17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR

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17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
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                                                     Juli 2020

                          Stadtentwicklungspolitik
                          zu den Pilotprojekten
                          der Nationalen
                          M AGA ZI N

Über die Frage, was
in der Stadtentwicklung
ein guter Weg ist.

    Richtig oder falsch?
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Editorial

                                                                                        Inhaltsverzeichnis
                                                        04
                                                    S TA DT U N D K R I S E
                                                    Corona hat eine neue Debatte
                                                    über das urbane Leben befeuert

                                                        06
                                                    GRENZERFAHRUNGEN
                                                    Wie das Projekt Borderline
                                                    Cities die Corona-Krise für sich
                                                    genutzt hat

                                                        08
Seit rund zehn Jahren berichtet der stadt:pilot     G U T E F E H L E R K U LT U R

über die innovativen Pilotprojekte der Natio-       Interview mit Staatssekretärin
                                                    Anne Katrin Bohle

nalen Stadtentwicklungspolitik. Da schien es            11

uns an der Zeit, auch das Magazin selbst zu         N EU E L EI PZI G - C H A R TA
                                                    Wie soll die europäische Stadt der
erneuern. Seit Anfang 2020 wird die Redaktion       Zukunft aussehen?

im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raum-            12
                                                    BESSER ÜBERDACHT
forschung (BBSR) deshalb durch den DUMMY            Konzeptwettbewerbe auch für
                                                    Flüchtlingsunterkünfte
Verlag unterstützt. Die erste gemeinsame Aus-
gabe handelt von der Herausforderung, in der
                                                        14
                                                    MASTERPLÄNE

Stadtentwicklung Entscheidungen zu treffen und      Überhaupt noch zeitgemäß?
                                                    Nur wenn flexibler gestaltet wird

dabei Richtig und Falsch auseinanderzuhalten.           16
Zugleich geht es um den Mut der Pilotprojekt-Ak-    Q UA R T I E R U1
                                                    In Nürnberg wird Kreativität
teure zur Experimentierfreude – um aus Fehlern      auf ganzer Linie gefördert

lernen zu können. Auch Staatssekretärin Anne           19
                                                    KOLUMNE
Katrin Bohle spricht im Interview darüber, wie      Stephan Willinger fragt:

eine konstruktive Fehlerkultur in der Stadtent-
                                                    Was ist eigentlich das Problem?

wicklung aussehen kann und was für sie richti-         20
                                                    WUNSCHWEGE

ges Handeln ausmacht: dass es das Gemeinwohl        Wenn Planung eindeutig an
                                                    Bürgerbedürfnissen vorbei geht
in den Mittelpunkt stellt. Die übergeordnete            22
Debatte, welches neue Bild von Stadt unser zu-      STECKBRIEFE
                                                    Wie in Pilotprojekten Fehler
künftiges Handeln prägen wird, erfuhr derweil       produktiv genutzt werden

durch die Corona-Pandemie eine verstärkte               24
                                                    NICHT VERKEHRT HIER
Dynamik. Überhaupt stand die ganze Produktion       Kreative dürfen in Görlitz

des Heftes im Zeichen dieser Krise und ihrer        einen Monat zur Probe wohnen

Auswirkungen auf das städtische Leben. Die             26
                                                    IMPRESSUM

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17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Titel: Jan-Dirk van der Burg | Foto: Jean-Luc Raymond. Werk: Dispatchwork, Jan Vormann, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

                                                                                                                             So viel vorab: Wer in der Stadtentwicklung
                                                                                                                             unbedingt jeden Fehler vermeiden will,
                                                                                                                             macht auch irgendwas falsch. Damit eine

                                                                                                                   Mut zur
                                                                                                                             Stadtgesellschaft prosperieren kann, muss
                                                                                                                             dort herumprobiert werden dürfen. Und
                                                                                                                             manchmal sind es dann gerade die Fehler oder
                                                                                                                             auch Krisen, aus denen Kreativität entsteht –
                                                                                                                             sodass die Stadt deutlich bunter wird.

                                                                                                                    Lücke
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Für die Städte war
                                                    Corona eine harte
                                                    Bewährungsprobe.
                                                    Doch es gibt auch
                                                    positive Effekte
                                                    – etwa das verstärk-
                                                    te Nachdenken
                                                    darüber, wie wir
                                                    in Zukunft leben
                                                    wollen. Schlaglich-
                                                    ter auf eine Debatte

                                                     Belastung
                                                     macht stark

                                                    Auch ältere Debattenbeiträge kann
                                                     man in Corona-Zeiten mit neuem
                                                     Gewinn lesen, etwa die Theorie der
                                                    „Antifragilität“ von Nassim Nicholas
                                                    Taleb. Der schrieb in seinem gleich-
                                                     namigen Buch 2014:

                                                            „Alles, was von zufälligen Ereig-
                                                     nissen oder Erschütterungen mehr pro-
                                                     fitiert, als dass es darunter leidet, ist
                                                     antifragil; das Umgekehrte ist fragil.“
                     Fo to : M a rc u s G l a h n

                                                            Anders gesagt: Etwas sehr
                                                     Starres wie eine Teetasse geht unter
                                                     großer Belastung zu Bruch. Etwas
                                                     Organisches wie der menschliche Kör-
                                                     per hingegen wird durch Belastung
                                                     bis zu einem gewissen Grad stärker.
Corona

                                                     Aber was heißt das für Stadtplanung?
                                                     Der amerikanische Podcast „Strong
                                                     Towns“ hat darauf in der Folge „Anti-
                                                     fragile City“ Antworten gefunden.
                                                     Durch Belastung schwächer werden
                                                     demnach Städte, die alles präzise
                                                     steuern wollen und sich gegen das Un-
                                                     vorhergesehene abschotten. Stärker
                                                     hingegen werden Städte, die sich als

         Stadt
                                                     komplexe organische Systeme ver-
                                                     stehen und zufällige Ereignisse als
                                                     Gelegenheit zum Lernen erkennen.
                                                     Sie gestehen ihren Akteuren zu, im
                                                     kleinen Maßstab immer wieder auch

         und Krise
                                                     zu scheitern, damit das große Gan-
                                                     ze kontinuierlich belastbarer wird.
                                                     Statt nach simplen Erfolgsformeln
                                                     top-down Pläne zu implementieren,
                                                     schaffen sie Raum für Bottom-up-Dy-
                                                                                                 04
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
namik: für Bastler und Tüftler, die das   Rückzugsmöglichkeiten gefragt sind?         Stadtplanung erneut in die Pflicht ge-
Erfahrungsspektrum erweitern und          Werden in Zeiten von Kontaktsperren         nommen, sich mit der Hygiene in den
die städtische Gemeinschaft so für das    Sharing-Konzepte leiden und wie-            Städten Europas auseinanderzusetzen.
Unvorhergesehene wappnen.                 der im Vorteil sein, wer über eigene        Heute nicht mehr primär im Zeichen
      Wobei Taleb in einem Inter-         Ressourcen verfügt? Infrage stellten        des Slums oder der ‚Wohnungsfrage‘,
view mit Bloomberg TV jüngst betont       die Autoren auch, wie viel Zukunft          sondern der ‚Risikogesellschaft‘ und
hat, die Corona-Krise sei keineswegs      das Nachverdichten hat, seitdem             damit eines neuartigen urbanen ‚Expe-
unvorhersehbar gewesen. Tatsächlich       Social Distancing ein Begriff ist und       rimentalismus‘, welcher langfristig mit
hat er selbst in seinem Bestseller „The   viele Bürger die Erfahrung wohltuend        Unwägbarkeiten zu rechnen hat.“
Black Swan“ 2007 auf die Gefahr einer     ruhiger Straßen gemacht haben. Eine
weltweiten Pandemie hingewiesen.          neue Flucht in die Vorstadt und ins         Und mehr
Hätten wir also besser vorbereitet sein   Umland ist demnach denkbar. Auch            große Fragen
können?                                   die neuen Homeoffice-Routinen legen
                                          das näher, als es für manch einen bis-      Viola Schulze Diekhoff (TU Dort­mund)
Nordische                                 her denkbar war. Wobei mit Blick auf        und Christian Lamker von der Univer-
Dynamik                                   digitale Technologien auch gewarnt          sität Groningen thematisieren in ih-
                                          wird, Überwachung und Kontrolle             rem Aufsatz „Reinventing a growth-in-
War man aber vielerorts nicht. Den-       könnten salonfähig werden:                  dependent planning in times of crisis“,
noch haben einige Städte durch einen                                                  wie Stadtplanung sinnvoll an Konzep-
erfinderischen Umgang mit der Krise             „Es ist kein Zufall, dass ausge-      te einer Postwachstums-Ökonomie
von sich reden gemacht. Als eines von     rechnet jene Länder als positive Beispie-   anknüpfen kann. Über diese Idee ei-
vielen Beispielen sei hier Rostock ge-    le im Kampf gegen die Corona-Pande-         ner radikal nachhaltigen Wirtschafts-
nannt, allerdings lag dort eher eine      mie gelten, deren Städte besonders stark    ordnung wird angesichts der globalen
Top-down-Dynamik vor. Denn es war         digital durchdrungen sind. Südkorea         ökologischen Krise ja schon länger
Oberbürgermeister Claus Ruhe Mad-         oder Singapur nutzen die Smart-City-        debattiert, und Schulze Diekhoff und
sen selbst, der aktiv wurde. Frühzeitig   Technologien, um die Kontakte von In-       Lamker plädieren dafür, gerade in der
hat er eine Vielzahl von öffentlichen     fizierten nachzuverfolgen.“                 Krise und mit Blick auf Raumplanung
Bediensteten auf Corona testen lassen                                                 diese demokratische Debatte weiter-
und war überhaupt offen für Neues.        Comeback                                    zuführen.
Aus einem Interview mit „brand eins“:     der Hygiene
                                                                                              Ähnliche Überlegungen zu ge-
          „Was haben Sie während der      In der „Neuen Zürcher Zeitung“ er-           samtgesellschaftlichen Lerneffekten,
          Corona-Pandemie gelernt?        innert Sascha Roesler, Professor für         zu denen es durch Corona kommen
Dass wir stellenweise noch im Gestern     Architekturtheorie, daran, welche            könnte, wurden von öffentlichen In-
stecken und auf viele Dinge nicht vor-    Probleme Infektionskrankheiten in            tellektuellen wie Harald Welzer und
bereitet sind. Ein Großteil der Verwal-   vorindustriellen Städten aufwarfen          Richard David Precht ja schon früh-
tungsmitarbeiter hätte nicht zu Hause     und was daraus folgte:                       zeitig nach Ausbruch der Pandemie
arbeiten können, hätten wir ihnen nicht                                                angestellt. Was den Philosophen Mar-
Laptops aus unseren Schulen zur Ver-            „Bekanntermaßen hat die moder­         cus Quent zu einer scharfen Kritik im
fügung gestellt. Das wird nicht noch      ne Architektur und Stadtplanung ent-        „Berliner Tagesspiegel“ bewog:
einmal passieren.“                        scheidend zur Herausbildung eines
                                          hygienischen Selbstverständnisses in               „Es ist erstaunlich, wie schnell Ar-
      Künftig sollen 500 der 2.400        Europa (…) beigetragen. Die Reduktion       tikel und Essays aus dem Hut gezaubert
Mitarbeiter so ausgestattet sein, dass    der Belegungsdichten von Wohnräumen,        worden sind, die bereits in den ersten
sie dauerhaft mobil arbeiten können.      die Festlegung der Distanzen zwischen       Tagen der Einschränkungen davon han-
Das spare Bürofläche und sei wegen        Gebäuden, die Verankerung alltägli-         delten, was man alles aus dieser Krise
des reduzierten Pendlerverkehrs oh-       cher Hygienemaßnahmen in Küche und          lerne oder gelernt haben werde, wie uns
nehin ökologischer. Dazu passen auch      Bad – all dies hat unser Verständnis von    die Pandemie als Menschen nachhaltig
Madsens neue Überlegungen, eine           modernem Wohnen und Leben maß-              verändern werde und so fort. Von allen
Schnellstraße in einen Radschnellweg      gebend geprägt und die Herausbildung        wird die Rede über das vermeintlich
umzubauen.                                des Neuen Bauens befeuert.“                 Erlernte viel schneller eingeübt als der
                                                                                      Lernprozess selbst.“
Dichte und                                      Epidemiologie und Stadtpla-
Distancing                                nung hätten eine lange gemeinsame                 Da wir aber alle noch mitten
                                          Geschichte – und Zukunft: Derzeiti-         in der Corona-Krise stecken und der
Die „FAZ“ erkennt der Corona-Kri-         ge Diskussionen rund um Smart City          weitere Verlauf unbekannt ist, ist eine
se gar so viel Wirkmacht zu, dass es      und zivilgesellschaftliche Living Labs      gewisse Behutsamkeit bei weitrei-
dadurch zu größeren Neuordnungen          ließen vermuten, dass sich die Pla-         chenden Schlussfolgerungen sicher
in Architektur und Stadtentwicklung       nungskultur in Europa grundlegend           anzuraten. Dennoch: Offen geführte
kommen könnte: Werden die Apo-            verändert:                                  Debatten können nur gut sein, und
logeten offener Grundrisse Oberwas-                                                   Krisen sind oft Katalysatoren für In-
ser behalten, wenn das Zuhause zum             „Mit der Ausbreitung des Coro-         novation. Wir jedenfalls freuen uns
Hauptaufenthaltsort wird und wieder       navirus sehen sich Architektur und          auf lebendige Diskussionen.
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Grenzerfahrungen
                                                In Kürze
                                         wird es einen neuen
                                          Projektaufruf zum
                                      Thema „Stadtentwicklung
                                        nach Corona“ geben.
                                       Auf: nationale-stadtent­
                                         wicklungspolitik.de
Corona

         Dass Krisen Katalysatoren
         für Innovation und Erkenntnis
         sein können, ist schon zum
         Allgemeinplatz geworden.
         In dem Projekt „Borderline Cities“
         hat diese Feststellung jedoch
         konkrete Gestalt angenommen
                                                                               06
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Vor Corona gab es da einen Plan. Im Rahmen           und Themen für eine widerstandsfähige Stadt
                                                                                              des Programms „Young Professionals Shape            offengelegt“, sagt Koordinator Felix Bentlin.
                                                                                              the Future“ sollten angehende Stadtplaner,          Und Professorin Angela Million ergänzt: „Ins-
                                                                                             Architekten und Urbanisten von über 19 euro-         gesamt erfordern die Herausforderungen in
                                                                                              päischen Universitäten, die sich bereits seit ei-   den Bereichen Mobilität, Wirtschaft, Umwelt
                                                                                              niger Zeit mit dem Thema Stadt und Grenze be-       und Infrastruktur nach Ansicht der jungen
                                                                                              fassen, im Frühjahr 2020 zu einer einwöchigen       Generation einen Wertewandel in der Planung
                                                                                              Summer School in Berlin zusammenkommen.             und der Gestaltung von Städten. Besonders
                                                                                             In der Stadt der historischen Grenzüberwin-          wichtig war dem fachlichen Nachwuchs das
                                                                                              dung wollte man gemeinsam vertiefen, wie            Querschnittsthema Raumgerechtigkeit, etwa
                                                                                             Planer und Quartiersmanager mit der heute zu         bei der Umverteilung des öffentlichen Raums
                                                                                              beobachtenden eigentümlichen Gleichzeitig-          zugunsten der Fußgänger und Radfahrer.“
                                                                                              keit von Ab- und Entgrenzungstendenzen in                  Die Corona-Krise als Brennglas für The-
                                                                                              Städten umgehen können – dem urbanen Ne-            men der Stadtentwicklung und urbane Grenz-
                                                                                              beneinander von Isolationismus (etwa in Mili-       erfahrung. Die Online Summer School hat das
                                                                                              eus, Filterblasen und Gated Communities) und        herausgearbeitet und möchte dadurch noch
                                                                                              der großen globalen Zirkulation von Wissen          mehr zeitgemäße Antworten formulieren
                                                                                              und Technologie, für die Städte Knotenpunkte        auf die zentrale Frage: Wie kann heute eine
                                                                                              sind. Eine gemeinsame Publikation war auch          gesamteuropäische Stadt- und Regionalpolitik
                                                                                             vorgesehen. Mit ihrer jungen Perspektive woll-       aussehen, in der statt Grenzen das Verbinden-
                                                                                              ten die Nachwuchsforscher einen Beitrag zur         de zum Tragen kommt?
    Foto: epa/picture-alliance. Werk: OASE NR 7, Haus-Rucker Co*, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

                                                                                             Neuformulierung der Leipzig-Charta leisten                 Wie ursprünglich geplant sollen die Er-
                                                                                             (siehe auch S. 11).                                  gebnisse nun in einer gemeinsamen Publika-
                                                                                                    Doch dann gab es da ein Problem, dem          tion zusammengeführt und in den Prozess der
                                                                                              in diesem Zusammenhang eine gewisse Iro-            Leipzig-Charta eingespeist werden – sozusagen
                                                                                              nie innelag: Plötzlich war Pandemie und alle        als aktuellste Messung am Puls der Stadtent-
                                                                                              europäischen Grenzen dicht. Das Projekt zum         wicklung. Bentlin betont, wie beeindruckend
                                                                                             Thema Stadt und Grenze drohte zu platzen             für ihn diese transeuropäische Zusammen-
                                                                                             wegen eines Virus, das keine Grenzen kennt.          arbeit war, an der auch Studierende aus ganz
                                                                                             Das BMI und das BBSR als Initiatoren fassten         anderen Kontinenten beteiligt waren. Das
                                                                                              jedoch zusammen mit der TU Berlin als Aus-          war wie eine Antithese zu den europäischen
                                                                                              richter schnell den Entschluss: Jetzt erst recht    Grenzen, die zwischenzeitlich wieder so viel
                                                                                             – hier liegt eine große Chance. Immerhin             Bedeutung beanspruchten. Digital hat man
                                                                                              stand da eine Forschungsgemeinschaft aus            sie spielend überwunden. Aufschlussreich
                                                                                              über 80 Dozenten und Studierenden bereits in        war, so räumt Bentlin ein, nebenbei auch eine
                                                                                              den Startlöchern. Nun brauchte es nur noch          neue Dynamik zwischen Dozierenden und
                                                                                              eine kleine Perspektivverschiebung: Wie ge-         Studierenden: Die Unbefangenheit des aka-
                                                                                              hen die Städte mit der Krise um? Das war jetzt      demischen Nachwuchses bei Online-Arbeit,
                                                                                              die Frage, und nachzugehen wäre ihr statt in        Online-Research, Online-Kommunikation sei
                                                                                              einer Summer School dann eben in einer On-          nicht zu übersehen gewesen.
                                                                                              line Summer School.
                                                                                                    „Die Moderation der großen Ab-                       Das Format „Fachlicher Nachwuchs ent-
                                                                                              schluss-Zoom-Konferenz war schon eine               wirft Zukunft – Sommerschulen der Nationalen
                                                                                             Herausforderung“, sagt Felix Bentlin, der            Stadtentwicklungspolitik“ wird seit zehn Jahren
                                                                                             Projektkoordinator von der Berliner Fakultät         jährlich von einer anderen deutschen Hoch-
                                                                                              für Planen, Bauen und Umwelt. „Aber es war          schule ausgerichtet. Es besteht aus parallelen
                                                                                              auch aufregend, und es hat uns überrascht,          Seminaren und Entwurfswerkstätten und einer
                                                                                             wie kon­s truktiv das schlussendlich ablief.“        anschließenden gemeinsamen Sommerschule, in
                                                                                             Über zehn Tage war in Tandems aus je einer           der alle Studierenden zusammentreffen. Dieses
                                                                                              deutschen und einer anderen europäischen            Jahr wurde das Format anlässlich der deutschen
                                                                                             Uni gearbeitet worden; präsentieren durf-            EU-Ratspräsidentschaft und der Neuformulie-
                                                                                              ten die Sparringspartner ihre Ergebnisse in         rung der Leipzig-Charta im europäischen Maß-
                                                                                              einem Format ihrer Wahl.                            stab durchgeführt.
                                                                                                    Auf der Grundlage von Analysen, Sze-
                                                                                              narien und Ad-hoc-Entwürfen haben die
                                                                                             Teilnehmer der Online-Sommerschule gezeigt,
In der Quarantäne                                                                            wie vielfältige, lebendige, zugängliche und
wurden manche                                                                                 belastbare Räume in vielen Städten Europas
Privilegien besonders                                                                         etabliert werden können. Was kam konkret
spürbar – etwa einen                                                                          heraus? „Die eigene Betroffenheit hat bei den
Balkon oder etwas                                                                             Studierenden vor allem Diskussionen zur
Grün hinterm Haus                                                                            Entwicklung von Öffentlichkeit und Privat-
zu haben                                                                                      heit sowie Dichte und Funktionalität beflügelt
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Interview
„Die Krise
      führt soziale
 Ungleichheiten
 vor Augen“
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
Wird durch Corona besonders
                        deutlich, wo in der Stadtentwicklung                                         dergrund rücken, dann läuft Stadtentwicklung
                        richtig gehandelt wurde? Und wie                                             in eine gefährliche Richtung. Im Zusammen-
                                                                                                     hang mit der Pandemie gibt es allerdings auch
                        sähe generell eine konstruktive                                              erfreuliche Entwicklungen.

                        Fehlerkultur aus, die Städten                                                An welche denken Sie?
                                                                                                           Nachbarschaft zum Beispiel. Ich bin
                        zugutekommt? Darüber haben wir                                               keine Sozialromantikerin, aber es gibt da eine
                                                                                                     Wiederentdeckung von Werten der Gemein-
                        mit Staatssekretärin Anne Katrin                                             schaftlichkeit. Darüber hinaus entstehen
                                                                                                     innovative sozialorientierte Gründerideen für
                        Bohle gesprochen.                                                            Nachbarschaftshilfe und Selbstorganisation
                                                                                                     im Stadtteil. Das gilt es auszubauen. Auch der
                                                                                                     Bund kann diese Entwicklungen positiv beein-
                                                                                                     flussen, indem er – wie etwa mit der Nationa-
                         Von Natascha Roshan i                                                       len Stadtentwicklungspolitik – Plattformen für
                         & Oliver Geyer                                                              den Austausch und die Weiterentwicklung der
                                                                                                     Strategien und Methoden aufbaut.

                                                 Besteht das Risiko, dass aufgrund der mona­         Wird es durch die Corona-Krise zu grundsätz-
                                                 telangen Krise dringende Projekte der Stadtent-     lichen Richtungsänderungen in der Stadtent-
                                                 wicklung vernachlässigt oder sogar vergessen        wicklung kommen? Nachverdichtung und Social
                                                 werden?                                             Distancing scheinen sich zu widersprechen.
                                                        Nein, im Gegenteil. Die Corona-Krise         Und offenbar haben viele Großstädter in der Zeit
                                                 bestätigt nur ein weiteres Mal, wie wichtig         der Kontaktsperre die Ruhe schätzen gelernt,
                                                 starke, gemeinwohlorientierte und resiliente        sodass vielleicht mehr Leute mit einem Umzug
                                                 Städte sind. Das ist in der Stadtentwicklung        ins Umland liebäugeln.
                                                 kein neuer Aspekt, und insofern wird zurzeit               Dichte lässt sich durchaus auch mit
                                                 auch nichts Grundsätzliches vergessen. Die          Rückzugsorten kombinieren. Es muss ja nicht
                                                 Krise unterstreicht vielmehr, wie wichtig es        immer alles auf ebener Erde stattfinden. Den-
                                                 ist, unser Ziel der nachhaltigen, integrierten      ken Sie an Dachterrassen oder Verbindungen
                                                 Stadtentwicklung, die soziale und ökonomi-          innerhalb eines Quartiers. Das kann spannen-
                                                 sche Handlungsfelder verbindet und alle rele-       de Architektur sein. In der Tat stellt sich in
                                                 vanten Interessen und Akteure berücksichtigt,       der Pandemie aber verstärkt die Frage, was in
                                                 konsequent weiterzuverfolgen. So entstehen          Zukunft eine gesunde städtische Architektur
                                                 geeignete Resilienzstrategien – auch gegen          ausmacht. Wer einen Balkon oder Garten hatte,
                                                 eine Pandemie. Natürlich hat Corona weit-           konnte sich glücklich schätzen. Interessant
                                                 reichende Folgen, etwa für die öffentlichen         werden da wieder die Konzepte der Garten-
                                                 Haushalte. Die enormen finanziellen Aufwen-         städte aus den Zwanziger- und Dreißi­gerjahren,
                                                 dungen, die die Kommunen jetzt stemmen              die Licht und Luft zum Prinzip erklärten. Das
                                                 müssen, dürfen nicht dazu führen, dass Stadt-       sind intelligent strukturierte Wohneinheiten
                                                 entwicklung als freiwillige Daseinsvorsorge         mit viel Frischluft und Aufenthaltsqualität.
                                                 ins Hintertreffen gerät.                            Aber meine Erfahrung mit Wohnungsbau-
                                                                                                     unternehmen ist, dass viele ohnehin zu diesen
                                                 Unser Heftthema ist diesmal „Richtig oder           Prinzipien zurückkehren. Auch von einem
Foto: Franz Grünewald

                                                 falsch?“. Zeigt sich in der Krise besonders deut-   vernunftbegabten Sozialwohnungsbau er-
                                                 lich, wer als Stadt richtig gehandelt hat?          warte ich bei Quadratmeterpreisen von 2.400
                                                        Ich würde nicht von richtig oder falsch      bis 2.800 Euro intelligente Konzeptionen, die
                                                 sprechen. Die Krise führt allerdings gewisse        Wohnqualitäten für Familien bieten. Wenn
                                                 Missstände, etwa soziale Ungleichheiten, vor        Dichte hingegen schlecht umgesetzt wird,
                                                 Augen. Umso wichtiger wird es zukünftig wer-        kann sie zu sozialen Spannungen führen.
                                                 den, die Komplexität der Herausforderungen
                                                 ernst zu nehmen und sich ohne Eitelkeit zu fra-     Tatsächlich herrscht in vielen deutschen
                                                 gen: Wo wollen wir hin angesichts des demo-         Städten aber Wohnungsknappheit. Welche Feh­ler
                         Fragil und auf          grafischen Wandels, der Digitalisierung, des        sind gemacht worden, und was können wir
                         Sand gebaut: wenn       Klimawandels? Was ist unser Bild von Stadt?         daraus lernen?
                         Stadtentwicklung        Denn integrierte Stadtentwicklungspolitik                 Dass Wohnungspolitik Kontinuität
                         nur Partikular­         macht Zusammenhänge bewusst, verdeutlicht           braucht, um den Akteuren Planungssicherheit
                         interessen verfolgt     die oft gegensätzlichen Interessen und sucht        zu geben. Kommunen tun gut daran, dass sie
                                                 den Ausgleich. Aber richtig oder falsch, wer        die Entwicklungen insbesondere im Geschoss-
                                                 mag sich da ein endgültiges Urteil anmaßen?         wohnungsbereich stark unter ihre Fittiche
                                                 Feststellen lässt sich nur: Wenn Partikularinte-    nehmen. Schauen Sie sich eine Stadt wie Ulm
                                                 ressen gegenüber dem Gemeinwohl in den Vor-         an, die schon seit Jahrzehnten eine gute Be-
                  09
17 Richtig oder falsch? Über die Frage, was in der Stadtentwicklung ein guter Weg ist - BBSR
„Stadtplanung ist ein ständiger
vorratungspolitik betreibt. Das halte ich für
                                                   Lernprozess. Es geht darum, uner­
vernünftig. Aktuell sehe ich, dass die Wohn-
 raumoffensive gute Voraussetzungen schafft
                                                   wartete Situationen zu bewältigen
– mit einem umfassenden Maßnahmenpaket
 für mehr bezahlbaren Wohnraum, das neben
                                                    und den Mut zu besitzen, auch
 investiven Impulsen für Wohnungsbau auch
Maßnahmen zur Baukostensenkung und zur
                                                    ohne hundertprozentige Erfolgs­
 Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens ent-
 hält. Aber: Ein Patentrezept für alle Kommu-
                                                    garantie zu agieren“
 nen gibt es nicht, schließlich wachsen auch
 nicht alle Städte.

Nicht überall wurde gehandelt wie in Ulm.
Existiert in der deutschen Stadtplanung eine       destehen. Alle Personen und Institutionen, die
Fehlerkultur, die transparent und konstruktiv      an Planungsprozessen beteiligt sind, müssen
 mit Fehlern umgeht?                               kontinuierlich dazulernen und Verantwortung
       Ich persönlich erfahre Stadtentwicklung     übernehmen, damit sich eine Stadt positiv
– in Nordrhein-Westfalen und jetzt auch beim       entwickelt.
Bund – als Prozess, zu dem Fehler gehören.
 Stadtplanung ist ein ständiger Lernprozess.       Ist die Angst, Fehler zu machen, auf kommu-
Nicht nur in der gegenwärtigen Krise, sondern      naler Ebene besonders ausgeprägt? Für viele
 immerzu geht es darum, unerwartete Situa-         Bürger ist das der politische Nahbereich, in dem
 tionen zu bewältigen und den Mut zu besitzen,     Fehler besonders deutlich und spürbar werden.
 auch ohne hundertprozentige Erfolgsgarantie       Mancherorts scheint es auch eine Art Volkssport
 zu agieren. Gerade bei uns in Deutschland         zu sein, die Stadtoberen für ihre „Verfehlungen“
wird das allerdings noch nicht überall verstan-    anzuprangern.
 den. Insgesamt scheint es mir aber eine positi-          Verbreiteter als die Angst, Fehler zu ma-
ve Tendenz zu geben: Die Bereitschaft, Fehler      chen, ist meines Erachtens die Sucht zu gefal-
 zu machen und offen damit umzugehen, ist in       len. Wenn Sie alle vier oder fünf Jahre gewählt
 den letzten Jahren gestiegen.                     werden wollen, ist es nicht immer einfach, sich
                                                   davon zu befreien und ein Klima unabhängiger
Wie geht man produktiv mit Fehlern um?             Beratung zu implementieren. Grundsätzlich
       Man sollte Fehler nicht immer direkt        erlebe ich die kommunale Ebene aber als er-
mit Schwäche gleichsetzen. Auch Vertuschen         frischend pragmatisch.
bringt nichts, Sie können Fehler dadurch nicht
minimieren. Stattdessen muss es eine offene        Zuletzt noch eine Frage zur Leipzig-Charta, die
Diskussion geben: Wie ist das passiert, wie        zurzeit neu formuliert wird und Ende des Jahres
können wir das korrigieren, wie unsere Metho-      unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ver-
den und Konzepte optimieren? Auf keinen Fall       abschiedet werden soll: Wird darin die jüngste

                                                                                                                             Foto: B M I
sollte man diejenigen, die innovativ denken,       Krisenerfahrung eine Rolle spielen?
bei Fehlern abstrafen. So wird mutiges Agieren            Außer auf dem allerletzten Arbeitstref-
verhindert – das Gegenteil von dem, was wir        fen ist das Wort „Pandemie“ meines Wissens
mit der Nationalen Stadtentwicklungspolitik        bisher nicht gefallen. Aber viele Themen, die       Anne Katrin Bohle
erreichen wollen. Sonst wird das alte Prinzip      bei der Bekämpfung der Krise eine Rolle spie-       ist Staatssekretärin
aufrechterhalten: Wer nichts tut, der macht        len, sind in der Neuen Leipzig-Charta bereits       im Bundesministerium
auch nichts falsch.                                angelegt, etwa Fragen der Digitalisierung.          des Innern, für Bau und
                                                   Dadurch, dass Resilienz einer unserer Haupt-        Heimat. Sie ist dort
Aber man kann es ja auch nicht zum Prinzip         punkte ist, waren wir der Krise sozusagen           für die Themen Bauen,
erheben, lustig einen Fehler nach dem anderen      schon ein Stück voraus. Das knüpft an den           Wohnen und Stadtent-
zu machen. Wie umgeht man Fehler am besten?        Beginn unseres Gesprächs an: Eine integrierte,      wicklung zuständig.
      Fehler vermeidet man nicht dadurch,          am Gemeinwohl orientierte Stadtentwicklung
dass man Menschen dafür anschwärzt, son-           macht eine Stadt auch widerstandsfähig. Der
dern indem man sinnvolle Beteiligungs- und         Gedanke des Gemeinwohls muss immer ein-
Denkstrukturen in den Organisationen auf-          bezogen werden, egal ob wir über die Planung
baut: Eine Gruppe denkt besser als ein Ein-        von Infrastrukturen reden, Klimaanpassungen
zelner. Je weniger Egoismen es gibt, umso          oder andere Dinge. Gefordert ist eine Stadt,
größer die Wahrscheinlichkeit, dass Sie eine       die sich Herausforderungen nicht nur im Bau
gute Qualität und ein tragfähiges Ergebnis         stellt, sondern vor allen Dingen bereit zur offe-
erzielen. Ich versuche das in meiner Arbeit        nen Diskussion ist. Das sollte auch in die Neue
vorzuleben. Wir arbeiten in Gruppen, und es        Leipzig-Charta einfließen, die in ihrer bishe-
gibt keine Hierarchie der „richtigen Meinung“.     rigen Fassung noch stark geprägt ist durch die
Allerdings eine der Verantwortung. Das heißt:      Ingenieurs- und Architekturperspektive und
Wenn etwas schiefläuft, muss ich dafür gera­       den Fortschrittsgedanken.
Und was ist unser
                                                                                                          Konzept der Stadt
                                                                                                          von morgen?

                                                                                                                          die europäische Stadt
                                                                                                                          Neue Ziele für
Foto: Getty Images

                                      Auf Hochtouren wird derzeit an der Neuformu-
                     Leipzig-Charta

                                      lierung der Leipzig-Charta gearbeitet. Ende 2020
                                      soll sie im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsi-
                                      dentschaft verabschiedet werden.

                                             Kann eine Charta für integrierte Stadt-
                                      entwicklung für alle Zeiten gelten? Eigentlich
                                      liegt es doch in der Natur der Sache, dass sie
                                      selbst nicht stehen bleiben darf, will sie auch
                                                                                         tiken hinaus, Mehrebenenkoordination, Bür-
                                      in Zukunft Orientierung und Impulse geben.
                                                                                         gerbeteiligung und Gemeinwohlorientierung
                                      Für die Leipzig-Charta wird das gerade sehr
                                                                                         – aber mit einem geschärften Blick auf die neu-
                                      konkret: Ende November 2020 soll auf einem
                                                                                         en Großthemen und neue Akteure, vor allem
                                      Informellen Ministertreffen, am selben Ort
                                                                                         aus der Zivilgesellschaft. Die Entwicklungen
                                      wie vor 13 Jahren, die „Neue Leipzig-Charta“
                                                                                         und Differenzierungen, die es dort gegeben
                                      verabschiedet werden.
                                                                                         hat, sollen in der neuen Charta nachvollzogen
                                             Die erste Charta, die im Jahr 2007 unter
                                                                                         werden – aber trotzdem universell genug abge-
                                      deutscher EU-Ratspräsidentschaft verabschie-
                                                                                         fasst, dass sie als Zukunftskompass für Städte
                                      det wurde, hat eine Menge bewirkt. Nicht
                                                                                         in ganz Europa handhabbar bleibt.
                                      zuletzt ist ihr zu verdanken, dass hierzulande
                                                                                                Das ist keine kleine Aufgabe. An
                                      die Nationale Stadtentwicklungspolitik als Ge-
                                                                                         Deutschland, das im Rahmen seiner EU-Rats-
                                      meinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und
                                                                                         präsidentschaft Gastgeber des Leipziger Tref-
                                      Gemeinden auf den Weg gekommen ist. Viele
                                                                                         fens ist, richten sich dabei hohe Erwartungen.
                                      zentrale Prinzipien der Leipzig-Charta haben
                                                                                         Schon 2018 hat die Bundesregierung mit einem
                                      bis heute nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt.
                                                                                         umfangreichen Prozess für die Neufassung der
                                             Und doch ist die Welt im Jahre 2020 eine
                                                                                         Charta begonnen. Dialoge in der Fachcommu-
                                      andere geworden. Viele dynamische Ent-
                                                                                         nity und mit allen europäischen Mitgliedstaa-
                                      wicklungen haben die Herausforderungen an
                                                                                         ten sind längst in vollem Gange. Wird die Neue
                                      Stadtentwicklung ebenso rasant steigen lassen:
                                                                                         Leipzig-Charta ein Erfolg, so wäre das nicht
                                      Digitalisierung, Klimawandel, Migration und
                                                                                         nur der nächste Meilenstein für eine europäi-
                                      Integration – all das gilt es heute mit neuer
                                                                                         sche Stadtentwicklung, es wäre auch ein star-
                                      Dringlichkeit mitzudenken, wenn Städte zu-
                                                                                         kes Symbol für die bindende Kraft der euro-
                                      kunftsfähig gemacht werden sollen.
                                                                                         päischen Idee als ganze. Wie wichtig Städte
                                             Es geht also darum, an bewährte Grund-
                                                                                         dafür sind, soll die neue Charta unter Beweis
                                      sätze anzuknüpfen, jedoch auf zeitgemäße Art
                                                                                         stellen. Eines ihrer Ziele lautet: die Merkmale
                                      und mit gestiegenem Problembewusstsein für
                                                                                         der europäischen Stadt als verbindendes kul-
                                      Nachhaltigkeit und Resilienz. Sprich: Auch in
                                                                                         turelles Element der europäischen Identität zu
                                      Zukunft braucht es Kooperation über Fachpoli-
                                                                                         verdeutlichen.
                11
Konzeptverfahren
       Besser
       überdacht
Lena zupft an Aram Othmans Hosen-         Bau. Sie gründeten eine GbR (Gesell-
bein. Seine einjährige Tochter will auf   schaft bürgerlichen Rechts) und be-
seinen Schoß. Arams Frau Chiman           gannen zu planen.
steht am Herd und rührt in einem                 Zwei Monate später reichte
Topf. Die zwei großen Fenster sind        die Baugruppe bei der Stadt ihr Pro­
mit Jalousien abgedunkelt, sie werfen     jekt Passerelle ein. Der Garten, die
Schatten in die geräumige Küche. Die      Holzwerkstatt und das gemeinschaft-
Terrassentür im Schlafzimmer steht        liche Leben von Deutschen und Zu­

                                                                                                                                  Foto: Aram Othman
offen, man hört Kinderlachen vom          gewanderten überzeugte – sie er-
Spielplatz im Hinterhof. Seit einem       hielten den Zuschlag, und aus dem
Jahr wohnt die Familie Othman nun         Planungspapier wurde ein richtiges
in der Wohnung im Tübinger Projekt-       Haus. Neun Flüchtlingsfamilien und
bau „Passerelle“ am Hechinger Eck.        drei weitere Parteien zogen im Früh-
       2015 floh Aram mit seiner Frau     jahr 2019 ein, darunter Aram, Chiman     stellte sind abwechselnd als Ansprech-
und seinen Kindern aus dem Nordirak.      und ihre Kinder.                         partner vor Ort. Und auch die drei
Die Flucht endete in einer Tübinger             Jedes der GbR-Mitglieder in-       Parteien im Haus, die keinen Flucht-
Turnhalle. Vier Monate mussten sie        vestierte in eine der zwölf Wohnun-      hintergrund haben, unterstützen die
dort ausharren. Dann wurde die Fami-      gen, einige von ihnen nahmen sogar       Neu-Tübinger.
lie in einen Containerbau verlegt, von    einen Kredit auf. Profit schlagen sie           Aram nimmt diese Unterstüt-
dort in eine Einzimmerwohnung und         als private Investoren daraus aber       zung gerne an – vor allem bei bürokra-
noch mal weiter in eine andere Ein-       kaum, so Projektsteurerin Jung. Auch     tischen und finanziellen Fragen, aber
zimmerwohnung. Immer in der Hoff-         wenn Geld in Immobilien immer gut        auch um die Kultur besser kennenzu-
nung, endlich irgendwo anzukommen.        angelegt sei, stehe bei Konzeptver-      lernen und sein Deutsch zu verbessern.
       Als die Architektin Claudia Jung   fahren der gesellschaftliche Mehr-       Wertvoll sei außerdem der Standort
im April 2016 erfuhr, dass in Tübin­gen   wert im Vordergrund. Neun Euro pro       des Projekthauses, sagt er. Durch die
Anschlussunterkünfte für Flüchtlinge      Quadratmeter kostet die Miete, und       gute Anbindung an die Tübinger In-
benötigt werden und deutschlandweit       davon fließt noch ein kleiner Teil in    nenstadt können seine älteren Kinder
erstmalig in einem Konzept­verfahren      das Sozialmanagement der Passerel-       selbstständig unterwegs sein.
ausgeschrieben sind, machte sie sich      le. Hier sieht Jung auch die besondere          Das Modell des Konzeptverfah-
sofort auf die Suche nach Mitstreitern.   Stärke des Projekts: Im Gegensatz zu     rens entstand in den 1990er-Jahren
Nach kurzer Zeit fanden sich zwölf        anderen Anschlussunterkünften für        in Tübingen im Zusammenhang mit
Bürger aus der Nachbarschaft zusam-       Flüchtlinge werden die Bewohner in       der Vergabe von Grundstücken an
men, viele von ihnen Laien in Sachen      der Passerelle eng betreut. Zwei Ange-   gemeinschaftliche Wohnprojekte, ob
                                                                                   nun genossenschaftlich oder in Form
                                                                                   von Baugruppen. Diese wurden als be-
Warum nicht auch Flüchtlings­                                                      sonders engagierte und innovations-
                                                                                   orientierte Entwickler angesehen und
unterkünfte über Konzeptwettbewerbe                                                sollten deshalb durch erleichterten
                                                                                   Zugang zu Grundstücken gefördert
realisieren? Würde man so nicht                                                    werden. Außerdem sind Konzeptver-
                                                                                   fahren spannende Prozesse, bei denen
frühere Fehler vermeiden, bessere                                                  über Stadt nicht im Sinne eines Spe-
                                                                                   zialistenthemas, sondern als wesent-
Wohnverhältnisse schaffen und                                                      liche Grundlage für die Lebensquali-
                                                                                   tät der Bevölkerung nachgedacht und
Integration fördern? In Tübingen hat                                               verhandelt wird. Die erfolgreiche und
                                                                                   schnelle Umsetzung des Konzeptver-
man das ausprobiert. Von Katharina Reckers                                         fahrens in Tübingen sorgte in einigen
                                                                                   anderen Kommunen für Aufsehen.
                                                                                                                                      12
„Das Ergebnis:
                                                                                                vielfältiges,
                                                                                                 quartiers­
                                                                                                 bezogenes und
                                                                                                 preiswertes
                                                                                                Wohnen mitten
                                                                                                 in der Stadt.“
                                                                                                nis: vielfältiges, quartiersbezogenes
                                                                                                und preiswertes Wohnen mitten in
                                                                                                der Stadt – allerdings auf recht engem
Foto: Jeannette Wilhelm

                                                                                                Raum. Familie Othman lebt zu siebt
                                                                                                in nur drei Zimmern. Womöglich
                                                                                                war es ein Fehler, nicht zu bedenken,
                                                                                                dass solche Familiengrößen in vielen
                                                                                                Krisenregionen durchaus normal sind,
                                                                                                und auch geräumigere Wohneinheiten
                                                                                                vorzusehen. Aber genau darum geht
                           Die Passerelle ist        Doch Bürger aktiv in Konzeptver-           es bei Konzeptwettbewerben eben
                           gut an die Innenstadt     gaben oder in Baugruppenmodelle            auch: aus Fehlern lernen, um es beim
                           angebunden. Das           miteinzubeziehen, galt lange als be-       nächsten Mal noch besser zu machen.
                           macht es der Familie      ratungsintensiv und aufwendig für                 Insgesamt gilt die Passerelle als
                           Othman leicht, in         die zuständigen Fachverwaltungen.          Erfolg. Doch für andere Kommunen
                           Tübingen anzukommen       Qualitätsziele zu definieren, statt Bau-   wäre eine effektive Umsetzung eines
                                                     grenzen abzustecken, mit Bürgern zu        solchen Verfahrens unter Zeitdruck
                                                     verhandeln statt mit Investoren – all      fast undenkbar, sagt Gütschow. Es
                           Für die fünfköpfige       das ist ungeübt und erfordert ein neu-     sei auch nicht anzuraten, sich das
                           Familie aus dem           es Verständnis von Planung.                Wissen, das Tübingen in 25 Jahren Er-
                           Nordirak hat die Flucht         Geduld bei der Umsetzung sei         fahrungen mit dieser Art von Grund-
                           ein glückliches Ende      daher das oberste Gebot, so der Tü-        stücksvergaben aufgebaut hat, über-
                           genommen                  binger Architekt Matthias Gütschow.        hastet anzueignen. Zu diesem Wissen
                                                     Er berät jetzt auch verstärkt andere       gehört, dass man die Anforderungen
                                                     Kommunen, die in Zukunft Konzept-          besser langsam hochschraubt. Um
                                                     verfahren realisieren wollen. Nach         bürgerschaftliche Akteure zum Zuge
                                                     dem Flüchtlingszustrom von 2015 war        kommen zu lassen, müssen die dafür
                           Eine Werkstatt:           die Herausforderung für viele Städte       vorgesehenen Bauflächen besonders
                           zum Bauen mit             ähnlich: Sie mussten Wohnraum für          intensiv ausgewählt und vorbereitet
                           Holz und auch für das     die Anschlussunterbringung zur Ver-        werden. Ein größerer Teil der Arbeit,
                           Zusammenleben             fügung stellen. Aufgrund der hohen         der sonst bei den Bauträgern liegt,
                                                     Mieten und der Wohnungsnot wurden          verlagert sich auf die Stadt. Ämter-
                                                     Zugewanderte oftmals in entlegenen         übergreifende Zusammenarbeit ist
Foto: Projekt Passerelle

                                                     oder strukturschwachen Bezirken            nötig. Aber die Arbeit zahle sich lang-
                                                     untergebracht. Eben da, wo sonst nie-      fristig aus, so Gütschow. „Wer seine
                                                     mand hinwill und Integration kaum          Grundstücke nicht verantwortungs-
                                                     möglich ist.                               voll vergibt, wird sich Probleme schaf-
                                                           Nur die Stadt Tübingen löste das     fen. Durch Konzeptverfahren gene-
                                                     Problem im Konzeptverfahren und            riert man zufriedene Bürger, die sich
                                                     wurde dafür zum Pilotprojekt der Na-       mit ihrer Stadt identifizieren können.“
                                                     tionalen Stadtentwicklungspolitik. Die            An diesem Abend geht Chiman
                                                     Mindestanforderungen blieben nied-         zu ihrem Kräuterbeet im Garten. Dort
                                                     rigschwellig, es gab keine Auswahlkri-     hat sie Knoblauch, Gurke und Peter-
                                                     terien, sondern es wurde vergleichend      silie gepflanzt und wartet ungeduldig
                                                     bewertet, sodass auch Bürger ohne          auf die ersten Sprossen. Aram steht
                                                     Bauerfahrungen Konzepte einreichen         im Hinterhof und plaudert mit der
                                                     konnten. Aus rund 120 Bewerbungen          Nachbarin, die auf ihrer Terrasse sitzt.
                                                     von 50 potenziellen Projektträgern         Tübingen ist für Familie Othman eine
                                                     konnte die Bewertungskommission            Heimat geworden, die Passerelle ihr
                                                     schließlich auswählen. Das Ergeb-          Zuhause.
Masterplan – das hört sich nach Meister-
schaft und weiser Voraussicht an. Und
so war es früher vielleicht auch ge­
meint. Ein gottgleicher Architekt ent­
warf visionäre Lösungen, die für alle
Menschen und alle Zeiten gelten sollten.
Deshalb gab es noch vor einigen Jahren
große Diskussionen, ob solche Pläne
überhaupt noch zeitgemäß sind – oder
zu unflexibel und fehleranfällig ange-
sichts einer ungewissen Zukunft. Klar ist:
Heute sehen sie ganz anders aus.
       Von Felix Denk
       Illustration: Renke Brandt

                                                                                Mönchengladbach —
                                                                                MG3.0

                                                                                Viele Hände wirkten an dem Mas-
                                                                                terplan MG3.0 mit, der die Teil-
                                                                                städte Mönchengladbach, Rheydt
                                                                                und Wickrath zusammenführen
                                                                                soll. Eine Initiative von Bürgern,
                                                                                Unternehmen und Vertretern der
                                                                                Stadt hat zusammen mit dem
                                                                                Architekten Nicholas Grimshaw
                                                                                eine „Charta für urbanes Leben“
                                                                                entwickelt und übergeordnete
                                                                                Zielvorstellungen zu den Berei-
                                                                                chen Wirtschaft, Verkehr, Identi-
                                                                                tät und Vielfalt ausgearbeitet.
                                                                                Der Masterplan wurde 2012 be-
                                                                                schlossen und ist jetzt in der Um-
                                                                                setzungsphase. Finanziert wurde
Heidelberg —                                                                    MG3.0 durch Sponsorengelder
Patrick-Henry-Village                                                           von Unternehmen und Bürgern.
                                                                                2013 erlangte MG3.0 den Status
Eine Wissensstadt von morgen                                                    „Pilotprojekt der Nationalen
soll aus der US-amerikanischen                                                  Stadtentwicklungspolitik“ und
Wohnsiedlung aus den 1950er­                                                    bekam Fördermittel vom Bund.
Jahren werden. Für diesen Trans-
formationsprozess im Rahmen
                                    Berlin —
der Internationalen Bauausstel-
                                    Dragoner Areal
lung gibt ein Masterplan Quali-
tätskriterien vor. Er ist jedoch
                                    Schon die Erarbeitung des Plans für das
keine starre Hülle, sondern
                                    Quartier in Kreuzberg war fehlerfreund-
dynamisch angelegt: In den ein-
                                    lich: Drei Büros tauschten sich mit Bür-
zelnen Entwicklungsschritten
                                    gern und Initiativen über deren Wünsche

                                                                                          Ma
kann auf sich verändernde Be-
                                    aus, bevor sie als konkurrierende Vor-
dürfnisse reagiert werden. Das
                                    schläge aufs Papier gebracht wurden.
soll einen kooperativen Prozess
                                    Geplant ist nun ein Hochhaus mit 16 Ge-
zwischen Stadtplanern und Bür-
                                    schossen am Rand, ein großer Marktplatz
gern fördern.
                                    im Zentrum, 525 günstige Wohnungen
                                    und Gärten für deren Mieter. Das Kreuz-
                                    berger Rathaus und das Finanzamt sollen
                                    einen Anbau bekommen. Dazu kommt ein
                                    Klub und eine Werkstatt. Die „grüne Fuge“
                                    im Zentrum soll das Quartier mit der Um-
                                    gebung vernetzen. Der Masterplan soll bis
                                    Herbst 2021 beschlossen sein.
Big Picture
 Brasília —
 Planstadt von Oscar Niemeyer

 Nach nur vier Jahren Bauzeit wurde
 Brasília 1960 die neue Hauptstadt Brasi-
 liens. Sie sollte für Aufbruch und sozialen
 Fortschritt stehen, mit breiten Boulevards
 und Wohnblöcken, Aufzügen und Tief­
 garagen. Das machte die Apartments so
 teuer, dass nur Angehörige der Ver­
 waltung im Zentrum wohnen konnten,
 die Arbeiter mussten in Satelliten­­
 städten unterkommen. Niemeyer
 bewertete sein Experiment im Nach­
 hinein als nicht erfolgreich.

                         Kopenhagen —
                         Ströget

                         Die Ströget war bei ihrer Verkehrs­
                         beruhigung 1962 die längste Fußgänger-
                         zone in Europa. Sie steht für die Abkehr
                                                                     Paris —
                         von dem Gedanken, dass Städte vor
                                                                     Melun Sénart
                         allem Autos glücklich machen sollen. Ihr
                         Planer, der Däne Jan Gehl, gilt heute als
                                                                     Melun-Sénart ist eine Ville nou-
                         einer der prominentesten Masterplaner.
                                                                     velle, eine neue Stadt, im Süden
                         Für seine Projekte untersucht er das
                                                                     der Île-de-France. Der Master-
                         Verhalten der Menschen und ihre Inter-
                                                                     plan von 1987 vom Büro OMA
                         aktion mit dem öffentlichen Raum. Die
                                                                     unter Leitung von Rem Koolhaas
                         Ergebnisse stellt er ins Zentrum seiner
                                                                     stellt das übliche stadtplaneri-
                         Planungen und schafft Raum für ein
                                                                     sche Vorgehen auf den Kopf. Im
                         buntes Stadtleben.
                                                                     Zentrum steht nicht die Bebau-
                                                                     ung, sondern die sogenannten
                                                                     Voids: bewusst frei gelassene
                                                                     Flächen, die von der Planung und
                                                                     Stadtentwicklung ausgeschlos-
                                                                     sen werden. Um sie herum kön-
                                                                     nen sich die Häuser gruppieren,
                                                                     die im Modell durch wild zusam-
                                                                     mengeschobene Holzklötzchen
                                                                     dargestellt wurden.

asterpläne
Linie
                                               Von Oliver Geyer
                                               Fotos: Sebastian Lock

1                                          5
         Pilotprojekt

Wie in der Stadtentwicklung mehr richtig laufen könnte?
Wenn man nicht ständig bemüht wäre, bloß nichts falsch
 zu machen. Das ist es, was das Nürnberger Pilotprojekt
„Quartier U1“ antreibt. Und es bewegt sich da eine Menge –
 entlang der U-Bahn-Linie 1
                                                                       16
In einem Projekt, das eine Menge verschiede-
                                                                 he von partizipati­­ven
             ner Teilprojekte betreut und die freie Akteurs­
                                                                 Projekten zu fördern
             szene seiner Stadt im großen Stil stärken will,
                                                                 könnte verhindern,
             herrscht naturgemäß kein Mangel an Heraus-
                                                                 dass sich hauptsäch-
             forderungen und Problemen. Womit Sebastian
                                                                 lich wieder Leute aus
             Schnellbögl, einer der Initiatoren des „Quar-
                                                                 der Mittelschicht ein-
             tier U1“, aber ganz sicher kein Problem hat:
                                                                 bringen. Stattdessen
            Fehler zuzugeben. „Es war sicher falsch, ein
                                                                 wäre die U-Bahn wie
            Projekt mit Fokus auf die U-Bahn zu machen,
                                                                 ein Transmissionsrie-
             ohne das im Vorfeld mit den Verkehrsbetrie-
                                                                 men, der mehr Men-
             ben genauer abzuklären“, sagt er freiheraus.
                                                                 schen verschiedener
                    Schnellbögl sitzt in den Räumen des Ur-
                                                                 Herkunft aktiviert.
             ban Lab im Z-Bau, einer ehemaligen Kaserne
                                                                 Alle gemeinsam würden sie urbane Möglich-
             nahe der U-Bahn-Station Frankenstraße. Das
                                                                 keitsräume eröffnen, die nicht der Geldlo-
             Gebäude ist längst umgenutzt, es beherbergt
                                                                 gik gehorchen, sondern an Gemeinwohl und
            Ateliers, Räume für Kulturveranstaltungen,
                                                                 Nachhaltigkeit orientiert sind. Eine enkeltaug-
            Werkstätten. Wo einmal Zucht und Gehor-
                                                                 liche Zukunft schaffen, lautete die Formel. Das
             sam über allem standen, herrscht heute viel
                                                                 war alles so plausibel, so inspirierend, dass
             kreatives Gewusel. Schnellbögl selbst – freier
                                                                 man den frühzeitigen Realitätscheck mit den
            Designer mit Bart, Hornbrille und cooler Jacke
                                                                 Leuten von der Verkehrs-Aktiengesellschaft
            – verkörpert die Figur des jungen urbanen Ak-
                                                                 Nürnberg (VAG) schon mal vergessen konnte.
             tivisten. „Tüftelstube“ steht in selbst gebastel-
                                                                       Der erste Aufprall auf dem Boden der
             ten Lettern aus Schrott über dem Eingang zum
                                                                 Realität war entsprechend hart, zumal der in
            Urban Lab. Mit Blick auf die Räumlichkeiten,
                                                                 diesem Fall einige Meter unter der Oberflä-
             in denen sich Werkzeuge stapeln und vor lauter
                                                                 che liegt. U-Bahn-Flächen sind eine versiche-
            Plakaten und Post-its kaum noch Wand durch-

                                                                                                                                              WEISSER TURM
                                                                 rungstechnisch hochregulierte und zum Teil
             schimmert, hat er bereits eingeräumt: „Die-
                                                                 intransparente Zone. Auch wenn es dort viel
             ses Nerdige, das haben wir schon sehr drin.“
                                                                 Leerstand gibt – daraus Möglichkeitsräume
            Das Urban Lab, das Schnellbögl mit ein paar
                                                                 zu machen, in denen Aktivierung, Kunst und
            Freunden betreibt, will Menschen ermäch-
                                                                 Kommunikation stattfinden, bedeutet erst mal:
             tigen, Stadt selbst zu gestalten – im Kleinen,
                                                                 Paragrafen wälzen und sich mit Leuten ins
             mit Lötkolben und 3-D-Drucker, ebenso wie
                                                                 Benehmen setzen, die oft ganz anders denken
             im größeren Maßstab. Im Grunde träumten
                                                                 als man selbst. Schnellbögl gibt offen zu: „Wir
             Schnellbögl und seine Freunde immer schon
FÜRTH HBF

                                                                 waren am Anfang ähnlich unbedarft wie die
             davon, die ganze Stadt in eine Tüftelstube zu

                                                                                                                            PLÄRRER
                                                                 Akteure, die wir mündig machen wollen.“
            verwandeln. Deshalb waren sie dann auch mit
                                                                       Doch nun ist es ebendieser holprige Erst-
            Feuereifer dabei, als sich Ende 2018 die Gele-
                                                                 kontakt mit der Verwaltung, was das Quartier
             genheit zum Projekt Quartier U1 bot. Angst vor
                                                                 U 1 im weiteren Projektverlauf sehr produktiv
            Fehlern ist ihnen als urbanen Bastlern ohne-
                                                                 werden lässt. Weil diese Erfahrung bei den

            hin fremd. Und einen haben sie dann auch erst        Initiatoren selbst noch frisch ist, sie aber im
            mal gemacht.                                         Eilverfahren dazugelernt haben und sich mit
                  Die Idee von Quartier U1 ist es, alle In-      den Verantwortlichen in den Büros und Amts-
            nenstadtstationen der Nürnberger U-Bahn-Li-          stuben doch noch gut verdrahten konnten,
            nie 1 und ihr Umfeld als ein einziges zusam-         sind sie nun umso besser in der Lage, auch die
            menhängendes Quartier zu verstehen – weil            Bewerber anzuleiten. Denn die müssen mit           Sehr ersprießlich:
            man innerhalb kürzester Zeit von A nach B            ihren Projektideen ja denselben Weg nehmen.        Das Projekt „Essbare
            und weiter nach C kommt. Entlang dieser Ver-         Schnellbögl erzählt von einem jungen Fri-          Stadt“ lässt auf einer
            kehrsachse, an der sehr unterschiedliche so-         days-for-Future-Aktivisten, der vorhatte, in       ehemaligen Brach­
            ziale Realitäten existieren, nun eine ganze Rei-     einem U-Bahn-Waggon einen mobilen Markt            fläche Salat und
                                                                  mit Lebensmitteln aus der Region einzurich-       bürgerschaftliches
                                                                  ten. Dem mussten sie vorsichtig beibringen,       Engagement gedeihen
                                                                  dass die juristischen Hürden für eine schnel-
                                                                  le Verwirklichung seiner schönen Idee leider
                                                                  zu hoch sind. Andere Projekte hingegen sind
                                                                  schon weit gediehen. Viele spielen sich ja auch    Für die Leute vom
                                                                  außerhalb der U-Bahn in den Straßen rund           Urban Lab ist das
                                                                  um die Stationen ab.                               Projekt „Quartier U1“
                                                                         Kleiner Rundblick, was sich schon so        ein Glücksfall. So
                                                                  alles tut: Am Jakobsplatz nahe der Station         verwandeln sie größere
                                                                  Plärrer lässt das Urban-Gardening-Pro-            Teile der Stadt in eine
                                                                  jekt „Essbare Stadt“ auf einer ehemaligen         „Tüftelstube“
wöchentlichen Ideensprechstunde bei Sebas-
                                                                      Brachfläche seit ein
                                                                                               tian Schnellbögl und seinem Kollegen Chris
                                                                      paar Wochen Toma-
                                                                                               Herrmann vorstellig werden und mit etwas
                                                                      ten, Salatköpfe und
                                                                                               Glück eine Anschubfinanzierung von 400 Euro
                                                                      bürgerschaftliches
                                                                                               bekommen. Da geht es manchmal nur um eine
                                                                      Engagement gedeihen.
                                                                                               Kampagne zum Wässern von Straßenbäumen
                                                                      Man will den Stadt-
                                                                                               im Sommer, auch so was lässt den öffentli-
                                                                      menschen wieder ein
                                                                                               chen Raum erblühen. „Amt für Ideen“ nennen
                                                                      Gefühl für Lebensmit-
                                                                                               Schnellbögl und Herrmann ihre Sprechstunde
                                                                      tel geben, und nicht
                                                                                               und deuten damit leicht ironisch an, dass der
                                                                      wenige Anwohner
                                                                                               erste administrative Realitätscheck hier gleich
                                                                      gärtnern schon mit.
                                                                                               mit inbegriffen ist.
                                                                      Am Rand der Beete
                                                                                                      Im Prinzip, so Schnellbögl, versteht
                                            steht das „ÖPNV-Gewächshaus“ – eine Abkür-
                                                                                               sich das Urban Lab als ein Scharnier zwi-
                                            zung für „ÖffentlicherPflanzenNahVerzehr“.
                                                                                               schen Zivilgesellschaft und Verwaltung. Zwei
                                            Die kleine Plexiglaskonstruktion war bis März
                                                                                               Seiten, die oft etwas fremdeln und mit dem
                                            auf einer Fernwärmeleitung platziert, wo man
                                                                                               Quartier U1 zu einem besseren Zusammenwir-
                                            anhand von schmackhaftem Gartengemüse
                                                                                               ken gebracht werden sollen. Die Leute in den
                                            im tiefsten Winter demonstrieren konnte, wie
                                                                                               Amtsstuben mögen doch bitte etwas flexibler
                                            viel wertvolle Energie in der Stadt verschwen-
                                                                                               werden, wenn es darum geht, Initiativen der
                                            det wird. Darüber ließe sich zum Beispiel mal
                                                                                               Bevölkerung zu ermöglichen. Aber die Bürger,
                                            im Rahmen des Projekts „Shengo“ diskutieren.
                                                                                               die Initiative ergreifen, sollen bitte auch etwas
                                            Die Künstlerin Anja Schöller will zusammen
                                                                                               mehr Realitätssinn und ein besseres Verständ-
                                            mit dem äthiopischen Kulturverein die in
                                                                                               nis für die Komplexität der Rahmenbedingun-
                                           Äthiopien üblichen dörflichen Bürgerräte auch
                                                                                               gen entwickeln. Damit regelmäßig gemeinsam
                                            in Nürnberg abhalten. Dazu werden eigens
                                                                                               Neues entwickelt werden und langfristig ein
                                            gebastelte Recyclinghocker an verschiedenen
                                                                                               stärkeres Gemeinwesen heranwachsen kann,
          LORENZKIRCHE

                                            Stellen kreisförmig aufgestellt und Passanten
                                                                                               muss dieses Scharnier zwischen Akteuren
                                            eingeladen mitzureden – über dieses und jenes
                                                                                               und Experten gut geölt werden. In der Tüftel-
                                            und die übergeordnete Frage: Wie kommt das
                                                                                               stube des Urban Lab gibt es dafür die nötigen
                                            Glück in die Stadt? Eine Street-Art-Galerie
                                                                                               Schmiermittel. Das Urban Lab, das nicht nur
                            HAUPTBAHNHOF

                                            auf Stromkästen ist auch in Planung, und im
                                                                                               finanziert, sondern allen Gestaltungswilligen
                                            wahrsten Sinne angerollt ist bereits das Projekt
                                                                                               auch tatkräftig mit vielen Tipps zur Seite steht,
                                           „(K)Einkaufswagen“. 25 ausrangierte Einkaufs-
                                                                                               ist ein Amt, wie man es sich erträumt. Ein Amt
                                            wagen eines Biosupermarktes wurden in Wag-
                                                                                               für Ideen und deren Ermöglichung.
                                            gons der U1 in eine Werkstatt transportiert, wo
                                                                                                      Dass wegen der Corona-Krise einige
                                            sie derzeit umgebaut werden – zu einer mobi-
                                                                                               Projekte zeitlich zurückgeworfen wurden,
                                            len Fahrradwerkstadt, einer Minigalerie, einer
                                                                                               war schade. Aber für vieles haben sich auch
                                            Minibühne und vielem mehr. Unter dem Motto
                                                                                               schnell andere Formate gefunden, in denen sie
                                           „Einfach mal keinkaufen gehen“ sollen sie die
                                                                                               trotzdem stattfinden oder schon mal erprobt
                                            Nürnberger inspirieren, was jenseits des Kon-
                                                                                               werden konnten. Statt mit einer Vernissage
                                            sums in ihrer Stadt noch möglich ist.
                                                                                               kann man eine Street-Art-Galerie etwa auch
                                                   Ein offenes Wort an Basti Schnellbögl:
                                                                                               mit einer geführten Online-Begehung eröffnen.
                                            Das ist ja alles sehr sympathisch, aber kreiert
                                                                                               Überhaupt wurde die Krise hier als gute Ge-
                                            man mit umgebauten Einkaufswagen wirk-
                                                                                               legenheit betrachtet, direkt mal zu zeigen, wie
                                            lich die enkeltaugliche Zukunft? Können Laien
                                                                                               ein kreatives Umfeld eine Stadt für unerwar-
                                            Stadtentwicklung tatsächlich besser? Er lächelt
                                                                                               tete Herausforderungen fit macht. Die Plakate
„Atelier Extra“ macht                       und sagt: „Das ist das soziokulturelle Ele-
                                                                                               des gerade abgeschlossenen Wahlkampfs be-
 eine Kommode zur                           ment. Wir sind schließlich ein Pilotprojekt der
                                                                                               klebte das Urban Lab kurzerhand mit Coro-
 mobilen Plattform                          Nationalen Stadtentwicklungspolitik, und da
                                                                                               na-Infos.
 für künstlerische                          ist Scheitern zu einem gewissen Grad auch er-
 Interventionen – für                       laubt. Es sollen Dinge ausprobiert werden.“
 alle, die mitgestalten                            Worum es gehe: Verwaltung sagt oft re-
 möchten                                    flexhaft Nein, ist Bedenkenträger, bewegt sich
                                            in engen Bahnen. Initiativen aus der Zivilge-
                                            sellschaft hingegen mögen manchmal etwas
                                            verspielt sein. Aber sie legen genau die Ex-
Guter Rat: „Shengo“                         perimentierfreude an den Tag, die eine Stadt
will die in Äthiopien                       braucht, um sich langfristig zu stärken. Wer
üblichen dörflichen                         aus Fehlern lernen will, muss erst mal welche
Bürgerräte auch in                          machen dürfen.
Nürnberg abhalten –                                Das dürfen inzwischen 19 Initiativen, die
auf selbst gebastel­­t en                   eine größere Finanzierung erhalten. Und hin-
Recyclinghockern                            zu kommen viele Einzelakteure, die in einer
                                                                                                                                                   18
Was ist eigentlich
                          das Problem?

                                                                                                    Kolumne
                                                                                                              das als Abwägungsfehler, der gericht-
                                                                                                              lich geprüft werden könnte … wenn er
                                                                                                              nicht so schlecht sichtbar wäre.)
                                                                                                                     In meiner Heimatstadt Bonn
                                                                                                              wurde jüngst von einem renommierten
                                                                                                              Städtebaubüro ein Rahmenplan für ein
                                                                             Die größten und wirksams-
                                                                                                              Stadtviertel erstellt. Und jetzt disku-
                                                                             ten Fehler – davon bin ich
                                                                                                              tiert ganz Bonn über die Standorte von
                                                                             überzeugt – spielen sich
                                                                                                              Hochhäusern. Ich stelle mir die Szene
                                                                             vor Beginn des Planungs-
                                                                                                              etwa so vor:
                                                                             prozesses ab, sozusagen
                                                                             in der Dämmerung der Pla-
                                                                                                              Bürger: Warum wurde denn der
                                                                             nung. Hier, ganz am Anfang
                                                                                                                      Rahmenplan überhaupt be­
                                                                             von allem, bleiben diese
                                                                                                                      auftragt?
                                                                             Planungsfehler jedoch zu-
                                                                                                              Stadtverwaltung (irritiert): Na,
                                                                             nächst unsichtbar, weil es
                                                                                                                      wir sollten doch das Gebiet
                                                                             nicht die alten Bekannten
                                                                                                                      entwickeln.
                                                                             sind, an die wir uns schon
Foto: Victoria Jung

                                                                                                              Bürger: Ja, aber das war doch vorher
                                                                             gewöhnt haben: Bauzeit-
                                                                                                                      auch ganz schön.
                                                                             verzögerungen, eklatante
                                                                                                              Stadtverwaltung (trotzig): Aber richtig
                                                                             Preissteigerungen oder
                                                                                                                      entwickelt war es eben nicht!
                                                                             gefällte Bäume.
                                                                                                              Bürger (beschwichtigend): Okay,
                                                                                    Das Problem ist, dass
                                                                                                                      die Pläne sind ja auch wirk-
                                                                             man sich gar nicht darüber
                                                                                                                      lich nett anzusehen. Aber
                                                                             einigt, was überhaupt das
                                                                                                                      viele Wohnungen gibt es nicht,
                      Wenn in der Stadtplanung etwas falsch­     Problem ist. Viele Planungstheoreti-
                                                                                                                      oder? Und die Straßen sind
                      läuft, sind die „Schuldigen“ immer         ker haben klargemacht, dass dies der
                                                                                                                      auch ziemlich breit …
                      schnell benannt. Dabei sind das selten     eigentliche Fehler ist, durch den man
                                                                                                              Stadtverwaltung: Das hat uns jetzt
                      die wahren Verursacher. In Stephan         sich die wirklich bösen Probleme ein-
                                                                                                                      auch ein bisschen überrascht,
                      Willingers Kolumne geht es diesmal da-     handelt. Es müsste eine offene Diskus-
                                                                                                                      dass da so viele Büros hin-
                      rum, dass die wirklich bösen Fehler im     sion geben: Sind zu wenig Parkplätze in
                                                                                                                      passen und kaum Wohnungen.
                      Verborgenen entstehen.                     der Innenstadt das Problem? Grillen im
                                                                                                                      Aber wenn die Experten das
                                                                 Park? Insolvente Kaufhausketten? Das
                                                                                                                      so sehen …
                      Warum gibt es Stadtplanung? Warum          passiert aber nur selten. Stattdessen
                      wünschen wir uns eine integrierte          sagt ein Politiker „Das muss jetzt aber
                                                                                                              Meine These ist: Die dümmsten Fehler
                      Sichtweise auf die Stadt? Weil städ-       anders werden!“. Er nennt etwas „Miss-
                                                                                                              werden in dem komplexen Handlungs-
                      tische Herausforderungen immer mit         stand“, impliziert dessen Ursache nur
                                                                                                              feld Stadtentwicklung gar nicht als
                      komplexen, den sogenannten bösen           und schafft damit die Grundlage des
                                                                                                              solche erkannt. Weil man versäumt hat,
                      Problemen zu tun haben. Und die            gesamten nachfolgenden Verfahrens.
                                                                                                              über Werte und Wünsche zu reden, weil
                      lassen sich nicht so einfach lösen,               Dieser Fehler zieht sich dann
                                                                                                              Alternativen nicht zur Debatte standen,
                      wie sich das Politiker, Bürger und Me-     durch den gesamten Planungsprozess:
                                                                                                              weil man den Planer einfach planen
                      dienvertreter oftmals vorstellen. Für      Politik und Bürger diskutieren über
                                                                                                              ließ. Es werden Gebäude und Straßen
                      simple Probleme kann ein Ingenieur         das, was ihnen die Planer vorlegen
                                                                                                              gezeichnet, und dann diskutieren eben
                      kurzerhand eine technische Lösung         – zumeist mehr oder weniger fach-
                                                                                                              auch alle nur über Gebäude und Stra-
                      finden. Städtische Probleme sind           männisch aussehende Pläne –, anstatt
                                                                                                              ßen – anstatt über ein gutes Leben in
                      aber nicht simpel – und deshalb mit        über Dinge, die ihnen nicht gezeigt
                                                                                                              der Stadt.
                      technischen Lösungen nicht zu bewäl-       werden, die aber wichtiger wären, zum
                      tigen. Wer aus der Haustür tritt, etwas    Beispiel über grundlegende Werte und
                      Ungewohntes sieht und vorwurfsvoll        Ziele der Planung, oder über interes-         Stephan Willinger
                      sagt „Was haben die denn da schon          sante Lösungen aus anderen Städten.
                      wieder gemacht?“, der hat zwar einen       Man nennt das availability bias, eine        ist Projektleiter der Nationalen
                      Schuldigen gefunden, aber selten den      Verzerrung, verursacht durch die              Stadtentwicklungspolitik im Bundes­
                      wirklichen Verursacher der Situation      (schlechte) Verfügbarkeit von Infor-          institut für Bau-, Stadt- und Raum­
                      erkannt.                                   mationen. (Das Planungsrecht sieht           forschung (BBSR).
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