42 43 1940 - 1950 #spotlighthistory Der Zweite Weltkrieg verändert alles: An der deut- schen „Heimatfront“ wird die Wirtschaft komplett auf Rüstung umgestellt und vor allem durch Zwangs- arbeitende am Laufen gehalten. Insgesamt arbeiten bis Ende des Krieges rund zehn Millionen von ihnen Bilder vom zerbombten Freiburg – vom Kollegiengebäude I der Universi- unter teilweise mörderischen Bedingungen in der In- tät und vom zerstörten Stadttheater dustrie, in der Landwirtschaft, aber auch in privaten Haushalten. An der Front im Kriegsgebiet begehen die Deutschen schlimmste Kriegsverbrechen – auch die Zivilbevölkerung wird nicht verschont. In den Vernichtungs- und Konzentrationslagern werden Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und politische Der „Auslandspass“ eines 16-jährigen pol- nischen Jungen, der in einer Uhrenfabrik Gegner*innen unter unwürdigsten Bedingungen festge- als Zwangsarbeiter arbeiten muss verdeutlicht halten, zur Arbeit gezwungen, für medizinische Versuche das grausame Schicksal der Zwangsarbeiten- den. Lange warten sie auf eine Entschädigung missbraucht und systematisch umgebracht. Insgesamt – viele bis heute. werden über sechs Millionen Menschen in KZs ermordet, der Großteil von ihnen sind Juden. Auch Freiburger Juden, welche am 22. Oktober 1940 in Freiburg zur Deportation abgeholt werden, sind unter ihnen. Diesen Völkermord an den Juden nennt man „Holocaust“, griechisch für „vollständig verbrannt“. Mit weltweit fast 70 Millionen Toten, Vertrei- Es geht friedlich aufwärts – bung und Zerstörung ist der Zweite Weltkrieg (1939-1945) mit der bedingungslosen Kapitulation Währungsreform, Juni 1948 am 08. Mai 1945 für Deutschland vorbei. Nach Kriegsende besetzen französische Truppen die Stadt Freiburg, in der es nur mit Hilfe aus dem Ausland und großen eigenen Anstrengungen gelingt, das Überleben und den Wiederaufbau zu organisieren. Die bipolare Weltordnung, die in der Nachkriegs- zeit entsteht, verändert das Gesicht Europas vollkommen. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges können sich über die Zukunft Deutschlands nicht verständigen, zu unterschiedlich sind ihre Vorstel- lungen. Beide Seiten sind sich nur in ihren Bedenken einig: Ein einziger großer deutscher Einheits- staat könnte erneut zu einer Gefahr für Europa werden. So kommt es 1949 zu getrennten Staatsgrün- dungen. Deutschland ist fortan zweigeteilt: Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Osten.
1940 -50er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 44 45 #studylifeblackforest Mit Kriegsbeginn änderte sich auch die Zusammensetzung der Studierenden in Freiburg. Die meisten männlichen Studie- renden sind in den Krieg gezogen. Die Todesanzeigen sammeln sich auf dem Schreibtisch des Freiburger Universitätsrektors. Fassungslos die einen, stolz die anderen, erinnern sich die Eltern an das kurze Leben ihrer Söhne und beschreiben in Briefen an die Universität Freiburg die Todesumstände. In der Region bleiben haupt- sächlich jugendliche Erstsemester sowie ein im Lauf des Krieges immer größer werdender Anteil Stu- dentinnen. Dazu kommen vom Krieg freigestellte bzw. abkommandierte Studierende: Medizinstudie- rende, um langfristig den hohen Bedarf an Ärzt*innen decken zu können, Abschlussstudierende und Kriegsversehrte oder Nicht-Wehrtaugliche. Demzufolge sind die Studierenden sehr heterogen und haben unterschiedliche Einstellungen zum politischen Geschehen – von bedingungsloser Begeisterung für das NS-Regime über den Versuch, sich unsichtbar zu machen bis hin zum organisierten Wider- stand, nicht zuletzt von einer Gruppe Freiburger Professoren, dem „Freiburger Kreis“: Walter Eucken, Adolf Lampe, Constantin von Dietze und Gerhard Ritter schreiben Denkschriften über ein anderes Briefwechsel: Unterkunft von Deutschland nach dem Krieg, in dem Gerechtigkeit herrschen soll. Studenten bei einer Jüdin 1942 Nach dem Ende des Krieges ist Freiburg stark zerstört, besonders die Innenstadt und viele Univer- Besonders hart trifft es die Jüdi- sitätsgebäude, sowie knapp ein Drittel aller Freiburger Wohnungen. Die französische Besatzung sche Bevölkerung im NS-Regime. Der Staat entrechtet sie Schritt stimmt dem Wiederaufbau und der Wiedereröffnung der Universität Freiburg bereits im Herbst 1945 für Schritt bis hin zu Verfolgung zu. Vor der Immatrikulation muss jede*r Studierende mindestens 100 Stunden beim Wiederaufbau und Deportation. Frau A. gehört zu den wenigen Jüdinnen, die mit anpacken. Der Zusammenhalt unter den Studierenden, der unmittelbar nach dem Krieg die Anfang des Jahres 1942 noch in Stimmung an der Hochschule prägt, verliert sich während des Wiederaufbaus. Die Studierenden der der Stadt Freiburg leben. Der Großteil der Freiburger Juden ist Nachkriegszeit leben und lernen mehr für sich. Gemeinsame Arbeit, der Austausch von Büchern und zu diesem Zeitpunkt bereits in Fachgespräche außerhalb des Hörsaals gehören aber dennoch weiterhin zum Studienalltag – auch in die Konzentrationslager depor- den zum Teil ungeheizten Räumen. tiert worden.
1940 -50er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 46 47 Viele Studierende sind froh, wenn sie sich nach Ableistung der vielen Pflich- ten endlich dem Studium widmen kön- nen. Ihr Arbeitseifer ist groß. Während des Zweiten Weltkrieges wächst dieses Engagement noch. Vielleicht weil die Arbeit in Bibliothek, Labor oder Klinik von den drückenden Sorgen ablenkt. Der gute Ruf der Medizinischen Fakul- tät zieht weiterhin viele Studierende an. In den Jahren 1935/36 ist jedoch ein ge- regelter Lehrbetrieb wegen Überfüllung kaum noch möglich. Nicht einmal die Hygiene-Vorschriften in den Kliniken können eingehalten werden. Briefe an die Universität über gefallene Söhne, 1939 und 1941 Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges werden die meisten Studenten eingezogen und an die Front geschickt. Die in Freiburg Verbleibenden – darunter viele Frauen, wie Medizinstudentin Frau Kiefer – setzen ihr Studium fort und gönnen sich auch weiterhin kleine Vergnügungen. Die Sorgen um Verwandte und Bekannte sowie die Angst vor den häufiger werdenden Angriffen sind jedoch ihre ständigen Begleiter. Das Wiedersehen mit einem Kommi- litonen, der Fronturlaub hat, wird da zum großen Ereignis.
1940 -50er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 48 49 „Der Freiburger Widerstand dieser Professoren ist der einzige professorale War drei Tage in Freiburg; ein Drittel der schönen Stadt, die ganze Innenstadt ist Widerstand in Deutschland gewesen. Wir haben den studentischen Widerstand ein Klumpen, die Straßen schon (aber nicht alle) freigelegt. – Kirchen, Theater, in München, den professoralen hier in Freiburg. An den anderen Universitäten Universität alles hin oder fast hin. Schauerlich toter Anblick; zwischen den Ruinen hat es beides nicht gegeben. […] liegen oft Kränze öfter Kreuze mit Inschriften, – Menschen die da verschüttet sind.“ P r o f. D r . B e r n d M a r t i n A lf r e d D ö b l i n , 2 6 . 0 1.19 4 6 #swfr100 Ruine „Karlskaserne“ am Siegesdenkmal, Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das NS- Februar 1950 Reichsstudentenwerk aufgelöst und die ein- zelnen regionalen Institutionen arbeiten vor- erst wieder selbstständig. Finanziert werden sie anfangs durch Geld- und Sachspenden, ab 1948 durch einen Pflicht- und Solidaritätsbei- trag der Studierenden. Die ersten Zuschüsse der Länder und des Bundes kommen Anfang der 1950er Jahre hinzu. Freiburg ist einer der letzten Standorte, an dem ein Studentenwerk wieder gegründet wird, da man lange mit der Entnazifizierung und Umstrukturierung der Hilfsaufgaben beschäftigt ist. 1954 ist es dann so weit: Der „Studentenwerk e.V.“ ist wieder aktiv. Die Beteiligung an den Aufräumarbeiten ist für die Freiburger Studierenden eine Selbstver- ständlichkeit – schließlich wollen sie schnellst- möglich wieder das Studium aufnehmen. Ob Aufräumarbeiten im Institutsviertel, bei denen Steine sortiert und getürmt, Bücher und Instrumente geborgen werden oder bei Enttrümmerungsarbeiten im Gelände – der Wunsch nach Alltag ist groß. Abhaltung von Vorlesungen und Übungen Trümmerzug: Jugendliche auf dem Weg zu Enttrümmerungs- der Naturwissenschaftlich-Mathematischen arbeiten, 1947 (o.) Fakultät im Sommersemester 1945 (o.) Studentinnen bei Aufräumarbeiten im Institutsviertel (u.) Mensa bittet um Eicheln, Badische Zeitung 15.10.1946 (li.)
j oa c h i m b e c k 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 50 51 Grußwort P r o f. D r . J o ach i m B e ck R e kt o r d e r H o chsch u l e f ü r ö ff e n tl i ch e V e r walt u n g K e hl Essen beim Studierendenwerk – Lecker und gesund für Kehler Studierende und die öffentliche Verwaltung von morgen Die Hochschule Kehl bildet mit ihren Studiengängen Menschen für die öffentliche Verwaltung von morgen aus. Ohne Frage stellen die dort beschäftigten Personen eine der wichtigsten Ressourcen in einer Verwaltung dar. Und damit diese effektiv, gesund und innovativ arbeiten können, muss ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement fester Bestandteil einer jeden Verwaltung sein. Wohlergehen, Gesunderhaltung und Leistungsfähigkeit erreicht man jedoch nicht nur mit körperli- cher Aktivität, sondern auch mit einer gesunden Ernährung. Aus diesem Grund sind wir sehr froh, dass das Studierendenwerk vor zwei Jahrzehnten eine Mensa an unsere Hochschule gebracht hat: Der Mensakoch Herr Fink und sein Team sind jeden Tag für uns und insbesondere unsere Studierenden da, um frisch, regional wie saisonal zu kochen und abwechslungsreiche Gerichte zu zaubern, die ein- fach gut schmecken. Der Gang in die Mensa ist für die Gäste zweifellos viel mehr als nur reine Nahrungsaufnahme: Essen verbindet, und dieses gesellschaftliche Zusammenkommen ist von hoher Wichtigkeit für Körper, Seele und Geist. Im Jahr 2020, als die Mensa mehrfach schließen musste, haben wir dies alle bedrückend er- fahren müssen. Unsere Mensa und die Cafeteria in Kehl sind ein Ort des Austausches, des Zusammen- kommens, der Freude und auch irgendwann der Erinnerung: Ehemalige, die sich selbst nun in hohen, teils auch prominenten Positionen befinden, kommen gerne an die Hochschule zurück und freuen sich immer besonders, wenn wir vorschlagen, vor oder nach einer Veranstaltung noch ein gemeinsames Essen in der Mensa einzunehmen. Der Mensabesuch ist und bleibt für viele etwas Besonderes, weil er mit schönen Erinnerungen an die Studienzeit verbunden ist. Die Hochschule Kehl ist glücklich und dankbar, einen Partner wie das Studierendenwerk an seiner Seite zu wissen. Wir wünschen uns viele weitere Jahre der tollen Zusammenarbeit. Prof. Dr. Joachim Beck Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
Kolumnentitel 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 52 53 1920-30er Jahre 1930-40er Jahre 1940-50er Jahre n 1950-60 er Jahre 1960-70er Jahre 1970-80er Jahre 1980-90er Jahre 1990-00er Jahre 2000-10er Jahre Verkehr mit neuer Ampel am Bertoldsbrunnen, Dezember 1951 2010-20er Jahre
1950 -60er Jahre 100 Jahre Studierendenwerk freiburg 54 55 1950 - 1960 Die Karte des Bundeslandes Baden- Württemberg in seinen heutigen Grenzen zeigt die drei ehemaligen Länder. #spotlighthistory Freiburg ist Hauptstadt? Klingt verrückt, ist aber für einige Jahre für die Region Baden bis zur Bildung des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg 1952 Realität. Mit der stetigen Wiederherstellung der Freiburger Innenstadt, die sich weitgehend an den ursprünglichen Straßenzügen ausrichtet, stehen die Zeichen in Deutschland generell auf Wiederaufbau und der Blick richtet sich nach vorne. „Beobachtet man die Deutschen […] die Gleichgültigkeit, mit der sie sich durch die Trümmer bewegen, […] wie sie es einem verübeln, wenn man sie an die Schreckenstaten erinnert, welche die ganze Welt nicht loslassen,“ konstatiert die deutsch-amerikanische Journalistin Hannah Arendt, die während der Nazizeit aus Deutschland ge- flohen war, und die nun ihre alte Heimat besucht. Dabei kritisiert sie nicht nur die Verdrängung des Geschehenen und der Verantwortlichkeiten der Deutschen, sondern auch die Ineffizienz der Entnazi- fizierung im Nachkriegsdeutschland. Während die Deutsche Demokratische Republik (DDR) auf Planwirtschaft setzt und Blick aus luftiger Höhe auf das Münster, 1953 (o.); gegen Fluchtbewegungen Richtung Westen zu kämpfen hat, kommt es in der BRD zu Schwabentor mit alter Turmspitze aus Richtung Gerber- einem rasanten Wirtschaftswachstum. Ob Cocktailsessel oder Nierentisch – die 50er au, 1952 (re.); Pathologisches Institut mit Hörsaal für Pathologie sind prägend für Design und Ausgefallenes. Der VW-Käfer wird zum Renner, Toast und Anatomie, ca. 1960 (u.). Heute ist es das Freiburg Hawaii zum exotischen Ofengericht und 1954 gewinnt die bundesdeutsche National- Institute for Advanced Studies (FRIAS), das internati- onale Forschungskolleg der Albert-Ludwigs-Universität mannschaft die Fußball-WM mit einem sensationellen 3:2-Sieg gegen Ungarn und Freiburg. erlebt dabei sein „Wunder von Bern“. Und Freiburg? Die Stadt wird zur Autometro- pole: Die Anzahl der Automobile in Freiburg ist im Verhältnis zum bundesweiten Durchschnitt doppelt so hoch. Der Motorisierungstrend zieht viel Publikum an den Freiburger Hausberg zum Schauinsland-Autorennen, aber sorgt auch für viele Unfälle – womöglich auch weil der erlaubte Blutalkoholwert 1953 noch bei 1,5 Promille liegt. Dem Arbeitskräftemangel der Nachkriegszeit begegnet man deutschlandweit mit der Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland: Sogenannte „Gastarbeiter“ kommen aus Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei in die BRD, die ein multikulturelles Land zu werden beginnt. Heute hat jeder vierte Einwohnende in Deutschland einen Migrationshintergrund – darunter sind viele Kinder und Enkelkinder der damaligen „Gastarbeiter”. Es ist das Jahrzehnt, in dem die ersten europäischen Staaten zusammenfinden und den Grundstein der heutigen Europäischen Union legen.
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