Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund

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Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
Ausgabe 04-2017

                                                FÜR ANWENDUNGSBEZOGENE WISSENSCHAFT UND KUNST

                                                Studieren geht
                                                über Absolvieren

Campusnotizen             hlb aktuell                 Aus Wissenschaft              Wissenswertes
Musik eröffnet neue       DNH im Gespräch mit         & Politik                     Urteil zur Konsumtion
Horizonte                 HRK-Vizepräsidentin         Bayern fördert                besonderer Leistungs-
                          Prof. Monika Gross          Entrepreneurship-Ausbildung   bezüge in Niedersachsen

                      4                         20                        31                         34
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
2    Inhalt

    Campusnotizen                                                                    hlb aktuell
                                          Titelthema:
4 Hochschule Esslingen:                                                           20 DNH-Sommerinterview: HRK-
  Musik eröffnet Horizonte                Studieren geht                             Vizepräsidentin Monika Gross
  über das Studium hinaus                 über Absolvieren                           blickt auf ein Jahr im Amt zurück
                                                                                     | Von Dr. Karla Neschke
    HMKW Berlin: Philosophie im
    digitalen Zeitalter                                                           21 hlb- Kolumne: Grundfinanzierte
                                                                                     Forschung ist überfällig | Von Prof.
5 Hochschule Eberswalde:
                                                                                     Dr. Olga Rösch, Vizepräsidentin der
  ALNUS e. V.                          8 Wie aus BWL-Studenten Manager               hlb Bundesvereinigung
6 Hochschule Bremen: SPAGAT auf          werden | Von Prof. Dr. Fabian Dittrich
  dem TELLERRAND                       12 Lehre 4.0 revolutioniert
                                          E-Learning in Hochschule und
                                          Weiterbildung | Von Prof. Dr. Dr.
                                                                                     Wissenswertes
                                          Heribert Popp und Monica Ciolacu
    Fachaufsätze                                                                  33 Leserbrief
                                       16 „Frischzellen“-Projekt zur
                                          Förderung neuer Lehr- und               34 Alles, was Recht ist
22 Wo sind deutsche Hochschulen
   in den Social Media? | Von Dr.         Lernformen | Von Prof. Dr. Alexander    35 Neue Bücher von Kolleginnen
   Matthias Johannes Bauer                Tsipoulanidis                              und Kollegen

26 Bildung 4.0 aus Sicht der                                                      36 Neuberufene
   Wirtschaftswissenschaften | Von
   Prof. Dr. Felicitas G. Albers und      Aus Wissenschaft
   Prof. Dr. Wolfgang Renninger
                                          & Politik                                  Standards
                                       30 Baden-Württemberg: care4care:
                                                                                  3 Editorial
                                          Neuer Forschungsverbund
                                          entwickelt Strategien gegen den         7 Autoren gesucht & Impressum
                                          Fachkräftemangel in der Pflege
                                                                                  38 Stellenanzeigen
                                       31 Bayern: Wissenschaftsminister gibt
                                                                                  40 hlb Seminartermine 2017
                                          Förderung der Entrepreneurship-
                                          Ausbildung mit dem Schwerpunkt
                                          Digitalisierung bekannt
                                          Niedersachsen: Kindheitspädagogik
                                          gestärkt
                                       32 Hochschulfinanzierung: Mehr
                                          als eine Milliarde Euro jährlich für
                                          ostdeutsche Hochschulen gefordert
                                       33 Hochschulrektorenkonferenz:
                                          HRK-Hochschulkompass erweitert
                                          und optimiert

                                                                                                              04 | 2017 DNH
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
Editorial     3

                           Studieren geht
                           über Absolvieren
                           Nirgendwo steht geschrieben, dass ein „Bologna“-Studium eine einzige
                           Punktejagd sein muss, bei der die Studierenden per Bulimie-Lernen von
                           Prüfung zu Prüfung hetzen. Stattdessen werden vielerorts neue Lehr-
                           und Lernformen entwickelt, und es bleibt auch noch Zeit für Aktivitäten
                           außerhalb des vorgesehenen Lernpfads.

                                                              „Bologna“ erzwingt ein verschultes Studi-      Einerseits verlangt der zunehmende
                                                              um. So oft dieser Satz auch zu hören ist,      Weiterbildungsbedarf während des Berufs-
                                                              wird er doch auch durch Wiederholung           lebens eine stärkere Ausdifferenzierung
                                 Foto: hlb/Judith Wallerius

                                                              nicht wahr. Gerade wir Professorinnen          des Lehrstoffs. Andererseits soll die Lehr-
                                                              und Professoren mit unserer Gestaltungs-       methodik stärker auf die individuellen
                                                              freiheit in der Lehre und mit unserer          Lernvoraussetzungen eingehen. Ihre
                                                              starken Position in den Gremien haben          Antwort auf beide Herausforderungen
                                                              keinen Grund, Studienstrukturen und            lautet „Lehre 4.0“ (Seite 12).
                Christoph Maas                                Lehrformen als gegeben hinzunehmen,
                                                              wenn sie uns wenig sinnvoll erscheinen.          Alexander Tsipoulanidis praktiziert
                                                              Erfreulicherweise sieht die Realität ja auch   in seinen Lehrveranstaltungen nicht
                                                              vielerorts anders aus. Kolleginnen und         einfach nur Teamteaching, sondern die
                                                              Kollegen entwickeln und erproben neue          Lehrenden verstehen sich dort zugleich
                                                              Formate für Lehrveranstaltungen. Damit         auch als Coaches, die die Studierenden
                                                              verbessert sich nicht nur die Passung          bei selbstständigen Lernprozessen unter-
                                                              zwischen Studium und Arbeitswelt –             stützen. Die HWR Berlin hat sich vorge-
                                                              so nützlich das auch ist –, sondern das        nommen, diesen Ansatz auf weitere Lehr-
                                                              Lernerlebnis selbst verändert sich. Studie-    veranstaltungen zu übertragen (Seite 16).
                                                              ren fühlt sich sinnvoller an und macht
                                                              mehr Spaß.                                        Aber ein Studium ist mehr als ein Quali-
                                                                                                             fikationsprozess. Es gehört auch vieles
                                                                Fabian Dittrich stellt das Kompetenz-        dazu, das sich außerhalb vorgegebener
                                                              und Forschungszentrum casem an der             Lehrveranstaltungen abspielt. Als Erstes
                                                              FH Dortmund vor, das über das gesamte          fällt vielen von uns hier wahrscheinlich
                                                              Bachelor- und Masterstudium der BWL            der Hochschulsport ein, der fast an jedem
                                                              hinweg die Auseinandersetzung mit              Hochschulort präsent und sowohl natio-
                                                              Fragestellungen aus realen Unterneh-           nal als auch international ausgezeichnet
                                                              men ermöglicht. Der Blick von Studie-          vernetzt ist. In der Rubrik „Campusno-
                                                              renden auf betriebliche Entscheidungs-         tizen“ werfen wir einen Blick auf ande-
                                                              prozesse entwickelt sich weiter, wenn sie      re Bereiche wie Theater, Musik, Umwelt
                                                              dabei laufend selbst Position beziehen         oder Philosophie. Muss ich noch geson-
                                                              müssen (Seite 8).                              dert sagen, dass Kontaktaufnahme zum
                                                                                                             Erfahrungsaustausch oder zur Nachah-
                                                                Heribert Popp und Monica Ciolacu             mung ausdrücklich erwünscht ist?
                                                              setzen sich an der TH Deggendorf gleich
                                                              mit zwei Anforderungen auseinander:                                  Ihr Christoph Maas

DNH 04 | 2017
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
4     Campusnotizen

  Hochschule Esslingen

Musik eröffnet Horizonte über das
Studium hinaus
Studium und Lehre verlangen von den            zum Berufsleben arbeitet man eng zusam-
Beteiligten ein Höchstmaß an Konzentra-        men und lernt die Stärken (und auch
tion und Ausdauer. Da mutet es fast wie        Schwächen) der anderen kennen. Man ist
ein gewagtes Angebot an, in seiner Freizeit    an einem langfristigen Wachstumsprozess
noch am Hochschulorchester, der Band           beteiligt und kann sich auf konstruktive
oder dem Chor teilzunehmen.                    Weise einbringen. Der hieraus entstehen-
                                               de Spaß an der Sache ist kein schnel-
  Musik als Nebenfach oder auch als            ler, leicht zugänglicher „Spontan-Spaß“,
Arbeitsgemeinschaft hatte es in allgemein      sondern eine tiefe Freude darüber, gemein-
bildenden Einrichtungen in Deutschland         sam etwas Bedeutsames zu schaffen.
schon immer schwer. In einem Orches-

                                                                                                                                             Foto: R. Kraning
ter oder einer Band zu spielen bedeutet,          Im Jahr 1959 wurde das Orchester von
dass man sich zeitlich bindet: Man muss        dem Studenten Karl Mündl gegründet.
Proben vorbereiten und daran teilneh-          Dass hier heute die 12-jährige Cellistin in
men und darüber hinaus auch zu Auftrit-        einer Stimmgruppe mit der Studienanfän-
ten zur Verfügung stehen. Hoher Aufwand        gerin sowie der Sekretärin eines ehema-         Alle Musikgruppen begleiten darüber
steht einem vermeintlich kleinen Mehr an       ligen Rektors der Hochschule musiziert,       hinaus Veranstaltungen der Hochschule
Lebensqualität gegenüber.                      ist faszinierend. Denn in welchem ande-       bei Festen, beim Tag der offenen Tür und
                                               ren Zusammenhang würden sie sich sonst        beim traditionellen Hochschulkonzert am
  Warum also treffen sich mittwochs und        überhaupt begegnen und ihr Leben ein          ersten Advent.
donnerstags – selbst in stressigen Zeiten –    kleines Stück weit teilen?
an der Hochschule Esslingen engagierte                                                          Dies alles ist nur möglich an einer
Studierende, Lehrende, Mitarbeiterinnen          Dass die Pep-Band, die 2010 gegründet       Hochschule, die ihren Studierenden und
und Mitarbeiter sowie Freunde der Hoch-        wurde, weit und breit das einzige Ensem-      Lehrenden dieses Mehr an Erfahrung
schule im Alter zwischen zehn und 75plus       ble seiner Art ist, welches jährlich zur      ermöglicht. Die organisatorische sowie
Jahren? Was verbindet diese Menschen,          Verabschiedung der Absolventinnen und         finanzielle Unterstützung durch die Hoch-
die verschiedenste Biografien haben und        Absolventen beim traditionellen Kandel-       schule und den Verein der Freunde der
auf sehr unterschiedliche Weise zur Musik      marsch mit Lehrenden, Förderern und           Hochschule Esslingen e. V. (VDF) sind ein
(und somit in das Hochschulensemble)           Absolventen durch die Stadt zieht, zeigt      klares Bekenntnis zu einer ganzheitlichen
gekommen sind? Die selbst nach Auslands-       nach außen vor allem eines: Musik ist hier    Bildung, welche über die rein fachliche
semestern zurückkehren und sich weiter-        nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern       Ausbildung ihrer Studierenden hinausgeht.
hin künstlerisch einbringen?                   Ausdruck eines Lebensgefühls. Dass sich
                                               Studierende in der SING_UNI nicht nur           www.hs-esslingen.de/musik
   Die Haltung zu dem, was wir tun, spielt     als Sängerinnen und Sänger, sondern
sicher eine große Rolle. Genau wie beim        auch als Bühnenbildner, Regisseur-Teams       Musical Candy Shop 16. März 2016
Fitnesstraining oder im Tai Chi verschreibt    und Autoren einbringen, dokumentiert           h t t p s : / / w w w. y o u t u b e . c o m
man sich einer gemeinsamen Sache, die          eindrucksvoll, wie Verantwortung über-         watch?v=yx08BdmWlH4
einen beschäftigt und inspiriert. Analog       nommen wird.
                                                                                                         Steffi Bade-Bräuning, OStR‘
                                                                                                   Leiterin Orchester, SING_UNI und
                                                                                                 Pep-Band der Hochschule Esslingen

  HMKW Berlin

Philosophie im digitalen Zeitalter
Am 5. Juli 2017 fand in der Hochschule           Ziel der Veranstaltung war es, den          Philosophie informiert werden. Bis
für Medien, Kommunikation und Wirt-            Leuten die Scheu vor dem Thema Philoso-       zum Schluss sollte es sie emotionali-
schaft in Berlin HMKW das Event „Philoso-      phie zu nehmen und Interessierte zusam-       sieren und in ihrem wirtschaftlichen
Bieren // Philosophische Fragen im digi-       menzubringen. Die Besucher sollten eige-      Handeln sensibilisieren. Die Besucher-
talen Zeitalter“ unter der Leitung von Prof.   ne Gedanken entwickeln und über den           anzahl betrug ca. 50 bis 60 Leute –
Dr. Lorenz Pöllmann statt.                     Zusammenhang von Wirtschaft und               darunter nicht nur Studenten, sondern

                                                                                                                             04 | 2017 DNH
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
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auch Dozenten, weitere Mitarbeiter der     darauffolgenden Podiumsdiskussion über-               vom Fass, welches den gemütlichen Teil
HMKW sowie „Außenstehende“, die            nahm Dr. Andreas Pagiela die Moderation               des Abends unterstrich.
durch externe Werbemaßnahmen auf           und sprach mit den Experten Dr. Barba-
das Event aufmerksam geworden waren.       ra Strohschein, Expertin für Ethik und                  Die Veranstaltung klang mit dem
                                           Werte-Fragen, und Sascha Zöller, Busi-                Auftritt der Band „Somebody Else“
  Im Rahmen der Veranstaltung fanden       ness-Experte für die Digitale Transformati-           gegen 19 Uhr aus, die für die richtige
Gedankenexperimente und eine               on. Die Besucherinnen und Besucher des                Stimmung mit Pop-Musik sorgte. In
anschließende Podiumsdiskussion statt.     Events nahmen an der Diskussion rege                  einem gemütlichen Rahmen wurde
Die Co-Moderaterin eröffnete die Veran-    teil und äußerten ihre Gedanken zu den                getanzt und diskutiert. Das „Philoso-
staltung mit Gedankenexperimenten.         Themen Leistungsgesellschaft und wie                  Bieren“ war ein voller Erfolg und das
Nachdem diese diskutiert wurden,           die Digitalisierung unseren Alltag und                Ziel der Veranstaltung erreicht.
öffnete sich das Publikum gedanklich       unser Verhalten prägt. Auch an der Bar
für die nachfolgenden Themen. Bei der      war viel los. Die Gäste genossen das Bier                                  Diego Unternährer

  Hochschule Eberswalde

ALNUS e. V.
Die „Arbeitsgemeinschaft für Land-
schaftspflege, Naturschutz, Umweltbil-
dung und Stadtökologie“ (ALNUS e. V.)
wurde 1997 von Studenten des Fachbe-
reichs Landschaftsnutzung und Natur-
schutz der damaligen Fachhochschule
Eberswalde, jetzt Hochschule für Nach-
haltige Entwicklung Eberswalde – HNEE,
gegründet. Ausschlaggebend war ihr
Wunsch, neben dem Studium praktisch
im Natur- und Umweltschutz tätig zu
werden. Die Mitglieder des ALNUS sind
überwiegend Studenten und Absolventen
der HNEE, die neben ihrem Studium oder

                                                                                                                                             Foto: ALNUS e. V.
Job Zeit finden, sich ehrenamtlich für
den Naturschutz zu engagieren.

  Seit 2006 betreibt der ALNUS einen
                                           Die jährliche Wiesenmahd fördert die Artenvielfalt.
Schulgarten in Kooperation mit der
Goethe-Grundschule. Schülerinnen und
Schüler helfen regelmäßig bei der Pfle-    ist notwendig, um eine für diese Regi-                in andere Länder verlagerte Umweltzer-
ge des Gartens und Studierende können      on typische vielfältige Pflanzengesell-               störung, klimafreundlich und gesund
ihre Fähigkeiten im Bereich Umweltbil-     schaft zu erhalten. Für die Pflege erhält             zu leben.
dung testen. Bei der Pacht des Grund-      der Verein Vertragsnaturschutzmit-
stücks und bei der Realisierung von Bau-   tel, die unter anderem dafür eingesetzt                 In den letzten Jahren hat sich eine
und Bildungsprojekten unterstützt die      werden, einen Bundesfreiwilligendienst-               Verschiebung der Tätigkeiten des Vereins
Stadt den ALNUS finanziell. Seit 2010      ler zu finanzieren, aber auch um Veran-               vom praktischen Naturschutz hin zu
wird ein zweiter Garten in dem Bran-       staltungen zu fördern, die von unseren                Tätigkeiten für eine nachhaltige sozial-
denburgischen Viertel, dem größten Plat-   Helfern organisiert werden.                           ökologische Gesellschaftserneuerung voll-
tenbauquartier in Eberswalde, betrieben.                                                         zogen. Entscheidend dafür war einer-
                                             Bei der Landschaftspflege geht es nicht             seits die zunehmende Desillusionierung,
  Eine der langjährigen Tätigkeiten des    nur um die Natur, sondern darum, selbst               dass die Politik imstande ist, die sich
Vereins ist die Landschaftspflege. Zwei    zu erfahren und anderen zu zeigen, wie                zuspitzende soziale und ökologische
artenreiche Wiesen, ein Trockenrasen       reichhaltig die Natur ist. Auf Grundlage              Krise zu bewältigen, und andererseits
und eine Feuchtwiese an der Finow          der Wertschätzung der Natur versuchen                 die dadurch in Eberswalde entstandenen
werden jährlich mit der Sense gemäht       ALNUS-Mitglieder zusammen mit vielen                  Initiativen, die sich für einen grund-
sowie eine Streuobstwiese durch Obst-      anderen eine Lebensweise zu praktizie-                sätzlichen Wandel einsetzen, wie etwa
baumschnitt gepflegt. Die Wiesenmahd       ren, die es ermöglichen soll, ohne die                die Transition-Bewegung.

                                                                                                                              Paul Venuß

DNH 04 | 2017
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
6    Campusnotizen

  Hochschule Bremen

SPAGAT auf dem TELLERRAND
Wer diese Anstrengung erbringen möch-
te, benötigt außergewöhnliche körper-
liche Geschicklichkeit. Mehr noch.
Wer zum Spagat ansetzen will, braucht
Willenskraft und Ausdauer, muss sein
eigenes Scheitern, aber auch das der
anderen Mitstreiter aushalten können,
darf nicht lamentieren, sondern muss
seine Energie in innovative Lösungsstra-
tegien umsetzen können. Werden Grenz-
erfahrungen in einem lustvollen Lernpro-
                                              Foto: Sabrina Peters

zess gelebt, schaffen sie den Blick auf das
Neue, das Unbekannte. Mut und Neugier
sind hierbei unverzichtbare Vorausset-
zungen. Der Lernprozess erfordert Mut
und Neugier auf das Unbekannte. Diese                                Aus der aktuellen Inszenierung von „Peer Gynt“
Prinzipien zu beherzigen, wünscht man
sich in Forschung und Lehre. Im Thea-                                Angeboten eher fakultative Angebote.             sein. Nur so gelingt die Aneignung
terprozess sind sie konstitutiv.                                     Dieser Blick auf kulturelle Inhalte wird         von Wirklichkeit. Die Übernahme
                                                                     durchaus auch von den Studierenden so            von gesellschaftlicher Verantwortung
                                                                     gesehen. Kulturelle Kompetenzen haben            fordert Kompetenzen wie Selbstwirksam-
Kultur als Schlüsselkompetenz                                        demnach mit einem erfolgreichen Studi-           keit, Konfliktfähigkeit, Urteilsfähigkeit,
                                                                     enabschluss wenig zu tun.                        Perspektivenübernahme, Partizipation
Forschung und Lehre stehen an der                                                                                     und das bewusste Reflektieren des eige-
Hochschule Bremen zwar im Mittel-                                      Das kulturelle Grundverständnis von            nen Tuns: Empathie.
punkt. Im oft zitierten „Blick über den                              Studierenden lässt sich aber nicht primär
Tellerrand“ werden den Studierenden                                  durch konsumtive Teilnahme an Thea-                 Kultur ist grundsätzlich identitätsbil-
aber auch kulturelle Angebote gemacht.                               ter-, Musik- und Literaturveranstaltungen        dend. Das haben besonders die Insze-
Hierzu gehören neben der Theaterwerk-                                entwickeln, sondern durch aktive Einbe-          nierungen „Schiff der Träume“ und
statt auch der Hochschulchor „IntoNa-                                ziehung kultureller Schlüsselwerte in            unser aktuelles Stück „Peer Gynt“ deut-
tion“ und das Literaturfestival „poetry                              die Inhalte von Lehre und Forschung.             lich gemacht. Die Zusammenarbeit und
on the road“.                                                                                                         das Einbeziehen von Flüchtlingen und
                                                                     Wenn sich für das Studium der Stellen-           geistig behinderten Menschen bedeuten
                                                                     wert für kulturelle Inhalte verändern soll,      für alle Beteiligten neue und fruchtbare
Theater als Wahlpflichtmodul                                         muss ihre Bedeutung curricular sichtbar          Erfahrungen.
                                                                     werden.“
Mit Beginn des Wintersemesters 2017/18                                                                                  Die Theaterwerkstatt arbeitet jedes
bekommen die Studierenden an der                                                                                      Studienjahr mit zwei Gruppen, soge-
Hochschule Bremen erstmals die Möglich-                              Inszenierung von Authentizität und               nannten Einsteigern und Fortgeschrit-
keit, die Theaterwerkstatt als Modul anzu-                           Erwerb von Demokratie-Kompetenz                  tenen. Leiter der Gruppen sind Roland
wählen und sich dafür entsprechende                                  Zwei Gründe, warum wir Theater machen            Huhs und Holger Möller.
Creditpoints anrechnen zu lassen. Zwar
lebt die Theaterwerkstatt von Beginn                                 „Theater darf nicht langweilig sein. Es darf
an ab 1999/2000 von der Freiwilligkeit                               nicht konventionell sein. Es muss uner-          Einblicke in unsere Arbeit:
der Anwahl. Die Anerkennung zu einem                                 wartet sein. Theater führt uns durch Über-
Modul durch die Hochschulgremien ist                                 raschung, durch Erregung, durch Spiel,             facebook.com/Theaterwerkstattder-
jedoch das Ergebnis einer gewachsenen                                durch Freude zur Wahrheit. Es macht die            HochschuleBremen
Akzeptanz. Kulturelle Angebote haben                                 Vergangenheit und die Zukunft zu Teilen
es an der Hochschule Bremen zunächst                                 der Gegenwart, es ermöglicht uns eine                                          Holger Möller
einmal nicht leicht. Nahezu 70 Studi-                                Distanz zu dem, was uns normalerweise
engänge sind überwiegend technisch                                   umfängt, und überwindet die Distanz zu
ausgerichtet und auch ihr geisteswissen-                             anderem, was normalerweise weit weg
schaftlicher Anteil u. a. mit dem Schwer-                            liegt.“ (Peter Brook)
punkt Wirtschaft haben nur wenig kultu-
relle Kompetenzziele im Programm.                                      Ein lebendiges, gegenwärtiges Thea-
Viele Professoren sehen in kulturellen                               tererlebnis muss nah am Puls der Zeit

                                                                                                                                                      04 | 2017 DNH
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
Impressum             7

                                      AUTOREN GESUCHT
                             5/2017: Hochschule für die Region, Redaktionsschluss: 25. August 2017
                             6/2017: Studienangebote in internationaler Kooperation,
                             Redaktionsschluss: 27. Oktober 2017
                             1/2018: Service-Learning – Lernen durch Engagement,
                             Redaktionsschluss: 29. Dezember 2017

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                        Kontakt:
                        Prof. Dr. Christoph Maas
                        @ christoph.maas@haw-hamburg.de

                IMPRESSUM

                Herausgeber:                                        Verlag:
                Hochschullehrerbund –                               DUZ Verlags- und Medienhaus GmbH
                Bundesvereinigung e. V. hlb                         Kaiser-Friedrich-Straße 90
                Godesberger Allee 64                                10585 Berlin
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                Chefredakteur:                                      Dr. Wolfgang Heuser (Geschäftsführer)
                Prof. Dr. Christoph Maas                            w.heuser@duz-medienhaus.de
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                (verantwortlich im Sinne des Presserechts           Telefon: 030 212 987-31/27
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                Redaktion:
                Dr. Karla Neschke                                   Erscheinung:
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                karla.neschke@hlb.de
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                                                                    Bonn.
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                Piktogramme: S. 34, 35, 36, 38 und 39: 123rf.com    Verbandsoffiziell ist die Rubrik „hlb-aktuell“.
                                                                    Alle mit Namen des Autors/der Autorin verse-
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                                                                    Redaktionsschluss dieser Ausgabe:
                                                                    16. Juni 2017

                                                                    ISSN 0340-448 x

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DNH 04 | 2017
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
8   Titel: Studieren geht über Absolvieren

Wie aus BWL-Studenten
Manager werden
Fachhochschulen bieten dank bewährter Methoden eine praxisnahe Ausbildung.
In Dortmund werden diese Methoden zielgerichtet mit innovativen didaktischen
Ansätzen weiterentwickelt | Von Prof. Dr. Fabian Dittrich

                                                                                                                                                Foto: dolgachov123RF.com
                                                    22:00 Uhr, Laptops und Tablets leuchten,      für unsere praxisnahe Ausbildung. Vor
                                                    das Flipchart voller Zahlen, Pizzageruch      allem Praxissemester, kooperative Projekt-
                                                    steht im Raum. Es klopft und alle Köpfe       sowie Abschlussarbeiten mit Unterneh-
                                                    drehen sich zur Türe. Die Hausmeiste-         men und Institutionen, Praxisvorträge,
                                                    rin: „Jetzt ist aber wirklich mal Schluss     Gruppenarbeiten, Fallbeispiele und Plan-
                                                    hier.“ In kurzer Hektik werden die Sachen     spiele sollen die Studierenden näher an
                Foto: privat

                                                    gepackt und es geht in die Bibliothek – die   die Arbeitswelt bringen.
                                                    ist noch bis Mitternacht geöffnet.
                                                                                                    Universitäten setzen heutzutage die
              Prof. Dr. Fabian Dittrich               In vielen mittleren und großen Unter-       genannten Methoden ebenfalls in ihrer
                                                    nehmen ist es die stille Erwartungshal-       Ausbildung ein. Dies geschieht zwar oft
               Fachhochschule Dortmund              tung an den Manager-Nachwuchs, in             im geringeren Umfang, doch ist es trotz-
                  Fachbereich Wirtschaft,           Ausnahmefällen auch einmal die Extra-         dem schwer, sich als Fachhochschule auf
                   Unternehmensführung              meile bis in die Nacht zu gehen. In Start-    dieser Basis zu differenzieren. Es bedarf
                                                    ups und Unternehmensberatungen wird           des Einsatzes weiterführender praxisnaher
            Professur für Entrepreneurship          sogar ganz offen darüber im Bewerbungs-       Methoden.
                                                    gespräch gesprochen. Als Fachhoch-
                               Emil-Figge-Str. 44   schule (FH) sollten wir die Studierenden
                               44227 Dortmund       der Generation Y auch darauf vorberei-        Center for Applied Studies & Education
                                                    ten. Allerdings ist dies im Rahmen von        in Management – casem.
          fabian.dittrich@fh-dortmund.de
                                                    Prüfungsordnungen und Lehrplänen gar
                                                    nicht so einfach. Im Fall oben wurde in       Am Fachbereich Wirtschaft der Fach-
             Weiterführende Literatur               einem Fallstudienseminar eine so inten-       hochschule Dortmund hat sich das von
                                                    sive Gruppendynamik geschaffen, dass          Prof. Jan-Philipp Büchler gegründete und
      BWL – Was ich im Studium hätte                alle 30 Studierenden in fünf Teams frei-      geleitete Kompetenz- und Forschungszen-
    lernen sollen. Von Fabian Dittrich.             willig bis in die Nacht an der FH blieben.    trum casem. unter anderem der Entwick-
      Erschienen 2017 im EWK Verlag.                                                              lung solcher weiterführenden Methoden
                                                      Bei der Evaluation solcher Veranstal-       gewidmet. Zahlreiche Kollegen, derzeit
                                                    tungen durch die Studierenden zeigt sich      insbesondere die Professoren Axel Faix,
                                                    von Begeisterung bis Frust ein breites        Sabine Quarg, Gregor Brüggelambert und
                                                    emotionales Spektrum. Nahezu immer            Fabian Dittrich, sowie Doktoranden und
                                                    wird ein hoher und wertvoller Wissens-        wissenschaftliche Mitarbeiter realisieren
                                                    und Erfahrungszuwachs attestiert. Auch        interdisziplinäre und anwendungsorien-
                                                    wenn es dann einmal heißt: „Jetzt weiß        tierte Forschung und Lehre. Dies geschieht
                                                    ich, welchen Job ich später (nicht)           in einem internationalen Netzwerk von
                                                    machen will.“                                 Hochschulen, Forschungseinrichtungen
                                                                                                  sowie Industrie-, Handels- und Außen-
                                                      An den Fachhochschulen wird – über          handelskammern. Ziel ist es, kleine und
                                                    alle Fachrichtungen hinweg – eine brei-       mittelständische Unternehmen kontinu-
                                                    te Palette an bewährten Methoden und          ierlich wettbewerbsfähiger zu machen,
                                                    Instrumenten eingesetzt. Diese bilden         auch im globalen Markt. Der inhaltliche
                                                    auch an der FH Dortmund die Grundlage         Fokus liegt auf Wachstumsstrategien

                                                                                                                                04 | 2017 DNH
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
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– insbesondere durch Internationalisierung und Inno-    Internationalisierung, Innovation und Gründung um
vation – von kleinen und mittelständischen Unter-       den Ordnungsrahmen und stimulierende Impulse für
nehmen sowie von Start-ups.                             Unternehmen auf ihrem Wachstumspfad, u. a. mit
                                                        spieltheoretischen Methoden und Modellen.
   Die Forschungsperspektive ist ganzheitlich und
integriert wirtschaftliche und technologieorientierte
Fragestellungen zu den zentralen betriebswirtschaft-    Fallstudien als zentrale Lernmethode
lichen Themen Internationalisierung, Innovation,
Entrepreneurship und Institutionen wie in der Abbil-    „Fallstudie“ klingt zunächst wie ein alter Hut. Alle
dung dargestellt. Die Forschungsprojekte sind anwen-    Dozenten verwenden schließlich Praxisbeispiele. In
dungs- und handlungsorientiert durch eine intensive     Fallstudien geht es darum, auf Basis verschiedener
Kooperation mit Unternehmen und Institutionen.          Informationen Lösungsansätze für eine komplexe
                                                        Problemstellung zu entwickeln. Allerdings beschrän-
  casem. verfolgt einen integrierten Forschungs-        ken sich im Bereich Wirtschaftswissenschaften die
ansatz, der qualitative und quantitative Metho-         Fallstudien an deutschen Hochschulen oft auf klei-
den ergänzend einsetzt. Fragen der internationalen      ne Einheiten von meist 45 bis maximal 90 Minuten.
Marktbearbeitung werden in Forschungs- und Fall-        Grundlage sind kurze Texte und Tabellen mit explizi-
studienprojekten zu sogenannten Hidden Cham-            ten Aufgabenstellungen. Die Fallstudien dienen dabei
pions – mittelständische Weltmarktführer – bear-        als Ergänzung zu theoretischen Inhalten. Der didak-
beitet. Im Bereich der Fallstudienmethode ist die       tische Ansatz von casem. vertauscht diese Gewich-
FH Dortmund mittlerweile europaweit anerkannt           tung. Der zentrale Inhalt ist die Fallstudie, während
und vernetzt. Beispielsweise wird jährlich ein „Case    theoretische Überlegungen als Ergänzung dienen,
Method Workshop“ zum integrierten Einsatz von           sodass ein gänzlich fallstudienbasierter Kurs („case
Fallstudien in Forschung und Lehre angeboten, der       based curriculum“) entsteht.
von über 20 Dozenten internationaler Partnerhoch-
schulen besucht wird. Insbesondere in der Innovati-       Beispielsweise müssen die Studierenden im Kurs
onsforschung findet mit dem IHK-InnoMonitor eine        „Strategic Management Toolbox“ (6 ECTS) eine
der größten, regelmäßigen deutschen Erhebungen          Marktstrategie im Bereich Reinigungsmittel für einen
zum Thema Innovation statt. Die InnoMonitor-Daten       führenden globalen Markenhersteller entwickeln.
dienen als Basis für Forschende Lehre und Forschen-     Dazu werden den Studierenden schrittweise umfang-
des Lernen, welche vor allem im Master-Bereich          reiche quantitative und qualitative Informationen zur
eingesetzt werden. Teils über ganze Veranstaltungen     Verfügung gestellt. Die Studierenden agieren jeweils
hinweg beschäftigen sich die Studierenden mit der       in der Rolle eines bestimmten Managers (Marke-
Lösung praxisrelevanter Fragestellungen auf Basis       ting, Vertrieb, Forschung etc.). Dabei werden einige
der quantitativen Primärdaten. Bei den Fragen zu        Informationen nur selektiv zur Verfügung gestellt
„Entrepreneurial Management“ geht es um Manage-         und es gibt verdeckte Sonderaufgaben. D. h. einzel-
mentmethoden in Bereichen höchster Unsicherheit.        ne Studierende verfolgen in ihrer Rolle individuelle
In diesem Bereich werden besonders intensiv Simu-       Ziele, welche dem Teamziel mitunter entgegenstehen.
lationen wie etwa Business Wargaming oder Szena-        Dadurch entwickelt sich im Kurs eine hohe Dyna-
riotechnik sowie E-Learning-Konzepte entwickelt         mik. Quantitative Analysefähigkeiten sind genau-
und eingesetzt. Die volkswirtschaftliche und insti-     so gefragt wie Soft Skills. Die erforderliche Theorie
tutionelle Perspektive ergänzt die Fragestellungen zu   wird zwar in ihren Grundzügen dargestellt, allerdings

DNH 04 | 2017
Studieren geht über Absolvieren - Hochschullehrerbund
10 Titel: Studieren geht über Absolvieren

Abbildung: Lehr- und Forschungsfokus am casem. (www.casem.eu)

erkennen die Studierenden rasch die Grenzen der            Managementproblem. Dann gilt es, dazu relevante
reinen Lehre. Sie müssen die erforderliche Anpas-          Daten eigenständig im Unternehmen zu erheben
sung und Transferleistung im Rahmen einer durch            und aufzubereiten, zum Beispiel durch Interviews
Tutoren unterstützten Gruppenarbeit mit Zwischen-          und Datenabfragen. Neben der eigentlichen Fall-
präsentationen selbst erbringen.                           studie müssen die Studierenden auch die Teaching
                                                           Note für den Lehrenden entwickeln. Diese enthält
   Die Fallstudien des casem. basieren stets auf Primär-   Lernziele, didaktische Methoden, Theoriebausteine
daten. Dazu gehören Interviews, Datenbankauszüge           und inhaltliche Zusatzinformationen. Das Kursfor-
und Originaldokumente aus Unternehmen. So wird             mat führt damit zu einem Perspektivenwechsel,
Authentizität, Praxisnähe und infolgedessen die Iden-      vom Lernenden hin zum gestaltenden Vermittler.
tifikation der Studierenden mit dem Management-            Dies geht mit einem ausgeprägten Identifikationsge-
problem erreicht. Ein 360°-Review von Professoren,         fühl und höchster Motivation einher. Dieses Format
Unternehmensvertretern und Studierenden vor Veröf-         bedarf leistungsfähiger Studierender und intensiver
fentlichung sichern die Qualität der Fallstudien. Dies     Betreuung sowie Erfahrung mit der Fallstudienme-
heißt allerdings nicht, dass die Daten in den Fallstu-     thode, ermöglicht allerdings einen gemeinsamen
dien aus einem Guss sind. Im Unternehmensalltag ist        Lern- und Forschungsprozess.
dies auch nicht gegeben. Es gibt verschiedene Stand-
punkte, uneinheitliche Kategorisierungen von Daten,           Ein ähnliches Veranstaltungsprofil setzen wir im
Dopplungen und teils auch widersprüchliche Infor-          Bachelor-Bereich mit der Teilnahme an der Interna-
mationen. Die Studierenden sollen schon im Studi-          tional Case Competition des casem.-Partners Fach-
um mit Komplexität und Ambiguität umgehen lernen           hochschule Rotterdam (RUAS) um. Den Rahmen
und eigene Entscheidungskompetenz entwickeln.              dafür bildet die im Aufbau befindliche Europäische
                                                           Case Study Alliance (ECASA). Im Kurs geht es zwar
  Ein weiteres Beispiel ist der Kurs „Marketing &          zunächst um die Lösung einzelner Fallstudien, doch
Sales Controlling“ (3 ECTS). Über eine Semesterhälfte      ist das dahinterliegende Ziel ein Verständnis der Fall-
hinweg bearbeiten die Studierenden eine Fallstudie         studienmethode. Auch hier findet ein Perspektiven-
zur Komplexitätsreduktion eines führenden europä-          wechsel statt. Vom einzelnen Fall wird der Blick der
ischen Konsumgüterherstellers. In den über 30.000          Studierenden auf die Methode gelenkt. In kleinen
Datensätzen gibt es zahlreiche „Qualitätsprobleme“,        Teams treten die Studierenden in einen Vorentscheid
da die SAP-Auszüge unterschiedliche Darstellungs-          gegeneinander an. Das beste Team vertritt die FH
weisen, fehlende Stammdaten, doppelte Einträge             Dortmund im einwöchigen Seminar in Rotterdam.
und Ähnliches aufweisen. Die Studierenden müssen
vor der Komplexitätsanalyse zunächst die Datenpro-
bleme identifizieren und bewerten.                         Entrepreneurship – erleben statt erlernen

                                                           Das Themengebiet Entrepreneurship eignet sich
Fallstudien selbst entwickeln                              hervorragend zum Einsatz von Praxismethoden.
                                                           Es berührt viele zentrale Aspekte der Betriebswirt-
Im Master-Bereich wurde zuletzt erfolgreich ein            schaftslehre und wird daher bisweilen als Rahmen
weiteres innovatives Lehrformat entwickelt, welches        für die Veranstaltung „Einführung in die Betriebs-
sich an Ideen des Forschenden Lernens orientiert.          wirtschaftslehre“ genutzt, inklusive Fallbeispiele und
Studierende entwickeln Lehrfallstudien selbst in           Übungen. An der FH Dortmund gehen wir jedoch
Kooperation mit Partnerunternehmen von casem.,             noch einen Schritt weiter. Der gesamte Kurs findet
wie den Hidden Champions „Vaillant“ oder „GEA“             für die Studierenden aus der Unternehmerperspek-
sowie dem Sozialunternehmen „CoffeeCircle“. Die            tive statt. Sie durchleben den gesamten Gründungs-
Studierenden identifizieren zunächst ein geeignetes        zyklus von der Ideenfindung über Teambildung und

                                                                                                                     04 | 2017 DNH
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Geschäftsmodellentwicklung bis hin zur Wachstums-
strategie mit digitaler Marketingstrategie und Finan-
zierungsfragen. Die Theorie im Vorlesungsteil umfasst
ca. 20 Prozent des Zeitaufwands der Studierenden            „Die Studierenden sollen schon im
und gibt lediglich einen Impuls. Wie in der Praxis
auch, müssen die Studierenden die genaue Funkti-            Studium mit Komplexität und Ambiguität
onsweise der Managementtechniken während der
Anwendung entdecken. Teilweise finden komplette             umgehen lernen und eigene
Sitzungen auf Basis von Materialien der Studieren-
den statt.                                                  Entscheidungskompetenz entwickeln.“
   Ein wichtiges Instrument in den Entrepreneurship-
Kursen ist die Einbindung von digitalen und sozialen
Medien. So müssen die Studierenden ihre Geschäfts-          Rollenspielen etc., die ein ganzheitliches Verständnis
ideen einer Crowd zur Bewertung vorstellen und              und Aha-Erlebnisse fördern. Tatsächlich hängen am
in ihren sozialen Netzwerken dafür Aufmerksam-              Nettoumlaufvermögen erhebliche Kosten, die auf den
keit generieren, z. B. mittels checkideas.com. Für die      ersten Blick für einen Vertriebsmanager oder Einkäufer
verschiedenen Geschäftsmodelle müssen die Studie-           nicht sichtbar sind. Zahlreiche solcher Aha-Erlebnisse
renden digitale Marketingstrategien entwickeln.             von Managern habe ich basierend auf Erfahrungen
Zentrales Element ist die Konzeption und Umset-             aus Managementtrainings im Buch „BWL –
zung einer Google-AdWords-Kampagne – es handelt             Was ich im Studium hätte lernen sollen“ verarbei-
sich dabei um die Textanzeigen, die bei einer Google-       tet. Diese reichen von komplexen Zusammenhän-
Suche oben in den Suchresultaten angezeigt werden.          gen wie beim Nettoumlaufvermögen bis hin zu ganz
Google schenkt Gründern zum Start 75 Euro Anzei-            einfachen Dingen.
genguthaben. Mit diesem „echten Geld“ müssen die
Studierenden größte Aufmerksamkeit erreichen. Ziel
ist es, so viele Besucher wie möglich auf die eigene        Lernen wie Manager
Bewertungsseite für die Geschäftsidee zu leiten. Der
Erfolg der Kampagne wird von den Studierenden mit           Neben den Inhalten sind es aber auch die Metho-
Google Analytics ausgewertet.                               den aus den Managementtrainings, die das Studium
                                                            noch praxisnäher machen. Gelegentliche Nachtsit-
                                                            zungen wie im Intro beschrieben und die Fallstudien
BWL – Was ich im Studium hätte lernen sollen                – die auch an den führenden internationalen Busi-
                                                            ness Schools den Rahmen für die überwiegenden
Die Professorinnen und Professoren an Fachhoch-             Lehraktivitäten bilden – wurden bereits genannt.
schulen besitzen einen breiten Erfahrungsschatz aus         Darüber hinaus sind es kleine Tools und Tricks,
der Praxis. Diesen lassen sie inhaltlich und metho-         die helfen, die Aufmerksamkeit von Managern wie
disch in die Lehrveranstaltungen einfließen.                Studierenden und die Interaktion im Kurs zu erhö-
                                                            hen. So kann in fast sämtlichen Veranstaltungen
   Inhaltlich hilft der „Blick der Manager“ auf zweierlei   zu Beginn eine Online-Mindmap auf dem Input
Weise. Er erleichtert zu priorisieren und zu verknüp-       der Studierenden z. B. mittels www.mindmup.com
fen. Einerseits lernen die Studierenden an der FH           erstellt werden. Am Ende der Veranstaltung wird das
eine enorme Breite an praxisrelevanten Modellen             Lernergebnis anhand der Mindmap reflektiert. Dies
kennen, doch haben nur wenige davon eine zentrale           erhöht die „Ownership“ der Lernenden und motiviert
Bedeutung in der Praxis. Andererseits wird in vielen        zum Mitgestalten von Lehre und Lernen. Auch live
Bereichen Expertenwissen vermittelt. Dieses ist zwar        durchgeführte Online-Umfragen finden mittlerweile
höchst praxisrelevant, aber eben nur im „Experten-          Verbreitung in Managementtrainings. Mit dem mobi-
silo“. Für alle Manager im Unternehmen, egal ob z.          len Endgerät wird abgestimmt, das Ergebnis ist live
B. in den Funktionen Marketing, Controlling oder            zu sehen. Auch in Lehrveranstaltung hat sich dieses
Forschung, ist es entscheidend, das Gesamtbild zu           Tool, z. B. Directpoll.com, als sehr hilfreich erwie-
verstehen. Wie hängen Probleme zusammen und wie             sen. Umfragen können während des Unterrichts in
können die verschiedenen Abteilungen gemeinsam              weniger als einer Minute erstellt werden. Zum Beispiel
eine Lösung realisieren? Wie ist dabei die Fachspra-        kann man so den aktuellen Wissensstand visualisie-
che der jeweils anderen Abteilungen zu verstehen?           ren, über Ideen abstimmen oder Noten für Präsenta-
Beispielsweise führt die vom Controlling getriebene         tionen vorschlagen lassen.
Optimierung des Nettoumlaufvermögens bei vielen
im Unternehmen zu Unverständnis und Frust. Lager-             Die Möglichkeiten innovativer Lehrformate und
bestände sollen immer weiter reduziert, Lieferanten         -formen lassen sich noch viel weiterdenken. Lehren-
möglichst spät bezahlt und Rechnungen sofort einge-         de, die Interesse an einem Gedankenaustausch haben,
trieben werden. Es sind die Perspektivwechsel, z. B.        sind herzlich eingeladen, mit casem. in Kontakt zu
durch echte Lernerfahrungen mittels Fallstudien,            treten.

DNH 04 | 2017
12 Titel: Studieren geht über Absolvieren

Lehre 4.0 revolutioniert E-Learning
in Hochschule und Weiterbildung
Die große Bildungsherausforderung durch Industrie 4.0 erfordert neben interaktivem
Präsenzunterricht individualisierte, zielorientierte digitale Lernprozesse und Entlastung
für die Wissensvermittler. | Von Prof. Dr. Dr. Heribert Popp und Monica Ciolacu

                                                        Die Arbeitswelt verändert sich aufgrund        und Neuronaler Netze etliche KI-basier-
                                                        der vierten Industriellen Revolution           te Techniken in Industrie, Wirtschaft
                                                        enorm, was eine Studie mit den Strategie-      und Privatleben Einzug halten konn-
                                                        verantwortlichen und Personalchefs von         ten, z. B. Computer schreiben von selbst
                                                        fast 400 großen Unternehmen aus aller          den Code von Programmen oder sind
                                                        Welt 2016 ergab (World Economic Forum          intelligente Antwortgeber wie ALLO von
                Foto: privat

                                                        2016). Das Ergebnis war: Sieben Millio-        Google. Es gibt also einen Technologie-
                                                        nen Jobs werden verschwinden und zwei          druck nach Lehre 4.0.
                                                        Millionen neue Jobs in den Bereichen der
           Prof. Dr. Dr. Heribert Popp                  Computerwissenschaften, der Mathema-
                                                        tik oder Informationstechnologie entste-       Vier Lehrrevolutionen
                                     TH Deggendorf      hen; eine große Qualifizierungsheraus-
                                      Fakultät AWW      forderung.                                     Untersucht man nun die Lehre in Analo-
                               Dieter-Görlitz-Platz 1                                                  gie zu den vier industriellen Revoluti-
                                94469 Deggendorf          Daher werden in diesem Artikel               onen, ging die erste Lehrrevolution von
                                                        zunächst der Bedarfssog und der Techno-        der Einführung des Buchdrucks durch
                heribert.popp@th-deg.de                 logiedruck nach Lehre 4.0 dargelegt, dann      Gutenberg aus, da dadurch massenhaft
                                                        die vier Lehrrevolutionen hin zu Lehre 4.0     Lehrbücher produziert werden konn-
                                                        aufgezeigt. Schließlich werden die acht        ten. Mitte der 60er-Jahre des vorigen
                                                        Facetten von Lehre 4.0 erläutert, die diese    Jahrhunderts entstand als zweite Lehr-
                                                        Qualifizierungsaufgabe erleichtern sollen,     revolution der programmierte Unter-
                                                        und, wo bereits möglich, jeweilige Reali-      richt in Lernbüchern und Lehrmaschi-
                                                        sierungen aufgezeigt.                          nen von F. B. Skinner und Crowder
                                                                                                       (Heinrichs 1971, S. 231). Dabei wird
                                                                                                       ein Lehrtext in nummerierte Abschnitte
                Foto: privat

                                                        Bedarfssog und Technologiedruck für            gegliedert, an deren Ende jeweils kleine
                                                        Lehre 4.0                                      Prüfungsfragen stehen. Von der jewei-
                                                                                                       ligen Antwort des Lernenden hängt es
             Dipl.-Ing. Monica Ciolacu
                                                        Wegen der mittelfristigen gewaltigen Zahl      ab, zu welchem Abschnitt er als Nächs-
                          TH Deggendorf/                von Umschulungen und der verstärk-             tes geleitet wird.
       Polytechnische Universität Bukarest              ten Hochschulausbildung bei IT-Berufen
                                                        stoßen traditionelle Lehr- und Weiterbil-        Als dritte Lehrrevolution kann man
               monica.ciolacu@th-deg.de                 dungsmethoden an ihre Grenzen. Das             E-Learning ansehen. Das sind alle
                                                        braucht eine neue Art der Wissensvermitt-      Formen von Lernen, bei denen elek-
                                                        lung. Es braucht also jetzt auch eine vierte   tronische und digitale Medien für die
                                                        Revolution in der Lehre. Es entsteht also      Präsentation und Distribution von
                                                        ein richtiger Bedarfssog nach Lehre 4.0.       Lernmaterialien und für die Kommu-
                                                                                                       nikation zum Einsatz kommen. Dazu
                                                          Hinzu kommt, dass die Forschung              starteten in den 80er-Jahren Modell-
                                                        zur künstlichen Intelligenz in jüngs-          versuche und es gab erste Lernpro-
                                                        ter Zeit beeindruckende Entwicklungs-          gramme auf CDs (CBTs). E-Learning
                                                        sprünge verzeichnen konnte, sodass             erlebte Mitte der 90er-Jahre durch den
                                                        dank Machine Learning, Deep Learning           Einbezug von Internet in Form von Web

                                                                                                                                   04 | 2017 DNH
13

Based Trainings (WBTs) einen starken Aufschwung.
Der Autor Popp praktiziert seit 1998 E-Learning
(Popp 1999), legte 2000 einen berufsbegleiten-
den Studiengang Wirtschaftsinformatik auf, der
zu 50 Prozent E-Learning enthält, und deckt seit
12 Jahren ca. 50 Prozent seiner ganzen Lehre mit
E-Learning ab.

  Nun stellt sich die Frage, wie könnte Lehre 4.0
konkret aussehen? Da empirische Untersuchungen
einen Notenvorteil von bis zu 0,4 Graden bei Blen-
ded Learning gegenüber der reinen virtuellen Lehre
ergeben haben (Popp 2014), sollen die Vorlesungen
bei Lehre 4.0 immer noch in Form von Blended Lear-
ning einen sehr interaktiven Präsenzteil einschlie-
ßen mit z. B. gemeinsamem Wiederholen des virtu-
ellen Inhalts, Fragenbeantwortung, Aufgabenlösen
in Kleingruppen und Präsentieren und Diskutieren
der Ergebnisse.

  Der virtuelle Teil von Lehre 4.0 soll nun mit          Abbildung 1: Technologische Elemente von Lehre 4.0 mit ihren
folgenden sieben Funktionen diese Vorteile erzie-                     didaktischen Zielen
len (siehe auch Abbildung 1):
• individuelle Strukturierung von Lernprozessen          Spielerische, interaktive- und Virtual-Reality-
  durch Personalisierungsmethoden,                       Elemente zur Motivation (Gamification)
• Motivationssteigerung durch Gamification und
  mehr Anschaulichkeit durch VR/AR-Methoden,             Aus den Erfahrungen der immer schwieriger
• mobile Vernetzung von Lernenden in virtuellen          werdenden Motivation der Erstsemester soll man in
  Lerngruppen zu Communities of Practice,                virtuellen Kursen der Grundlagenfächer spielerische
• Lernmaterialanpassung an den Kenntnisstand der         Momente einbauen. So finden die Lerner spielerische
  Lerner durch Adaptivitätsmethoden,                     Elemente wie Erfahrungspunkte, Highscores, Fort-
• frühes Erkennen von gefährdeten Studierenden           schrittsbalken, Ranglisten, virtuelle Güter und virtu-
  durch Learning Analytics, um Gegenmaßnahmen            elle Praxisaufgaben.
  einzuleiten, die dadurch die Drop-out-Rate senken,
• Entlastung des Kommunikationsaufwandes der               Ein Motivationswerkzeug durch verbesserte Illus-
  Dozenten durch intelligente Teletutoren in Form        trationen wären Virtual-Reality (VR)/Augmented-
  von Chatbots,                                          Reality (AR)-Elemente. Unser Beispiel einer Virtual-
• Entlastung des Prüfaufwandes durch E-Assessment.       Reality-Gruppenarbeit zur Internetrecherche und
                                                         EXCEL-Arbeit aus dem Jahr 2009 findet man auf
                                                         YouTube.1 Die Grundausstattung zu VR ist mittler-
Verschiedene Lerntypen bedienen (Personalisierung)       weile erschwinglich. Deutsche Unternehmen werden
                                                         bis zum Jahr 2020 knapp 850 Millionen Euro in VR-/
Der Stoff soll für verschiedene Lerntypen aufbe-         AR-Lösungen investieren, lautet die Prognose der
reitet sein, da nicht jeder Lernende mit den glei-       Unternehmensberatung Deloitte. VR wird ein fester
chen virtuellen Materialien gleich gut umgehen           Bestandteil der betrieblichen Bildung werden.
kann. Auf der Grundlage der im Jahre 2006 durch-
geführten Experimente mit den sechs Lerntypen
Praktiker, Punktweise Wissen Suchender, Maßge-           Communities of Practice der mobilen Lerner
schneidert Lernender, Klassischer E-Learning-Studie-
render, Videolerner und Chatter empfehlen sich für       Auch der Kontakt unter den Teilnehmern spielt bei
einen mehr textuell Lernenden das interaktive Buch       Lehre 4.0 eine große Rolle. Die Lerner sind (mobil)
und für mehr mediengetrieben Lernende das inter-         vernetzt und bilden Communities of Practice (CoP),
aktive Video. Sie decken jeweils den ganzen Stoff ab.    also virtuelle Lerngruppen. In ihnen geben kundige
Die Steuerung beim interaktiven Buch ist der mit         Studierende ihr Wissen weiter. Ein gelungenes Beispiel
Hypertext verlinkte Text, der mit Videos und interak-    dazu ist das Wissensmanagement „von Studierenden
tiven Kontrollfragen durchsetzt ist. Beim interaktiven   für Studierende“ der TH Deggendorf, bei dem die
Video gibt es immer eine Wiederholung des Tripels        Studierenden Tipps & Tricks zu Prüfungen (wie soll
„kurzes Video, Test des Gesehenen und Video zum          man sich gut auf die jeweilige Prüfung vorbereiten?)
Test“. Bei den eingesetzten Videos, die eine Länge       und digitale Materialien wie Mitschriften zu Vorle-
von nur 5 bis 15 Minuten haben, ist links der Dozent     sungen oder Klausurlösungen weitergegeben haben
zu sehen und rechts werden die Folien faktenweise        (Popp 2015). Ihre Wissensbasis ist zurzeit mit 2600
weitergeblättert (Popp 2014).                            Wissenseinheiten gefüllt.

DNH 04 | 2017
14 Titel: Studieren geht über Absolvieren

Anpassung der Kursbausteine an Vorkenntnisse                   systematisch unterschiedlich (siehe Tabelle 1). In den
und Lernverhalten (Adaptivität)                                nächsten Kursdurchgängen, in der Arbeitsphase, wird
                                                               bei jedem Studierenden am Ende jedes Zeitabschnitts
Die Anpassung geschieht am Anfang durch einen                  nachgeschaut, in welcher Klasse („erfolgreich“ und
Einstiegstest mit Kurskonfigurator oder permanent              „gefährdet“) er mit seinem aktuellen Klickverhalten
mit empfohlenen Kursnuggets, entweder zum Vorbe-               liegen würde. Dieses Verfahren zeigte in vier Kursen
reiten oder Nachbereiten der aktuellen Lehreinheit.            eine durchschnittliche Prognosegenauigkeit von 65
                                                               bis 74 Prozent. Nun sind die gefährdeten Studieren-
  Beim Einstiegstest mit Kurskonfigurator ist jedes            den lokalisiert und können „mit psychologischen
Kurskapitel mit zwei bis drei Fragen im Einstiegstest          E-Mails“ besser motiviert werden.
vertreten, den das Programm automatisch auswertet
und eine prozentuale Einschätzung des vorhandenen                 Das erfolgreichste Learning-Analytics-Projekt
Wissens in dem jeweiligen Kapitel entwickelt. Daraus           ist PACE mit 41.000 Studierenden in Rio Salando
generiert es eine Empfehlung, welche Kapitel für den           College, Arizona. Es berücksichtigt als Haupteinfluss-
einzelnen Studierenden aufgrund des vorhandenen                faktoren auf den studentischen Erfolg die Anmelde-
Basiswissens überflüssig sind bzw. welche Kapitel              frequenz, das Engagement im Kurs und die Anzahl
aufgrund von Wissenslücken studiert werden sollten.            der Punkte bei den Online-Tests.
Aus diesen Ergebnissen konfiguriert das Programm
dynamisch eine individuelle Kursoberfläche. Reali-
siert wurde der Einstiegstest in Moodle mit Java-              Fragenbeantwortung durch intelligente Teletu-
Skript-Teilen und die Kurskonfiguration mit einem              toren (Chatbots)
speziellen Template (Ciolacu 2016).
                                                               Wir verwenden zum Programmieren von Chatbots
  Eine andere Form der Adaptivität liegt vor, wenn             ALICE3 mit der Sprache AIML und dem Bot-Program
bei interaktiven Kontrollfragen das Programm einen             O, das mittels Pattern Matching AIML „versteht“.
Fehler feststellt und auf eine Zusatzlehreinheit               Program O ist ein AIML Interpreter, der in PHP
verlinkt, um Kenntnisse erwerben zu lassen, damit              programmiert ist und zur Speicherung der Wissens-
dieser Fehler nicht mehr gemacht wird.                         basis (vorüberlegte Frage in verschiedenen Varian-
                                                               ten, auch mit wild characters, mit der möglichen
   TutorGen, Inc bietet mit SCALE ein studentenzen-            Antwort darauf) eine MySQL-Datenbank verwendet.
triertes, adaptives Lernsystem an, das mit Methoden
des Maschinellen Lernens vom Studentenverhalten                  Im Folgenden sieht man einen Auszug aus einem
lernt und sich durch datengesteuerte Methoden und              Dialog über Logik:
Benutzermodelle mit der Zeit verbessert.2
                                                               Bot: Hallo, herzlich willkommen! Du kannst dich mit
  Da jeder Studierende beim digitalen Lernen Spuren            mir unterhalten, indem du das Eingabefeld nutzt!
hinterlässt, z. B. in den Weblogs des LMS Moodle,              Student: Kannst du mir sagen, was eine Implikation ist?
wird die Nutzungsintensität anhand der Anzahl der              Bot: Bei der Implikation ...
Ressourcenaufrufe (Klicks im Kurs und Klicks auf die           Student: Hast du auch ein Beispiel dazu parat?
Testfragen) untersucht. Jeder Studierende wird hier            Bot: Nehmen wir z. B. ...
bewertet durch seine Klickhäufigkeit auf die Kurs-             Student: Was ist dann aber eigentlich der Unterschied
ressourcen (x-Achse in Abbildung 2) und der Klick-             zwischen Implikation und Äquivalenz?
häufigkeit auf Kontrollfragen (y-Achse in Abbildung            Bot: Der Unterschied ...
2). Ein Clusterprogramm findet dann Häufungen,                 Student: Ok, danke!
z. B. Cluster 1 „wenig aktiv“ (siehe Abbildung 2               Bot: Kein Thema :)
linkes Cluster), Cluster 2 „mittelaktiv“, Cluster 3
„sehr aktiv“. Ermittelt man z. B. im Kurs Mathema-               Dieser Bot wird zurzeit durch den Einbau einer
tik die Klausurnotendurchschnitte, sind sie mit 4,1            Ontologie (Begriffsnetze mit Ober-, Unterbeziehung,
in Cluster 1, 3,5 im Cluster 2 und 3,0 im Cluster 3            Synonymbeziehung usw.) intelligent gemacht.

                       Ø Kontroll-     Ø Gesamt-        Anzahl Stu-      Klausur-        Ø Note           Std. abw.
                       fragenklicks    klicks           denten           teilnahme                        Note

 Cluster 1             0,7             46,6             39 (58 %)        77 %            4,08             0,86

 Cluster 2             1,14            166,6            21 (31 %)        100 %           3,53             0,77

 Cluster 3             28,1             304,4           7 (11 %)         100 %           3,04             0,72

Tabelle 1: Clusterergebnisse (insbes. Cluster-Klausurdurchschnittsnoten) des Mathematikkurses der OTH Amberg-Weiden im
           Sommersemester 16 mit 67 Studierenden

                                                                                                                         04 | 2017 DNH
15

Abbildung 2: Anhand von Clusterverfahren können Lerner mit Problemen (Vertreter des linken Clusters) identifiziert werden.

  Ein gutes Beispiel eines „klugen“ Frage-Antwort-                  automatisch von Moodle ausgewertet. Eine E-Assess-
Systems im Bereich Mathematik ist WolframAlpha.                     ment-Vorzeigehochschule ist die Friedrich-Alexan-
com. Die Suchmaschine findet nicht nur Informa-                     der-Universität Erlangen-Nürnberg, die 2015 schon
tionen, sondern versucht sie schon gleich aufzu-                    2.160 Online-Prüfungen durchgeführt hat. Dabei
bereiten. Es können Fragen eingetippt werden,                       läuft das Prüfungs-LMS als eigenes Moodle-System
bei denen direkte Antworten gefiltert und dank                      mit allen möglichen Abschottungen.
der Software Mathematica berechnet und abge-
leitet werden.
                                                                    Fazit

Entlastung bei Korrekturarbeit durch automatisch                    Lehre 4.0 entlastet die Lehrenden (siehe E-Assessment
ausgewertete Kompetenztests                                         oder Fragen beantwortende Chatbots) und indivi-
                                                                    dualisiert zielorientiert den elektronischen Lernpro-
Seit vier Jahren werden an der TH Deggendorf                        zess und motiviert durch Notenprognose, damit die
nicht curriculare Mathematikklausuren in Form                       Drop-out-Rate sinkt. Die Forschergruppe experimen-
von Multiple-Choice-Fragen, Auswahlboxen und                        tiert an all diesen Funktionen zukünftiger virtueller
kleinen Zahleneingaben am Rechner absolviert und                    Kurse der Generation „Lehre 4.0“.

  Literatur
  Ciolacu, Monica; Beer, R. (2016): Adaptive User Interface for Higher Education Based on Web Technology. Research and
     Innovation in Industry 4.0. In: Proceedings of IEEE 22nd International Symposium for Design and Technology in Electro-
     nic Packaging (SIITME) 2016 (Oradea, Romania, October 20-23 2016), S. 300–303.

  Heinrichs, Heribert (Hrsg.) (1971): Lexikon der audio-visuellen Bildungsmittel. München: Kösel.

  Popp, Heribert (1999): Erfahrungen beim Einsatz von Internet, Fernsehen und CBT in der Betriebswirtschaft. In: Herbert
     Kopp und Werner Michl (Hg.): MeiLe – Neue Medien in der Lehre: Lernsystem-Entwicklung an Fachhochschulen – Erfah-
     rungen und Ergebnisse. Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag, S. 168–178.

  Popp, Heribert; Reitmaier, Martina (2014): Mathematik an der Hochschule: Die Potenziale virtuellen Lernens und die Bedeu-
     tung von Learning Analytics. DNH 4 _2014, S. 130–133.

  Popp, Heribert; Ciolacu, Monica (2015): Technische Hochschule Deggendorf – Projekt: V-, W- und A-MINT-Coach. In: Baye-
     risches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg.): Erfolgreicher MINT-Abschluss an baye-
     rischen Hochschulen. Bilanz der Hochschulprojekte, S. 72–81. Online verfügbar unter https://www.km.bayern.de/down-
     load/13359_stmbw_abschlussbericht_best_mint.pdf.

  World Economic Forum (2016): The Future of Jobs – Employment, Skills and Workforce. Global Challenge Insight Report 1.2016.
  1   http://www.youtube.com/watch?v=wBlGXE9rmLw
  2 http://www.tutorgen.com

  3 http://www.alicebot.org

DNH 04 | 2017
16 Titel: Studieren geht über Absolvieren

„Frischzellen“-Projekt zur Förderung
neuer Lehr- und Lernformen
Innovation der Hochschullehre durch Teamteaching | Von Prof. Dr. Alexander Tsipoulanidis

                                              Studierende sollten heutzutage in der         Lehre zu erlangen (s. Kiehne/Tsipoulani-
                                              Lage sein, sich in einem sich kontinu-        dis, 2016). Es geht also in der Tat um das
                                              ierlich verändernden Unternehmens-            Studieren und nicht nur um das Absol-
                                              umfeld zurechtzufinden. Insbesonde-           vieren!
                                              re globale Wertschöpfungsnetzwerke
                                              unterliegen einer sehr hohen Dynamik,           Das interaktive Lehrkonzept wurde
                  Foto: privat

                                              die eine stetige Anpassung der Beschaf-       durch die Dozenten Prof. Dr. Alexander
                                              fungs-, Produktions- und Logistikpro-         Tsipoulanidis und Dipl.-Wirt.-Ing. Harald
                                              zesse erfordern (Ivanov et al. 2017).         Pflughaupt entwickelt, um die Theorie-
      Prof. Dr. Alexander Tsipoulanidis       Einen wesentlichen Beitrag zur Vorbe-         Praxis-Verzahnung im Vorlesungssaal zu
                                              reitung der Studierenden auf die beruf-       verankern, und erfolgte am Beispiel des
  Professor für Supply Chain und Operations   liche Praxis leistet selbstverständlich die   Moduls „Supply Chain Management und
                               Management     Hochschullehre.                               Informationssysteme“. Jedoch lässt sich
                                                                                            der Ansatz ohne Weiteres auf Vorlesungen
       Hochschule für Wirtschaft und Recht       Die hier vorgestellte Lehrveranstal-       anderer Fächer anwenden. Das Ziel war es,
                             (HWR) Berlin     tung wurde als „Frischzellen“-Projekt zur     • zusammen mit den Studierenden aktu-
                      Campus Schöneberg       Förderung neuer Lehr- und Lernformen             elle Herausforderungen im Supply
                      Badensche Straße 52     der Hochschule für Wirtschaft und Recht          Chain und Operations Management
                              10825 Berlin    (HWR) Berlin durch das Bundesministe-            (SCOM) zu sammeln und auszuarbei-
                                              rium für Bildung und Forschung (BMBF)            ten,
     alexander.tsipoulanidis@hwr-berlin.de    ausgezeichnet. Die HWR Berlin hat in          • um dann ein eigenes Lern-Produkt
                                              ihrem Leitbild (HWR Berlin, 2016) als Ziel       anzufertigen (siehe „KORRIDOR –
                                              und Selbstverständnis definiert, „neue           Modell“) und
                                              Lehr- und Lernformen“ zu fördern, um          • ein Beispiel anhand einer kleinen Fall-
                                              die didaktische Qualität und Problemnä-          studie zu erarbeiten, um dies dann an
                                              he des Studiums zu erhöhen. Ein wich-            realen, globalen Wertschöpfungsnetz-
                                              tiges Element dabei sind die sogenannten         werken darzustellen und
                                              „Frischzellen – Innovation der Hoch-          • somit die Prozesse in Wertschöpfungs-
                                              schullehre durch Teamteaching“ (HWR              netzwerken und Prozess-Anforderun-
                                              Berlin, 2015, S. 4). Besonders hervorzu-         gen zu identifizieren und darauf basie-
                                              heben ist dabei die Anreicherung der             rend die notwendige IT-Architektur zu
                                              Lernprozesse und -ergebnisse sowie die           bestimmen.
                                              didaktisch-methodische Weiterentwick-         • Anschließend an diese Phase war es
                                              lung von Lehrveranstaltungen.                    möglich, das Erlernte zu reproduzieren,
                                                                                               anzuwenden und auf andere Unter-
                                                Durch das hier vorgestellte Projekt            nehmensfallstudien transferieren zu
                                              wurde es Studierenden ermöglicht, Berufs-        können.
                                              kompetenzen durch die Anwendung
                                              multidimensionaler Perspektiven in der

                                                                                                                          04 | 2017 DNH
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