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mitteilungen 2 fachjournal der physikalisch-technischen bundesanstalt 2012 PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung
mitteilungen fachjournal der physikalisch-technischen bundesanstalt Fachorgan für Wirtschaft und Wissenschaft Amts- und Mitteilungsblatt der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin Vorabdruck aus: 122. Jahrgang, Heft 2, Juni 2012 Inhalt PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung Chronologie 1887–2012 6–61 •• Ernst O. Göbel: Vorwort 3 •• Wolfgang Buck: Die Intention 4 •• Helmut Rechenberg: Helmholtz und die Gründerjahre 8 •• Jörg Hollandt: Der Schwarze Körper und die Quantisierung der Welt 12 •• Robert Wynands: Das Kuratorium 16 •• Wolfgang Buck: Neue Physik und neue Struktur 20 •• Dieter Hoffmann: Der Fall Einstein 22 •• Wolfgang Buck: Die „Verschmelzung“ von RMG und PTR 26 •• Dieter Hoffmann: Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt im Dritten Reich 30 •• Dieter Hoffmann: PTR, PTA und DAMG: die Nachkriegszeit 34 •• Peter Ulbig, Roman Schwartz: Das gesetzliche Messwesen und die OIML 38 •• Wolfgang Schmid: Europäische Metrologie 46 •• Dieter Kind: Die Wiedervereinigung der Metrologie in Deutschland 50 •• Roman Schwartz, Harald Bosse: Die PTB − metrologischer Dienstleister und Partner für Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft 56 •• Ernst O. Göbel, Jens Simon: Die PTB im 21. Jahrhundert 62 Autoren 66 Bildnachweise 67 Literatur 68
Titelbild: Hermann von Helmholtz setzt sich persönlich zusammen mit Werner von Siemens und anderen für die Gründung der PTR ein und wird von 1888 bis 1894 ihr erster Präsident. Impressum Die PTB-Mitteilungen sind metrologisches Fachjournal und amtliches Mitteilungsblatt der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin. Als Fachjournal veröffentlichen die PTB-Mitteilungen wissen- schaftliche Fachaufsätze zu metrologischen Themen aus den Arbeitsgebieten der PTB. Als amtliches Mitteilungsblatt steht die Zeitschrift in einer langen Tradition, die bis zu den Anfängen der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (gegründet 1887) zurückreicht. Die PTB-Mitteilungen veröffentlichen in ihrer Rubrik „Amtliche Bekanntmachungen” unter anderem die aktuellen Geräte- Prüfungen und -Zulassungen aus den Gebieten des Eich-, Prüfstellen- und Gesundheitswesens, des Strahlenschutzes und der Sicherheitstechnik. Verlag Anzeigenservice Wirtschaftsverlag NW Karin Drewes Verlag für neue Wissenschaft GmbH Telefon: (04 71) 9 45 44-21 Bürgermeister-Smidt-Str. 74–76, Telefax: (04 71) 9 45 44-77 27568 Bremerhaven E-Mail: info@nw-verlag.de Postfach 10 11 10, 27511 Bremerhaven Internet: www.nw-verlag.de Erscheinungsweise und Bezugspreise E-Mail: info@nw-verlag.de Die PTB-Mitteilungen erscheinen viermal jährlich. Das Jahresabonnement kostet 55,00 Euro, das Herausgeber Einzelheft 16 Euro, jeweils zzgl. Versandkosten. Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), Bezug über den Buchhandel oder den Verlag. Braunschweig und Berlin Abbestellungen müssen spätestens drei Monate Postanschrift: vor Ende eines Kalenderjahres schriftlich beim Postfach 33 45, 38023 Braunschweig Verlag erfolgen. Lieferanschrift: Bundesallee 100, 38116 Braunschweig © Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissen- schaft GmbH, Bremerhaven, 2012 Redaktion/Layout Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, PTB Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift Dr. Dr. Jens Simon (verantwortlich) darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages Dr. Wolfgang Buck vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Imke Frischmuth Verbot fällt insbesondere die gewerbliche Verviel- Gisela Link fältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Telefon: (05 31) 592-82 02 Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM Telefax: (05 31) 592-30 08 und in allen anderen elektronischen Datenträgern. E-Mail: gisela.link@ptb.de Leser- und Abonnement-Service Marina Kornahrens Printed in Germany ISSN 0030-834X Telefon: (04 71) 9 45 44-61 Telefax: (04 71) 9 45 44-88 E-Mail: vertrieb@nw-verlag.de
PTR/PTB: 125 JAHRE METROLOGISCHE FORSCHUNG Vorwort Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR) Die Übernahme der Regierungsgewalt durch die und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt Nationalsozialisten im Jahre 1933 bedeutete das (PTB) haben stets die Vollendung eines Viertel- Ende der Blütezeit der PTR, und am Ende des jahrhunderts als Jubiläumsjahr aufgefasst und ent- 2. Weltkrieges war die PTR faktisch zerschlagen sprechend gewürdigt. So soll es auch mit dem jetzt und über alle Lande außerhalb Berlins zerstreut. bevorstehenden 125. Geburtstag der PTR/PTB Dem ungebrochenen Idealismus mehrerer ehe- sein, und das vorliegende Heft der PTB-Mitteilun- maliger Mitarbeiter der PTR, dem selbstlosen gen leistet dazu einen Beitrag. Von den angespro- Einsatz einiger Wissenschaftler außerhalb der PTR chenen Jubiläen ist es ein besonderes. Erstmals – hier muss an erster Stelle Max von Laue genannt nach Ende des 2. Weltkrieges kann sich die PTB werden – und der wohlwollenden Unterstützung wieder vollständig vereint präsentieren: zwar an der britischen Militärregierung ist es zu verdan- zwei Standorten in Braunschweig und Berlin, aber ken, dass Teile der alten Reichsanstalt schon 1947 nach innen und außen als Einheit, dem hoheitli- in Braunschweig ihre Arbeit wieder aufnehmen chen Auftrag verpflichtet, durch eigene Forschung konnten, wenn auch unter schwierigsten Bedin- und Entwicklung und darauf aufbauende Dienst- gungen. Noch vor Gründung der Bundesrepublik leistungen für die Einheitlichkeit des Messwesens Deutschland 1949 entstand daraus zunächst die in Deutschland und dessen stete Weiterentwick- Physikalisch-Technische Anstalt des Vereinigten lung verantwortlich zu sorgen. Wirtschaftsgebiets (PTA), die 1950 schließlich die Die PTB heute versteht sich somit durchaus Bezeichnung Physikalisch-Technische Bundesan- noch im Geiste der Gründungsväter der PTR, stalt erhielt. Werner von Siemens und Hermann von Helm- Weitere Meilensteine hin zur heutigen PTB, holtz, auf deren hartnäckiges Betreiben und über die in diesem Heft auch auszugsweise berich- unterstützt durch hochrangige Vertreter aus tet wird, waren 1953 die Vereinigung der PTB mit Politik, Wissenschaft und Wirtschaft der Deutsche der in Berlin wieder erstandenen Rest-PTR und Reichstag am 28. März 1887 erstmals einen Jahres- deren Eingliederung in die PTB als Institut Berlin, etat für die Physikalisch-Technische Reichsanstalt die in der Folge der Wiedervereinigung Deutsch- beschloss. Damit war der Grundstock gelegt für lands 1989 vollzogene Übernahme des Standor- die erste deutsche Großforschungseinrichtung mit tes des aufgelösten Amtes für Standardisierung, beeindruckender Erfolgsgeschichte im ausgehen- Messwesen und Warenprüfung (ASMW) der den 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die ehemaligen DDR in Berlin-Friedrichshagen und Blütezeit der Reichsanstalt in den ersten Jahrzehn- schließlich 10 Jahre später die Konsolidierung ten ist mit den Namen bedeutender Wissenschaft- auf die beiden Standorte in Braunschweig und ler als Mitarbeiter der PTR und aktiver Mitglieder Berlin-Charlottenburg. des Kuratoriums verknüpft, wie z. B. Wilhelm Im Ergebnis ist die PTB nach dieser wechselvol- (Willy) Wien, Friedrich Kohlrausch, Walter len Geschichte heute 125 Jahre jung, ein hochge- Nernst, Emil Warburg, Walter Bothe, Albert Ein- achtetes Mitglied der internationalen Metrologie stein und Max Planck, um nur einige zu nennen. und optimal vorbereitet auf die Herausforderun- Mit der Eingliederung der Reichsanstalt für Maß gen der nächsten Jahre. Wenn die Rahmenbedin- und Gewicht im Jahre 1923 besaß die PTR dann gungen es erlauben, werden die guten Wünsche, ein Aufgabenprofil, wie es auch für die heutige die man einem Jubilar zu solchen Anlässen aus- PTB noch besteht. spricht – davon bin überzeugt – sich auch erfüllen. Prof. Dr. Ernst O. Göbel Präsident der PTB von 1995 bis 2011 3
PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Die Intention Wolfgang Buck Um eine Einrichtung auf den Weg zu bringen, deren Umfang und Bedeutung, über die 125 Jahre ihrer Geschichte gemittelt, stets zugenommen hat, bedarf es vieler fähiger Köpfe und günstiger Rahmenbedingungen. Damit in kritischen Zeiten die Entwicklung aber nicht abbricht, braucht es Persönlichkeiten, die von ihrer Mission selbst überzeugt sind und die andere dafür begeistern können. Davon genügen manchmal wenige, aber man benötigt sie genau dann, wenn die Umstände es erfordern. Die Geburt einer Institution ist – wie sonst auch – bereits solch eine kritische Phase. Ist die Entstehung der deutschen Metrologie für Länge und Gewicht nicht ohne den Berliner Astrono- men Wilhelm Foerster zu denken, so gäbe es die Physikalisch-Technische Reichsanstalt nicht ohne den Naturforscher und Unternehmer Werner von Siemens. Er lieferte mit seinen Denkschriften die auch für die Politik einsichtige Begründung für deren dringende Notwendigkeit, die andere wie Hermann von Helmholtz inhaltlich ausgefüllt haben. Er offerierte dem Deutschen Reich sein pri- vates Gelände und aus einer Erbschaft die teilweise Finanzierung der Baukosten, als die Politik sich in Zeitalters der Naturwissenschaften weiterarbeiten, ihren diversen Zuständigkeiten verfangen hatte. in der sicheren Zuversicht, dass es die Menschheit Und er hatte eine Vision davon, was Deutschland moralischen und materiellen Zuständen zuführen brauchte, um zu den prosperierenden Industriena- werde, die besser sind, als sie je waren und heute tionen England und Frankreich aufzuschließen. noch sind.“ Werner Siemens – Anfang der Achtzigerjahre Werner Siemens ist nicht nur als Forscher und des 19. Jahrhunderts noch nicht geadelt – ist tief Erfinder von den Naturwissenschaften überzeugt, beeindruckt von den Fortschritten der Natur- als Industrieller will er die gewonnenen Erkennt- wissenschaft. „Die naturwissenschaftliche For- nisse auch technisch umsetzen und kommerziell schung bildet immer den sicheren Boden des verwerten – zum Wohle der aufstrebenden Indus- technischen Fortschritts, und die Industrie eines trie- und Exportnation Deutschland. Dazu benötigt Landes wird niemals eine internationale leitende er in der „vorwettbewerblichen“ Phase, wenn „die Stellung erwerben und sich erhalten können, Bearbeitung privatwirtschaftlich nicht rentabel ist, wenn dasselbe nicht gleichzeitig an der Spitze indem sie bei großen Schwierigkeiten und Kosten des naturwissenschaftlichen Fortschritts steht“, keinerlei unmittelbaren finanziellen Erfolg und schreibt er in seinem Votum vom April 1883, das keinerlei unmittelbare Steigerung der Leistungsfä- der Denkschrift zur „Begründung eines Instituts higkeit in Aussicht stellt“, die Unterstützung einer für die experimentelle Förderung der exakten staatlichen wissenschaftlich-technischen Einrich- Naturforschung und der Präzisionstechnik“ an die tung – so ebenfalls dargelegt in der Denkschrift preußische Regierung vom 16. Juni dieses Jahres von 1883. Für ihn und andere Unternehmer der in angehängt ist. Sein Glaube an die Wirksamkeit der Deutschland schnell wachsenden Elektroindustrie Naturforschung geht noch weiter, als dass sie nur sind „fundamentale elektrische Maasbestimmun- Basis für den technischen Fortschritt wäre. Der gen dringend erforderlich“, etwas, wofür die für Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte die Metrologie zuständige Kaiserliche Normal- bekennt er 1886 in einem Vortrag seinen Idealis- eichungs-Kommission nicht eingerichtet ist. Bild oben: mus, dass „das immer tiefer die ganze menschliche In einer weiteren Denkschrift vom 20. März Werner von Siemens, Gesellschaft durchdringende Licht der Wissen- 1884, in der er schließlich dem Kaiser seinen 1887; Zeichnung von schaften den erniedrigenden Aberglauben und den „Beitrag von ca. ½ Million Mark“ anbietet, weil Ismael Gentz zerstörenden Fanatismus, diese größten Feinde sein Plan der Gründung der PTR „auf diesem Bild rechts: der Menschheit, in wirksamer Weise bekämpft, so Wege (Anm.: begrenzt auf Preußen) nicht in dem Initialen der PTR können wir mit stolzer Freude an dem Aufbau des (notwendigen) Umfange durchgeführt werden 4
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Die Intention könne“, führt er schließlich nationale Argumente Die Intention dieses Heftes an, für die der Adressat empfänglich ist: „Dem Reiche würden aus einer naturwissenschaftlichen Auch dieses Heft der PTB-Mitteilungen verfolgt eine Intention, nämlich Arbeitsstätte, wie sie geplant ist, sowohl materi- die in den vergangenen 125 Jahren der Geschichte und noch heute wirk- elle wie ideelle Vortheile von großem Gewichte samen Siemens’schen Absichten hinter den dargestellten Fakten durch- erwachsen. Bei dem jetzt so lebhaft geführten scheinen zu lassen. Es sollte keine weitere Geschichte von PTR und PTB Konkurrenzkampfe der Völker hat das Land ein geschrieben werden, weil dazu bereits eine Reihe von Monografien von entschiedenes Übergewicht, welches neue Bahnen kompetenten Autoren erschienen ist, die zur Lektüre wärmstens emp- zuerst betritt und die auf dieselben zu gründen- fohlen wird (siehe S. 68). den Industriezweige zuerst ausbildet. Fast ohne Im Vordergrund werden Ereignisse und Ergebnisse längs der Zeit- Ausnahme sind es naturwissenschaftliche Entde- achse aufgereiht dargestellt, um dem Leser ein Gefühl der Turbulenz ckungen, oft sehr unscheinbarer Art, welche solche oder der Stagnation mancher Epochen zu vermitteln. Angereichert wird neuen Bahnen eröffnen und wichtige Industrie- diese Aufzählung durch biografische Notizen der handelnden Personen, zweige neu erschaffen oder beleben. … Darum weil – wie überall – Institutionen von den sie tragenden und gestal- darf der wissenschaftliche Fortschritt nicht von tenden Individuen leben. Alle diese Informationen sind der Lesbarkeit materiellen Interessen abhängig gemacht werden.“ wegen sehr knapp gehalten, um die Leser zu eigenständigem Literatur- Die Intention von Werner Siemens und seinen studium zu animieren. Verfasst wurden diese „Textschnipsel“ von vielen Mitstreitern zielt auf eine staatlich finanzierte Kollegen aus allen Bereichen der PTB, denen ich an dieser Stelle herzlich außeruniversitäre Großforschungseinrichtung für ihre Unterstützung danken möchte. – die erste ihrer Art in Deutschland, die sowohl Der Erläuterung einzelner besonders gewichtiger Schritte und Ent- der von materiellen Interessen freien Grundlagen- wicklungen sind Doppelseiten gewidmet, die den Fortgang der Zeitachse forschung verpflichtet ist als auch die Industrie unterbrechen. Hier haben Kollegen aus der Wissenschaftsgeschichte und bei aktuellen Problemen u. a. mit „Maasbestim- aus wichtigen Aufgabenbereichen der PTB – auch ihnen sei herzlich mungen“ und Prüfungen unterstützt. So tritt gedankt – Hintergründe und Entwicklungslinien dargestellt und ana- die Physikalisch-Technische Reichsanstalt am lysiert. Das beginnt mit der Persönlichkeit des ersten Präsidenten und 28. März 1887 mit der Verabschiedung des Etats „Reichskanzlers der Wissenschaft“ Hermann von Helmholtz, gefolgt 1887/1888 des Reichsamts des Inneren ins Leben, von einem Bericht über den spektakulärsten Erfolg der Experimentier- der Grundintention entsprechend gegliedert in kunst der PTR: die präzise Bestimmung des Spektrums der Strahlung eine Physikalische und eine Technische Abteilung. des Schwarzen Körpers. Sie hat Max Planck zu seiner Strahlungsformel „Der Gedanke schien gut zu sein, denn heute gibt und damit zur Quantentheorie geführt. Anlass war der Bedarf eines es viele außeruniversitäre Forschungseinrich- präziseren Lichtstärkenormals zur Entscheidung für die wirtschaftlichere tungen“, so Bundeskanzlerin Merkel 2007 aner- Energie für die Berliner Straßenbeleuchtung: Elektrizität oder Gas. kennend, von denen sich 2001 eine ganze Reihe Das Kuratorium, damals wie heute besetzt mit wichtigen Vertretern unter dem Namen des Mitinitiators und ersten aus Wissenschaft und Wirtschaft, ist von Anfang an ein prägendes Präsidenten der PTR, Hermann von Helmholtz, Element für die Kursbestimmung der Anstalt und die Vertretung ihrer zusammengeschlossen haben. Die PTR mit ihrem Anliegen gegenüber Politik und Öffentlichkeit. Präsident Warburg setzte Aufgabenspektrum und in ihrer Folge die PTB die PTR durch die Hinwendung zur Neuen Physik, durch neue Geld- sind allerdings einmalig geblieben und ihr Auftrag, quellen und durch eine neue Abteilungsstruktur noch vor dem Ersten zwar vielfach erweitert und präzisiert, aber immer Weltkrieg auf eine bis heute tragende Zukunftsschiene. Unter Präsident orientiert an der Siemens’schen Vision, ist heute Nernst konnte die klassische Metrologie von Maß und Gewicht einge- im Grundgesetz verankert. gliedert werden. Die Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkriegs waren gekennzeichnet durch einen allgemeinen Niedergang der Wissen- schaft in Deutschland, dem sich auch die PTR nicht entziehen konnte. Die Stunde Null danach erzwang – ebenfalls durch die politische Situation – eine getrennte Entwicklung in beiden deutschen Nach- kriegsstaaten. Das Engagement beider Systeme u. a. beim gesetzlichen Messwesen brachte auf dem Umweg über internationale Organisationen wie die OIML erste Kontakte zustande. Die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte die gemeinsame Neuausrichtung der Metrologie auf die Zukunft, was besonders am Berliner Standort im Osten wie im Westen Konsequenzen hatte. Die Antwort der nationalen Metrologieinstitute auf die zunehmende Integration Europas hat der PTB viele Chancen, aber auch neue Verantwortung beschert. Auch innerhalb Deutschlands ist die aktuelle Bedeutung der Metrologie und der PTB als wissenschaftsba- sierte Dienstleisterin gewachsen und in mittlerweile zwei Evaluationen glänzend bestätigt. Das Heft endet mit einer Bestandsaufnahme und der sich heute bietenden Vision für die nächsten Dekaden. Diese zeigen, dass die 125-jährige Intention von Werner von Siemens die Zukunft auch heute noch kraftvoll gestalten hilft. 5
PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 1872 – Schellbach-Denkschrift 1883 – Denkschrift für ein preußisches physikalisch- mechanisches Institut Die nach dem Mathematiker Karl-Heinrich Schellbach benannte Denkschrift vom 30. Juli „Über die Gründung Nach langen politischen Diskussionen setzen Helmuth eines Museums für exakte Wissenschaften“ gilt als das erste von Moltke und der preußische Kultusminister Gustav von Dokument, das die Errichtung einer staatlichen Einrichtung Gosler eine neue Kommission ein, die in einer „Denkschrift für die Präzisionsmechanik zur Verbesserung der techni- betreffend die Begründung eines Instituts für die experi- schen Voraussetzungen für naturwissenschaftliche Forschung mentelle Förderung der exakten Naturforschung und der zum Ziel hat. Das an den Kronprinzen und späteren Kaiser Präzisionstechnik (Physikalisch-mechanisches Institut)“ vom Friedrich III. gerichtete Papier trägt u. a. auch die Unterschrif- 16. Juni ein Institut fordert, das naturwissenschaftliche und ten von Hermann Helmholtz, Emil du Bois-Reymond und technische Forschungen in der Optik, Elektrizität, Mechanik, Wilhelm Foerster. Es wird von der Preußischen Akademie der Metallurgie usw. ausführt und zugleich als Versuchs- und Wissenschaften abgelehnt. Prüfstation für physikalische Instrumente, Materialien und Produkte dient. Mitglieder der Kommission waren u. a. Foerster, Helmholtz und Siemens, der durchgesetzt hatte, dass „die Wissenschaft den höheren Gesichtspunkt bilden müsse“ im Vergleich zur Präzisions-Mechanik. 1873 – Denkschrift von Wilhelm Foerster 1884 – Denkschrift zur Errichtung einer „physikalisch-technischen Reichsanstalt“ Nach dem Misserfolg der Schellbach-Denkschrift reicht Wilhelm Foerster am 27. Oktober eine weitgehend identische Am 20. März bietet Werner Siemens in einer weiteren Denk- Denkschrift beim Chef der Preußischen Landestriangulation schrift nunmehr dem Deutschen Reich „eine Schenkung von ein. Er verlagert den Schwerpunkt der Begründung vom einer halben Million Mark in Grundwerth oder Kapital … allgemeinen Nutzen für Kultur und Verbreitung der exakten zur Begründung eines Laboratoriums, welches wissenschaft- Wissenschaften zu praktischen Anwendungen wie dem Ver- lichen Fundamentaluntersuchungen gewidmet sein sollte“, messungswesen. Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke an. Hermann von Helmholtz arbeitet die „Aufgaben der übernimmt Foersters Argumente in seine „Vorschläge zur ersten (wissenschaftlichen) Abtheilung der physikalisch-tech- Hebung der wissenschaftlichen Mechanik und Instrumenten- nischen Reichsanstalt“ aus, Wilhelm Foerster die „Aufgaben kunde“ vom 25. April 1874 der zweiten (technischen) Abtheilung …“. 1872 1884 – Werner von Siemens – 1884 – Siemens formuliert die Aufgaben Schlüsselpersönlichkeit für die PTR der zukünftigen Reichsanstalt Werner Siemens (1816–1892) studiert bis 1838 Im November legt Werner Siemens einen an der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule, detaillierten Plan über die künftigen Aufgaben wird ein international erfolgreicher Unterneh- der PTR vor. Für die wissenschaftliche Abteilung mer und Erfinder und leistet mit seiner Firma sieht er diese 1. in der Lösung „von wissen- Siemens & Halske Pionierarbeit beim Bau von schaftlichen Fundamentalbestimmungen“, ein- Telegrafenleitungen und der Verlegung von schließlich der Wiederholung älterer Ergebnisse Überseekabeln. Obwohl Siemens stets versucht, mit verbesserten Mitteln; 2. in der experimentel- physikalische Erkenntnisse gesellschaftlich len Bestimmung ungelöster Fragen; 3. in „expe- nutzbar zu machen, fühlt er sich stark zur „reinen rimentellen Forschungsarbeiten zur Erweiterung Physik“ hingezogen und führt eigene physikali- unserer Naturkenntnisse.“ Die technische Abtei- sche Experimente durch. Er entwickelt den Dynamo, setzt die Elektrizität lung soll auf folgenden Gebieten tätig werden: als erster zur Stadtbeleuchtung in Berlin und für den Antrieb von Lokomo- 1. Materialprüfung und Bestimmung von tiven, Aufzügen und Bussen ein. 1888 wird er geadelt. Ohne seinen persön- Konstanten; 2. Präzisionsmechanik; 3. Optik; lichen und finanziellen Einsatz wäre die PTR damals nicht entstanden. 4. Thermometrie; 5. Elektrotechnik. 6
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Chronik 1887 – Gründung der 1889 – Lummer-Brodhun-Würfel Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Otto Lummer und Eugen Brodhun entwickeln in der PTR auf Basis Am 28. März bewilligt der neu gewählte Reichstag des sogenannten Lummer-Brodhun-Würfels ein visuelles Photometer. insgesamt 700 432 Mark für Bauten, Ausstattung Damit kann die Gleichheit der Lichtstärke zweier Lichtquellen mit dem und Personal der Reichsanstalt. Dieses Datum Auge sehr genau eingestellt werden, was zusammen mit definierten steht daher für ihre Gründung. Am 1. Oktober Abschwächungsmethoden und einem entsprechenden Normal die Ent- nimmt die Physikalische Abteilung im Privatlabo- wicklung einer Lichtstärkeskala erlaubt. ratorium von Johannes Pernet, am 17. Oktober die Technische Abteilung in Räumen der Technischen Hochschule Charlottenburg die Arbeit auf. 1890 – Feußner-Kompensator Karl Feußner erfindet den Gleichspannungs-Kompensationsapparat, mit 1887 – Das Kuratorium unterstützt die PTR dem sich Stromstärken durch Rückführung auf Spannung und Wider- von Anfang an stand mit hoher Genauigkeit messen lassen. Darüber hinaus kann der Feußner-Kompensator auch für Spannungs- und Widerstandsmessun- Das erste Kuratorium der PTR besteht aus 24 Ver- gen selbst eingesetzt werden. tretern von Regierung, Wissenschaft und Indust- rie. Zu seinen Pflichten gehören die Prüfung des jährlichen Präsidentenberichtes, die Beratung von Arbeitsprogramm und Etat sowie die Genehmi- gung von Anstellungen. 1890 – Hefner-Kerze Nach Untersuchungen der PTR 1888 – Arbeitsgebiet „Photometrie“ stellt die „Hefner-Kerze“, eine Amylacetatlampe, ein primäres Angeregt durch den Deutschen Verein der Gas- Normal für die Lichtstärkeein- und Wasserfachmänner übernimmt die PTR die heit mit immer gleichen Eigen- Aufgabe der Schaffung eines international akzep- schaften und einer Unsicherheit tierten Lichtstärke-Normals höchstmöglicher von 1,5 % dar. Diese Lampe Genauigkeit sowie der Entwicklung wesentlich wird in Deutschland, Österreich leistungsfähigerer visueller Photometer für die und in den skandinavischen Bestimmung der Lichtstärke von Lampen u. a. zur Ländern von 1896 bis 1941 ein Beurteilung der Straßenbeleuchtung. staatlich anerkanntes Normal. 1891 1888 – Hermann von Helmholtz 1891 – Farbenlehre von wird erster Präsident der PTR Helmholtz Hermann Helmholtz (1821–1894) studiert Medizin Selbst als Präsident der PTR arbeitet in Berlin und promoviert 1842 in Anatomie. Nach Hermann von Helmholtz wissen- physiologischen Lehrtätigkeiten in Königsberg, schaftlich an seiner Drei-Kompo- Bonn und Heidelberg wird er 1871 Nachfolger von nenten-Farbtheorie mit den Geset- Gustav Magnus als Ordinarius für Physik in Berlin. zen der additiven und subtraktiven Er ist einer der kreativsten und produktivsten Farbmischung. Seine drei Variablen Physiologen und Physiker des 19. Jahrhunderts. Farbton, Sättigung und Helligkeit Berühmt wird er durch seine bahnbrechenden zur Charakterisierung von Farbe Arbeiten zum Gesichts- und Hörsinn sowie durch werden auch heute noch verwandt. die Erfindung des Augenspiegels und akustischer Resonatoren, später durch seine Abhandlung zur „Erhaltung der Kraft“, der Energieerhaltung. 1883 wird er geadelt. Helmholtz setzt sich persönlich zusammen mit Werner von Siemens und anderen für die Gründung der PTR ein und wird von 1888 bis 1894 ihr erster Präsident. 7
PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Helmholtz und die Gründerjahre Helmut Rechenberg Im 19. Jahrhundert begann die systematische Dazu wollte Siemens auch ein Grundstück nahe Industrialisierung Europas und darüber hinaus, der Technischen Hochschule Charlottenburg für die die Dampfmaschine und der Telegraph schenken und auch die Kosten des „Aufbaus der charakteristische Symbole setzten. Gleichzeitig benötigten Gebäude“ aus dem Erbe seines Bruders wurden die klassischen Naturwissenschaften William bezahlen. Die Annahme dieser Schen- Physik, Chemie und Atomlehre vollendet, ein kung wurde schließlich im März 1887 vom Reichs- systematisches System von Grundeinheiten, das tag, gegen den Einspruch Bayerns, beschlossen. Gauß-Weber’sche CGS(Zentimeter-Gramm- Renommierte Persönlichkeiten der Wissenschaft Sekunde)-System unter Einschluss der elektrischen wie der Optiker Ernst Abbe und der Mediziner und magnetischen Größen eingeführt und für Rudolf Virchow hatten sich dafür eingesetzt. industrielle ebenso wie andere gesellschaftspoliti- In das Kuratorium wurden 24 Fachleute aus sche, auch militärische Interessen verwendet. Universitäten und Industrie berufen. Die eigent- Bald nach der Gründung des neuen Deutschen lichen Väter der Reichsanstalt, Helmholtz und Reiches schickte Karl-Heinrich Schellbach, Mathe- Siemens, entwarfen deren Struktur: eine „Physika- matikprofessor an der Berliner Kriegsakademie, lische Abteilung“ und eine „Technische Abteilung“. beraten durch herausragende Kollegen aus den Der 1883 in den erblichen Adelsstand erhobene Naturwissenschaften (namentlich Emil du Bois- Helmholtz wurde 1888 ihr erster Präsident und Reymond, Wilhelm Foerster, Hermann Helmholtz übernahm den weiteren Aufbau der Anstalt. und Carl Adolf Paalzow) seinem früheren Schüler, Der 1821 in Potsdam geborene Hermann dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, am 30. Juli Ludwig Ferdinand Helmholtz war einer der 1872 eine Denkschrift. Diese „Schellbach-Denk- prägenden Naturwissenschaftler seiner Zeit. Der schrift“ forderte zunächst eine Sammlung solcher Physikerkollege James Clerk Maxwell nannte Instrumente, die „eine wissenschaftliche Bedeutung ihn gar einen „intellektuellen Riesen“. Nach dem erlangt haben“, dazu Werkzeugmaschinen, welche Studium am „Medizinisch-chirurgischen Institut“ „zur Herstellung von Präzisions-Apparaten dienen“. Die „Hauptzwecke dieser reich ausgestatteten jedermann zugänglichen Sammlung“ würden u. a. sein: „1. Gelehrte und Laien durch Anschauung der Apparate und ihrer wesentlichen Funktionen in Kenntnis von dem Standpunkte und dem Fort- schritte der Wissenschaft zu setzen. 2. Den Mecha- nikern für ihre Arbeiten die Muster zu liefern …“ und „3. Die Apparate und Werkzeug-Maschinen solchen Personen, welche die nötigen Garantien bieten, zu überlassen.“ Ausgaben von 20 000 Reichstalern seien erforderlich. Die Verwaltung des Instituts und ihr Anschaffungsplan sollten durch ein „Kuratorium, bestehend aus Vertretern der exakten Wissenschaften und ihrer Lehre“ kontrol- liert werden. Kronprinz Friedrich Wilhelm reichte diese Denkschrift im September 1872 an den zuständigen preußischen Minister weiter, der sie von der Akademie der Wissenschaften überprüfen ließ. Von dort wurde sie jedoch abgelehnt. Obwohl Bild diese Seite: sich Wilhelm Foerster daraufhin an den Chef des Helmholtz-Denkmal Generalstabes, Helmuth von Moltke, wandte und von E. Herter, 1899, diesen für das Vorhaben gewann, lehnte das Preu- im Ehrenhof der Humboldt-Universität ßische Abgeordnetenhaus endgültig ab. zu Berlin Nach zehnjähriger Unterbrechung nahmen sich Hermann Helmholtz und Werner Siemens Bild Seite 9: der Sache erneut an und verfassten im Sommer Entwurfszeichnung 1883 die „Denkschrift betreffend die Begründung der PTR in Charlot- tenburg, entstanden eines Instituts für die experimentelle Förderung zwischen 1884 und der exakten Naturwissenschaften und der Präzisi- 1887 onstechnik (Physikalisch-mechanisches Institut)“. 8
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Helmholtz und die Gründerjahre in Berlin diente er als Chirurg und Militärarzt an der Berliner Charité und in Potsdam. Er promo- vierte 1842 neben Emil du Bois-Reymond und Rudolf Virchow beim großen Physiologen Johan- nes Müller an der Berliner Universität, schloss sich 1845 wie der Ingenieur Werner Siemens der eben gegründeten Physikalischen Gesellschaft zu Berlin an, wo er am 25. Juni 1847 in seinem Vortrag über die „Erhaltung der Kraft“ die allgemeine Formu- lierung des Energiesatzes vorstellte. Nach einer Lehrstelle für Anatomie an der Berliner Akademie wurde er als Extraordinarius für Physiologie an die Königsberger Universität berufen und stieg dort schon 1850 zum Ordinarius und 1854 zum Dekan Laboratorium der PTR vorstanden, sowie ihr Assistent und Helmholtz- der medizinischen Fakultät auf. Unterstützt von Schüler Wilhelm (Willy) Wien. seiner ersten Frau Olga von Velten, entstanden Zu Helmholtz’ Zeiten beschäftigte die Reichsanstalt 65 Personen, dort Pionierarbeiten über die Signalfortpflan- darunter mehr als ein Dutzend Physiker, und hatte ein Budget von zung bei der Nervenleitung. Außerdem erfand er 263 000 Mark. Der Präsident bezog ein Gehalt von 24 000 Mark, für den Augenspiegel und das Ophthalmometer zur das ihn der Staat allerdings auch verpflichtete, Vorlesungen von ein- Messung der Hornhautkrümmung. 1855 nahm bis dreistündiger Dauer über theoretische Physik an der Universität er einen Lehrstuhl für Physiologie und Anatomie zu halten. In seiner Gedächtnisrede auf den alten Freund im Juli 1895 in Bonn an, zog aber bereits 1858 weiter nach in der Berliner Akademie kommentierte Emil du Bois-Reymond die Heidelberg. Das „Handbuch für physiologische hohe Gehaltseinstufung mit den Worten, „dass der Präsident eines so Optik“ und die „Lehre von den Tonempfindun- umfangreichen, vielfach gegliederten, zum Teil den Charakter einer gen“ mit physikalisch-anatomischen Studien über Unterrichtsanstalt, zum Teil den einer Fabrik tragenden Institutes mit das menschliche Ohr und das Hören schrieb er einem Personal von 50 Beamten, eine gewaltige Menge von täglich sich während dieser Zeit. In Heidelberg starb Ende erneuernden Verwaltungsgeschäften zu erledigen hat, welche … durch 1859 Olga Helmholtz. Einige Monate später heira- ihre Neuheit und Fremdartigkeit ihn vielmehr erst recht belasteten.“ tete Helmholtz seine zweite Frau, Anna von Mohl. 1897 konnte sein Nachfolger Friedrich Kohlrausch endlich auch die Auf Reisen nach Großbritannien ab Sommer 1853 weiteren geplanten Gebäude der PTR in Betrieb nehmen: für die Physi- lernte er berühmte Physiker kennen, namentlich kalische Abteilung neben dem bereits existierenden Präsidentenwohn- den Engländer Michael Faraday („den gegenwärtig haus das Observatorium, einen Verwaltungsbau und das Magnethaus ersten Physiker Europas“). 1855 traf er den Schot- und für die Technische Abteilung deren Hauptgebäude, ein Laboratori- ten William Thomson in Deutschland, den er auch umsgebäude, das Maschinenhaus, das Kesselhaus, das Lufthäuschen und später häufig besuchte. 1871 wurde er nach dem das Wohnhaus des Direktors. Tode von Gustav Magnus dessen Nachfolger als Da Hermann von Helmholtz 1894 kurz nach seinem 73. Geburtstag Ordinarius für Physik an der Berliner Universität, starb, konnte er die großen wissenschaftlichen Erfolge seiner Anstalt, für nachdem er sich vorher durch wichtige Arbeiten die er mit seinen Vorstellungen die Grundlagen gelegt hatte, nicht mehr über die Hydrodynamik und die Elektrodynamik erleben. als Physiker eingeführt hatte. Mit seinem Freund Der Ostpreuße Willy Wien trat nach mathematischen Studien an den du Bois-Reymond baute er zwei benachbarte Insti- Universitäten Göttingen und Berlin im Wintersemester 1883/84 ins tute für Physik bzw. Physiologie auf und richtete sie Laboratorium von Hermann von Helmholtz an der Berliner Universität ein. Helmholtz begann nun eine erfolgreiche Lauf- ein, in das er nach einem Auswärtssemester in Heidelberg zurückkehrte. bahn als Physiker in Zusammenarbeit mit Gästen Dort promovierte er 1886 mit einer optischen Arbeit. 1890 wurde er wie Ludwig Boltzmann und Albert Abraham Mitarbeiter der PTR und wandte sich mit thermodynamischen und Michelson und Schülern wie Heinrich Hertz. elektrodynamischen Methoden dem Gebiet der Wärmestrahlung zu. Mit Dem Förderer Siemens wurde gelegentlich Otto Lummer schlug er 1895 die Realisierung eines Schwarzen Strahlers vorgeworfen, dass er die geplante Physikalisch- in Form eines auf konstante Temperatur geheizten Hohlraums vor. Die Technische Reichsanstalt vollständig auf seinen Messungen Lummers mit den Helmholtz-Schülern Ernst Pringsheim, Freund Hermann von Helmholtz zugeschnitten Ferdinand Kurlbaum und Heinrich Rubens führten schließlich ein Jahr habe. Bereits im Mai 1889 konnte von den auf später zum Wien’schen Strahlungsgesetz, das Max Planck, Ordinarius dem Siemens-Gelände errichteten Gebäuden für Theoretische Physik an der Berliner Universität, 1899 herleiten das Wohnhaus der Familie Helmholtz bezogen konnte. Anschließend gefundene Abweichungen, die Rubens und werden. Es entwickelte sich bald zum Mittelpunkt Kurlbaum in Messungen bei hohen Temperaturen und großen Wellen- einer illustren Gesellschaft, die vom Kronprinzen- längen feststellten, führten Planck schließlich zu einer Verbesserung paar über viele Kollegen und Künstler bis zu den der Wien’schen Gleichung durch Einführung von Strahlungsquanten. leitenden Mitarbeitern der Reichsanstalt reichte. Sein Vortrag darüber am 14. Dezember 1900 in der Versammlung der Unter letzteren seien Otto Lummer und Friedrich Deutschen Physikalischen Gesellschaft gilt gemeinhin als Aufbruch in Kurlbaum besonders erwähnt, die dem Optischen eine neue Ära der Physik. 9
PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 1891 − Observatorium Das im Zentrum des PTR-Geländes gelegene Observatorium ist für die Präzisions- messungen der Physikalischen Abteilung maßgeschneidert. Auf eine 2 m dicke Betonplatte gegründet und mit aussteifenden, sehr massiven Gewölben versehen, bietet es beste Voraussetzungen für die Unterdrückung mechanischer Schwingun- gen. Ein Isolierkellergewölbe, ausgeklügelte Luftführung und die Anordnung der hochwertigsten Messräume im fensterlosen Zentrum des Gebäudes sorgen für außerordentliche Temperaturkonstanz. Beides, Schwingungsisolation und Tempera- turkonstanz, bilden die unverzichtbare Basis für jede Form der Präzision. 1892 − Feußner 1892 − Loewenherz- 1893 – Wien’sches 1895 – Kohlrausch verfasst sein und Lindeck entwi- Gewinde wird Verschiebungs- „Lehrbuch der praktischen Physik“ ckeln das Manganin Norm gesetz Friedrich Kohlrausch gibt sein bis heute in 24 Der von Karl Feußner Das von Leopold Aufbauend auf thermo- Auflagen erschienenes „Lehrbuch der prakti- und Stephan Lindeck Loewenherz 1889 dynamischen Überle- schen Physik“ im Verlag B. G. Teubner heraus, in Zusammenarbeit vorgestellte Feinme- gungen erzielt Wilhelm das Anfänger in die praktische experimentelle mit der Isabellenhütte chanikergewinde Wien mit dem von ihm Arbeit einführen und Fachleute bei der Lösung Dillenburg entwickelte ist ursprünglich ein formulierten Verschie- praktischer Probleme ihrer Forschung unter- Werkstoff Manganin Spitzgewinde. Es bungsgesetz einen stützen soll. vereinigt einen hohen wird nunmehr in der wichtigen Erfolg bei spezifischen Wider- abgeflachten Form der Beschreibung der stand und einen als Normgewinde Wärmestrahlung eines 1895 – Radiometrie geringen Temperatur- anerkannt und ist in Schwarzen Körpers. Das koeffizienten mit einer der optischen Industrie Gesetz beschreibt exakt Die Radiometrie als die Wissenschaft von der sehr guten Langzeit- vierzig Jahre lang als die Verschiebung des quantitativen Messung elektromagnetischer Stabilität sowie Loewenherz-Gewinde Maximums der Strah- Strahlung und ihrer Anwendung wird zu einem geringer Thermospan- in Gebrauch, bevor es lungsemission eines wichtigen Arbeitsgebiet an der Reichsanstalt. nung gegen Kupfer. durch das metrische Schwarzen Körpers mit Sie ermöglicht z. B. genaue Messungen der Manganin ist der am Gewinde DIN 13 zunehmender Tem- Wärmestrahlung Schwarzer Körper und auch häufigsten eingesetzte ersetzt wird. peratur zu kürzeren die physiologische Bewertung von sichtbarem Widerstandswerkstoff. Wellenlängen. Licht (siehe Arbeitsgebiet „Photometrie“, S. 7). 1891 1891 − Wilhelm Foerster wird Präsident des CIPM Wilhelm Foerster (1832–1921) studiert Mathematik, Physik, Kunstge- schichte und später Astronomie in Berlin und Bonn. Von 1865 bis 1904 ist er Direktor der Berliner Sternwarte. 1869 wird er Direktor der neu gegründeten und von ihm geprägten Normal-Eichungs-Kommission des Norddeutschen Bundes und anschließend des Deutschen Reichs. Wilhelm Foerster erweist sich auch an anderer Stelle als erfolgreicher Verhandlungsführer und Organisator. Er trägt u. a. entscheidend zum Zustandekommen der Pariser Meterkonvention 1875 bei und leitet von 1891 bis 1920 das Internationale Komitee für Maß und Gewicht (CIPM). Außerdem ist er ab 1873 maßgeblich an allen Vorgesprächen zur Gründung der PTR betei- ligt. In diesem Zusammenhang ist er Initiator verschiedener Denkschriften und von 1887 bis 1921 Kurator der PTR. 10
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Chronik 1895 – Lummer und Wien 1898 – Orlich erstellt entwickeln erste Hohl- Selbstinduktivitätsnormale raumstrahler Ernst Orlich stellt die ersten Selbstinduktivitäts- Aufbauend auf einer Idee normale nach der Methode von Max Wien her von Gustav Kirchhoff (1860) und entwickelt umfangreiche Berechnungen für entwickeln Otto Lummer und Induktivitäts- und Kapazitätsnormale, die im Willy Wien erste Hohlraum- Vieweg Verlag veröffentlicht werden. Die Arbei- strahler zur praktischen ten werden später von Erich Giebe und Gustav Erzeugung der Wärmestrah- Zickner fortgeführt. lung Schwarzer Körper. 1899 − Abweichungen vom 1896 – Schönrock Wien’schen Strahlungsgesetz verbessert die Zuckeranalytik Otto Lummer und Ernst Pringsheim messen an In der PTR werden zur Unterstützung der Industrie die Grundlagen für einem elektrisch geheizten Hohlraumstrahler bei quantitative Zuckerprüfungen mit Hilfe der Polarimetrie gelegt. Dazu Temperaturen bis 1600 °C und Wellenlängen bis entwickelt Otto Schönrock neue Saccharimeter zur Messung der opti- zu 6 µm Abweichungen der emittierten Wärme- schen Aktivität von Zuckerlösungen und untersucht die Eigenschaften strahlung vom Wien’schen Strahlungsgesetz im von Normalzuckerlösungen und Quarzplattennormalen. Bereich hoher Temperaturen und großer Wellen- längen. Die Messungen werden bis 18 µm ausge- dehnt. Die Abweichungen nehmen zu. 1896 – Wien’sches Strahlungsgesetz 1897 – Hauptgebäude (später Werner-von- 1900 − Gumlich untersucht Wilhelm Wien formuliert ein Strah- Siemens-Bau) Transformatorbleche lungsgesetz, von dem man für einige Jahre glaubt, dass es die Wärmestrah- Für die Aufgaben der II. Ernst Gumlich entdeckt, dass siliziumhaltiges Eisen lung eines Schwarzen Körpers exakt Abteilung, der Technischen, einen erhöhten elektrischen Widerstand und damit beschreibt, bis Präzisionsmessungen von wird gegenüber dem Obser- geringere Wirbelstromverluste aufweist. Der Elek- Otto Lummer und Ernst Pringsheim vatorium das vierstöckige, tromaschinenbau greift diese Entwicklung auf und (1899) sowie von Ferdinand Kurlbaum U-förmige Hauptgebäude macht Gumlichs Entdeckung zu einem der wesentli- und Heinrich Rubens (1900) deutliche errichtet. chen technischen und wirtschaftlichen Impulse, die Abweichungen bei hohen Temperaturen von der PTR ausgehen. und großen Wellenlängen zeigen. 1900 1895 – Friedrich Kohlrausch 1898 – Gesetz betreffend die elektrischen wird Präsident der PTR Maßeinheiten Friedrich Kohlrausch (1840–1910) studiert Die PTR erhält durch das am 1. Juni von Kaiser Physik in Erlangen und Göttingen. Ab 1870 Wilhelm II. unterzeichnete Gesetz betreffend ist er nacheinander ordentlicher Professor in die elektrischen Einheiten ihre erste gesetzliche Zürich, Darmstadt, Würzburg und Straß- Aufgabe. Sie soll die im Gesetz definierten elek- burg. Kohlrausch gilt als einer der meister- trischen Einheiten darstellen und bewahren und haftesten Messtechniker des 19. Jahrhunderts Messgeräte für elektrische Größen prüfen. und als einer der Mitbegründer der physi- kalischen Chemie. Er ist Autor des 1870 als „Leitfaden der Praktischen Physik“ erschie- nenen ersten Lehrbuchs zur Experimentalphysik, das er zum Lehrbuch für Generationen erweiterte. Er ist Kurator der PTR von der ersten Stunde bis 1910 und von 1895 bis 1905 ihr Präsident. 11
PTR/PTB: 125 Jahre metrologische Forschung PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Der Schwarze Körper und die Quantisierung der Welt Jörg Hollandt Bei einer Temperatur oberhalb des absoluten in den Hohlraum fällt, viele Reflektionen an den Nullpunkts emittiert jeder Körper elektromagneti- Wänden des Hohlraums durchlaufen und schließ- sche Strahlung, die als Wärmestrahlung bezeichnet lich vollständig absorbiert werden. Die einzige wird. Bereits 1860 erkannte Gustav Kirchhoff, dass Strahlung, die den Hohlraum verlässt, ist somit die für einen Körper, der alle einfallende Strahlung in dem Hohlraum erzeugte Wärmestrahlung des vollständig absorbiert (Absorptionsgrad α = 1), das Schwarzen Körpers. Spektrum der emittierten Wärmestrahlung unab- hängig von Form und Material des Körpers und nur noch eine Funktion von Wellenlänge und Tempera- tur ist [1]. Ein solcher ausgezeichneter Körper wird seit Kirchhoff als Schwarzer Körper bezeichnet. Auf der Grundlage des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik folgerte Kirchhoff, dass im thermischen Gleichgewicht für dieselbe Tempe- ratur, Wellenlänge und Richtung der gerichtete spektrale Absorptionsgrad gleich dem gerichteten Erste Untersuchungen an solchen Hohlraum- spektralen Emissionsgrad ist. Der spektrale Emis- strahlern führten Wien 1896 zur Formulierung sionsgrad beschreibt die Fähigkeit eines Körpers, des nach ihm benannten Strahlungsgesetzes, von Wärmestrahlung zu emittieren. Für einen Schwar- dem man für wenige Jahre glaubte, dass es die zen Körper ist der spektrale Emissionsgrad somit Wärmestrahlung richtig beschreiben würde [2]. In gleich eins für alle Wellenlängen, und kein Körper den folgenden drei Jahren entwickelten Lummer gleicher Temperatur kann mehr Wärmestrahlung und Kurlbaum einen elektrisch geheizten Hohl- aussenden als ein Schwarzer Körper. raumstrahler, mit dem sie Temperaturstrahlung Nach dieser wichtigen Entdeckung von Gustav bis zu etwa 1600 °C erzeugen konnten. Genaue Kirchhoff wurde die Suche nach einer analytischen Messungen von Lummer und Pringsheim mit Beschreibung des Wärmestrahlungsspektrums des diesem Strahler zeigten bei höheren Temperaturen Schwarzen Körpers zu der prominentesten Her- und größeren Wellenlängen signifikante Abwei- Bild diese Seite: ausforderung der theoretischen Physik gegen Ende chungen zum Wien’schen Strahlungsgesetz [3]. „Vollständige“ des 19. Jahrhunderts. Die gestrichelte Linie in ihrem Diagramm wurde Absorption eines Schon bald nach Gründung der Physikalisch- nach dem Wien’schen Strahlungsgesetz berechnet. Lichtstrahls, der Technischen Reichsanstalt (PTR) im Jahr 1887 Die durchgezogene Linie stellt das Ergebnis der in den Schwarzen Körper fällt. wurde die Messung der Strahlung Schwarzer Messungen im Spektralbereich von 1 µm bis 6 µm Körper zu einer wichtigen Aufgabe des Laboratori- dar, die bei hohen Temperaturen und größer wer- Bild Seite 13 linke ums für Optik, ausgeführt durch die Wissenschaft- dender Wellenlänge zunehmend vom Wien’schen Spalte: ler Ferdinand Kurlbaum, Otto Lummer, Werner Strahlungsgesetz abweichen. Spektrum der vom Pringsheim, Heinrich Rubens und Wilhelm Wien. Im Jahre 1900 benutzten Rubens und Kurlbaum Schwarzen Körper emittierten Wärme- 1892 entwickelten Kurlbaum und Lummer das die Reststrahlenmethode, um bei noch größeren strahlung, 1900 ge- elektrische Substitutionsradiometer zur quanti- Wellenlängen nun eindeutig nachzuweisen, dass es messen von Lummer tativen Messung elektromagnetischer Strahlung, mit zunehmender Temperatur immer deutlichere und Pringsheim und was für die Vermessung der Wärmestrahlung Abweichungen der Messungen vom Wien’schen verglichen mit dem eine unbedingte Voraussetzung war. Auch bei Strahlungsgesetz gab [4]. Dieses Ergebnis berich- Wien’schen Strah- lungsgesetz der praktischen Erzeugung der Wärmestrahlung tete Rubens persönlich Max Planck, der sich an eines Schwarzen Körpers beschritten die PTR- der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin mit Bild Seite 13 rechte Physiker Wien und Lummer neue Wege, indem sie der Theorie Schwarzer Körper befasste. Noch Spalte: 1895 isotherme Hohlräume als Strahlungsquellen am selben Tag, am 7. Oktober 1900, fand Planck Ein moderner vorschlugen. Sie griffen damit eine Idee auf, die empirisch eine Formulierung des Strahlungsgeset- Hochtemperatur- Hohlraumstrahler bereits Kirchhoff geäußert hatte. Nach Kirch- zes für den Schwarzen Körper, die in Übereinstim- der PTB, mit dem hoff sollte die Wärmestrahlung innerhalb eines mung mit allen Messungen der PTR stand. Am 19. Temperaturen isothermen Hohlraums exakt der Strahlung eines Oktober präsentierte er dieses Ergebnis auf einer von 3000 °C erreicht Schwarzen Körpers entsprechen. Um die Strahlung Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft werden. Die Tempe- zu beobachten, muss der Hohlraum allerdings mit im Anschluss an einen Vortrag von Kurlbaum [5]. raturmessung erfolgt optisch durch absolut einer kleinen Öffnung versehen werden. Solange In den folgenden zwei Monaten gelang Planck kalibrierte Strah- die Öffnung sehr klein gegen die innere Oberflä- eine theoretische Herleitung seiner Gleichung. Dazu lungsempfänger. che des Hohlraums ist, wird ein Lichtstrahl, der übertrug er das 1889 von Heinrich Hertz einge- 12
PTB-Mitteilungen 122 (2012), Heft 2 Der Schwarze Körper und die Quantisierung der Welt Wissenschaft und Technik entwickelt. Für nahezu ein Jahrhundert war der von Lummer und Kurlbaum eingeführte Hochtemperatur-Hohl- raumstrahler das einzige primäre Strahlungsnormal zur Darstellung und Weitergabe von Temperatur und Strahlung. Erst seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts stand mit dem Elektronenspeicherring ein neues, zweites primäres Strahlungsnormal zur Verfügung. Der Hohlraum- strahler dient noch heute zur Darstellung und Weitergabe der Hochtemperatur- Skala sowie radiometrischer und photometri- scher Größen vom ultravioletten bis in den infraroten Spektralbereich. Erst kürzlich wurde in der PTB ein Hohlraumstrahler entwickelt, der es sogar erlaubt, Strahlungsmessungen im äußerst langwelligen Spektral- bereich der THz-Strahlung (30 µm bis 1500 µm) durchzuführen. In der PTB kann heute mit Hilfe von Präzisions-Hohlraumstrahlern bei jeder Temperatur im Bereich von – 170 °C bis 3000 °C Schwarzkörperstrahlung führte Konzept des harmonischen Oszillators zur erzeugt werden [7]. Dabei werden bei der Kalibrierung von Strahlungs- Beschreibung der Emission und Absorption elektro- thermometern Standardmessunsicherheiten von 70 mK am Silbererstar- magnetischer Strahlung auf die Wärmestrahlung rungspunkt (etwa 962 °C) und 700 mK bei 3000 °C erreicht und damit des Schwarzen Körpers. In „einem Akt der Ver- die Messunsicherheitsanforderungen erfüllt, die an die Strahlungsther- zweiflung“ erlaubte Planck nur bestimmte (diskrete) mometrie als schnelle und berührungslose Temperaturmessung in der Energiezustände. Am 14. Dezember 1900 stellte modernen Produktionsüberwachung und -steuerung gestellt werden. er seine Herleitung des Strahlungsgesetzes auf der Eine neue Herausforderung für die Temperaturmessung auf der Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Grundlage des Schwarzen Körpers sind heute weltraumgestützte Messun- in Berlin vor [6]. Diese Veranstaltung gilt heute als gen der Temperatur der Erdoberfläche und der Erdatmosphäre mit sehr „Geburtsstunde der Quantenmechanik“. hoher Auflösung über lange Zeiträume und große Flächen. Sie dienen zur Das so hergeleitete und heute nach ihm präzisen Überwachung möglicher Klimaänderungen und liefern wichtige benannte Planck’sche Strahlungsgesetz enthält Eingangsdaten für Klimamodellrechnungen. Aber nicht nur in der Erd- neben der Abhängigkeit der spektralen Strahl- fernerkundung, sondern auch in der industriellen Prozesssteuerung wird dichte von Temperatur und Wellenlänge noch drei die bildgebende Temperaturmessung immer wichtiger. Das von Kurlbaum Naturkonstanten, nämlich die Lichtgeschwindig- noch als einzelner Empfänger eingesetzte Bolometer wird heute litho- keit c, die Boltzmann-Konstante k und das Planck- grafisch als Sensorarray mit typisch 12 000 bis 310 000 Einzelbolometern sche Wirkungsquantum h. von 25 µm × 25 µm Sensorgröße hergestellt und als eine Schlüsselkompo- 2hc 2 1 nente in immer preiswertere Thermografiekameras integriert. In der PTB = Lλ ⋅ werden daher Messplätze entwickelt und betrieben, die es erlauben, Erd- λ 5 hc exp −1 fernerkundungsinstrumentierungen und bildgebende Temperaturmess- kλT systeme unter Bezug auf die Hohlraumstrahlung unter anwendungsnahen In dieser Formulierung des Planck’schen Bedingungen zu kalibrieren und so die damit durchgeführten Messungen Strahlungsgesetzes beschreibt Lλ die spektrale mit kleiner Messunsicherheit auf die Internationale Temperaturskala Strahldichte des Schwarzen Körpers im Vakuum. rückzuführen. In der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt existiert Die spektrale Strahldichte mit der Einheit damit eine ununterbrochene 125-jährige Geschichte zur Arbeit an und W · nm–1 · m–2 · sr–1 ist die abgestrahlte spektrale mit der Strahlung des Schwarzen Körpers. Strahlungsleistung, normiert auf die Fläche des strahlenden Körpers und den Raumwinkel, in den [1] G. Kirchhoff: Ann. Phys. Chem. 109, (1860), 275−301 die Abstrahlung erfolgt. [2] W. Wien: Ann. Phys. 294, (1896) 662−669 Nachdem nun ein vollständiges theoretisches [3] O. Lummer, E. Pringsheim: VhDPG 2, (1900), 163–180 Verständnis der Wärmestrahlung erreicht worden [4] H. Rubens, F. Kurlbaum: Ann. Phys. 309 (1901), (IV,4), 649–666 war, wurde von der PTR die darauf beruhende [5] M. Planck: VhDPG 2, (1900), 202–204 Temperaturmessung – heute als Strahlungsther- [6] M. Planck: VhDPG 2, (1900), 237–245 mometrie bezeichnet – zu einer präzisen Methode [7] J. Hollandt, R. Friedrich, B. Gutschwager, D. R. Taubert, J. Hartmann: High der berührungslosen Temperaturmessung in Temperatures – High Pressures 35/36, (2003/2004), 379–415 13
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