1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...

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1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Helmut Konrad
Petra Greeff

100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln

1900–1918
Die Zeit vor der Grenzziehung

Museum für
Geschichte
Universalmuseum
Joanneum

www.museumfuergeschichte.at
1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Impressum                                          Inhalt

100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln
1900–1918
                                                   Vorwort                       4
Die Zeit vor der Grenzziehung

Autor/in
Helmut Konrad
Petra Greeff
                                                   Helmut Konrad
Herausgeberin
                                                   Grenzen und Grenzziehungen    6
Bettina Habsburg-Lothringen,
Leiterin Museum für Geschichte

Lektorat
Jörg Eipper-Kaiser, Franziska Juritsch
                                                   Raum 1
Grafische Gestaltung
                                                   Die Grenze im Kopf           22
Leo Kreisel-Strauß

Druck
Medienfabrik Graz
                                                   Raum 2
Umschlagbild
Musterung, Laafeld, undatiert,
                                                   Die Menschen der Region      30
Foto: Sammlung Friedrich Gombocz

Graz 2018
                                                   Raum 3
                                                   Die reale Grenzziehung       36
1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Herzlich willkommen!

     Wir möchten als Museum für Geschichte und          geblieben oder zurückgekommen sind. Menschen,
     Teil eines großen Landesmuseums einen Betrag       die Position bezogen, Haltung gezeigt und so
     dazu leisten, die Geschichte der Steiermark ins    Geschichte im Rahmen wechselnder Möglichkeiten
     öffentliche Bewusstsein zu bringen. Auf der        mitverantwortet und aktiv mitgestaltet haben.
     Suche nach der Geschichte gehen Museums-
    verantwortliche in Depots. Wir gehen zudem          Dass diese Ausstellung zustande kommen konnte,
    dorthin, wo sich die Geschichte zugetragen hat      verdankt sich der Unterstützung zahlreicher
    – im Fall der dreiteiligen Ausstellung 100 Jahre    privater Sammlerinnen und Sammler aus dem
    Grenze in den Süden des Landes mit seiner           Gebiet zwischen Soboth und Bad Radkersburg.
    ­wechselhaften Entwicklung im 20. Jahrhundert.      Sie haben bereitwillig Einblick gegeben, waren
                                                        offen für Gespräche und fungierten als Leihgeber/
    Regionale Geschichte erschließt sich im Modus von   innen von Fotografien, Ansichtskarten und Doku-
    Zoom und Distanz: Die Steiermark ist keine Insel,   menten. Dies gilt auch für regionale Institutionen
    ihr Wandel war immer schon von über­regionalen      wie das Stadtarchiv Mureck oder die regionale
    und europäischen Ereignissen geprägt. So sind       Museumsszene, allen voran das Museum im alten
    es auch übergeordnete politische Vorgänge, die      Zeughaus in Bad Radkersburg, wo schon seit
    den Raum im letzten Jahrhundert wiederholt          Jahren konsequent eine Dokumentation und Ver-
    neu bestimmen. Diesen folgend, beginnt unsere       mittlung des 20. Jahrhunderts geleistet wird. Es
    Geschichte mit einer Grenze als Bruchlinie, die     ist die kontinuierliche Arbeit in der Region und die
    neue Besitzverhältnisse hervorbringt, Nerven-       ­Leidenschaft einzelner Akteurinnen und Akteure,
    stränge durchtrennt, Beziehungen beendet,            die eine „Sammlung Steiermark“ möglich macht!
    Ab­wanderung provoziert, Peripherie schafft,
    sprachlos macht. Und sie handelt von einer          Mein Dank gilt darüber hinaus Helmut Konrad – seit
    Region, die sich über die Jahrzehnte als Passage    Jahren dem Museum verbunden – für sein ehren-
    und Kontaktzone, als Brücke und Drehkreuz,          amtliches Engagement als Ausstellungskurator. Ihm
    schließlich als gefragte touristische Destination   sei an dieser Stelle noch einmal für die immer kon-
    behauptet. Konkret wird all das durch den Blick     struktive Zusammenarbeit sehr herzlich gedankt!
    auf die Menschen, die an und mit dieser Grenze
    gelebt und gearbeitet, den Alltag gemeistert
    und das Land (teilweise zu beiden Seiten der        Bettina Habsburg-Lothringen
    Grenze) bewirtschaftet haben. Menschen, die         Leiterin Museum für Geschichte

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1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Helmut Konrad
Grenzen und Grenzziehungen

Der Grenzbegriff ist nicht erst seit heute     Die Legitimierung von politischen ­Grenzen
vielschichtig. Es gibt Grenzen des guten       kann unterschiedlich erfolgen. Es gibt
Geschmacks, Grenzen der Zumutbar-              historisch gewachsene Zusammenhänge,
keit, Belastbarkeitsgrenzen und beinahe        die sich auch kulturell zumindest seit dem
­„grenzenlos“ zusätzliche Beispiele. Alle      Dreißigjährigen Krieg verfestigten. Daneben
 diese Grenzen sind verhandelbar, sind         gibt es geopolitische Argumente der „natür-
 gesellschaftliche Konventionen und daher      lichen“ Grenzen entlang von Bergkämmen
 nicht statisch zu sehen.                      oder Flüssen. Auch mit der Zusammen-
                                               gehörigkeit ökonomischer Landschaften
Im Prinzip gilt das auch für Staatsgrenzen.    kann argumentiert werden. Als besonders
Allerdings werden diese Grenzen politischer    schwierig sind ethnisch oder sprachlich
Entitäten, die sich in den Atlanten finden     begründete Grenzziehungen zu sehen, da
und deren Linien Schulkinder nachzeichnen,     sich in solchen Linien nur die Macht- und
allgemein als feststehend und unverrückbar     Durchsetzungsstrategien der jeweils öko-
empfunden. Diesseits und jenseits solcher      nomisch und ­politisch dominanten Gruppe
Grenzen gelten jeweils andere Regeln,          der vorangegangenen Epoche spiegeln.
gibt es meist andere Amtssprachen und          Setzte sich ­zwischen dem Dreißigjährigen
oft andere Währungen. „Senza confini“          Krieg und dem Wiener Kongress das dynas-
bemüht sich die Politik manchmal, Grenzen      tische Machtprinzip bei Grenzziehungen
symbolisch zumindest für Momente zum           durch, das sich für die Untertanen bis hin
Verschwinden zu bringen, aber in unseren       zur Durchsetzung der jeweils „richtigen“
Köpfen haben sich etwa die Grenzen der         Religion auswirkte, so folgten dann andere
Republik Österreich oder unseres jeweiligen    Modelle. Später, in der Zeit der „nationalen
Bundeslandes fest verankert.                   Flächenstaaten“, erzwangen die National-
                                               staaten moderner Prägung das Ausdehnen
Aber gerade politische Grenzen sind häu-       der Sprachgrenzen bis an die Landesgrenzen.
fig auch Resultate von (oft kriegerischen)     So wurde etwa Französisch ganz ­Frankreich
Aushandlungen, veränderbar, freiwillig wie     mit seinen zahlreichen Minoritäten als
die Trennung der Slowakei von der Tsche-       Amtssprache aufgezwungen. Ein großes
chischen Republik oder blutig wie im Zerfall   vielsprachiges Gebilde wie die Habsburger-
Jugoslawiens. Ihre Fixierung erfolgt meist     monarchie, wo keine Sprachgruppe mehr als
machtpolitisch und reißt damit emotionale      25 % der Bevölkerung umfasste, konnte hier
Wunden bei all jenen, deren Grenzvorstel-      nicht folgen.
lungen nicht mit den getroffenen Lösungen
übereinstimmen. Bis frisch gezogene Grenzen
allgemein akzeptiert werden, kann es lange
dauern.

                                               Rechts
                                               St. Pongratzen, Grenzstein,
                                               Foto: Elisabeth Arlt

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1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Die Grenze zwischen der Steiermark und          Dass die berühmten 14 Punkte Wilsons, des
Slowenien bzw. dem SHS-Staat oder               Präsidenten der Vereinigten Staaten von
­Jugoslawien wurde im 20. Jahrhundert           Amerika, das nationale Selbstbestimmungs-
 unter der Prämisse gezogen, dass die           recht nach den angeblich klar erkennbaren
 Abgrenzung k­ einer definierten Linie folgen   Scheidelinien der Nationen ankündigten,
 konnte. In einer dreiteiligen Ausstellung      stärkte die zweite Grenzziehungsgrundlage.
 wollen wir diesen Vorgang nachvollziehen.      Dazu kam, dass es vor allem galt, Sieger-
 Jedenfalls teilte die Grenze das alte Kron-    interessen sicherzustellen, denn Kriege
 land, und wirklich schlüssige Argumente für    werden schließlich geführt, um gesteckte
 den Grenzverlauf waren schwer zu finden.       Ziele zu erreichen. Strategische und macht-
                                                politische Fragen waren und sind letztlich
Das alte Kronland Steiermark hatte eine         die entscheidenden Faktoren, wenn es gilt,
deutlich größere Ausdehnung als das             „Sieger“ und „Verlierer“ auch auf der Land-
­heutige Bundesland. Es umfasste etwa           karte deutlich zu machen.
 6.200 km² mehr, sodass mit der neuen
 Grenzziehung als Resultat des Ersten
 ­Weltkrieges fast 28 % des alten Territori-
  ums an den neu gegründeten SHS-Staat
  im Süden fielen.

Für die Grenzziehungen in den Pariser Frie-
densverträgen gab es mehrere Parameter.
Da gab es einmal die sogenannten „histo-
rischen Grenzen“, womit die gewachsenen
Verwaltungseinheiten gemeint sind. Tat-
sächlich fühlte man sich als Bewohner des
Kronlandes die längste Zeit als „Steirer“,
unabhängig von der Sprache, die man zu
Hause verwendete. Das galt ohne Zweifel
bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts.
Dann aber gab es bei den Friedensver-
handlungen als zweite Grundlage die
Trennlinie nach der sogenannten „Nationa-
lität“, womit in der späten Monarchie die
­„Sprachnation“ gemeint war. Konsequent
 wurde daher in den Volkszählungen auch
 nach der „Umgangssprache“ gefragt und
 daraufhin national zugeordnet. Man war
                                                Rechts oben
 nun nicht einfach mehr „Steirer“, sondern      Männer nach der Musterung,
 Teil der deutsch- oder slowenischsprachigen    Foto: Wilfried Gombocz, Laafeld
 ­Menschengruppe der Monarchie.
                                                Rechts unten
                                                Weihnachtsbescherung in St. Lorenzen,
                                                Foto: Alpenländischer Kulturverband Südmark

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1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Die Grenze im Kopf                               Das deutschsprachige Bürgertum betrachtete
                                                 sich als Teil einer „deutschen Kulturnation“
Das Herzogtum Steiermark erlebte im Zeit-        und daher den slawischen Konkurrenten
raum zwischen 1848 und dem Ausbruch              gegenüber als kulturell überlegen. Es gab
des Ersten Weltkrieges eine Blütezeit. Die       ein deutschsprachiges Bildungsbürgertum,
Bevölkerung wuchs um 50 %, und die indus-        da man ja deutschsprachige Universitäten
trielle Revolution hatte vor allem aus der       hatte, daher kannten die Städte der Unter-
Obersteiermark eine blühende Region der          steiermark deutschsprachige Zeitungen und
Schwerindustrie gemacht. Aber auch in der        Zeitschriften, deutschsprachige Theater, ein
Untersteiermark entstand bei Trifail/Trbovlje    dominant deutschsprachiges öffentliches
ein großer Braunkohlebergbau mit einer           Leben. Die vornehmen Haushalte waren
Ansiedlung von zahlreichen Arbeitskräften.       deutschsprachig, die Dienstboten sprachen
Seit 1854 fuhr die Eisenbahn über den            zu Hause Slowenisch. Die Städte gaben
Semmering bis nach Laibach/Ljubljana, drei       sich deutsch und hoben sich vom ländlich-
Jahre später ging die Bahnverbindung schon       slowenischen Umland ab.
bis nach Triest/Trst/Trieste.                    Obwohl Graz die Hauptstadt eines zwei­
                                                 sprachigen Kronlandes war, mit einem Drittel
Auch Wissenschaft und Kultur blühten. Die        slowenischsprachiger Bevölkerung, und
Karl-Franzens-Universität Graz hatte Welt-       obwohl die Industrialisierung Tausende Men-
ruf, und 1874 wurde die Technische Hoch-         schen aus der Untersteiermark nach Graz
schule den Universitäten gleichgestellt.         zuziehen ließ, gaben bei der Volkszählung
Das Grazer Opernhaus wurde 1899 eröffnet         von 1880 nur 1,2 % der ­Grazerinnen und         Weinlese, Oberlatein, 1925. Foto: Herbert Blatnik, Kloepfermuseum Eibiswald
und ergänzte das Theaterleben, wobei das         Grazer an, Slowenisch als Muttersprache zu
Schauspielhaus schon über ein Jahrhundert        haben. 96 % deklarierten sich als Deutsche.     Schuhmacher Franz Krainer, Foto: Karl Wratschko, Gamlitz
länger existierte. Allerdings kann man bis       Es war der kulturelle Anpassungsdruck, das
heute an der Oper ablesen, dass mit diesem       aufgezwungene ­Minderwertigkeitsgefühl,
Bau ganz bewusst deutschnationale Symbo-         das es als Schande erscheinen ließ, der slo-
lik ins Grazer Stadtbild gesetzt worden ist.     wenischsprachigen Minderheit anzugehören.
Diese ökonomische und kulturelle Entwick-        Zumindest im Generationenwechsel wollte
lung wurde insgesamt bald von nationalen         man dann auch dazugehören. Graz sah sich
Gegensätzen zwischen der deutschsprachi-         als deutsches Bollwerk, deutschnational,
gen und der slowenischsprachigen Bevölke-        liberal-antiklerikal und fortschrittlich, mit
rung des Landes überlagert und behindert.        einem Blick, der stärker nach München als
Im Steiermärkischen Landtag, der seit 1861       nach Wien – dem österreichischen „Babylon“
bestand, hatte das „deutsche“ Bürgertum          – gerichtet war. Das Slowenische fand seine
eine stabile Mehrheit, sodass sich die etwa      Stütze nur in der katholischen Kirche.
400.000 „Slowenen“ dauerhaft in der Min-
derheitenrolle sahen. Ihre politische Zielset-   Es mutet heute erstaunlich an, wie sehr
zung, die mehrheitlich slowenischsprachi-        sich das deutschsprachige Bürgertum der
gen Bezirke zu vereinen und eine politische      Steiermark – besonders natürlich der Unter-
Entität „Slowenien“ anzustreben, wurde von       steiermark – als Kämpfer in einer nationalen
der deutschsprachigen Mehrheit als Angriff       Abwehrschlacht begreifen konnte, wo doch
auf die deutschen Sprachinseln in den Städ-      der Anpassungsdruck und die Hoffnung auf
ten der Untersteiermark interpretiert.           sozialen Aufstieg den Slowenen zwangsläu-

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1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
fig die schwächere Position zuwiesen. Und        war Muttersprache von mehr als einem
 ebenso erstaunt es, wie sehr es gerade die       ­Viertel der Bevölkerung. Daher wurde die
 Frauen waren, die diesen „deutschen Kultur-       „Sprachenfrage“ auch zum Überlebens­
 kampf“ mit beförderten, bis hin zu Künstle-       thema des Staates.
 rinnen, die sich letztlich als Dienerinnen in
 der großen Abwehrschlacht verstanden. Sie        Es gibt viele Möglichkeiten, Nationszuge­
 akzeptierten diese dem Mann untergeord-          hörigkeit zu definieren. Sprache ist nur
 nete Rolle ohne großes Hinterfragen.             eine davon. In der Besonderheit des Viel-
 In der Auseinandersetzung zwischen den           völkerstaates fiel ihr aber besondere
 Sprachgruppen ging es um jedes Schulkind,        Bedeutung zu, und entlang der natürlich
 um jede topografische Aufschrift, um jede        fiktiven Sprachgrenzen – zu sehr hatten
 Zeitung, um jedes Theaterstück. Gerade           die Mobilität und die soziale Schichtung,
 auf dem Feld der Symbolpolitik fanden die        die Arbeitsmigration und vieles mehr schon
 härtesten Auseinandersetzungen statt.            zur Verwischung beigetragen – vollzogen
 Daher kam es zur Gründung zahlreicher            sich Kämpfe, die neue Grenzlinien in den
 Vereine, Sängerbünde, Turner-, Radfahrer-,       Köpfen entstehen ließen. „Nation“ wurde zu
 Theatergruppen und weiterer Vereinigun-          „Sprachnation“, und Sprachzugehörigkeit
 gen, die alle Teile dieser Nationalisierungs-    wurde weitgehend nicht als voluntaristisch,
 welle waren und sich instrumentalisieren         also im Lebensverlauf wechselbar, sondern
 ­ließen. Selbst die Freiwilligen Feuerwehren     als naturgegeben, von den Müttern und von
  waren Teil dieser Auseinandersetzung.           den ersten Jahren in der Schule weitergege-    Postkarte Mureck, Murbrücke mit Schloß Obermureck, gelaufen 1941 von Mureck nach Weinburg,
  ­Denkmäler, Aussichtswarten, Straßennamen       ben, betrachtet. Daher war es wichtig, erst    Privatbesitz Walter Feldbacher, Weinburg
und mehr machen bis heute die Spuren              über die Mütter und dann über die Schulen
­dieses „Sprachenkampfes“ sichtbar. Und sie       auf die Jüngsten zuzugreifen. Die zentrale     Ohne Ort, mehrsprachiges Grenzschild, undatiert, Foto: Sammlung Kubinzky, Graz
 machen deutlich, dass es weniger um einen        Rolle von Schulvereinen erklärt sich aus
 „Abwehrkampf“, um eine Verteidigung der          diesem Umstand.
 angeblich gefährdeten deutschen Sprache
 und Kultur ging, sondern um Manifestatio-        Die „Grenze im Kopf“ wurde also schon
  nen eines kulturellen Überlegenheitsgefühls.    lange vor der Ziehung einer realen Grenze in
                                                  der Landschaft fixiert, als eine bewegliche
Die Welle des Nationalismus erfasste natür-       Grenze, die es einerseits zu verteidigen,
lich nicht nur die Steiermark. Sie ist das Erbe   anderseits aber, wie eine Frontlinie, auch
der Herausbildung von nationalen Bildungs-        nach „vorne“ zu verschieben galt. Dazu
eliten und der Furcht vor großen Wander-          wurden Argumente aus einem breiten Spek-
bewegungen. Hatten die großen Staaten             trum herangezogen, von der Besiedlungs-
Westeuropas, die man damals „nationale            geschichte bis zu überlieferten kulturellen
Flächenstaaten“ nannte, die Möglichkeit,          Traditionen. Überhöht wurde die Auseinan-
ihre inneren Sprachgrenzen machtpolitisch         dersetzung letztlich durch biologistische
zu überlagern und die Sprachgrenze mit der        Argumente, die Überlegenheit respektive
Staatsgrenze ident zu machen, so war dies         Unterlegenheit sozialdarwinistisch zu
in der Habsburgermonarchie nicht möglich,         begründen versuchten. Dies sollte im wei-
wo keine Sprache die Muttersprache einer          teren Verlauf des 20. Jahrhunderts noch
Mehrheit war. Dramatischer noch: Keine der        ­dramatische Überhöhungen erfahren.
in der Monarchie gesprochenen Sprachen

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1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Die Grenze als Ergebnis militärischer hin, waren aber auch in diese Richtung
und politischer Ereignisse            interpretationsoffen. Das galt vor allem für
                                                 den Begriff „Selbstbestimmungsrecht“, ein
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges zeig-        Recht, das nicht individuell an Personen,
ten die Nationalitäten der Monarchie ein         sondern an „Nationen“ gebunden sein sollte.
erstaunliches Ausmaß an Loyalität dem            Gleichzeitig wurde aber auch der Fortbe-
Gesamtstaat gegenüber. Eine Implosion            stand der Habsburgermonarchie in den 14
des Reichs blieb aus, und auch die slowe-        Punkten als wünschenswert angesprochen.
nischsprachigen Soldaten fügten sich in die      Ende März 1918 wurde in Laibach/Ljubljana
Armee ein und kämpften lange und mit gro-        im damaligen Kronland Krain eine Veranstal-
ßen Opfern an der Seite der habsburgischen       tung „für Jugoslawien“ abgehalten, und ein-
Soldaten aus allen Teilen der Monarchie.         zelne slowenische Truppenkörper begannen
                                                 zu meutern. Slowenische Politiker ­vollzogen
Dabei hatte in den ersten Kriegswochen,          die Abkehr von der Loyalität zur ­Monarchie
als die Kriegsbegeisterung große Teile der       und begannen südslawische Ziele zu ver-
steirischen Bevölkerung erfasst hatte –          folgen. Im August konstituierte sich in
was zumindest die veröffentlichten Quel-         ­Laibach/Ljubljana ein Volksrat für Slowenien
len ­besagen –, die slowenischsprachige           und Istrien, womit ein „Slowenien“ quer zu
Bevölkerung der Steiermark eine Welle des         den Kronlandgrenzen der Monarchie auf die
Misstrauens auszuhalten, ging der Krieg           Tagesordnung gesetzt war.
ja gegen einen südslawischen Staat. Meh-
rere Hundert Personen wurden Opfer einer         Für die Steiermark bedeuteten die letzten
­Verdächtigungskampagne, darunter Priester       Kriegsmonate, dass man einerseits davon
 und Politiker. Das sollte das Zusammen­         ausging, dass sich der deutschsprachige Teil
 leben nachhaltig belasten.                      nach dem Krieg im Deutschen Reich wieder-
                                                 finden würde, während man ­erwartete, dass
Obwohl die südslawische Bewegung, die            die Slowenen in einen neuen südslawischen
auf ein „Slowenien“ abzielte, eine rege Pro-     Staat eintreten würden. An ein „Österreich“
pagandatätigkeit entfaltete, blieben die         dachten und glaubten nur wenige, nur
meisten Bewohner der Untersteiermark in          in den jüdischen Gemeinden und einigen
den ersten Kriegsjahren sowohl kaisertreu        stramm kaisertreuen Zirkeln schien das eine
als auch „steirisch“. Das änderte sich erst im   anzustrebende Option. Sogar die revoluti-
letzten Kriegsjahr.                              onäre Arbeiterschaft hatte die nationalen
                                                 Optionen im Auge. Und in der Tat gründete
Der große Jännerstreik des Jahres 1918 und       sich am 29. Oktober, also noch im Krieg, der
der am 1. Februar folgende Matrosenauf-          „Staat der Serben, Kroaten und Slowenen“
stand von Cattaro zeigten, unabhängig von        (SHS). Und es gab keinen Zweifel – wenige
der Lage an den Fronten, dass die Habsbur-       Tage später war das ein Siegerstaat, also
germonarchie den inneren Zusammenhalt            auf der Seite derer, die ihre territorialen
zu verlieren begann. Die 14 Punkte des US-       Ansprüche wesentlich nachdrücklicher ver-
amerikanischen Präsidenten Wilson wiesen         treten konnten. Selbst eine weitere Sieger-
zwar noch nicht notwendigerweise auf eine        macht wie Italien, das sich große Hoffnun-      General-Karte von Steiermark,
Zerschlagung des multiethnischen Staates         gen auf eine Beherrschung der gesamten          R. Lechner, Wien nach 1900, Nicole-Melanie Goll, Graz

14                                                                                                                                                       15
1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Adria gemacht hatte, musste die Realität         Eine dramatische Zuspitzung sollte sich in
anerkennen, dass die Ansprüche des SHS-          Marburg/Maribor zutragen. Das war immer-
Staates bei der Friedenskonferenz Gewicht        hin die zweitgrößte Stadt des alten Kronlan-
hatten.                                          des, mit einem selbstbewussten deutsch-
                                                 sprachigen Bürgertum (insgesamt waren
Ab sofort ging es also in der südlichen          rund 80 % der Stadtbevölkerung deutsch-
­Steiermark darum, einen Grenzverlauf fest-      sprachig), umgeben von einem dominant
 zulegen, der in der Gemengelage der Region      slowenischsprachigen Umland. Rudolf
 zahlreiche Probleme aufwerfen musste und        ­Maister, k.u.k. Hauptmann und Komman-
 bei dem die Interessen einer Siegermacht         dant des Landsturm-Bezirkskommandos 26,
 weltpolitisch leichter artikuliert werden        besetzte die Stadt mit slowenischen Land-
 konnten. Es gab keine wirklich natürlichen       sturmeinheiten noch während des Krieges,
 Barrieren, keine großen Gebirgszüge. Selbst      am 1. November 1918. Er setzte den Bür-
 die Mur als Grenzfluss teilte schließlich        germeister und den Stadtrat ab und entließ
 Städte und gewachsene ökonomische                die deutschsprachigen Beamten. Da sich
 Landschaften. Zudem hatte man imposante          aber ein Widerstand deutschösterreichischer
 Brücken gebaut, die den Fluss überspann-         Verbände erfolgreich formierte, sollte am
 ten. Die Südbahnlinie durchschnitt die Land-     27. Jänner 1919 eine amerikanische Mission
 schaft und musste nach Kriegsende weiter         unter Colonel Sherman Miles die Situation
 Lebensmittel nach Norden und Industriepro-       vor Ort klären. Mit österreichischen und
 dukte nach Süden transportieren. Ein erst        deutschen Fahnen versammelten sich die
 1918 eröffnetes Großkraftwerk an der Mur         Gegner Maisters vor dem Rathaus. Schüsse         Porträt einer jungen Frau, Atelieraufnahme,              Weihnachtsbescherung in St. Lorenzen,
 bei Marburg/Maribor sollte die gesamtsteiri-     fielen, und die österreichische Seite hatte 13   Foto: Johann Klein, Radkersburg, Privatbesitz Wilfried   Foto: Alpenländischer Kulturverband Südmark, Graz
 sche Energieversorgung sicherstellen.            Tote und 60 Verwundete zu beklagen. Miles        Gombocz, Laafeld
                                                  fand die Stadt unter slowenischer Kontrolle
Wie immer man die Grenzlinie zog, stets           vor, die deutschösterreichische Position
hatten einige Grundbesitzer ihr Land auf          konnte nicht übermittelt werden. So fand
beiden Seiten dieser Linie. Man durchschnitt      der Wunsch nach einer Volksabstimmung
Schul- und Kirchensprengel. Dass in den           bei den Siegermächten kein Gehör.
südlichen Bezirken des alten Kronlandes die
volle polizeiliche Kontrolle dem SHS-Staat       Auch die Gemeinden Glanz, Leutschach
zugekommen war, klärte nicht die Position        und Schlossberg wurden vom SHS-Staat für
der autonomen Städte Marburg/­Maribor,           sich beansprucht. Der SHS-Staat hatte also
Pettau/Ptui und Cilli/Celje. Die Stadt           bei Beginn der Friedensverhandlungen in
­Radkersburg wurde am 1. Dezember 1918           Paris nicht nur Radkersburg, sondern auch
 von Truppen des SHS-Staates besetzt, und        Gemeinden entlang der späteren Weinstraße
 obwohl die Verwaltung formal österreichisch     unter seiner Kontrolle.
 blieb, war die Stadt bis 1920 praktisch nicht
 Teil der jungen Republik. Beide Seiten stimm-
 ten aber zu, dass das Ziehen der Grenzlinie
 den Pariser Friedensvertragsverhandlungen
 vorbehalten bleiben müsse. Es sollte kein
                                                 Rechts
 leichtes Unterfangen werden.                    Nach der Ernte,
                                                 Foto: Privatbesitz Josef Loibner, Großradl

16                                                                                                                                                                                                              17
1900-1918 Die Zeit vor der Grenzziehung - 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln Petra Greeff - Universalmuseum ...
Die österreichische Delegation, der auch der       Der kleine Grenzverkehr blieb aber aufrecht.
Radkersburger Vizebürgermeister Dr. Franz          Es ging um die Eisenbahn von Spielfeld
 Kamniker angehörte, musste am 2. Juni 1919        nach Radkersburg als Versorgungslinie für
 einen ersten Vertragsentwurf zur Kenntnis         die gesamte, nunmehr geteilte Region. Und
 nehmen, der nicht nur M ­ arburg/Maribor,         es ging um den Besitz landwirtschaftlicher
 sondern auch Radkersburg dem SHS-Staat            ­Flächen, etwa im Weinbau, durchschnitten
 zusprach. Die im August endgültig fixierte         von der neuen Grenze. Und insgesamt war
 Grenze ließ aber schließlich Radkersburg in        das Grenzgebiet auf beiden Seiten nun-
 großen Teilen bei Ö­ sterreich, folgte sie doch    mehr in einer Randlage, in der Bedeutung
 dem Lauf der Mur. Die Stadt war somit für          marginalisiert und daher in der Entwicklung
 den Verlauf des 20. Jahrhunderts geteilt,          gegenüber den Zentralräumen deutlich
 die Murbrücke bekam auf beiden Seiten              benachteiligt. Mitten durch das alte Kron-
 die ­charakteristischen Grenzposten. Auch          land lief nun eine Grenze, und das Leben
 Spielfeld, Leutschach und die Soboth wur-          an und mit der Grenze prägt in den hundert
den letztlich Österreich z­ ugesprochen. Die        Jahren seither das Leben der Menschen
Idee einer Volksabstimmung für Marburg/­            dieser Region.
Maribor, die anschließend mit der Hilfe der
italienischen Delegierten bei der Friedens-
konferenz ventiliert wurde, wurde aber
­wieder verworfen, da klar war, dass die Stadt
 für Österreich, das Umland für Slowenien
 stimmen würde. Das Problem der städti-
 schen Sprachinseln war ja eines, das auch
 die neue Tschechoslowakei betraf (etwa
 Iglau und Brünn), für das jedoch gegen den
 Willen der tschechoslowakischen Regierung
 keine zentraleuropäische Lösung gefunden
 werden konnte.

In mühevoller Kleinarbeit wurde der Grenz-
verlauf dort, wo er nicht durch den Fluss
vorgegeben war, vermessen und bestimmt.
Letztlich blieben auf beiden Seiten der
Grenze Minderheiten zurück, die in der Folge
                                                   Rechts
durch Abwanderung oder Anpassung sehr
                                                   Roserl Eichelberger, Ridi Knittelfelder, Ilse Tentschert
rasch schrumpften. Im SHS-Staat lebten zu          und Maria Amschl vor dem Laden von Andreas Knittel-
Beginn etwa 70.000 Menschen, die sich als          felder in Mureck, ca. 1935/1937,
deutschsprachig bezeichneten oder fühlten.         Foto: Augenringe Bild- und Tonarchiv, Mureck,
                                                   ­Sammlung Anneliese Pasda
Ein Teil davon machte sich bald auf den Weg
nach Norden über die Grenze, um hier eine
neue Existenz aufzubauen.                          → Nächste Doppelseite
                                                   Oberer Teil des 1919 demolierten Denkmals für
                                                   Kaiser Joseph II.,
                                                   Foto: MiaZ – Museum im alten Zeughaus,
                                                   Bad Radkersburg

18                                                                                                            19
20   21
Raum 1
Die Grenze im Kopf

In der zweiten Hälfte des 19. Jahr­   Unhinterfragt geht man davon
hunderts verdichtet sich die          aus, dass die „deutsche Kultur“
nationale Frage innerhalb der         überlegen ist.
Habsburgermonarchie zur Spra-
chenfrage: Das zweisprachige          Die slowenischsprachige Seite
Kronland Steiermark wird zum          ringt um ihr Selbstverständnis,
Schauplatz des Ringens um die         das sich schwieriger ­gestaltet:
„Sprachgrenze“.                       Diese Sprachgruppe ist auf
                                      ­mehrere Kronländer verteilt. Die
Diese Grenze ist nicht schlüssig       Grenzen im Kopf werden also
zu ziehen: Die Städte Marburg/         schon vor dem Ersten Weltkrieg
Maribor, Cilli/Celje oder Pettau/      ­gezogen.
Ptuj sind etwa „Sprachinseln“ mit
mehrheitlich ­deutschsprechender
Bevölkerung, während die meisten
Menschen im ländlichen Umfeld
Slowenisch sprechen.

 Die deutschsprachige Seite ver-
steht die Region als „Grenzfeste“:
Im Kampf um die Schulen, mit          Rechts oben
                                      Albumblatt, Gesang- und Musikverein Bad Radkersburg
topografischen ­Ausschilderungen,     [Dem ehrenfesten Deutschen Turnverein Radkersburg
im Theater und in Vereinen            zum 30. Gründungsfeste - 28. u[nd] 29. Juni 1914 –
                                      gewidmet vom Gesang- und Musikverein Radkersburg],
wird öffentlichkeitswirksam           Foto: MiaZ – Museum im alten Zeughaus, Bad Radkers-
                                      burg
der ­„deutsche“ Charakter der
­Untersteiermark verteidigt.          Rechts unten
                                      Postkarte Deutscher Sängerverein 1904, gelaufen 1917
                                      von Mureck nach Vorau, Privatbesitz Walter Feldbacher,
                                      Weinburg

22                                                                                             23
Einweihung der Ottokar Kernstockwarte am 28. Juli 1912
  Es gereicht mir zur außerordentlichen Freude, in ihrer Mitte
  ­erscheinen zu können, ich bedaure nur, daß mir eine so kurze Frist
   gewährt ist, in ihrem Kreise zu verweilen, allein ich will diese kurze
   Zeit nützen, um Sie auf das herzlichste zu begrüßen und Ihnen auf
   das beste zu danken; denn Sie haben ein Stüberl und eine Warte auf
   meinen Namen getauft, ich danke Ihnen für diese Ehrung. An diesem
   Dank füge ich aber auch einige Bitten: Wenn Sie droben auf der Kern-
   stockwarte stehen und ihre Augen hinuntersenken auf die Fluren, die
   unsere Väter durch Jahrhunderte bewohnt und bebaut haben, dann
   geloben Sie sich im stillen:

  Auf der heiligen deutschen Scholle,
  Deutsch soll sie bleiben, komme was wolle,
  Glück oder Leid,
  Deutsch soll sie bleiben in Ewigkeit!
  Und wenn dann Ihr Blick auf die Nachbarsfluren fällt, die slawische
  Hände bebauen, so lassen sie Ihr Herz nicht in Groll und Sorge
  überfließen sondern denken Sie: das deutsche Herz ist ein groß-
  mütiges Herz, der Deutsche will niemandem, keinem Volke seinen
  Besitz, seine Sprache, seine Eigenart rauben, der Deutsche will
  nur seinen Besitz, seine Sprache, seine Eigenart behaupten! Der
  ­Deutsche will sich nicht in fremde Nester einschleichen, aber er will
   im eigenen Nest der Herr des Hauses bleiben. Wenn Sie deshalb                     Oben links
   auf die wendischen Fluren Ihre Blicke wenden, so geloben Sie sich                 Erinnerungsblatt,
   mitzuwirken, soweit es in Ihrer Kraft steht, damit unter den benach-              Foto: Herbert Blatnik,
   barten ­Nationen Frieden wieder werde, die durch Jahrhunderte                     Kloepfermuseum Eibiswald
   in Frieden ­miteinander gelebt haben. Zwischen den benachbarten
   Nationen soll nur ein Wettstreit, kein Kampf herrschen, nämlich der               Oben rechts
   Wettstreit darin, wer es weiter bringt in der geistigen Kultur, in der            [Heil Südmark aus Eibis-
   Pflege des Guten, des Edlen und Schönen! Wenn Sie aber droben auf                 wald. Den Brüdern im
   der Sonnen­höhe der Kernstockwarte stehen oder wenn Sie nach alter
                                                                                     bedrohten Stand warm-
   deutscher Sitte feuchtfröhlich im Kernstockstüberl rasten, so bitte ich
                                                                                     fühlendes Herz – hilfreiche
   Sie: Gedenken Sie meiner, gedenken Sie des Sängers, der im fernen
   Osten der Steiermark mit den Vögeln des Waldes sein schlichtes deut-              Hand] Chromolithografie,
   sches Lied singt und seien Sie überzeugt, daß ich Ihrer stets in Liebe            Verein Südmark, unge-
   und Treue gedenken werde! Und ich fasse diese Liebe und Treue zu-                 laufen,
   sammen in den Ruf:                                                                Foto: Herbert Blatnik,
                                                                                     ­Kloepfermuseum Eibiswald
  Den Bewohnern der deutschen Sprachgrenze
  ­Steiermarks, ich bringe Ihnen ein recht kräftiges                                 Gruß aus Windischgraz,
                                                                                     Chromolithografie, Verlag
   deutsches Heil!                                                                   Karl Bastianschitz, Win-
                                 Ottokar Kernstock                                   dischgraz, mit Südmark-
                                                                                     Stempel [Einig und stark
                                                                                     – deutsch bis ins Mark],
                                                                                     undatiert, ungelaufen,
Transkribierte Rede des Dichters Ottokar Kernstock anlässlich der Einweihung der     Foto: Herbert Blatnik,
nach ihm benannten Warte und des „Ottokar-Kernstock-Stüberls“ am 28. Juli 1912       ­Kloepfermuseum Eibiswald
in Leutschach. Text im Privatbesitz, Anna Tscheppe, Leutschach (Orthografie unver-
ändert)                                                                              Unten
                                                                                     Schüler vor einem Test,
                                                                                     Foto: Julius Pinnitsch,
                                                                                     Leutschach

24                                                                                                                 25
Postkarte Sparkasse
     Mureck, um 1930, gelaufen
     1959 von Mureck nach         Postkarte Mureck,
     Gasen bei Birkfeld,          ­ungelaufen,
     Privatbesitz Walter         Privatbesitz Walter
     ­Feldbacher, Weinburg       ­Feldbacher, Weinburg

     Deutsche Schule in          Deutsche Schule in
     Laško/Tüffer,               ­Ljutomer/Luttenberg,
     Foto: Alpenländischer        Foto: Alpenländischer
     Kulturverband Südmark,       Kulturverband Südmark,
     Graz                         Graz

                                 → Nächste Doppelseite
                                 Getreideernte, undatiert,
                                 Foto: Privatbesitz E
                                                    ­ lisabeth u. Sepp ­Weinhandl,
                                 St. Anna am Aigen

26                                                                                   27
28   29
Raum 2
Die Menschen der Region

Wenn neue Grenzen durch alte
Kulturlandschaften gezogen
werden, bleibt im Alltag vieles
unverändert: Landwirtschaft
und Gewerbe ebenso wie Feste,
­Rituale, Speisen und Getränke.    Porträt von Josef Narat anlässlich des Interviews mit
                                   Elisabeth Arlt am 11.09.2017, Foto: Elisabeth Arlt,
                                   Glanz
Regionale Lebens- und Arbeits-
                                   Josef Narat wurde 1926 in Glanz an der Weinstraße
weisen widerspiegeln sich auch     geboren. 1944 wurde er zum Dienst an der Front ein-
                                   berufen, wo er in amerikanische Gefangenschaft kam.
in den Gesichtern der Menschen.    Er gilt als einer der Pioniere im steirischen Weinbau,
Porträtfotos lassen aber keine     so stellte er als einer der Ersten mit einem Kleinlaster
                                   seinen Wein in der gesamten Steiermark zu. Auch die
staatliche Zuordnung zu. Unter-    touristische Erschließung der südsteirischen Wein-         [Hoch Mureck!!! Hoch Micholjac!!! Živela Hrvatska!!! An dieser jugoslawischen Grenze stehen jetzt viele fesche
                                   straße geht auf seine Initiative zurück. Er hat vier
schiede waren damals vor allem     Töchter, von denen eine mit ihrem Mann den elterlichen
                                                                                              ­Kroaten] Chromolithografie, gelaufen 1921 von Radkersburg nach Köflach, Privatbesitz Walter F
                                                                                                                                                                                           ­ eldbacher, Weinburg

sprachlich festzumachen, doch      Weinbaubetrieb übernahm. (Text: Elisabeth Arlt)

Sprache ist auf den Fotos nicht
hörbar.

Seit der tatsächlichen Grenz­
ziehung sind rund 100 Jahre
­vergangen, vereinzelt gibt es
 Erinnerungen an ihren Ablauf in
 Tondokumenten.

Unser Hörbeispiel vermittelt
das Provisorische in der Umset-
zung der Grenzfestlegung, die
­anfängliche Durchlässigkeit
 und das langsame Wachsen der                                   Rechts
                                                                Gruppenbild, undatiert,
 ­Differenzen.                                                  Foto: Sammlung Wilfried
                                                                Gombocz, Laafeld

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Bauer mit Ochsengespann, Foto: Privat­besitz Julius Pinnitsch, L­ eutschach   Bei der Hopfenernte, Foto: Privatbesitz Julius P
                                                                                                                             ­ innitsch, Leutschach

Mittagsrast, Foto: Privatbesitz Lukas Sekolovnik, Pölfing-Brunn                                             Bei der Hopfenernte, Foto: Privatbesitz Julius ­Pinnitsch, Leutschach

                                                                              → Nächste Doppelseite
                                                                              [Text im Album: „Interalli-
                                                                              ierte Räumungs-Kommis-
                                                                              sion vor dem Gebäude der
                                                                              Bezirkshauptmannschaft
                                                                              /: Vorsteher der hiesigen
                                                                              B.H. Dr. Matthias, Bür-
                                                                              germeister Oswald von
                                                                              Kodolitsch:/“]
                                                                              Foto: MiaZ – Museum
                                                                              im alten Zeughaus, Bad
                                                                              Radkersburg

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34   35
Raum 3
Die reale Grenzziehung

Dem Ersten Weltkrieg folgt die       Der Friedensvertrag von Saint
Implosion des Habsburgerreichs.      Germain gibt die Grenzlinie grob
Auf dem Gebiet der Monarchie         vor. Die Festlegung des genauen
entstehen neue Staaten, teil-        Grenzverlaufs und die Regelun-
weise im Zusammenschluss mit         gen des „kleinen Grenzverkehrs“
benachbarten Ländern, mit Bezug      nehmen aber noch einige Zeit in
zu ­historischen Grenzen oder mit    Anspruch.
dem Verweis auf (sprach)natio-
nale Zugehörigkeiten.

Die Grenze zwischen dem
neuen SHS-Staat (dem ­späteren
­Jugoslawien) und der R­ epublik
 (Deutsch-)Österreich musste
 jedenfalls durch die alte Steier­
 mark verlaufen, die konkrete
 Grenzlinie aber erst begründet
 werden: Das geschah teilweise
                                                      Rechts oben
 mit Gewalt wie am „­ Marburger                       [Text im Album: Abgren-
 Blutsonntag“, aber auch mit                          zungskommission in
                                                      Abstal 25.8.1920] Foto:
 Argumenten wie den vermeint-                         MiaZ – Museum im alten
                                                      Zeughaus, Bad Radkers-
 lichen Sprachgrenzen oder der                        burg
 naturräumlichen ­Trennlinie, der
 Mur.                                                 Rechts unten
                                                      [Text im Album:
                                                      „Abmarsch der jugosla-
                                                      wischen Besatzung über
                                                      den Stadtgraben.“] Foto:
                                                      MiaZ – Museum im alten
                                                      Zeughaus, Bad Radkers-
                                                      burg

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Gasthaus Koroschetz nach Grenzziehung, Foto: MiaZ – Museum im alten Zeughaus, Bad Radkersburg

                                                                                                   Grossradl, Grenzstein, undatiert, Foto: Josef Loibner,   Laaken, Grenzstein mit Aufschrift „St. Germain“,
                                                                                                   Grossradl                                                Foto: Lukas Sekelovnik, Laaken

                                                                                                   [Text im Album: „Besuch
                                                                                                   von Vertretern der öster-
                                                                                                   reichischen Regierung im
                                                                                                   befreiten Radkersburg am
                                                                                                   29.7.1920:
                                                                                                   1 Staatssekretär Dr. Karl
                                                                                                   Renner, Staatskanzler
                                                                                                   2 Staatssekretär f[ür]
                                                                                                   Inneres u[nd] Unterricht
                                                                                                   Walter Breisky
                                                                                                   3 Staatssekretär f[ür]
                                                                                                   Heerwesen Dr. Julius
                                                                                                   Deutsch
                                                                                                   4 Bürgermeister Oswald
                                                                                                   Edler von Kodolitsch.“]
                                                                                                   Foto: MiaZ – Museum
[Text im Album: „Die Deutsch-Österreichische Gendarmerie und Finanz beziehen die erste Wache bei   im alten Zeughaus, Bad
der Murbrücke.“], Foto: MiaZ – Museum im alten Zeughaus, Bad Radkersburg                           Radkersburg

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Sammlung Wilfried Gombocz, Laafeld

Sammlung Wilfried Gombocz, Laafeld   Rechts unten
                                     Mureck aus der Vogel-
                                     perspektive, Chromoli-
                                     thografie, gelaufen 1913
                                     von Spielfeld nach Graz,
                                     Privatbesitz Walter Feld-
                                     bacher, Weinburg

                                     → Nächste Doppelseite
                                     [Text im Album: „Fest-
                                     zug“.]
                                     Foto: MiaZ – Museum
                                     im alten Zeughaus, Bad
                                     Radkersburg

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Sie können auch lesen