Das ist das KULTURMAGAZIN der Festivals, Museen und Schlösser der Metropolregion Rhein-Neckar. In der Ausgabe 01/20 geht es unter anderem um den ...
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Das ist das KULTURMAGAZIN der Festivals, Museen und Schlösser der Metropolregion Rhein-Neckar. In der Ausgabe 01/20 geht es unter anderem um den Heidelberger Frühling, bei dem Igor Levit beim Kammermusikfest „Standpunkte“ zu erleben sein wird …
Inhalt 26 Im Inneren der Gehörmaschine 38 Eine Frage der Wahrnehmung Der Pianist und Musikforscher Tom Beghin spürt Abstraktion und Umwandlung – zwei Ausstellun- bei den Schwetzinger SWR Festspielen dem Genie gen bieten spannende Einblicke in die Bestände Ludwig van Beethovens nach des Wilhelm-Hack-Museums 40 ENTDECKUNGEN Medicus – Die Macht des Wissens 28 Quacksalber, Bader, Mediziner – die Medicus- Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz 06 „Aus den Wellen ihr lieblich Bild …“ präsentiert die Geschichte der Medizin Kulturregion Hölderlin und Heidelberg – die UNESCO City of Literature Heidelberg widmet sich dem Dichter Tipps und Meldungen rund um die Kulturregion 42 „Es gibt ihn doch, den Grüffelo!“ 29 Grüffelogrütze und Schlangenpüree – die Grüffelo- AUFFÜHRUNGEN Pioniere der Demokratie Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz Das Hambacher Schloss zeigt eine Ausstellung 16 zur ersten demokratischen Verfassung in Europa 43 Ikonen in der Werkstatt Achtung, Werbeblock! The Lives and Loves of Images – die Biennale für 30 Geht nicht, gibt’s nicht – das TECHNOSEUM aktuelle Fotografie zeigt sechs Ausstellungen in „Zusammenrücken, lauter werden“ zeigt „Die Sammlung 3: Werben und Verkaufen“ Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg Das (F)empower Fest fragt, was Gleichberechti- gung für eine Stadt wie Ludwigshafen bedeutet AUSBLICKE 31 Wider die Vergänglichkeit 44 „Unendlich schön“ – das Themenjahr der Schlös- „Kunst ist nie elitär“ ser und Gärten Baden-Württemberg beschäftigt Mannheimer Sommer – Festivalleiter Jan Dvořák sich mit Monumenten für die Ewigkeit über frische Konzepte, neue Formate und die Idee eines Festivals für die ganze Stadt 45 Frauen an der Macht Königinnendrama – die Nibelungen-Festspiele erzählen das Epos aus weiblicher Sicht 19 Neue Räume, andere Orte, 46 unerwartete Begegnungen Ludwigshafen leuchtet! Unterwegs – der Heidelberger Frühling prä- AUSSTELLUNGEN Strahlkraft – das Festival des deutschen Films sentiert 160 Veranstaltungen an 20 Spielorten lockt jedes Jahr 120.000 Gäste nach Ludwigshafen überall in der Stadt 32 Popstar der Antike 47 22 Stark, klug, listig – das Kurpfälzische Museum Ein Festival im Aufbruch Heidelberg zeigt Herkules in all seinen Facetten Theater aus dem Regenland Neustart und Tradition – Der neue Festivalleiter Litauen ist das Gastland beim diesjährigen Sascha Keilholz bringt frischen Wind ins Inter Heidelberger Stückemarkt 34 nationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg Anti-Aging und ewiges Leben Faszination Ägypten – die Reiss-Engelhorn- Museen präsentieren drei Ausstellungen zum KALENDER & TERMINE Reich der Pharaonen 48 36 Auf einen Blick Zwischen Hochseil und Autohof Festivals & Ausstellungen in der Kulturregion Alltagswelten einer Industriestadt – das MAR- Rhein-Neckar von März bis August 2020 CHIVUM zeigt Fotografien der Eheleute Roden 25 50 Revolutionär der Klassik 37 Immer gut informiert! Beethoven steht im Fokus des Musikfests Glas und Kunst Abonnieren Sie kostenlos das Kulturmagazin Speyer der Deutschen Staatsphilharmonie Chromatik – die Reiss-Engelhorn-Museen spüren und fordern Sie weitere Infos von den Festivals Rheinland-Pfalz dem „Klang der Farbe“ in der Glaskunst nach sowie den Museen und Schlössern an! 2
Editorial Impressum „Musik ist so viel: … Herausgeber Metropolregion Rhein-Neckar GmbH Kulturbüro M 1, 4–5, 68161 Mannheim Postfach 10 21 51, 68021 Mannheim Tel.: 0621 10708-418, Fax: 0621 10708-400 E-Mail: kulturbuero@m-r-n.com www.m-r-n.com/kultur … Viel mehr als schwarze Punkte auf fünf Linien“, www.kultur-rhein-neckar.de Konzeption und Herstellung Raum Mannheim – Büro für visuelle Kommunikation, Augustaanlage 37, 68165 Mannheim, Tel.: 0621 1504187 schrieb Igor Levit im vergangenen Jahr in einem www.raum-mannheim.com Projektleitung Alena Butscher (MRN) Kommentar im Berliner Tagesspiegel. Anlass wa- Daniel Grieshaber (Raum Mannheim) Redaktion ren Morddrohungen, die er wegen seiner jüdi- Daniel Grieshaber, Astrid Möslinger, Cathrin Siegler Mitarbeiter dieser Ausgabe schen Abstammung erhalten hatte. Viele Jahre Alexander Graf, Jesper Klein Art-Direktion schon ist der international renommierte Pianist dem Heidelberger Frühling eng verbunden, auch Kerstin Gunga Schlusslektorat Dr. Anja Steinhauer Druck Vogel Druck und Medienservice GmbH, in diesem Jahr ist er dort wieder zu erleben, als Höchberg Titelbild Musiker, aber auch als Zeitgenosse, der sich in gesellschaftliche Debatten einmischt. Nicht zu- Igor Levit (zu Gast beim Heidelberger Frühling). Foto: Felix Broede Auflage und Erscheinungsweise 120.000 Exemplare Drei Ausgaben pro Jahr fällig führt er auch Beethoven an, den engagier- ten, unbequemen Künstler par excellence, dem Erscheinungstermin nächste Ausgabe 12. Juni 2020 Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion nur mit ausdrücklicher Genehmigung des 2020 allerorten gehuldigt wird. Außer beim Hei- Herausgebers und der Redaktion. delberger Frühling auch bei den Schwetzinger SWR Festspielen oder beim Musikfest Speyer. Ansonsten gibt’s in der Region im Frühling Bil- der, Bilder, Bilder! Gleich in sechs Häusern ist die Biennale für aktuelle Fotografie zu Gast, die die Frage stellt, wie weit der Fotografie zu trauen ist. Fotografien aus dem Nachkriegs-Mannheim zeigt das MARCHIVUM, Mannheims Haus der Stadtgeschichte, das wir als neues Mitglied im Netzwerk der Festivals, Museen und S chlösser begrüßen. Herzlich willkommen! Und wir laden Sie ein, die Region und all die Konzerte, Ausstel- lungen, Aufführungen, Lesungen zu erleben. Kunst ist so viel. Das sollten Sie nicht verpassen! Ihr KULTURMAGAZIN-Team 3 Kulturmagazin 01/20
Immer eine Reise wert! Die Schlösser in Heidelberg, Schwetzingen und Mannheim, der Dom zu Speyer und zu Worms, das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch, romantische Burgen an der Berg straße, im Neckartal und im P fälzerwald, idyllische Weinorte in der Vorderpfalz und Wormser Streuobstwiesen im Odenwald – die Region Dom Rhein-Neckar hat neben ihren vielfältigen Kulturangeboten noch viel mehr zu b ieten. Machen Sie sich auf Entdeckungsreise! Kloster Worms Lorsch Altes Rathaus Michelstadt Pfalzbau Nationaltheater Mannheim Ludwigshafen M annheim Schloss Heidelberg Bad D ürkheim Hambacher H eidelberg Schloss Schwet zingen N eustadt Speyer Schloss Schwetzingen Dom zu Speyer Reichsburg Schloss Trifels Villa Ludwigshöhe Landau Deutsches Weintor 4
Bildnachweise Titelbild: siehe Impressum; S. 04–05: Illustrationen: Rhea Häni; S. 06–07: Sohrab Hura, The Lost Head & The Die Metropolregion Rhein-Neckar ver- Bird, 2019, Courtesy Experimenter, bindet die Großräume Frankfurt und Kolkata; S.08: Max Borchardt, „Unter wegs“, 2019, © Max Borchardt; S.09: Stuttgart und erstreckt sich über die Manfred R inderspacher; S.10: Kin- Bundesländer Baden-Württemberg, der- und Jugendtheater Speyer; S.11: Phil Leicht (Leicht & Selig); Jef Aéro- Rheinland-Pfalz und Hessen. sol „Guitar Kid“ La Réunion, Frank- reich, 2016 © Jef Aérosol (MURALU); S.12: L uigi Toscano; S.13: Thomas Rabsch; S. 14: Christian Kleiner; S. 15: Alex Münch; S. 16–19: Anastasia Sa- moylova, Six Real Matterhorns, aus der Serie Landscape Sublime, 2019, Cour- tesy Galerie Caroline O’Breen, Amster- dam: Jojakim Cortis & Adrian Sonde- regger, Making of „Death of a Loyalist Militiaman, Córdoba Front, Spain“ (by Robert Capa, 1936), aus der Serie Icons, 2016; Vanessa Winship, aus der Serie „She Dances on Jackson“, 2011– 12; S. 19–21: Marco Bianchetti Levit); studio visuell (Kuusisto & Hampson); Andreas Jakwerth (HVOB); Karin Ro- choll (Dorn); PBI (Uniplatz); S.22–24: Simonas Svitra (Good Day); Ruslan Bolgov (Stabat Mater); Viktorija Lank- auskaité (Kardona); Dainius Putinas (Lietaus); Martynas Jurkevic̆ius (Ag- gregate); S. 25: istockphoto; S. 26–27: Pieter Peeters; S. 28: wiki commons Schloss (Hölderlin); privat (Rossell); S.29: Jan Matejko, „Verabschiedung der Verfas- Erbach sung am 3. Mai 1791“, (Gemäldeaus- schnitt), Königsschloss in Warschau; S. 30: Tobias Schwerdt (Schill); S. 31: Staatliche Schlösser & Gärten Baden- Neckar-Odenwald-Limes Württemberg/Foto: Günther Bayerl; S. 32–33: A mphore, 540 v. Chr., Scha- Burg le 560 v. Chr., beides Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig; Herku- Schwalbennest les-Statue, Antikensammlung Univer- sität Heidelberg; Herkules und Ama- zone, Bronze, L andesmuseum Bonn; M osbach Stehender Herkules, um 1758, Johann Wilhelm Lanz, KMH; Herkules und Omphale, um 1626, Laurent de la Hyre, KMH; S.34–35: Wandmalerei aus dem Grab des Sennefer, Theben-West, 1425–1400 v.Chr., Foto: MANT, Liège, Dimitri Laboury; Sarg des Padiamun- wer, El-Hiba, 664–525 v. Chr., Hildes- heim, RPM, Foto: rem, Carolin Breck- le; Kanopen, Giza, um 2250 v. Chr., Hildesheim, RPM, Foto: rem, Carolin Breckle; Amulett, 720–664 v. Chr. Hil- desheim, RPM, Foto: Sharokh Shalchi; Maria Schumann ( Pieke); S.36: Maria und Hans Roden: Hochseilartist Alfons Traber über dem Mannheimer Markt- platz, 1949 & Studentin bei einer Ver- Bereits seit 2007 kooperieren die Festivals der Metropolregion Rhein-Neckar. Im kehrsbefragung, ca. 1950; S. 38–39: Jahr 2013 folgte das Netzwerk der Museen & Schlösser. Die Akteure im Überblick. Sigmar Polke, „Wochenendhaus“, 1967, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigsha- fen; Gerhard Richter, „Funken“, 1970, Wilhelm-Hack-Museum; August Ma- DAS NETZWERK DER MUSEEN UND SCHLÖSSER – Generaldirektion Kulturelles cke, „Badende Frauen“, 1913; Ernst Erbe Rheinland-Pfalz / Historisches Museum der Pfalz / Kunsthalle Mannheim / Ludwig Kirchner, „Bergwald am Mit- tag, 1920/21; Historisches Museum Kurpfälzisches Museum Heidelberg / MARCHIVUM / Museen Worms / Pfalzmuseum der Pfalz/Foto: Carolin Breckle (Ba- derwagen, Schubert, Ausstellung); für Naturkunde / Reiss-Engelhorn-Museen / Staatliche Schlösser & Gärten Baden- Steffen Jänicke (Hirschhausen); B üste des Hippokrates, Gabinetto Fotogra- Württemberg / Staatliche Schlösser & G ärten Hessen / Stiftung Hamb acher Schloss / fico delle Gallerie degli Uffizi, Foto: TECHNOSEUM / W ilhelm-Hack-Museum Francesco del Vecchio; Speyerer Kräu- terbuch: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschrif- tenabteilung; Historisches Museum DAS NETZWERK DER FESTIVALS – Biennale für aktuelle Fotografie / Deutsche Staats- der Pfalz/Foto: Carolin Breckle (Kin- philharmonie Rheinland-Pfalz / Enjoy Jazz / Festival des deutschen Films L udwigshafen der) & Susanne Schilz (Masken); S.43: TECHNOSEUM, Klaus Luginsland; am Rhein / Festspiele Ludwigshafen / H eidelberger Frühling / Heidelberger Literatur- S. 44: Christian Kleiner; S. 45: D avid Baltzer (Inszenierung), Bernward Bert tage / Heidelberger Schlossfestspiele / Heidelberger Stückemarkt / Internationale ram (Dom mit Publikum); Sebastian Weindel (Außenansichten, Mädel), Da- Schillertage / Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg / I nternationales niel Wetzel (Koschitz); S.46: Claudio di Straßentheaterfestival Ludwigshafen / Ludwigshafener Kultursommer / Mannh eimer Lucia (Grönemeyer); Staatliche Schlös- ser & Gärten Baden-Württemberg/ Sommer / Nibelungen-Festspiele / S chwetzinger SWR Festspiele / Wunder der Prärie Foto: Arnim Weischer (Rittersaal) 5 Kulturmagazin 01/20
Auf Kollisionskurs „The Lost Head & The Bird“ heißt die Videoarbeit des indischen Künstlers Sohrab Hura, aus der dieses Film-Still stammt. Ausgehend von der Ge- schichte einer Frau, die ihren Kopf verloren hat und einen neuen sucht, entfacht Hura zu treibenden Beats eine Hochgeschwindigkeits-Slideshow mit Bildmaterial aus Nachrichten und Social-Media-Kanälen: Jeweils zwei Bilder treffen aufeinander, kollidieren und erschaffen neue Bilder. Unter dem Titel „When Images Collide“ ist Huras Arbeit im Wilhelm-Hack-Museum als Teil der Biennale für aktuelle Fotografie zu sehen. Zusammen mit einer Reihe aktueller künstlerischer Positionen, die sich mit Kombination, Mon- tage und Bearbeitung von Bildern auseinandersetzen. Biennale für aktuelle Fotografie, 29. Februar bis 26. April 2020, Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, biennalefotografie.de, mehr Infos auf Seite 16 ff. 7 Kulturmagazin 01/20
Alle hinschauen! OFF//FOTO. Auf den schönen Namen „Safari“ hört dieser Wohnwagen, dessen Porträt in der Ausstellung „Unterwegs“ des Mannheimer Fotografen Max Borchardt im Café Pannonica in Heidelberg zu sehen sein wird. Die Schau ist nur eine von fast 60 Ausstellungen, die das Fotofestival OFF//FOTO an (ungewöhnlichen) Orten in Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und der Region präsentiert. Auch inhaltlich kennt das Festival keine Grenzen: Frei von Motto und Kuratoren-Hoheit wird das Festival zur spannenden Expedition ins Reich der Bilder. Gemeinsam mit der Biennale für aktuelle Fotografie bietet es zudem Workshops mit Referenten wie Horst Hamann oder Andrea Diefenbach und lädt zur „Langen Nacht der Fotografie“. OFF//FOTO 2020, 17.04.–31.05.2020, verschiedene Orte in der Kulturregion Rhein-Neckar, Lange Nacht der Fotografie, 18.04.2020, www.off-foto.info Müssen wir denn noch reden? Reden, reden, immer nur reden. Und nix pas- siert. Da ist es besser, sich abzuschotten, dichtzumachen, andere alles regeln zu lassen. „Müssen wir denn noch reden?“, fragt Tor 4 und sucht den Dialog. Ja, wir müssen reden! Das Kulturförderprogramm der BASF geht in die dritte Runde. Jetzt sind Kulturschaffende in der Region Rhein Neckar gefragt, ihre Projekte einzureichen. Bewerbungsschluss: 15.05.2020, Infos unter basf.de/tor4 8
Kulturregion Frauen an den Bass Robert Montoto ist seit Februar der neue Leiter Enjoy Jazz Podcast. „Keychange“ des Kulturbüros der nennt sich eine weltweite Initiative, Metropolregion Rhein- die dafür sorgen will, dass Frauen in Neckar. Im Interview er- der Musikszene mehr Raum, Anerken- nung und Möglichkeiten bekommen. zählt er, was die Region Auch der Jazz ist immer noch eine ausmacht und warum Männerdomäne, Frauen sind kriminell unterrepräsentiert. So tummeln sich sie sich selbstbewusst laut einer Studie der Uni Hildesheim präsentieren kann. in der deutschen Jazzszene nur 20 Prozent Frauen, meist als Sängerin, viel seltener als Instrumentalistin. Mehr als 250 Festivals und Veranstalter aus aller Welt sind der Initiative inzwischen „Wir sollten authentisch sein“ beigetreten, darunter auch Enjoy Jazz. Und Rainer Kern und sein Team machen ernst: Bei 40 Prozent lag der Künstlerinnenanteil beim letztjährigen Enjoy Jazz, mittelfristiges Ziel sind 50 Wie würden Sie in einem Satz Ihre Aufgabe als Leiter des Prozent. Darüber hinaus hat Enjoy Jazz Kulturbüros der Metropolregion Rhein-Neckar beschreiben? in Kooperation mit der Kulturjourna- Es geht darum, das kulturelle Geschehen der Region sichtbar zu listin Annette Lennartz einen Podcast machen, Kooperationen zu initiieren, für einen kontinuierlichen entwickelt: „Frauen im Jazz“ stellt Austausch der Kulturakteure zu sorgen und Kunst & Kultur als essen Jazzmusikerinnen vor, junge und erfah- zielle Bestandteile der gesellschaftlichen Entwicklung ins Bewusst- rene, berühmte und weniger bekann- sein der Menschen zu bringen. te, Solistinnen und Kollektive. In sehr persönlichen Interviews, die Lennartz Als Beispiele für kulturell erfolgreiche Regionen werden geführt hat, erzählen die Künstlerinnen in der öffentlichen Diskussion häufig Städte wie Berlin, von ihren Erfahrungen, von Hindernis- Hamburg oder sogar New York genannt. Ist es sinnvoll, sich sen und Chancen. Zehn Folgen wurden solche Metropolen als Maßstab zu nehmen? inzwischen produziert, darunter Begeg- Unsere Region sollte versuchen, authentisch zu sein. Wir können nungen mit Stars wie Dee Dee Bridge- selbstbewusst darauf vertrauen, was uns ausmacht. Wenn uns water oder Eleni Karaindrou, jungen das gelingt, dann brauchen wir den Vergleich mit anderen Regio- Musikerinnen wie die US-Amerikanerin nen nicht zu scheuen. Jeder, der hier im KULTURMAGAZIN auf die nen Indra Rios-Moore und Sarah McCoy, Liste der Festivals, Museen und Schlösser schaut, sieht, dass wir die Schweizerin Marie Kruttli oder Sissel gemeinsam eine starke und unverwechselbare Kulturregion sind. Im Übrigen setzen wir ganz frei, ohne irgendwohin zu schielen, Pettersen vom norwegischen Vokal unsere Maßstäbe fest und natürlich arbeiten wir daran, unsere ensemble Trondheim Voices. In deren Kulturregion Rhein-Neckar noch stärker zu machen. Heimatland werden junge Frauen in der Musikszene schon seit einigen Jahren Welche Perspektiven sehen Sie mittelfristig für die Region? sehr gefördert und sind mittlerweile Wo sehen Sie die Kulturregion Rhein-Neckar in fünf Jahren? Vorbilder für die nächste Generation. Wir hoffen, dass wir 2025, wenn wir das Denkfest in Schwetzingen Mit Alexandra Lehmler kommt auch eine feiern, einen gewichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwick- Stimme aus der Region zu Gehör, die lung unserer Region geleistet haben. Unser Hauptziel in diesem sich sehr für das Keychange-Anliegen Kontext besteht darin, Kunst & Kultur mit Wissenschaft, Bildung, engagiert. Reinhören lohnt sich! Wirtschaft, Sport und sozialen Bewegungen in Form von interdis- ziplinären Projekten zu verbinden. Als Basis für unsere Arbeit dient Frauen im Jazz / Enjoy Jazz – der dabei die Kulturvision Rhein-Neckar. Und jenseits aller Fragen Podcast für Jazz und Anderes, danach, was wir in Zukunft planen, möchte ich nicht vergessen, www.enjoyjazz.de/podcast oder bei meinem Vorgänger Thomas Kraus für die bisher geleistete Arbeit Spotify und iTunes zu danken! 9 Kulturmagazin 01/20
Immer wieder sonntags Kinder- und Jugendtheater Speyer. Mag sein, es seinen Sitz im Alten Stadtsaal, in einem idyllischen hält alle Beteiligten dynamisch, wenn das Publikum Innenhof, der im Sommer auch bewirtet ist. G erade immer jung bleibt. Auch 30 Jahre nach Gründung wird er renoviert: „Leider schaffen wir es nicht ganz, des Kinder- und Jugendtheaters in Speyer ist zu unserem Jubiläum dort wieder einzuziehen, aber Matthias Folz’ Elan noch ungebrochen. Zurück- so können wir zweimal feiern“, sagt Folz. Zum Früh denken ist schön, aber am lingsanfang gibt es zusammen schönsten ist das Hier und mit der Staatsphilharmonie Rhein- Jetzt: „Wir haben über die land-Pfalz eine Aufführung des Jahre 120 Produktionen Kleinen Prinzen in der Heilig- gestemmt, da kann ich kei- geistkirche, danach wird bei nen Liebling herauspicken. einem Empfang gefeiert. Am Am wichtigsten sind immer Sonntag dann startet die Arbeit die aktuellen Projekte“, für ein besonderes Projekt – zur verrät der Theaterleiter, Wiedereröffnung des Stadtsaals der die Stücke auswählt ist ein Stationentheater geplant, und auch Regie führt. bei dem sich alle, die m itmachen Neben Schulaufführungen wollen, zu einem Frühstück treffen. und Gastauftritten spielen Im Zuge der Wiedereröffnung die Theaterprofis immer wird auch das Kulturbeutel-Fes- sonntags Stücke für Kinder tival für Kleinkunst stattfinden, und Jugendliche. „Erwach- das ebenfalls von Folz und sei- sene kommen aber auch ner Crew ausgerichtet wird und auf ihre Kosten“, verspricht schon lange zu den Highlights im Folz. Ein Stück sei nur dann gut, wenn jede Alters- Speyerer Kulturjahr zählt. gruppe irgendwie gepackt wird. Daneben gibt es zwei Theaterclubs, bei denen Jugendliche unter 30 Jahre Kinder- und Jugendtheater Speyer, Anleitung von Theaterpädagogen ihre S pielfreude 20.–22.03.2020, Heiliggeistkirche Speyer, entdecken können. Eigentlich hat das Theater www.theater-speyer.eu Kunsthalle City Walks. So heißt ein Format, mit Volle Kanne Musik dem sich die Kunsthalle Mannheim Music Week. Popakademie, Kunsthalle und Mannheim zur Stadt hin Nationaltheater, Rosengarten, Luisenpark und Herschel- Take a walk öffnet. Aktuell steht eine bad sowie selbstverständlich die einschlägigen Clubs Exkursion von der Kunst- und dazu noch außergewöhnliche Locations – bei der halle zum MARCHIVUM an. ersten Mannheim Music Week im vergangenen Jahr gab Nach einem Besuch der es kaum einen Ort in Mannheim, an dem nicht musiziert Walker-Evans-Schau geht wurde. Und auch soundmäßig gab es keine Grenzen: es in die Neckarstadt-West, Rock, Jazz, Klassik, Elektronik, Neue Musik, Konzerte, wo die Ausstellung „All- Partys, Opernabende, Wettbewerbe – alles war dabei. tagswelten einer Indus- Und weil das Ganze ein so großer Erfolg war und den triestadt“ der Mannheimer Titel der Quadratestadt als UNESCO City of Music ein- Fotografen Maria und drucksvoll zelebrierte, geht dieses Jahr die Music Week Hans Roden zu sehen ist. in ihre zweite Auflage. Rausgehen, zuhören, abtanzen! 28.03.2020, 17 Uhr, Mannheim Music Week, 09.–16.05.2020, überall in Kunsthalle Mannheim Mannheim, www.mannheimmusicweek.de 10
Kulturregion Jazz im Wände zu Bildern Wohnzimmer Jazzclub Leicht & Selig. Vier Holzbänke, ein paar Hocker, MURALU. Sogar ins ZDF- dazu Flügel, Kontrabass und Schlagzeug. Es ist nicht viel Platz im „Leicht & Selig“ in Ladenburg. Gelegen ist der kleine heute journal haben es die Jazzclub am Platz der Idealisten – zumindest, wenn man Monnemer Hausfassaden dem Straßenschild neben der Eingangstür traut. Hier hat geschafft: „Die Stadt weiß, Phil Leicht seit zehn Jahren seinen persönlichen Kunst- was Graffiti aus trostlosen raum. An den Wänden hängt Kunst, hinten ist eine Holz- Wänden macht“, moderierte wand, auf der sich die Künstler verewigt haben. In gemüt- Claus Kleber kürzlich einen licher Wohnzimmeratmosphäre geben sich Newcomer Beitrag über „Stadt. Wand. und internationale Szene-Größen die Klinke in die Hand. Kunst“ an. Damit steht fest: Im März kommt die isländische Combo ADHD, im April die In puncto Street Art ist die schwedische Posaunistin Karin Hammar. „Es geht darum, Rhein-Neckar-Region vorne einen Ort zu schaffen, an dem gute Musik zu Hause ist“, dabei. Nach dem Metropo- sagt Phil Leicht. Rund 50 Menschen passen hinein, schnell link-Festival in Heidelberg wird’s kuschelig. Einen Backstage-Raum gibt es nicht, Mu- und „Stadt. Wand. Kunst“ siker und Besucher gehen auf Tuchfühlung: „Was hier pas- setzt auch Ludwigshafen auf Kunst siert, ist intensiv, für Publikum und Musiker.“ am Haus: Unter dem Titel MURALU „Philleicht Jazz“ heißt das Programm, das Phil Leicht werden graue Fassaden o rdentlich zusammenstellt und das die Vielfalt des Jazz zeigt. Vom aufgehübscht. Den Auftakt machte Freestyle bis hinein in die Neue Musik, neben dem euro 2018 der Amerikaner Augustine päischen Jazz hat er auch Weltmusik im Blick. „Wir wollen Kofie mit einem Fassadengemälde den L euten etwas Außergewöhnliches bieten, live, ohne am Luitpoldhafen. In diesem Früh- Verstärker, so wie Musik wirklich klingt“, sagt er. Denn hier jahr nimmt das Projekt Fahrt auf: höre man sogar das Geräusch des Besens, wenn der Schlag- Der griechische Street-Art-Künstler zeuger ihn wirbeln lässt. Etwa 14 Konzerte finden pro Jahr Parisko realisiert mit dem Kollektiv im „Leicht & Selig“ statt. Zwei Mal wurde der Jazzclub mit Blaqk das Wandgemälde MONEY dem Applaus-Preis für unabhängige Spielstätten ausge- BOX an der Sparkasse an der Rhein- zeichnet, zuletzt im vergangenen Jahr. Und für die Zukunft? uferstraße und Jef Aérosol, ein Pio Räumlich ver- größern möchte nier der französischen Street Art, sich Phil Leicht wird für die Fassade der Musik- nicht, die Atmo- schule Ludwigshafen ein Ensemble sphäre soll be- aus musizierenden Menschen stehen bleiben. schaffen. Das Street-Art-Projekt Aber ein kleines ist Teil einer für Herbst 2021 im Jazz festival in Wilhelm-Hack-Museum geplanten Ladenburg, das Ausstellung zur Bedeutung der wäre schon ein Straße in der Kunst des 20. und Traum. 21. Jahrhunderts, die auch die Geschichte des Graffitis beleuch- Leicht & Selig, ten wird. Ladenburg, www.leicht- MURALU, weitere Infos unter: und-selig.de www.wilhelmhack.museum 11 Kulturmagazin 01/20
Die Kraft des Wortes Welttag der Poesie. „Die Poesie liegt auf der S traße“ war ein Slogan der Pariser 68er-Revolte. Lyrik, so die Botschaft, kann die Welt verändern. Das gilt bis heute und deshalb hat die UNESCO den Welttag der Poesie etabliert. Die Kulturregion Rhein-Neckar hat sich für den diesjährigen Ehrentag viel vorgenommen. In Lorsch zum Beispiel präsentiert Berthold Mäurer eine Ringelnatz-Lesung mit Musik. Die UNESCO City of Literature Heidel- berg verschreibt sich ganz Friedrich Hölderlin, der in diesem Jahr seinen 250. Geburtstag gefeiert hätte: Heidel- berger Autorinnen und Autoren lesen selbst Verfasstes zum großen Dichter. Außerdem haben sich Schülerinnen und Schüler auf die Spuren Hölderlins begeben und rappen an Orten, die Hölderlin in seiner Heidelberg-Ode besang. In Mannheim stehen ebenfalls viele Veranstaltungen auf dem Programm, darunter eine Lesung des Autorenkollektivs Die Räuber im Luisenpark, ein Auftritt des Gebärdenpoeten Rafael Grombelka, ein Nachmittag mit Frühlingspoesie und Musik sowie ein offener Lyrikabend in der alten Sternwarte. UNESCO-Welttag der Poesie, 21. März 2020, www.metropolpoesie.de „Kein Platz für Wehmut“ Generationenwechsel im Heidelberger Karlstorbahnhof. Die langjährige Ge- schäftsführerin Ingrid Wolschin geht in den Ruhestand. Ihre Nachfolgerin Cora Maria Malik ist Kulturmanagerin und dem Haus seit Langem verbunden. Frau Malik, Sie haben vor 20 Jahren im Karls öffnen – räumlich und zeitlich. Wir sehen uns in die- torbahnhof ein Praktikum gemacht. War es ein sem Stadtteil als kultureller Stadtentwicklungsmotor guter Ort, um ins Berufsleben zu starten? und wollen auf dem großen Vorplatz auch Veranstal- Für mich auf jeden Fall. Mein Wunsch, in der Kultur tungen draußen machen. Zudem siedelt sich um uns zu arbeiten, ist dort entstanden. Außerdem ist es ein herum in der Nachbarschaft die Kreativwirtschaft schöner Ort, weil er so unterschiedliche Kultur bietet. an, das IBA-Projekt „Der Andere Park“ entsteht und In den 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre hat man das Mark Twain Center ist bereits dort. Das ist ein dort noch sehr an der Profilbildung gearbeitet und spannendes Umfeld das innovative Musik- und Kulturprogramm aufge- stellt. Das hat mir persönlich sehr viel gegeben. Der Sehen Sie dem Ortswechsel auch mit einem wei- Karlstorbahnhof hat mir zum Beispiel eröffnet, dass nenden Auge entgegen? es musikalisch noch viel, viel mehr gibt als das, was Wir brauchen jetzt alle Kraft, um uns auf die neue ich bisher kannte. Aufgabe und Chance zu konzentrieren und bis zum Umzug weiterhin ein spannendes Programm hier in Welche Schwerpunkte wollen Sie sich setzen? der Altstadt zu bieten. Wir haben so viel zu tun, da ist Ein Schwerpunkt, der gesetzt ist, ist der Umzug des kein Platz für Wehmut. Karlstorbahnhofs in die Heidelberger Südstadt Ende 2021. Das ist die große Aufgabe, mit der ich hier Sie stehen erstmals an der Spitze einer großen starte, baulich und inhaltlich. Die nächsten beiden Institution. Wie möchten Sie als Chefin sein? Jahre sind ein Veränderungsprozess. Ich möchte meinen Kolleginnen und Kollegen ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem sie sich einbringen In welche Richtung wird er gehen? und motiviert und engagiert Projekte und Ideen Wir ziehen in die ehemaligen Campbell Barracks, verwirklichen können. Ich bin Teamplayerin und mache wo gerade ein ganz neues Stadtquartier entsteht. die meisten Dinge einfach gerne gemeinsam. Alles, Unser Standort wird ganz anders belebt sein als hier was uns gelingt, haben wir gemeinsam und im Team in der Altstadt. Wir werden unser Haus daher anders geschafft – das ist mein Motto. 12
Kulturregion Kunst Frühlingserwachen im Kreis Theater im Pfalzbau. Ein ganz frisches Festival bringt Radiale 2020. Wer spannende der Ludwigsha- Kunst entdecken will, muss nicht fener Pfalzbau nur die großen Häuser in Mann in diesem Jahr heim, Ludwigshafen und Heidel- aufs Parkett: den berg besuchen. Auch an anderen Theaterfrühling Orten der Kulturregion gibt’s 2020. Von Febru- jede Menge Institutionen und ar bis Juni prä- Events, die sich um die Bildende sentiert das Haus Kunst verdient machen. B estes ein hochkarätiges Beispiel: die Radiale. Das Kunst Gastspielpro- festival, das der Rhein-Neckar- gramm, für das Kreis alle zwei Jahre ausrichtet, Tanz- und Schauspiel-Fans normalerweise präsentiert Werke von regiona- Tausende von Kilometern zurücklegen müss- len Künstlerinnen und Künstlern an überraschenden Orten im ten. Mit dabei sind unter anderem die Pari- Landkreis. Ladenburg, Walldorf, ser Compagnie DCA mit Choreograf Philippe Sinsheim und Dilsberg sind in Decouflé, das Wiener Burgtheater mit seiner diesem Jahr die Stationen, an „Medea“-Inszenierung, das Stuttgarter Bal- denen insgesamt elf Künstlerin lett mit einem Stück von John Cranko sowie nen und ein Künstler ihre Ar- das Düsseldorfer Schauspielhaus mit der beiten präsentieren. Mit Julia „1984“-Inszenierung von Armin Petras (Foto). Philippi, Barbara Auer, Dr. Hans- Jürgen Buderer und Prof. Hans Theaterfrühling 2020, Theater im Pfalz- Gercke bürgt ein hochkarätiges bau, Ludwigshafen, Termine & Tickets Kuratorenteam für Qualität. unter: www.theater-im-pfalzbau.de Und auch die Sonderaktion „Kunst am Hang“ ist 2020 wie- der zu erleben: Der Heidelber- ger Künstler Michael Bacht rich- tet am Dilsberg eine Installation Wo laufen sie denn? ein, die sich mit diesem Fleck- Maifeld Derby. Luft holen, durchschnaufen. Nach neun Aus- chen Erde auseinandersetzt. gaben brauchen die Maifeld-Macher eine Pause, um Kraft zu tanken (und Finanzierung und Orga neu aufzustellen). Als Radiale 2020 – Kunst im Trostpflaster für alle Maifeld-Fans gibt’s im Juni die 9 1/3. Aus- gabe – ein Tag, zwei Bühnen, zehn Acts. Und wer möchte, dass Kreis, ab 26.04.2020, das Derby auch in Zukunft Mannheim rockt, der kann sich beim verschiedene Orte im Maifeld-Crowdfunding (#aufgalopp21) engagieren. Rhein-Neckar-Kreis, Maifeld Derby 9 1/3, 10.06.2020, halle02, Heidelberg, www.radiale.net www.maifeld-derby.de 13 Kulturmagazin 01/20
Popeye und Olivia lebt, sieht sie sich immer noch als Außenseiterin der deutschen Gesellschaft. „Mich in das Herz ihrer Li- teratur einzuladen, ist eine radikale Entscheidung“, findet Yishai. Die gebürtige Tel Aviverin hat in Israel am Theater gearbeitet. Nach ihrem Umzug nach Deutschland fing sie an, auf Englisch zu schreiben. Ihre Stücke handeln von Gendergerechtigkeit, von Flüchtlingen und von der Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen. Gezeigt wurden sie unter anderem bei den Berliner Autorentheatertagen und im Maxim- Gorki-Theater. Zum Saisonstart wurde ihr „Liebe/ Eine argumentative Übung“ in Mannheim uraufge führt, das auf satirische Weise entlarvt, wie zemen tiert die Geschlechterrollen bis heute sind. Das Stück exerziert dies am Beispiel zweier ikonischer Comic Nationaltheater Mannheim. In Mannheim, erzählt figuren durch: Popeye und Olivia. Sivan Ben Yishai, habe sie sich sofort wohlgefühlt. Lieferte Schiller während seiner Zeit am Natio- „Auf der Straße begegnet man Menschen mit unter naltheater drei Stücke ab, geht es bei den heutigen schiedlichen Identitäten. Das interessiert mich. Hausautorenschaften nicht nur darum, Texte zu Homogene Gesellschaften dagegen erschrecken schreiben. Die Gastkünstlerinnen und -künstler er- mich.“ Mannheim ist ein Jahr lang die Heimat der leben einerseits den Theaterbetrieb hautnah, an- 41-Jährigen, die als Hausautorin des Nationalthea dererseits sollen sie Impulse geben. Das versucht ters in der Stadt lebt und arbeitet. Dass die Wahl Yishai mit dem Experiment „Supranationaltheater auf sie fiel, macht sie stolz: „Ich bin eine Perle in der Frauheim“. Hier haben Mannheimerinnen die Gele- Kette, die mit Schiller begann.“ Der Dichter floh be- genheit, Herzensprojekte zu präsentieren. Zuletzt kanntlich aus Stuttgart in die Kurpfalz und wurde hat die Politologin Rajya Karumanchi-Dörsam über dort als erster Hausautor am Theater engagiert. den Begriff „Heimat“ mit dem Publikum diskutiert. Mehr als 200 Jahre später ist die Zeit offenbar Weitere Events sind geplant. reif dafür, dass eine Jüdin aus Israel dieses Erbe fortsetzt. Obwohl sie schon acht Jahre in Berlin www.nationaltheater-mannheim.de Mut zum Buch erläutert Metzner. Preise und Auszeichnungen für den Verlag erleichtern daher das Überleben. Vor Kurzem sind die beiden Wunderhorn-Leiter Ange- lika Andruchowicz und Manfred Metzner in Frank- Wunderhorn-Verlag. Bücher, Bücher, Bücher furt von Kulturstaatsministerin Monika Grütters – auf Regalen bis unter die Decke, auf Tischen ausgezeichnet worden. Dort wurde erstmals der und dem Boden. Wer das Heidelberger Büro von Deutsche Verlagspreis vergeben. „Das Preisgeld Manfred Metzner besucht, sieht, dass Literatur von 15.000 Euro ist wunderbar“, freut sich Metz- für ihn mehr als nur ein Job ist. Seit 42 Jahren ner. „Das ist die Summe, mit der ein Buch mehr leitet er den Wunderhorn-Verlag, dessen Veröf- möglich wird.“ Für Metzner bedeutet eine solche fentlichungen regelmäßig in Bestenlisten auf- Preisvergabe zudem Aufmerksamkeit. „Der nächste tauchen. Die Afrika-Reihe oder die Lyrik-Bände Schritt“, so der Verleger, „muss sein, dass wir, wie bringen viel Renommee, große Gewinne lassen Theater, Museen oder Festivals, eine ständige För- sich damit nicht einfahren. „Unser Programm derung erhalten. Damit könnten wir unser P rogramm mit internationalen Autorinnen und Autoren öff- mit noch mehr Mut zum Risiko planen.“ net den Blick auf andere Welten, doch die Auf- lagen erreichen keine Bestseller-Dimensionen“, www.wunderhorn.de 14
Kulturregion Neuer Deutscher Jazzpreis. Bereits Kurator des Festivals reiht er sich damit in eine lange zum 15. Mal vergibt die IG JAZZ Rhein-Neckar in Folge von renommierten Kolleginnen und Kollegen Kooperation mit der Alten Feuerwache Mannheim wie Alexander von Schlippenbach, Joachim Kühn, den Neuen Deutschen Jazzpreis. Die Auszeichnung ist Louis Sclavis, Tomasz Stańko oder Norma Winstone nicht nur der höchstdotierte Preis für professionelle ein. Zudem wird er sich zudem beim „Kuratorenkon- Jazzbands, sondern auch der einzige Publikumspreis zert“ mit seiner legendären Formation „Der Rote der deutschen Jazzszene. Die drei Bands, die sich Bereich“ die Ehre geben. dem Votum des Publikums stellen, hat der renom- 13. & 14.03.2020, Alte Feuerwache Mannheim, mierte Jazzgitarrist Frank Möbus ausgewählt. Als www.ig-jazz.de LOCAL HEROES – TEIL 1 Serie „Local Heroes“ – Macherinnen und Macher, die die Kulturregion voranbringen Klappe, die erste! Damm und Knopp behutsam annähern. „Die Berüh- rerin“ etwa wagt sich in ein gleich mehrfach tabu- isiertes Feld: die Sexualität von Menschen mit Be hinderung. „Hassjünger“ dagegen erzählt anhand zweier ehemaliger Extremisten von Radikalisierung und Läuterung junger Menschen. „Odenwälder Bauernschläue trifft auf Machertum aus dem Ruhrpott“, nennt Knopp mit Blick auf die eigenen Biografien die Zutaten für das Erfolgsrezept. Man könnte auch einfach sagen: Hier arbeiten zwei Ent- husiasten hart an dem, für das sie brennen. Was sie zudem verbindet, ist die klare journa listische Haltung. Damm beschreibt das so: „Er- örternd, vorsichtig in der Wertung und mit dem Anspruch, die Themen noch ein bisschen hinter- Filmkombüse. Ein gutes Porträt, sagt der Filme gründiger zu durchleuchten.“ Das mag in Zeiten macher Max Damm, trifft den blinden Fleck, den knapper Produktionsbudgets auch nach Idealismus ein Mensch nicht preisgeben möchte. Eine Grat- klingen, aber Knopp und Damm meinen es ver- wanderung ist das, natürlich. Zwischen der eigenen dammt ernst: „Wenn das Budget nur einen Drehtag Neugier und der journalistischen Verantwortung, vorsieht, aber wir davon überzeugt sind, dass es zwischen notwendiger Nähe und der gebotenen noch einen weiteren Tag braucht, dann machen wir Distanz. Damm und seine Kollegin Julia Knopp das eben und zahlen auch mal drauf“, sagt Knopp. bes chreiten diesen schmalen Pfad mittlerweile Mannheim ist für die Filmkombüse der per- mit beeindruckender Sicherheit. Die beiden Mann- fekte Heimathafen. „Wir lieben und kennen die heimer Diplom-Regisseure haben 2016 mit der Region“, sagt Knopp. „Außerdem fühlen wir uns Filmkombüse ihre eigene Produktionsfirma ge- von der Stadt wirklich wertgeschätzt.“ Dass die gründet und seitdem ziemlich viel richtig gemacht. Rhein-Neckar-Region keine ausgewiesene Film- Mehrere Dokumentationen für die renommierte hochburg wie Köln oder Hamburg sei, habe sogar 37-Grad-Reihe des ZDF, Beiträge für den SWR oder Vorteile: „Man blickt anders und freier auf Inhalte, Pro7 – worauf viele Autoren Jahre warten, gab’s bei wenn man sich nicht ständig mit Leuten aus der Knopp und Damm im Schnelldurchlauf. Szene in der Mittagspause darüber austauscht, Dabei dominieren in ihrer Arbeit die langsamen was gerade so geht – und was nicht.“ Momente. Es sind vor allem die intimem und ver- letzlichen Seiten ihrer Protagonisten, denen sich www.filmkombuese.de 15 Kulturmagazin 01/20
IKONEN Ausstellungen IN DER WERKSTATT Six Real Matterhorns – heißt dieses Bild der Künstlerin Anastasia Samoylova. Sie arbeitet mit analogen und digitalen Collagen und digitalem Rendering. Zu sehen sind ihre Werke im Wilhelm-Hack-Museum. 16
Biennale für aktuelle Fotografie Ist Bildern zu trauen? – Das Schweizer Künstler- duo Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger reinszeniert Robert Capas ikonische Fotografie eines fallenden Soldaten im spanischen Bürgerkrieg. Fotografien sind selten eindeutig – je nach Kontext können sie anders verwendet und verstanden wer- den. Die Biennale für aktuelle Fotografie spürt den verschiedenen Leben, die insbe- sondere bekannte Bilder führen, in sechs Ausstellungen in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg nach. › Im Jahr 2011 wurde ein Druck des Bildes Rhein II des deutschen Fotokünstlers Andreas Gursky für umgerechnet 3,1 Millionen Euro versteigert. Damit war es die bis dahin teuerste Fotogra- fie der Welt. In monumentalem Großformat erscheinen Fluss, Himmel und Deich als radikal reduzierte Landschaft – ein Kraftwerk, Hafenanlagen und einen Fußgänger mit Hund hatte Gursky digital entfernen lassen. Der Rekorderlös inspirierte das Schweizer Künstlerduo Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger dazu, Rhein II in seinem Studio in Zürich zu rekonstruieren. Sie bauten ein Miniaturmodell, fotografierten es und begannen so ihr langfristiges Projekt, einige der bekanntesten Bilder aus der Geschichte des Fotojournalismus und der Fotokunst nach zustellen: von Joseph Nicéphore Niépces Ansicht aus seinem Arbeitszimmer im Jahr 1826, der ersten bis heute erhaltenen Fo- tografie, über Robert Capas Fallenden Soldaten bis hin zu einer Aufnahme des explodierenden World Trade Centers reichen die Arbeiten der Serie Icons. Cortis & Sonderegger geht es dabei nicht um die exakte Kopie. Sie fotografieren ihre akribischen Nachbildungen inmitten ihres in Mannheim, wo Cortis & Sondereggers Arbeiten während scheinbar chaotischen Studios und machen somit den Prozess der Biennale für aktuelle Fotografie zu sehen sein werden. Vom der Rekonstruktion sichtbar. Künstlichkeit umgeben von Reali- 29. Februar bis 26. April laden insgesamt sechs Ausstellungs- tät – so scheint es zumindest. Hinterfragt werden die Zuverläs- häuser in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg – darunter sigkeit von Fotografie und die vermeintlich unantastbare Macht die Kunsthalle Mannheim, das Wilhelm-Hack-Museum und der ikonischer Bilder: Was bedeutet es, ein Bild zu rekonstruieren? Heidelberger Kunstverein – sowie ein umfangreiches Programm Ist es Anerkennung? Kritik? Ein Liebesbrief an das Handwerk mit Gesprächen, Führungen und Workshops unter anderem analoger Produktion im digitalen Zeitalter oder eine absurde dazu ein, einen zweiten Blick auf Bilder zu werfen, die wir alle zu Parodie altmodischer Techniken? kennen glauben. Mit diesen Fragen und vielen weiteren ikonischen Bildern der „The Lives and Loves of Images“ hat der englische Kurator David Fotografiegeschichte befasst sich die Ausstellung „Reconsidering Campany als Titel für die Biennale 2020 gewählt. Eine Foto- Icons“ im Museum Weltkulturen D5 der Reiss-Engelhorn-Museen grafie, sagt er, habe nicht eine Bedeutung, sondern vielmehr ein 17 Kulturmagazin 01/20
Ausstellungen Biennale für aktuelle Fotografie oder sogar mehrere Leben. Oft tauchen fotografische Bilder in (1903–1975) auf Generationen von Fotografen und Künstlern unterschiedlichen Kontexten auf, erfahren immer wieder andere auf der ganzen Welt. Die Ausstellung zeigt einerseits, wie Evans’ Interpretationen. „Eine ursprünglich für eine Zeitung entstan- visueller Ansatz vor allem in Nordamerika und Europa von zeit- dene Fotografie kann eines Tages als Bild in einer Ausstellung genössischen Fotografinnen und Fotografen im Bereich der hängen“, erläutert Campany. Und was hat es mit Loves, also mit Dokumentarfotografie fortgeführt und weiterentwickelt wird. der Liebe, auf sich? „Ich denke, dass wir Bilder lieben, obwohl wir Andererseits werden Arbeiten präsentiert, die mittels Aneignung ihnen aufgrund ihrer Macht auch mit Skepsis oder Misstrauen und Collage, Neuinterpretation und Hommage direkt auf Evans’ begegnen.“ eigene Bilder reagieren. In sechs thematischen Ausstellungen erforscht die Biennale das Ergänzt wird das Programm der Biennale 2020 durch eine pro- (Eigen-)Leben der Bilder und unser ambivalentes Verhältnis zu minent besetzte Gesprächsreihe an der Universität Heidelberg, ihnen. Im Heidelberger Kunstverein werden unter dem T itel die das Verhältnis von künstlerischer Fotografie und Wissen- „Yesterday’s News Today“ Arbeiten gezeigt, die sich mit dem schaft erkundet. Am 5. März behandeln Simon Starling und Schicksal alter Nachrichtenfotos beschäftigen. Künstler wie Prof. Dr. Joachim Wambsganß die Frage nach dem Verhältnis Thomas Ruff und Sebastian Riemer machen dabei die eigent- zwischen der Fotografie als Gebrauchsmedium in den Wissen- lich unsichtbare Arbeit früherer Bildredakteure wie handschrift- schaften und ästhetischer Bildproduktion in der Kunst. Andrea liche Notizen, Datumsstempel und Retuschen auf den Bildern Diefenbach und Dr. Hans Jäger sprechen am 19. März über die deutlich. Im Kunstverein Ludwigshafen setzt sich die Ausstel- Wirkkraft fotografischer Bilder im Bezug zur medizingeschicht- lung „All Art is Photography“ mit dem komplexen Doppelstatus lichen und gesellschaftlichen Rolle von HIV. PD Dr. Grischka der Fotografie in der Kunstwelt auseinander: Fotografie ist eine Petri und das Künstlerduo Broomberg & Chanarin thematisieren Kunstform für sich und gleichzeitig das Medium, mit dem an- am 31. März die Komplexität der Verwendung und Verbreitung dere Künste dokumentiert, reproduziert und vermittelt w erden. von Konfliktbildern. Zum Abschluss der Reihe diskutieren Ar- „When Images Collide“ im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigs min Linke, Prof. Dr. Estelle Blaschke und Prof. Dr. Sabine Süss hafen widmet sich der Kombination von Bildern und stellt eine trunk am 2. April über die Rolle der Fotografie innerhalb sozia- Reihe aktueller Arbeiten aus, unter anderem von Anastasia ler, ökonomischer und kultureller Praktiken. ‹ Samoylova und Sohrab Hura, die sich mit analogen und digita- len Collagen, dem Einsatz von Standbildern in Film und Video, digitalem Rendering und Installationen beschäftigen. „Between Biennale für aktuelle Art and Commerce“ im Port25 – Raum für Gegenwartskunst in Mannheim versammelt Werke von Künstlerinnen und Künst- Fotografie 2020 lern, die im Spannungsfeld von kommerzieller und künstleri- Termin – 29. Februar bis 26. April 2020 scher Fotografie arbeiten. Hier sind unter anderem auch Foto- (Eröffnung: 28. Februar 2020) grafien des deutschen Fotografen Hein Gorny zu sehen, der in Orte – Mannheim: Forum Internationale Photo- den 1930ern im Geist der Neuen Sachlichkeit vor allem Werbe graphie (FIP) & ZEPHYR – Raum für Fotografie in aufnahmen machte und dessen kommerzielle Arbeit über viele den Reiss-Engelhorn-Museen: Ausstellungsort ist Jahrzehnte hinweg in Vergessenheit geraten war. In der Kunst- das Museum Weltkulturen D5, Port25 – Raum für halle Mannheim betrachtet „Walker Evans Revisited“ den Ein- Gegenwartskunst, Kunsthalle // Heidelberg: Kunst- fluss der amerikanischen Fotografielegende Walker Evans verein // Ludwigshafen: Wilhelm-Hack-Museum, Kunstverein Internet – www.biennalefotografie.de Social Media – #biennalefueraktuellefotografie Auf der Suche nach dem American Dream – Die britische Fotografin Vanessa Winship reiste für ihre Schwarz-weiß-Serie „She Dances on Jackson“ (2011–12) durch das amerikanische Ödland. Zu sehen sind ihre Bilder in der Kunsthalle Mannheim 18
Heidelberger Frühling Neue Räume, andere Orte, unerwartete Begegnungen Ein Pub Crawl mit klassischen Musikern? Ein Liederabend mit Familiendias aus dem Publi kum? Streich quartett bei engelhorn? Eine Klubnacht als krönender Abschluss? Das Internationale Musikfestival Heidelberger Unterwegs in Frühling ist im Jahr 2020 „unterwegs“, nicht nur metaphorisch, sondern Heidelberg – Igor Levit ist auch ganz konkret: Aus der wegen Sanierung geschlossenen Stadthalle Heidel- in diesem Jahr ein berg zieht das Festival in seiner 24. Ausgabe hinaus an Spielorte über- zentraler Protago- all in der Stadt. Das neue Festival Zentrum residiert im Herzen der nist des „Frühling“ Heidelberger Altstadt auf dem Universitätsplatz. Die Pop-up-Orangerie bietet – als Musiker, während der Festivalzeit den ganzen Tag über ein gastronomisches Angebot Mentor und Leiter der Kammermu- und Veranstaltungen bei freiem Eintritt. Die umliegenden Spielstätten – sik Akademie namentlich die Alte und Neue Aula der Universität Heidelberg sowie Peters-, sowie des Kammer- Jesuiten- und Heiliggeistkirche – werden zum lebendigen Festival Campus. musikfests Mit rund 160 Veranstaltungen an insgesamt 20 Spielorten mit mehr als 600 „Standpunkte“. Künstlern bietet der „Frühling“ die höchste Veranstaltungsdichte seit seiner Gründung im Jahr 1997. Lesen Sie weiter auf den nächsten Seiten 19 Kulturmagazin 01/20
Aufführungen Spirituelle Wege – Der finnische Geiger Pekka Kuusisto ist mit dem Mahler Chamber Orchestra beim „Frühling“ zu Gast. Ein Fest der Kammermusik: Standpunkte Der Heidelberger Frühling ereignet sich immer auf m ehreren Ebenen, in unterschiedlichen Abschnitten, die das Publikum selbst aussuchen und verknüpfen kann. Eine ganz wichtige Fes- tival-Säule ist seit Langem schon Igor Levit, Bürger, Pianist, Künstler und schlichtweg ein ganz besonderer Mensch. Der 32-Jährige ist in diesem Jahr bei sechs Konzerten zu hören, bei denen er nicht nur spielt, sondern redet, denkt, konzipiert. Zu- dem leitet Levit die Kammermusik Akademie, die junge Künst- lerinnen und Künstler zusammenbringen und dem Publikum präsentieren soll. Diese sind auch Teil eines Festivals im Festival, des Kammermusikfests „Standpunkte“, das in dieser Ausgabe selbstredend auch unterwegs ist – im Dialog mit seinem Thema, mit den Teilnehmern, mit den Menschen, die dabei Zeugen sind. Insgesamt acht Konzerte stehen auf dem Programm, begleitet wie üblich von einem intensiven geistigen Austausch. Den Eröff- nungsvortrag hält der Georg-Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss. Aus musikalischer Perspektive stellt Igor Levit zudem zwei ganz unterschiedliche Kollegen in den Fokus der „Standpunkte“: den fabulös virtuosen Kanadier Marc-André Hamelin und den auch im Jazz beheimateten Markus Becker. Es wird Beethoven geben, natürlich. Zwei Klavierkonzerte, gleich zum Auftakt, mit der Kammerakademie Potsdam unter Antonello Manacorda, aber auch Beethoven-Sonaten, ein Streichtrio. Moderne wird erklin- gen, und die sehnsuchtsvolle Ud der nahöstlichen Musik, die das Auf ungewöhnlichen Pfaden: Trio Joubran auf einem „Long March“ mit Gedichten des verstor- das Mahler Chamber Orchestra benen palästinensischen Lyrikers Mahmud Darwish vorführt. Das Mahler Chamber Orchestra (MCO) ist bereits im dritten Jahr Standpunkte – Kammermusikfest von und mit Igor Levit und Orchestra in Residence. Und die Partnerschaft des Heidelberger Gästen, 26. bis 29. März 2020 Frühling mit dem renommierten Orchester, das sich als „nomadi- sches Kollektiv“ begreift, gewinnt in diesem Jahr nochmals eine neue Qualität: Sechs Tage ist das MCO unterwegs durch Heidel- berg – handgemachte, ungewöhnliche Programme entstehen. Im „Ich will nicht sagen, dass ich in Austausch zwischen dem finnischen Geiger und künstlerischen Heidelberg intensiver spiele als Orchesterpartner Pekka Kuusisto, dem MCO und dem „Frühling“. andernorts, oder tiefgründiger oder Die Mitglieder des MCO erkunden in allen möglichen Besetzungen gar besser. Aber eines ist sicher: die Stadt, gehen in Kneipen, Kirchen, auf die Bühnen der freien Ich spiele in Heidelberg anders, Szene und in den klassischen Konzertsaal. Sie verstärken sich nach weil ich nur an ganz wenigen Orten und nach, bis im „Final Concert“ der MCO Residency dann das der Welt das Publikum so sehr kenne, ganze O rchester auf der Bühne sitzt. Das Hauptwerk des Abends ist das mir so viel Resonanz erlaubt eine Deutschlandpremiere: das Violinkonzert „Shrink“ des ameri und schenkt. Weil ich nur an ganz kanischen Komponisten Nico Muhly, gewidmet Pekka Kuusisto. wenigen Orten so sehr in den Dia MCO Residency, verschiedene Auftritte an unterschiedlichen log treten kann. Ich liebe es, wenn Orten, 03. bis 08. April 2020 Menschen im Publikum sitzen, die ich The Final Concert, 08. April 2020, 19.30 Uhr, Neue Aula der Uni- kenne, mit denen ich danach sprechen versität Heidelberg kann und denen ich mich auch während des Konzerts nahe fühle. Im Musik machen und allem, was damit verbun den ist, liegt mein größter Sehn Heidelberger Frühling suchtsort. Auf der Bühne komme ich an. Auf der Bühne bin ich richtig. Termin – 21. März bis 24. April 2020 Die Bühne ist mein Freiheitsort.“ Orte – Neue Aula der Universität Heidelberg Igor Levit, aus seinem Essay „Sein, und viele weitere Spielorte in Heidelberg Fliehen, Werden, Verändertsein, das Internet – www.heidelberger-fruehling.de Perpetuum Mobile eines Künstlers“ zum Heidelberger Frühling 2020 20
Illustre Gäste – Thomas Hampson, der mit Heidelberger Frühling dem Musikpreis des Heidelberger Frühling ausgezeichnet wird, oder Thea Dorn, die den Eröffnungsvortrag von „Neuland.Lied“ hält (unten). Ein Experiment wagt der „Frühling“ mit der ESCAPE.Klubnacht – Powered by MLP, bei der u. a. das Wiener Elektronik-Duo HVOB (rechts) für Beats sorgt. Her mit den Abenteuern: Neue Formate an ungewöhnlichen Orten In der letzten Festivalwoche macht der Heidelberger Frühling einen Ausflug nach Mannheim zu engelhorn Mode im Quadrat. Hier tritt das spanische Aupa Quartet mit seinem „Travelling Project“ auf, ein klassisches Streichquartett, inspiriert von Funk, Soul und Flamenco. Zudem wagt das Festival gemeinsam mit der halle02 ein ganz neues Format: Die „ESCAPE.Klubnacht – Powered by MLP“ bildet als letzte Veranstaltung der Festivalaus- gabe 2020 den krönenden Abschluss: eine rauschhafte Nacht mit elektronischen Live-Sets und klassischen Klängen auf mehreren Floors für Eskapisten und Feierfreunde, die auf kreative Entde- ckungsreise gehen wollen. Aupa Quartet – The Travelling Project, 23. April 2020, 21 Uhr, engelhorn Mode im Quadrat, Mannheim ESCAPE.Klubnacht – mit u.a. HVOB und Benoît and the Mandelbrots, 24. April 2020, ab 23 Uhr, halle02, Heidelberg, www.klubnacht-fruehling.de. Winterreise und Lied-Labor: Neuland.Lied Das Schwerpunkt-Wochenende „Neuland.Lied“ präsentiert 2020 Liederzyklen mit Starbesetzung. Allem voran steht ein Eröffnungs- Hot Spot, Treffpunkt und Oase vortrag von Thea Dorn – Schriftstellerin, Grimme-Preisträgerin Das neu geschaffene Festival Zentrum auf dem Universitätsplatz und Mitglied des Literarischen Quartetts. Dass das Leben eine Heidelberg ist Foyer, Festsaal und Veranstaltungsort für Gesprä- existenzielle Wanderschaft darstellt, dies wird ihr Thema sein. che, Lesungen, kleine Konzerte, Debatten, Salons und Empfänge. „Ich mußt auch heute wandern“, dieses Zitat aus Franz Schuberts In der Pop-up-Orangerie können die Besucherinnen und B esucher „Winterreise“ hat sie zur Überschrift gewählt. Was könnte pas- essen und trinken, reden, Zeitung lesen, Zeit verbringen, mitein- sender sein für ein Festivalwochenende, das in vielen Liederzyk- ander feiern. Hier trifft das Festival auf die Stadt, das Publikum len das Leben als bald freiwillige, bald erzwungene Wanderschaft auf die Festivalkünstlerinnen und -künstler. Eine Anlaufstelle für begreift? Es sind die neugierigen, unternehmungslustigen Sänge- alle, die hier leben, arbeiten oder promenieren. rinnen und Sänger und ihre Liedbegleiter, die ihre eigenen Ideen Festival Zentrum, 21. März (ab 20 Uhr) bis 24. April (über Os- zum Unterwegssein für Heidelberg, die Stadt mit dem „Lied-Gen“, tern geschlossen), Dienstag bis Sonntag, 09.30 Uhr bis mind. entwickelt haben. Mit dabei sind Sängerstars wie Bejun Mehta, 22.30 Uhr, Universitätsplatz Heidelberg, Tischreservierungen Anna Prohaska, Michael Volle, Anna Lucia Richter und Thomas unter 06221 678016 oder festivalzentrum@gvo-ck.de Hampson – er wird mit dem Musikpreis des Heidelberger Früh- ling 2020, gestiftet von Gründungspartner HeidelbergCement, ausgezeichnet und führt zum ersten Mal in Heidelberg die „Win- terreise“ auf. Zudem erobert eine junge Künstlergeneration in zwei „Lied.LAB“-Produktionen die Bühne: Fellows des „Früh- lings“-LABs stellen für das Konzertprojekt „DIA_LOG“ private Pop-up- Orangerie – Dias, gespendet von Heidelberger Bürgern, zu einer von Liedern Das Festival begleiteten Lebenserzählung zusammen. Und schließlich konzi- Zentrum pieren Studierende der Musikhochschule Mannheim ein veritab- residiert in les Liedertheater „Mit jedem Schritt verändert sich die Welt“, das diesem Jahr an zwei Abenden in der HebelHalle zu Gast ist. auf dem Universitäts- Neuland.Lied – mit berühmten Liederzyklen und jungen „Lied. platz. LABs“, 16. bis 19 April 2020 21 Kulturmagazin 01/20
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