UniPress* - Forschen in der Welt - Universität Bern
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Forschen in der Welt * Gespräch – Hubert Steinke über Medikalisierung 32 * Begegnung – Sabine Böglis Weg zur Mathematik 36 J u n i 2 0 15 164 * Forschung – Feldforschung als Kunst 28 UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
Bauen an der Zukunft Geschichten einer Generation Erinnern und Vergessen * Gespräch – Rektor Martin Täuber zur Strategie 2021 32 * Gespräch – Thomas Stocker und Gian-Kasper Plattner zum Klima 32 * Gespräch der Generationen – Norbert Thom und Elena Hubschmid 32 * Begegnung – Timo Engel bricht in fantastische Welten auf 36 * Begegnung – Thierry Aebischer entdeckte ein Paradies für Tiere 36 * Begegnung – Manuela coacht Helai 36 Ok t obe r 2013 158 D ezember 2013 159 Apr i l 2014 160 * Forschung – Wie sich Geschlechter-Stereotypen auflösen 26 * Forschung – Gehen mit dem Digitalfilm die Emotionen verloren? 26 * Forschung – Wenn die Matur leicht ist, wird es später schwer 30 UniPress* UniPress* UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschen – auch in der Nacht Schrift – im Land der Buchstaben Hell im Kopf * Gespräch – Andrea Glauser über weibliche Uni-Karrieren 32 * Gespräch – Stig Förster und Daniel M. Segesser zum Grossen Krieg 32 * Gespräch – Stefan Brönnimann und Claus Beisbart zu «Citizen Science» 30 * Begegnung – Aymo Brunetti, der beliebteste Hochschullehrer 36 * Begegnung – Albert Gobat, der unzimperliche Friedenskämpfer 36 * Begegnung – Riccardo Legena war schon als Kind an der Uni 36 August 2014 161 * Forschung – Gemeinsam für die Medizin von morgen 30 Dezember 2014 162 April 2015 163 * Forschung – Frischer Atem leicht gemacht 28 * Forschung – Kunst und Wissenschaft vereint 26 UniPress* UniPress* UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Eine UniPress-Ausgabe verpasst? Gerne können Sie Einzelexemplare nachbestellen: unipress@unibe.ch Tel.: 031 631 80 44 Wollen Sie UniPress (4 Ausgaben jährlich) kostenlos abonnieren? Abo-Bestellungen über: www.unipress.unibe.ch oder an die Vertriebsfirma Stämpfli Publikationen AG Tel.: 031 300 63 42 abonnemente@staempfli.com Universität Bern Corporate Communication Hochschulstrasse 4 CH-3012 Bern Tel. +41 31 631 80 44 kommunikation@unibe.ch www.kommunikation.unibe.ch
F O R S C H E N I N D E R W E LT Selfies am Palmenstrand, stündliche Updates von Dschungel- expeditionen, Bilder exotischer Gerichte: Rund um die Uhr er- reichen uns Berichte, Posts und Tweets aus aller Welt. Jeder ist heute ein rasender Welt- und Selbstreporter. Kennen wir also schon alles, was es zu entdecken gibt auf dieser Welt? – Nein, wir sind weit davon entfernt, wie die Berichte von acht Berner Forscherinnen und Forschern über ihren Alltag in Lateinamerika, Afrika, Asien und Europa in diesem Heft zeigen. Als Forscherinnen und Forscher haben sie den Anspruch und den Auftrag, tiefer einzutauchen, als es auf einer anderen Reise möglich ist. Wenn Dario Josi in den Tanganyikasee taucht, tut er es, um das Sozialverhalten der Buntbarsche besser zu verstehen. Genauso intensiv taucht er aber ins Leben der Fischer- familien ein, die das Berner Team seit zwanzig Jahren beher- bergen. Wenn Gerhild Perl an der spanischen Küste den Spuren der Toten an der EU-Aussengrenze folgt, setzt sie sich einer Grenzerfahrung aus, die Grenzen der Erkenntnis verschieben kann. Und wenn Zerihun Tadele zwischen Berner Labors und äthiopischen Feldern pendelt, dann ist er auf dem besten Weg, mit seiner Forschung und seinem internationalen Netzwerk die Ernährungssicherheit von Millionen von Menschen zu verbessern. Beeindruckend sind die globalen Zusammenhänge, die in den Berichten deutlich werden: Etwa über die Menschengruppen, die sich vor Jahrtausenden aus dem Himalaja-Gebirge aufmachten, die Erde von Lappland bis Feuerland zu besiedeln. Oder wie sich in Bolivien die traditionellen Dorfgemeinschaften verändern, seit ihr Grundnahrungsmittel Quinoa im Westen als Lifestyle-Produkt boomt. Forscherinnen und Forscher spannen ein Netzwerk um die Welt – und helfen uns zu verstehen, was Globaliserung bedeutet. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Timm Eugster und Marcus Moser UniPress 164/2015 1
Inhalt F O R S C H E N I N D E R W E LT 5 Im Himalaja auf der Spur der Sprachen Von Georg van Driem 7 Bei Fischen und Fischern Von Dario Josi 11 Ein Tag in Himera Von Matthias Edel 13 Daten sammeln wo der Pfeffer wächst Von Julie Zähringer FORSCHUNG UND RUBRIKEN 17 Als Germanist unter Palmen Von Fermin Suter Forschung 19 Von Berner Labors auf Äthiopiens Felder 28 Germanistik: Alexander von Humboldt – Von Zerihun Tadele Feldforschung als Kunst Von Oliver Lubrich 23 Versuch einer Antwort Von Gerhild Perl 25 Dort, wo die Quinoa wächst Rubriken Von Sabin Bieri 1 Editorial 32 Gespräch Hubert Steinke – Die Gesellschaft in der Gesundheitsfalle Von Marcus Moser 36 Begegnung Sabine Bögli – Resonanzen bringen Karriere in Schwung Von Anina Steinlin 38 Meinung Neuer Bildersturm im Weltkulturerbe Mesopotamien Von Mirko Novák 39 Bücher 40 Impressum UniPress 164/2015 3
Im Himalaja auf der Spur der Sprachen Seit mehr als dreissig Jahren pendelt Georg van Driem zwischen Europa und dem Hochgebirge Asiens, dokumentiert bedrohte Sprachen, erforscht den interkulturellen Austausch zwischen den Menschen und entnimmt ihnen DNA-Proben, um die Abstammung der Populationen Eurasiens zu rekonstruieren. Von Georg van Driem 1983 trank ich bei den Limbu im Osten manischen gehören Sprachen wie Alba- Teil Birmas. Dabei geht es einerseits um die Nepals Tongba. Dieses aus gegorener nisch, Deutsch, Dänisch, Pashto und Nepali. Erfassung von nicht beschriebenen Sprachen, Fingerhirse hergestellte warme Getränk Das Transhimalajische umfasst Sprachen wie die Erforschung der linguistischen Verwandt- enthält Alkohol – und da man stundenlang Tibetisch, Birmanisch, Limbu, Shanghaine- schaftsbeziehungen und des historischen mit gespannten Lippen an einem filter- sisch und zweihundert weitere Sprachen. Sprachwandels, andererseits bemüht sich haltigen Saughalm zieht, damit sich die Der Himalaja wird aufgrund seiner kom- unser Projekt um das Festhalten von Wissen, Flüssigkeit vom Matsch löst, besteht die plexen Topografie meist als die grösste das in der dortigen Gemeinschaft schlum- Gefahr, dass man nach einer Weile seinen Barriere auf unserem Planeten dargestellt. mert. Daseinszustand unterschätzt. Die historische Forschung lehrt uns aber Solche Erfahrungen machte ich auf eines Besseren: Der Himalaja war immer Vom Himalaja aus in die ganze Welt meiner ersten Feldforschungsreise als Begegnungs- und gleichzeitig Durchgangs- In der Rolle des Biologen habe ich Sprachwissenschaftler vor 33 Jahren. Zwölf zone für etliche Völkerwanderungen. Dabei gemeinsam mit Genetikern aus verschie- Jahre danach folgten mir meine ersten bot er unterschiedlichste Lebensräume, in denen Ländern bei vielen Sprachgemein- Doktoranden und Doktorandinnen nach. denen der Homo sapiens sein Überleben schaften des Himalajas DNA-Proben Und jetzt, nach weiteren 20 Jahren, ist ein sicherte. entnommen, um die Populationgeschichte unsagbarer Schatz an Dokumentationen Eurasiens zu rekonstruieren. Seit 1997 ist zusammengekommen, der nicht nur Manche Flüsse sind älter dank einer schweizerisch-italienischen bedrohte Sprachen vor ihrem endgültigen als die Berge Forschungsgruppe bekannt, dass eine Verscheiden bewahrt hat, sondern auch Obschon die allerhöchsten Berge der Welt in Korrelation zwischen Y-chromosomalen Aufschlüsse über Vorgänge wie Migrations- der Himalaja-Kette eingegliedert sind, stellt Haplogruppen – also bestimmten Aus- verläufe und den interkulturellen Austausch der Himalaja keine Wasserscheidelinie dar. prägungen des (männlichen) Y-Chromo- zwischen den Menschen liefert. Seither ist Manche Flüsse sind älter als die Berge selbst. soms des Erbguts – und der geographi- unsere Arbeit weltweit als das «Himalayan Sie fliessen quer durch den Himalaja hin- schen Verbreitung von Sprachfamilien Languages Project» bekannt. Zu Beginn durch. Als Beispiel sei hier der Kīlī Gandakī in besteht. Obschon man beim Begriff «Korre- befand sich der Sitz im holländischen West-Nepal genannt, der auf der tibetischen lation» Vorsicht walten lassen muss, sind Leiden, 2010 wechselte er mit meinem Hochebene seine ersten Furchen zieht, bis er aufgrund unserer Forschungsergebnisse zu Umzug in die Schweiz mit mir zusammen Gräben reisst und gewaltige Schluchten ent- bedeutenden Episoden der sich über Jahr- an die Universität Bern. stehen lässt. Deshalb bildet der Kālī Gandakī tausende entwickelnden Bevölkerungs- Die Faszination am Himalaja liegt in am Fusse des Dhaulāgiris, ein 8000er unter geschichte Tendenzen erkennbar. Als wich- seinen topografischen Massen: In seiner vielen, das tiefste Flusstal auf unserem Plane- tigstes Ergebnis der historischen Sozio- alles umfassenden Grösse beheimatet das ten und scheidet den Himalaja in zwei Seg- linguistik erachte ich die Entdeckung, «Gebirge des ewigen Weisses» mehr als mente, die je eine Länge von 1800 Kilo- dass weltweit und überwiegend die Vater- sechs verschiedene Sprachfamilien und metern aufweisen. Unsere Sprachforschung sprache-Korrelation gilt: Dass eine Mutter einige Isolate, also Sprachen, die zu keiner erstreckt sich auf beide Segmente, vom ihren Kindern die Sprache des Vaters bei- anderen eine Verwandtschaft aufweisen. Hazārahjāt-Hochland in Afghanistan über die bringt, scheint in der Geschichte unserer Die Mehrheit der Sprachen gehört zur indo- nördlichen Pässe Pakistans und Indiens durch Spezies ein weitverbreitetes und ein wieder- germanischen und zur transhimalajischen ganz Nepal bis zum Dach der Welt, Tibet, kehrendes Phänomen gewesen zu sein. Die Sprachfamilie, den zwei Familien mit den weiter bis zum Liángshān-Gebirge in Sìchuān, Verbreitung und die Gliederung des väter- weltweit meisten Sprechern. Zum Indoger- den Südwesten Chinas und den nördlichen licherseits vererbten Materials führt zu Forschen in der Welt UniPress 164/2015 5
Genvarianten, die mit einzelnen Sprach- familien zusammenhängen, woraus man schlussfolgern kann, dass in einer be- stimmten Zeittiefe die Abstammung vieler Populationen von Lappland bis zum Feuer- land auf den Himalaja zurückzuführen ist. So mussten nicht nur die Vorfahren der Hàn-Chinesen und Javaner, sondern auch der Esten und der Samojeden zu einem bestimmten Zeitpunkt den Brahmaputra- Fluss überqueren. Nach Tagen im Dickicht ein herzlicher Empfang Während Blutentnahmen und Wangen- abstriche wenig Zeit beanspruchen, ist die Dokumentation einer Sprache in all ihren grammatikalischen Facetten und typolo- gischen Besonderheiten ein langfristiges Projekt, das erst dann erfolgreich realisiert wird, wenn man sich vor Ort in der Sprach- Angehörige der ethnischen Gruppe der Kusunda im westlichen Nepal nach der Abnahme von DNA- gemeinschaft über Jahre hinweg einnistet Proben, mit Georg van Driem (rechts), dem Populationsgenetiker Ashish Jha (zweiter von links) und dem Assistenten Surendra Dhakal (unten rechts). und Teil von ihr wird. Als ich im Auftrag der bhutanesischen Regierung die erste Gram- matik der Nationalsprache aufzeichnete, trug ich statt abendländischer Kleider einen bhutanesischen G’ô. Bei den meisten Forschungsprojekten aber tragen meine Leute und ich einfache Kleider und sind vom letzten Ort, der mit einem Fahrzeug erreichbar ist, noch Tage zu Fuss im Dickicht unterwegs, bis wir inmitten einer exotischen Klangkulisse von den Einhei- mischen herzlich empfangen werden. Für die Feldforschung wird voraus- gesetzt, dass meine Leute die gängigen Kontaktsprachen wie Dzongkha, Hindi, Himalaja Nepalesisch, Tshangla, Mandarin oder Birmanisch beherrschen. Diese erlauben uns den privilegierten Zugang zur Kultur, der sich ohne jene Voraussetzung nicht tief- gründig erforschen lässt. Die Linguisten nutzen anschliessend die Gelegenheit, um nebst der Sprachdokumentation auch Beschreibungen der Verwandtschafts- beziehungen, des Glaubenssystems, der Eschatologie und der Rituale anzufertigen. In der Ergänzung zum Lexikon werden auch mündliche Überlieferungen aufgezeichnet und einheimisches Wissen über Kultur- pflanzen und Heilkräuter dokumentiert. Die jahrelange Forschung hat dazu ge- führt, dass unser «Driem-Team» – wie Wolfgang Behr von der Universität Zürich Himalaja jene Konstellation nennt – mit den Ein- • Georg van Driem, 57, aus Holland • Förderung: Schweizerischer National- heimischen in engen Kontakt getreten ist • Professor, Direktor des Instituts für fonds SNF, zuvor niederländische und wir ihnen aus Dankbarkeit unsere Sprachwissenschaft Forschungsgemeinschaft, bhutanesische Herzen geschenkt haben, und sogar nach • Ort: Himalaja-Gebirge (von Nordwest- Regierung, niederländisches Aussen- Projektabschlüssen pendeln unsere Herzen Indien, Nepal, Sikkim, Bhutan, Nordost- ministerium, Rolex, European Science weiter zwischen dem Himalaja und den Indien, Tibet, Südwest-China bis nach Foundation, Königlich Niederländische Schweizer Alpen. Birma) Akademie der Wissenschaften (KNAW) • Projekt: Das «Himalayan Languages • Weitere Infos: Kontakt: Georg van Driem, Project» umfasst die Sprachbeschrei- www.himalayanlanguages.org Institut für Sprachwissenschaft, bung, Kulturgeschichte und Popula- vandriem@isw.unibe.ch tionsgenetik des Himalajas. 6 UniPress 164/2015 Forschen in der Welt
Bei Fischen und Fischern Zweimal täglich taucht Dario Josi mit seinem Team im Tanganyikasee und studiert das Sozialverhalten der Buntbarsche. Abends tischt Familie Mwewa Reis, Kartoffeln, Fisch, Kohlsalat und Poulet auf, und Luxus ist, wenn es noch ein warmes Bier gibt, bevor alle unters Moskitonetz schlüpfen. Von Dario Josi Es ist wieder August, ich packe meinen material, Boot mit Motor, Feldlabor, Gene- zwei, drei Matratzen und einem Moskito- Reiserucksack für meine zweite Afrika- rator und Solarpanels, denn es gibt keinen netz ausgestattet sind. Zwei Unterstände Expedition. Ich reise für drei Monate in Strom in der Lodge. Nach einigen Telefo- dienen uns als Esszimmer und Aufenthalts- den Norden von Sambia. Die ehemalige naten und Wartezeiten – Geduld heisst in raum. Sie sind zum Schutz gegen Sonne britische Kolonie gilt politisch als eines der Afrika das Zauberwort – taucht der und Regen ebenfalls mit Stroh überdacht, sichersten Reiseländer im südlichen Afrika. Schlüssel zu diesen Räumen endlich auf aber ringsum offen. Das Plätschern des Am südlichen Ufer des Tanganyikasees, und nach weiteren langen Verhandlungen Sees und Zirpen der Zikaden verwandelt sie dem zweitgrössten See Afrikas und zweit- über die Kosten kann das ganze Material in eine lauschige Pergola zum Geniessen tiefsten See der Erde, werden wir unser per Boot in 20 Minuten zu unserer Lodge und Beobachten von Natur und zahlreichen Forschungsprojekt zur Evolution von koope- gebracht werden. Vier Tage nach Abflug Tieren: Fischotter, Chamäleons, Skorpione, rativem Brüten an den Buntbarschen fort- aus der Schweiz bin ich endlich am Ziel Spinnen, Schlangen, Hundertfüssler, setzen. Anders als im letzten Jahr bin ich meiner Reise angekommen: im Fischerdorf Varane, Vögel, Treiberameisen, Schmetter- diesmal Expeditionsleiter eines vierköpfigen Kasakalawe in der «Tanganyika Science linge und Affen. Der See ist unsere einzige Teams und somit für die Organisation und Lodge». Frischwasserquelle. Gegen den Durst filtern das Gelingen verantwortlich. Dementspre- wir das Seewasser zu Trinkwasser, obwohl chend angespannt gehe ich am Flughafen Die Lodge der Geschmack anfangs etwas gewöh- in Gedanken meine Checkliste durch: Habe Die Lodge wird von der einheimischen nungsbedürftig ist. Ein Feuer unter einem ich an alles gedacht und eingepackt? Flug- Familie Mwewa geführt. Sie bekochen uns Metallfass sorgt nach einem kräftezeh- tickets für mich, mein Team, Kreditkarten, am offenen Feuer, waschen, helfen bei renden Tauchtag für eine wohltuende, alle wichtigen Dokumente für die Be- schwierigen Gesprächen und langwierigen warme Dusche. hörden, Medikamente und Malariapro- Verhandlungen mit den Einheimischen; phylaxe für drei Monate, sämtliche Ersatz- kurzum sie sorgen für unser tägliches Der Forschungs-Alltag teile, Neoprenanzug inklusive Taucherbrille, Wohlergehen und tragen viel zum erfolg- Auf die erste Euphorie folgt bald ein mono- Flossen und ein paar wenige, für mich aber reichen Gelingen der Expedition bei. Die toner, aber gut eingespielter Alltagsrhyth- wichtige Sachen, wie schwarze Schokolade, Logde selber ist sehr einfach. Sie besteht mus. An sechs aufeinanderfolgenden Tagen Bücher und Musik. Pünktlich hebt die aus fünf Steinhütten mit Strohdach, die mit tauchen wir jeweils zwei Mal zwei bis drei Emirates-Maschine Richtung Dubai ab. Endlich kann ich zurücklehnen und mich vom Packstress der letzten Tage erholen. Nach einem kurzen Aufenthalt fliegen wir weiter nach Lusaka, der Hauptstadt von Sambia. Hier beginnt das Abenteuer «Afrika-Expedition» erst richtig. Ein Über- landbus, in nicht sehr vertrauenswürdigem Zustand, mit zerbrochener Frontscheibe, engen fünfplätzigen Sitzreihen und stickiger Luft, fährt uns über holprige, mit Schlag- löchern versetzte Strassen nach Mpulungu, der Hafenstadt am Tanganyikasee. Vier kurze Stopps unterbrechen die anstren- gende und unberechenbare zwanzigstün- dige Fahrzeit. Vor jeder Fahrt werden die Busse durch einen Priester mit lautstarken Bibelzitaten gesegnet. Während der Fahrt werde ich mit afrikanischer Musik beschallt und mit Filmen unterhalten. In Mpulungu befindet sich das sambi- sche Departement für Fischerei mit dem wir, das Institut für Verhaltensökologie der Universität Bern, eng zusammenarbeiten. Dort ist auch unser ganzes Expeditions- material eingelagert: Kompressor, Tauch- Dario Josi mit Blessing, einem Enkel des Ehepaars Mwewa. Forschen in der Welt UniPress 164/2015 7
Stunden ab, um möglichst viele Daten zu erheben. Die Arbeitstage beginnen um sieben Uhr mit Maisbrei zum Frühstück, dann wird sämtliches Tauchmaterial ins Boot verladen und der Bootsführer bringt Ta uns an den gewünschten Arbeitstauchplatz. ng an Ich arbeite an acht verschiedenen Fisch- yik Populationen, von denen ich sieben regel- a s ee mässig mit dem Boot anfahre. Zwei davon befinden sich direkt neben einem kleinen Hafen, der seit Jahren von einem Krokodil bewohnt wird. Ich habe es schon vom Boot DR Kongo aus beobachtet, unter Wasser bin ich ihm Tansania Crocodile Island glücklicherweise noch nie begegnet. Nach dem Mittags-Sandwich und dem zweiten Tauchgang machen wir uns spätnachmit- Sambia Mbita Island tags auf den Rückweg. Zurück in der Lodge ist die Arbeit noch lange nicht beendet. Bevor es dunkel wird muss sämtliches Tauchmaterial zum Trocknen aufgehängt Kasakalawe werden, alle Daten müssen digitalisiert sein (vorausgesetzt die Stromversorgung klappt), und Gewebeproben in Alkohol fixiert Sambia werden. Zuletzt brummt der Kompressor • Dario Josi, 24, aus Thun einem dominanten Brüterpaar und so- bis in die Nacht hinein, bis alle Tauch- • Expeditionsleiter, Master-Student genannten Helfern, die an der Jungen- flaschen wieder aufgefüllt sind. Dazwischen • Institut für Ökologie und Evolution, aufzucht, der Territorienpflege und wird uns ein feines Nachtessen serviert. Abteilung Verhaltensökologie der Verteidigung beteiligt sind. Wir er- Zwar tagtäglich die gleiche Mischung aus • Ort: Sambia, Tanganyika Science Lodge, forschen, wie ökologische Faktoren Reis, Kartoffeln, Fisch, Kohlsalat und Poulet, Kasakalawe, 5 Kilometer von Mpulungu (Raubdruck, Habitatbeschaffenheit, aber Familie Mwewa kocht grossartig, und entfernt Nahrungsangebot usw.) in verschie- der Appetit übertönt die Eintönigkeit. Bei • Projekt: Wir arbeiten mit einem der denen Populationen die Verwandtschaft Kerzenschein und Stirnlampenlicht lese ich wenigen kooperativ brütenden Bunt- und Struktur dieser Gruppen beein- noch ein paar Zeilen oder gönne mir ein barsche (Neolamprologus pulcher) des flussen. warmes Bier, was hier ein absoluter Luxus- Tanganyikasees und versuchen zu • Finanzierung: Schweizerischer National- artikel ist. Hier endet mein Tag, denn kurz verstehen, wie solche Sozialsysteme fonds (SNF) vor zehn Uhr liege ich meist todmüde unter entstanden sind. Neolamprologus • Weitere Infos: dem Mosquitonetz in meiner Hütte. pulcher lebt in Gruppen bestehend aus http://behav.zoology.unibe.ch Ausflug in Fischerdörfer Der siebte Tag ist tauchfrei. Diesen Tag nutzen wir zur Erholung, aber auch zum Pflegen unserer Füsse und anderer Bles- suren, die durch ständige Nässe leiden. verbringen die Männer und Jungen in ihren haben. Unser neues Projekt soll mit einem Häufig dient uns dieser Tag auch dazu, Kanus mit Petroleumlampen auf dem See ausgetüftelten Kochsystem die Abholzung neues Benzin aus der Stadt zu organisieren, und fangen Kapenta (Süsswassersardinen), reduzieren und einen Beitrag zur Nach- was eine ziemliche Herausforderung ist, da die dann am Morgen zum Trocknen ausge- haltigkeit leisten. die Tankstellen meist leer sind und es einen legt werden. Gekocht wird mit Holzkohle, riesigen Schwarzmarkt mit gepanschtem deren Produktion der Hauptgrund für die Was bleibt – weniger ist mehr Benzin gibt. Rodung der Baumsavanne in Afrika ist. Die Faszination der Erforschung der Sozial- Manchmal bleibt auch Zeit für einen systeme der Buntbarsche, das Tauchen an Ausflug in die benachbarten Fischerdörfer. Wir versuchen etwas zu verändern Orten, die als die artenreichsten der Welt Dabei werden wir von unserem Bootsführer Das Team von Professor Michael Taborsky gelten, das Teilhaben und der Versuch, die begleitet, denn in den zum Teil abgele- forscht seit über 20 Jahren am Tanganyi- Tradition und fremde Kultur zu verstehen, genen Fischerdörfern sind die Erwachsenen kasee. Die Unterstützung der lokalen Be- das Leben unter einfachsten Bedingungen, schnell verwundert, wenn plötzlich weisse völkerung ist ein wichtiger Teil unserer die Naturverbundenheit abseits der Zi- Menschen durch ihr Dorf schlendern, Expedition. Hier gilt das Augenmerk vor vilisation und das Erfahren persönlicher während die Kinder laut schreiend zusam- allem der Bildung. Die Schulen in den Grenzen; all das sind unvergessliche menlaufen, um uns auf Schritt und Tritt Fischerdörfern sind oft in einem sehr Momente, Begegnungen und Erlebnisse. zu folgen und unsere weisse, unbekannte schlechten Zustand, es gibt weder Tafeln Eine Erfahrung, die bleibt. Ich jedenfalls Haut berühren wollen. Da ihre Kenntnisse noch Stühle. Viele Familien können sich freue mich schon auf die nächste Expedi- in Englisch etwa so gut sind wie die mei- das Schulgeld nicht leisten. In den letzten tion. nigen in ihren Stammessprachen Bemba Jahren haben wir die Schulen in den oder Lungu, ist ein einheimischer Dol- Dörfern Kasakalawe und Chikonde unter- Kontakt: Dario Josi, metscher sehr hilfreich. Die Leute leben hier stützt, indem wir Wandtafeln, Pulte, Fenster Institut für Ökologie und Evolution, ausschliesslich vom Fischfang. Jede Nacht sowie Schreibmaterial und Hefte finanziert dario.josi@iee.unibe.ch Forschen in der Welt UniPress 164/2015 9
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Ein Tag in Himera Sieben Wochen mit minimaler Privatsphäre, Sechstagewoche mit Zwölfstundentagen, höchste Konzentration in der sizilianischen Gluthitze – um auszugraben, was Menschen vor 2500 Jahren hinterlassen haben: Das ist die archäologische Grabungskampagne Himera. Von Matthias Edel Montag, 5.00 Uhr, der Wecker klingelt. renden. Ein Teil der geborgenen Funde 40 Grad im Schatten auf dem baumlosen Wie in Trance bewegt sich mein Körper bildet die Basis meiner eigenen Forschung Plateau unabdingbar sind. Sonnenbrände zur alltäglichen Routine am Morgen eines (Dissertation). und kleinere Verletzungen sind ohne dies Grabungstages – Bad, ankleiden, die Tages- vorprogrammiert. Nur selten wird man von ration und ein leichtes Frühstück zuberei- Mit Hut, Handschuhen einem kühlen Sturzregen überrascht. ten, meine Unterlagen und mindestens vier und Zehenschutzplatten Wenn alle an ihrem Schnitt sind und mit Liter Wasser in den Rucksack packen. Nach Der erste Stopp ist ein Magazin, in wel- dem Graben beginnen, überprüfe ich in und nach kommen die Studierenden aus chem ein Teil unserer Werkzeuge (Schau- meinem Areal mit dem Nivelliergerät die ihren Zimmern und folgen einem ähnlichen feln, Schubkarren, Eimer und Weiteres) Tageshöhe, um die Schnitttiefen zu erfassen Muster. Ab und zu vergessen sie etwas lagert. Diese müssen noch in die PKWs der und mache mir Notizen zu den Wetter- Wichtiges einzupacken – H2O und ihre wartenden Arbeiter rein, dann geht’s weiter bedingungen und dem aktuellen Stand Verpflegung! Ab 5.45 Uhr beginnen wir zu auf den Hügel. Auf dem Weg grüssen uns der Arbeiten. Anschliessend stelle ich den dritt den Kleinbus zu packen, mit dem neun einige Anwohner, die erfreut sind, dass wir Tachymeter auf, um freigelegte Mauerreste Personen sowie die Ausrüstung und Werk- diesen Sommer wieder gekommen sind, um und weitere Befunde einzumessen. Dabei zeuge transportiert werden. Ein Tachymeter, ihre Geschichte zu erforschen. Manchmal kommen mir diverse Fragen in den Sinn, Nivelliergeräte, Fotokameras sowie eine geben sie uns frische Früchte mit und zum Beispiel: Was war das für ein Ge- Notfall-Wasserreserve haben dabei einen erkundigen sich, ob wir etwas «Tolles» bäude? Was geschah hier? Werden uns festen Platz. In den zweiten PKW für fünf gefunden haben. Auf dem Hügel ange- die Kleinfunde helfen, eine zeitliche Ein- Personen wird parallel die schriftliche Doku- kommen, wird die Ausrüstung aus beiden ordnung und Bestimmung des Komplexes mentation und Vergleichsliteratur für PKWs entladen und je nach Grabungs- zu ermöglichen? Keramik und Architekturteile eingepackt. bereich sortiert. Beispielsweise landen vier Um 6 Uhr ist Abfahrt für beide Fahr- Schaufeln, drei Spitzhacken, Eimer, Kellen Im Schatten des Kakteenhains zeuge. Ich fahre den Bus von unserer und leere Fundkisten in der ersten Schub- 9 Uhr, die 15-minütige Pause – am Boden «Homebase» zum etwa 15 Fahrminuten karre. Da die meisten Studierenden noch im Schatten einiger Kakteen hockend – entfernten Piano Tamburino – einem Hoch- nicht ganz wach sind, lasse ich das bringt eine leichte Abkühlung. Nach diesem plateau an der Nordküste Siziliens, 47 Kilo- Ausladen langsam angehen und drücke Frühstück mit Sandwiches, Obst oder meter östlich von Palermo. An dieser Stelle jedem etwas in die Hand. Daneben werden leichten Salaten geht es zurück in meinen haben die Griechen im Jahr 649 vor die Arbeiter, die sehr froh über diese Schnittbereich, ich gebe Arbeitsanwei- Christus weit vorgeschoben in kartha- einmonatige Anstellung sind, von Profes- sungen, Hilfestellungen und Einschätzun- gisches Einflussgebiet Himera gegründet, sorin Mango hinsichtlich der Schutzaus- gen und frage zugleich in einem kurzen die einzige Koloniestadt im Norden der rüstung kontrolliert und auf ihre heutigen Gespräch nach dem allgemeinen Befinden Insel, die 409 vor Christus von den Kartha- Aufgaben hingewiesen. Dann laufen sie mit der Teilnehmer. Neben der alltäglichen gern zerstört wurde. Dort befindet sich das ihren «Schnittleitern» zu den grossräumig physischen Belastung durch das heisse Grabungsareal, wo das Institut für Archäo- verteilten Schnitten im Gelände und Klima sowie die körperliche, ungewohnte logische Wissenschaften mit einem Team beginnen mit den Grabungsarbeiten. Arbeit ist die psychologische Komponente von 13 Leuten unter Leitung von Pro- Wieder hat ein Student keine Kopf- enorm wichtig. Die mentale Herausforde- fessorin Elena Mango seit 2012 auf dem bedeckung dabei! Also muss improvisiert rung, sich auf sieben Wochen mit mini- bisher unerforschten Gebiet des Piano del werden. Ein Halstuch wird umfunktioniert, maler Privatsphäre einzulassen, sechs Tage Tamburino nach antiken Überresten sucht. das tut’s auch. Oftmals werden andere pro Woche mindestens zwölf Stunden zu In meiner Position als Grabungsassistent Teile der persönlichen Schutzausrüstung arbeiten und dabei möglichst keine Fehler obliegen mir neben der Organisation und vergessen, wie Handschuhe, Sonnen- oder zu begehen sowie die Konzentration und Vor- und Nachbereitung der siebenwö- Knieschutz, Dinge, die zusammen mit Aufmerksamkeit permanent hoch zu halten chigen Kampagne die Vermittlung von der richtigen Kleidung (Hut, langärmlige und dazu seine eigenen Belange und Pro- Grabungs- und Vermessungstechniken Hemden und Hosen, festes Schuhwerk mit bleme für den Teamfrieden hinten anzu- sowie die Betreuung der jungen Studie- Zehenschutzplatte) bei Temperaturen bis stellen, wird oft unterschätzt. Forschen in der Welt UniPress 164/2015 11
Nach einer 30-minütigen Mittagspause, wo das ganze Team inmitten des einzigen Schatten spendenden Kakteenhains zu- sammensitzt, bekommen wir heute Besuch von der Leitung des archäologischen Parks, von Professoren aus Palermo, einem Ver- treter des archäologischen Dienstes sowie Lokalpolitikern. Die Führung der Gäste ob- liegt Professorin Mango. In den heissesten Stunden zwischen 13 und 15 Uhr achte ich besonders darauf, dass die Leute regelmäs- sig trinken und ihren Sonnenschutz tragen. Die Zeit scheint langsamer zu laufen und die schweisstreibenden Arbeiten gehen schleppend voran, doch ich versuche, möglichst alle Teilnehmer zu motivieren und bei Laune zu halten – der Feierabend naht. Spannende Spätschicht im Büro Ab 15.30 Uhr heisst es, alles aufzuräumen und mit System in den Bus zu packen. Die Tagesfunde (Münzen, Keramik-, Architek- tur-, Metall- und Terrakottafragmente) werden von Elena Mango ins Museum Das Team gräbt im heissen Klima Siziliens in verschiedenen Schnitten im Gelände. gebracht, während der Bus die Werkzeuge in das Magazin und das Team zur Home- base bringt. Damit enden zwar die an- strengenden Grabungsarbeiten, doch in der Unterkunft stehen weitere Aufgaben für mich an. Dazu zählen Besorgungsfahrten in die umliegenden Dörfer, die Sicherung der Mess- und Foto-Daten sowie die entspre- chenden Nachbearbeitungen, die mich oft bis in die Nacht beschäftigen, und die Vervollständigung meiner handschriftlichen Messina Dokumentation. Nach der täglichen, von Professorin Mango um 19 Uhr geleiteten Palermo Teamsitzung (zum Stand der Arbeiten Himera sowohl auf dem Gelände als auch bei der Fundbearbeitung im Museum und zur Sizilien Catania Organisation des nächsten Tages) folgt gegen 20.30 Uhr das Nachtessen. Während das Team danach noch gesellig zusammen- sitzt, verschwinde ich meist ins Büro und arbeite an den Vermessungsplänen oder kontrolliere die Fotos der Grabungsbefunde und Einzelfunde. Dies ist für mich zugleich eine Kontrollmöglichkeit, um Mängel zu beheben und neuen Fehlern vorzubeugen, aber auch die spannende, einzige Chance, Einsicht in die parallel laufenden Arbeiten am Fundmaterial zu erhalten. Sizilien Zwischen 22 und 23 Uhr kehrt langsam • Matthias Edel, 33, aus Deutschland delungsphasen des Gebietes, die Ver- Ruhe ein und die Studierenden ziehen sich • Assistent Feldforschung, Doktorand bindungswege zur Unterstadt und zum auf ihre Zimmer zurück. Häufig schlafen • Institut für Archäologische Wissen- östlich angrenzenden Piano di Imera alle, wenn ich zu Bett gehe. Noch ein schaften, Archäologie des Mittelmeer- sowie die Zugangsstrasse vom Hinter- kurzer Blick auf den Wecker – 23.18 Uhr – raumes land. Dies ermöglicht es, die Funktion gut, immerhin mehr als fünf Stunden • Ort: Buonfornello (Himera), 47 km östlich und Bedeutung des Piano del Tamburino Schlaf, bevor der nächste aufregende von Palermo, zwischen den Flüssen innerhalb der urbanistischen Organisa- Grabungstag beginnt. Fiume Grande und Fiume Torto an der tion der Koloniestadt zu untersuchen Nordküste Siziliens und gleichzeitig seine Beziehung zum Kontakt: Matthias Edel, • Projekt: Auf dem rund 30 Hektar sikanischen Hinterland zu betrachten. Institut für Archäologische Wissenschaften, grossen, weitgehend unerforscht geblie- • Förderung: Schweizerischer National- Archäologie des Mittelmeerraumes, benen Hochplateau soll folgendes ermit- fonds (SNF) matthias.edel@iaw.unibe.ch telt werden: Ausdehnung, Art und Besie- • Weitere Infos: www.iaw.unibe.ch 12 UniPress 164/2015 Forschen in der Welt
Daten sammeln, wo der Pfeffer wächst Mit der Piroge, dem Offroader und zu Fuss ist Julie Zähringer im kaum zugänglichen Nordosten Madagaskars unterwegs, um die Daten für ihre Doktorarbeit zusammenzutragen. Wenn sie als erste Weisse seit der Kolonialzeit in den Dörfern ankommt, ist die Überraschung riesig – die Freude nicht immer auf Anhieb. Von Julie Zähringer Sobald das kleine Flugzeug der Air Mada- diesen Momenten sind Chauffeur und Lotse gascar auf der holprigen Piste des Flug- gefordert, die das Auto durch eine mög- hafens Maroantsetra zwischen Reisfeldern lichst seichte Stelle im Fluss oder auf ein mit grasenden Zeburindern aufgesetzt hat zusammengezimmertes Floss navigieren und die Tür geöffnet wird, schwappt ein müssen. An den wenigen Orten mit einer Schwall feuchtheisser, nach Vanille, Nelken staatlichen Fähre wird das Benzin für die und Pfeffer duftender Luft herein. Der Überfahrt direkt mit dem Mund aus dem Nordosten Madagaskars gehört zu den Tank unseres Autos gesogen, während noch am wenigsten erschlossenen daneben seelenruhig geraucht wird … Gegenden der Welt, ist er doch auf dem Landweg kaum zugänglich. Der Distrikt- Illegaler Rosenholzhandel hauptort Maroantsetra ist ein idealer Wir werden dort, wo wir ins Landesinnere Ausgangspunkt für Expeditionen ins abzweigen möchten, abgesetzt und suchen Landesinnere – und die Heimat von Paul nach jungen Männern, die wir als Träger Clément Harimalala, meinem Forschungs- anheuern. Die Verhandlungen sind oft assistenten, Übersetzer und Logistiker. mühsam, da der in der Region grassierende Für meine Dissertation zum Verständnis illegale Rosenholzhandel zu einem horren- von Landschaftsveränderungen auf regio- den Anstieg der Tageslöhne geführt hat. naler Ebene benötige ich Informationen Sind die Träger gefunden, wird das Gepäck zur Landnutzung der lokalen Bauern. In an Bambusrohren festgezurrt und los Madagaskar gibt es bis jetzt leider keinen geht es im Gänsemarsch in die dicht genügend detaillierten landwirtschaftlichen bewachsenen Hügel hinein. Das Marsch- Zensus, deshalb muss ich die benötigten tempo ist zügig, sind sich die Madagassen Daten selber erheben. doch gewohnt, weite Strecken zu Fuss Der logistische Aufwand für die Daten- bewältigen zu müssen. Die sengende Sonne sammlung ist gross, denn die Dörfer der wechselt sich ab mit tropischen Regen- Region sind nur zu Fuss erreichbar. Ausser- güssen. dem müssen sämtliche Lebensmittel wie Normalerweise erreichen wir das erste auch die Campingausrüstung mitgeschleppt der Studiendörfer nach einem Tagesmarsch. werden. Wir unternehmen deshalb von Dann suchen wir die Hütte des Dorfchefs Maroantsetra aus mehrere zweiwöchige auf und warten, bis dieser von der Arbeit Expeditionen in verschiedene Dörfer im in den Reisfeldern zurückkehrt. Die Dorf- Landesinnern. Oft wird der erste Teil dieser bewohner sind über unseren Besuch stets Expeditionen mit einer Piroge (Einbaum) sehr überrascht, da eine Ankündigung auf einem der zahlreichen Flüsse oder im ohne Mobilfunknetz und funktionierender Offroader auf der einzigen Strasse der Post schwierig ist. Nachdem Paul Clément Region entlang der Küste absolviert, be- Harimalala unser Anliegen, mit der Dorf- vor es zu Fuss weiter geht. Was hier als bevölkerung zu arbeiten, ausführlich erklärt Nationalstrasse bezeichnet wird, ist jedoch hat, erhalten wir vom Chef meistens schnell eine katastrophale Buschpiste, die immer die Bewilligung. Dabei hilft, dass Paul als wieder durch Flüsse unterbrochen wird. In älterer Mann, der wie der Grossteil der Forschen in der Welt UniPress 164/2015 13
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Lokalbevölkerung von der Ethnie der Bet- simisaraka stammt, respektiert wird. Denn gerade in Dörfern, die nahe bei Schutz- gebieten liegen, sind die Leute oft sehr misstrauisch gegenüber Ausländern und Maroantsetra auch gegenüber Madagassen aus anderen Regionen des Landes. Der Ältestenrat wird einberufen Aber es kann auch anders kommen, wie Toamasina im Dorf Banda. Dort weigert sich der Dorf- Chef zunächst kategorisch, uns im Dorf Antananarivo zu beherbergen. Zudem will er uns in den Hauptort der Gemeinde schicken, der zwei Tagesmärsche entfernt liegt, um eine Be- Madagaskar willigung des «Bürgermeisters» einzuholen. Da viele Leute nur schlecht schreiben und lesen können, nützt auch die mitgebrachte schriftliche Forschungserlaubnis des Umweltministeriums wenig. Nach langem Hin und Her wird beschlossen, dass zuerst der Ältestenrat tagen muss, um eine Entscheidung zu treffen. Immerhin bekommen wir die Erlaubnis, uns für die Nacht niederzulassen. Madagaskar Wir können unsere Zelte unter dem • Julie Zähringer, 29, aus Kreuzlingen Reis, bedroht. Durch eine Kombination schützenden Blechdach eines halb fertig • Doktorandin von Satellitenbildanalyse und sozioöko- gebauten Holzhauses aufstellen. Dank dem • Centre for Development and nomischen Daten wird versucht, den Spektakel einer mit einem Zelt hantie- Environment (CDE) Landschaftswandel der letzten 16 Jahre renden weissen Frau bildet sich bald ein • Ort: Maroantsetra ist eine Stadt an der sowie gegenwärtige Ansprüche enger Kreis aus Alt und Jung um uns Nordostküste der Insel Madagaskar in verschiedener Akteure an Ökosystem- herum. In vielen der besuchten Dörfern bin der Region Analanjirofo und Provinz leistungen besser zu verstehen. Ziel ist, ich seit dem Ende der Kolonialzeit die erste Toamasina. Die Stadt liegt am nörd- eine Datenbasis zu schaffen für zukünf- weisse Person im Dorf, was insbesondere lichen Ende der Bucht von Antongil tige Verhandlungen zur Verminderung bei den Kindern eine Mischung aus Schau- (15° 26’ S, 49° 45’ O). von Landnutzungskonflikten. dern und Neugier hervorruft. Eine Frau • Projekt: Die biodiversitätsreichen • Finanzierung: Centre for Development fragt erstaunt, auf welchem Weg denn die Wälder im Nordosten Madagaskars sind and Environment (CDE) der Universität Vaza (Fremde) das Dorf erreicht habe, da durch die fortschreitende Ausbreitung Bern sich die Kolonialherren früher anscheinend der Landwirtschaft, insbesondere die in Sänften in die Dörfer tragen liessen. Brandrodung für den Anbau von Berg- Auch beim täglichen Bad im Fluss oder beim Filtern von Flusswasser zum Trinken bleibe ich selten lange alleine, denn die Kinder warten mit dem Abwasch oder der Schliesslich erhalten wir die Erlaubnis rück, um die gesammelten Daten in den Körperhygiene immer gerne, bis auch ich und können mit der Arbeit beginnen. Vor Computer einzutippen und die nächste das steile Flussufer hinabsteige. Beginn wird durch den Ruf des Muschel- Mission zu planen. horns die gesamte Dorfbevölkerung Obwohl auch im Distrikthauptort das Mit dem Segen der Ahnen versammelt, um sie über den Sinn und Wasser zum Duschen aus dem Brunnen ge- In Banda findet am nächsten Tag eine Zweck unserer Arbeit zu informieren. Es schöpft werden muss, im Garten Orchideen Ahnenzeremonie statt, deshalb kann der reicht aber nicht, dass Paul auf Mada- wachsen, Chamäleons der Stromleitung Ältestenrat erst danach zusammenkommen. gassisch spricht. Die Dorfbevölkerung entlang spazieren und fast alle Strassen aus Dafür werden wir zur Zeremonie ein- fordert lautstark, die Stimme der Vaza zu Sand bestehen, kommt durch die lebendige geladen, die auf dem Feld einer Familie hören und so muss auch ich eine kleine Marktatmosphäre so etwas wie ein Stadt- stattfindet, welche vor einiger Zeit zwei Rede halten. gefühl auf. Aber spätestens vor der Abreise Familienmitglieder verloren hat. Mit der Um die Veränderungen der Landschaft wird man sich wieder bewusst, wie isoliert Opferung von zwei Zebus nimmt die und die aktuelle Landnutzung besser zu diese Gegend ist. Denn hier wartet man vor Familie mit den Ahnen Kontakt auf und verstehen, diskutieren wir zunächst mit dem Abflug nicht im Terminal des Airports, holt ihren Segen für die Gesundheit ein. einer Gruppe von älteren Dorfbewohnern sondern zu Hause – bis man das Flugzeug Dazu wird Reis gegessen, der in riesigen den Wandel seit der Kolonialzeit. Wir anfliegen hört, das Maroantsetra zweimal Töpfen gekocht wird, und lokaler Zucker- zeichnen eine Karte des Dorfes, die zeigt, die Woche mit der Hauptstadt Antanana- rohrschnaps gebechert. Da nach diesem welcher Haushalt welche Arten von Land- rivo verbindet. Tag niemand mehr in der Verfassung nutzung betreibt und interviewen zusätzlich ist, eine wichtige Entscheidung zu treffen, einzelne Haushalte im Detail. Nach jeder Kontakt: Julie Zähringer, wird der Ältestenrat erneut um einen Expedition, die uns in zwei, drei Dörfer Centre for Development and Environment, Tag verschoben. führt, kehren wir nach Maroantsetra zu- julie.zaehringer@cde.unibe.ch Forschen in der Welt UniPress 164/2015 15
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Als Germanist unter Palmen Erkläre ich, wieso ich als literaturwissenschaftlicher Doktorand zum Arbeiten nach Indonesien reise, ernte ich zaghaften Widerspruch. «Ja aber …» heisst es, «etwas Zeit für einen Ausflug ans Meer werdet ihr schon haben.» Ohne Urlaubsabsicht nach Indonesien zu fahren, scheint in unserem Metier fast etwas obszön zu sein. Von Fermin Suter Die ersten Tage sind unvermeidbar exotisch. heisst es, «etwas Zeit für einen Ausflug ans befreiten Forschungssituation verhalten Der Ruf des Muezzins, Kopftücher, Nasi Meer werdet ihr schon haben.» Ohne wird, und wie er dies in seine Forschung Goreng an Essensständen, Hühner und Urlaubsabsicht nach Indonesien zu fahren, integrieren könnte. Von meiner akade- Truthähne in Innenhöfen, Geckos an den scheint in unserem Metier fast etwas mischen «comfort zone» bin ich jedenfalls Wänden unseres Hauses, lächelnde Ge- obszön zu sein. weit entfernt. sichter, von Motorrädern überquellende Strassenzüge, und natürlich das Klima, das Staunen, Freude, Scham und Schuld Schweiss, Zweifel mittags als Hitze, nachmittags als sturz- In Yogyakarta untersuche ich die Emotions- und eine abstrakte Wut flutartiger Regen den Gang der Dinge arbeit von informellen Guides und Touris- Und dann stehe ich also, durchschwitzt, mit regelmässig zum Erliegen bringt. Genauso ten: Was tragen Staunen, Freude, Scham- Kopfschmerzen, stets etwas übermüdet und kenne ich Indonesien aus jenen Reise- und Schuldgefühle, Verbrüderung und schlecht vorbereitet, an einer lärmigen berichten, die normalerweise meine For- Misstrauen dazu bei, wie ein fremder als Strasse in Yogyakarta, Notizbuch und Blei- schungsobjekte sind. Das Überraschendste gemeinsamer Ort erlebt wird? Aber ich stift griffbereit, unterwegs zur Touristen- an diesen ersten Eindrücken ist, dass sie bin ja gar kein Sozialanthropologe. Feld- attraktion Wasserschloss. Ich unterhalte wenig überraschend sind und sich alle forschung unter Normalbedingungen hiesse mich mit einem Rikscha-Fahrer und be- Erwartungen an die Andersartigkeit des für mich, in ein Archiv zu steigen, Auto- merke, was ich schon wusste: dass ich kein Landes bestätigen. Im Rahmen unserer rennachlässe zu durchwühlen. Doch meist Ethnologe bin, sondern Germanist, dass ich Kollaboration mit Sozialanthropologinnen reicht das Büro-Ensemble von Tisch, Stuhl, mich selbst als Feldforscher nicht ganz ernst und Primatologinnen der Freien Universität Computer und Bücherregal aus, vielleicht nehmen kann, dass es darum vielleicht Berlin bin ich im Januar 2015, quasi als Teil mal etwas Tageslicht in der Pause. Diese mir keine so gute Idee war, hierher zu kommen, einer literaturwissenschaftlichen Berner- neue Feldarbeit dagegen soll erfahrungs- dass ich die für ethnographisches Arbeiten Delegation, nach Yogyakarta, Indonesien intensiv und entsprechend etwas für Erfah- geforderte methodische Reflexion und den gereist. Während der kommenden vier rene sein. Eine Aura von Ernsthaftigkeit persönlichen Einsatz nicht mitbringe. Ist das Wochen werden wir hier zwecks Metho- umgibt «das Feld», es ist die «rite de der Extremfall interdisziplinären Methoden- denaustausch einen Feld- und Selbstversuch passage» für den Forschernachwuchs. «Die transfers: Schweiss, Zweifel und eine ab- unternehmen. Das bedeutet erstens: Eine Affekte der Forscher», mit denen sich unser strakte Wut auf abstrakte Forschungspläne? kleine Ethnographie in Yogyakarta, und Projekt beschäftigt, sind hier also nicht nur Es scheint, «das Feld» und die Selbsterfah- zweitens: die Freilandbeobachtung von Begleiterscheinung, sondern Programm: Die rung sind ganz nah. nichtmenschlichen Primaten. Freuden und Entbehrungen im Feld dürfen Die folgenden Tage und Wochen sind Wie rechtfertigt man den finanziellen wir jetzt am eigenen Leib erfahren, um geprägt von der Suche nach einem Tages- und zeitlichen Aufwand nach aussen und gerade dadurch besser zu verstehen, wie rhythmus. Aufstehen und hinaus, bevor die vor sich selbst? Erkläre ich, wieso ich als sie den Forschungsprozess beeinflussen. Hitze zu gross oder der Regen zu stark literaturwissenschaftlicher Doktorand zum «Es wandelt niemand ungestraft unter wird, mich selbst als Köder in die Men- Arbeiten nach Indonesien reise, ernte ich Palmen» seufzt der Germanist unweigerlich schenströme werfen, Gespräche suchen, zaghaften Widerspruch. «Ja aber …» und fragt sich, wie er sich in einer text- schnellstmöglich Erlebtes niederschreiben. Forschen in der Welt UniPress 164/2015 17
Dann zurück nach Hause, Notizen ver- schriftlichen, Kaffee trinken gegen die Müdigkeit, über dem produzierten Material brüten, Gespräche führen mit den mit- gereisten Kolleginnen, den nächsten Tag planen, das Gefühl ignorieren, nicht vorwärtszukommen, sich freuen über scheinbar Nebensächliches wie das Essen. Aber der Reiz des Neuen ist schon lange verflogen: Die immer selben Rundgänge, auf die mich Guides mitnehmen wollen, langweilen mich, die lokalen Sehenswürdig- keiten kenne ich, Gesprächsanfänge und die Fragen nach Herkunftsland und Reisegrund wiederholen sich, Batik-Shops, in die man allzu oft zwecks Souvenirkauf gelotst wird, habe ich für den Rest meines Lebens genug gesehen, und immer öfters kommt Unzufriedenheit darüber auf, den Leuten das Bild des neugierigen Touristen vorzuspielen, um in Interaktion treten zu können. Den Personen gegenüber, die ich mehrfach antreffe, entwickle ich eine Fermin Suter in der «comfort zone» seines Berner Büros. Sympathie, die es erschwert, mich auf Forschungsfragen statt auf sie zu konzen- trieren. Manchmal entlastet die Idee, Tourist zu sein, vom Produktivitätszwang meines Feldforschungsversuchs, und manchmal hilft der Forscherstolz über die Banalität des Touristendaseins hinweg. Meine Strategien, mit dieser Art von Anstrengung umzu- gehen, beispielsweise das Verschweigen von Stolz oder das Betonen eigener Ver- Malaysia fehlungen, sind untrennbarer Teil meiner Beobachtungen, sie entscheiden nicht nur über den Verlauf meiner Begegnungen, sondern auch darüber, wie und woran ich mich erinnere, wovon ich wie berichte, welches Bild ich von den «Bereisten» Kalimantan zeichne. Pangkalan Bun Emotionen in Literatur und Selbstversuch Aus seiner Reiseliteratur kennt der Germa- nist dieses Phänomen im Umgang mit einer unbekannten Umgebung. Aber jetzt hat er es als einen immer dominanter und strapa- ziöser werdenden Rollenkonflikt erlebt. Wie diese Erfahrung für die eigene Forschung Jakarta produktiv gemacht werden kann, führt Java Yogyakarta dabei wieder zurück zum Thema der Forscheremotionen, das der Germanist in Bali Reiseberichten untersucht. Den Nutzen solch einer persönlichen Vertrautheit mit der Arbeitsweise einer anderen wissen- Indonesien schaftlichen Disziplin für die eigene • Fermin Suter, 31, aus Aadorf (TG) Wirkungen werden interdisziplinär in Forschung fortlaufend in Frage zu stellen • Doktorand Literaturwissenschaft, Sozialanthropo- und dadurch gleichzeitig einzufordern –, • Institut für Germanistik logie und Primatologie erforscht. Die darin liegt die schweisstreibende, strapa- • Ort: Yogyakarta, Java; Pangkalan Bun, Germanistinnen und Germanisten ziöse und andauernde Arbeit am interdiszi- Kalimantan untersuchen dabei Texte aus Reise- plinären Verständnis. • Das Projekt «Die Affekte der Forscher» literatur / Ethnologie und Primatologie. untersucht, wie Emotionen mit der • Förderung: Volkswagenstiftung Kontakt: Fermin Suter, «Feldarbeit» von Forschern und Reisen- • Weitere Informationen: Institut für Germanistik, den zusammenhängen. Ihre bewer- www.affekte.unibe.ch fermin.suter@germ.unibe.ch tungs-, erkennntis- und erzählleitenden 18 UniPress 164/2015 Forschen in der Welt
Von Berner Labors auf Äthiopiens Felder Für die Kleinbauern Äthiopiens wird die Uni Bern zum Begriff: Hier züchtet der Agronom und Molekularbiologe Zerihun Tadele weniger anfällige Sorten der Tef-Hirse, dem Grundnahrungsmittel für Millionen von Menschen. Von Zerihun Tadele Wenn ich im zentralen Hochland Äthiopiens Sobald wir in Bern im Labor eine neue, welche Projekte wir in Zukunft anpacken auf einem Tef-Feld stehe und in die Weite optimierte Tef-Linie gezüchtet haben, wollen. Ich besuche Bauern und lade sie blicke, sehe ich bis an den Horizont ein senden wir sie sofort nach Äthiopien, wo auf unsere Versuchsfelder ein. Ihre Rück- Meer aus Halmen. Was aussieht wie ein sie im «Debre Zeit Agricultural Research meldungen zu unseren neu entwickelten einziges, riesiges Feld mit Tef-Hirse sind in Center», dem nationalen Tef-Forschungs- Sorten sind wichtig. Und natürlich geniesse Wirklichkeit die unzähligen Felder vieler zentrum, mit lokal angepassten und ertrag- ich es, jeden Tag Injera zu essen, das tradi- Kleinbauern. Es ist schön anzusehen, wie reichen Tef-Sorten gekreuzt wird. Darauf tionelle, beliebte Fladenbrot aus Tef. die heranreifenden Rispen durch die Kraft folgen mehrere Jahre mit Feldversuchen in des Windes langsam hin- und herwogen. den Hauptanbaugebieten des Landes, bis In Niederwangen zuhause Dies ist ein glücklicher Moment für die eine neue Sorte zur Aussaat durch die Ich lebe mit meiner Familie in Nieder- Bauern: Nun entwickeln sie Vertrauen, dass Bauern freigegeben wird. Die Tests in Äthi- wangen, einem kleinen Dorf bei Köniz. sie in rund einem Monat etwas ernten opien sind unverzichtbar, geht es im Projekt In Niederwangen begrüssen die Leute können. Dieser Moment ist nicht nur für doch darum, verbesserte Sorten für äthio- einander jedes Mal, wenn sie sich treffen. die Bauern erfreulich, sondern auch für alle pische Landwirte zu entwickeln. Ich bin glücklich, in diesem Dorf zu Entwicklungshelferinnen und Forschenden, Regelmässig mache ich Reisen nach wohnen, wo wir gute Kontakte mit unseren mich mit eingeschlossen, da unser Äthiopien, um den Fortschritt der Tef- Nachbarn und der Gemeinschaft pflegen. Bestreben Früchte trägt. Projekte zu verfolgen. Mit meinen Forscher- Mein Alltag an der Universität Bern ist Obwohl Tef jährlich von mehr als sechs kollegen diskutiere ich, was wir erreicht routiniert: Einen Report oder ein Paper Millionen Kleinbauern angebaut wird haben, wo wir an Grenzen stossen und verfassen, mit den Mitgliedern meiner und das Grundnahrungsmittel für rund 50 Millionen Menschen allein in Äthiopien ist, hat die globale Wissenschaftsgemeinde diese wichtige Kulturpflanze vernachlässigt. Tef gehört zu den «orphan crops», Stief- kindern der Forschung. Das bedeutet, dass Tef bis jetzt nicht, wie andere Getreide, die Chance zur Verbesserung durch gezielte Züchtung erhalten hat. Mein Ziel ist, durch die Erforschung und Entwicklung der wich- tigsten Kulturpflanzen der Entwicklungs- länder zur globalen Ernährungssicherheit beizutragen. Der hohe Protein- und Eisen- gehalt sowie die Toleranz gegen Trocken- heit und Krankheiten machen Tef zum Getreide der Wahl von Konsumentinnen und Bauern. Weil Tef glutenfrei ist, wird das Getreide im Westen ausserdem bei Allergi- kern und als Lifestyle-Produkt immer beliebter. Zurzeit konzentrieren wir uns auf die Entwicklung von neuen Tef-Sorten mit kürzeren, stabileren Halmen, die ausserdem bei Trockenheit besser gedeihen, sind doch Umknicken und Vertrocknen die beiden Hauptgründe für die grossen Produktions- ausfälle. In den meisten Jahren geht ein Grossteil der Ernte verloren, da die Halme bei Wind und Regen rasch knicken. Zerihun Tadele in seinem Büro im Institut für Pflanzenwissenschaften. Forschen in der Welt UniPress 164/2015 19
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Forschungsgruppe diskutieren, Studierende unterrichten und betreuen sowie Experi- mente beaufsichtigen. Ich habe hier ein wunderbares Forschungs- und Arbeits- Eritrea Jemen umfeld, das Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen ist sehr gut. In der For- Sudan schungsgruppe, die ich führe, haben wir Spezialisten für Züchtung, Gewebekultur, Molekularbiologie, Bioinformatik und Rotes Meer Biomechanik. So lerne ich jedes Mal dazu, Äthiopien wenn ich mit diesen Expertinnen diskutiere. Um gezielt neue Sorten zu züchten, verwenden wir eine Vielzahl von Techniken und Geräten – zum Beispiel ein Verfahren Somalia namens TILLING (Targeting Induced Local Addis Abeba Lesions in Genomes). Dabei wird das Saatgut mit einer Substanz behandelt, die Debre Zeit zufällige Veränderungen im Erbgut bewirkt, welche anschliessend im Labor untersucht werden. Der natürliche langfristige Prozess der Mutation wird also künstlich beschleu- nigt, es werden jedoch keine fremden Gene eingeführt. Pflanzen mit den vielverspre- Kenia chendsten Genveränderungen – etwa für kürzere, robustere Halme – werden in Bern im Gewächshaus unter kontrollierten Um- Äthiopien weltbedingungen angebaut und getestet. • Zerihun Tadele, 51, aus Adaba, Bale, tige Techniken, um den Ertrag des noch Dazu verwenden wir auch biomechanische Äthiopien zu wenig erforschten Getreides Tef zu Ansätze. Die Stärke der Halme respektive • Forschungsgruppenleiter verbessern, das am Horn von Afrika ein die Widerstandsfähigkeit gegen Wind • Institut für Pflanzenwissenschaften, Plant Grundnahrungsmittel ist. Die verbes- und andere Kräfte, welche die Pflanzen Genetics & Development – Crop Bree- serten Tef-Sorten sollen demnächst die zu Boden drücken, werden mit einem ding & Genomics Bauern in Äthiopien erreichen. Roboter gemessen. • Orte: Bern sowie in Äthiopien Addis • Finanzierung: Syngenta Stiftung für Nach- Abeba und Debre Zeit haltige Landwirtschaft, SystemsX, Univer- Beziehungsnetz Europa-Afrika • Projekt: Das «Tef Improvement Project» sität Bern Ich habe viel Erfahrung in der Ausbildung nutzt mehrere herkömmliche und neuar- • Weitere Informationen: www.ips.unibe.ch von Nachwuchsforschenden und Studie- renden. In den letzten Jahren haben wir ausserdem äthiopische Techniker und Nach- wuchswissenschaftler geschult, die in der Tef-Forschung und -Entwicklung tätig sind. toleranten Tef-Linien haben nach drei gefragt worden, in welchem Land sich die Ich arbeite eng mit öffentlichen und Wochen ohne Feuchtigkeit eine ausser- Universität Bern befindet, doch auch dank privaten Hochschul-, Forschungs- und gewöhnliche Leistung gezeigt im Vergleich der zahlreichen Medienbeiträge wird sie Entwicklungseinrichtungen sowie mit Land- mit den Kontroll-Linien, die stark be- unter Forschenden sowie in der äthio- wirten in Europa und Afrika zusammen – schädigt wurden. pischen Öffentlichkeit immer mehr zu insbesondere mit solchen aus der Schweiz Wir werden die ersten Halbzwerg- und einem Begriff. und Äthiopien. So habe ich durch Trainings- halmfesten Sorten nächstes Jahr zur Pro- Ich bin zuversichtlich, dass einige unserer programme und Schulungen in Äthiopien duktion freigeben. Ich bin zuversichtlich, Sorten zur Erhöhung der Produktivität von enge Beziehungen mit Pflanzenforschenden dass die neuen Sorten die Produktivität Tef beitragen und damit den Lebensunter- im ganzen Land aufgebaut, die auf Ge- erhöhen werden. Sie werden ausserdem die halt der Kleinbauern in Äthiopien sichern treide, Hülsenfrüchte, Gartenbau oder Mechanisierung des Tef-Anbaus ermögli- werden. Für die Verbreitung der Techno- Ölsaaten spezialisiert sowie in Züchtung, chen – vor allem bei der Ernte. logie braucht es allerdings noch mehr Enga- den Agrarwissenschaften, der Pathologie gement aus verschiedenen Sektoren der oder der Entomologie tätig sind. Die Bauern erreichen Gesellschaft. In diesem Fall kann die Univer- Unsere Arbeit kommt gut voran: So Meine Gruppe ergriff ausserdem die Initia- sität Bern nicht nur bei der Entwicklung der haben wir in unserem Labor am Institut für tive, das Genom der Tef-Pflanze erstmals entsprechenden Technologien eine wichtige Pflanzenwissenschaften der Universität Bern zu sequenzieren und zu veröffentlichen. Rolle spielen, sondern durch die Stärkung mehrere halmfeste und trockenheitstole- Ich freue mich, dass diese Informationen ihrer Outreach-Programme auch dafür rante Tef-Linien entwickelt. Nach der Kreu- nun in verschiedene Forschungsprogramme sorgen, dass die vielversprechenden neuen zung dieser Kandidatenlinien mit lokal einfliessen können. Dank den neu gezüch- Sorten die Kleinbauern in Afrika auch angepassten Tef-Linien in Äthiopien und teten Sorten und der Entschlüsselung des tatsächlich erreichen. der mehrjährigen Zucht haben wir vielver- Genoms wurde die Universität Bern auf sprechende Sorten entwickelt, die von verschiedenen Foren und Tagungen in Kontakt: Dr. Zerihun Tadele, Forschenden wie auch von Bauern sehr Äthiopien und andernorts zitiert oder Institut für Pflanzenwissenschaften, geschätzt werden. Die neuen trockenheits- erwähnt. Zwar bin ich in Äthiopien schon zerihun.tadele@ips.unibe.ch Forschen in der Welt UniPress 164/2015 21
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