UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern

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Forschen in der Welt

* Gespräch – Hubert Steinke über Medikalisierung 32
* Begegnung – Sabine Böglis Weg zur Mathematik 36
                                                      J u n i 2 0 15   164
* Forschung – Feldforschung als Kunst 28

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Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
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Bauen an der Zukunft                                                                                    Geschichten einer Generation                                                                        Erinnern und Vergessen

  * Gespräch – Rektor Martin Täuber zur Strategie 2021       32                                           * Gespräch – Thomas Stocker und Gian-Kasper Plattner zum Klima          32                          * Gespräch der Generationen – Norbert Thom und Elena Hubschmid        32
  * Begegnung – Timo Engel bricht in fantastische Welten auf       36                                     * Begegnung – Thierry Aebischer entdeckte ein Paradies für Tiere        36                          * Begegnung – Manuela coacht Helai             36
                                                                                  Ok t obe r 2013   158                                                                                D ezember 2013   159                                                                               Apr i l 2014   160
  * Forschung – Wie sich Geschlechter-Stereotypen auflösen        26                                      * Forschung – Gehen mit dem Digitalfilm die Emotionen verloren?         26                          * Forschung – Wenn die Matur leicht ist, wird es später schwer   30

  UniPress*                                                                                               UniPress*                                                                                           UniPress*

  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                      Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

  Forschen – auch in der Nacht                                                                            Schrift – im Land der Buchstaben                                                                    Hell im Kopf

                                                                                                          * Gespräch – Andrea Glauser über weibliche Uni-Karrieren     32
  * Gespräch – Stig Förster und Daniel M. Segesser zum Grossen Krieg         32                                                                                                                               * Gespräch – Stefan Brönnimann und Claus Beisbart zu «Citizen Science» 30
                                                                                                          * Begegnung – Aymo Brunetti, der beliebteste Hochschullehrer       36
  * Begegnung – Albert Gobat, der unzimperliche Friedenskämpfer         36                                                                                                                                    * Begegnung – Riccardo Legena war schon als Kind an der Uni 36
                                                                                  August 2014       161   * Forschung – Gemeinsam für die Medizin von morgen      30                   Dezember 2014    162                                                                               April 2015     163
  * Forschung – Frischer Atem leicht gemacht           28                                                                                                                                                     * Forschung – Kunst und Wissenschaft vereint 26

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  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                      Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern                                                  Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern

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                                                                                                                                                                              Universität Bern
                                                                                                                                                                              Corporate Communication
                                                                                                                                                                              Hochschulstrasse 4
                                                                                                                                                                              CH-3012 Bern
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                                                                                                                                                                              www.kommunikation.unibe.ch
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F O R S C H E N I N D E R W E LT

Selfies am Palmenstrand, stündliche Updates von Dschungel-
expeditionen, Bilder exotischer Gerichte: Rund um die Uhr er-
reichen uns Berichte, Posts und Tweets aus aller Welt. Jeder
ist heute ein rasender Welt- und Selbstreporter.
    Kennen wir also schon alles, was es zu entdecken gibt auf
dieser Welt? – Nein, wir sind weit davon entfernt, wie die
Berichte von acht Berner Forscherinnen und Forschern über ihren
Alltag in Lateinamerika, Afrika, Asien und Europa in diesem Heft
zeigen. Als Forscherinnen und Forscher haben sie den Anspruch
und den Auftrag, tiefer einzutauchen, als es auf einer anderen
Reise möglich ist. Wenn Dario Josi in den Tanganyikasee taucht,
tut er es, um das Sozialverhalten der Buntbarsche besser zu
verstehen. Genauso intensiv taucht er aber ins Leben der Fischer-
familien ein, die das Berner Team seit zwanzig Jahren beher-
bergen. Wenn Gerhild Perl an der spanischen Küste den
Spuren der Toten an der EU-Aussengrenze folgt, setzt sie
sich einer Grenzerfahrung aus, die Grenzen der Erkenntnis
verschieben kann. Und wenn Zerihun Tadele zwischen Berner
Labors und äthiopischen Feldern pendelt, dann ist er auf dem
besten Weg, mit seiner Forschung und seinem internationalen
Netzwerk die Ernährungssicherheit von Millionen von Menschen
zu verbessern.
    Beeindruckend sind die globalen Zusammenhänge, die in den
Berichten deutlich werden: Etwa über die Menschengruppen, die
sich vor Jahrtausenden aus dem Himalaja-Gebirge aufmachten,
die Erde von Lappland bis Feuerland zu besiedeln. Oder wie sich
in Bolivien die traditionellen Dorfgemeinschaften verändern, seit
ihr Grundnahrungsmittel Quinoa im Westen als Lifestyle-Produkt
boomt. Forscherinnen und Forscher spannen ein Netzwerk um
die Welt – und helfen uns zu verstehen, was Globaliserung
bedeutet.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

                                   Timm Eugster und Marcus Moser

                                                                    UniPress   164/2015   1
UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern
2   UniPress   164/2015
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Inhalt

                                                      F O R S C H E N I N D E R W E LT

                                                   5 Im Himalaja auf der Spur der Sprachen
                                                     Von Georg van Driem

                                                   7 Bei Fischen und Fischern
                                                     Von Dario Josi

                                                  11 Ein Tag in Himera
                                                     Von Matthias Edel

                                                  13 Daten sammeln wo der Pfeffer wächst
                                                     Von Julie Zähringer
     FORSCHUNG UND RUBRIKEN
                                                  17 Als Germanist unter Palmen
                                                     Von Fermin Suter
     Forschung
                                                  19 Von Berner Labors auf Äthiopiens Felder
28   Germanistik: Alexander von Humboldt –           Von Zerihun Tadele
     Feldforschung als Kunst
     Von Oliver Lubrich                           23 Versuch einer Antwort
                                                     Von Gerhild Perl

                                                  25 Dort, wo die Quinoa wächst
     Rubriken                                        Von Sabin Bieri

 1   Editorial

32   Gespräch
     Hubert Steinke – Die Gesellschaft in der
     Gesundheitsfalle
     Von Marcus Moser

36   Begegnung
     Sabine Bögli – Resonanzen bringen Karriere
     in Schwung
     Von Anina Steinlin

38   Meinung
     Neuer Bildersturm im Weltkulturerbe
     Mesopotamien
     Von Mirko Novák

39   Bücher

40   Impressum

                                                                                         UniPress   164/2015   3
UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern
4   UniPress   163/2015
UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern
Im Himalaja auf der Spur der Sprachen
Seit mehr als dreissig Jahren pendelt Georg van
Driem zwischen Europa und dem Hochgebirge
Asiens, dokumentiert bedrohte Sprachen, erforscht
den interkulturellen Austausch zwischen den
Menschen und entnimmt ihnen DNA-Proben, um
die Abstammung der Populationen Eurasiens zu
rekonstruieren.

Von Georg van Driem

1983 trank ich bei den Limbu im Osten          manischen gehören Sprachen wie Alba-               Teil Birmas. Dabei geht es einerseits um die
Nepals Tongba. Dieses aus gegorener            nisch, Deutsch, Dänisch, Pashto und Nepali.        Erfassung von nicht beschriebenen Sprachen,
Fingerhirse hergestellte warme Getränk         Das Transhimalajische umfasst Sprachen wie         die Erforschung der linguistischen Verwandt-
enthält Alkohol – und da man stundenlang       Tibetisch, Birmanisch, Limbu, Shanghaine-          schaftsbeziehungen und des historischen
mit gespannten Lippen an einem filter-         sisch und zweihundert weitere Sprachen.            Sprachwandels, andererseits bemüht sich
haltigen Saughalm zieht, damit sich die        Der Himalaja wird aufgrund seiner kom-             unser Projekt um das Festhalten von Wissen,
Flüssigkeit vom Matsch löst, besteht die       plexen Topografie meist als die grösste            das in der dortigen Gemeinschaft schlum-
Gefahr, dass man nach einer Weile seinen       Barriere auf unserem Planeten dargestellt.         mert.
Daseinszustand unterschätzt.                   Die historische Forschung lehrt uns aber
    Solche Erfahrungen machte ich auf          eines Besseren: Der Himalaja war immer             Vom Himalaja aus in die ganze Welt
meiner ersten Feldforschungsreise als          Begegnungs- und gleichzeitig Durchgangs-           In der Rolle des Biologen habe ich
Sprachwissenschaftler vor 33 Jahren. Zwölf     zone für etliche Völkerwanderungen. Dabei          gemeinsam mit Genetikern aus verschie-
Jahre danach folgten mir meine ersten          bot er unterschiedlichste Lebensräume, in          denen Ländern bei vielen Sprachgemein-
Doktoranden und Doktorandinnen nach.           denen der Homo sapiens sein Überleben              schaften des Himalajas DNA-Proben
Und jetzt, nach weiteren 20 Jahren, ist ein    sicherte.                                          entnommen, um die Populationgeschichte
unsagbarer Schatz an Dokumentationen                                                              Eurasiens zu rekonstruieren. Seit 1997 ist
zusammengekommen, der nicht nur                Manche Flüsse sind älter                           dank einer schweizerisch-italienischen
bedrohte Sprachen vor ihrem endgültigen        als die Berge                                      Forschungsgruppe bekannt, dass eine
Verscheiden bewahrt hat, sondern auch          Obschon die allerhöchsten Berge der Welt in        Korrelation zwischen Y-chromosomalen
Aufschlüsse über Vorgänge wie Migrations-      der Himalaja-Kette eingegliedert sind, stellt      Haplogruppen – also bestimmten Aus-
verläufe und den interkulturellen Austausch    der Himalaja keine Wasserscheidelinie dar.         prägungen des (männlichen) Y-Chromo-
zwischen den Menschen liefert. Seither ist     Manche Flüsse sind älter als die Berge selbst.     soms des Erbguts – und der geographi-
unsere Arbeit weltweit als das «Himalayan      Sie fliessen quer durch den Himalaja hin-          schen Verbreitung von Sprachfamilien
Languages Project» bekannt. Zu Beginn          durch. Als Beispiel sei hier der Kīlī Gandakī in   besteht. Obschon man beim Begriff «Korre-
befand sich der Sitz im holländischen          West-Nepal genannt, der auf der tibetischen        lation» Vorsicht walten lassen muss, sind
Leiden, 2010 wechselte er mit meinem           Hochebene seine ersten Furchen zieht, bis er       aufgrund unserer Forschungsergebnisse zu
Umzug in die Schweiz mit mir zusammen          Gräben reisst und gewaltige Schluchten ent-        bedeutenden Episoden der sich über Jahr-
an die Universität Bern.                       stehen lässt. Deshalb bildet der Kālī Gandakī      tausende entwickelnden Bevölkerungs-
    Die Faszination am Himalaja liegt in       am Fusse des Dhaulāgiris, ein 8000er unter         geschichte Tendenzen erkennbar. Als wich-
seinen topografischen Massen: In seiner        vielen, das tiefste Flusstal auf unserem Plane-    tigstes Ergebnis der historischen Sozio-
alles umfassenden Grösse beheimatet das        ten und scheidet den Himalaja in zwei Seg-         linguistik erachte ich die Entdeckung,
«Gebirge des ewigen Weisses» mehr als          mente, die je eine Länge von 1800 Kilo-            dass weltweit und überwiegend die Vater-
sechs verschiedene Sprachfamilien und          metern aufweisen. Unsere Sprachforschung           sprache-Korrelation gilt: Dass eine Mutter
einige Isolate, also Sprachen, die zu keiner   erstreckt sich auf beide Segmente, vom             ihren Kindern die Sprache des Vaters bei-
anderen eine Verwandtschaft aufweisen.         Hazārahjāt-Hochland in Afghanistan über die        bringt, scheint in der Geschichte unserer
Die Mehrheit der Sprachen gehört zur indo-     nördlichen Pässe Pakistans und Indiens durch       Spezies ein weitverbreitetes und ein wieder-
germanischen und zur transhimalajischen        ganz Nepal bis zum Dach der Welt, Tibet,           kehrendes Phänomen gewesen zu sein. Die
Sprachfamilie, den zwei Familien mit den       weiter bis zum Liángshān-Gebirge in Sìchuān,       Verbreitung und die Gliederung des väter-
weltweit meisten Sprechern. Zum Indoger-       den Südwesten Chinas und den nördlichen            licherseits vererbten Materials führt zu

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UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern
Genvarianten, die mit einzelnen Sprach-
familien zusammenhängen, woraus man
schlussfolgern kann, dass in einer be-
stimmten Zeittiefe die Abstammung vieler
Populationen von Lappland bis zum Feuer-
land auf den Himalaja zurückzuführen ist.
So mussten nicht nur die Vorfahren der
Hàn-Chinesen und Javaner, sondern auch
der Esten und der Samojeden zu einem
bestimmten Zeitpunkt den Brahmaputra-
Fluss überqueren.

Nach Tagen im Dickicht
ein herzlicher Empfang
Während Blutentnahmen und Wangen-
abstriche wenig Zeit beanspruchen, ist die
Dokumentation einer Sprache in all ihren
grammatikalischen Facetten und typolo-
gischen Besonderheiten ein langfristiges
Projekt, das erst dann erfolgreich realisiert
wird, wenn man sich vor Ort in der Sprach-      Angehörige der ethnischen Gruppe der Kusunda im westlichen Nepal nach der Abnahme von DNA-
gemeinschaft über Jahre hinweg einnistet        Proben, mit Georg van Driem (rechts), dem Populationsgenetiker Ashish Jha (zweiter von links) und
                                                dem Assistenten Surendra Dhakal (unten rechts).
und Teil von ihr wird. Als ich im Auftrag der
bhutanesischen Regierung die erste Gram-
matik der Nationalsprache aufzeichnete,
trug ich statt abendländischer Kleider einen
bhutanesischen G’ô. Bei den meisten
Forschungsprojekten aber tragen meine
Leute und ich einfache Kleider und sind
vom letzten Ort, der mit einem Fahrzeug
erreichbar ist, noch Tage zu Fuss im
Dickicht unterwegs, bis wir inmitten einer
exotischen Klangkulisse von den Einhei-
mischen herzlich empfangen werden.
   Für die Feldforschung wird voraus-
gesetzt, dass meine Leute die gängigen
Kontaktsprachen wie Dzongkha, Hindi,                                                            Himalaja
Nepalesisch, Tshangla, Mandarin oder
Birmanisch beherrschen. Diese erlauben uns
den privilegierten Zugang zur Kultur, der
sich ohne jene Voraussetzung nicht tief-
gründig erforschen lässt. Die Linguisten
nutzen anschliessend die Gelegenheit, um
nebst der Sprachdokumentation auch
Beschreibungen der Verwandtschafts-
beziehungen, des Glaubenssystems, der
Eschatologie und der Rituale anzufertigen.
In der Ergänzung zum Lexikon werden auch
mündliche Überlieferungen aufgezeichnet
und einheimisches Wissen über Kultur-
pflanzen und Heilkräuter dokumentiert.
   Die jahrelange Forschung hat dazu ge-
führt, dass unser «Driem-Team» – wie
Wolfgang Behr von der Universität Zürich        Himalaja
jene Konstellation nennt – mit den Ein-         • Georg van Driem, 57, aus Holland                 • Förderung: Schweizerischer National-
heimischen in engen Kontakt getreten ist        • Professor, Direktor des Instituts für              fonds SNF, zuvor niederländische
und wir ihnen aus Dankbarkeit unsere              Sprachwissenschaft                                 Forschungsgemeinschaft, bhutanesische
Herzen geschenkt haben, und sogar nach          • Ort: Himalaja-Gebirge (von Nordwest-               Regierung, niederländisches Aussen-
Projektabschlüssen pendeln unsere Herzen          Indien, Nepal, Sikkim, Bhutan, Nordost-            ministerium, Rolex, European Science
weiter zwischen dem Himalaja und den              Indien, Tibet, Südwest-China bis nach              Foundation, Königlich Niederländische
Schweizer Alpen.                                  Birma)                                             Akademie der Wissenschaften (KNAW)
                                                • Projekt: Das «Himalayan Languages                • Weitere Infos:
Kontakt: Georg van Driem,                         Project» umfasst die Sprachbeschrei-               www.himalayanlanguages.org
Institut für Sprachwissenschaft,                  bung, Kulturgeschichte und Popula-
vandriem@isw.unibe.ch                             tionsgenetik des Himalajas.

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UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern
Bei Fischen und Fischern
Zweimal täglich taucht Dario Josi mit seinem Team
im Tanganyikasee und studiert das Sozialverhalten
der Buntbarsche. Abends tischt Familie Mwewa
Reis, Kartoffeln, Fisch, Kohlsalat und Poulet auf,
und Luxus ist, wenn es noch ein warmes Bier gibt,
bevor alle unters Moskitonetz schlüpfen.

Von Dario Josi

    Es ist wieder August, ich packe meinen       material, Boot mit Motor, Feldlabor, Gene-       zwei, drei Matratzen und einem Moskito-
Reiserucksack für meine zweite Afrika-           rator und Solarpanels, denn es gibt keinen       netz ausgestattet sind. Zwei Unterstände
Expedition. Ich reise für drei Monate in         Strom in der Lodge. Nach einigen Telefo-         dienen uns als Esszimmer und Aufenthalts-
den Norden von Sambia. Die ehemalige             naten und Wartezeiten – Geduld heisst in         raum. Sie sind zum Schutz gegen Sonne
britische Kolonie gilt politisch als eines der   Afrika das Zauberwort – taucht der               und Regen ebenfalls mit Stroh überdacht,
sichersten Reiseländer im südlichen Afrika.      Schlüssel zu diesen Räumen endlich auf           aber ringsum offen. Das Plätschern des
Am südlichen Ufer des Tanganyikasees,            und nach weiteren langen Verhandlungen           Sees und Zirpen der Zikaden verwandelt sie
dem zweitgrössten See Afrikas und zweit-         über die Kosten kann das ganze Material          in eine lauschige Pergola zum Geniessen
tiefsten See der Erde, werden wir unser          per Boot in 20 Minuten zu unserer Lodge          und Beobachten von Natur und zahlreichen
Forschungsprojekt zur Evolution von koope-       gebracht werden. Vier Tage nach Abflug           Tieren: Fischotter, Chamäleons, Skorpione,
rativem Brüten an den Buntbarschen fort-         aus der Schweiz bin ich endlich am Ziel          Spinnen, Schlangen, Hundertfüssler,
setzen. Anders als im letzten Jahr bin ich       meiner Reise angekommen: im Fischerdorf          Varane, Vögel, Treiberameisen, Schmetter-
diesmal Expeditionsleiter eines vierköpfigen     Kasakalawe in der «Tanganyika Science            linge und Affen. Der See ist unsere einzige
Teams und somit für die Organisation und         Lodge».                                          Frischwasserquelle. Gegen den Durst filtern
das Gelingen verantwortlich. Dementspre-                                                          wir das Seewasser zu Trinkwasser, obwohl
chend angespannt gehe ich am Flughafen           Die Lodge                                        der Geschmack anfangs etwas gewöh-
in Gedanken meine Checkliste durch: Habe         Die Lodge wird von der einheimischen             nungsbedürftig ist. Ein Feuer unter einem
ich an alles gedacht und eingepackt? Flug-       Familie Mwewa geführt. Sie bekochen uns          Metallfass sorgt nach einem kräftezeh-
tickets für mich, mein Team, Kreditkarten,       am offenen Feuer, waschen, helfen bei            renden Tauchtag für eine wohltuende,
alle wichtigen Dokumente für die Be-             schwierigen Gesprächen und langwierigen          warme Dusche.
hörden, Medikamente und Malariapro-              Verhandlungen mit den Einheimischen;
phylaxe für drei Monate, sämtliche Ersatz-       kurzum sie sorgen für unser tägliches            Der Forschungs-Alltag
teile, Neoprenanzug inklusive Taucherbrille,     Wohlergehen und tragen viel zum erfolg-          Auf die erste Euphorie folgt bald ein mono-
Flossen und ein paar wenige, für mich aber       reichen Gelingen der Expedition bei. Die         toner, aber gut eingespielter Alltagsrhyth-
wichtige Sachen, wie schwarze Schokolade,        Logde selber ist sehr einfach. Sie besteht       mus. An sechs aufeinanderfolgenden Tagen
Bücher und Musik. Pünktlich hebt die             aus fünf Steinhütten mit Strohdach, die mit      tauchen wir jeweils zwei Mal zwei bis drei
Emirates-Maschine Richtung Dubai ab.
Endlich kann ich zurücklehnen und mich
vom Packstress der letzten Tage erholen.
    Nach einem kurzen Aufenthalt fliegen
wir weiter nach Lusaka, der Hauptstadt
von Sambia. Hier beginnt das Abenteuer
«Afrika-Expedition» erst richtig. Ein Über-
landbus, in nicht sehr vertrauenswürdigem
Zustand, mit zerbrochener Frontscheibe,
engen fünfplätzigen Sitzreihen und stickiger
Luft, fährt uns über holprige, mit Schlag-
löchern versetzte Strassen nach Mpulungu,
der Hafenstadt am Tanganyikasee. Vier
kurze Stopps unterbrechen die anstren-
gende und unberechenbare zwanzigstün-
dige Fahrzeit. Vor jeder Fahrt werden die
Busse durch einen Priester mit lautstarken
Bibelzitaten gesegnet. Während der Fahrt
werde ich mit afrikanischer Musik beschallt
und mit Filmen unterhalten.
    In Mpulungu befindet sich das sambi-
sche Departement für Fischerei mit dem
wir, das Institut für Verhaltensökologie der
Universität Bern, eng zusammenarbeiten.
Dort ist auch unser ganzes Expeditions-
material eingelagert: Kompressor, Tauch-         Dario Josi mit Blessing, einem Enkel des Ehepaars Mwewa.

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8   UniPress   164/2015
Stunden ab, um möglichst viele Daten zu
erheben. Die Arbeitstage beginnen um
sieben Uhr mit Maisbrei zum Frühstück,
dann wird sämtliches Tauchmaterial ins
Boot verladen und der Bootsführer bringt

                                                                                                                        Ta
uns an den gewünschten Arbeitstauchplatz.

                                                                                                                           ng
                                                                                                                             an
Ich arbeite an acht verschiedenen Fisch-

                                                                                                                               yik
Populationen, von denen ich sieben regel-

                                                                                                                                   a
                                                                                                                                 s ee
mässig mit dem Boot anfahre. Zwei davon
befinden sich direkt neben einem kleinen
Hafen, der seit Jahren von einem Krokodil
bewohnt wird. Ich habe es schon vom Boot                                     DR Kongo
aus beobachtet, unter Wasser bin ich ihm                                                 Tansania                       Crocodile Island
glücklicherweise noch nie begegnet. Nach
dem Mittags-Sandwich und dem zweiten
Tauchgang machen wir uns spätnachmit-                                               Sambia
                                                                                                                          Mbita Island
tags auf den Rückweg. Zurück in der Lodge
ist die Arbeit noch lange nicht beendet.
    Bevor es dunkel wird muss sämtliches
Tauchmaterial zum Trocknen aufgehängt                                                                                              Kasakalawe
werden, alle Daten müssen digitalisiert sein
(vorausgesetzt die Stromversorgung klappt),
und Gewebeproben in Alkohol fixiert              Sambia
werden. Zuletzt brummt der Kompressor             • Dario Josi, 24, aus Thun                           einem dominanten Brüterpaar und so-
bis in die Nacht hinein, bis alle Tauch-          • Expeditionsleiter, Master-Student                  genannten Helfern, die an der Jungen-
flaschen wieder aufgefüllt sind. Dazwischen       • Institut für Ökologie und Evolution,               aufzucht, der Territorienpflege und
wird uns ein feines Nachtessen serviert.            Abteilung Verhaltensökologie                       der Verteidigung beteiligt sind. Wir er-
Zwar tagtäglich die gleiche Mischung aus          • Ort: Sambia, Tanganyika Science Lodge,             forschen, wie ökologische Faktoren
Reis, Kartoffeln, Fisch, Kohlsalat und Poulet,      Kasakalawe, 5 Kilometer von Mpulungu               (Raubdruck, Habitatbeschaffenheit,
aber Familie Mwewa kocht grossartig, und            entfernt                                           Nahrungsangebot usw.) in verschie-
der Appetit übertönt die Eintönigkeit. Bei        • Projekt: Wir arbeiten mit einem der                denen Populationen die Verwandtschaft
Kerzenschein und Stirnlampenlicht lese ich          wenigen kooperativ brütenden Bunt-                 und Struktur dieser Gruppen beein-
noch ein paar Zeilen oder gönne mir ein             barsche (Neolamprologus pulcher) des               flussen.
warmes Bier, was hier ein absoluter Luxus-          Tanganyikasees und versuchen zu                  • Finanzierung: Schweizerischer National-
artikel ist. Hier endet mein Tag, denn kurz         verstehen, wie solche Sozialsysteme                fonds (SNF)
vor zehn Uhr liege ich meist todmüde unter          entstanden sind. Neolamprologus                  • Weitere Infos:
dem Mosquitonetz in meiner Hütte.                   pulcher lebt in Gruppen bestehend aus              http://behav.zoology.unibe.ch

Ausflug in Fischerdörfer
Der siebte Tag ist tauchfrei. Diesen Tag
nutzen wir zur Erholung, aber auch zum
Pflegen unserer Füsse und anderer Bles-
suren, die durch ständige Nässe leiden.          verbringen die Männer und Jungen in ihren          haben. Unser neues Projekt soll mit einem
Häufig dient uns dieser Tag auch dazu,           Kanus mit Petroleumlampen auf dem See              ausgetüftelten Kochsystem die Abholzung
neues Benzin aus der Stadt zu organisieren,      und fangen Kapenta (Süsswassersardinen),           reduzieren und einen Beitrag zur Nach-
was eine ziemliche Herausforderung ist, da       die dann am Morgen zum Trocknen ausge-             haltigkeit leisten.
die Tankstellen meist leer sind und es einen     legt werden. Gekocht wird mit Holzkohle,
riesigen Schwarzmarkt mit gepanschtem            deren Produktion der Hauptgrund für die            Was bleibt – weniger ist mehr
Benzin gibt.                                     Rodung der Baumsavanne in Afrika ist.              Die Faszination der Erforschung der Sozial-
    Manchmal bleibt auch Zeit für einen                                                             systeme der Buntbarsche, das Tauchen an
Ausflug in die benachbarten Fischerdörfer.       Wir versuchen etwas zu verändern                   Orten, die als die artenreichsten der Welt
Dabei werden wir von unserem Bootsführer         Das Team von Professor Michael Taborsky            gelten, das Teilhaben und der Versuch, die
begleitet, denn in den zum Teil abgele-          forscht seit über 20 Jahren am Tanganyi-           Tradition und fremde Kultur zu verstehen,
genen Fischerdörfern sind die Erwachsenen        kasee. Die Unterstützung der lokalen Be-           das Leben unter einfachsten Bedingungen,
schnell verwundert, wenn plötzlich weisse        völkerung ist ein wichtiger Teil unserer           die Naturverbundenheit abseits der Zi-
Menschen durch ihr Dorf schlendern,              Expedition. Hier gilt das Augenmerk vor            vilisation und das Erfahren persönlicher
während die Kinder laut schreiend zusam-         allem der Bildung. Die Schulen in den              Grenzen; all das sind unvergessliche
menlaufen, um uns auf Schritt und Tritt          Fischerdörfern sind oft in einem sehr              Momente, Begegnungen und Erlebnisse.
zu folgen und unsere weisse, unbekannte          schlechten Zustand, es gibt weder Tafeln           Eine Erfahrung, die bleibt. Ich jedenfalls
Haut berühren wollen. Da ihre Kenntnisse         noch Stühle. Viele Familien können sich            freue mich schon auf die nächste Expedi-
in Englisch etwa so gut sind wie die mei-        das Schulgeld nicht leisten. In den letzten        tion.
nigen in ihren Stammessprachen Bemba             Jahren haben wir die Schulen in den
oder Lungu, ist ein einheimischer Dol-           Dörfern Kasakalawe und Chikonde unter-             Kontakt: Dario Josi,
metscher sehr hilfreich. Die Leute leben hier    stützt, indem wir Wandtafeln, Pulte, Fenster       Institut für Ökologie und Evolution,
ausschliesslich vom Fischfang. Jede Nacht        sowie Schreibmaterial und Hefte finanziert         dario.josi@iee.unibe.ch

                                                             Forschen in der Welt                                          UniPress      164/2015   9
10   UniPress   164/2015
Ein Tag in Himera
Sieben Wochen mit minimaler Privatsphäre,
Sechstagewoche mit Zwölfstundentagen, höchste
Konzentration in der sizilianischen Gluthitze – um
auszugraben, was Menschen vor 2500 Jahren
hinterlassen haben: Das ist die archäologische
Grabungskampagne Himera.

Von Matthias Edel

Montag, 5.00 Uhr, der Wecker klingelt.          renden. Ein Teil der geborgenen Funde          40 Grad im Schatten auf dem baumlosen
Wie in Trance bewegt sich mein Körper           bildet die Basis meiner eigenen Forschung      Plateau unabdingbar sind. Sonnenbrände
zur alltäglichen Routine am Morgen eines        (Dissertation).                                und kleinere Verletzungen sind ohne dies
Grabungstages – Bad, ankleiden, die Tages-                                                     vorprogrammiert. Nur selten wird man von
ration und ein leichtes Frühstück zuberei-      Mit Hut, Handschuhen                           einem kühlen Sturzregen überrascht.
ten, meine Unterlagen und mindestens vier       und Zehenschutzplatten                            Wenn alle an ihrem Schnitt sind und mit
Liter Wasser in den Rucksack packen. Nach       Der erste Stopp ist ein Magazin, in wel-       dem Graben beginnen, überprüfe ich in
und nach kommen die Studierenden aus            chem ein Teil unserer Werkzeuge (Schau-        meinem Areal mit dem Nivelliergerät die
ihren Zimmern und folgen einem ähnlichen        feln, Schubkarren, Eimer und Weiteres)         Tageshöhe, um die Schnitttiefen zu erfassen
Muster. Ab und zu vergessen sie etwas           lagert. Diese müssen noch in die PKWs der      und mache mir Notizen zu den Wetter-
Wichtiges einzupacken – H2O und ihre            wartenden Arbeiter rein, dann geht’s weiter    bedingungen und dem aktuellen Stand
Verpflegung! Ab 5.45 Uhr beginnen wir zu        auf den Hügel. Auf dem Weg grüssen uns         der Arbeiten. Anschliessend stelle ich den
dritt den Kleinbus zu packen, mit dem neun      einige Anwohner, die erfreut sind, dass wir    Tachymeter auf, um freigelegte Mauerreste
Personen sowie die Ausrüstung und Werk-         diesen Sommer wieder gekommen sind, um         und weitere Befunde einzumessen. Dabei
zeuge transportiert werden. Ein Tachymeter,     ihre Geschichte zu erforschen. Manchmal        kommen mir diverse Fragen in den Sinn,
Nivelliergeräte, Fotokameras sowie eine         geben sie uns frische Früchte mit und          zum Beispiel: Was war das für ein Ge-
Notfall-Wasserreserve haben dabei einen         erkundigen sich, ob wir etwas «Tolles»         bäude? Was geschah hier? Werden uns
festen Platz. In den zweiten PKW für fünf       gefunden haben. Auf dem Hügel ange-            die Kleinfunde helfen, eine zeitliche Ein-
Personen wird parallel die schriftliche Doku-   kommen, wird die Ausrüstung aus beiden         ordnung und Bestimmung des Komplexes
mentation und Vergleichsliteratur für           PKWs entladen und je nach Grabungs-            zu ermöglichen?
Keramik und Architekturteile eingepackt.        bereich sortiert. Beispielsweise landen vier
    Um 6 Uhr ist Abfahrt für beide Fahr-        Schaufeln, drei Spitzhacken, Eimer, Kellen     Im Schatten des Kakteenhains
zeuge. Ich fahre den Bus von unserer            und leere Fundkisten in der ersten Schub-      9 Uhr, die 15-minütige Pause – am Boden
«Homebase» zum etwa 15 Fahrminuten              karre. Da die meisten Studierenden noch        im Schatten einiger Kakteen hockend –
entfernten Piano Tamburino – einem Hoch-        nicht ganz wach sind, lasse ich das            bringt eine leichte Abkühlung. Nach diesem
plateau an der Nordküste Siziliens, 47 Kilo-    Ausladen langsam angehen und drücke            Frühstück mit Sandwiches, Obst oder
meter östlich von Palermo. An dieser Stelle     jedem etwas in die Hand. Daneben werden        leichten Salaten geht es zurück in meinen
haben die Griechen im Jahr 649 vor              die Arbeiter, die sehr froh über diese         Schnittbereich, ich gebe Arbeitsanwei-
Christus weit vorgeschoben in kartha-           einmonatige Anstellung sind, von Profes-       sungen, Hilfestellungen und Einschätzun-
gisches Einflussgebiet Himera gegründet,        sorin Mango hinsichtlich der Schutzaus-        gen und frage zugleich in einem kurzen
die einzige Koloniestadt im Norden der          rüstung kontrolliert und auf ihre heutigen     Gespräch nach dem allgemeinen Befinden
Insel, die 409 vor Christus von den Kartha-     Aufgaben hingewiesen. Dann laufen sie mit      der Teilnehmer. Neben der alltäglichen
gern zerstört wurde. Dort befindet sich das     ihren «Schnittleitern» zu den grossräumig      physischen Belastung durch das heisse
Grabungsareal, wo das Institut für Archäo-      verteilten Schnitten im Gelände und            Klima sowie die körperliche, ungewohnte
logische Wissenschaften mit einem Team          beginnen mit den Grabungsarbeiten.             Arbeit ist die psychologische Komponente
von 13 Leuten unter Leitung von Pro-                Wieder hat ein Student keine Kopf-         enorm wichtig. Die mentale Herausforde-
fessorin Elena Mango seit 2012 auf dem          bedeckung dabei! Also muss improvisiert        rung, sich auf sieben Wochen mit mini-
bisher unerforschten Gebiet des Piano del       werden. Ein Halstuch wird umfunktioniert,      maler Privatsphäre einzulassen, sechs Tage
Tamburino nach antiken Überresten sucht.        das tut’s auch. Oftmals werden andere          pro Woche mindestens zwölf Stunden zu
In meiner Position als Grabungsassistent        Teile der persönlichen Schutzausrüstung        arbeiten und dabei möglichst keine Fehler
obliegen mir neben der Organisation und         vergessen, wie Handschuhe, Sonnen- oder        zu begehen sowie die Konzentration und
Vor- und Nachbereitung der siebenwö-            Knieschutz, Dinge, die zusammen mit            Aufmerksamkeit permanent hoch zu halten
chigen Kampagne die Vermittlung von             der richtigen Kleidung (Hut, langärmlige       und dazu seine eigenen Belange und Pro-
Grabungs- und Vermessungstechniken              Hemden und Hosen, festes Schuhwerk mit         bleme für den Teamfrieden hinten anzu-
sowie die Betreuung der jungen Studie-          Zehenschutzplatte) bei Temperaturen bis        stellen, wird oft unterschätzt.

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Nach einer 30-minütigen Mittagspause,
wo das ganze Team inmitten des einzigen
Schatten spendenden Kakteenhains zu-
sammensitzt, bekommen wir heute Besuch
von der Leitung des archäologischen Parks,
von Professoren aus Palermo, einem Ver-
treter des archäologischen Dienstes sowie
Lokalpolitikern. Die Führung der Gäste ob-
liegt Professorin Mango. In den heissesten
Stunden zwischen 13 und 15 Uhr achte ich
besonders darauf, dass die Leute regelmäs-
sig trinken und ihren Sonnenschutz tragen.
Die Zeit scheint langsamer zu laufen und
die schweisstreibenden Arbeiten gehen
schleppend voran, doch ich versuche,
möglichst alle Teilnehmer zu motivieren und
bei Laune zu halten – der Feierabend naht.

Spannende Spätschicht im Büro
Ab 15.30 Uhr heisst es, alles aufzuräumen
und mit System in den Bus zu packen. Die
Tagesfunde (Münzen, Keramik-, Architek-
tur-, Metall- und Terrakottafragmente)
werden von Elena Mango ins Museum             Das Team gräbt im heissen Klima Siziliens in verschiedenen Schnitten im Gelände.
gebracht, während der Bus die Werkzeuge
in das Magazin und das Team zur Home-
base bringt. Damit enden zwar die an-
strengenden Grabungsarbeiten, doch in der
Unterkunft stehen weitere Aufgaben für
mich an. Dazu zählen Besorgungsfahrten in
die umliegenden Dörfer, die Sicherung der
Mess- und Foto-Daten sowie die entspre-
chenden Nachbearbeitungen, die mich oft
bis in die Nacht beschäftigen, und die
Vervollständigung meiner handschriftlichen                                                                     Messina
Dokumentation. Nach der täglichen, von
Professorin Mango um 19 Uhr geleiteten                       Palermo
Teamsitzung (zum Stand der Arbeiten                                               Himera
sowohl auf dem Gelände als auch bei der
Fundbearbeitung im Museum und zur
                                                                            Sizilien                    Catania
Organisation des nächsten Tages) folgt
gegen 20.30 Uhr das Nachtessen. Während
das Team danach noch gesellig zusammen-
sitzt, verschwinde ich meist ins Büro und
arbeite an den Vermessungsplänen oder
kontrolliere die Fotos der Grabungsbefunde
und Einzelfunde. Dies ist für mich zugleich
eine Kontrollmöglichkeit, um Mängel zu
beheben und neuen Fehlern vorzubeugen,
aber auch die spannende, einzige Chance,
Einsicht in die parallel laufenden Arbeiten
am Fundmaterial zu erhalten.                  Sizilien
    Zwischen 22 und 23 Uhr kehrt langsam      • Matthias Edel, 33, aus Deutschland                 delungsphasen des Gebietes, die Ver-
Ruhe ein und die Studierenden ziehen sich     • Assistent Feldforschung, Doktorand                 bindungswege zur Unterstadt und zum
auf ihre Zimmer zurück. Häufig schlafen       • Institut für Archäologische Wissen-                östlich angrenzenden Piano di Imera
alle, wenn ich zu Bett gehe. Noch ein           schaften, Archäologie des Mittelmeer-              sowie die Zugangsstrasse vom Hinter-
kurzer Blick auf den Wecker – 23.18 Uhr –       raumes                                             land. Dies ermöglicht es, die Funktion
gut, immerhin mehr als fünf Stunden           • Ort: Buonfornello (Himera), 47 km östlich          und Bedeutung des Piano del Tamburino
Schlaf, bevor der nächste aufregende            von Palermo, zwischen den Flüssen                  innerhalb der urbanistischen Organisa-
Grabungstag beginnt.                            Fiume Grande und Fiume Torto an der                tion der Koloniestadt zu untersuchen
                                                Nordküste Siziliens                                und gleichzeitig seine Beziehung zum
Kontakt: Matthias Edel,                       • Projekt: Auf dem rund 30 Hektar                    sikanischen Hinterland zu betrachten.
Institut für Archäologische Wissenschaften,     grossen, weitgehend unerforscht geblie-          • Förderung: Schweizerischer National-
Archäologie des Mittelmeerraumes,               benen Hochplateau soll folgendes ermit-            fonds (SNF)
matthias.edel@iaw.unibe.ch                      telt werden: Ausdehnung, Art und Besie-          • Weitere Infos: www.iaw.unibe.ch

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Daten sammeln, wo der Pfeffer wächst
Mit der Piroge, dem Offroader und zu Fuss ist
Julie Zähringer im kaum zugänglichen Nordosten
Madagaskars unterwegs, um die Daten für ihre
Doktorarbeit zusammenzutragen. Wenn sie als
erste Weisse seit der Kolonialzeit in den Dörfern
ankommt, ist die Überraschung riesig – die Freude
nicht immer auf Anhieb.

Von Julie Zähringer

Sobald das kleine Flugzeug der Air Mada-       diesen Momenten sind Chauffeur und Lotse
gascar auf der holprigen Piste des Flug-       gefordert, die das Auto durch eine mög-
hafens Maroantsetra zwischen Reisfeldern       lichst seichte Stelle im Fluss oder auf ein
mit grasenden Zeburindern aufgesetzt hat       zusammengezimmertes Floss navigieren
und die Tür geöffnet wird, schwappt ein        müssen. An den wenigen Orten mit einer
Schwall feuchtheisser, nach Vanille, Nelken    staatlichen Fähre wird das Benzin für die
und Pfeffer duftender Luft herein. Der         Überfahrt direkt mit dem Mund aus dem
Nordosten Madagaskars gehört zu den            Tank unseres Autos gesogen, während
noch am wenigsten erschlossenen                daneben seelenruhig geraucht wird …
Gegenden der Welt, ist er doch auf dem
Landweg kaum zugänglich. Der Distrikt-         Illegaler Rosenholzhandel
hauptort Maroantsetra ist ein idealer          Wir werden dort, wo wir ins Landesinnere
Ausgangspunkt für Expeditionen ins             abzweigen möchten, abgesetzt und suchen
Landesinnere – und die Heimat von Paul         nach jungen Männern, die wir als Träger
Clément Harimalala, meinem Forschungs-         anheuern. Die Verhandlungen sind oft
assistenten, Übersetzer und Logistiker.        mühsam, da der in der Region grassierende
   Für meine Dissertation zum Verständnis      illegale Rosenholzhandel zu einem horren-
von Landschaftsveränderungen auf regio-        den Anstieg der Tageslöhne geführt hat.
naler Ebene benötige ich Informationen         Sind die Träger gefunden, wird das Gepäck
zur Landnutzung der lokalen Bauern. In         an Bambusrohren festgezurrt und los
Madagaskar gibt es bis jetzt leider keinen     geht es im Gänsemarsch in die dicht
genügend detaillierten landwirtschaftlichen    bewachsenen Hügel hinein. Das Marsch-
Zensus, deshalb muss ich die benötigten        tempo ist zügig, sind sich die Madagassen
Daten selber erheben.                          doch gewohnt, weite Strecken zu Fuss
   Der logistische Aufwand für die Daten-      bewältigen zu müssen. Die sengende Sonne
sammlung ist gross, denn die Dörfer der        wechselt sich ab mit tropischen Regen-
Region sind nur zu Fuss erreichbar. Ausser-    güssen.
dem müssen sämtliche Lebensmittel wie              Normalerweise erreichen wir das erste
auch die Campingausrüstung mitgeschleppt       der Studiendörfer nach einem Tagesmarsch.
werden. Wir unternehmen deshalb von            Dann suchen wir die Hütte des Dorfchefs
Maroantsetra aus mehrere zweiwöchige           auf und warten, bis dieser von der Arbeit
Expeditionen in verschiedene Dörfer im         in den Reisfeldern zurückkehrt. Die Dorf-
Landesinnern. Oft wird der erste Teil dieser   bewohner sind über unseren Besuch stets
Expeditionen mit einer Piroge (Einbaum)        sehr überrascht, da eine Ankündigung
auf einem der zahlreichen Flüsse oder im       ohne Mobilfunknetz und funktionierender
Offroader auf der einzigen Strasse der         Post schwierig ist. Nachdem Paul Clément
Region entlang der Küste absolviert, be-       Harimalala unser Anliegen, mit der Dorf-
vor es zu Fuss weiter geht. Was hier als       bevölkerung zu arbeiten, ausführlich erklärt
Nationalstrasse bezeichnet wird, ist jedoch    hat, erhalten wir vom Chef meistens schnell
eine katastrophale Buschpiste, die immer       die Bewilligung. Dabei hilft, dass Paul als
wieder durch Flüsse unterbrochen wird. In      älterer Mann, der wie der Grossteil der

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Lokalbevölkerung von der Ethnie der Bet-
simisaraka stammt, respektiert wird. Denn
gerade in Dörfern, die nahe bei Schutz-
gebieten liegen, sind die Leute oft sehr
misstrauisch gegenüber Ausländern und                                                            Maroantsetra
auch gegenüber Madagassen aus anderen
Regionen des Landes.

Der Ältestenrat wird einberufen
Aber es kann auch anders kommen, wie                                                            Toamasina
im Dorf Banda. Dort weigert sich der Dorf-
Chef zunächst kategorisch, uns im Dorf                                               Antananarivo
zu beherbergen. Zudem will er uns in den
Hauptort der Gemeinde schicken, der zwei
Tagesmärsche entfernt liegt, um eine Be-                                           Madagaskar
willigung des «Bürgermeisters» einzuholen.
Da viele Leute nur schlecht schreiben und
lesen können, nützt auch die mitgebrachte
schriftliche Forschungserlaubnis des
Umweltministeriums wenig.
   Nach langem Hin und Her wird
beschlossen, dass zuerst der Ältestenrat
tagen muss, um eine Entscheidung zu
treffen. Immerhin bekommen wir die
Erlaubnis, uns für die Nacht niederzulassen.    Madagaskar
Wir können unsere Zelte unter dem               • Julie Zähringer, 29, aus Kreuzlingen          Reis, bedroht. Durch eine Kombination
schützenden Blechdach eines halb fertig         • Doktorandin                                   von Satellitenbildanalyse und sozioöko-
gebauten Holzhauses aufstellen. Dank dem        • Centre for Development and                    nomischen Daten wird versucht, den
Spektakel einer mit einem Zelt hantie-            Environment (CDE)                             Landschaftswandel der letzten 16 Jahre
renden weissen Frau bildet sich bald ein        • Ort: Maroantsetra ist eine Stadt an der       sowie gegenwärtige Ansprüche
enger Kreis aus Alt und Jung um uns               Nordostküste der Insel Madagaskar in          verschiedener Akteure an Ökosystem-
herum. In vielen der besuchten Dörfern bin        der Region Analanjirofo und Provinz           leistungen besser zu verstehen. Ziel ist,
ich seit dem Ende der Kolonialzeit die erste      Toamasina. Die Stadt liegt am nörd-           eine Datenbasis zu schaffen für zukünf-
weisse Person im Dorf, was insbesondere           lichen Ende der Bucht von Antongil            tige Verhandlungen zur Verminderung
bei den Kindern eine Mischung aus Schau-          (15° 26’ S, 49° 45’ O).                       von Landnutzungskonflikten.
dern und Neugier hervorruft. Eine Frau          • Projekt: Die biodiversitätsreichen          • Finanzierung: Centre for Development
fragt erstaunt, auf welchem Weg denn die          Wälder im Nordosten Madagaskars sind          and Environment (CDE) der Universität
Vaza (Fremde) das Dorf erreicht habe, da          durch die fortschreitende Ausbreitung         Bern
sich die Kolonialherren früher anscheinend        der Landwirtschaft, insbesondere die
in Sänften in die Dörfer tragen liessen.          Brandrodung für den Anbau von Berg-
Auch beim täglichen Bad im Fluss oder
beim Filtern von Flusswasser zum Trinken
bleibe ich selten lange alleine, denn die
Kinder warten mit dem Abwasch oder der             Schliesslich erhalten wir die Erlaubnis   rück, um die gesammelten Daten in den
Körperhygiene immer gerne, bis auch ich        und können mit der Arbeit beginnen. Vor       Computer einzutippen und die nächste
das steile Flussufer hinabsteige.              Beginn wird durch den Ruf des Muschel-        Mission zu planen.
                                               horns die gesamte Dorfbevölkerung                 Obwohl auch im Distrikthauptort das
Mit dem Segen der Ahnen                        versammelt, um sie über den Sinn und          Wasser zum Duschen aus dem Brunnen ge-
In Banda findet am nächsten Tag eine           Zweck unserer Arbeit zu informieren. Es       schöpft werden muss, im Garten Orchideen
Ahnenzeremonie statt, deshalb kann der         reicht aber nicht, dass Paul auf Mada-        wachsen, Chamäleons der Stromleitung
Ältestenrat erst danach zusammenkommen.        gassisch spricht. Die Dorfbevölkerung         entlang spazieren und fast alle Strassen aus
Dafür werden wir zur Zeremonie ein-            fordert lautstark, die Stimme der Vaza zu     Sand bestehen, kommt durch die lebendige
geladen, die auf dem Feld einer Familie        hören und so muss auch ich eine kleine        Marktatmosphäre so etwas wie ein Stadt-
stattfindet, welche vor einiger Zeit zwei      Rede halten.                                  gefühl auf. Aber spätestens vor der Abreise
Familienmitglieder verloren hat. Mit der           Um die Veränderungen der Landschaft       wird man sich wieder bewusst, wie isoliert
Opferung von zwei Zebus nimmt die              und die aktuelle Landnutzung besser zu        diese Gegend ist. Denn hier wartet man vor
Familie mit den Ahnen Kontakt auf und          verstehen, diskutieren wir zunächst mit       dem Abflug nicht im Terminal des Airports,
holt ihren Segen für die Gesundheit ein.       einer Gruppe von älteren Dorfbewohnern        sondern zu Hause – bis man das Flugzeug
Dazu wird Reis gegessen, der in riesigen       den Wandel seit der Kolonialzeit. Wir         anfliegen hört, das Maroantsetra zweimal
Töpfen gekocht wird, und lokaler Zucker-       zeichnen eine Karte des Dorfes, die zeigt,    die Woche mit der Hauptstadt Antanana-
rohrschnaps gebechert. Da nach diesem          welcher Haushalt welche Arten von Land-       rivo verbindet.
Tag niemand mehr in der Verfassung             nutzung betreibt und interviewen zusätzlich
ist, eine wichtige Entscheidung zu treffen,    einzelne Haushalte im Detail. Nach jeder      Kontakt: Julie Zähringer,
wird der Ältestenrat erneut um einen           Expedition, die uns in zwei, drei Dörfer      Centre for Development and Environment,
Tag verschoben.                                führt, kehren wir nach Maroantsetra zu-       julie.zaehringer@cde.unibe.ch

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Als Germanist unter Palmen
Erkläre ich, wieso ich als literaturwissenschaftlicher
Doktorand zum Arbeiten nach Indonesien reise,
ernte ich zaghaften Widerspruch. «Ja aber …»
heisst es, «etwas Zeit für einen Ausflug ans Meer
werdet ihr schon haben.» Ohne Urlaubsabsicht
nach Indonesien zu fahren, scheint in unserem
Metier fast etwas obszön zu sein.

Von Fermin Suter

Die ersten Tage sind unvermeidbar exotisch.     heisst es, «etwas Zeit für einen Ausflug ans    befreiten Forschungssituation verhalten
Der Ruf des Muezzins, Kopftücher, Nasi          Meer werdet ihr schon haben.» Ohne              wird, und wie er dies in seine Forschung
Goreng an Essensständen, Hühner und             Urlaubsabsicht nach Indonesien zu fahren,       integrieren könnte. Von meiner akade-
Truthähne in Innenhöfen, Geckos an den          scheint in unserem Metier fast etwas            mischen «comfort zone» bin ich jedenfalls
Wänden unseres Hauses, lächelnde Ge-            obszön zu sein.                                 weit entfernt.
sichter, von Motorrädern überquellende
Strassenzüge, und natürlich das Klima, das      Staunen, Freude, Scham und Schuld               Schweiss, Zweifel
mittags als Hitze, nachmittags als sturz-       In Yogyakarta untersuche ich die Emotions-      und eine abstrakte Wut
flutartiger Regen den Gang der Dinge            arbeit von informellen Guides und Touris-       Und dann stehe ich also, durchschwitzt, mit
regelmässig zum Erliegen bringt. Genauso        ten: Was tragen Staunen, Freude, Scham-         Kopfschmerzen, stets etwas übermüdet und
kenne ich Indonesien aus jenen Reise-           und Schuldgefühle, Verbrüderung und             schlecht vorbereitet, an einer lärmigen
berichten, die normalerweise meine For-         Misstrauen dazu bei, wie ein fremder als        Strasse in Yogyakarta, Notizbuch und Blei-
schungsobjekte sind. Das Überraschendste        gemeinsamer Ort erlebt wird? Aber ich           stift griffbereit, unterwegs zur Touristen-
an diesen ersten Eindrücken ist, dass sie       bin ja gar kein Sozialanthropologe. Feld-       attraktion Wasserschloss. Ich unterhalte
wenig überraschend sind und sich alle           forschung unter Normalbedingungen hiesse        mich mit einem Rikscha-Fahrer und be-
Erwartungen an die Andersartigkeit des          für mich, in ein Archiv zu steigen, Auto-       merke, was ich schon wusste: dass ich kein
Landes bestätigen. Im Rahmen unserer            rennachlässe zu durchwühlen. Doch meist         Ethnologe bin, sondern Germanist, dass ich
Kollaboration mit Sozialanthropologinnen        reicht das Büro-Ensemble von Tisch, Stuhl,      mich selbst als Feldforscher nicht ganz ernst
und Primatologinnen der Freien Universität      Computer und Bücherregal aus, vielleicht        nehmen kann, dass es darum vielleicht
Berlin bin ich im Januar 2015, quasi als Teil   mal etwas Tageslicht in der Pause. Diese mir    keine so gute Idee war, hierher zu kommen,
einer literaturwissenschaftlichen Berner-       neue Feldarbeit dagegen soll erfahrungs-        dass ich die für ethnographisches Arbeiten
Delegation, nach Yogyakarta, Indonesien         intensiv und entsprechend etwas für Erfah-      geforderte methodische Reflexion und den
gereist. Während der kommenden vier             rene sein. Eine Aura von Ernsthaftigkeit        persönlichen Einsatz nicht mitbringe. Ist das
Wochen werden wir hier zwecks Metho-            umgibt «das Feld», es ist die «rite de          der Extremfall interdisziplinären Methoden-
denaustausch einen Feld- und Selbstversuch      passage» für den Forschernachwuchs. «Die        transfers: Schweiss, Zweifel und eine ab-
unternehmen. Das bedeutet erstens: Eine         Affekte der Forscher», mit denen sich unser     strakte Wut auf abstrakte Forschungspläne?
kleine Ethnographie in Yogyakarta, und          Projekt beschäftigt, sind hier also nicht nur   Es scheint, «das Feld» und die Selbsterfah-
zweitens: die Freilandbeobachtung von           Begleiterscheinung, sondern Programm: Die       rung sind ganz nah.
nichtmenschlichen Primaten.                     Freuden und Entbehrungen im Feld dürfen             Die folgenden Tage und Wochen sind
    Wie rechtfertigt man den finanziellen       wir jetzt am eigenen Leib erfahren, um          geprägt von der Suche nach einem Tages-
und zeitlichen Aufwand nach aussen und          gerade dadurch besser zu verstehen, wie         rhythmus. Aufstehen und hinaus, bevor die
vor sich selbst? Erkläre ich, wieso ich als     sie den Forschungsprozess beeinflussen.         Hitze zu gross oder der Regen zu stark
literaturwissenschaftlicher Doktorand zum           «Es wandelt niemand ungestraft unter        wird, mich selbst als Köder in die Men-
Arbeiten nach Indonesien reise, ernte ich       Palmen» seufzt der Germanist unweigerlich       schenströme werfen, Gespräche suchen,
zaghaften Widerspruch. «Ja aber …»              und fragt sich, wie er sich in einer text-      schnellstmöglich Erlebtes niederschreiben.

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Dann zurück nach Hause, Notizen ver-
schriftlichen, Kaffee trinken gegen die
Müdigkeit, über dem produzierten Material
brüten, Gespräche führen mit den mit-
gereisten Kolleginnen, den nächsten Tag
planen, das Gefühl ignorieren, nicht
vorwärtszukommen, sich freuen über
scheinbar Nebensächliches wie das Essen.
Aber der Reiz des Neuen ist schon lange
verflogen: Die immer selben Rundgänge,
auf die mich Guides mitnehmen wollen,
langweilen mich, die lokalen Sehenswürdig-
keiten kenne ich, Gesprächsanfänge
und die Fragen nach Herkunftsland und
Reisegrund wiederholen sich, Batik-Shops,
in die man allzu oft zwecks Souvenirkauf
gelotst wird, habe ich für den Rest meines
Lebens genug gesehen, und immer öfters
kommt Unzufriedenheit darüber auf, den
Leuten das Bild des neugierigen Touristen
vorzuspielen, um in Interaktion treten zu
können. Den Personen gegenüber, die ich
mehrfach antreffe, entwickle ich eine            Fermin Suter in der «comfort zone» seines Berner Büros.
Sympathie, die es erschwert, mich auf
Forschungsfragen statt auf sie zu konzen-
trieren. Manchmal entlastet die Idee, Tourist
zu sein, vom Produktivitätszwang meines
Feldforschungsversuchs, und manchmal
hilft der Forscherstolz über die Banalität des
Touristendaseins hinweg. Meine Strategien,
mit dieser Art von Anstrengung umzu-
gehen, beispielsweise das Verschweigen
von Stolz oder das Betonen eigener Ver-                                                         Malaysia
fehlungen, sind untrennbarer Teil meiner
Beobachtungen, sie entscheiden nicht nur
über den Verlauf meiner Begegnungen,
sondern auch darüber, wie und woran
ich mich erinnere, wovon ich wie berichte,
welches Bild ich von den «Bereisten»                                                              Kalimantan
zeichne.
                                                                                     Pangkalan Bun
Emotionen in Literatur
und Selbstversuch
Aus seiner Reiseliteratur kennt der Germa-
nist dieses Phänomen im Umgang mit einer
unbekannten Umgebung. Aber jetzt hat er
es als einen immer dominanter und strapa-
ziöser werdenden Rollenkonflikt erlebt. Wie
diese Erfahrung für die eigene Forschung                      Jakarta
produktiv gemacht werden kann, führt                                    Java Yogyakarta
dabei wieder zurück zum Thema der
Forscheremotionen, das der Germanist in                                                                       Bali
Reiseberichten untersucht. Den Nutzen
solch einer persönlichen Vertrautheit mit
der Arbeitsweise einer anderen wissen-           Indonesien
schaftlichen Disziplin für die eigene            • Fermin Suter, 31, aus Aadorf (TG)                  Wirkungen werden interdisziplinär in
Forschung fortlaufend in Frage zu stellen        • Doktorand                                          Literaturwissenschaft, Sozialanthropo-
und dadurch gleichzeitig einzufordern –,         • Institut für Germanistik                           logie und Primatologie erforscht. Die
darin liegt die schweisstreibende, strapa-       • Ort: Yogyakarta, Java; Pangkalan Bun,              Germanistinnen und Germanisten
ziöse und andauernde Arbeit am interdiszi-         Kalimantan                                         untersuchen dabei Texte aus Reise-
plinären Verständnis.                            • Das Projekt «Die Affekte der Forscher»             literatur / Ethnologie und Primatologie.
                                                   untersucht, wie Emotionen mit der                • Förderung: Volkswagenstiftung
Kontakt: Fermin Suter,                             «Feldarbeit» von Forschern und Reisen-           • Weitere Informationen:
Institut für Germanistik,                          den zusammenhängen. Ihre bewer-                    www.affekte.unibe.ch
fermin.suter@germ.unibe.ch                         tungs-, erkennntis- und erzählleitenden

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Von Berner Labors auf Äthiopiens Felder
Für die Kleinbauern Äthiopiens wird die Uni Bern
zum Begriff: Hier züchtet der Agronom und
Molekularbiologe Zerihun Tadele weniger anfällige
Sorten der Tef-Hirse, dem Grundnahrungsmittel
für Millionen von Menschen.

Von Zerihun Tadele

Wenn ich im zentralen Hochland Äthiopiens       Sobald wir in Bern im Labor eine neue,             welche Projekte wir in Zukunft anpacken
auf einem Tef-Feld stehe und in die Weite       optimierte Tef-Linie gezüchtet haben,              wollen. Ich besuche Bauern und lade sie
blicke, sehe ich bis an den Horizont ein        senden wir sie sofort nach Äthiopien, wo           auf unsere Versuchsfelder ein. Ihre Rück-
Meer aus Halmen. Was aussieht wie ein           sie im «Debre Zeit Agricultural Research           meldungen zu unseren neu entwickelten
einziges, riesiges Feld mit Tef-Hirse sind in   Center», dem nationalen Tef-Forschungs-            Sorten sind wichtig. Und natürlich geniesse
Wirklichkeit die unzähligen Felder vieler       zentrum, mit lokal angepassten und ertrag-         ich es, jeden Tag Injera zu essen, das tradi-
Kleinbauern. Es ist schön anzusehen, wie        reichen Tef-Sorten gekreuzt wird. Darauf           tionelle, beliebte Fladenbrot aus Tef.
die heranreifenden Rispen durch die Kraft       folgen mehrere Jahre mit Feldversuchen in
des Windes langsam hin- und herwogen.           den Hauptanbaugebieten des Landes, bis             In Niederwangen zuhause
Dies ist ein glücklicher Moment für die         eine neue Sorte zur Aussaat durch die              Ich lebe mit meiner Familie in Nieder-
Bauern: Nun entwickeln sie Vertrauen, dass      Bauern freigegeben wird. Die Tests in Äthi-        wangen, einem kleinen Dorf bei Köniz.
sie in rund einem Monat etwas ernten            opien sind unverzichtbar, geht es im Projekt       In Niederwangen begrüssen die Leute
können. Dieser Moment ist nicht nur für         doch darum, verbesserte Sorten für äthio-          einander jedes Mal, wenn sie sich treffen.
die Bauern erfreulich, sondern auch für alle    pische Landwirte zu entwickeln.                    Ich bin glücklich, in diesem Dorf zu
Entwicklungshelferinnen und Forschenden,            Regelmässig mache ich Reisen nach              wohnen, wo wir gute Kontakte mit unseren
mich mit eingeschlossen, da unser               Äthiopien, um den Fortschritt der Tef-             Nachbarn und der Gemeinschaft pflegen.
Bestreben Früchte trägt.                        Projekte zu verfolgen. Mit meinen Forscher-           Mein Alltag an der Universität Bern ist
    Obwohl Tef jährlich von mehr als sechs      kollegen diskutiere ich, was wir erreicht          routiniert: Einen Report oder ein Paper
Millionen Kleinbauern angebaut wird             haben, wo wir an Grenzen stossen und               verfassen, mit den Mitgliedern meiner
und das Grundnahrungsmittel für rund
50 Millionen Menschen allein in Äthiopien
ist, hat die globale Wissenschaftsgemeinde
diese wichtige Kulturpflanze vernachlässigt.
Tef gehört zu den «orphan crops», Stief-
kindern der Forschung. Das bedeutet, dass
Tef bis jetzt nicht, wie andere Getreide, die
Chance zur Verbesserung durch gezielte
Züchtung erhalten hat. Mein Ziel ist, durch
die Erforschung und Entwicklung der wich-
tigsten Kulturpflanzen der Entwicklungs-
länder zur globalen Ernährungssicherheit
beizutragen. Der hohe Protein- und Eisen-
gehalt sowie die Toleranz gegen Trocken-
heit und Krankheiten machen Tef zum
Getreide der Wahl von Konsumentinnen
und Bauern. Weil Tef glutenfrei ist, wird das
Getreide im Westen ausserdem bei Allergi-
kern und als Lifestyle-Produkt immer
beliebter.
    Zurzeit konzentrieren wir uns auf die
Entwicklung von neuen Tef-Sorten mit
kürzeren, stabileren Halmen, die ausserdem
bei Trockenheit besser gedeihen, sind doch
Umknicken und Vertrocknen die beiden
Hauptgründe für die grossen Produktions-
ausfälle. In den meisten Jahren geht ein
Grossteil der Ernte verloren, da die Halme
bei Wind und Regen rasch knicken.               Zerihun Tadele in seinem Büro im Institut für Pflanzenwissenschaften.

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20   UniPress   164/2015   CCLM
Forschungsgruppe diskutieren, Studierende
unterrichten und betreuen sowie Experi-
mente beaufsichtigen. Ich habe hier ein
wunderbares Forschungs- und Arbeits-                                    Eritrea                         Jemen
umfeld, das Verhältnis zu den Kolleginnen
und Kollegen ist sehr gut. In der For-
                                                 Sudan
schungsgruppe, die ich führe, haben wir
Spezialisten für Züchtung, Gewebekultur,
Molekularbiologie, Bioinformatik und                                                                    Rotes Meer
Biomechanik. So lerne ich jedes Mal dazu,                            Äthiopien
wenn ich mit diesen Expertinnen diskutiere.
   Um gezielt neue Sorten zu züchten,
verwenden wir eine Vielzahl von Techniken
und Geräten – zum Beispiel ein Verfahren                                                                             Somalia
namens TILLING (Targeting Induced Local                                Addis Abeba
Lesions in Genomes). Dabei wird das
Saatgut mit einer Substanz behandelt, die                                         Debre Zeit
zufällige Veränderungen im Erbgut bewirkt,
welche anschliessend im Labor untersucht
werden. Der natürliche langfristige Prozess
der Mutation wird also künstlich beschleu-
nigt, es werden jedoch keine fremden Gene
eingeführt. Pflanzen mit den vielverspre-                   Kenia
chendsten Genveränderungen – etwa für
kürzere, robustere Halme – werden in Bern
im Gewächshaus unter kontrollierten Um-       Äthiopien
weltbedingungen angebaut und getestet.        • Zerihun Tadele, 51, aus Adaba, Bale,           tige Techniken, um den Ertrag des noch
Dazu verwenden wir auch biomechanische          Äthiopien                                      zu wenig erforschten Getreides Tef zu
Ansätze. Die Stärke der Halme respektive      • Forschungsgruppenleiter                        verbessern, das am Horn von Afrika ein
die Widerstandsfähigkeit gegen Wind           • Institut für Pflanzenwissenschaften, Plant     Grundnahrungsmittel ist. Die verbes-
und andere Kräfte, welche die Pflanzen          Genetics & Development – Crop Bree-            serten Tef-Sorten sollen demnächst die
zu Boden drücken, werden mit einem              ding & Genomics                                Bauern in Äthiopien erreichen.
Roboter gemessen.                             • Orte: Bern sowie in Äthiopien Addis          • Finanzierung: Syngenta Stiftung für Nach-
                                                Abeba und Debre Zeit                           haltige Landwirtschaft, SystemsX, Univer-
Beziehungsnetz Europa-Afrika                  • Projekt: Das «Tef Improvement Project»         sität Bern
Ich habe viel Erfahrung in der Ausbildung       nutzt mehrere herkömmliche und neuar-        • Weitere Informationen: www.ips.unibe.ch
von Nachwuchsforschenden und Studie-
renden. In den letzten Jahren haben wir
ausserdem äthiopische Techniker und Nach-
wuchswissenschaftler geschult, die in der
Tef-Forschung und -Entwicklung tätig sind.    toleranten Tef-Linien haben nach drei          gefragt worden, in welchem Land sich die
Ich arbeite eng mit öffentlichen und          Wochen ohne Feuchtigkeit eine ausser-          Universität Bern befindet, doch auch dank
privaten Hochschul-, Forschungs- und          gewöhnliche Leistung gezeigt im Vergleich      der zahlreichen Medienbeiträge wird sie
Entwicklungseinrichtungen sowie mit Land-     mit den Kontroll-Linien, die stark be-         unter Forschenden sowie in der äthio-
wirten in Europa und Afrika zusammen –        schädigt wurden.                               pischen Öffentlichkeit immer mehr zu
insbesondere mit solchen aus der Schweiz         Wir werden die ersten Halbzwerg- und        einem Begriff.
und Äthiopien. So habe ich durch Trainings-   halmfesten Sorten nächstes Jahr zur Pro-           Ich bin zuversichtlich, dass einige unserer
programme und Schulungen in Äthiopien         duktion freigeben. Ich bin zuversichtlich,     Sorten zur Erhöhung der Produktivität von
enge Beziehungen mit Pflanzenforschenden      dass die neuen Sorten die Produktivität        Tef beitragen und damit den Lebensunter-
im ganzen Land aufgebaut, die auf Ge-         erhöhen werden. Sie werden ausserdem die       halt der Kleinbauern in Äthiopien sichern
treide, Hülsenfrüchte, Gartenbau oder         Mechanisierung des Tef-Anbaus ermögli-         werden. Für die Verbreitung der Techno-
Ölsaaten spezialisiert sowie in Züchtung,     chen – vor allem bei der Ernte.                logie braucht es allerdings noch mehr Enga-
den Agrarwissenschaften, der Pathologie                                                      gement aus verschiedenen Sektoren der
oder der Entomologie tätig sind.              Die Bauern erreichen                           Gesellschaft. In diesem Fall kann die Univer-
    Unsere Arbeit kommt gut voran: So         Meine Gruppe ergriff ausserdem die Initia-     sität Bern nicht nur bei der Entwicklung der
haben wir in unserem Labor am Institut für    tive, das Genom der Tef-Pflanze erstmals       entsprechenden Technologien eine wichtige
Pflanzenwissenschaften der Universität Bern   zu sequenzieren und zu veröffentlichen.        Rolle spielen, sondern durch die Stärkung
mehrere halmfeste und trockenheitstole-       Ich freue mich, dass diese Informationen       ihrer Outreach-Programme auch dafür
rante Tef-Linien entwickelt. Nach der Kreu-   nun in verschiedene Forschungsprogramme        sorgen, dass die vielversprechenden neuen
zung dieser Kandidatenlinien mit lokal        einfliessen können. Dank den neu gezüch-       Sorten die Kleinbauern in Afrika auch
angepassten Tef-Linien in Äthiopien und       teten Sorten und der Entschlüsselung des       tatsächlich erreichen.
der mehrjährigen Zucht haben wir vielver-     Genoms wurde die Universität Bern auf
sprechende Sorten entwickelt, die von         verschiedenen Foren und Tagungen in            Kontakt: Dr. Zerihun Tadele,
Forschenden wie auch von Bauern sehr          Äthiopien und andernorts zitiert oder          Institut für Pflanzenwissenschaften,
geschätzt werden. Die neuen trockenheits-     erwähnt. Zwar bin ich in Äthiopien schon       zerihun.tadele@ips.unibe.ch

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