2019 Brief von der Weid - stiftung zur weid - Werk- und Wohnhaus zur Weid
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stiftung zur weid werk- und wohnhaus August 2019 21. Jahrgang, zur Weid 10, 8932 Mettmenstetten Brief von der Weid
2 Titelbild: Marco F. (links) und Roland D. Foto: Peter Lauth Foto: Matthias Studer WICHTIGE DATEN Der Weid-Laden ist geöffnet: Metzgete Kerzenziehen für die ganze Familie Informationsnachmittage Montag bis Freitag 8.00 – 12.00 Uhr Freitag, 1. November, 19.00 Uhr Samstag und Sonntag, 9. und 10. November für Betroffene, Angehörige, Fallführende und 13.30 – 18.30 Uhr im Glashaus im Glashaus Sozialdienste Samstag 8.30 – 12.30 Uhr Reservation: 044 768 50 80 oder Organisation: 14-täglich, jeweils am Dienstagnachmittag mail@zur-weid.ch Verein Tagesfamilien Bez. Affoltern Bitte richten Sie Ihre Anfragen und Anmel- Weid-Kafi dungen ans Sekretariat: Die Öffnungszeiten finden Sie unter: Kleintheaterabend Tel. 044 768 50 80 mail@zur-weid.ch www.zur-weid.ch «Pasta del Amore» Fax 044 768 50 99 Freitag, 15. November, 20.15 Uhr im Weid-Saal Betriebsführungen August 2019 Organisation: Verein Freundeskreis Auf Wunsch machen wir sehr gerne Betriebs- führungen für kleine und grosse Gruppen. Unsere Webseite: www.zur-weid.ch
Vorwort 3 Liebe Freundinnen und Freunde der Stiftung zur Weid Insgeheim habe ich es während meiner 25 Jahren in der Diese Erfahrungen zum Schluss meiner Berufstätigkeit Weid immer gewusst: Ich bin privilegiert, denn mein möchte ich nicht missen. Sie bestätigen mir einmal Arbeitsweg betrug nur wenige Meter. Meine Familie mehr, wie ausserordentlich es ist, keinen Arbeitsweg zu und ich wohnten gerne im Haus auf dem Stiftungsge- haben. Gleichzeitig stelle ich fest, dass Pendeln durchaus lände. Die naturnahe Umgebung mit den vielen Bäu- seine positiven Seiten hat. men, dem nahen Bach, den Weihern, dem Vogelgezwit- scher am frühen Morgen und die Vielzahl von kleineren An dieser Stelle möchte ich allen Menschen ganz herz- und grösseren Tieren brachten Erholung. Und trotz der lich danken, die ich im Zusammenhang mit der Weid wenigen Meter zum Arbeitsort auch Distanz. kennen und schätzen lernen durfte, für die anregenden Begegnungen, die interessanten Gespräche, für Aner- Seit Ende Juni weiss ich nun, wie sich das Pendlerleben kennung und Kritik und vor allem für die jahrelange anfühlt. Damit das Haus für meinen Nachfolger frisch- gute Zusammenarbeit und Treue. gemacht werden kann, pendle ich die letzten zwei Mo- nate vor der Pensionierung und teile damit das Los von Hunderttausenden. Nun kann ich endlich auch mitreden bei Gesprächen über rücksichtslose Autofahrer, ewige Baustellen, ungehobelte Bahnpassagiere, die in voller Lautstärke telefonieren oder hemmungslos ihren Food auspacken und schmatzend verspeisen. Aber auch Positives erlebe ich beim Pendeln mit der Bahn. Ich treffe Menschen am Bahnhof oder im Zug und komme mit ihnen ins Gespräch. Diese Begegnungen Hansruedi Sommer sind etwas, auf das der Nicht-Pendler verzichten muss. Geschäftsleiter
4 Die Weid: Ein Sprungbrett Übers eigene Leben reden ist nicht je- via Temporärbüro zu einer Ausbildung als Blick streng, fast kalt. Noch spüre ich dermanns Sache. Marco F. (41) und Kanal-TV-Operateur. So weit, so gut – bis nicht, ob sich Robert D. wohlfühlt. «Ich Robert D. (52) wagten es. Ungewohnt zum schweren Autounfall 2002. «Damals lernte in Aarau Mechaniker.» Er legt eine sei es schon, sagen beide, und dann war ich 24 Jahre alt», sagt Marco F. «Sturz- kurze Pause ein. «Ja, ich lebte wohl zu schweigen sie. Beide. Bis der Jüngere betrunken knallte ich mit einem geklau- lange im Internat. Also zog ich flippig den Anfang macht. ten Ford Escort Cabriolet in einen Baum.» durch die Welt.» Er grinst. «Dabei lernte Dann lag der junge Mann einige Zeit im ich einige Heime kennen. Ich wurde um- Marco F.: «Mutter stellte uns die Koffer Koma, war halbseitig gelähmt. «Es egschobe. Da waren rüdig viele Men- vor die Tür» brauchte eisernen Willen, dem Alkohol schen involviert.» Er sei in Winterthur aufgewachsen, sagt abzuschwören. Und ich schaffte es. Zu- Im St. Benedikt-Heim in Hermetschwil- Marco F. Zusammen mit seiner drei Jahre dem musste ich wieder lernen, meine Staffeln müsse jeder mit 16, 17 Jahren älteren Schwester. Als der Bub zwölf Jah- Finger und meine Beine zu bewegen. ausziehen, sagt Robert D. «Ich aber wur- re alt war, erschoss sich der Vater mit ei- Musste laufen lernen.» de aus dem Heim geschmissen.» Die nem Karabiner. Und die Mutter stellte die Mutter liess ihn deswegen nicht fallen. Koffer der Kinder vor die Tür. «Sie wollte Robert D.: «Ich wurde umegschobe» «Ich stützte mich voll auf sie. Die Lehre uns nicht.» Die Geschwister wuchsen bei In den Lebensgeschichten von Robert D. konnte ich nur wegen ihr beenden. Sie den Grosseltern auf. «Wir hatten es gut», spielen Autos keine Rolle. Der 52-Jährige half mir, wo sie konnte. Ein Riesenglück.» sagt Marco F. «Ab und zu rief die Mutter wuchs in Spanien sowie in der Schweiz Das Glück währte nicht lange. «Ich lan- an – wenn sie besoffen war.» auf. «Ich bin eigentlich alleine. Eine dete in der Arbeitserziehungsanstalt Tes- Nach beendeter Schulzeit begann er eine Schwester habe ich zwar, den Bruder senberg.» Wir schweigen. «Über das Lehre als Hochbauzeichner. Danach ver- gibts nicht mehr, vom Vater weiss ich ‹Warum› möchte ich nicht reden. Sagen diente sich der Zürcher den Lebensunter- nichts, und die Mutter ist gestorben.» kann ich: Ich sass fünf Jahre. Von 1986 halt mit Tagelöhner-Jobs. Später kam er Durch die blauen Brillengläser wirkt sein bis 1991.» Marco F.: «In sieben Jahren sieben Autos» Und wie gings weiter im Leben des Marco F.? Der lächelt. Sagt: «Kaum war ich 19 Jahre alt, machte ich die Prüfung und hat- te in sieben Jahren sieben Autos.» Jetzt strahlt er. «Mein Traumauto war ein Au- di-Porsche RS2. Mit Tacho bis 300 km/h. Angetrieben von einem 2200 Kubikzenti- meter Reihen-Fünfzylinder-Motor. Der entwickelte 315 PS. Höchstgeschwindig- keit: 266 Stundenkilometer», sagt Marco F. Seine Augen leuchten. «Ein tolles Auto. Ein Traum. Ich war ja Tagelöhner, arbei- tete temporär, hatte mit Kollegen zusam- men ein Häuschen. Dann verunfallte ich. Es war der 1. Januar 2002. Ein Dienstag. Weil ich Medikamente einnehmen muss- Marco F.: «Ich rede mit den Säuli. Sie geben keine Antworten, aber sie verstehen mich.»
5 te, hatte ich das Billett wieder abgeben meinen Körper stärken und verletzte gab ich ein Hotel an. Über Umwege lan- müssen. Auto fuhr ich trotzdem. Machte mich mehrfach, brach Glieder. Aber ich dete ich auf der Gasse, schlief unter Brü- tausende Kilometer mit dem Büssli.» Und wurde stärker, meine Knochen ebenfalls. cken sowie in Hauseingängen. Ich bettel- dann das: «Ich war nicht angeschnallt, Ich jobbte dort, wo man mich brauchte.» te und mischelte mir mein Leben zusam- deshalb hielt mich die Polizei an. Ich zeig- Zum Thema Beziehung und Liebe möchte men.» Das ging so lange, bis ihm die te den Fahrzeugausweis. Dann fragte Robert D. nichts sagen. Seine damalige Beiständin vorgeschlagen habe, einmal mich die Polizistin nach dem Fahraus- Frau ist tot. «Ich hätte gerne Kinder ge- die Weid anzuschauen. «Ich machte eine weis.» Marco F. lacht. «Ich sagte: Den habt und trauerte dem unerfüllten Probewoche und trat Mitte September haben Sie.» Und wieder ging der Autofan Wunsch lange nach.» Er schweigt, sagt 2018 endgültig ein. Ich fand die Weid zu Fuss. dann: «Aber es braucht so viel, will man cool, verbrachte eine lustige Woche in Die Probleme seines Enkels, etwa die Kinder grossziehen. Umso schwieriger den Containern. Es passte mir.» Hausdurchsuchungen, bekam der Gross- wirds, wenn du mit dir selbst noch Prob- Nach kurzem Schweigen schüttelt Marco vater natürlich mit. «Er glaubte an mich, leme hast. Ehrlich gesagt, Kinder auf die F. den Kopf: «Die Weid ist halt nicht so wurde nie aggressiv, schlug nie.» Die Welt zu stellen, wäre in meiner Situation gut, wie ich meinte. Ich verdiene wenig. Grossmutter starb 20 Jahre vor ihm – an unvernünftig gewesen.» Statt mit Kinder- Das ist schwer zu ertragen.» Spass mache einer Hirnblutung. Danach wurde ihr problemen musste sich der Möchte- ihm die Arbeit mit den Säuli. «Die wuch- Mann zum Hausmann. Er starb vor drei gern-Vater mit Schussverletzungen her- sen mir ans Herz. Als ich im offenen Straf- Jahren. Das schmerzte Marco F. sehr. umschlagen, mit Abszessen und vielen vollzug war, arbeitete ich ebenfalls mit Operationen. Sauen. Es sind schöne Tiere. Gar nicht so Robert D.: «Tiere erleichterten mir die schmutzig, wie andere sagen. Ich rede Haft» Marco F.: «Häsch mer en Stutz für d'Not- mit ihnen. Sie geben keine Antworten, «Es waren die Tiere, die mir die Haftstra- schliifi» aber sie verstehen mich. Sie machen, was fe am Fusse des Chasserals erträglich Nach der festen Stelle bei der Ka- ich sage.» Und noch was Positives mag machten», sagt der Mann mit den blau- nal-TV-Firma und dem schweren Autoun- en Brillengläsern. «Eigentlich wollte ich fall arbeitete Marco F. an den verschie- raus, so schnell wie möglich. Aber meine densten Orten. «Ich putzte Restaurants, Arbeit für die Pferde, die Kühe, Schafe lebte an der Zürcher Langstrasse, arbeite- und Schweine half mir, die Strafe durch- te am Kebab-Stand, finanzierte mir mein zuhalten.» Essen.» Und er kokste. Das gab verschie- Im Tessenberg lernte Robert D., wie er dene Probleme mit Arbeitskollegen. Der sagt, grobe Leute kennen. «Sie weckten Süchtige wurde angezeigt, verübte Ein- mein Interesse für Drogen. Das war natür- brüche, fing zwei, drei Fäuste ein und lich nicht optimal. Die meisten Menschen musste 2006 ins Gefängnis nach Realta um mich herum starben. Egal, was ich GR. «Nach drei Monaten wurde ich frei- machte, in meiner Nähe starb jemand.» gelassen und machte weiter, wo ich auf- Dann berichtet Robert D. von seiner Zeit gehört hatte. Steckte in einem Auto ein in einer Kampfsportschule in der Nähe Schlüssel, klaute ich es und fuhr einige von Moutier BE. «Das körperlich harte Kilometer.» Training tat mir gut. Die Schule hatte ei- Nach der Zeit in Realta habe Marco F. den nen tadellosen Ruf.» Und der Mann Behörden seine Zurechnungsfähigkeit nahm das Training sehr ernst. «Ich wollte beweisen müssen. «Als Austrittsadresse Robert D.: «In der Gärtnerei geht die Arbeit nie aus.»
6 Marco F. dem vergangenen Jahr abge- begleiter, ist mehr als ein Beamter.» Der- Wohnhaus zur Weid kommen.» Der winnen: «Es zeigte mir: Ich kann noch zeit lebe der 90-Jährige im Pflegeheim, Mann lacht. «Ich war mit Vollscheibe un- was leisten.» leide an Demenz. «Ich hoffe, es geht ihm terwegs und entschied mich für eine Pro- Und deshalb sucht Marco F. nun eine besser. Er hat es nicht so gut. Ich fühle bewoche. Und die gefiel mir.» Wohnung. Ob in Zürich oder Luzern, mich, als wäre ich sein Pflegesohn.» Robert D. arbeitet in der Gärtnerei. Dort weiss er nicht. «Ich würde gerne wieder Für Robert D. ist es schlimm, «wenn man habe er immer was zu tun. «Die Arbeit an die Limmat ziehen. Aber die einsti- jemanden kennt, der nicht mehr so ist geht uns nie aus. Pflanzen haben Durst, gen Kollegen suche ich nicht. Und sollte wie früher. Für mich stimmt es, wenn ich brauchen Zuwendung. Ich bin froh, wenn es klappen mit der Wohnung, könnte ihm helfen kann. Er schaute ja immer gut ich draussen schaffen kann. Das tut mir ich mir vorstellen, hier als Externer zu zu mir.» Dann schildert er, wie der Bei- besser.» arbeiten.» stand ihn behandelt habe. «Diesen acht- Und diese Besserung hat Auswirkungen. samen Umgang kannte ich nicht. Ich war «Am Morgen kann ich mittlerweile gut Robert D.: Nach Mutters Tod als Verwahr- ja heroinsüchtig, hatte heftige Probleme, aufstehen», sagt Robert D. «Ich kenne loster bezeichnet sagte tausend Mal ‹ich höre auf›.» Und meine Zeiten.» Und dann sagt er: «Die Als die Mutter stirbt, droht Robert D. den dann habe er es geschafft. «Eine harte Weid liegt auf meinem Weg, aber mein Anschluss ans Leben zu verlieren. Anläss- Zeit wars. Sie hätte tödlich enden können Ziel ist sie nicht. Sie ist für mich ein Sprung- lich einer Gerichtsverhandlung lernte er für mich. Damals kostete ein Gramm He- brett. Ich versuche, gelassen zu sein, ent- seinen zukünftigen Beistand kennen. roin 500 Franken. Wollte oder musste spannt. Aber es klappt nicht immer.» «Ein Glücksfall», sagt Robert D. «Obwohl jemand fixen, führte einen das unweiger- Auf zu viele Menschen lasse er sich nicht Max Wasser schon recht alt war, vermit- lich auf die schiefe, kriminelle Bahn.» ein, sagt der 52-Jährige. Die Begründung telte er mir die nötige Hoffnung. Das gab Vor zwei, drei Jahren landete Robert D. in leuchtet ein. Er sagt: «Ich möchte keinen mir die Kraft, die ich brauchte. Der Mann der Klinik St. Urban. «Dort, im Berghof, Stress haben mit den Leuten. Und ihren schaute sehr gut zu mir – trotz aller Vor- hatte jemand aus dem Betreuungsteam Stress, den möchte ich nicht mittragen.» kommnisse. Er ist immer noch mein Weg- die Idee, ich könnte hierher ins Werk- und Zum Schluss interessiere ich mich für die Ziele von Robert D. «Ich nehme eins nach dem andern. Wichtig ist mir, meine Stabi- lität zu finden und dann hier wegzukom- men. Die Weid ist nicht das Endziel.» Trotzdem gerät er ins Schwärmen: «Was mein Pflegevater für mich sein konnte, ist nun jemand hier. Jemand, mit dem ich reden kann, jemand, der mir Mut macht, mich motivieren kann.» Die beiden Männer schauen sich an. Ro- bert D. sagt: «Was die Betreuer und Be- treuerinnen hier im WWW machen, das könnte ich nicht. Da brauchst du Ner- ven.» Dann lachen beide. Text: Martin Schuppli Fotos: Peter Lauth
Vielen Dank, Hansruedi Sommer 7 Auf den 1. Januar 2014 wurde das hatten als andere. Wenig erstaunlich, Schliesslich war Hansruedi die fachliche Werk- und Wohnhaus zur Weid (WWW) dass das WWW der erste Lehrbetrieb im Weiterentwicklung des WWW stets zu einer selbständigen Stiftung. Unter Säuliamt war, der einem Asylsuchenden wichtig: an dieser Stelle beispielhaft zu dem damaligen Stadtrat Martin Waser ermöglichte, eine Integrationslehre zu erwähnen sind die Fokussierung nicht wurde die Ausgliederung des WWW absolvieren. nur auf Menschen mit Suchtproblemen, aus der Verwaltung der Stadt Zürich ge- Auch Kinder waren und sind Hansruedi sondern auch mit psychischen Schwie- plant und projektiert. Die Verselbstän- wichtig: So wurde der Spielplatz um das rigkeiten sowie der Einbezug von Haus- digung brachte dem WWW verschiede- WWW immer mehr erweitert. Heute tieren in das Betreuungsangebot. ne Freiheiten und es musste sich nicht dürfte der Kinderspielplatz im WWW Mit anderen Worten: Das WWW ist gut mehr an die städtischen «Fesseln» hal- der schönste im ganzen Säuliamt sein! geführt und aufgestellt. Ich und der ge- ten, beispielsweise bei Bauprojekten Und das angrenzende Weid-Kafi, so- samte Stiftungsrat danken Hansruedi oder beim Gebäudeunterhalt. So beka- wohl für die eigenen KlientInnen als daher sehr für seine wertvolle Arbeit als men die Stiftung und damit auch ihr auch für BesucherInnen, ermöglicht Geschäftsführer des WWW in den ver- Geschäftsführer Hansruedi Sommer den Eltern, gemütlich einen Kaffee zu gangenen 25 Jahren. Wir wünschen mehr Spielraum und die Entscheidungs- trinken, während die Kinder spielen. ihm für seinen neuen Lebensabschnitt wege wurden kürzer. Der Unterhalt der Gebäude und die na- alles Gute und viel Vergnügen bei sei- Bereits im Jahr 2013 wählte die Stadt turnahe Pflege der Umgebung lagen nen neuen Aktivitäten. Zürich als Stifterin den Stiftungsrat und Hansruedi ebenfalls sehr am Herzen. es fanden in der Folge erste Sitzungen Seit ich das WWW kenne, wird immer Ursula Uttinger statt – als Geschäftsführer immer dabei wieder etwas renoviert, erneuert, neus- Präsidentin des Stiftungsrats auch Hansruedi Sommer. Auf den ers- ten Bedürfnissen angepasst! Die jüngs- ten Blick war erkennbar, dass das ten Werke sind die Renovation des ur- WWW stark von Hansruedi geprägt ist. sprünglichen Wohnhauses und das Er kannte alle und alles sowie die dazu- Anlegen des Staudengartens. gehörige Geschichte – unabhängig ob BewohnerInnen, KlientInnen oder An- gestellte und KundInnen. Hansruedi war bis zuletzt – im positiven Sinne – ein Patron alter Schule. Das Wohl aller lag ihm immer am Herzen. Er schaute für das WWW, wie wenn es ihm gehö- ren würde. Er sah und interessierte sich immer für das Gesamte. So war es ihm zum Beispiel ein Anliegen, dass die Wohnung oberhalb des Verwaltungs- gebäudes sinnvoll und sozial genutzt werden konnte: Die Wohnung wurde daher der Gemeinde als Unterkunft für Asylsuchende angeboten. Auch die Lehrstellen wurden bewusst an Auszu- bildende vergeben, die es schwieriger
9 «Ich kann mit einem guten Gefühl gehen» In den vergangenen 25 Jahren hat sich das Werk- und Wohnhaus zur Weid von einem «Männerheim» mit ausschliesslich männlichen Bewohnern und dem Ruf einer Verwahrungsanstalt zu einer offenen Institution entwickelt, die biologi- schen Landbau betreibt und ein beliebter regionaler Ausflugsort und Treffpunkt für Jung und Alt ist. Hansruedi Som- mer, seit 1994 Geschäftsleiter, geht Ende August 2019 in Pension. Im Interview blickt er auf die bewegte Zeit zurück. Hansruedi Sommer, wissen Sie noch, anfing, war gerade das Hauptgebäude teilt. Das war nicht nur ineffizient, son- wie Sie sich für die Geschäftsleitung des umfassend saniert und die Schreinerei dern führte auch zu Gerüchten, wir wür- Werk- und Wohnhaus zur Weid beworben und Gärtnerei neu gebaut worden. Die den Briefe lesen oder unterschlagen. Ich haben? Stadt hatte knapp 15 Millionen Franken kam mit dem Mettmenstetter Posthalter Ich erinnere mich gut daran, das war investiert. Die Weid sollte zudem künftig Wenger überein, dass er dem Briefträger Ende 1993. Die Stadt Zürich hatte die für Frauen geöffnet werden, um die mehr Zeit für die Weid einräumte, damit Stelle ausgeschrieben, meine Frau hat Auslastung zu erhöhen und vom Image dieser die persönlichen Briefkästen der Kli- das Inserat gesehen und gemeint, das wegzukommen, ein «Heim für alte Män- entinnen und Klienten bedienen konnte. wäre etwas für mich. Zwischen Weih- ner» zu sein. Lebhaft in Erinnerung ist mir auch, wie nachten und Neujahr habe ich die Be- anfänglich die Bewohner mit der Bitte an werbung geschrieben. Ich war an insge- Was waren Ihre ersten Handlungen als mich herantraten, ob sie am nächsten samt vier Vorstellungsrunden. Emilie neuer Geschäftsleiter? Tag frei haben können. Offenbar bewil- Lieberherr, die bekannte Frauenrechtle- Zunächst habe ich Klarheit und Struktur ligte mein Vorgänger persönlich die Ur- rin und SP-Stadträtin, hat mich schliess- geschaffen. Etliche Abläufe waren kaum laube der Bewohner. Ich habe diese Auf- lich gewählt. geregelt, die Zuständigkeiten über- gabe rasch den Betriebsleitern übertra- schnitten sich. In den Neunzigerjahren gen. Schliesslich kann ich nicht beurteilen, Als Sie im Herbst 1994 anfingen, lautete kam in den Verwaltungen gerade das ob der betreffende Bewohner gerade die offizielle Bezeichnung der Institution Qualitätsmanagement auf. Ich war er- entbehrlich ist. Diese Episode hat für noch «Männerheim». freut darüber, denn es gab eine Legiti- mich auch klargemacht, in welche Rich- Ja, aber die Stadt Zürich hatte die Neu- mation, genau hinzusehen und Prozesse tung sich die Betreute Arbeit entwickeln ausrichtung und die Umbenennung in zu überprüfen. In diesem Rahmen wurde muss: Sie muss so gestaltet sein, dass die «Werk- und Wohnhaus zur Weid» be- etwa die Verteilung der Post neu organi- Klientinnen und Klienten wirklich ge- reits beschlossen. Meine Aufgabe als siert. Bis dahin wurde die gesamte Post braucht werden – und sie müssen wis- neuer Geschäftsleiter war es, das Kon- vom Sekretariat in Empfang genommen sen, was ihre Aufgabe ist und dass der zept «Rossau 2000» umzusetzen. Als ich und im Speisesaal an die Bewohner ver- Betrieb auf sie angewiesen ist.
10 Die Teilhabe und die Selbstbestimmung Wie hat sich die Aufnahme von Frauen die in einem Substitutionsprogramm wa- der Klientinnen und Klienten zu för- generell auf die Bewohner ausgewirkt? ren. Ende der 90er-Jahre, als der Letten dern, war mir ein wichtiges Anliegen. Frauen hatten die Wirkung, die wir uns er- geschlossen wurde, hatten wir insgesamt Eine Möglichkeit dazu ist, dass im Alltag hofft hatten. Nämlich, dass die Stimmung 13 Personen im Methadon-Programm. Wahlmöglichkeiten geschaffen wer- friedlicher und ausgeglichener wurde. Die den. Das Essen bietet sich hierfür be- Männer zeigten sich generell höflicher im Geht man heute über das Stiftungsge- sonders an. Ein reichhaltiges Salatbüf- Beisein einer Frau. Insgesamt hat die Auf- lände, begegnet man auch sehr jungen fet etwa gibt Wahlfreiheit und Ab- nahme viel zur Normalisierung beigetra- Leuten. wechslung – und fördert erst noch eine gen. Etliche Mitarbeitende befürchteten Von Anfang verfolgte ich das Ziel, die ausgewogene Ernährung. Seit wir es vorgängig, dass nun der moralische Verfall Bewohnerschaft zu verjüngen. Deshalb eingeführt haben, wird deutlich mehr einsetze. Eine der ursprünglichen Ideen der haben wir im Jahr 2000 auch den Sport- Salat gegessen. Der Wochenmenüplan, Geschlechtertrennung war ja, dass sich die platz gebaut. Es ist heute tatsächlich so, der am Anschlagbrett hängt, animiert Frauen und Männer nicht vermehren. dass Leute um die Zwanzig Betreutes ebenfalls dazu, sich mit dem Essen aus- Doch Sodom und Gomorra erlebten wir Wohnen und Arbeiten in Anspruch neh- einanderzusetzen und Entscheidungen nie. Gerade in der Anfangszeit haben wir men. Meistens haben sie eine Sonder- zu treffen. viel Aufklärungsarbeit geleistet, auch be- schule besucht und keinen Lehrabschluss züglich Aids, und einen Präservativ-Auto- gemacht. Nach der Volksschule oder Wie gelang es, die erste Frau in eine In- maten aufgestellt. Mir war es immer wich- nach Programmen für Jugendliche ohne stitution zu bringen, die ausschliesslich tig, dass Frauen einen besonderen Schutz Lehrstelle fallen sie zwischen Stuhl und Männer beherbergt? geniessen. Sie sollten immer selbst bestim- Bank. Häufig springt zunächst die Fami- Die erste Bewohnerin der Weid war men können, wer ihr Zimmer betritt. Über lie ein und erst wenn es nicht mehr geht, Frau Erica G. Ihre Beiständin hatte den die Jahre haben sich etliche lang anhalten- kommen sie zu uns. Mut, bei uns anzufragen. Frau G. war de und stabile Beziehungen zwischen Be- 56-jährig und schwere Alkoholikerin. wohnerinnen und Bewohnern entwickelt. Kommen die jungen Leute also in die 12 Jahre lang lebte sie in der Psychiatrie Weid, weil es schwierig ist, eine Arbeit Littenheid. In der Weid bezog sie das Die Belegung setzt sich heute aus drei oder eine Lehrstelle für sie zu finden? grosse, frisch renovierte Erkerzimmer Vierteln Männer und einem Viertel Frau- Schon früher waren die Anforderungen im Erdgeschoss des Hauptgebäudes, en zusammen. an eine Lehrstelle hoch. Aber auch wo wir einen Frauen-Bereich eingerich- Das spiegelt ziemlich genau wider, was schwächere Schüler konnten während tet hatten. anteilmässig zu erwarten ist. Frauen sind der Kindheit und Jugend Erfahrungen in eher fähig, im Alltag zurechtzukommen der Arbeitswelt sammeln, die ihnen spä- Wie kam Frau G. in der Weid zurecht? und für sich zu sorgen. Wenn Männer ihr ter im Leben halfen. Etwa durch Ferien- Sie hatte lange als Serviererin gearbei- soziales Netz verlieren durch Scheidung, jobs oder durch die Mitarbeit im Familien- tet, war also nicht auf den Mund gefal- Arbeitslosigkeit und Alkoholsucht, dann betrieb. Beides gibt es heute kaum noch. len und konnte den Männern Paroli verlieren sie rasch jeden Halt. Es braucht Ich glaube, heute werden die Jugendli- bieten. Bald hatte sie einen Freund, der also weniger Frauen- als Männerplätze. chen tendenziell geschont. Schonung einzige Bewohner mit einer Vespa. Mit bedeutet ja auch, dass man den Leuten ihm machte sie Touren durch die Regi- Wie hat sich die Klientel sonst noch über nicht viel zutraut. Beistände oder Sozial- on und später bewohnten sie zusam- die Zeit verändert? arbeiter sagen oft bereits prophylaktisch: men sogar eine 2-Zimmerwohnung in Gegen Ende der offenen Drogenszene «Meine Klientin oder mein Klient kann der Weid. nahmen wir zunehmend auch Leute auf, nicht acht Stunden arbeiten.» Ich habe
11 das Gefühl, häufig wird bloss die eigene setzt und den Wandel der Institution auch oder aufarbeiten zu lassen – eigentlich seit Erschöpfung im Beruf auf die Klientinnen gegen aussen signalisiert, etwa mit der ich begonnen habe. Anlässlich des 90-jäh- und Klienten projiziert. Bachöffnung, dem offen einsehbaren rigen Geburtstags der Weid bot sich dann Stall, dem Bau des Sportplatzes. Der die Möglichkeit. 90 Jahre sind ja eigentlich Und in der Weid lernen die Leute zu ar- Weid-Laden, die Grillplätze, die Spielplät- kein besonderes Jubiläum, aber ich wuss- beiten? ze und zuletzt das Weid-Kafi, das 2014 te nicht, ob ich in zehn Jahren noch hier Die reale Welt mit Bauernbetrieb, Küche eröffnet hat, waren weitere Schritte. Das sein würde. Und mit dem Bergier-Bericht, und Schreinerei ist ein idealer Ort dafür. Weid-Kafi ist nebenbei das beste Frei- der damals gerade die Rolle der Schweiz Wer Tiere füttert, muss Zuverlässigkeit zeitangebot für die Bewohnerinnen und im Zweiten Weltkrieg aufarbeitete, war und Pünktlichkeit beweisen. Die Alt- Bewohner, das die Weid je geschaffen hat. die Zeit günstig. Der Historiker Thomas ersdurchmischung – in der Weid woh- Huonker hat sich den unzähligen Akten nen Menschen zwischen 21 und 72 Jah- Welche Effekte hat der Besuch von Aus- im Keller angenommen und zusammen ren – ist ebenfalls von Vorteil. Die älteren flüglerinnen und Ausflüglern auf die Kli- mit dem Journalisten Martin Schuppli und Klientinnen und Klienten arbeiten mit entinnen und Klienten? dem Fotografen Fabian Biasio die Ge- einer Selbstverständlichkeit, die den jun- Es ist vorab ein Zeichen, dass die Weid schichte der Weid zugänglich gemacht. gen Vorbild und Ansporn sein kann. ein lebenswerter, schöner Ort ist. Die Kli- Das Buch war mir in zweierlei Hinsicht entinnen und Klienten sehen: Es gibt wichtig: Einerseits war es ein Abschluss Welche Rolle spielt die naturnahe Lage Leute, die eigens in ihrer Freizeit hierher- des Wandels vom Männerheim zum für die Stabilisierung? kommen, weil es ihnen gefällt. Das ver- Werk- und Wohnhaus zur Weid. Und an- Die Weid wurde vor über hundert Jahren ändert automatisch die eigene Wahr- dererseits hilft die historische Auseinan- weitab der Stadt Zürich angelegt, um nehmung. Heute sagt niemand mehr, es dersetzung, selbstkritisch zu bleiben und nicht der Norm entsprechende Men- sei nicht schön hier. auch heutige Abläufe zu hinterfragen. schen, die als «lasterhaft», «arbeits- Und natürlich sollte das Buch auch der scheu» und «trunksüchtig» bezeichnet Zum 90-Jahre-Jubiläum im Jahr 2002 Bevölkerung in Mettmenstetten und Um- wurden, auszugrenzen und möglichst wurde die Geschichte der Weid aufgear- gebung die Institution näherbringen, die fernzuhalten. Die Lage wurde also nicht beitet und als Buch veröffentlicht unter so lange Teil der Region ist. nach therapeutischen Kriterien gewählt dem Titel «Wandlungen einer Institution. – dennoch wirkt sie heute in diese Rich- Vom Männerheim zum Werk- und Wohn- tung. Ich bin überzeugt, dass die naturna- haus». Wie kam es zu diesem Buch? he Lage den Menschen hilft, zur Ruhe zu Ich hegte schon seit Jahren die Idee, die gelangen. Oft kommen die Klientinnen Geschichte der Institution aufzuarbeiten und Klienten aus einem städtischen Um- feld, in dem sie vielen Reizen und Versu- chungen ausgesetzt sind. Darüber hinaus ermöglicht die Lage natürlich die Arbei- ten auf dem Feld, im Stall und im Wald. Für den Kontakt mit der Bevölkerung ist die Lage aber ein Nachteil. Die isolierte Lage ruft danach, die Leute hierher zu holen. Wir haben viel darange-
12 Anfang 2014 schliesslich wurde das ein. Das Weid-Kafi beispielsweise ver- habe, zum Beispiel alle die Bäume und Werk- und Wohnhaus zur Weid in eine dankt seine Existenz wesentlich den An- Pflanzen, die wir gesetzt haben und Stiftung überführt. Damit hat man sich regungen meiner Familie. Meine Frau die jetzt in voller Pracht stehen. Ich von der Stadt Zürich losgelöst. Warum? fuhr mit dem Velo zur Arbeit und traf kann aber mit einem guten Gefühl ge- Die Unterstützung der Stadt Zürich war dabei immer wieder Klientinnen und Kli- hen, da ich die Institution finanziell, immer da, daran lag es nicht. Aber die enten, die in eisiger Kälte oder im Regen personell, konzeptionell und baulich in Unterstützung musste immer wieder er- auf einer Bank sassen und Bier tranken. einem guten Zustand übergeben kann. kämpft werden, der Gestaltungsraum Sie fand diesen Zustand unwürdig und Es freut mich zudem, dass mein Nach- war eingeschränkt. In den Jahren davor fragte nach einer Alternative. folger Marco Mutzner ebenfalls das hatte die Stadt Zürich bereits diverse In- Wir haben immer sehr gerne in dem Geschäftsleiter-Haus auf dem Stif- stitutionen, vorab Kinderheime, in Stif- Haus gewohnt und die Umgebung mit- tungsgelände bewohnen wird. Ich tungen umgewandelt – und half auch gestaltet. Ohne diese Wohnlage sähe kenne die Familie seit Jahren und bei der Ausgliederung der Weid tatkräf- das Areal heute wahrscheinlich nicht weiss, dass sie ähnliche Sachen schät- tig mit, etwa indem sie fähige Leute in so schön aus. Denn mit der Weid ge- zen wie ich. die Projektgruppe berief. Insgesamt ar- stalteten wir auch unsere direkte Um- beiteten wir über zwei Jahre intensiv an gebung. Interview: Georg Stalder der Ausgliederung – und es hat sich ge- Fotos: Peter Lauth lohnt. Die Stiftung ist finanziell gut auf- Ende August 2019 gehen Sie in Pension. gestellt und vor allem viel flexibler als Was sind Ihre Pläne? vorher. Ich werde mit meiner Frau nach Zofin- gen ziehen, wo ich aufgewachsen bin Sie wohnten von Beginn an mit ihrer und wo mittlerweile eine unserer drei Frau im Geschäftsleiter-Haus auf dem Töchter mit ihrer Familie wohnt. Ich Weid-Areal, Ihre drei Töchter wuchsen freue mich auf den neuen Abschnitt hier auf. Wie beeinflusste das Ihre Arbeit? und darauf, an einem neuen Ort etwas Meine Familie bekam immer unmittelbar aufzubauen. In Mettmenstetten hat es mit, was in der Weid gerade geschah, uns sehr gut gefallen, aber für den Ab- und machte sich viele Gedanken dazu. Meine Frau Lisa war meine Sparringpart- schied ist der Wegzug sicherlich hilf- reich. So kann ich künftige Begegnun- Eine ruhige Kugel nerin und Ideengeberin. Sie hat meine Arbeit mit Distanz begleitet und auch gen und Besuche in der Weid, die es sicher geben wird, bewusst steuern. schieben in Zofingen kritisch hinterfragt. Dass sie nicht in der Viele Leute im Dorf kennen mich in Ver- Weid mitgearbeitet hat, sondern in der bindung mit der Weid – und ich möchte Die Redewendung «Eine ruhige Kugel schie- Primarschule in Wettswil als Heilpädago- nicht durch meine Anwesenheit oder ben» kennen alle. Sie bedeutet faulenzen gin arbeitete, gab ihr eine gewisse Neu- durch eine Bemerkung, die mir ausge- oder sehr gemächlich arbeiten. Am diesjäh- tralität. Die Bewohnerinnen und Bewoh- legt wird, in die Arbeit meines Nachfol- rigen Weid-Ausflug lernten die Teilnehmen- ner nutzten Begegnungen mit ihr, um gers eingreifen. den die Herkunft der Wendung kennen. Am ihre Sorgen loszuwerden oder für eine 26. Juni ging es nach Zofingen zu einer Füh- Chopfleerete. Auch meine drei Töchter Was werden Sie vermissen? rung durch die Stadt. hatten eigene Blickwinkel auf meine Ar- Sicherlich etliche Dinge, die ich in den An einem stattlichen Haus in der Zofinger beit und brachten sich immer kritisch letzten 25 Jahren hier liebgewonnen Altstadt hängt ein grosses Schild, das ein
Stefan Baumeler, Leiter des Agrar- betriebs, schaut zu den jungen Bäumen. Bäume und Beeren gedeihen – 13 ungebetenem Gast zum Trotz Die neuen Bäume und Beeren in der für die Seidenproduktion, da sich Seiden- Die hohen Temperaturen der letzten Stiftung zur Weid sind gepflanzt. Auch raupen ausschliesslich von den Blättern Wochen kommen den jungen Pflanzen zur Freude der Blattläuse, die die Kir- der Maulbeere ernähren. Im 18. und 19. zugute, berichtet der Gemüsegärtner sche für sich entdeckt haben. Jahrhundert machte man dann auch in Markus Peter, der zu den Gewächsen der Schweiz breite Anbauversuche, um schaut. Etwas zu schaffen macht hinge- 27 junge Bäume haben die Mitarbeiten- die Seidenindustrie als Wirtschaftszweig gen ein Schädling. «Wir haben mit Blatt- den des Agrarbetriebs im März und im zu etablieren. Doch nicht nur hartnäckige läusen zu kämpfen. Vor allem die Mai in die Erde gesetzt. Auf der Wiese Raupenseuchen, sondern auch die Erfin- Kirsche ist befallen.» vor dem Kuhstall stehen sie Spalier: Vier- dung der Kunstseide und billigen Kunst- zehn Weisse Maulbeer- und vier Nuss- stoffe wie Nylon und Perlon machten die Je jünger die Pflanzen, desto gefährli- bäume sowie neun Vogelkirschen. Alle seidenen Träume bald zunichte. cher ist das Ungeziefer. «Die Läuse sau- drei Baumsorten sind bekannt für ihr gen am liebsten an den jüngsten und hochwertiges Holz, das für die Herstel- Beerenanlage: feinsten Blättern», führt Markus Peter lung von Möbeln verwendet werden Der Fokus liegt auf der Aufzucht aus. Im Extremfall können die neuen kann. Darüber hinaus sollen die Bäume Mit Jungpflanzen ausgerüstet wurde im Austriebe sogar absterben und die einen Beitrag zur Kompensation von Frühling auch die Beerenanlage: Tafel- Pflanze nachhaltig schädigen. Gegen CO2 leisten, weshalb die Pflanzung kirschen, Johannisbeeren, Brombeeren, die Blattläuse wird im Notfall ein biolo- finanziell von der Stiftung Myclimate Himbeeren, Stachelbeeren, Mini-Kiwis gisches Mittel eingesetzt: ein Gemisch unterstützt wird. und Maibeeren wachsen hier heran. Der aus Schmierseife und Pyrethrum (ein Fokus liegt vorerst auf der fachgerechten Extrakt aus den Blüten verschiedener Besonders die Maulbeerbäume sind in Erziehung. Richtig reichhaltig dürfte die Tanacetum-Arten mit insektizider Wir- der Schweiz zu einem seltenen Anblick Ernte dann in zwei oder drei Jahren aus- kung) wird auf die befallenen Pflanzen- geworden. Noch im 19. Jahrhundert war fallen. Die Heidelbeeren – sie blieben teile gespritzt. der Baum eine wichtige Kulturpflanze. Im bestehen – bescheren bereits viele dun- alten China hatte er grosse Bedeutung kelblaue Beeren. Georg Stalder Rasiermesser mit goldener Klinge und drei Ku- die Kugel in die andere Backe schieben. geln zeigt. Es sind die Symbole des mittelalter- Dass dies ruhig zu geschehen hatte, lichen Barbiers. Früher gab es an dieser Adres- versteht sich von selbst. Bei Hektik se also einen «Barbershop», wie man heute drohte die Gefahr des Verschluckens sagen würde. Die Bedeutung des Messers oder schlimmer noch des Erstickens. dürfte klar sein, aber was hat es mit den Ku- Dies und vieles andere mehr haben die geln auf sich? Teilnehmenden an der Führung erfah- Auch sie gehörten damals zum Arbeitsmateri- ren. Trotz grosser Hitze rissen Aufmerk- al des Barbiers. Wenn den Menschen im fort- samkeit und Interesse nie ab. Und erfri- geschrittenen Alter die Zähne ausfielen, er- schen konnte man sich alle paar Meter schwerte das die Arbeit des Barbiers erheblich. mit frischem Quellwasser, an einem der Also schob er seinen Kunden Kugeln in den 22 Brunnen in der Zofinger Altstadt. Mund, um die Wange zu spannen. Wenn die eine Seite fertig rasiert war, musste der Kunde Text: Hansruedi Sommer
14 Martin Seeholzer: der neue Mann für die Kühe Seit Anfang Jahr verantwortet Martin besonders angetan. Mit 19 Jahren ver- trat er dessen Nachfolge an. Gerade Seeholzer die Rindviehhaltung in der brachte er seinen ersten Sommer in der setzt Martin Seeholzer das Konzept der Weid. Der Meisterlandwirt hat eine Höhe, seitdem zieht es ihn regelmässig Vollweide um. Leidenschaft, die ihn immer wieder in hinauf. «Der Ballast des Alltags ist auf die Höhe zieht. der Alp komplett verschwunden. Die Vollweide bedeutet: Die Kühe sollen Kernaufgabe ist einfach: Tier. Am Mor- nach Möglichkeit ihr gesamtes Futter Wer mit Tieren arbeitet, muss in ihrem gen sind die Kühe das Erste, worum man draussen auf der Weide finden, die Füt- Rhythmus leben. Für Martin Seeholzer sich kümmert, am Abend das Letzte – terung im Stall ist dann nicht mehr nötig. bedeutet dies: um vier Uhr früh aufste- und danach ist man müde und geht zu- Im Moment ist die Zufütterung noch nö- hen. Der 54-Jährige aus Rifferswil hat die frieden schlafen. Die Alp gibt so unend- tig, aber wenn auf den Winter hin die Oberaufsicht über die 40 Original-Braun- lich viel, da kann kein noch so guter Fruchtfolge auf den Feldern umgestellt vieh-Kühe der Stiftung zur Weid. Jeweils Lohn mithalten.» wird, sollte bereits im nächsten Sommer eine halbe Stunde nach seiner Tagwacht so viel Grasfläche zur Verfügung stehen, führt er die Kühe von der Weide in den So ist denn auch sein beruflicher Werde- dass jede Kuh unter freiem Himmel satt Stall – und nicht umgekehrt. Im Sommer gang wesentlich von den saftigen Berg- wird. verbringen die Tiere nämlich die ganze wiesen bestimmt. Im Jahr 1993 über- Georg Stalder Nacht unter freiem Himmel, das Modell nahm Martin Seeholzer den Pachtbe- heisst «Nachtweide». Im Stall werden trieb in Kappel am Albis, den bereits die Kühe unter Mithilfe von zwei Bewoh- seine Eltern führten. 2007, als der Hof nern gemolken, bevor Martin Seeholzers einer Überbauung weichen musste, wohlverdiente Frühstückspause ansteht. wechselte er ins Büro. Sechs Jahre leitete «In der Regel nehme ich das Frühstück er den Agrarhandel der Landi in Zug, gleich mit den Bewohnerinnen und Be- wofür er sich kaufmännisch weiterbilde- wohnern im Speisesaal ein», erzählt er in te. Die körperliche Arbeit – und die Alp seiner sprudelnden Art, die ihn jugend- – reizten ihn aber zu sehr, und so verliess lich wirken lässt. er den Bürosessel und verbrachte mit sei- ner Tochter vier Sommer hintereinander Bevor die Kühe am Abend erneut gemol- auf einer Alp im Prättigau. Zusammen ken werden, fällt tagsüber noch einiges mit seiner Ehefrau hat Martin Seeholzer an: Futter bereitstellen, Kälber tränken, zwei Söhne und eine Tochter. Liegeboxen einstreuen. Und die Kontrol- le der Rinder auf den auswärtigen Wei- Auf dem Weg zur Vollweide den. Täglich wird kontrolliert, ob alles in Im Winter fand er über den Maschinen- Ordnung ist. Ob der Viehhüter anschlägt ring, eine Jobbörse für Landwirte und und das Gras noch langt. «Die Kontroll- Handwerker, jeweils temporäre Arbeit – gänge in der Natur draussen schätze ich einmal auch in der Stiftung zur Weid. sehr», erzählt Martin Seeholzer. Es sei Aus einem temporären Einsatz wurde ein wenig wie auf der Alp. eine Festanstellung, ab November 2015 war Martin Seeholzer der Mann für alle Der Ruf der Alp Fälle. Nach der Pensionierung von Alfred Die Alp hat es dem Meisterlandwirt ganz Steiner, dem Leiter der Rindviehhaltung,
Von Menschen und Kühen 15 Kühe auseinanderzuhalten ist für ihn Meistens arbeitet er mit ein oder zwei den Kopf einer grossen, grauen Kuh. kein Problem. Simon Unternährer be- Bewohnern zusammen. «Wir kommen «Sie ist sehr zahm.» Amélie war noch ein richtet über sein letztes Lehrjahr als gut miteinander zugange», meint Simon Rind, als Simon Unternährer im vergan- Landwirt im Agrarbetrieb der Stiftung Unternährer. «Der Umgang erfordert genen Sommer in der Weid begann – zur Weid. aber Diplomatie.» Im Jahr in der Weid und ist inzwischen zu einer stattlichen habe er viel gelernt im Umgang mit Kuh herangewachsen. Sie in der Herde Erst 19 Jahre alt ist er – und doch ist Si- Menschen. Und auch erlebt, wie wert- auszumachen, ist für den Bauernsohn mon Unternährer in den letzten drei Jah- voll der Agrarbetrieb für die Bewohner- keine grosse Sache. «Kühe kann man ren mehr herumgekommen als viele Leu- innen und Bewohner ist. «Besonders die gut am Kopf auseinanderhalten, vor al- te in einem ganzen Leben. Ein Jahr ver- Tiere geben den Klientinnen und Klien- lem an der Form der Hörner – und auch brachte er in Beromünster (LU), dann ten viel. Zum Beispiel mit dem Stier Ben- am Euter.» eines in Oberwil bei Büren (BE). Nun no haben viele eine gute Verbindung. wohnt er in Rifferswil (ZH) und arbeitet Benno ist zahm und lässt sich gerne Simon Unternährer hat seine Lehre in in der Stiftung zur Weid. streicheln.» der Zwischenzeit erfolgreich abgeschlos- sen. Nun möchte er die Berufsmatur Simon Unternährer ist angehender Auch Simon Unternährer ist ein grosser absolvieren und Agronomie studieren. Landwirt EFZ – zum Zeitpunkt des Ge- Tierfreund. Er ist auf einem Bauernhof in «Die Anforderungen an einen Bauern sprächs befindet er sich mitten in der St. Niklausen LU aufgewachsen, wo sei- werden immer höher», sagt er. «Eine Lehrabschlussprüfung. In dieser Lehre ne Eltern Kühe der Rasse Original Braun- gute Ausbildung ist da von Vorteil.» ist es üblich, jedes Jahr auf einem ande- vieh mit Hörnern halten – die gleichen Gerne möchte er dereinst den Hof seiner ren Betrieb anzupacken, was wegen der Tiere also wie die Stiftung zur Weid. Eltern übernehmen. langen Arbeitstage meist einen Umzug «Das ist Amélie, meine Lieblingskuh», mit sich bringt. Ein abwechslungsreiches sagt Simon Unternährer und streichelt Georg Stalder Leben also, das gut passt zum aufge- schlossenen und neugierigen jungen Mann, der an seinem Beruf gerade die Vielfältigkeit schätzt. «Im Agrarbetrieb der Stiftung zur Weid ist kaum ein Tag wie der andere», er- zählt Simon Unternährer, der hier sein drittes und letztes Lehrjahr verbringt. Im Herbst packte er bei der Obsternte und auf dem Feld an, im Winter widmete er sich den Kühen und schaute morgens und abends nach den Säuen. Im Mo- ment heisst es: pflügen, eggen und Bal- len führen. Gestern war Heu-Ernte. «Durch das drohende Gewitter wurde es gegen Abend etwas hektisch», erzählt der Lernende.
16 Die Arbeit in der Waagschale Die Stiftung zur Weid packt für die Bos- sich hervorragend für die Klientinnen tenden der Stiftung leisten qualitativ gu- sard AG in Zug Schrauben ab – neuer- und Klienten und ist äusserst beliebt.» te Arbeit. Die Kommunikation mit den dings auch ganz kleine. Gezählt werden die Schrauben nicht von Verantwortlichen ist unkompliziert und Hand. Ihre Anzahl wird durch wägen be- die Abläufe einfach.» Seit über zwanzig Jahren läuft die Zu- stimmt. «Wir haben dafür eigens hoch- Zweimal pro Woche fährt ein Lastwagen sammenarbeit mit der Bossard AG in präzise Waagen angeschafft, mit der den kurzen Weg von Zug nach Rossau, Zug. Fünf bis sechs Bewohnerinnen und auch die kleinsten Schrauben exakt ab- liefert neue Schrauben und nimmt die Bewohner packen momentan die Pro- gemessen werden können», berichtet abgezählten mit. «Hin und wieder ma- dukte des Schraubenherstellers ab. Der Ruedi Hausheer. chen wir Stichproben», verrät Roman Auftrag wurde ausgebaut und umfasst Die hochwertigen Schrauben der Bos- Fässler. Im Normalfall würden die Men- neu auch ganz kleine Schrauben und sard AG werden unter anderem in der gen stimmen. «Sonst liefe die Zusam- Sets mit gemischtem Inhalt. «Die Arbeit Baubranche und in der Automobilindus- menarbeit nicht schon derart lange.» ist ein Glücksfall für die Stiftung zur trie eingesetzt. Roman Fässler von der Weid», freut sich Ruedi Hausheer, der Bossard AG lobt die Zusammenarbeit Georg Stalder Leiter der Schreinerei. «Die Arbeit eignet mit der Stiftung zur Weid. «Die Mitarbei- Lehrabschlüsse in der Weid Herzlichen Glückwunsch, Andrea Papst, und vielen Dank für die wertvolle Abschlussarbeit Zwei Lernende in der Stiftung zur Weid Mohammad Hosseini (vgl. letzte Seite) haben im Sommer ihre Lehre erfolg- schliesst seine Integrationsvorlehre im Nach dem einjährigen Praktikum im So- reich abgeschlossen. Simon Unternäh- August ab. Er wird nahtlos die 3-jährige zialdienst der Stiftung zur Weid hat rer, der auf S. 15 porträtiert wird, darf Lehre zum Fachmann Betriebsunterhalt Andrea Papst ihre Ausbildung zur Sozi- sich nun Landwirt EFZ nennen. Natta- EFZ in der Stiftung zur Weid antreten. alarbeiterin FH erfolgreich abgeschlos- wut Meesomsib hat die Abschlussprü- Neu begrüssen wir Taher Hesko. Er wird sen. In ihrer Abschlussarbeit widmete fung zum Küchenangestellten EBA ge- in der Küche eine Integrationsvorlehre sie sich den Bedürfnissen von jungen meistert. Er wird direkt im Anschluss die beginnen. Erwachsenen mit psychischen Krank- 3-jährige Lehre zum Koch EFZ an- heiten. Sie erarbeitete ein Konzept, wie schliessen. Herzliche Gratulation den die Stiftung zur Weid diese jungen beiden! Menschen noch besser unterstützen und fördern kann. Dieses Konzept ist Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Betreuung eine wichtige Grundlage für die weitere Folgende Mitarbeiterinnen und Mitar- Herr Stephan Wyss Entwicklung des Angebots der Stiftung beiter dürfen wir neu in der Weid be- Betreuer, Zug, 15. Juli zur Weid. grüssen: Wir danken Andrea Papst herzlich für Gastronomie ihren tatkräftigen Einsatz in der Stif- Dienste Herr Taher Hesko tung zur Weid sowie für die zahlreichen Frau Beatrice Angst Integrationsvorlehre Gastronomie, wertvollen Anregungen, die sie einge- Sachbearbeiterin, Schlieren, 6. Mai Hedingen, 19. August bracht hat.
Susan Wasem und Walter Ponte Offenheit und Wohlwollen 17 Susan Wasem blickt auf ihre ersten Klienten sehr individuell und auf die ein- tionen keine optimale Lösung, weil sich zehn Monate als Teamleiterin des Sozi- zelnen Bedürfnisse und Befindlichkeiten schlicht Busse an Busse reiht», sagt Wal- aldiensts zurück – und spricht mit Wal- zugeschnitten gestaltet werden kann.» ter Ponte. An die Stelle der Sanktionen ter Ponte, dem Bereichsleiter Wohnen, Dies erfordert Fingerspitzengefühl, eine sollen individuelle Vereinbarungen tre- über zeitgemässe Betreuungskonzepte. funktionierende Zusammenarbeit und ten, die die Klientinnen und Klienten eine offene, transparente Kommunikati- unterstützen statt bestrafen. Offenheit und Wohlwollen. Diese zwei on aller Beteiligten. «Das macht die Ar- Bis im Frühling 2020 wird die Stiftung Worte kommen Susan Wasem als Erstes beit spannend und lebendig», sagt Sus- zur Weid nun diverse Abläufe überprü- in den Sinn, wenn sie an ihren Arbeits- an Wasem. Walter Ponte, Leiter des Be- fen und anpassen. Walter Ponte ist es beginn vor zehn Monaten in der Weid reichs Wohnen, nickt. «Und die dabei wichtig, den Fokus auf die Um- zurückdenkt. «Ich wurde mit einer gros- Individualität wird in Zukunft noch zu- setzbarkeit zu legen. «Die Selbstbestim- sen Offenheit und grossem Wohlwollen nehmen.» Denn die Richtlinien des Kan- mung soll nicht nur auf dem Papier statt- empfangen, nicht nur von den Mitarbei- tons Zürichs, an denen sich die Stiftung finden, sondern im Alltag der Klientin- tenden, sondern auch von den Klientin- zur Weid orientiert, legen ihren Fokus nen und Klienten zum Tragen kommen.» nen und Klienten.» auf die Selbstbestimmung der Klientin- Im September 2018 hat Susan Wasem nen und Klienten. Ihre Möglichkeiten zur Pionierarbeit die Teamleitung Sozialdienst und Be- Mitgestaltung und Mitwirkung sollen in Ein Punkt, den die Stiftung zur Weid treuung übernommen. Eine positive Zukunft noch stärker ausgebaut wer- über diese Zeitspanne hinaus beschäfti- Stimmung im Team ist ein grosses Anlie- den. gen wird, ist eine Veränderung der Kli- gen der diplomierten Pflegefachfrau und entel. Vermehrt jüngere Leute nehmen ehemaligen Teamleiterin des Fachbe- Mehr Autonomie das Angebot des betreuten Wohnens reichs Psychiatrie der Spitex Kanton Zug. Wie das konkret aussehen könnte, er- und Arbeitens in Anspruch. Zu den bis- «Ich sehe meine Rolle in der Unterstüt- klärt Walter Ponte anhand des jährlich herigen Diagnosen treten neue dazu, zung der Mitarbeitenden, damit sie sich stattfindenden Zielvereinbarungsge- etwa die Online-Sucht, bei der Betroffe- im Alltag ganz ihrer komplexen Aufgabe sprächs. «Bisher war es Usus, dass die ne übermässig viel Zeit vor dem Bild- widmen können. Ein gutes Klima im Beiständin oder der Beistand am Ge- schirm verbringen (vgl. Artikel im Brief Team überträgt sich automatisch auf die spräch teilnahm. In Zukunft sollen die von der Weid 1/2019). Klientinnen und Klienten.» Klientinnen und Klienten selbst bestim- In Zusammenarbeit mit der Hochschule men, wer dabei sein soll.» Auf Anregung Luzern hat die Stiftung zur Weid ein Fingerspitzengefühl des Kantons wird auch die Schaffung Konzept zur Online-Sucht erstellt und Die Stiftung zur Weid vereint Wohnen, eines Bewohnerinnen- und Bewohner- sucht den Austausch mit Fachpersonen Arbeit und Freizeit unter einem Dach. rats wieder ein Thema. Ein solches Gre- und Institutionen «Wir nähern uns dem Bereiche, die in anderen Lebenssituatio- mium wurde bereits im Juli 2015 probe- Thema aber erst an», gibt Walter Ponte nen – und Betreuungssituationen – ge- weise ins Leben gerufen, scheiterte aber zu bedenken. «Die Diagnose ist Neuland trennt sind. «Üblicherweise haben Sozi- nach zwei Jahren an mangelnder Beteili- – für alle.» Genau darin liegt für Walter alarbeiterinnen und Sozialarbeiter kaum gung. Ponte aber auch eine Chance. «Mit ei- Kontakt mit der Arbeitswelt ihrer Klien- Ebenfalls überarbeitet werden die Sank- nem fortschrittlichen Betreuungskon- tinnen und Klienten», führt Susan Wa- tionen, die bei Missachtung der Haus- zept können wir Pionierarbeit leisten.» sem aus. «In der Stiftung zur Weid ist die ordnung – etwa beim Konsum von Alko- Verflechtung enger. Das ermöglicht, hol im Zimmer – erteilt werden. «Für Georg Stalder dass die Arbeit mit den Klientinnen und viele Klientinnen und Klienten sind Sank-
Lesetipp von Andreas von Känel 18 Silvia Götschi: Itlimoos und ist äusserst Tobias Bauer, Inhaber einer Informatik- spannend. Bis zur firma, wird im Itlimoosweiher in Wol- letzten Seite lässt er ei- lerau tot aufgefunden. Seine Firma ist nen nicht mehr los. überaus erfolgreich im Bereich der Computer-Sicherheit. Im Geheimen hat Silvia Götschi: Itlimoos. 2019. Bauer auch eine neue Software entwi- ca. 16 Franken. ckelt, die verblüffend lebensechte Rei- sen in virtuelle Welten ermöglicht. Hat Tipp: es jemand auf diese Erfindung abgese- Vor dem Weid-Kafi befindet sich ein hen? Die Schwyzer Polizistin Valérie offener Bücherschrank – er lädt zum Lehmann nimmt die Ermittlungen auf. Ausleihen, Tauschen oder auch ein- Der Kriminalroman spielt nur 20 Kilo- fach zum Mitnehmen einer spannen- meter von Mettmenstetten entfernt den Lektüre ein. Mehr Platz unter der Matratze Vier Zimmer im kürzlich renovierten hundertjährigen Gebäude sind eher «Wir mussten Rücksicht nehmen auf die Hauptgebäude erhielten im Frühjahr ein klein und stossen an die Grenze der kan- räumlichen Begebenheiten und das üb- neues Bett – kein normales, sondern ein tonal vorgeschriebenen Mindestwohn- rige Mobiliar.» Besonders gefreut hat die Hochbett. Die neuen Schlafgelegenhei- fläche. junge Frau die Anteilnahme der Bewoh- ten bieten extra viel Stauraum unter der Gezimmert hat die Hochbetten Leonie nerinnen und Bewohner. «Sie haben Liegefläche – und können so einen Sommer in der betriebseigenen Schrei- den Einbau der Betten mit grossem Inte- Schrank oder eine Kommode einsparen. nerei. «Alle vier Betten sind Massanferti- resse verfolgt.» Die vier betreffenden Zimmer im über gungen», erzählt die Antikschreinerin. Georg Stalder
Forstingenieurin Adrienne Frei gibt einen Einblick in die hiesige Insektenwelt Steinhaufen: feindsichere Unterschlüpfe für Wiesel Ein Tummelplatz der Natur 19 In den Büschen und Sträuchern der Stif- Mai 2019, führte die Forstingenieurin wird, gibt es kaum einen Zentimeter, der tung zur Weid wimmelt es nur so von und Entomologin (Insektenkundlerin) keine Funktion erfüllt. «Die einheimi- Insekten. Adrienne Frei, Expertin für Adrienne Frei eine grosse Schar Interes- schen Pflanzenarten sind dabei unglaub- die Sechsbeiner, führte Interessierte sierte, darunter auch einige Bewohner- lich wichtig», erklärt Adrienne Frei. «Denn über das Gelände. innen und Bewohner der Stiftung, über auf diese Arten haben sich die Insekten im das Gelände und gab einen Einblick in Laufe der Evolution perfekt angepasst.» Das Areal der Stiftung zur Weid ist für die Welt der Krabbel- und Flugtiere. Organisiert wurde die kostenlose, rund Insektenfreundinnen und -freunde eine Der Lebensraum der Sechsbeiner ist mit- zweistündige Führung vom Verein Fundgrube. Die Wiesen und Stauden, unter winzig klein: ein Pilz an einem Freundeskreis des Werk- und Wohnhau- der Wald, der Weiher und der Bach bie- Baum, ein wenig Sand an einem Mäuer- ses zur Weid, der im Anschluss auch ein ten Tausenden von unterschiedlichen chen, ein verrotteter Wurzelstock. Wenn Cervelat-Bräteln offerierte. Insekten eine Bleibe. Am Samstag, 18. die Natur nicht künstlich eingepfercht Georg Stalder Wichtige Kleinstrukturen für Wiesel Da Wiesel heutzutage immer weniger Wiesel – damit sind das Hermelin und deren Gängen umher, im Winter auch feindsichere Unterschlüpfe und Auf- das Mauswiesel gemeint – sind die oft unter der Schneedecke. Und wenn zuchtstätten sowie Deckung bietende kleinsten einheimischen Raubtiere. Das sie sich an der Erdoberfläche aufhalten, Strukturen in der Landschaft vorfinden, Mauswiesel ist sogar das kleinste Raub- nutzen sie jegliche Deckungsmöglich- ist es für diese zierlichen Mäusejäger tier der Welt. Beide haben sich auf die keit. Obschon sie nachts wie tagsüber schwierig, zu überleben. Deshalb wur- Jagd nach verschiedenen Wühlmaus aktiv sind, bekommt man sie deshalb den in der Weid mit Ast- und Steinhau- arten (Schermaus und Feldmaus) spezia- auch in Regionen mit gesunden Wiesel- fen Kleinstrukturen geschaffen, die den lisiert. Beiden Wieseln gemeinsam ist, beständen höchst selten zu Gesicht. Wieseln, aber auch Kleinsäugern, Igeln dass sie ein sehr verborgenes Leben füh- Aber mit ein wenig Glück können Sie in und Eidechsen Schutz und Deckung bie- ren. Auf der Jagd nach Mäusen bewe- der Weid tatsächlich einem Wiesel be- ten. Die Wiesel sind selten geworden. gen sie sich vorwiegend unterirdisch in gegnen. Text: Hansruedi Sommer Wühlen nach Herzenslust Schweine sind sehr neugierige Tiere – man wurde ein sogenanntes «Wühlareal» ein- sieht das unter anderem daran, dass sie gerichtet. Eine Art Sandkasten, gefüllt mit ihre Nasen überall hineinstecken. «Die Na- Sägemehl. In ihm können die Schweine se ist das sensibelste Organ des Schweins», nach Herzenslust wühlen und graben. weiss Ivan Allaz, verantwortlich für die Damit die Tiere nicht umsonst ihre Schnau- New-Hampshire-Schweine in der Weid. zen versenken, werfen die Mitarbeitenden «In der freien Natur graben die Tiere mit im Agrarbetrieb regelmässig eine Handvoll ihrer Schnauze den Boden um auf der Su- Maiskörner in das Wühlareal. Bereits beim che nach Nahrung.» Klappern der Mais-Dose springen die Tiere Seit Anfang Mai können die Schweine in aufgeregt herbei. Die Freude an der neuen der Weid ihren natürlichen Suchtrieb aus- Anlage ist ihnen an der Nasenspitze anzu- leben. Im grosszügigen Auslaufgehege sehen. Georg Stalder
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