Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund

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Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
Ausgabe 04-2018

                                                     FÜR ANWENDUNGSBEZOGENE WISSENSCHAFT UND KUNST

          Zwischen Mission und
          Versuchung: Die Wissen-
          schaft und die „gute Sache“

Campusnotizen                hlb aktuell                    Aus Wissenschaft             Wissenswertes
Bayerisches Modell zur       DNH im Gespräch mit Mitglied   & Politik                    Rückforderung überzahlter
Verbundpromotion             des Akkreditierungsrats        Neue Lotterie fördert        Bezüge
                             Prof. Petra Gromann            Bildungsprojekte

                         4                        16                                31                     34
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
2     Inhalt

    Campusnotizen                               Titelthema:                                hlb aktuell
4 Bayern: BayWISS – Bayerisches
                                                Zwischen Mission                        16 DNH-Sommerinterview mit Prof.
  Wissenschaftsforum –                          und Versuchung:                            Dr. Petra Gromann, Mitglied im
  Verbundpromotion auf Augenhöhe                Die Wissenschaft                           Akkreditierungsrat | Von Dr. Karla
                                                                                           Neschke
5 Hochschule Biberach: Auf dem                  und die „gute Sache“
  besten Weg zur Klimaneutralität                                                       17 hlb -Kolumne: hlb =
                                                                                           Politikberatung + Service +
    Hochschule Düsseldorf: Dreißig
                                                                                           Musterprozesse | Von Dr. Hubert
    Deutschlandstipendien                    8 Aktivismus statt
                                                                                           Mücke
                                               wissenschaftliches Arbeiten
6 HTWK Leipzig: Internationaler
                                               | Von Prof. Dr. Markus Karp
  Mathematik-Preis für Schüler und
  Professor                                  10 Wertedenken in Life Science
                                                Engineering | Von Prof. Dr. Jens
                                                                                           Wissenswertes
    OTH Regensburg: Zertifikat im
                                                Hartmann
    agilen Projektmanagement als                                                        34 Alles, was Recht ist
    zusätzliche Qualifikation                12 Ideologische Überzeugungstäter
                                                mit akademischem Titel versus           35 Neue Bücher von Kolleginnen
                                                Wissenschaftler mit gefestigtem            und Kollegen
                                                Wertekostüm | Von Prof. Dr. Jochen
    Aus Wissenschaft                            Struwe
                                                                                        36 Neuberufene

    & Politik
                                                                                           Standards
30 MINT international: Studie
   konstatiert Nachholbedarf bei
                                                Fachaufsätze
                                                                                        3 Editorial
   internationaler Lehre
                                             18 Was braucht der Prof zu seinem          33 Autorinnen und Autoren gesucht
31 Bildungs-Chancen-Lotterie: Neue              Glück? | Von Prof. Dr. Christa Wehner
   Soziallotterie fördert Bildungsprojekte      und Carolin Lange                       38 Stellenanzeigen
   und bietet attraktive Gewinne
                                             22 Masterstudiengang                       40 hlb -Seminartermine 2018
    Bund: BMU fördert kreative Projekte         Organisationsentwicklung
    zur Bewältigung der Folgen des              und Inklusion – Der Plan hat
    Klimawandels                                funktioniert | Von Anke S.
32 Nebenjobs im Bachelor-                       Kampmeier und Steffi Kraehmer
   Studium: Geringe Auswirkungen             26 Zum Diskurs über die Sprache in
   auf Notenniveau, jedoch längere              der Wissenschaftskommunikation
   Studienzeiten                                | Von Prof. Dr. Olga Rösch und Prof.
    Nordrhein-Westfalen: Land                   Dr. Günter-Ulrich Tolkiehn
    verlängert Förderprogramm
    „Karrierewege FH-Professur“

                                                                                                                    04 | 2018 DNH
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
Editorial     3

                                   Wissenschaft schafft
                                   Wissen, nicht Meinungen
                                    Nicht wenige wissenschaftliche Fortschritte verdankt die Menschheit
                                    Forscherinnen und Forschern, die leidenschaftlich für ein Anliegen
                                    brannten, die unbedingt die Lebensbedingungen ihrer Zeit verbessern
                                    wollten. Gleichwohl müssen wissenschaftlich Tätige Grenzen beachten,
                                    die auch die beste Absicht nicht aufheben kann und darf.

                                                                          Ob Atombombe, Empfängnisverhütung,             deren Werke zu Klassikern wurden, weil
                                                                          Gentechnik oder autonome Roboter –             die Autoren zwischen methodisch abgesi-
                                                                          Diskussionen darüber, ob wissenschaft-         cherten Aussagen und ihren persönlichen
                                             Foto: hlb/Judith Wallerius

                                                                          liche Erkenntnisgewinnung nicht lieber         Ansichten ausreichend zu differenzieren
                                                                          unterbleiben oder zumindest gedrosselt         wussten (Seite 8).
                                                                          werden sollte, wenn ihre Folgen persön-
                                                                          lichen oder gesellschaftlichen Moralvor-         Jens Hartmann präsentiert ein Konzept,
                                                                          stellungen zuwiderlaufen, führen wir           um innerhalb von Life-Science-Studien-
                      Christoph Maas                                      seit Langem. Aber es gibt ja auch die          gängen ethisches Denken zu schulen
                                                                          umgekehrte Situation: Behauptungen             (Seite 10).
                                                                          von Wissenschaftlerinnen oder Wissen-
                                                                          schaftlern, die wir nur zu gerne glauben,        Jochen Struwe zeigt anhand von
                                                                          weil sie dem, was wir für gesellschaft-        studentischen Hausarbeiten auf, wie
                                                                          lich wünschenswert halten, Rücken-             notwendig es ist, die Unterscheidung
                                                                          wind geben. Sie richten Schaden an             zwischen wissenschaftlicher Schlussfolge-
                                                                          und das möglicherweise über lange Zeit         rung und Vorurteil zu lehren und vorzu-
                                                                          hinweg. Ich denke etwa an die Theorie          leben (Seite 12).
                                                                          von Thomas Malthus, der 1798 mathe-
                                                                          matisch „bewies“, dass Armenfürsorge              Aber auch, wenn wir uns gegen Angriffe
                                                                          unterbleiben müsse, weil die Unterschich-      auf die Wissenschaft zur Wehr setzen,
                                                                          ten bei verbesserten Überlebenschan-           lauert die Versuchung. „π is all the irra-
                                                                          cen mit ihrem Vermehrungsdrang jede            tionality I need“ hört sich als Parole bei
                                                                          Volkswirtschaft ruinieren würden.1 Noch        einem „March for science“ ja ganz pfif-
                                                                          während meiner Schulzeit, also etwa 170        fig an. Nur wissen wir alle, dass es in der
                                                                          Jahre später, habe ich dies als „Argument“     Wissenschaft eben nicht rational zugeht
                                                                          gegen Entwicklungshilfe für die damals         – weder beim Kampf um Gelder, Stellen
                                                                          jungen Staaten Afrikas gehört.                 und Karrieren, noch bei der Auseinander-
                                                                                                                         setzung um Inhalte. Mit unterkomplexen
                                                                            In unserem Beruf sind wir an dieser Stelle   Entgegnungen gefährden wir unsere Posi-
  Literatur                                                               auf zweierlei Weise gefordert: hinsichtlich    tion aber eher, als dass wir sie festigen.
                                                                          unserer eigenen Forschungsarbeit, aber
  1 „An essay on the principle of popu-
                                                                          ebenso auch hinsichtlich der Förderung           Um es mit den Worten Friedrich Schil-
    lation as it affects the future impro-                                wissenschaftlichen Denkens bei unseren         lers zu sagen: „Es ist gewiß der Wahrheit
    vement of society“, London 1798
                                                                          Studierenden. Die Autoren der Aufsätze in      nichts so gefährlich, als wenn einsei-
  2 „Über den Zusammenhang der thie-                                      diesem Heft führen dies näher aus:             tige Meinungen einseitige Widerleger
    rischen Natur des Menschen mit seiner                                                                                finden.“2
    geistigen“, § 1. Einleitung, Stuttgart                                  Richard Karp stellt aktuelle Ergebnisse
    1780
                                                                          absichtsgeleiteter Forschung dem Arbeits-
                                                                          ethos von Wissenschaftlern gegenüber,                                Ihr Christoph Maas

DNH 04 | 2018
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
4     Campusnotizen

                    Bayern

                  BayWISS – Bayerisches Wissenschaftsforum
                  – Verbundpromotion auf Augenhöhe
                  Das BayWISS wurde 2016 als Kommunika-        ohne Differenzierung nach der akade-            werden. Die Masterabschlüsse von HAW
                  tionsplattform für 30 bayerische Univer-     mischen Herkunft der Promovierenden             und Universitäten sind gleichwertig
                  sitäten und Hochschulen für angewandte       – für ein Miteinander im Interesse des          und schließen spezielle, lediglich für
                  Wissenschaften (HAW) gegründet und           wissenschaftlichen Nachwuchses.                 HAW-Absolventen geltende zusätzliche
                  fördert, koordiniert und stärkt die Zusam-                                                   Leistungsnachweise als Voraussetzung
                  menarbeit von Universitäten und HAW            Unsere ersten bayernweiten Verbund-           zur Aufnahme in das Promotionsverfah-
                  in der Wissenschaft.                         kollegs stehen für die Themen „Mobilität        ren aus. Zu Beginn jedes Promotions-

                      Struktur                                                      Bayerisches Wissenschaftsforum – BayWISS

                                                                                                       Lenkungsrat
                                                                             je 3 Mitglieder aus Universität Bayern e.V. und Hochschule Bayern e.V.
                                   Bayerische Universitäten

                                                                                                      Geschäftsstelle
                                                                                      Unterstützung des Lenkungsrates und der Fachforen

                                   Bayerische Hochschulen                            Fachforum
                                   für angewandte Wissenschaften                Verbundpromotionen                          weitere Fachforen
Quelle: BayWISS

                  BayWISS-Fachforum Verbundpromotion           und Verkehr“, „Energie“, „Digitalisierung“,     vorhabens wird von den Betreuerinnen
                                                               „Werkstoffe und Ressourceneffizienz“,           und Betreuern und dem Promovierenden
                  Das Fachforum Verbundpromotion als           „Sozialer Wandel“ und „Gesundheit“.             eine Betreuungsvereinbarung abgeschlos-
                  Pilotprojekt im Rahmen von BayWISS           Trägerhochschulen jedes Verbundkollegs          sen, welche u. a. das Thema, die fach-
                  stellt ein neu entwickeltes Modell für       sind mindestens eine bayerische Univer-         liche Betreuung, die Projektmeilensteine
                  gemeinsame Promotionen von Univer-           sität und eine bayerische HAW. Aktuell          und ggfs. fachliche sowie überfachliche
                  sitäten und HAW in Bayern dar. Mit dem       befinden sich die weiteren Verbundkol-          Qualifizierungsmaßnahmen definiert. Das
                  Strukturmodell der Verbundpromotion          legs „Ökonomie“, „Medien und Kommu-             Promotionsrecht liegt auch bei Verbund-
                  eröffnet BayWISS einen begleiteten, trans-   nikation“ sowie „Infrastruktur, Bauen und       promotionen bei den Universitäten. Die
                  parenten und planbaren Weg zur Promo-        Urbanisierung“ in der Gründungsphase            Betreuung der Promotion beruht jedoch
                  tion. Die neuen BayWISS-Verbundkol-          und „Life Sciences, grüne Technologien“         auf einem Miteinander auf Augenhöhe
                  legs bauen für gemeinschaftlich betreute     und „Industrie 4.0“ in der Vorbereitung.        zwischen den beteiligten Universitäts-
                  Promotionen Hürden ab, schaffen                                                              und HAW-Professorinnen und -Profes-
                  verbindliche, klare Strukturen, fördern      Umsetzung Fachforum Verbundpromotion            soren. Diese fungieren gleichberechtigt
                  die Kultur der wissenschaftlichen Zusam-                                                     als Betreuerinnen und Betreuer, Gutachte-
                  menarbeit und der Netzwerkbildung            Die Zusammenarbeit zwischen baye-               rinnen und Gutachter und Prüferinnen
                  zwischen den beteiligten Institutionen.      rischen Universitäten und HAW bei               und Prüfer. In den Prüfungskommissionen
                  Die Promovierenden in den Verbundkol-        Verbundpromotionen umfasst das                  bzw. Prüfungsausschüssen der Univer-
                  legs profitieren in hohem Maß von diesen     gesamte Fächerspektrum der HAW. Die             sitäten ist gleichberechtigt jeweils eine
                  neuen und belastbaren Strukturen. Die        Universitäten und HAW haben jeweils             HAW-Professorin bzw. ein HAW-Professor
                  BayWISS-Verbundkollegs formulieren auf       einen zentralen Ansprechpartner für             vertreten. Bei dem Doktorgrad wird keine
                  zentralen Themenfeldern der bayerischen      kooperative Promotionen und Verbund-            Differenzierung nach der akademischen
                  Hochschullandschaft ein attraktives, von     promotionen benannt. So können die              Herkunft der Promovierenden vorgenom-
                  beiden Hochschularten paritätisch getra-     Promotionswege transparent kommu-               men. Die jeweils an der Promotion betei-
                  genes, kollegbasiertes Betreuungsangebot     niziert und entsprechend unterstützt            ligte HAW ist auf der Promotionsurkunde

                                                                                                                                                04 | 2018 DNH
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
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als Institut präsent. Die Zitationsfähig-                        Finanzierung BayWISS
keit und wissenschaftliche Verwertbar-
keit der Veröffentlichungen im Rahmen                              Ressourcen – Staatsministerium
der Promotion wird beiden Hochschulen
zugerechnet. Das Modell der Verbund-                                                                         Aus den BayWISS-Mitteln dürfen
                                                                   2017: für sechs BayWISS-                  finanziert werden:
promotion unterliegt einem jährlichen                              Verbundkollegs € 750.000
Monitoringverfahren und wird nach fünf                                                                         gemeinsame, hochschulübergreifende
Jahren erstmals umfassend evaluiert und                                                                        Strukturen und Koordinationsstellen
                                                                                                               (1/2 E13)
ergebnisabhängig fortgesetzt.
                                                                                                               gemeinsame und projektbezogene
                  Prof. Dr. Uta M. Feser                           2018 bis einschließlich 2021:               Aktivitäten wie:
                                                                   für zehn BayWISS-Verbundkollegs               Tagungen, Workshops
   Präsidentin der Hochschule Neu-Ulm                              jährlich € 1,1 Millionen,                     Coachings
                                                                   2018 zusätzlich € 200.000 für die             Equipment
Weitere Informationen zu BayWISS und                               Einrichtung neuer Kollegs                     Reisekosten
                                                                                                                 Maßnahmen zur Projektsteuerung
den Verbundpromotionskollegs unter
                                                                   2017 bis einschließlich 2021:               Promotionskostenpauschale (€ 250 p. M.)
   www.baywiss.de                                                  € 5,35 Millionen
                                                                                                               keine Promotionsstellen
                                             Quelle: BayWISS

                                                                                                               keine Promotionsstipendien

  Hochschule Biberach                                                                                          Hochschule Düsseldorf

Auf dem besten Weg zur                                                                                       Dreißig Deutsch-
Klimaneutralität                                                                                             landstipendien
Die Hochschule Biberach (HBC) ist                              Klimaschutzkonzeptes besteht also deut-       Die LEPPER Stiftung vergibt im Rahmen
bereits seit 2014 nach der EMAS-Verord-                        licher Handlungsbedarf und die Heraus-        des Deutschlandstipendiums erstmals
nung der EU zertifiziert. Aktuell erarbei-                     forderungen bei der späteren Umsetzung        das LEPPER Stipendium zur Förderung
tet die HBC mit externen Planungsbüros                         zur Erreichung der gesetzten Ziele sind       herausragender Leistungen an 30 Studie-
als erste Hochschule in Baden-Württem-                         beträchtlich.                                 rende der Hochschule Düsseldorf. Damit
berg ein Klimaschutzkonzept mit dem                                                                          ist die LEPPER Stiftung größter Einzelför-
Ziel, durch abgestimmte Maßnahmen in                             Im Konzept sollen Umsetzungsvarian-         derer und Stipendiengeber der Hochschu-
den Bereichen Energie, Mobilität, Abfall                       ten mit den geringsten Lebenszykluskos-       le. Die LEPPER Stiftung hat sich unter
und Biodiversität den gesamten Campus                          ten unter Berücksichtigung des überge-        anderem der Förderung von Wissenschaft
mittelfristig in Richtung Klimaneutralität                     ordneten Ziels einer Klimaneutralität         und Forschung verschrieben und wird
zu entwickeln. Die HBC sieht sich hier in                      priorisiert werden. Gemeinsam mit dem         im Rahmen der Zusammenarbeit mit der
einer besonderen Vorbildfunktion, steht                        Land Baden-Württemberg als Gebäude-           Hochschule Düsseldorf den Hochschul-
sie doch in Lehre und Forschung für die                        eigentümer will die HBC ihren Campus          standort sowie den Wissenschaftsstandort
Fachbereiche Bauen, Energie und Biotech-                       zu einem Leuchtturm entwickeln, der die       Deutschland nachhaltig stärken.
nologie.                                                       landespolitischen Ziele einer Klimaneu-
                                                               tralität der Landesverwaltung bis 2040          Die HSD vergibt schon seit vielen
   Ein größerer Teil der Gebäude am Inner-                     beispielgebend unterstützt. Das gesetz-       Jahren das Deutschlandstipendium, das
stadt-Campus wurde in den 1950er-Jahren                        te Ziel ist ambitioniert, soll aber ggf. in   mit 300 Euro pro Monat je zur Hälfte vom
errichtet und entspricht in keiner Weise                       mehreren Schritten und flankiert durch        Bund und von nicht staatlichen Förderern
dem heutigen energetischen Standard.                           geeignete Förderprogramme in den nächs-       getragen und finanziert wird. In beson-
Als regionale Hochschule ist der Anteil an                     ten Jahren umgesetzt werden.                  deren Fällen benennt die Hochschule
Fahrten von und zur HBC mit privaten                                                                         Düsseldorf die geförderten Stipendien
PKW überdurchschnittlich hoch. Zudem                             Die Erstellung des Klimaschutzkon-          nach dem Stipendiengeber.
liegen die beiden Standorte Innenstadt                         zeptes wird durch das Bundesministeri-
und Aspach rund vier Kilometer auseinan-                       um für Umwelt, Naturschutz, Bau und                            Hochschule Düsseldorf
der und sind relativ schlecht miteinan-                        Reaktorsicherheit im Rahmen der nati-
der verbunden. Das getrennte Erfassen                          onalen Klimaschutzinitiative gefördert.
von Abfällen ist derzeit nicht flächende-
ckend gegeben. Zudem sind die Freiflä-                                              Prof. Dr. Jörg Entress
chen am Campus Innenstadt im hohen                                                  Hochschule Biberach
Maße versiegelt. In allen Bereichen des

DNH 04 | 2018
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
6     Campusnotizen

                                       HTWK Leipzig

                                     Internationaler Mathematik-Preis für
                                     Schüler und Professor
                                                                                                                               verhalten. Um das chaotische Verhal-
                                                                                                                               ten eines Systems quantitativ zu erfas-
                                                                                                                               sen, kann man bestimmte Zahlen nutzen.
                                                                                                                               Diese werden – nach ihrem Entdecker,
                                                                                                                               dem russischen Mathematiker und Physi-
                                                                                                                               ker Alexander Michailowitsch Lyapunov
                                                                                                                               – Lyapunov-Exponenten genannt. In
                                                                                                                               ihrem Fachartikel diskutieren Merker und
Foto: Robert Weinhold/HTWK Leipzig

                                                                                                                               Hofmann, wie man ohne genaue Kennt-
                                                                                                                               nis des Langzeitverhaltens allein aufgrund
                                                                                                                               lokaler Informationen Lyapunov-Expo-
                                                                                                                               nenten berechnen kann. Diese Arbeit
                                                                                                                               wurde von der Jury des Ian Snook Prize
                                                                                                                               mit einer „Honorable Mention“ ausge-
                                                                                                                               zeichnet. Der eigentliche Preis ging an
                                                                                                                               Kenichiro Aoki aus Japan, doch da die
                                     Prof. Jochen Merker (links) und Timo Hofmann                                              HTWK-Einreichung und seine nahezu
                                                                                                                               gleichwertig waren, entschloss sich die
                                     Eine besondere Auszeichnung wurde              „Chaotische Dynamik in Hamilton-           Jury zu dieser Sonderform der Ehrung.
                                     der Zusammenarbeit eines Professors            schen Systemen“ entstanden, die Timo
                                     der Hochschule für Technik, Wirtschaft         Hofmann unter Betreuung von Prof.             Der Erfolg beim Ian Snook Prize –
                                     und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) mit          Jochen Merker erbracht hatte. Dabei        einem der wenigen internationalen Prei-
                                     einem Leipziger Gymnasiasten zuteil: Für       geht es um die Untersuchung chaotischer    se für angewandte Mathematik – zeige, so
                                     ihre Arbeit zu einem Thema der ange-           mechanischer Systeme mittels Methoden      Professor Merker, dass auch Fachhoch-
                                     wandten Mathematik wurden Jochen               der angewandten Mathematik.                schulen auf diesem Gebiet international
                                     Merker, Professor für Analysis und Opti-                                                  Herausragendes leisten. „Andere Wettbe-
                                     mierung, und Timo Hofmann, Elftkläss-            Chaos tritt in ganz unterschiedlichen    werbe wie beispielsweise die internationa-
                                     ler des Wilhelm-Ostwald-Gymnasiums,            Situationen auf, zum Beispiel bei der      le Mathematik-Olympiade richten sich an
                                     Anfang April 2018 mit einer Ehrung durch       Bewegung eines Doppelpendels oder          Schüler und belohnen das Abschneiden
                                     die Jury des Ian Snook Prize gewürdigt. Der    dreier Himmelskörper in der Mechanik,      bei einer Klausur, nicht aber eine kreative
                                     prämierte Artikel wurde am 30. Mai in der      bei der Wettervorhersage in der Meteo-     Forschungsleistung“, sagt Merker.
                                     internationalen Fachzeitschrift „Compu-        rologie oder beim Stop-and-go im Feier-
                                     tational Methods in Science and Techno-        abendverkehr. Gemeinsam haben diese                                   HTWK Leipzig
                                     logy“ veröffentlicht.                          Systeme, dass sie sensitiv auf Verände-
                                                                                    rungen reagieren, dass sich also belie-
                                       Der Fachartikel war aus einer „Beson-        big nah beieinander liegende Zustände
                                     deren Lernleistung“ (BeLL) zum Thema           im Lauf der Zeit völlig unterschiedlich

                                       OTH Regensburg

                                     Zertifikat im agilen Projektmanagement
                                     als zusätzliche Qualifikation
                                     Neben dem klassischen Projektmanage-           Prof. Dr. Sabine Jaritz von der Ostbaye-   anerkanntes Scrum-Zertifikat vorberei-
                                     ment gewinnen agile Methoden bei der           risch Technischen Hochschule Regens-       tet. So haben im Wintersemester 2017/18
                                     Durchführung von Projekten immer mehr          burg (OTH) hat sich im Rahmen ihrer        erstmals 25 Studierende des Schwerpunkts
                                     an Bedeutung. Für die Lehre im Bereich         Vorlesung „Projekt-Controlling“ nicht      Projektmanagement im Studiengang
                                     Projektmanagement bedeutet dies, dass          nur intensiv mit dem agilen Projektma-     Bachelor Betriebswirtschaft das Zertifi-
                                     Studierende auch Fach- und Methoden-           nagement nach Scrum auseinanderge-         kat „Professional Scrum Master I“ (PSM I)
                                     kompetenzen im agilen Management von           setzt, sondern die Studierenden auch       der Zertifizierungsorganisation scrum.org
                                     Projekten vermittelt bekommen müssen.          auf ein renommiertes, international        erworben.

                                                                                                                                                             04 | 2018 DNH
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
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                                                                                                                     Personal in Hochschule und
                                                                                                                     Wissenschaft entwickeln
                                                                                                                                                  STRATEGIE – PRAXIS – FORSCHUNG
                                                                                                      Foto: privat
Gruppenfoto der „Professional Scrum Master I“-zertifizierten Studierenden mit ihrer Professorin
Prof. Dr. Jaritz (links)

  Die Vorbereitung auf das anspruchs-                     Die Begeisterung, die positive Einstel-
volle Zertifikat wurde unter Einsatz der               lung und das große Engagement der
Peer-to-Peer-Learning-Methode in die                   Studierenden hätte Prof. Dr. Jaritz so im
Vorlesung integriert. Die Studierenden                 Vorfeld nie erwartet. „Die Studierenden
haben Techniken gelernt, die ihnen als                 haben diese sehr anspruchsvolle Zerti-
zukünftige Scrum Master dabei helfen,                  fikatsprüfung als eine Chance gesehen,
das Konzept erfolgreich in einem Team                  sich ihre erworbenen Kompetenzen durch
einzuführen, den Product Owner in                      eine anerkannte Organisation bestätigen
                                                                                                                        5 Ausgaben pro Jahr,
seiner täglichen Arbeit zu unterstützen                zu lassen.“ Aufgrund des großen Erfolges
                                                                                                                        ca. 100 Seiten pro Ausgabe
und die Selbstorganisation im Entwick-                 wird die Vorbereitung für die Zertifikats-
lungsteam zu stärken. Die Teilnehmer                   prüfung auch in Zukunft fester Bestandteil                       Online-Zugriff
des Kurses haben gemeinsam Lernstra-                   des Schwerpunktfaches „Projekt-Control-                          auf sämtliche Inhalte
tegien entwickelt, um die durchaus sehr                ling“ sein. Natürlich bedeutet dies auch,
anspruchsvolle Zertifikatsprüfung erfolg-              dass Unterrichtsstoff im Bereich des klas-                       Ab 224,50 €
reich zu bestehen. Nach der inhaltlichen               sischen Projektmanagements dafür etwas                           pro Jahr erhältlich
Vorbereitung hatten die Studierenden vier              reduziert werden muss. Jedoch werden die

                                                                                                                                                                                                                 www.personalentwicklung-wissenschaft.de
                                                                                                                        Campuslizenz erhältlich,
Wochen Zeit, die Prüfung anzutreten. In                Studierenden dafür besser auf die verän-
dieser Zeit fand in der Vorlesung selbst               derten Anforderungen des Marktes vorbe-                          auch über bestehendes
ein moderierter Austausch statt. Dieje-                reitet.                                                          Konsortium
nigen, die die Prüfung bereits abgelegt
hatten, haben von ihrer Vorbereitung und                  Dass die Integration des Scrum-Zertifi-
ihrer Erfahrungen auch während des Tests               kats in ein Hochschulstudium nicht Stan-
berichtet. All dies wurde schriftlich fest-            dard ist, zeigt auch, dass scrum.org über
gehalten und jedem zugänglich gemacht.                 dieses Projekt an der OTH eine Case Study
Die Prüfung selbst ist ein 60-minütiges,               erstellt hat, die auf deren Webseite öffent-
aus 80 Fragen bestehendes englischspra-                lich verfügbar ist.
                                                                                                                                                                                   WEITERE INFORMATIONEN UNTER

chiges Online-Assessment, das individu-
ell abzulegen ist.                                                        Prof. Dr. Sabine Jaritz
                                                        Professorin für Betriebswirtschaftslehre
  Beleg für die erfolgreiche Teilnahme                   Ostbayerische Technische Hochschule
an der Zertifizierungsprüfung ist neben                                             Regensburg
dem Zertifikat auch ein Abzeichen. Auf
der Webseite von scrum.org gibt es eine
öffentlich zugängliche Datenbank, in der
alle Zertifizierten aufgeführt und so auch              Die Meldungen in dieser Rubrik, soweit
für potenzielle Arbeitgeber als Scrum-                     sie nicht namentlich gekennzeichnet
Experten identifizierbar sind.                            sind, basieren auf Pressemitteilungen
                                                            der jeweils genannten Institutionen.

DNH 04 | 2018
                                                                                                  PEH-Anzeigen.indd 1                                                                                                                                      13.09.17 15:37
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
8   Titel: Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissenschaft und die „gute Sache“

Aktivismus statt wissenschaftliches
Arbeiten
Auch wer in der Wissenschaft arbeitet, hat eigene Meinungen und Vorlieben. Werke
von andauernder Bedeutung wurden jedoch gerade von solchen Menschen geschrieben,
die sich darauf verstanden, fachliche Methodik und persönliche Anliegen weit genug
auseinanderzuhalten. | Von Prof. Dr. Markus Karp

                                          „Eine berufsmäßigen ,Denkern‘ beson-            „statistisch höchst umstrittene Annähe-
                                         ders nahezulegende Obliegenheit ist:             rung, die in keinster Weise belastbar ist“.2
                                         sich gegenüber den jeweilig herrschen-
                                         den Idealen, auch den majestätischsten,             Auch in einem anderen Fall mutierten
                                         einen kühlen Kopf im Sinn der persön-            spektakuläre Studienergebnisse zur Pein-
                                         lichen Fähigkeit zu bewahren, nötigenfalls       lichkeit: Im Mai 2017 legte das Göttinger
                                         ,gegen den Strom zu schwimmen‘“. 1 Max
              Foto: privat

                                                                                          Zentrum für Demokratieforschung eine
                                         Weber, Übervater der deutschen Soziolo-          Untersuchung zum Rechtsextremismus
                                         gie, hat zeitlebens für eine werturteilsfreie,   in Ostdeutschland vor, die ein düsteres
               Prof. Dr. Markus Karp     objektive Wissenschaft geworben. Webers          Bild der neuen Bundesländer als braunem
          Technische Hochschule Wildau   Diktum war des Öfteren unter Beschuss.           Hort rechtsextremer Umtriebe zeichnete.
                                         Forschende sind keine Maschinen, die ihre        Die Lage scheinbar: dramatisch, die Radi-
             markus.karp@th-wildau.de    Normen und Werte vor Arbeitsbeginn able-         kalen: flächendeckend präsent. Nur kam
                                         gen. Unzweifelhaft haben sie persönliche         wenig später heraus, dass das ganze Ergeb-
                                         Präferenzen, welche Impulse sie mit ihrer        nis auf nur vierzig Einzelinterviews offen-
                                         Forschung der Umwelt und den Mitmen-             kundig nicht repräsentativ ausgewählter
                                         schen geben wollen. Es lässt sich gar            Gesprächspartnerinnen und -partner aus
                                         behaupten, dass selbst bei einem Vorha-          nur wenigen ostdeutschen Orten basier-
                                         ben mit dem trockensten, nüchternsten            te. Nach einigem Zieren distanzierte sich
                                         Forschungsgegenstand, dem sich mit der           denn auch die Auftraggeberin.3
                                         menschenmöglich größten Objektivität
                                         angenähert wurde, noch Spuren subjek-               Wie kann es zu derlei Reinfällen
                                         tiver Überzeugungen finden lassen, die           kommen? Hier sind schließlich keine
                                         aus dem Forschungsdesign heraus nicht            Rechenfehler passiert, keine Fehlschlüs-
                                         zu erklären sind.                                se erfolgt. Nein, es wurde gepfuscht, weil
                                                                                          nicht die Forschung, sondern das Ergeb-
                                            In jüngerer Zeit aber häufen sich             nis das eigentliche Arbeitsziel ist. Sicher-
                                         Forschungsergebnisse, die weltanschaulich        lich, die Gründe mögen lauter gewesen
                                         derart in der Wolle gefärbt sind, dass dem       sein. Sensationelle Studienergebnisse, die
                                         Ruf der Wissenschaft Schaden droht. Ein          nicht nur Aufmerksamkeit in der wissen-
                                         Beispiel: Im März 2018 trat das Bundesum-        schaftlichen Gemeinde, sondern auch ein
                                         weltamt mit einer Studie an die Öffent-          großes Medienecho erzeugen, sollen dazu
                                         lichkeit, die 6.000 Tote pro Jahr auf Stick-     führen, den Umwelt- und Gesundheits-
                                         oxid in der Atemluft zurückführte. Große         schutz voranzubringen oder Rechtsex-
                                         Aufregung! Das Ergebnis schlug wie eine          tremismus kleinzuhalten. Denn für die
                                         Bombe in der erhitzten Debatte um Fahr-          Verantwortlichen fügen sich die disku-
                                         verbote in deutschen Innenstädten ein.           tierten Probleme in ein größeres Bild ein:
                                         Aber nur wenige Tage später mussten sich         Es geht nicht allein um Schadstoffbelas-
                                         die Forschenden ausgerechnet vom Boule-          tung in den Ausfallsstraßen der Groß-
                                         vardblatt BILD Unwissenschaftlichkeit            städte oder politischen Extremismus in
                                         vorwerfen lassen. Es handle sich um eine         peripheren Kleinstädten. Nur wenig subtil
                                                                                          werden die großen weltanschaulichen

                                                                                                                         04 | 2018 DNH
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
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                                                                                                               „Es wurde gepfuscht, weil nicht die
                                                                                                               Forschung, sondern das Ergebnis

                                                                         Foto: Juan Pablo Gonzalez/123rf.com
                                                                                                               das eigentliche Arbeitsziel ist.“

Fragen gleich mitverhandelt: Der unzureichend                  unbeschriebenes Blatt ohne subjektive Wert- und
fundierte Angriff auf den Diesel ist im Kern die               Sollensvorstellungen sein kann. Auch Max Weber,
Attacke auf das Auto als solches, das die Studien-             der große Verfechter der werturteilsfreien Wissen-
autorinnen und -autoren ob seiner Umweltkosten                 schaft, vertrat politische Positionen, die nicht einfach
mehr als skeptisch beäugen. Und die Rechtsextremis-            als typisch zeitgeistig abgetan oder belächelt werden
musstudie soll mit ihren schrillen Befunden einen              können. Vielmehr machte er sich einen Nationalis-
Umbruch im Parteiensystem und einen Politikwan-                mus bis Ultranationalismus zu eigen, der schon damals
del, wie ihn viele unserer europäischen Nachbarn               nicht ohne Widerspruch war und heute noch sehr
schon erlebt haben, verhindern helfen. Das sind                viel mehr befremdet. Seine Arbeiten aber sind lager-
legitime Anliegen, die man in einer pluralistischen            übergreifend zeitlos, bis heute aktuell geblieben und
und demokratischen Gesellschaft mit ihrem viel-                inspirieren immer wieder neu. Das kann beileibe nicht
stimmigen Meinungskonzert vertreten kann und                   von vielen national durchglühten wilhelminischen
darf. Allerdings sind Studien, die sich wissenschaft-          Denkern gesagt werden. Ein wenig Stochern in der
lich geben, aber ganz bewusst nicht wissenschaft-              Wissenschaftsgeschichte führt zu der Einsicht, dass
lichen Ansprüchen genügen, dafür ungeeignet. Im                viele Klassikerautoren wenig glanzvolle Ausritte in die
Ergebnis wird dieses Gebaren darauf hinauslaufen,              Politik unternommen und oft auch mit radikalen oder
dass wissenschaftlichen Arbeiten per se Misstrau-              totalitären Ideen geliebäugelt haben. Trotzdem sind
en und Zweifel entgegenschlagen. Dann kommt es                 ihre Werke klassisch. Weil sie ihre wissenschaftlichen
nicht mehr auf das Studienergebnis an, sondern auf             Arbeiten nicht zugunsten des gewünschten gesell-
die vermutete Intention der Verfasser. Mit den akade-          schaftlich-politischen Effekts frisiert haben. Ihre Werte
mischen Kontroversen, die idealerweise jede Veröf-             und Normvorstellungen mögen sie auf ein bestimm-
fentlichung begleiten und die Wissenschaft über-               tes Feld oder zu einem bestimmten Forschungsgegen-
haupt erst voranbringen, hat das allerdings nichts             stand geführt haben. Dort aber blieben sie dem ergeb-
zu tun. Vielmehr ist es ein Gift, das langfristig in           nisoffenen wissenschaftlichen Arbeiten treu, ohne
den Augen vieler Wissenschaft und Meinung unun-                mit aufgesetzten Scheuklappen das „richtige“ Resultat
terscheidbar macht. Das wird für Probleme sorgen:              zu berechnen, welches die eigenen guten Absichten
Es entwertet letztlich alle Forschungsergebnisse und           befördern würde.
schwächt die Akzeptanz der Wissenschaft.
                                                                 Missionarischer Eifer hingegen ist der Feind der
 Indes wurde eingangs angeführt, dass eine                     Aufklärung. Auch die besten Absichten rechtfertigen
Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler kein                keinen Verzicht auf das Wissenschaftsethos.

  Literatur
  1 Weber, Max (2013): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. 1. Aufl. Paderborn: Salzwasser Verlag.

  2 https://www.bild.de/auto/auto-news/dieselkraftstoff/diesel-studie-dobrindt-55050000.bild.html

  3 http://www.sueddeutsche.de/politik/ostdeutschland-ostbeauftragte-distanziert-sich-von-rechtsextremismus-
    studie-1.3605843

DNH 04 | 2018
Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissen-schaft und die "gute Sache" - hlb Hochschullehrerbund
10 Titel: Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissenschaft und die „gute Sache“

Wertedenken in
Life Science Engineering
Im Modul Ingenieurethik diskutiert der Autor anhand von Fallbeispielen aus den
Gebieten Gesundheit und Ernährung mit Studierenden das Pro und Contra von
Entscheidungen bis hin zu eigenen Lösungsvorstellungen. | Von Prof. Dr. Jens Hartmann

                                            Die Formulierung und Durchsetzung ethi-        Das Modul Ingenieurethik soll Werteden-
                                            scher Grundsätze und Werte werden bei          ken anregen
                                            der Ausbildung von Ingenieuren in den
                                            Lebenswissenschaften (Life Science Engi-       Im Mittelpunkt eines neuen Werteden-
               Foto: Hochschule Anhalt

                                            neering) zukünftig an Bedeutung gewin-         kens in Life Science Engineering als einem
                                            nen. Die immer schneller werdende              Teilgebiet des Lehrmoduls „Ingenieure-
                                            Wachstumsgesellschaft mit ihren Tech-          thik“ stehen interdisziplinäres Denken
                                            nologietreibern Biotechnologie und Digi-       und Folgenabschätzung sowie die nach-
                                            talisierung erzeugt in unserer Gesellschaft    haltige Umsetzung fortschrittlicher Ideen
              Prof. Dr. Jens Hartmann       gerade einen technologischen und gesell-       mit hoher Verantwortung. Es werden
       Professor für Physikalische Chemie   schaftspolitischen Sprung, wie man ihn         „Werkzeuge“ aufgezeigt, ingenieurtech-
                                            noch nie verzeichnete. Neue Produktions-       nische Entscheidungen moralisch zu
            jens.hartmann@hs-anhalt.de      prozesse, Vernetzungen von Prozessen,          begleiten, allen voran Technologie(folge)-
                                            Anbietern und Daten sowie zunehmende           abschätzungen, Risikoanalysen und
                     Hochschule Anhalt      Digitalisierungsstrategien werden schnell      Präventivmaßnahmen für die Gesund-
       FB Angewandte Biowissenschaften      den Markt beherrschen, ohne dass eine          heit der Menschen, für Tierrechte und
                    und Prozesstechnik      wirkliche gesellschaftliche Reflexion statt-   nachhaltige Umwelterhaltung. So müssen
                     Bernburger Str. 55     finden kann. Eine soziale Marktwirtschaft      fortschrittliche Strategien oft auf Verträg-
                 06366 Köthen/Anhalt        wird so nur noch eine geringe Chance           lichkeitskriterien geprüft und neue
                www.hs-anhalt.de/bwp        haben, sich zu behaupten. Der Gesell-          Rahmenbedingungen geschaffen werden.
                                            schaft fehlt es an wahrhaftigen Informa-
                                            tionen, an moralischen Orientierungen            In einer durch die Technologie weiter
                                            und vor allem an Durchsetzungsvermö-           wachsenden und von ihr getriebenen
                                            gen. Beispiel: der Umgang mit den Verfeh-      Gesellschaft werden Bedürfnisse nach
                                            lungen der deutschen Autoindustrie.            Regeln, Entschleunigungsmaßnahmen
                                                                                           und moralischen Grenzen notwendig, um
                                              So auch auf dem Sektor des Life Science      unsere Existenz auf dieser Erde langfristig
                                            Engineering, der Ingenieurwissenschaf-         zu sichern. Die technologische Problem-
                                            ten rund um die Themen Ernährung und           lösung muss durch Bedenkenforschung
                                            Gesundheit. Zahlreiche Fallbeispiele aus       zeitnah begleitet werden. Beispiel: Die
                                            Gentechnik, Pharmaforschung, Lebens-           Zukunft der Gesundheitswirtschaft (Carl,
                                            mittelqualität oder über den Umgang            Gondlach 2018) sollte neben den tech-
                                            mit Ressourcen und der Umwelt zeigen           nologischen Hotspots Künstliche Intelli-
                                            gelegentlich Fehlentwicklungen und             genz, Drucken von 3-D-Organen, Genthe-
                                            -meldungen, inkonsequentes Handeln,            rapien, Smarte Sensoren und Wohnungen
                                            Intransparenz und Verdeckungen der             usw. die Würde des Menschen nach einem
                                            wahren Probleme. Personenkreise, Firmen        eigenbestimmten Leben in den Vorder-
                                            oder ganze Branchen kommen so in Miss-         grund stellen.
                                            kredit. Und überdecken all die Aktivitäten
                                            derjenigen, die im Sinne von Moral und           Am Fachbereich Angewandte Biowis-
                                            Nachhaltigkeit echte Verbesserungen in         senschaften und Prozesstechnik der
                                            den jeweiligen Branchen erzielen.              Hochschule Anhalt werden Studierende

                                                                                                                          04 | 2018 DNH
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                                                              Foto: Juan Pablo Gonzalez/123rf.com

ausgebildet, die später einmal auf den Gebieten des
Life Science Engineering arbeiten. Und zwar als Inge-
nieure! Sie werden es sein, die Prozesse und Produkte
in den Branchen Biotechnologie, Pharmatechnik und                                                   „Die technologische Problemlösung
Lebensmitteltechnologie maßgeblich bestimmen.
Weniger in der Forschung als vielmehr in der täglichen                                              muss durch Bedenkenforschung
Herstellung, Entwicklung und Qualitätskontrolle von
Produkten. Hier liegt eine ganz besondere Verantwor-
                                                                                                    zeitnah begleitet werden.“
tung. Es handelt sich nämlich um Produkte, die als
Wirkstoffe, Nährstoffe, Nahrungsergänzungsmittel,
additive und persönliche (Körper-)Schutzmittel täglich                                              sind wir derzeit nicht. Aufgrund der Wachstumsgesell-
von Menschen bzw. Tieren aufgenommen werden                                                         schaft geraten uns immer wieder Prozesse und Hand-
bzw. mit ihnen in Kontakt kommen. Wohl und Wehe                                                     lungen außer moralischer Kontrolle.
sind von der Reinheit, Identität und Unbedenklichkeit
dieser Stoffe maßgeblich abhängig. Auch die Informa-                                                   Dies ist zugleich der Appell an die nächste junge
tionen über diese Produkte werden von zunehmender                                                   Generation, Veränderungen einzuleiten. Das setzt
Bedeutung für Kunden, Patienten und Verbraucher.                                                    wiederum voraus, dass sich diese Generation intensiv
Die Herkunft von Rohstoffdaten, ethische Grundsätze                                                 und ehrlich mit der Wirklichkeit beschäftigt: „Ethik
bei der Haltung und Tötung von Tieren, nachhaltige                                                  stiftet Unruhe hin zum tieferen Nachdenken über die
Produktion inklusive Entsorgung und Umweltschutz                                                    Folgen unseres Tuns” (Lendi 2003). Und: Wir brauchen
stehen hinter diesen Produkten. Diese Werte sind nicht                                              Orientierung auf unserem Wege zum neuen Werteden-
neu, jeder modern eingestellte Mensch möchte ethisch                                                ken: Es muss uns gelingen, durch mehr Kommunika-
handeln. Aber neue ökonomische Bedingungen und                                                      tion, gesellschaftliche Diskurse und Dialoge zwischen
technologische Entwicklungen (z. B. Genmanipula-                                                    Experten und Laien eine umfassende Folgenethik zu
tionen oder Automatisierung humaner Handlungen)                                                     entwickeln. Wir sollten erkennen, dass dies kein Boll-
müssen zu neuem Wertedenken führen, insbesonde-                                                     werk gegen den Fortschritt ist, sondern ein Geländer
re auch zu neuen Strategien und Ideen, um Werte zu                                                  am Weg einer neuen Generation von erfolgreichen
erhalten im “Spagat” zwischen Moral und Gewinn.                                                     und mit ihrem Berufsbild zufriedenen Ingenieuren.
Wir wollen erfolgreich sein und gut! Aber genau das

  Literatur
  Carl, Michael; Gondlach, Kai: Die Zukunft der Krankenversicherung. Wie Krankenkassen und Versicherer die Kundenbe-
     dürfnisse an individuelle und prädiktive Gesundheitsförderung erfüllen. Trendstudie des 2b AHEAD ThinkTanks. Leipzig.
     www.zukunft.business/forschung/trendstudien/ veröffentlicht am 15.01.2018 – Abruf am 18.01.2018

  Lendi, Martin: Hinweise auf ethische Anhaltspunkte für das Planen und Entscheiden wie auch das Handeln in der räum-
     lichen Planung – Etappenbericht auf dem Weg einer offenen Diskussion. Eine Gastvorlesung, gehalten in Wien an der
     Universität für Bodenkultur. 2003.www.research-collection.ethz.ch/bitstream/handle/20.500.11850/147811/eth-26888-
     01.pdf – Abruf am 28.03.2018

DNH 04 | 2018
12 Titel: Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissenschaft und die „gute Sache“

Ideologische Überzeugungstäter mit
akademischem Titel versus Wissen-
schaftler mit gefestigtem Wertekostüm
Viele Studierende scheinen heute nicht mehr in der Lage zu sein, Wissen wertfrei zu ordnen
– sie verwechseln die Überzeugungen aus ihrem (oft eher beliebigen) Wertekanon mit dem
Ergebnis wissenschaftlicher Analyse. Was ist zu tun? | Von Prof. Dr. Jochen Struwe

                                           „Die Wissenschaft und die ‚gute Sache‘“      nicht, dass Wissenschaft nicht wertefun-
                                           – ein ebenso spannender wie erschöp-         diert oder interessegeleitet sein dürfte.
                                           fender Konflikt, gerade in Zeiten, in        Natürlich darf ein Wissenschaftler – und
               Foto: Barbara Frommann

                                           denen weltweit Populisten auf dem            dazu zählen a priori die Professorinnen
                                           Vormarsch zu sein scheinen, Fake News        und Professoren, perspektivisch aber
                                           sich nahezu ungehindert verbreiten,          auch die Studierenden einer Hochschu-
                                           das Googeln nach „Trump + Lügen +            le – religiöse, politische, gesellschaftliche
                                           Zähler“ etwa 20.600 Treffer ergibt und       Überzeugungen, Meinungen, Ansichten
                                           es schick zu sein scheint, Überzeugungen     haben. Warum sollte ein Wissenschaft-
               Prof. Dr. Jochen Struwe     für Tatsachen zu nehmen und ebenso           ler kein „Zoon politikon“ sein oder sein
      Professor für Unternehmensführung,   unbedenklich zu verbreiten wie unbe-         dürfen? Und dass Wissenschaft – viel-
         Rechnungswesen und Controlling    dacht zu glauben.                            leicht abgesehen von der Grundlagen-
                                                                                        forschung und dem „reinen“, zweckfreien
            j.struwe@umwelt-campus.de        „Meinungsstark und kenntnisarm“            Erkenntnisgewinn in der Tradition des
                                           als pauschale Kennzeichnung heutiger         Thales von Milet – durchaus interessenge-
                      Hochschule Trier     Studierender ist sicher überpointiert.       leitet sein darf, oft sogar sein muss, zeigt
             Umwelt-Campus Birkenfeld      Auch wenn man sich als Lehrender über-       die Existenz der Auftrags- bzw. Drittmit-
                          Campusallee      haupt manchmal eine Meinung seiner           telforschung, der angewandten Forschung
         55768 Hoppstädten-Weiersbach      Studierenden wünschte: Im Kern ist           und Entwicklung oder der Industriefor-
                                           etwas Wahres dran (zumindest, wenn das       schung.
       www.umwelt-campus.de/~j.struwe      „kenntnisarm“ auf die stets einwandfreie
                                           Anwendung wissenschaftlicher Methodik           Wissenschaftsbasiert heißt aber immer
                                           beschränkt wird).                            (!), dass die „Ordnung des Wissens“
                                                                                        (= „Wissenschaft“) den folgenden Grund-
                                             Die beiden Fragen, denen im Folgenden      forderungen genügen muss:
                                           nachgegangen werden soll, lauten:
                                           1. Hat die „gute Sache“ Auswirkungen            Eindeutigkeit durch genaue Definiti-
                                              auf die Wissenschaft, und falls ja, wie      onen,
                                              spiegelt sich das konkret wider?             Transparenz durch Offenlegung
                                           2. Was ist vonseiten der Lehrenden wie          der Methoden und der Quellen des
                                              Lernenden gegen wissenschaftsmetho-          Erkenntnisgewinns,
                                              dische Fehlentwicklungen zu unter-           Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehaltes
                                              nehmen?                                      durch jederzeitige Validierung und
                                                                                           Verifizierung, ggf. auch Falsifizierbar-
                                                                                           keit,
                                           Die Grundforderungen                            Verlässlichkeit des Erkenntnisgewinns
                                                                                           durch Wiederholbarkeit,
                                           Hier wird der Ansatz vertreten, dass            Objektivität durch ausschließliche
                                           Studium und Lehre an einer Hochschule           Berücksichtigung von Fakten und
                                           grundsätzlich wissenschaftsbasiert zu sein      logisch konsistenten Schlussfolge-
                                           haben. Wissenschaftsbasiert heißt dabei         rungen,

                                                                                                                        04 | 2018 DNH
13

   Redlichkeit des Erkenntnisgewinns durch unvor-
   eingenommene Berücksichtigung aller relevanten
   Aspekte und Offenlegung etwaiger Interessenkol-
   lisionen durch den Forschenden.

  Dass Wissenschaft einen Neuigkeitswert im Sinne
eines Erkenntnisfortschritts haben sollte, ist zwar
grundsätzlich verständlich, soll hier aber – auch und
gerade angesichts des zunehmenden Anteils deskrip-

                                                                                                                   Foto: Juan Pablo Gonzalez/123rf.com
tiver, vergleichender oder schlicht kompilierender
Arbeiten – nicht als methodische Forderung aufge-
stellt werden. Auf eine vertiefte Diskussion verschie-
dener Wissenschaftsvorstellungen (Thales, Aristo-
teles, Karl Popper, Thomas S. Kuhn u. v. a.) muss an
dieser Stelle ebenfalls verzichtet werden.

Die Realität

Die folgenden Beispiele stammen ausnahmslos aus
Hausarbeiten, die Studierende eines Masterstudien-        „Die Geschwindigkeit, mit der sich
gangs am Umwelt-Campus Birkenfeld in den letz-
ten vier Jahren im Seminar „Umweltökonomie“ des           heutzutage neue Probleme auftun,
Verfassers – sicher unbewusst – geschrieben haben;
aus verständlichen Gründen bleiben die Namen              scheint momentan deutlich größer zu
der jeweiligen Autoren ungenannt, etwaige Recht-
schreib- und Satzbaufehler finden sich in den Origi-      sein als die Geschwindigkeit, mit der
nalen. Bei den ausgewählten Zitaten handelt es sich
nicht um „Ausreißer“, wie zahlreiche wiederkehren-        erkannte Probleme gelöst werden.“
de Beobachtungen auch von Kolleginnen und Kolle-
gen nahelegen; ein – überschlägiger – Anteil von etwa
einem Fünftel der abgegebenen Seminararbeiten mit
ähnlichen Auffälligkeiten wird häufig – und zwar          werden müsste), kann aber offensichtlich mit seiner
hochschul- und studiengangübergreifend – bestätigt.       Wertung („leider“) nicht hinterm Berg halten.

   Bespiel 1: „250 Jahre nach Beginn der industriellen      Beispiel 3: „Nach dem Zweiten Weltkrieg war die
Revolution steht die Menschheit einerseits, beson-        Gründung der Christlich-Sozialen Union (CSU)
ders in Industrieländern, vor einem enormen Wohl-         in Bayern e. V. eine Antwort auf die Katastrophe
stand, andererseits jedoch auch vor einem starken         von Gewaltherrschaft und Krieg. Schon im Herbst
globalen Wohlstandsgefälle sowie dem Raubbau an           1945 haben sich Frauen und Männer, trotz Leid
der Natur mit seinen irreversiblen Folgen für die         und Not in der Nachkriegszeit, nicht entmutigen
Menschheit. Durch diese vorherrschende Machtun-           lassen, eine neue Partei zu gründen. Diese basier-
gleichheit versuchen sich machtüberlegene Indi-           te bereits damals auf der Wertorientierung ‚Verant-
viduen, Staaten und soziale Gruppen auf Kosten            wortung vor Gott und den Menschen‘. Die CSU
anderer zu bereichern. Den benachteiligten Grup-          kämpft als christlich-konservative Volkspartei in
pen fehlen dagegen die Mittel, sich dem zu widerset-      Bayern für ein gemeinsames Europa. Angetrie-
zen und sich dagegen zu wehren. Aus diesem Grund          ben von der Verantwortung für das Gemeinwohl
ist vor allem die Wirtschaft zum größten Teil für das     steht sie für die Einheit Deutschlands in Frieden
soziale Elend und die Zerstörung der Umwelt verant-       und Freiheit. Mit klaren Werten und Wegen hat
wortlich.“ Immer wieder zu beobachten: der große          die CSU nicht nur die bayrische, sondern auch die
Rundumschlag. Die Moralkeule wird geschwungen             deutsche und europäische Politik zum Wohle der
und saust auf alles nieder, was das eigene Weltbild       Menschen geprägt.“ Wenn in einer Arbeit, die die
stört. Besonders ärgerlich wird das, wenn das, was        umweltökonomischen Ansätze verschiedener im
nach Meinung dieses Autors (männlich/weiblich)            Bundestag vertretener Parteien erläutern soll, jede
wohl unbedingt geschrieben werden musste, mit             Partei derart vorgestellt wird, drängt sich die Inter-
dem gestellten Thema überhaupt nichts zu tun hat.         pretation auf, dass der Autor zumindest die CSU
                                                          vorher kaum kannte (und dies auch seinen Lesern
   Beispiel 2: „In der Vergangenheit und leider auch      unterstellt), dass (im Übrigen ohne Quellenanga-
noch in der heutigen Zeit wird der Blick ausschließ-      be) eine Parteibroschüre der CSU kritiklos ausge-
lich auf das Ziel, also auf das herzustellende Produkt,   schlachtet wurde und dass zum eigentlichen Thema
gerichtet.“ Dieser Autor will eine Beobachtung            (für das nur 15 Textseiten zur Verfügung standen)
wiedergeben (die für sich genommen auch hinterfragt       kaum etwas zu sagen war (sonst hätten derartige

DNH 04 | 2018
14 Titel: Zwischen Mission und Versuchung: Die Wissenschaft und die „gute Sache“

„Sosehr zum Erziehungs-
auftrag der Hochschulen auch
die Heranbildung des gesell-
schaftlichen Führungskräfte-
nachwuchses gehört, so sehr
muss sichergestellt werden,

                                                                                                                       Foto: alhovik/123rf.com
dass das Herzblut nicht mit
den Studierenden durchgeht.“

kontextuelle Nebensächlichkeiten nicht diesen Raum         Zukunft der Weg geebnet.“ Ist der zweite Satz eige-
eingenommen).                                              ne wissenschaftliche Erkenntnis oder wird hier nur
                                                           die Selbsteinschätzung einer Denkschule kritiklos
   Beispiel 4: „Die drei Prinzipien sind ein Schritt in    kolportiert? Der Unterschied zwischen Indikativ und
die richtige Richtung. Auch wenn es bei den Prin-          Konjunktiv scheint vielen Studierenden nicht mehr
zipien einige Probleme bei der Umsetzung gibt, sind        bewusst – man lasse mal aus Übungsgründen („effek-
sie dennoch gut umsetzbar und tragen zu einem besse-       tives Zuhören“) den Seminarvortrag eines Studieren-
ren Umgang mit unserer Umwelt bei.“ Prinzipien sind        den von einem anderen Studierenden zusammenfas-
ein Schritt in die richtige Richtung? Und wie ist es nun   send wiedergeben …
um die Umsetzbarkeit bestellt? Unsere Umwelt? Sollte
sich ein Wissenschaftler zur Partei machen?
                                                           Die Notwendigkeiten
  Beispiel 5: „Nachhaltigkeit ist ein extrem wichtig
werdendes Thema, welches hohe Beachtung benö-              Was ist aus alldem zu lernen? Was können, was
tigt.“ Der Autor will seine Überzeugung unbedingt          müssen die Lehrenden, aber auch die Studieren-
verstärken: „wichtig“ allein reicht nicht, und „hohe       den tun, damit Letztere wissenschaftlich sauberes
Beachtung“ kommt noch dazu. In die gleiche Kate-           Arbeiten im Sinn der oben angerissenen Grundfor-
gorie fallen oft zu lesende „Steigerungsformen“ wie        derungen verinnerlichen (zugunsten des eigenen
„idealste, optimalste, maximalste, aktuellste …“ oder      Berufsstandes sei den Erstgenannten die stets gute
eben ,,strenge“ oder gar ,,strengste“ Regeln.              wissenschaftliche Praxis konzediert).

   Beispiel 6: „Der Schutz unserer Welt und deren             Zunächst zu den Lehrenden: Es reicht nicht, im
Mikrokosmos (Umwelt) gilt es zu schützen. Umwelt           ersten Hochschulsemester eine zweistündige Übung
ist all das, was sich bewegt und was wir sehen, fühlen     „Wissenschaftliches Arbeiten“ anzubieten. Es reicht
und riechen. Sei es das frische Quellwasser, welches       nicht, wenn bald jeder Fachbereich meint dadurch
sich zu einem Bach ergießt, oder die Natur die sich        zu helfen, dass er eigene Gestaltungsvorschriften für
jedes Frühjahr neu findet, um im Herbst größtenteils       Abschlussarbeiten, Zitationsregeln etc. veröffent-
wieder zu verschwinden.“ Dass dieser Autor umwelt-         licht (abgesehen davon, dass sich darin immer wieder
bewegt ist, drängt sich unweigerlich auf. Aber den         fragwürdige Vorgaben finden, die zudem verhin-
Schutz zu schützen? Und romantische Lyrik mag ja           dern, dass Studierende durch eigenen Versuch bessere
für Gedichte taugen, hat aber in einer wissenschaft-       Lösungen finden). Es reicht nicht zu beklagen, dass
lichen Standards genügenden Seminararbeit kaum             eine Hochschulzugangsberechtigung heute vielfach
etwas zu suchen – ganz abgesehen davon, dass auch          nicht mehr gleichbedeutend mit der Hochschulreife
im Herbst Natur kaum verschwindet.                         ist (Letztere soll eigentlich notwendige Schlüsselqua-
                                                           lifikationen attestieren).
  Beispiel 7: „Aus ethischer Sicht verfolgt die neue
Umweltökonomie Gerechtigkeit und die ‚Verantwor-              Lehrende müssen vielmehr in jeder (!) Veranstal-
tung für die Mitwelt, künftiger Generationen und sich      tung, egal ob Vorlesung, Seminar, Übung, Laborprak-
selbst‘. Somit ist für eine stabile, ressourcenhaltige     tikum o. Ä., in jeder (!) Prüfung (schriftlich, mündlich,

                                                                                                                                                 04 | 2018 DNH
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praktisch, in niedrigrangigen Hausarbeiten genauso       das irgendwann auch für die Inhalte gelten! Vermei-
wie in hochdotierten Abschlussarbeiten) Verstöße         det allen sprachlichen Ballast und Zierrat, der wissen-
gegen gute wissenschaftliche Praxis korrigieren und      schaftliche Eindeutigkeit und Klarheit verhindert!
ggf. sanktionieren. Und das nicht ein Mal, sondern       Und wenn eine Rechnung nicht aufgeht, dann geht
immer und immer wieder. „Wiederholung festigt“,          sie nicht auf, und es wird nicht an den Prämissen
das gilt auch für formale Aspekte des wissenschaft-      herumgeschraubt oder so lange gerechnet, bis das
lichen Arbeitens. So traurig es ist: Selbst „einwand-    Ergebnis „passt“! Trennt Tatsachen und Wertungen!
freies Deutsch“ (schon eine der Minimalforderungen       Macht euch eure eigene Befangenheit klar, legt eure
im Tutzinger Maturitätskatalog der Westdeutschen         eigenen Scheuklappen ab! Beschäftigt euch gerne
Rektorenkonferenz und der Kultusministerkonfe-           mit heißem Herzen, aber vorurteilsfrei, mit kühlem
renz von 1958) muss so lange eingefordert werden,        Kopf und klarem Verstand mit euren Themen! Geht
bis Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau, logische        immer davon aus, dass Andersdenkende auch recht
Konsistenz wissenschaftlichen Anforderungen genü-        haben könnten! Es gibt auch in den Wissenschaf-
gen (es erschreckt, wenn Studierende über Jahre          ten nicht nur schwarz-weiß, nicht nur richtig oder
hinweg behaupten, man sei der einzige Hochschulleh-      falsch, es gibt genauso gut Grauschattierungen oder
rer, der darauf achte). Wenn bspw. in ingenieurwissen-   mehrere vertretbare, gleichwohl unterschiedliche
schaftlichen oder betriebswirtschaftlichen Disziplinen   Argumentationen.
nicht ständig darauf geschaut wird, dass Maßeinheiten
in Formeln korrekt mitgeschleift werden (man kann
Äpfel und Birnen zu Kompott verarbeiten, aber nicht      Fazit
Euro und Stück zusammenziehen), werden fehlerhafte
Berechnungen die Folge sein.                             Das Titelthema dieser DNH „Zwischen Mission und
                                                         Versuchung: Die Wissenschaft und die ‚gute Sache‘“
   Gleichzeitig müssen Lehrende Wert darauf legen,       ist ein Dauerbrenner, zurzeit auf besonders großer
dass die Studierenden etwa den Blick verstellende        Flamme stehend. Es gab und gibt (und wird, so wie
„ideologische Brillen“ absetzen, wenn sie wissen-        der Mensch gestrickt ist, immer geben) ideologische
schaftlich arbeiten. Sosehr zum Erziehungsauftrag        Überzeugungstäter mit akademischen Titeln. Ange-
der Hochschulen auch die Heranbildung des gesell-        sichts der Erkenntnis, dass das „Ende der Geschichte“
schaftlichen Führungskräftenachwuchses gehört (stell-    (Francis Fukuyama) wohl doch noch nicht gekom-
vertretend § 16 HochSchG RP: Studierende sollen „zu      men und der „Fortschritt eine Schnecke“ (angeblich
wissenschaftlicher Arbeit und zu verantwortlichem        Günter Grass) ist, werden aber Wissenschaftler mit
Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen          gefestigtem Wertekostüm gebraucht. Die Geschwin-
und sozialen Rechtsstaat fähig werden“), so sehr muss    digkeit, mit der sich heutzutage neue Probleme
sichergestellt werden, dass das Herzblut nicht mit den   auftun, scheint momentan deutlich größer zu sein
Studierenden durchgeht (gerade auch dann, wenn           als die Geschwindigkeit, mit der erkannte Probleme
diese die Wertvorstellungen des Lehrenden punktge-       gelöst werden. Die deutsche, europäische wie welt-
nau treffen). Ideologiegeschwängerte Versatzstücke       weite Gemengelage, egal ob sozial, politisch, ökolo-
gehören, wenn es denn sein muss, auf entsprechende       gisch oder ökonomisch, schreit zwar im Hinblick
Parteitage, aber nicht in wissenschaftlicher Metho-      auf immer drängender werdende Herausforderungen
dik genügenden Arbeiten. Natürlich ist begrüßens-        nach Antworten. Diese Antworten werden aller Erfah-
wert, wenn Studierende sich für ein Thema interes-       rung nach jedoch kaum von heilsgewissen Versu-
sieren, vielleicht gar für ihr Thema brennen. Dies       chern, sondern eher von Wissenschaftlern, die ihr
darf nur nie dazu führen, dass andere wissenschaft-      Handwerk gelernt haben und jederzeit ernsthaft und
lich begründete Ansichten delegitimiert werden, die      lauter betreiben, kommen.
eigene „gute Sache“ hingegen verabsolutiert wird. Die
meisten (angehenden) Wissenschaftler werden sich in        Wie hat es Max Weber 1919 in „Wissenschaft als
einem Wertekostüm bewegen; es kommt aber darauf          Beruf“ beschrieben? „Dem Menschen muss etwas –
an, sich immer wieder im Spiegel selbstkritisch zu       und zwar das Richtige – einfallen, damit er irgendet-
überprüfen und zu fragen, inwieweit dieses Kostüm        was Wertvolles leistet. Dieser Einfall aber lässt sich
zur Uniform geworden ist, die allen Gleichgewande-       nicht erzwingen. Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit.
ten von vornherein die Unbedenklichkeit beschei-         Und die Arbeit ihrerseits kann den Einfall nicht erset-
nigt, während anders Uniformierten ebenso selbstver-     zen oder erzwingen, so wenig wie die Leidenschaft es
ständlich „feindliche Absichten“ unterstellt werden.     tut. Denn nichts ist für den Menschen als Menschen
                                                         etwas wert, was er nicht mit Leidenschaft tun kann.“
  Und der Appell an die Studierenden: Glaubt uns
Professoren bloß nicht alles! Wir wandeln selbst oft       Dazu sollten die Hochschulen, Lehrende wie
genug auf dünnem Eis, sind in der Regel nur erfahren     Lernende, beitragen.
genug, euch das nicht merken zu lassen. Hinterfragt!
Traut euch selbst zu denken! Tretet nicht immer nur
in unsere Fußstapfen, sonst werdet ihr uns nie über-
holen! Haltet euch jederzeit an gute wissenschaftliche
Praxis, denn wenn die Methodik nicht stimmt, wird

DNH 04 | 2018
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