2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung

Die Seite wird erstellt Franziska Brüggemann
 
WEITER LESEN
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
mitteilungen 2
          fachjournal der physikalisch-technischen bundesanstalt   2012

PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
mitteilungen
               fachjournal der physikalisch-technischen bundesanstalt

Fachorgan für Wirtschaft und Wissenschaft
Amts- und Mitteilungsblatt der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
Braunschweig und Berlin

Vorabdruck aus: 122. Jahrgang, Heft 2, Juni 2012

Inhalt

  PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung

     Chronologie 1887–2012                                                                 6–61

     •• Ernst O. Göbel: Vorwort                                                               3

     •• Wolfgang Buck: Die Intention                                                          4

     •• Helmut Rechenberg: Helmholtz und die Gründerjahre                                     8

     •• Jörg Hollandt: Der Schwarze Körper und die Quantisierung der Welt                    12

     •• Robert Wynands: Das Kuratorium                                                       16

     •• Wolfgang Buck: Neue Physik und neue Struktur                                         20

     •• Dieter Hoffmann: Der Fall Einstein                                                   22

     •• Wolfgang Buck: Die „Verschmelzung“ von RMG und PTR                                   26

     •• Dieter Hoffmann: Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt im Dritten Reich          30

     •• Dieter Hoffmann: PTR, PTA und DAMG: die Nachkriegszeit                               34

     •• Peter Ulbig, Roman Schwartz: Das gesetzliche Messwesen und die OIML                  38

     •• Wolfgang Schmid: Europäische Metrologie                                              46

     •• Dieter Kind: Die Wiedervereinigung der Metrologie in Deutschland                     50

     •• Roman Schwartz, Harald Bosse: Die PTB − metrologischer Dienstleister und Partner
       für Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft					56

     •• Ernst O. Göbel, Jens Simon: Die PTB im 21. Jahrhundert                               62

     Autoren                                                                                 66
     Bildnachweise                                                                           67
     Literatur                                                                               68
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
Titelbild:

Hermann von Helmholtz setzt sich persönlich
zusammen mit Werner von Siemens und anderen
für die Gründung der PTR ein und wird von 1888
bis 1894 ihr erster Präsident.

Impressum
Die PTB-Mitteilungen sind metrologisches Fachjournal und amtliches
Mitteilungsblatt der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, Braunschweig
und Berlin. Als Fachjournal veröffentlichen die PTB-Mitteilungen wissen-
schaftliche Fachaufsätze zu metrologischen Themen aus den Arbeitsgebieten
der PTB. Als amtliches Mitteilungsblatt steht die Zeitschrift in einer langen
Tradition, die bis zu den Anfängen der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
(gegründet 1887) zurückreicht. Die PTB-Mitteilungen veröffentlichen in ihrer
Rubrik „Amtliche Bekanntmachungen” unter anderem die aktuellen Geräte-
Prüfungen und -Zulassungen aus den Gebieten des Eich-, Prüfstellen- und
Gesundheitswesens, des Strahlenschutzes und der Sicherheitstechnik.

Verlag                                              Anzeigenservice
Wirtschaftsverlag NW                                Karin Drewes
Verlag für neue Wissenschaft GmbH                   Telefon: (04 71) 9 45 44-21
Bürgermeister-Smidt-Str. 74–76,                     Telefax: (04 71) 9 45 44-77
27568 Bremerhaven                                   E-Mail: info@nw-verlag.de
Postfach 10 11 10, 27511 Bremerhaven
Internet: www.nw-verlag.de                          Erscheinungsweise und Bezugspreise
E-Mail: info@nw-verlag.de                           Die PTB-Mitteilungen erscheinen viermal jährlich.
                                                    Das Jahresabonnement kostet 55,00 Euro, das
Herausgeber                                         Einzelheft 16 Euro, jeweils zzgl. Versandkosten.
Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB),        Bezug über den Buchhandel oder den Verlag.
Braunschweig und Berlin                             Abbestellungen müssen spätestens drei Monate
Postanschrift:                                      vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich beim
Postfach 33 45, 38023 Braunschweig                  Verlag erfolgen.
Lieferanschrift:
Bundesallee 100, 38116 Braunschweig                 © Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissen-
                                                    schaft GmbH, Bremerhaven, 2012
Redaktion/Layout
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, PTB              Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift
Dr. Dr. Jens Simon (verantwortlich)                 darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages
Dr. Wolfgang Buck                                   vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses
Imke Frischmuth                                     Verbot fällt insbesondere die gewerbliche Verviel-
Gisela Link                                         fältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische
Telefon: (05 31) 592-82 02                          Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM
Telefax: (05 31) 592-30 08                          und in allen anderen elektronischen Datenträgern.
E-Mail: gisela.link@ptb.de

Leser- und Abonnement-Service
Marina Kornahrens                                                 Printed in Germany ISSN 0030-834X
Telefon: (04 71) 9 45 44-61
Telefax: (04 71) 9 45 44-88
E-Mail: vertrieb@nw-verlag.de
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
PTR/PTB: 125 JAHRE METROLOGISCHE FORSCHUNG

Vorwort

Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR)          Die Übernahme der Regierungsgewalt durch die
und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt         Nationalsozialisten im Jahre 1933 bedeutete das
(PTB) haben stets die Vollendung eines Viertel-       Ende der Blütezeit der PTR, und am Ende des
jahrhunderts als Jubiläumsjahr aufgefasst und ent-    2. Weltkrieges war die PTR faktisch zerschlagen
sprechend gewürdigt. So soll es auch mit dem jetzt    und über alle Lande außerhalb Berlins zerstreut.
bevorstehenden 125. Geburtstag der PTR/PTB            Dem ungebrochenen Idealismus mehrerer ehe-
sein, und das vorliegende Heft der PTB-Mitteilun-     maliger Mitarbeiter der PTR, dem selbstlosen
gen leistet dazu einen Beitrag. Von den angespro-     Einsatz einiger Wissenschaftler außerhalb der PTR
chenen Jubiläen ist es ein besonderes. Erstmals       – hier muss an erster Stelle Max von Laue genannt
nach Ende des 2. Weltkrieges kann sich die PTB        werden – und der wohlwollenden Unterstützung
wieder vollständig vereint präsentieren: zwar an      der britischen Militärregierung ist es zu verdan-
zwei Standorten in Braunschweig und Berlin, aber      ken, dass Teile der alten Reichsanstalt schon 1947
nach innen und außen als Einheit, dem hoheitli-       in Braunschweig ihre Arbeit wieder aufnehmen
chen Auftrag verpflichtet, durch eigene Forschung     konnten, wenn auch unter schwierigsten Bedin-
und Entwicklung und darauf aufbauende Dienst-         gungen. Noch vor Gründung der Bundesrepublik
leistungen für die Einheitlichkeit des Messwesens     Deutschland 1949 entstand daraus zunächst die
in Deutschland und dessen stete Weiterentwick-        Physikalisch-Technische Anstalt des Vereinigten
lung verantwortlich zu sorgen.                        Wirtschaftsgebiets (PTA), die 1950 schließlich die
   Die PTB heute versteht sich somit durchaus         Bezeichnung Physikalisch-Technische Bundesan-
noch im Geiste der Gründungsväter der PTR,            stalt erhielt.
Werner von Siemens und Hermann von Helm-                 Weitere Meilensteine hin zur heutigen PTB,
holtz, auf deren hartnäckiges Betreiben und           über die in diesem Heft auch auszugsweise berich-
unterstützt durch hochrangige Vertreter aus           tet wird, waren 1953 die Vereinigung der PTB mit
Politik, Wissenschaft und Wirtschaft der Deutsche     der in Berlin wieder erstandenen Rest-PTR und
Reichstag am 28. März 1887 erstmals einen Jahres-     deren Eingliederung in die PTB als Institut Berlin,
etat für die Physikalisch-Technische Reichsanstalt    die in der Folge der Wiedervereinigung Deutsch-
beschloss. Damit war der Grundstock gelegt für        lands 1989 vollzogene Übernahme des Standor-
die erste deutsche Großforschungseinrichtung mit      tes des aufgelösten Amtes für Standardisierung,
beeindruckender Erfolgsgeschichte im ausgehen-        Messwesen und Warenprüfung (ASMW) der
den 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die       ehemaligen DDR in Berlin-Friedrichshagen und
Blütezeit der Reichsanstalt in den ersten Jahrzehn-   schließlich 10 Jahre später die Konsolidierung
ten ist mit den Namen bedeutender Wissenschaft-       auf die beiden Standorte in Braunschweig und
ler als Mitarbeiter der PTR und aktiver Mitglieder    Berlin-Charlottenburg.
des Kuratoriums verknüpft, wie z. B. Wilhelm             Im Ergebnis ist die PTB nach dieser wechselvol-
(Willy) Wien, Friedrich Kohlrausch, Walter            len Geschichte heute 125 Jahre jung, ein hochge-
Nernst, Emil Warburg, Walter Bothe, Albert Ein-       achtetes Mitglied der internationalen Metrologie
stein und Max Planck, um nur einige zu nennen.        und optimal vorbereitet auf die Herausforderun-
Mit der Eingliederung der Reichsanstalt für Maß       gen der nächsten Jahre. Wenn die Rahmenbedin-
und Gewicht im Jahre 1923 besaß die PTR dann          gungen es erlauben, werden die guten Wünsche,
ein Aufgabenprofil, wie es auch für die heutige       die man einem Jubilar zu solchen Anlässen aus-
PTB noch besteht.                                     spricht – davon bin überzeugt – sich auch erfüllen.

Prof. Dr. Ernst O. Göbel
Präsident der PTB von 1995 bis 2011

                                                                                                            3
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
   PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung                                              PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2

                      Die Intention
Wolfgang Buck         Um eine Einrichtung auf den Weg zu bringen,
                      deren Umfang und Bedeutung, über die 125 Jahre
                      ihrer Geschichte gemittelt, stets zugenommen
                      hat, bedarf es vieler fähiger Köpfe und günstiger
                      Rahmenbedingungen. Damit in kritischen Zeiten
                      die Entwicklung aber nicht abbricht, braucht es
                      Persönlichkeiten, die von ihrer Mission selbst
                      überzeugt sind und die andere dafür begeistern
                      können. Davon genügen manchmal wenige, aber
                      man benötigt sie genau dann, wenn die Umstände
                      es erfordern.
                         Die Geburt einer Institution ist – wie sonst
                      auch – bereits solch eine kritische Phase. Ist die
                      Entstehung der deutschen Metrologie für Länge
                      und Gewicht nicht ohne den Berliner Astrono-
                      men Wilhelm Foerster zu denken, so gäbe es die
                      Physikalisch-Technische Reichsanstalt nicht ohne
                      den Naturforscher und Unternehmer Werner von
                      Siemens. Er lieferte mit seinen Denkschriften die
                      auch für die Politik einsichtige Begründung für
                      deren dringende Notwendigkeit, die andere wie
                      Hermann von Helmholtz inhaltlich ausgefüllt
                      haben. Er offerierte dem Deutschen Reich sein pri-
                      vates Gelände und aus einer Erbschaft die teilweise
                      Finanzierung der Baukosten, als die Politik sich in   Zeitalters der Naturwissenschaften weiterarbeiten,
                      ihren diversen Zuständigkeiten verfangen hatte.       in der sicheren Zuversicht, dass es die Menschheit
                      Und er hatte eine Vision davon, was Deutschland       moralischen und materiellen Zuständen zuführen
                      brauchte, um zu den prosperierenden Industriena-      werde, die besser sind, als sie je waren und heute
                      tionen England und Frankreich aufzuschließen.         noch sind.“
                         Werner Siemens – Anfang der Achtzigerjahre            Werner Siemens ist nicht nur als Forscher und
                      des 19. Jahrhunderts noch nicht geadelt – ist tief    Erfinder von den Naturwissenschaften überzeugt,
                      beeindruckt von den Fortschritten der Natur-          als Industrieller will er die gewonnenen Erkennt-
                      wissenschaft. „Die naturwissenschaftliche For-        nisse auch technisch umsetzen und kommerziell
                      schung bildet immer den sicheren Boden des            verwerten – zum Wohle der aufstrebenden Indus-
                      technischen Fortschritts, und die Industrie eines     trie- und Exportnation Deutschland. Dazu benötigt
                      Landes wird niemals eine internationale leitende      er in der „vorwettbewerblichen“ Phase, wenn „die
                      Stellung erwerben und sich erhalten können,           Bearbeitung privatwirtschaftlich nicht rentabel ist,
                      wenn dasselbe nicht gleichzeitig an der Spitze        indem sie bei großen Schwierigkeiten und Kosten
                      des naturwissenschaftlichen Fortschritts steht“,      keinerlei unmittelbaren finanziellen Erfolg und
                      schreibt er in seinem Votum vom April 1883, das       keinerlei unmittelbare Steigerung der Leistungsfä-
                      der Denkschrift zur „Begründung eines Instituts       higkeit in Aussicht stellt“, die Unterstützung einer
                      für die experimentelle Förderung der exakten          staatlichen wissenschaftlich-technischen Einrich-
                      Naturforschung und der Präzisionstechnik“ an die      tung – so ebenfalls dargelegt in der Denkschrift
                      preußische Regierung vom 16. Juni dieses Jahres       von 1883. Für ihn und andere Unternehmer der in
                      angehängt ist. Sein Glaube an die Wirksamkeit der     Deutschland schnell wachsenden Elektroindustrie
                      Naturforschung geht noch weiter, als dass sie nur     sind „fundamentale elektrische Maasbestimmun-
                      Basis für den technischen Fortschritt wäre. Der       gen dringend erforderlich“, etwas, wofür die für
                      Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte         die Metrologie zuständige Kaiserliche Normal-
                      bekennt er 1886 in einem Vortrag seinen Idealis-      eichungs-Kommission nicht eingerichtet ist.
Bild oben:            mus, dass „das immer tiefer die ganze menschliche        In einer weiteren Denkschrift vom 20. März
Werner von Siemens,   Gesellschaft durchdringende Licht der Wissen-         1884, in der er schließlich dem Kaiser seinen
1887; Zeichnung von
                      schaften den erniedrigenden Aberglauben und den       „Beitrag von ca. ½ Million Mark“ anbietet, weil
Ismael Gentz
                      zerstörenden Fanatismus, diese größten Feinde         sein Plan der Gründung der PTR „auf diesem
Bild rechts:          der Menschheit, in wirksamer Weise bekämpft, so       Wege (Anm.: begrenzt auf Preußen) nicht in dem
Initialen der PTR     können wir mit stolzer Freude an dem Aufbau des       (notwendigen) Umfange durchgeführt werden

4
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2                                                                             Die Intention 

könne“, führt er schließlich nationale Argumente      Die Intention dieses Heftes
an, für die der Adressat empfänglich ist: „Dem
Reiche würden aus einer naturwissenschaftlichen       Auch dieses Heft der PTB-Mitteilungen verfolgt eine Intention, nämlich
Arbeitsstätte, wie sie geplant ist, sowohl materi-    die in den vergangenen 125 Jahren der Geschichte und noch heute wirk-
elle wie ideelle Vortheile von großem Gewichte        samen Siemens’schen Absichten hinter den dargestellten Fakten durch-
erwachsen. Bei dem jetzt so lebhaft geführten         scheinen zu lassen. Es sollte keine weitere Geschichte von PTR und PTB
Konkurrenzkampfe der Völker hat das Land ein          geschrieben werden, weil dazu bereits eine Reihe von Monografien von
entschiedenes Übergewicht, welches neue Bahnen        kompetenten Autoren erschienen ist, die zur Lektüre wärmstens emp-
zuerst betritt und die auf dieselben zu gründen-      fohlen wird (siehe S. 68).
den Industriezweige zuerst ausbildet. Fast ohne         Im Vordergrund werden Ereignisse und Ergebnisse längs der Zeit-
Ausnahme sind es naturwissenschaftliche Entde-        achse aufgereiht dargestellt, um dem Leser ein Gefühl der Turbulenz
ckungen, oft sehr unscheinbarer Art, welche solche    oder der Stagnation mancher Epochen zu vermitteln. Angereichert wird
neuen Bahnen eröffnen und wichtige Industrie-         diese Aufzählung durch biografische Notizen der handelnden Personen,
zweige neu erschaffen oder beleben. … Darum           weil – wie überall – Institutionen von den sie tragenden und gestal-
darf der wissenschaftliche Fortschritt nicht von      tenden Individuen leben. Alle diese Informationen sind der Lesbarkeit
materiellen Interessen abhängig gemacht werden.“      wegen sehr knapp gehalten, um die Leser zu eigenständigem Literatur-
   Die Intention von Werner Siemens und seinen        studium zu animieren. Verfasst wurden diese „Textschnipsel“ von vielen
Mitstreitern zielt auf eine staatlich finanzierte     Kollegen aus allen Bereichen der PTB, denen ich an dieser Stelle herzlich
außeruniversitäre Großforschungseinrichtung           für ihre Unterstützung danken möchte.
– die erste ihrer Art in Deutschland, die sowohl        Der Erläuterung einzelner besonders gewichtiger Schritte und Ent-
der von materiellen Interessen freien Grundlagen-     wicklungen sind Doppelseiten gewidmet, die den Fortgang der Zeitachse
forschung verpflichtet ist als auch die Industrie     unterbrechen. Hier haben Kollegen aus der Wissenschaftsgeschichte und
bei aktuellen Problemen u. a. mit „Maasbestim-        aus wichtigen Aufgabenbereichen der PTB – auch ihnen sei herzlich
mungen“ und Prüfungen unterstützt. So tritt           gedankt – Hintergründe und Entwicklungslinien dargestellt und ana-
die Physikalisch-Technische Reichsanstalt am          lysiert. Das beginnt mit der Persönlichkeit des ersten Präsidenten und
28. März 1887 mit der Verabschiedung des Etats        „Reichskanzlers der Wissenschaft“ Hermann von Helmholtz, gefolgt
1887/1888 des Reichsamts des Inneren ins Leben,       von einem Bericht über den spektakulärsten Erfolg der Experimentier-
der Grundintention entsprechend gegliedert in         kunst der PTR: die präzise Bestimmung des Spektrums der Strahlung
eine Physikalische und eine Technische Abteilung.     des Schwarzen Körpers. Sie hat Max Planck zu seiner Strahlungsformel
„Der Gedanke schien gut zu sein, denn heute gibt      und damit zur Quantentheorie geführt. Anlass war der Bedarf eines
es viele außeruniversitäre Forschungseinrich-         präziseren Lichtstärkenormals zur Entscheidung für die wirtschaftlichere
tungen“, so Bundeskanzlerin Merkel 2007 aner-         Energie für die Berliner Straßenbeleuchtung: Elektrizität oder Gas.
kennend, von denen sich 2001 eine ganze Reihe           Das Kuratorium, damals wie heute besetzt mit wichtigen Vertretern
unter dem Namen des Mitinitiators und ersten          aus Wissenschaft und Wirtschaft, ist von Anfang an ein prägendes
Präsidenten der PTR, Hermann von Helmholtz,           Element für die Kursbestimmung der Anstalt und die Vertretung ihrer
zusammengeschlossen haben. Die PTR mit ihrem          Anliegen gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Präsident Warburg setzte
Aufgabenspektrum und in ihrer Folge die PTB           die PTR durch die Hinwendung zur Neuen Physik, durch neue Geld-
sind allerdings einmalig geblieben und ihr Auftrag,   quellen und durch eine neue Abteilungsstruktur noch vor dem Ersten
zwar vielfach erweitert und präzisiert, aber immer    Weltkrieg auf eine bis heute tragende Zukunftsschiene. Unter Präsident
orientiert an der Siemens’schen Vision, ist heute     Nernst konnte die klassische Metrologie von Maß und Gewicht einge-
im Grundgesetz verankert.                             gliedert werden. Die Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkriegs
                                                      waren gekennzeichnet durch einen allgemeinen Niedergang der Wissen-
                                                      schaft in Deutschland, dem sich auch die PTR nicht entziehen konnte.
                                                        Die Stunde Null danach erzwang – ebenfalls durch die politische
                                                      Situation – eine getrennte Entwicklung in beiden deutschen Nach-
                                                      kriegsstaaten. Das Engagement beider Systeme u. a. beim gesetzlichen
                                                      Messwesen brachte auf dem Umweg über internationale Organisationen
                                                      wie die OIML erste Kontakte zustande. Die deutsche Wiedervereinigung
                                                      ermöglichte die gemeinsame Neuausrichtung der Metrologie auf die
                                                      Zukunft, was besonders am Berliner Standort im Osten wie im Westen
                                                      Konsequenzen hatte. Die Antwort der nationalen Metrologieinstitute auf
                                                      die zunehmende Integration Europas hat der PTB viele Chancen, aber
                                                      auch neue Verantwortung beschert. Auch innerhalb Deutschlands ist
                                                      die aktuelle Bedeutung der Metrologie und der PTB als wissenschaftsba-
                                                      sierte Dienstleisterin gewachsen und in mittlerweile zwei Evaluationen
                                                      glänzend bestätigt. Das Heft endet mit einer Bestandsaufnahme und der
                                                      sich heute bietenden Vision für die nächsten Dekaden. Diese zeigen,
                                                      dass die 125-jährige Intention von Werner von Siemens die Zukunft
                                                      auch heute noch kraftvoll gestalten hilft. 

                                                                                                                             5
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
   PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung                                                     PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2

1872 – Schellbach-Denkschrift                                        1883 – Denkschrift für ein preußisches physikalisch-
                                                                     mechanisches Institut
Die nach dem Mathematiker Karl-Heinrich Schellbach
benannte Denkschrift vom 30. Juli „Über die Gründung                 Nach langen politischen Diskussionen setzen Helmuth
eines Museums für exakte Wissenschaften“ gilt als das erste          von Moltke und der preußische Kultusminister Gustav von
Dokument, das die Errichtung einer staatlichen Einrichtung           Gosler eine neue Kommission ein, die in einer „Denkschrift
für die Präzisionsmechanik zur Verbesserung der techni-              betreffend die Begründung eines Instituts für die experi-
schen Voraussetzungen für naturwissenschaftliche Forschung           mentelle Förderung der exakten Naturforschung und der
zum Ziel hat. Das an den Kronprinzen und späteren Kaiser             Präzisionstechnik (Physikalisch-mechanisches Institut)“ vom
Friedrich III. gerichtete Papier trägt u. a. auch die Unterschrif-   16. Juni ein Institut fordert, das naturwissenschaftliche und
ten von Hermann Helmholtz, Emil du Bois-Reymond und                  technische Forschungen in der Optik, Elektrizität, Mechanik,
Wilhelm Foerster. Es wird von der Preußischen Akademie der           Metallurgie usw. ausführt und zugleich als Versuchs- und
Wissenschaften abgelehnt.                                            Prüfstation für physikalische Instrumente, Materialien und
                                                                     Produkte dient. Mitglieder der Kommission waren u. a.
                                                                     Foerster, Helmholtz und Siemens, der durchgesetzt hatte,
                                                                     dass „die Wissenschaft den höheren Gesichtspunkt bilden
                                                                     müsse“ im Vergleich zur Präzisions-Mechanik.

1873 – Denkschrift von Wilhelm Foerster                              1884 – Denkschrift zur Errichtung einer
                                                                     „physikalisch-technischen Reichsanstalt“
Nach dem Misserfolg der Schellbach-Denkschrift reicht
Wilhelm Foerster am 27. Oktober eine weitgehend identische           Am 20. März bietet Werner Siemens in einer weiteren Denk-
Denkschrift beim Chef der Preußischen Landestriangulation            schrift nunmehr dem Deutschen Reich „eine Schenkung von
ein. Er verlagert den Schwerpunkt der Begründung vom                 einer halben Million Mark in Grundwerth oder Kapital …
allgemeinen Nutzen für Kultur und Verbreitung der exakten            zur Begründung eines Laboratoriums, welches wissenschaft-
Wissenschaften zu praktischen Anwendungen wie dem Ver-               lichen Fundamentaluntersuchungen gewidmet sein sollte“,
messungswesen. Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke               an. Hermann von Helmholtz arbeitet die „Aufgaben der
übernimmt Foersters Argumente in seine „Vorschläge zur               ersten (wissenschaftlichen) Abtheilung der physikalisch-tech-
Hebung der wissenschaftlichen Mechanik und Instrumenten-             nischen Reichsanstalt“ aus, Wilhelm Foerster die „Aufgaben
kunde“ vom 25. April 1874                                            der zweiten (technischen) Abtheilung …“.

      1872

                            1884 – Werner von Siemens –                            1884 – Siemens formuliert die Aufgaben
                            Schlüsselpersönlichkeit für die PTR                    der zukünftigen Reichsanstalt

                            Werner Siemens (1816–1892) studiert bis 1838           Im November legt Werner Siemens einen
                            an der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule,       detaillierten Plan über die künftigen Aufgaben
                            wird ein international erfolgreicher Unterneh-         der PTR vor. Für die wissenschaftliche Abteilung
                            mer und Erfinder und leistet mit seiner Firma          sieht er diese 1. in der Lösung „von wissen-
                            Siemens & Halske Pionierarbeit beim Bau von            schaftlichen Fundamentalbestimmungen“, ein-
                            Telegrafenleitungen und der Verlegung von              schließlich der Wiederholung älterer Ergebnisse
                            Überseekabeln. Obwohl Siemens stets versucht,          mit verbesserten Mitteln; 2. in der experimentel-
                            physikalische Erkenntnisse gesellschaftlich            len Bestimmung ungelöster Fragen; 3. in „expe-
                            nutzbar zu machen, fühlt er sich stark zur „reinen     rimentellen Forschungsarbeiten zur Erweiterung
                            Physik“ hingezogen und führt eigene physikali-         unserer Naturkenntnisse.“ Die technische Abtei-
sche Experimente durch. Er entwickelt den Dynamo, setzt die Elektrizität           lung soll auf folgenden Gebieten tätig werden:
als erster zur Stadtbeleuchtung in Berlin und für den Antrieb von Lokomo-          1. Materialprüfung und Bestimmung von
tiven, Aufzügen und Bussen ein. 1888 wird er geadelt. Ohne seinen persön-          Konstanten; 2. Präzisionsmechanik; 3. Optik;
lichen und finanziellen Einsatz wäre die PTR damals nicht entstanden.              4. Thermometrie; 5. Elektrotechnik.

6
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2                                                                                Chronik 

1887 – Gründung der                                  1889 – Lummer-Brodhun-Würfel
Physikalisch-Technischen Reichsanstalt
                                                     Otto Lummer und Eugen Brodhun entwickeln in der PTR auf Basis
Am 28. März bewilligt der neu gewählte Reichstag     des sogenannten Lummer-Brodhun-Würfels ein visuelles Photometer.
insgesamt 700 432 Mark für Bauten, Ausstattung       Damit kann die Gleichheit der Lichtstärke zweier Lichtquellen mit dem
und Personal der Reichsanstalt. Dieses Datum         Auge sehr genau eingestellt werden, was zusammen mit definierten
steht daher für ihre Gründung. Am 1. Oktober         Abschwächungsmethoden und einem entsprechenden Normal die Ent-
nimmt die Physikalische Abteilung im Privatlabo-     wicklung einer Lichtstärkeskala erlaubt.
ratorium von Johannes Pernet, am 17. Oktober die
Technische Abteilung in Räumen der Technischen
Hochschule Charlottenburg die Arbeit auf.            1890 – Feußner-Kompensator

                                                     Karl Feußner erfindet den Gleichspannungs-Kompensationsapparat, mit
1887 – Das Kuratorium unterstützt die PTR            dem sich Stromstärken durch Rückführung auf Spannung und Wider-
von Anfang an                                        stand mit hoher Genauigkeit messen lassen. Darüber hinaus kann der
                                                     Feußner-Kompensator auch für Spannungs- und Widerstandsmessun-
Das erste Kuratorium der PTR besteht aus 24 Ver-     gen selbst eingesetzt werden.
tretern von Regierung, Wissenschaft und Indust-
rie. Zu seinen Pflichten gehören die Prüfung des
jährlichen Präsidentenberichtes, die Beratung von
Arbeitsprogramm und Etat sowie die Genehmi-
gung von Anstellungen.                               1890 – Hefner-Kerze

                                                     Nach Untersuchungen der PTR
1888 – Arbeitsgebiet „Photometrie“                   stellt die „Hefner-Kerze“, eine
                                                     Amylacetatlampe, ein primäres
Angeregt durch den Deutschen Verein der Gas-         Normal für die Lichtstärkeein-
und Wasserfachmänner übernimmt die PTR die           heit mit immer gleichen Eigen-
Aufgabe der Schaffung eines international akzep-     schaften und einer Unsicherheit
tierten Lichtstärke-Normals höchstmöglicher          von 1,5 % dar. Diese Lampe
Genauigkeit sowie der Entwicklung wesentlich         wird in Deutschland, Österreich
leistungsfähigerer visueller Photometer für die      und in den skandinavischen
Bestimmung der Lichtstärke von Lampen u. a. zur      Ländern von 1896 bis 1941 ein
Beurteilung der Straßenbeleuchtung.                  staatlich anerkanntes Normal.

                                                                                                                   1891

                        1888 – Hermann von Helmholtz                                    1891 – Farbenlehre von
                        wird erster Präsident der PTR                                   Helmholtz

                        Hermann Helmholtz (1821–1894) studiert Medizin                  Selbst als Präsident der PTR arbeitet
                        in Berlin und promoviert 1842 in Anatomie. Nach                 Hermann von Helmholtz wissen-
                        physiologischen Lehrtätigkeiten in Königsberg,                  schaftlich an seiner Drei-Kompo-
                        Bonn und Heidelberg wird er 1871 Nachfolger von                 nenten-Farbtheorie mit den Geset-
                        Gustav Magnus als Ordinarius für Physik in Berlin.              zen der additiven und subtraktiven
                        Er ist einer der kreativsten und produktivsten                  Farbmischung. Seine drei Variablen
                        Physiologen und Physiker des 19. Jahrhunderts.                  Farbton, Sättigung und Helligkeit
                        Berühmt wird er durch seine bahnbrechenden                      zur Charakterisierung von Farbe
                        Arbeiten zum Gesichts- und Hörsinn sowie durch                  werden auch heute noch verwandt.
                        die Erfindung des Augenspiegels und akustischer
Resonatoren, später durch seine Abhandlung zur „Erhaltung der Kraft“,
der Energieerhaltung. 1883 wird er geadelt. Helmholtz setzt sich persönlich
zusammen mit Werner von Siemens und anderen für die Gründung der
PTR ein und wird von 1888 bis 1894 ihr erster Präsident.

                                                                                                                             7
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
   PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung                                              PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2

                       Helmholtz und die Gründerjahre

Helmut Rechenberg      Im 19. Jahrhundert begann die systematische           Dazu wollte Siemens auch ein Grundstück nahe
                       Industrialisierung Europas und darüber hinaus,        der Technischen Hochschule Charlottenburg
                       für die die Dampfmaschine und der Telegraph           schenken und auch die Kosten des „Aufbaus der
                       charakteristische Symbole setzten. Gleichzeitig       benötigten Gebäude“ aus dem Erbe seines Bruders
                       wurden die klassischen Naturwissenschaften            William bezahlen. Die Annahme dieser Schen-
                       Physik, Chemie und Atomlehre vollendet, ein           kung wurde schließlich im März 1887 vom Reichs-
                       systematisches System von Grundeinheiten, das         tag, gegen den Einspruch Bayerns, beschlossen.
                       Gauß-Weber’sche CGS(Zentimeter-Gramm-                 Renommierte Persönlichkeiten der Wissenschaft
                       Sekunde)-System unter Einschluss der elektrischen     wie der Optiker Ernst Abbe und der Mediziner
                       und magnetischen Größen eingeführt und für            Rudolf Virchow hatten sich dafür eingesetzt.
                       industrielle ebenso wie andere gesellschaftspoliti-      In das Kuratorium wurden 24 Fachleute aus
                       sche, auch militärische Interessen verwendet.         Universitäten und Industrie berufen. Die eigent-
                          Bald nach der Gründung des neuen Deutschen         lichen Väter der Reichsanstalt, Helmholtz und
                       Reiches schickte Karl-Heinrich Schellbach, Mathe-     Siemens, entwarfen deren Struktur: eine „Physika-
                       matikprofessor an der Berliner Kriegsakademie,        lische Abteilung“ und eine „Technische Abteilung“.
                       beraten durch herausragende Kollegen aus den          Der 1883 in den erblichen Adelsstand erhobene
                       Naturwissenschaften (namentlich Emil du Bois-         Helmholtz wurde 1888 ihr erster Präsident und
                       Reymond, Wilhelm Foerster, Hermann Helmholtz          übernahm den weiteren Aufbau der Anstalt.
                       und Carl Adolf Paalzow) seinem früheren Schüler,         Der 1821 in Potsdam geborene Hermann
                       dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, am 30. Juli        Ludwig Ferdinand Helmholtz war einer der
                       1872 eine Denkschrift. Diese „Schellbach-Denk-        prägenden Naturwissenschaftler seiner Zeit. Der
                       schrift“ forderte zunächst eine Sammlung solcher      Physikerkollege James Clerk Maxwell nannte
                       Instrumente, die „eine wissenschaftliche Bedeutung    ihn gar einen „intellektuellen Riesen“. Nach dem
                       erlangt haben“, dazu Werkzeugmaschinen, welche        Studium am „Medizinisch-chirurgischen Institut“
                       „zur Herstellung von Präzisions-Apparaten dienen“.
                       Die „Hauptzwecke dieser reich ausgestatteten
                       jedermann zugänglichen Sammlung“ würden u. a.
                       sein: „1. Gelehrte und Laien durch Anschauung
                       der Apparate und ihrer wesentlichen Funktionen in
                       Kenntnis von dem Standpunkte und dem Fort-
                       schritte der Wissenschaft zu setzen. 2. Den Mecha-
                       nikern für ihre Arbeiten die Muster zu liefern …“
                       und „3. Die Apparate und Werkzeug-Maschinen
                       solchen Personen, welche die nötigen Garantien
                       bieten, zu überlassen.“ Ausgaben von 20 000
                       Reichstalern seien erforderlich. Die Verwaltung des
                       Instituts und ihr Anschaffungsplan sollten durch
                       ein „Kuratorium, bestehend aus Vertretern der
                       exakten Wissenschaften und ihrer Lehre“ kontrol-
                       liert werden. Kronprinz Friedrich Wilhelm reichte
                       diese Denkschrift im September 1872 an den
                       zuständigen preußischen Minister weiter, der sie
                       von der Akademie der Wissenschaften überprüfen
                       ließ. Von dort wurde sie jedoch abgelehnt. Obwohl
Bild diese Seite:      sich Wilhelm Foerster daraufhin an den Chef des
Helmholtz-Denkmal      Generalstabes, Helmuth von Moltke, wandte und
von E. Herter, 1899,
                       diesen für das Vorhaben gewann, lehnte das Preu-
im Ehrenhof der
Humboldt-Universität   ßische Abgeordnetenhaus endgültig ab.
zu Berlin                 Nach zehnjähriger Unterbrechung nahmen
                       sich Hermann Helmholtz und Werner Siemens
Bild Seite 9:          der Sache erneut an und verfassten im Sommer
Entwurfszeichnung
                       1883 die „Denkschrift betreffend die Begründung
der PTR in Charlot-
tenburg, entstanden    eines Instituts für die experimentelle Förderung
zwischen 1884 und      der exakten Naturwissenschaften und der Präzisi-
1887                   onstechnik (Physikalisch-mechanisches Institut)“.

8
2 mitteilungen PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2                                                             Helmholtz und die Gründerjahre 

in Berlin diente er als Chirurg und Militärarzt an
der Berliner Charité und in Potsdam. Er promo-
vierte 1842 neben Emil du Bois-Reymond und
Rudolf Virchow beim großen Physiologen Johan-
nes Müller an der Berliner Universität, schloss sich
1845 wie der Ingenieur Werner Siemens der eben
gegründeten Physikalischen Gesellschaft zu Berlin
an, wo er am 25. Juni 1847 in seinem Vortrag über
die „Erhaltung der Kraft“ die allgemeine Formu-
lierung des Energiesatzes vorstellte. Nach einer
Lehrstelle für Anatomie an der Berliner Akademie
wurde er als Extraordinarius für Physiologie an die
Königsberger Universität berufen und stieg dort
schon 1850 zum Ordinarius und 1854 zum Dekan            Laboratorium der PTR vorstanden, sowie ihr Assistent und Helmholtz-
der medizinischen Fakultät auf. Unterstützt von         Schüler Wilhelm (Willy) Wien.
seiner ersten Frau Olga von Velten, entstanden            Zu Helmholtz’ Zeiten beschäftigte die Reichsanstalt 65 Personen,
dort Pionierarbeiten über die Signalfortpflan-          darunter mehr als ein Dutzend Physiker, und hatte ein Budget von
zung bei der Nervenleitung. Außerdem erfand er          263 000 Mark. Der Präsident bezog ein Gehalt von 24 000 Mark, für
den Augenspiegel und das Ophthalmometer zur             das ihn der Staat allerdings auch verpflichtete, Vorlesungen von ein-
Messung der Hornhautkrümmung. 1855 nahm                 bis dreistündiger Dauer über theoretische Physik an der Universität
er einen Lehrstuhl für Physiologie und Anatomie         zu halten. In seiner Gedächtnisrede auf den alten Freund im Juli 1895
in Bonn an, zog aber bereits 1858 weiter nach           in der Berliner Akademie kommentierte Emil du Bois-Reymond die
Heidelberg. Das „Handbuch für physiologische            hohe Gehaltseinstufung mit den Worten, „dass der Präsident eines so
Optik“ und die „Lehre von den Tonempfindun-             umfangreichen, vielfach gegliederten, zum Teil den Charakter einer
gen“ mit physikalisch-anatomischen Studien über         Unterrichtsanstalt, zum Teil den einer Fabrik tragenden Institutes mit
das menschliche Ohr und das Hören schrieb er            einem Personal von 50 Beamten, eine gewaltige Menge von täglich sich
während dieser Zeit. In Heidelberg starb Ende           erneuernden Verwaltungsgeschäften zu erledigen hat, welche … durch
1859 Olga Helmholtz. Einige Monate später heira-        ihre Neuheit und Fremdartigkeit ihn vielmehr erst recht belasteten.“
tete Helmholtz seine zweite Frau, Anna von Mohl.          1897 konnte sein Nachfolger Friedrich Kohlrausch endlich auch die
Auf Reisen nach Großbritannien ab Sommer 1853           weiteren geplanten Gebäude der PTR in Betrieb nehmen: für die Physi-
lernte er berühmte Physiker kennen, namentlich          kalische Abteilung neben dem bereits existierenden Präsidentenwohn-
den Engländer Michael Faraday („den gegenwärtig         haus das Observatorium, einen Verwaltungsbau und das Magnethaus
ersten Physiker Europas“). 1855 traf er den Schot-      und für die Technische Abteilung deren Hauptgebäude, ein Laboratori-
ten William Thomson in Deutschland, den er auch         umsgebäude, das Maschinenhaus, das Kesselhaus, das Lufthäuschen und
später häufig besuchte. 1871 wurde er nach dem          das Wohnhaus des Direktors.
Tode von Gustav Magnus dessen Nachfolger als              Da Hermann von Helmholtz 1894 kurz nach seinem 73. Geburtstag
Ordinarius für Physik an der Berliner Universität,      starb, konnte er die großen wissenschaftlichen Erfolge seiner Anstalt, für
nachdem er sich vorher durch wichtige Arbeiten          die er mit seinen Vorstellungen die Grundlagen gelegt hatte, nicht mehr
über die Hydrodynamik und die Elektrodynamik            erleben.
als Physiker eingeführt hatte. Mit seinem Freund          Der Ostpreuße Willy Wien trat nach mathematischen Studien an den
du Bois-Reymond baute er zwei benachbarte Insti-        Universitäten Göttingen und Berlin im Wintersemester 1883/84 ins
tute für Physik bzw. Physiologie auf und richtete sie   Laboratorium von Hermann von Helmholtz an der Berliner Universität
ein. Helmholtz begann nun eine erfolgreiche Lauf-       ein, in das er nach einem Auswärtssemester in Heidelberg zurückkehrte.
bahn als Physiker in Zusammenarbeit mit Gästen          Dort promovierte er 1886 mit einer optischen Arbeit. 1890 wurde er
wie Ludwig Boltzmann und Albert Abraham                 Mitarbeiter der PTR und wandte sich mit thermodynamischen und
Michelson und Schülern wie Heinrich Hertz.              elektrodynamischen Methoden dem Gebiet der Wärmestrahlung zu. Mit
   Dem Förderer Siemens wurde gelegentlich              Otto Lummer schlug er 1895 die Realisierung eines Schwarzen Strahlers
vorgeworfen, dass er die geplante Physikalisch-         in Form eines auf konstante Temperatur geheizten Hohlraums vor. Die
Technische Reichsanstalt vollständig auf seinen         Messungen Lummers mit den Helmholtz-Schülern Ernst Pringsheim,
Freund Hermann von Helmholtz zugeschnitten              Ferdinand Kurlbaum und Heinrich Rubens führten schließlich ein Jahr
habe. Bereits im Mai 1889 konnte von den auf            später zum Wien’schen Strahlungsgesetz, das Max Planck, Ordinarius
dem Siemens-Gelände errichteten Gebäuden                für Theoretische Physik an der Berliner Universität, 1899 herleiten
das Wohnhaus der Familie Helmholtz bezogen              konnte. Anschließend gefundene Abweichungen, die Rubens und
werden. Es entwickelte sich bald zum Mittelpunkt        Kurlbaum in Messungen bei hohen Temperaturen und großen Wellen-
einer illustren Gesellschaft, die vom Kronprinzen-      längen feststellten, führten Planck schließlich zu einer Verbesserung
paar über viele Kollegen und Künstler bis zu den        der Wien’schen Gleichung durch Einführung von Strahlungsquanten.
leitenden Mitarbeitern der Reichsanstalt reichte.       Sein Vortrag darüber am 14. Dezember 1900 in der Versammlung der
Unter letzteren seien Otto Lummer und Friedrich         Deutschen Physikalischen Gesellschaft gilt gemeinhin als Aufbruch in
Kurlbaum besonders erwähnt, die dem Optischen           eine neue Ära der Physik. 

                                                                                                                                9
   PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung                                                PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2

                                           1891 − Observatorium

                                           Das im Zentrum des PTR-Geländes gelegene Observatorium ist für die Präzisions-
                                           messungen der Physikalischen Abteilung maßgeschneidert. Auf eine 2 m dicke
                                           Betonplatte gegründet und mit aussteifenden, sehr massiven Gewölben versehen,
                                           bietet es beste Voraussetzungen für die Unterdrückung mechanischer Schwingun-
                                           gen. Ein Isolierkellergewölbe, ausgeklügelte Luftführung und die Anordnung der
                                           hochwertigsten Messräume im fensterlosen Zentrum des Gebäudes sorgen für
                                           außerordentliche Temperaturkonstanz. Beides, Schwingungsisolation und Tempera-
                                           turkonstanz, bilden die unverzichtbare Basis für jede Form der Präzision.

1892 − Feußner            1892 − Loewenherz- 1893 – Wien’sches                1895 – Kohlrausch verfasst sein
und Lindeck entwi-        Gewinde wird       Verschiebungs-                   „Lehrbuch der praktischen Physik“
ckeln das Manganin        Norm               gesetz
                                                                              Friedrich Kohlrausch gibt sein bis heute in 24
Der von Karl Feußner      Das von Leopold           Aufbauend auf thermo-     Auflagen erschienenes „Lehrbuch der prakti-
und Stephan Lindeck       Loewenherz 1889           dynamischen Überle-       schen Physik“ im Verlag B. G. Teubner heraus,
in Zusammenarbeit         vorgestellte Feinme-      gungen erzielt Wilhelm    das Anfänger in die praktische experimentelle
mit der Isabellenhütte    chanikergewinde           Wien mit dem von ihm      Arbeit einführen und Fachleute bei der Lösung
Dillenburg entwickelte    ist ursprünglich ein      formulierten Verschie-    praktischer Probleme ihrer Forschung unter-
Werkstoff Manganin        Spitzgewinde. Es          bungsgesetz einen         stützen soll.
vereinigt einen hohen     wird nunmehr in der       wichtigen Erfolg bei
spezifischen Wider-       abgeflachten Form         der Beschreibung der
stand und einen           als Normgewinde           Wärmestrahlung eines      1895 – Radiometrie
geringen Temperatur-      anerkannt und ist in      Schwarzen Körpers. Das
koeffizienten mit einer   der optischen Industrie   Gesetz beschreibt exakt   Die Radiometrie als die Wissenschaft von der
sehr guten Langzeit-      vierzig Jahre lang als    die Verschiebung des      quantitativen Messung elektromagnetischer
Stabilität sowie          Loewenherz-Gewinde        Maximums der Strah-       Strahlung und ihrer Anwendung wird zu einem
geringer Thermospan-      in Gebrauch, bevor es     lungsemission eines       wichtigen Arbeitsgebiet an der Reichsanstalt.
nung gegen Kupfer.        durch das metrische       Schwarzen Körpers mit     Sie ermöglicht z. B. genaue Messungen der
Manganin ist der am       Gewinde DIN 13            zunehmender Tem-          Wärmestrahlung Schwarzer Körper und auch
häufigsten eingesetzte    ersetzt wird.             peratur zu kürzeren       die physiologische Bewertung von sichtbarem
Widerstandswerkstoff.                               Wellenlängen.             Licht (siehe Arbeitsgebiet „Photometrie“, S. 7).

      1891

                             1891 − Wilhelm Foerster
                             wird Präsident des CIPM

                           Wilhelm Foerster (1832–1921) studiert Mathematik, Physik, Kunstge-
                           schichte und später Astronomie in Berlin und Bonn. Von 1865 bis 1904
                           ist er Direktor der Berliner Sternwarte. 1869 wird er Direktor der neu
                           gegründeten und von ihm geprägten Normal-Eichungs-Kommission
                           des Norddeutschen Bundes und anschließend des Deutschen Reichs.
                           Wilhelm Foerster erweist sich auch an anderer Stelle als erfolgreicher
                           Verhandlungsführer und Organisator. Er trägt u. a. entscheidend zum
                           Zustandekommen der Pariser Meterkonvention 1875 bei und leitet
                           von 1891 bis 1920 das Internationale Komitee für Maß und Gewicht
(CIPM). Außerdem ist er ab 1873 maßgeblich an allen Vorgesprächen zur Gründung der PTR betei-
ligt. In diesem Zusammenhang ist er Initiator verschiedener Denkschriften und von 1887 bis 1921
Kurator der PTR.

10
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2                                                                                   Chronik 

                                          1895 – Lummer und Wien          1898 – Orlich erstellt
                                          entwickeln erste Hohl-          Selbstinduktivitätsnormale
                                          raumstrahler
                                                                          Ernst Orlich stellt die ersten Selbstinduktivitäts-
                                          Aufbauend auf einer Idee        normale nach der Methode von Max Wien her
                                          von Gustav Kirchhoff (1860)     und entwickelt umfangreiche Berechnungen für
                                          entwickeln Otto Lummer und      Induktivitäts- und Kapazitätsnormale, die im
                                          Willy Wien erste Hohlraum-      Vieweg Verlag veröffentlicht werden. Die Arbei-
                                          strahler zur praktischen        ten werden später von Erich Giebe und Gustav
                                          Erzeugung der Wärmestrah-       Zickner fortgeführt.
                                          lung Schwarzer Körper.
                                                                          1899 − Abweichungen vom
1896 – Schönrock                                                          Wien’schen Strahlungsgesetz
verbessert die Zuckeranalytik
                                                                          Otto Lummer und Ernst Pringsheim messen an
In der PTR werden zur Unterstützung der Industrie die Grundlagen für      einem elektrisch geheizten Hohlraumstrahler bei
quantitative Zuckerprüfungen mit Hilfe der Polarimetrie gelegt. Dazu      Temperaturen bis 1600 °C und Wellenlängen bis
entwickelt Otto Schönrock neue Saccharimeter zur Messung der opti-        zu 6 µm Abweichungen der emittierten Wärme-
schen Aktivität von Zuckerlösungen und untersucht die Eigenschaften       strahlung vom Wien’schen Strahlungsgesetz im
von Normalzuckerlösungen und Quarzplattennormalen.                        Bereich hoher Temperaturen und großer Wellen-
                                                                          längen. Die Messungen werden bis 18 µm ausge-
                                                                          dehnt. Die Abweichungen nehmen zu.
1896 – Wien’sches Strahlungsgesetz        1897 – Hauptgebäude
                                          (später Werner-von-             1900 − Gumlich untersucht
Wilhelm Wien formuliert ein Strah-        Siemens-Bau)                    Transformatorbleche
lungsgesetz, von dem man für einige
Jahre glaubt, dass es die Wärmestrah-     Für die Aufgaben der II.        Ernst Gumlich entdeckt, dass siliziumhaltiges Eisen
lung eines Schwarzen Körpers exakt        Abteilung, der Technischen,     einen erhöhten elektrischen Widerstand und damit
beschreibt, bis Präzisionsmessungen von   wird gegenüber dem Obser-       geringere Wirbelstromverluste aufweist. Der Elek-
Otto Lummer und Ernst Pringsheim          vatorium das vierstöckige,      tromaschinenbau greift diese Entwicklung auf und
(1899) sowie von Ferdinand Kurlbaum       U-förmige Hauptgebäude          macht Gumlichs Entdeckung zu einem der wesentli-
und Heinrich Rubens (1900) deutliche      errichtet.                      chen technischen und wirtschaftlichen Impulse, die
Abweichungen bei hohen Temperaturen                                       von der PTR ausgehen.
und großen Wellenlängen zeigen.

                                                                                                                     1900

                           1895 – Friedrich Kohlrausch                    1898 – Gesetz betreffend die elektrischen
                           wird Präsident der PTR                         Maßeinheiten

                          Friedrich Kohlrausch (1840–1910) studiert       Die PTR erhält durch das am 1. Juni von Kaiser
                          Physik in Erlangen und Göttingen. Ab 1870       Wilhelm II. unterzeichnete Gesetz betreffend
                          ist er nacheinander ordentlicher Professor in   die elektrischen Einheiten ihre erste gesetzliche
                          Zürich, Darmstadt, Würzburg und Straß-          Aufgabe. Sie soll die im Gesetz definierten elek-
                          burg. Kohlrausch gilt als einer der meister-    trischen Einheiten darstellen und bewahren und
                          haftesten Messtechniker des 19. Jahrhunderts    Messgeräte für elektrische Größen prüfen.
                          und als einer der Mitbegründer der physi-
                          kalischen Chemie. Er ist Autor des 1870 als
                          „Leitfaden der Praktischen Physik“ erschie-
nenen ersten Lehrbuchs zur Experimentalphysik, das er zum Lehrbuch
für Generationen erweiterte. Er ist Kurator der PTR von der ersten
Stunde bis 1910 und von 1895 bis 1905 ihr Präsident.

                                                                                                                                11
   PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung                                                PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2

                        Der Schwarze Körper
                        und die Quantisierung der Welt
Jörg Hollandt           Bei einer Temperatur oberhalb des absoluten            in den Hohlraum fällt, viele Reflektionen an den
                        Nullpunkts emittiert jeder Körper elektromagneti-      Wänden des Hohlraums durchlaufen und schließ-
                        sche Strahlung, die als Wärmestrahlung bezeichnet      lich vollständig absorbiert werden. Die einzige
                        wird. Bereits 1860 erkannte Gustav Kirchhoff, dass     Strahlung, die den Hohlraum verlässt, ist somit die
                        für einen Körper, der alle einfallende Strahlung       in dem Hohlraum erzeugte Wärmestrahlung des
                        vollständig absorbiert (Absorptionsgrad α = 1), das    Schwarzen Körpers.
                        Spektrum der emittierten Wärmestrahlung unab-
                        hängig von Form und Material des Körpers und nur
                        noch eine Funktion von Wellenlänge und Tempera-
                        tur ist [1]. Ein solcher ausgezeichneter Körper wird
                        seit Kirchhoff als Schwarzer Körper bezeichnet.
                          Auf der Grundlage des 2. Hauptsatzes der
                        Thermodynamik folgerte Kirchhoff, dass im
                        thermischen Gleichgewicht für dieselbe Tempe-
                        ratur, Wellenlänge und Richtung der gerichtete
                        spektrale Absorptionsgrad gleich dem gerichteten         Erste Untersuchungen an solchen Hohlraum-
                        spektralen Emissionsgrad ist. Der spektrale Emis-      strahlern führten Wien 1896 zur Formulierung
                        sionsgrad beschreibt die Fähigkeit eines Körpers,      des nach ihm benannten Strahlungsgesetzes, von
                        Wärmestrahlung zu emittieren. Für einen Schwar-        dem man für wenige Jahre glaubte, dass es die
                        zen Körper ist der spektrale Emissionsgrad somit       Wärmestrahlung richtig beschreiben würde [2]. In
                        gleich eins für alle Wellenlängen, und kein Körper     den folgenden drei Jahren entwickelten Lummer
                        gleicher Temperatur kann mehr Wärmestrahlung           und Kurlbaum einen elektrisch geheizten Hohl-
                        aussenden als ein Schwarzer Körper.                    raumstrahler, mit dem sie Temperaturstrahlung
                          Nach dieser wichtigen Entdeckung von Gustav          bis zu etwa 1600 °C erzeugen konnten. Genaue
                        Kirchhoff wurde die Suche nach einer analytischen      Messungen von Lummer und Pringsheim mit
                        Beschreibung des Wärmestrahlungsspektrums des          diesem Strahler zeigten bei höheren Temperaturen
                        Schwarzen Körpers zu der prominentesten Her-           und größeren Wellenlängen signifikante Abwei-
Bild diese Seite:       ausforderung der theoretischen Physik gegen Ende       chungen zum Wien’schen Strahlungsgesetz [3].
„Vollständige“          des 19. Jahrhunderts.                                  Die gestrichelte Linie in ihrem Diagramm wurde
Absorption eines          Schon bald nach Gründung der Physikalisch-           nach dem Wien’schen Strahlungsgesetz berechnet.
Lichtstrahls, der
                        Technischen Reichsanstalt (PTR) im Jahr 1887           Die durchgezogene Linie stellt das Ergebnis der
in den Schwarzen
Körper fällt.           wurde die Messung der Strahlung Schwarzer              Messungen im Spektralbereich von 1 µm bis 6 µm
                        Körper zu einer wichtigen Aufgabe des Laboratori-      dar, die bei hohen Temperaturen und größer wer-
Bild Seite 13 linke     ums für Optik, ausgeführt durch die Wissenschaft-      dender Wellenlänge zunehmend vom Wien’schen
Spalte:                 ler Ferdinand Kurlbaum, Otto Lummer, Werner            Strahlungsgesetz abweichen.
Spektrum der vom
                        Pringsheim, Heinrich Rubens und Wilhelm Wien.            Im Jahre 1900 benutzten Rubens und Kurlbaum
Schwarzen Körper
emittierten Wärme-        1892 entwickelten Kurlbaum und Lummer das            die Reststrahlenmethode, um bei noch größeren
strahlung, 1900 ge-     elektrische Substitutionsradiometer zur quanti-        Wellenlängen nun eindeutig nachzuweisen, dass es
messen von Lummer       tativen Messung elektromagnetischer Strahlung,         mit zunehmender Temperatur immer deutlichere
und Pringsheim und      was für die Vermessung der Wärmestrahlung              Abweichungen der Messungen vom Wien’schen
verglichen mit dem
                        eine unbedingte Voraussetzung war. Auch bei            Strahlungsgesetz gab [4]. Dieses Ergebnis berich-
Wien’schen Strah-
lungsgesetz             der praktischen Erzeugung der Wärmestrahlung           tete Rubens persönlich Max Planck, der sich an
                        eines Schwarzen Körpers beschritten die PTR-           der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin mit
Bild Seite 13 rechte    Physiker Wien und Lummer neue Wege, indem sie          der Theorie Schwarzer Körper befasste. Noch
Spalte:                 1895 isotherme Hohlräume als Strahlungsquellen         am selben Tag, am 7. Oktober 1900, fand Planck
Ein moderner
                        vorschlugen. Sie griffen damit eine Idee auf, die      empirisch eine Formulierung des Strahlungsgeset-
Hochtemperatur-
Hohlraumstrahler        bereits Kirchhoff geäußert hatte. Nach Kirch-          zes für den Schwarzen Körper, die in Übereinstim-
der PTB, mit dem        hoff sollte die Wärmestrahlung innerhalb eines         mung mit allen Messungen der PTR stand. Am 19.
Temperaturen            isothermen Hohlraums exakt der Strahlung eines         Oktober präsentierte er dieses Ergebnis auf einer
von 3000 °C erreicht    Schwarzen Körpers entsprechen. Um die Strahlung        Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
werden. Die Tempe-
                        zu beobachten, muss der Hohlraum allerdings mit        im Anschluss an einen Vortrag von Kurlbaum [5].
raturmessung erfolgt
optisch durch absolut   einer kleinen Öffnung versehen werden. Solange           In den folgenden zwei Monaten gelang Planck
kalibrierte Strah-      die Öffnung sehr klein gegen die innere Oberflä-       eine theoretische Herleitung seiner Gleichung. Dazu
lungsempfänger.         che des Hohlraums ist, wird ein Lichtstrahl, der       übertrug er das 1889 von Heinrich Hertz einge-

12
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2                                           Der Schwarze Körper und die Quantisierung der Welt 

                                                        Wissenschaft und Technik entwickelt. Für nahezu ein Jahrhundert war
                                                        der von Lummer und Kurlbaum eingeführte Hochtemperatur-Hohl-
                                                        raumstrahler das einzige primäre Strahlungsnormal zur Darstellung
                                                        und Weitergabe von Temperatur und Strahlung. Erst seit den achtziger
                                                        Jahren des 20. Jahrhunderts stand mit dem Elektronenspeicherring ein
                                                        neues, zweites primäres Strahlungsnormal zur Verfügung.
                                                                                                                  Der Hohlraum-
                                                                                                                strahler dient
                                                                                                                noch heute zur
                                                                                                                Darstellung und
                                                                                                                Weitergabe der
                                                                                                                Hochtemperatur-
                                                                                                                Skala sowie
                                                                                                                radiometrischer
                                                                                                                und photometri-
                                                                                                                scher Größen vom
                                                                                                                ultravioletten bis
                                                                                                                in den infraroten
                                                                                                                Spektralbereich.
                                                        Erst kürzlich wurde in der PTB ein Hohlraumstrahler entwickelt, der es
                                                        sogar erlaubt, Strahlungsmessungen im äußerst langwelligen Spektral-
                                                        bereich der THz-Strahlung (30 µm bis 1500 µm) durchzuführen. In der
                                                        PTB kann heute mit Hilfe von Präzisions-Hohlraumstrahlern bei jeder
                                                        Temperatur im Bereich von – 170 °C bis 3000 °C Schwarzkörperstrahlung
führte Konzept des harmonischen Oszillators zur         erzeugt werden [7]. Dabei werden bei der Kalibrierung von Strahlungs-
Beschreibung der Emission und Absorption elektro-       thermometern Standardmessunsicherheiten von 70 mK am Silbererstar-
magnetischer Strahlung auf die Wärmestrahlung           rungspunkt (etwa 962 °C) und 700 mK bei 3000 °C erreicht und damit
des Schwarzen Körpers. In „einem Akt der Ver-           die Messunsicherheitsanforderungen erfüllt, die an die Strahlungsther-
zweiflung“ erlaubte Planck nur bestimmte (diskrete)     mometrie als schnelle und berührungslose Temperaturmessung in der
Energiezustände. Am 14. Dezember 1900 stellte           modernen Produktionsüberwachung und -steuerung gestellt werden.
er seine Herleitung des Strahlungsgesetzes auf der        Eine neue Herausforderung für die Temperaturmessung auf der
Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft       Grundlage des Schwarzen Körpers sind heute weltraumgestützte Messun-
in Berlin vor [6]. Diese Veranstaltung gilt heute als   gen der Temperatur der Erdoberfläche und der Erdatmosphäre mit sehr
„Geburtsstunde der Quantenmechanik“.                    hoher Auflösung über lange Zeiträume und große Flächen. Sie dienen zur
  Das so hergeleitete und heute nach ihm                präzisen Überwachung möglicher Klimaänderungen und liefern wichtige
benannte Planck’sche Strahlungsgesetz enthält           Eingangsdaten für Klimamodellrechnungen. Aber nicht nur in der Erd-
neben der Abhängigkeit der spektralen Strahl-           fernerkundung, sondern auch in der industriellen Prozesssteuerung wird
dichte von Temperatur und Wellenlänge noch drei         die bildgebende Temperaturmessung immer wichtiger. Das von Kurlbaum
Naturkonstanten, nämlich die Lichtgeschwindig-          noch als einzelner Empfänger eingesetzte Bolometer wird heute litho-
keit c, die Boltzmann-Konstante k und das Planck-       grafisch als Sensorarray mit typisch 12 000 bis 310 000 Einzelbolometern
sche Wirkungsquantum h.                                 von 25 µm × 25 µm Sensorgröße hergestellt und als eine Schlüsselkompo-
       2hc 2               1                            nente in immer preiswertere Thermografiekameras integriert. In der PTB
 =
 Lλ             ⋅                                       werden daher Messplätze entwickelt und betrieben, die es erlauben, Erd-
        λ   5
                         hc 
                    exp       −1                      fernerkundungsinstrumentierungen und bildgebende Temperaturmess-
                         kλT                          systeme unter Bezug auf die Hohlraumstrahlung unter anwendungsnahen
  In dieser Formulierung des Planck’schen               Bedingungen zu kalibrieren und so die damit durchgeführten Messungen
Strahlungsgesetzes beschreibt Lλ die spektrale          mit kleiner Messunsicherheit auf die Internationale Temperaturskala
Strahldichte des Schwarzen Körpers im Vakuum.           rückzuführen. In der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt existiert
Die spektrale Strahldichte mit der Einheit              damit eine ununterbrochene 125-jährige Geschichte zur Arbeit an und
W · nm–1 · m–2 · sr–1 ist die abgestrahlte spektrale    mit der Strahlung des Schwarzen Körpers. 
Strahlungsleistung, normiert auf die Fläche des
strahlenden Körpers und den Raumwinkel, in den          [1]   G. Kirchhoff: Ann. Phys. Chem. 109, (1860), 275−301
die Abstrahlung erfolgt.                                [2]   W. Wien: Ann. Phys. 294, (1896) 662−669
  Nachdem nun ein vollständiges theoretisches           [3]   O. Lummer, E. Pringsheim: VhDPG 2, (1900), 163–180
Verständnis der Wärmestrahlung erreicht worden          [4]   H. Rubens, F. Kurlbaum: Ann. Phys. 309 (1901), (IV,4), 649–666
war, wurde von der PTR die darauf beruhende             [5]   M. Planck: VhDPG 2, (1900), 202–204
Temperaturmessung – heute als Strahlungsther-           [6]   M. Planck: VhDPG 2, (1900), 237–245
mometrie bezeichnet – zu einer präzisen Methode         [7]   J. Hollandt, R. Friedrich, B. Gutschwager, D. R. Taubert, J. Hartmann: High
der berührungslosen Temperaturmessung in                      Temperatures – High Pressures 35/36, (2003/2004), 379–415

                                                                                                                                            13
Sie können auch lesen