50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...

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50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Wulf Gatter, 50-jährige Untersuchungen an migrierenden Insekten

50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen,
Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge
(Diptera: Syrphidae, Stratiomyidae; Hymenoptera: Ichneumonidae)
●●Wulf Gatter, Hartmut Ebenhöh, Raoul Kima, Walter Gatter, Frank Scherer

  Abstract. At the Research Station Ran­      1970–2019 of southerly heading hover-        die örtlichen Verhältnisse. Dies erlaubt
  decker Maar in the Schwäbische Alb          flies is carried out by visual counting in   über einen Zeitraum von 50 Jahren ein­
  uplands in southwest Germany, founded       a standardised narrow corridor, without      deutige Aussagen über den dramati­
  in 1969, in addition to bird migration      attempting identification to species         schen Wandel in der Insektenwelt. Es ist
  numbers of migrating insects have also      ­level. Each count was made for one min­     damit die längste standardisierte Studie
  been monitored in summer and autumn          ute four times per hour and was extrap­     zum Thema. 40 Jahre Reusenfang: Seit
  since 1970. At this spot their south­        olated to give hourly totals. Comparison    1978, also über40 Jahre, wurden nach
  wards-directed migration reaches an          of the first counts (1970–1974) with the    Norden geöffnete standardisierte Insek­
  upland pass where the flying insects are     most recent years (2014–2019) shows a       tenreusen, bei geeignetem Wetter stünd­
  concentrated both horizontally and ver­      drastic decline to just about 3 % of the    lich kontrolliert. Die Werte von 1978–
  tically. In this article we compare the      1970s values for those species migrating    1987 wurden denen von 2014–2019
  results for migrating hover-flies (Syrph­    in July/August whose larvae are zoopha­     gegenübergestellt. Bei den Schwebflie­
  idae), as well as soldier-flies (Stra­       gous/apihidophagous, feeding mainly         gen zeigt der Vergleich einen starken
  tiomyidae) and parasitic wasps or ich­       on aphids. The numbers of hover-flies       Rückgang der Arten mit zoophag/aphi­
  neumons (Ichneumonidae), from the            migrating later, mainly in September/       dophager Larvenentwicklung auf unter
  1970s and 1980s with those of the years      October, suggest that the decline of        10 %. Gleichzeitig erfasste Waffenflie­
  2014 to 2019. The comparison is based        these species (with a mainly aquatic-       gen (Stratiomyidae) und Schlupfwespen
  on two different monitoring methods,         saprophagic/microphagic larval devel­       (Ichneumonidae) gingen auf etwa
  during 40, respectively 50 years which       opment) is not as extreme as in zoo­        16 bzw. 14 % zurück. 50 Jahre visuelle
  remained unaltered during this time, as      phagic species.                             Erfassung: Die schon seit 1970 durchge­
  did the local conditions. These facts al­                                                führte visuelle Zählung südwärts ziehen­
  low us to make unambiguous statements                                                    der Schwebfliegen erfolgte in einem
  about the dramatic changes in the insect                                                 standardisierten engen Zugkorridor
  world over the last 50 years, the longest   Zusammenfassung. An der 1969 ge­             ohne Artdifferenzierung. Dabei wurden
  study period in this field. For more than   gründeten Forschungsstation Randecker        viermal pro Stunde eine Minute lang die
  40 years 1978–2019 the monitoring           Maar auf der Schwäbischen Alb wurden         nach Süden durchfliegenden Schweb­
  method was working with standardised        neben dem Vogelzug ab 1970 auch wan­         fliegen gezählt und das Ergebnis auf die
  insect funnel traps open to the north       dernde Insekten im Sommer und Herbst         Stunde hochgerechnet. Der Vergleich
  were controlled hourly, weather permit­     auf ihrem Weg nach Süden quantitativ         der ersten Jahre (1970–1974) mit den
  ting. The values from 1978–1987 were        erfasst. Hier wird der südwärts gerich­      Werten der letzten Jahre (2014–2019)
  compared with those from 2014–2019.         tete Zug durch einen Gebirgspass hori­       zeigt bei Arten, deren Larven räuberisch
  For hover-flies the results show a strong   zontal und vertikal gebündelt. In dieser     zoophag/aphidophag vor allem von
  decline in the large group of those spe­    Arbeit vergleichen wir die Ergebnisse        Blattläusen leben, einen Rückgang auf
  cies with a zoophagous/aphidophagous        wandernder Schwebfliegen (Syrphidae)         nur noch rund 3 %. Die Sichtbeobach­
  larval development, to under 10 % of        sowie Waffenfliegen (Stratyomyidae)          tungen der spät, vor allem im Septem­
  their earlier numbers. The simultane­       und Schlupfwespen (Ichneumonidae)            ber/Oktober, migrierenden Schwebflie­
  ously monitored soldier-flies (Stratio­     aus den 1970er und 1980er Jahren mit         gen lassen vermuten, dass der Rückgang
  myidae) and parasitic wasps (Ichneu­        denen der Jahre 2014–2019. Der Ver­          bei Arten mit einer aquatisch-sapro­
  monidae) declined to about 16 and 14 %      gleich beruht auf zwei verschiedenen         phag/microphagen Larvenentwicklung
  of their 1978–1987 numbers, respec­         Erfassungsmethoden, die über die Jahre       nicht ganz so extrem ist wie bei den
  tively. A 50 years spanning monitoring      hinweg unverändert blieben, ebenso wie       zoophagen Arten.

  Key words. Migration, Insects, Ecology, Longterm survey, Insect decline, Randecker Maar, Palaearctic Region.

Ein Blick 50 Jahre zurück                     dort gegründeten Station (Gatter 1978)        (9.29E, 48.35N), den Vogelzug. Dort
                                              an dem hier fast 500 m hoch aufragenden       ­wurden wir (G. Kahlert, R. Laih, W. Gat­
Vor Entdeckung des Randecker Maars            Mittelgebirge der Schwäbischen Alb, be­        ter) am 8. August 1967 und an den Fol­
(9.31E, 48.35N; Abb. 1) als Konzentrati­      obachteten wir unweit davon, am Sattel­        getagen Zeugen eines Naturschauspiels,
onspunkt des Vogelzugs und der 1969           bogen zwischen Teck und Breitenstein           das sich vor dem nachmittags bereits im

                                                                                                                                      131
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Schatten liegenden Osthang des Teck­               Tätigkeit, auch mit Versuchen, neue Me­        tagen häufigeren Winde aus südlichen
bergs abspielte.                                   thoden der ornithologischen und ento­          Richtungen anfliegen (Gatter 1981b).
                                                   mologischen Forschung zu entwickeln            Die meist flugschwächeren Dismigranten
Von der Nachmittagssonne angestrahlt,              (Gatter 1978). Neben den vogelkund­            mit höherer Richtungsstreuung, bei den
zog vor dem dunklen Hintergrund des                lichen Untersuchungen ergab sich die           Schwebfliegen z. B. Vertreter von Pla­
Berges zum „Pass“ des Sattelbogens eine            Möglichkeit, nicht zuletzt auch wenig er­      tycheirus, und weitere flugschwache Di­
nicht endende Flut zigtausender nach Sü­           forschte Insektengruppen wie Libellen          pte­renarten und Schmetterlinge ziehen
den ziehender Fliegen hin. Gegen die Son­          (Odonata), verschiedene Gruppen von            eher am Nachmittag.
ne und vor der hohen, im Schatten liegen­          Käfern (Coleoptera) und Fliegen (Diptera)
den Bergkulisse zog sich, durch unsere             mit einbeziehen zu können (Gatter 1973,        Bei Insekten liegt der Anteil nach Süden
Ferngläser verdichtet, ein so endloses             1975, 1976), die schließlich in Buchform       ziehender saisonaler Migranten mit jah­
Band im Gegenlicht aufleuchtender, silb­           publiziert wurden (Gatter 1981a, b). Die       reszeitlich ausgeprägten, dem Vogelzug
rig reflektierender Schwingen und gold-            räumlichen Begebenheiten regten dazu           entsprechenden Wanderungen vormittags
bis kupferfarben wirkender Körper, die             an, den in Deutschland bisher unbekann­        im sichtbaren Bereich bei 51–60 % (Gat­
sich vor der dunklen, im Schatten liegen­          ten Massenzug von Schwebfliegen näher          ter 1981a). Bei den eher streuenden Be­
den Wand der Bäume abhoben. Frischte               zu untersuchen (Gatter & Gatter 1973,          wegungen der Dismigranten liegt er nur
Gegenwind auf, unterflogen die Insekten            Gatter 1975a, 1976). Von Ereignissen           bei 7–34 %. Die Werte beider am Rande­
den Wind und wanderten in Bodennähe                dieser Art gab es einzelne Berichte aus        cker Maar an der Gebirgskante sichtbar
bergan, was zeitweise wie ein nach Süden           Westeuropa und den Alpen.                      werdender Insekten zeigen, dass gebirgs­
fliegender endloser Bienenschwarm wirk­                                                           fern im windschwächeren Tiefland wan­
te. Die beteiligten Individuen wurden von          So beschreibt schon Williams 1961 in           dernde Insekten sich dem Beobachter
uns auf Hunderttausende geschätzt. An              seinem Buch „Die Wanderflüge der Insek­        vielfach entziehen. Nachweise beschrän­
Tagen mit nördlichen oder östlichen Rü­            ten“ herbstliche nach Süden gerichtete         ken sich dort auf rastende Individuen
ckenwinden war das Phänomen nicht                  Migrationen von Schwebfliegen von der          (Gatter 1977a, 1981a, Gatter & Schmid
existent.                                          Ostküste Nordamerikas und von den Küs­         1990), oder man wird auf deren Existenz
                                                   ten Nordwesteuropas und Englands, wo           und Bedeutung erst nach Katastrophen
Aus unseren Beobachtungen an wandern­              der Küstensaum von Bournsmouth Mitte           wie die als „Strandgut“ an Meeresküsten
den Schmetterlingen zu schließen, war              August 1864 einmal meilenweit von toten        angeschwemmten Tiere aufmerksam.
uns schon damals klar, dass die Masse aus          Schwebfliegen der Art Scaeva pyrastri be­
migrierenden Schwebfliegen bestehen                deckt war, so dass man sie hätte zusam­
musste, zumal sich tausende kleiner,               menschaufeln können. Besonders oft wer­        Material und Methode
dunkler Fliegen von der leichten, vom Pass         den von ihm die im 19. Jahrhundert auf­
aus Süden kommenden Luftströmung in                fälligen Massenwanderungen von großen          Der Weg zu standardisierten
die entgegengesetzte Richtung nach Nor­            Schwebfliegen von Eristalis, besonders E.      Untersuchungen
den verdriften ließen, oder vor Ort tanz­          tenax, (Abb. 12) an den Küsten der Briti­      In den 1970er und 1980er Jahren kam es
ten. Einmal sensibilisiert wurden bei in­          schen Inseln und über den Kanal genannt,       in Europa zu einer Welle von Untersu­
tensivierter Beobachtung weitere, eben­            über die Vergleichbares auch aus dem           chungen zur Standardisierung der Erfas­
falls starke Bewegungen im Spätsommer              Alpe­nraum berichtet wurde (Eimer 1882,        sung ziehender Vögel. Mit der darauf er­
und Herbst 1967 und 1968 registriert.              Prell 1925). Gatter (1980) beschreibt          folgenden Intensivierung ornithologischer
Alles ließ darauf schließen, dass die              Überquerungen hoher Himalayapässe ge­          Untersuchungen gründeten wir 1969 die
Schwebfliegen, wie die gleichzeitig zie­           meinsam wandernder Schmetterlinge,             Beobachtungsstation am Randecker Maar,
henden Schmetterlinge (Pieridae und                Hummeln und Schwebfliegen, wobei               fünf Kilometer östlich des bereits erwähn­
Nymphalidae) aus NNE bis NE kommend,               ebenfalls Eristalis tenax dominiert. Mit       ten Sattelbogens. Auch hier zogen auffäl­
auf den Nord-Süd verlaufenden Berghang             Berichten von starkem Syrphidenzug an          lige Anzahlen von Schwebfliegen, aber die
der Teck stoßen und dadurch verdichtet             der amerikanischen Westküste Kaliforni­        Konzentrationen waren geringer als direkt
nach Süd abgelenkt, weiter durch den Pass          ens (Menz et al. 2019) schließt sich der       am Sattelbogen. Die Höhe des Albrandes
des Sattelbogens ziehen, durch den einst           Kreis von Berichten über cirkumpolare          als zu überwindendes Hindernis und die
eine Landstraße, heute ein Wanderweg,              Schwebfliegenwanderungen rund um die           Breite des Passes führten dort einerseits
führt. Bei schwachen Winden im Hoch­               Nordhalbkugel.                                 zur Verdichtung der Zugbewegungen, an­
druckgebiet ließen hoch ziehende Schmet­                                                          dererseits ließen sich konstante Bedingun­
terlinge und in der Höhe jagende Schwal­           Der Insektenzug ist ein komplexes Thema        gen für die Zukunft erwarten, die eine
ben darauf schließen, dass vor allem an            das von vielen Faktoren beeinflusst wird,      Standardisierung ermöglichten. Durch die
Nachmittagen mit den im Hochdruck­                 sodass wir mit dieser Arbeit nur einen klei­   auf 600 m liegende Passenge am Eingang
gebiet regelmäßig auf Nord drehenden               nen Ausschnitt beleuchten können. So           des nach Nordosten zum Albvorland hin
Winden unsichtbar auch kleinere und                zeigten unsere Untersuchungen am               geöffneten Maarkraters verdichtet sich der
große Insekten in großer Höhe mit dem              Randecker Maar, dass die tageszeitlichen       Insektenzug zunächst, und fächert sich
Wind wanderten (Gatter 1977b, 1981c).              Zugmuster der regelmäßig migrierenden          dann bis zu der auf 772 m direkt südlich
                                                   Saisonwanderer unter den Schwebfliegen         des Maarkraters liegenden Station (bei
Aus unseren 1969 am Randecker Maar                 und Schmetterlingen (Nymphalidae) im           südwestlicher Zugrichtung) wieder auf.
begonnenen planmäßigen Untersuchun­                sichtbaren Bereich ihre Höhepunkte am          Er führt dann, bei Vögeln wie Insekten,
gen des Vogel- und Insektenzugs ent­               späten Vormittag haben und oft bodennah        größtenteils durch eine Geländesenke
wickelte sich eine rege entomologische             gegen die im Hochdruckgebiet an Vormit­        westlich der Station.

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50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Wulf Gatter, 50-jährige Untersuchungen an migrierenden Insekten

Die Zahlen an Insekten unmittelbar an der
Station zeigen also nur den Randbereich
dieser Konzentration. Gehölze im Westen
und Osten der Station boten bei größeren
Insekten häufiger Arten, vor allem der
Lepidoptera, die Möglichkeit einer Stan­
dardisierung der Erfassung. Sie wurden
auf 30 Metern Breite zwischen zwei Ge­
hölzstreifen gezählt und eingetragen. Der
dunkle Hintergrund durch die Gehölze
machte auch weniger große vorbeifliegen­
de Insekten (besonders bei Gegenlicht)
sichtbar.

Die Radaruntersuchungen von Wotton et
al. (2019) aus Südengland zeigen mit der
Höhe über Grund abnehmenden Zug von
Schwebfliegen, wobei das Radar Bewe­
gungen erst ab 150 Metern über Grund
aufzeichnet. Die hohen Werte am Sattel­            1
bogen auf 550 m, d. h. 150 m über dem
Albvorland, würden etwa dem entspre­
chen, was in England dem Radar entgeht,
also einer Verdichtung des Bereichs vom
Vorland zum Sattelbogenpass. Am Rande­
cker Maar kämen weitere 200 Höhen­
meter dazu. Die in England erhobenen
Radardaten könnten demnach darauf
hinweisen, dass uns am Randecker Maar
die oberen 30 % der Migranten entgehen.

Nach diesen anfänglich intensiven Unter­
suchungen des Insektenzuges haben wir
die entomologische Forschung jedoch we­
gen des Rückgangs häufiger Schmetterlin­
ge und der Schwebfliegen über zwei Jahr­
zehnte hinweg zurückgefahren und jah­
reszeitlich an die ornithologische Arbeit
angeglichen. Die aktuelle Diskussion um
den Insektenrückgang führte jedoch dazu,
die Sichtzählungen und Reusenfänge bei             2a

Abb. 1. Randecker Maar Luftbild. Der Pfeil zeigt
auf die Lage der Station auf 773 m über NN
s­üdlich des nach Norden (hier links) offenen
Maarkraters umgeben von den über 800 m
­hohen umliegenden Kuppen. In dem hier im
 Bildbereich auf 440 m liegenden nördlichen
 ­Vorland die Dörfer Hepsisau vorn und Neid­
  lingen. Die aus Nord, sozusagen „vom linken
  Bildrand“ ankommenden migrierenden Insekten
  und ­Vögel müssen auf kürzeste Distanz fast
  400 Höhenmeter überwinden, die dann ver­
  dichtet an der Station vorbei ziehen.
  (Foto: Peer Gatter, 15.III.2020)

Abb. 2a und b. Die nach Norden offene Reuse
für nach Süden ziehende Insekten während der
stünd­lichen Kontrolle.
                                                   2b
(Fotos: Wulf Gatter, 20.IX.2019)

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allen Insekten ab 2014 wieder in vollem            zusätzlich eine Zehn-Quadratmeter-Reuse      jeweils der Zeitraum vom 200. bis zum
Umfang aufzunehmen.                                mit einer nach Süden gerichteten Öffnung     279. Tag des Jahres, das entspricht dem
                                                   betrieben. Deren Fänge ergaben ein ande­     19. Juli bis 6. Oktober. Da nicht immer
Ein dadurch wieder notwendiger früherer            res Artenspektrum und vermittelten Hin­      Sichterfassungen des Schwebfliegenzuges
Beginn schon im Juli und die Art der Er­           weise, welche Arten zu den Wanderern         durchgeführt wurden, sondern bevorzugt
fassung mit Beschränkung auf Tage mit              gehörten und welche auf das Habitat des      bei Bedingungen (Wetter), bei denen Zug
geeignetem Wetter und entsprechenden               Reusenstandortes beschränkt waren.           festgestellt wurde, ist das Datenaufnah­
Temperaturen ließ sich zeitweise ohne                                                           meschema nicht komplett standardisiert.
permanente ganztägige Besetzung der                In der vorliegenden Studie wurden, wo        Die Bevorzugung guter (Wetter-) Bedin­
Station verwirklichen. Die dadurch un­             nicht anders vermerkt, nur Daten der nach    gungen wirkt statistisch betrachtet wie
zureichende Aufsicht ermöglichte aber              Nord geöffneten Zehn-Quadratmeter-           eine Zensierung niedriger Zählergebnisse.
leider mehrfach mutwillige Beschädigun­            Reuse ausgewertet (Abb. 2). Die Wände        Daher, und weil die Wahl des Schwellen­
gen unserer teuren und weithin sichtbaren          und das zum Fangbeutel hin leicht anstei­    wertes, ab dem die Bedingungen „gut ge­
Geräte. Dies führte in den letzten Jahren          gende Dach bestanden aus Fliegengitter.      nug“ für eine Erfassung sind, einer gewis­
teils zu verkürzten Fangsaisons.                   Den Abschluss bildete ein 20 cm breites      sen Subjektivität und Schwankungsbreite
                                                   Fenster aus einer Plastikfolie. Der „Drang   unterliegt, ist es nicht möglich, durch
Einminütige Sicht-Zählungen bei
                                                   zur Sonne“ führte dabei unabhängig von       Berechnung von Mittelwerten (z. B. wö­
Syrphiden
                                                   der Zugrichtung dazu, dass die Tiere ver­    chentliche Mittel der Zählergebnisse) aus
Während der Beobachtung des Schmetter­             suchten, am oberen Ende der Reuse zu         den Daten ein über die Jahre vergleichba­
lings- und Vogelzugs wurde im Idealfall            entweichen. Die Insekten gelangten dort      res Bild von der Zugintensität zu bekom­
viermal pro Stunde die Zahl der während            in einen Plastikbeutel, der stündlich kon­   men. Die Datenauswertung stützt sich
einer Minute den standardisierten 30 Me­           trolliert wurde. Am Arbeitsplatz in der      daher stattdessen auf Maxima.
ter Korridor durchfliegenden Schwebflie­           Station wurden zu Beginn des Projektes
gen mit dem Fernglas gezählt. Diese Zah­           die Insekten betäubt und bestimmt, wobei     Die Daten wurden dazu pro Jahr in Zeit­
len wurden später auf Stundenwerte hoch­           gleichzeitig eine Vergleichssammlung an­     abschnitte von 20 Tagen Länge zusam­
gerechnet. Die Zählungen erfolgten in              gelegt wurde. In den meisten Jahren und      mengefasst, und aus jedem 20-Tagesab­
dem für Insekten standardisierten Kor­             mit zunehmender Artenkenntnis war eine       schnitt wurde das maximale Stunden-
ridor ohne Artdifferenzierung. Bei Sonne           Betäubung normalerweise nicht mehr nö­       Zählergebnis herausgesucht. Zeitabschnit­
wurde versucht, morgens gegen Osten,               tig und die Bestimmung erfolgte direkt im    te, in denen kein Insektenzug beobachtet
nachmittags gegen Westen zu zählen. Die            Beutel.                                      wurde, wurden nicht in die Auswertung
Insekten sind dann jeweils im Gegenlicht                                                        mit einbezogen. Dies war nötig, da in den
silbrig aufleuchtend vor den im Schatten           Dieser Lebendfang zeigte den Artenreich­     Aufzeichnungen nicht unterschieden wur­
liegenden Gehölzen bestens zu sehen. Bei           tum der Gruppe. Die Reusenfänge ermög­       de zwischen „keine Zählung durchge­
Verwendung zehnfacher Ferngläser waren             lichten neben den Schwebfliegen auch         führt“ und „Zählung durchgeführt mit
Objekte, die auf etwa den ersten acht bis          Einblicke in weitere beteiligte Gruppen      Ergebnis Null“. Die Abschnitte wurden
zehn Metern vorbeiflogen, kaum erkenn­             von Dipteren wie Schnaken (Tipulidae)        nicht kürzer als 20 Tage gewählt, damit
bar, was den Zählkorridor etwas einengte.          (Gatter 1977b) oder Waffenfliegen (Stra­     möglichst wenige Abschnitte mangels Zäh­
Die sich dadurch ergebende leichte Ein­            tiomyidae), außerdem Erkenntnisse bei        lungen aus der Auswertung herausfallen
schränkung der Standardisierbarkeit der            Käfern (Coleoptera) und Schlupfwespen        (z. B. durch Schlechtwetterphasen), und
Untersuchungsmethode ist allerdings im             (Ichneumonidae), sowie geflügelten Blatt­    nicht länger, damit sie das jahreszeitliche
Vergleich zu den starken Veränderungen             läusen (Aphididae, Pemphigidae), die teils   Muster des Insektenzuges abbilden kön­
der Insektenzahlen über die Jahre ver­             zu Tausenden an den Reusenwänden hin­        nen. Da in der Mittagszeit die Datendich­
nachlässigbar. Die Minutenzählungen                gen. Zeitbudget und Personalkosten bei       te am höchsten und die Zählergebnisse am
wurden, je nach Personaldecke, von 1970            der arbeitsaufwendigen Betreuung zwan­       wenigsten von der Uhrzeit anhängig wa­
bis 1974 konsequent, danach abnehmend              gen zur Spezialisierung auf bestimmte        ren, wurden nur Daten von (inklusive)
durchgeführt und seit 2014 wieder voll             Gruppen. Wie bei den Sichtzählungen          zehn Uhr bis (exklusive) dreizehn Uhr
aufgegriffen. In der vorliegenden Studie           wurden auch die Reusenfänge nicht in         verwendet.
werden daher die Minutenzählungen aus              allen Jahren in vollem Umfang durchge­
                                                                                                Statistische Auswertung der
den Jahren 1970–1974 und 2014–2019                 führt. In der vorliegenden Studie wurden
                                                                                                Sichtbeobachtungen
ausgewertet.                                       daher nur die Fänge der nach NNE ge­
                                                   öffneten Zehn-Quadratmeter-Reuse aus         Jeder der 20-Tage-Abschnitte wurde ge­
Reusenfang                                         den Jahren 1978–1982, 1984–1987 und          trennt nach der gleichen Methode ausge­
Die wandernden Schwebfliegen und an­               2015–2019 ausgewertet. Aufgrund von          wertet. Im Folgenden wird die Auswer­
dere Insekten wurden mit Hilfe einer trich­        Vandalismus an der Reusenanlage muss­        tung für einen der Abschnitte beschrieben.
terförmigen, nach NNE geöffneten Insek­            ten manche dieser Fangsaisons später als     Die Insektenmaxima des Abschnittes
tenreuse gefangen. Erste Versuchsreusen            geplant begonnen oder früher beendet         ­(eines pro Jahr) wurden für das statisti­
mit kleiner Einflugsöffnung wurden über­           werden.                                       sche Modell logarithmiert, da Einflussfak­
wiegend als Hindernis erkannt und um­                                                            toren wie das Wetter und die Größe der
                                                   Datenauswahl bei den Sicht­­­
flogen. Daher arbeiteten wir ab 1978 bis                                                         Insektenpopulation multiplikativ und
                                                   beobachtun­gen (Minutenzählungen)
heute mit Reusen, deren Einflugsöffnun­                                                          nicht additiv auf die Zählergebnisse wir­
gen zehn Quadratmeter betrugen. In den             Bei den Sichtbeobachtungen wurden nur         ken. Mit diesen Werten wurde dann eine
Jahren 1979–1982 wurde als Vergleich               Schwebfliegen erfasst. Ausgewertet wurde      einfache lineare Regression durchgeführt,

134
50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Wulf Gatter, 50-jährige Untersuchungen an migrierenden Insekten

d. h. es wurde ein lineares statistisches     ebenso, nur zusätzlich ohne die Jahre         mal flogen wetterbedingt über mehrere
Modell aufgestellt, welches eine Gaußsche     1978 und 1984.                                Tage keine Insekten (der untersuchten
Fehlerverteilung der Werte annimmt. Er­                                                     Arten) in die Reuse. Bei der Auswertung
klärende Variablen im Modell waren ein        Im Gegensatz zu den Sichtbeobachtungen        der Daten sind wir daher davon ausgegan­
Interzept und das Erfassungsjahr (als kon­    war die Reuse an den Fangtagen immer          gen, dass die Fangsaison jeweils an dem
tinuierlicher Prediktor).                     den ganzen Tag fängig. Daher wurde im         Tag begann, für den die ersten standardi­
                                              Gegensatz zu dort nicht mit Stundenwer­       sierten Fänge notiert sind, und an dem Tag
Da es sich bei den Daten um Zeitreihen        ten gerechnet, sondern mit Tagessummen.       mit den letzten Standard-Fängen endete.
handelt, muss bei der Auswertung unter        Wie bei der Auswertung der Sichtbeobach­
anderem der mögliche Einfluss von Auto­       tungsdaten wurden die Reusenfänge in          Zur Errechnung der Populationsänderung
korrelation bedacht werden. Da die Daten      Zeitfenster von jeweils 20 Tagen Länge        wurde bei den Reusenfängen aufgrund
jedoch nur kurze Jahresblöcke (max.           aufgeteilt, um den jahreszeitlichen Verlauf   des dort größeren Problems der Autokor­
sechs Jahre am Stück) überspannen, ist es     des Insektenzuges abbilden zu können.         relation auf eine statistische Auswertung
prinzipiell nicht möglich, die Autokorre­     Für diejenigen Abbildungen, in denen der      verzichtet. Stattdessen wurde einfach im
lation präzise zu messen und zu berück­       jahreszeitliche Verlauf nicht dargestellt     ersten Schritt für die 20-Tage-Abschnitte
sichtigen. In den Modell-Residuen konnte      ist (Abb. 8, 9) wurde das Fenster vom         mit guten Daten (19. Juli–6. Oktober)
keine Autokorrelation nachgewiesen wer­       204. bis 224. Tag des Jahres (23. Juli–12.    jeweils der Mittelwert der jährlichen Ma­
den, daher wurde keine Korrektur für Au­      ­August) verwendet (auch für die Sichtbe­     xima für die Jahresblöcke 1978–1987
tokorrelation angewendet. Die Modell­          obachtungen). Dieses Fenster wurde ge­       sowie 2015–2019 errechnet. Im zweiten
rechnung ist daher geeignet, Unterschiede      wählt, weil darin für alle Untersuchungs­    Schritt wurde zwischen den 20-Tage-
zwischen den mittleren Insektenzahlen          jahre ausreichend Daten zur Verfügung        Abschnitten gemittelt, sodass am Ende
früher und heute nachzuweisen, kann            standen (in manchen Jahren war die Fang­     nur eine Zahl für jeden der beiden Jahres­
aber nur wenig darüber aussagen, wie           saison verkürzt, z. B. aufgrund Vandalis­    blöcke herauskommt. Der Quotient aus
groß diese Unterschiede im Vergleich zu        mus an der Fanganlage, oder andauernd        diesen beiden Zahlen ergibt die Popula­
den zufälligen jährlichen Schwankungen         windige bzw. stürmische Wetterlagen oder     tionsänderung.
der Populationsgröße sind.                     Regen an der Gebirgskante), und weil in
                                               diesem Zeitfenster die Fangzahlen am
Die Berechnungen wurden mit Hilfe von          höchsten waren und am wenigsten jahres­      Ergebnisse
bayesianischer Statistik durchgeführt, un­     zeitliche Schwankungen aufwiesen.
ter Verwendung von minimal informati­                                                       Schwebfliegen (Syrphidae) nach visuel-
ven Prioren (breite Normalverteilung für      Aus den Reusendaten wurden pro Jahr für       ler Erfassung der aktiven Migration
alle Parameter außer des Dispersions-­        jeden der 20-Tage-Abschnitte (bzw. dem        Zwischen den 1970 bis 1974 erhobenen
Parameters, dort log-normalverteilt).         Abschnitt vom 204. bis 224. Jahrestag) die    Werten und denen aus den Jahren 2014
Dazu wurden die Programme „R“ und             drei Tage mit den höchsten Fangsummen         bis 2019 zeigen sich extreme Rückgänge.
„Stan“ verwendet (R Core Team 2019,           ausgewählt und der Mittelwert deren           Die Zählungen im Zeitraum Ende Juli –
Stan Development Team 2019), unter Hil­       Fangzahlen ausgerechnet. Dies weicht zu­      Anfang August lieferten um 1972 im
fe des R-Package „brms“ (Bürkner 2017).       gunsten geringerer Streuung leicht ab von     Durchschnitt Maximalwerte von ~10.000
Die Posterior-Verteilung wurde von der        der Auswertung der Sichtbeobachtungen,        Individuen pro Stunde, um das Jahr 2017
Software Stan über ein Markov-Chain-          denn dort konnte aufgrund der geringeren      waren es ~290 Individuen/Stunde (Abb.
Monte-Carlo Verfahren (NUTS) berech­          Standardisierung der Datenaufnahme nur        3). Die Schwebfliegen-Maxima sind also
net. Dabei wurden in zehn Ketten jeweils      ein einfaches Maximum ausgerechnet            in diesem Zeitraum auf etwa ein Sechund­
10 000 effektive Samples aus der Posterior-   werden (s. o.). Für Zeitabschnitte, die nur   dreißigstel (bzw. knapp drei Prozent)
Verteilung gezogen, nach einer Warmup-        zum Teil innerhalb der Reusen-Fangsaison      ihres ursprünglichen Wertes zurückge­
Phase von je 1000 Samples (Potential          lagen, wurden entsprechend der geringe­       gangen.
Scale Reduction Factor
50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Entomologische Zeitschrift · Schwanfeld · 130 (3) 2020

Die maximalen Tagessummen der Schweb­
fliegen-Reusenfänge im Zeitraum Ende
Juli–Anfang August lagen im Zeitraum von
1978 bis 1987 im Schnitt bei ~700 Indi­
viduen, im Zeitraum 2014–2019 bei ~70
Individuen (Abb. 4). Das entspricht einem
Rückgang auf ein Zehntel. Trotz der star­
ken Schwankungen der Zahlen von Jahr
zu Jahr ist diese Abnahme klar erkennbar.
Das gleiche Muster ließ sich im auch bei
den Waffenfliegen und Schlupfwespen
finden (Abb. 5, 6, 7), bei allerdings insge­
samt deutlich niedrigeren Fangzahlen. Für
die Schlupfwespen wurde ein Rückgang

Abb. 3. Maximalzahl der Schwebfliegen bei der        3
visuellen Erfassung zu verschiedenen Jahres­
zeiten, 1970er versus 2015er Jahre. Jeder Punkt
ist das maximale Stunden-Zählergebnis aus
­einem Jahr. Die eingefärbten Flächen geben mit
 ihrer Form die Wahrscheinlichkeitsverteilung
 (Posterior-Verteilung) der Modellschätzung für
 die beiden Zeiträume an. Die Breite der Fläche
 bei ­einem y-Achsen-Wert ist proportional zur
 Wahrscheinlichkeitsdichte bei diesem Wert.

Abb. 4. Schwebfliegen, Reusenfänge. Maximaler
Tagesfang im Jahresverlauf für verschiedene
Jahre. Da die Fangsaisons unterschiedlich lang
waren, gibt die Punktgröße die Anzahl der Tage
des Zeitabschnittes an, die sicher innerhalb der
Saison lagen.

Abb. 5. Waffenfliegen, Reusenfänge. Maximaler
Tagesfang im Jahresverlauf für verschiedene
Jahre. Diejenigen Punkte, die den Boden des
­Diagrammes berühren, haben einen maximalen
 Tages­fang von null. Da die Fangsaisons unter­
 schiedlich lang waren, gibt die Punktgröße die
 Anzahl der Tage des Zeitabschnittes an, die         4
 ­sicher innerhalb der Saison lagen.

Abb. 6. Schlupfwespen, Reusenfänge. Maximaler
Tagesfang im Jahresverlauf für verschiedene
Jahre. Diejenigen Punkte, die den Boden des
­Diagrammes berühren, haben einen maximalen
 Tagesfang von null. Da die Fangsaisons unter­
 schiedlich lang waren, gibt die Punktgröße die
 Anzahl der Tage des Zeitabschnittes an, die
 ­sicher innerhalb der Saison lagen.

Abb. 7. Reusenfänge, maximaler Tagesfang über
die Jahre für verschiedene Artengruppen, im
Zeitraum vom 204. bis 224. Jahrestag (23. Juli
– 12. August).

Abb. 8. Verlauf der Insektenmaxima über die
Jahre für verschiedene Erfassungsmethoden
und Artengruppen. Zur besseren Vergleich­
barkeit wurden die Zahlen jeder Linie in % des
Wertes von 1980 ausgedrückt (für die Sicht­
beobachtungsdaten wurde der interpolierte
Wert verwendet). Dargestellt ist der Zeitraum
von 204. bis zum 224. Jahrestag (23. Juli–12.        5
­August).

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50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Wulf Gatter, 50-jährige Untersuchungen an migrierenden Insekten

                     auf 14 % und für die Waffenfliegen auf
                     16 % in dem im Mittel etwa 35 Jahre über­
                     spannenden Zeitraum errechnet. Die jähr­
                     lichen Abnahmeraten der Fangzahlen aller
                     drei Artengruppen stimmen damit (An­
                     fang August) relativ gut überein, und de­
                     cken sich auch mit jener aus den Sichtzäh­
                     lungen der Schwebfliegen (Abb. 8). Später
                     im Jahr wurden die Fangzahlen der
                     Schwebfliegen insgesamt geringer, aber
                     auch die Abnahme der Zahlen zwischen
                     damals und heute. Am geringsten war die
                     Abnahme am Ende des analysierten Jah­
                     reszeitabschnittes, an dem nur noch ein
                     geringes Artenspektrum spät ziehender
                     Schwebfliegenarten mit hohem Anteil von
                     Arten mit aquatisch sapro-/microphag le­
                     benden Larven beteiligt ist. Im Gegensatz
                     zu den Sichtbeobachtungen ist bei den
6                    Reusendaten am Saisonende keine klare
                     Populationsänderung mehr erkennbar.

                     Diskussion
                     Rückgang der Schwebfliegen
                     Unsere Untersuchungen stellen mit ihrer
                     Dauer von nunmehr 50 Jahren die mit Ab­
                     stand längste standardisierte Studie an
                     Insekten zum Thema Insektenrückgang
                     dar. Sie begann als Grundlagenforschung
                     zum Wanderverhalten verschiedener In­
                     sektenarten (Gatter & Gatter 1973; Gat­
                     ter 1975b, 1976, 1981a, c; Gatter &
                     Schmid 1990) und folgte von Anfang an
                     Kriterien der damals im ornithologischen
                     Bereich schon verschärften Ansprüche an
                     eine Standardisierung (z. B. Berthold,
                     Bezzel & Thielcke 1974, Gatter 1978).

                     In dieser Studie, in der wir uns vor allem
7                    mit Schwebfliegen befassen, zeigen unse­
                     re Ergebnisse einen massiven Rückgang
                     dieser migrierenden Insekten auf (je nach
                     betrachteter Jahreszeit) 3–15 % in den
                     vergangenen fünf Jahrzehnten. Es ist heu­
                     te kaum mehr vorstellbar, in welcher Häu­
                     figkeit in den 1970er und 1980er Jahren
                     Schwebfliegen vorgekommen sind. Ein
                     ähnlicher Rückgang betrifft die von uns
                     später mit einbezogenen Waffenfliegen
                     und Schlupfwespen, die verglichen mit
                     den Schwebfliegen, einen weit geringeren
                     Anteil unseres Datensatzes stellen.

                     Da bei unseren Untersuchungen migrie­
                     rende Insekten erfasst wurden, repräsen­
                     tieren die Ergebnisse nicht nur die lokale
                     Insektenwelt rings um die Station und
                     nicht nur wenige dort vorkommende Le­
                     bensraumtypen, sondern zeigen, dass es
                     sich bei den starken Rückgängen um ein
8
                     großräumiges Phänomen handelt. Im

                                                               137
50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Entomologische Zeitschrift · Schwanfeld · 130 (3) 2020

Tab. 1. Veränderungen der relativen Anteile der häufigsten Schwebfliegenarten in den Reusen       dardisierte Untersuchung an Insekten
am Randecker Maar in zwei Untersuchungszeiträumen, aufgeteilt nach den Ernährungstypen der        belegen wir dramatische Rückgänge auch
­Larven; BL = von Blattläusen lebend; ZP = zoophag und fakultativ von Blattläusen lebend; ASM =   bei dieser wichtigen Insektengruppe.
 aquatisch sapro-/microphag lebend. Zu berücksichtigen ist, dass die Prozentwerte der Spalte
 2015–2019 aus extrem geringeren Gesamtsummen errechnet wurden (n = 5204) als in den Jahren       Wandel in der relativen Häufigkeit
 1975–1987 (n = 82147).                                                                           ­ökologischer Gruppen­
Typ      Art                                                     1978–1987        2015–2019       Innerhalb der artenreichen Schwebfliegen
                                                                 Anteil in %      Anteil in %
                                                                                                  gibt es ökologisch/biologisch gesehen
BL       Episyrphus balteatus (De Geer, 1776)                    33,2             22,8            zwei große Gruppen. Beide sind als Voll­
BL       Sphaerophoria scripta (Linnaeus, 1758)                  12,0             13,8            insekten überwiegend Blütenbesucher.
BL       Metasyrphus corollae (Fabricius, 1794)                  9,07             4,59            Um etwas Klarheit in die zeitlichen Abläu­
BL       Syrphus ribesii (Linnaeus, 1758) /                      6,0              17,0            fe zu bekommen, lohnt es sich, einen Blick
         S. vitripennis Meigen, 1822                                                              auf die Phänologie der häufigsten Arten
BL       Scaeva pyrastri (Linnaeus, 1758) /                      1,24             0,17            bzw. Gattungen und die Entwicklungsfor­
         S. selenitica (Meigen, 1822)                                                             men und Entwicklungshabitate ihrer Lar­
         Zwischensumme BL                                        61,6             58,3            ven zu werfen. Unter den 15 häufigsten
                                                                                                  am Randecker Maar wandernden Arten
BL, ZP Melanostoma mellinum (Linnaeus, 1758)                     15,9             23,0
                                                                                                  sind zwölf zoophag, überwiegend aphido­
                                                                                                  phag. Das heißt sie ernähren sich im Lar­
ZP, BL Platycheirus clypeatus (Meigen, 1822) /                   17,7             3,71
       P. peltatus (Meigen, 1822)                                                                 venstadium räuberisch, vor allem von
BL, ZP P. albimanus (Fabricius, 1781) /                                                           Blattläusen. Unter den Reusenfängen der
       P. manicatus (Meigen, 1822)                                                                1970er und 1980er Jahre fielen 95,2 %
         Zwischensumme BL, ZP                                    33,6             26,7            der beteiligten häufigen Schwebfliegen
                                                                                                  (im langjährigen Durchschnitt) in diese
                                                                                                  Gruppe. Die restlichen 4,8 % entfielen auf
ASM      Helophilus pendulus (Linnaeus, 1758) /                  1,06             7,8
         H. trivittatus (Fabricius, 1805)                                                         Arten mit terrestrisch saprophagen bzw.
ASM      Eristalis tenax (Linnaeus, 1758)                        0,90             4,34
                                                                                                  aquatisch sapro-/microphagen Larven.
                                                                                                  Diese finden sich in Gewässern, Tümpeln,
         Zwischensumme ASM                                       1,96             12,1
                                                                                                  feuchten Astlöchern bis hin zur Jauche.
                                                                                                  Zur letzteren Gruppe gehören Eristalis
         Andere Arten                                            2,90             2,88            tenax (Abb. 12), Helophilus pendulus (Abb.
                                                                                                  10) und H. trivittatus. Bei den Werten
                                                                                                  nach 2015 hatten sich die Anteile geän­
Blick der Entomologen standen bisher vor           te Untersuchungsmethoden zurückgrei­           dert (Tab. 1). Mit ausnahmsweise starkem
allem der Rückgang und das Verschwin­              fen können.                                    Auftreten von Helophilus mit 202 Indivi­
den seltener bzw. von Entomologen bevor­                                                          duen beschränkt auf die Jahre 2018/2019
zugter Arten (Schmetterlinge, Wildbienen           Habel et al. (2019) werteten bis ins 18.       (Platz 6 und einem Anteil von 7,8 % ge­
etc.), von denen viele ohnehin auf Grund           Jahrhundert zurückreichende Quellen            genüber 1,06 % in den 1970er Jahren) und
ihrer speziellen Habitatansprüche gefähr­          über Schmetterlingsvorkommen in Süd­           Eristalis tenax (Platz 7 und 4,43 % gegen­
det sind. Unsere Studie dagegen zeigt den          deutschland aus und fanden ebenfalls           über einst 0,9 %) sind zwei Arten der letz­
Rückgang für einige zahlenmäßig beson­             erschreckende Verluste in der Häufigkeit       teren Gruppe vorgerückt. Bei ihrer aqua­
ders bedeutende Artengruppen.                      der Arten und Einbußen von Vorkommen.          tisch-sapro-/microphager Larvenentwick­
                                                   In einer neuen Radarsstudie zur Migration      lung sind sie wohl weit weniger von Pesti­
Besondere Aufmerksamkeit erregten die              von Schwebfliegen konnten Wotton et al.        zideinwirkungen betroffen als zoophage/
Autoren der sogenannten Krefeld- Studie            (2019) von 2000–2009 in England keine          aphidophage. Dabei sollte allerdings nicht
(Hallman et al. 2017). Sie begannen 20             Bestandsveränderungen bei den Schweb­          übersehen werden, dass auch diese Arten
Jahre nach uns 1989 damit, die Biomasse            fliegen finden. Sie weisen auf diesen güns­    trotz der Zunahme ihres relativen Anteils
an Fluginsekten durch standardisierten             tigen Umstand gegenüber anderen Insek­         in absoluten Zahlen gegenüber früher
Fallenfang (Malaise-Fallen) in zahlrei­            tengruppen hin. Allerdings konnten auch        nicht zugenommen, sondern wahrschein­
chen Schutzgebieten in NRW zu bestim­              wir nach unseren ersten 13 Untersu­            lich ebenfalls stark zurückgegangen sind.
men. Sie stellten innerhalb von 27 Jahren          chungsjahren (1974–1987) aufgrund der          Dafür sprechen zumindest die Minuten­
einen Biomasseverlust von 75 % bei flug­           starken jährlichen Populationsschwan­          zählungen Ende September und im Okto­
fähigen Wirbellosen fest. Erste Ergebnisse         kungen die Rückgänge noch nicht erken­         ber, wenn fast nur noch Vertreter dieser
dazu hatten bereits Sorg et al. 2013 ver­          nen. Dies zeigt, wie bereits von Wotton        Arten wandern. Bei den Reusendaten je­
öffentlicht. Durch unsere Untersuchun­             et al. hypothetisiert, dass aufgrund der       doch ist Ende September kein Rückgang
gen am Randecker Maar, die 20 Jahre                inhärenten großen Schwankungen solcher         zu erkennen. Der restliche, um 3 %
früher begannen, wird dieses erschre­              Datenreihen längere Untersuchungszeit­         schwankende Anteil der Reusenfänge ver­
ckende Ergebnis nicht nur bestätigt, son­          räume nötig sind, um gesicherte Aussagen       teilt sich auf weitere über 70 Arten aus
dern leider weit übertroffen. Fast alle            zur Bestandsentwicklung von Schwebflie­        allen Entwicklungsstrata und Habitaten.
weiteren Studien reichen meist nur wenig           gen (und sicherlich auch vielen weiteren
über zehn Jahre hinaus, wobei nur weni­            Insektengruppen) treffen zu können. Mit        Der jahreszeitliche Schwerpunkt von Helo­
ge der längeren Studien auf standardisier­         ihren nunmehr 50 Jahren als längste stan­      philus scheint in den jüngst vergangenen

138
50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Wulf Gatter, 50-jährige Untersuchungen an migrierenden Insekten

 9                                                                         10

11                                                                         12
Abb. 9–12. Schwebfliegen am Randecker Maar. 9. Sphaerophoria scripta ist häufig und steht an vierter Stelle der Südflieger in der nach Norden offenen
Reuse. Die Larven leben aphidiphag von Blattläusen (3.VII.2019). 10. Helophilus pendulus deren Larven sich aquatisch sapro- und microphag ernähren,
macht im Herbst ausgeprägte Wanderungen nach Süden (14.VIII.2019). 11. Episyrphus balteatus, auf Wegwarte, die in den meisten Jahren häufigste der
nach Süden ziehenden Arten in der nach Norden offenen Reuse. Ihre Larven leben überwiegend aphidophag von Blattläusen (5.VI.2019). 12. Hochzeits­
flug von Eristalis tenax (31.VIII.2019), im Herbst nach Süden gerichtete Massenwanderungen dieser großen Art mit Honigbienen-Mimikry sind bereits im
19. Jahrhundert mehrfach beschrieben worden. Die Larven der im Volksmund auch als Mistbiene bezeichnet Art entwickeln sich aquatisch sapro- und
microphag selbst in extrem verschmutzten Gewässern (Fotos: Wulf Gatter).

Jahren durch eine stärker hervortretende          Eristalis auf benachbarten Wiesen macht            sie sogar zeitweise. Dipteren, zu welchen
Herbstgeneration im September und Ok­             Eristalis tenax bei den Reusenfängen wohl          die Schwebfliegen gehören, sind wichtige
tober (vor allem bei H. pendulus) durch­          98 % der großen bienenähnlichen Syrphi­            Bestäuber (Rader et al. 2015). Auch wenn
schnittlich später zu liegen als noch in den      denarten aus. Die leichte visuelle Erkenn­         Schwebfliegen nicht unbedingt die gleiche
1970er und 1980er Jahren, während ihr             barkeit der großen Eristalis-Arten begüns­         Effizienz bei der Bestäubung an den Tag
prozentualer Anteil an den Fängen steigt.         tigte, dass sich einstige Publikationen von        legen wie Bienen (Jauker et al. 2012),
Dasselbe scheint innerhalb der Waffenflie­        Süd-Wanderungen dieser Gruppe bei uns              können sie Bestäubung auch in Bereichen
gen (Stratiomyidae) mit Ihrer ähnlichen           und in Amerika zunächst überwiegend auf            leisten, wo für Bienen kein geeignetes Ha­
Biologie statt zu finden.                         Eristalis tenax bezogen (Eimer 1882,               bitat existiert (Jauker et al. 2009) und
                                                  Prell 1925, Williams 1961). Auch wir               helfen damit, eine wichtige Lücke im Be­
Eristalis tenax weist eine ähnliche Lebens­       versuchten in den ersten Jahren diese auf­         stäubungssystem zu füllen.
weise auf. Speziell für diese große Art           fällige und leicht zu identifizierende Art
konnten wir visuell belegen, dass sie die         bei visuellen Beobachtungen getrennt zu            Auch bei der biologischen Schädlingsbe­
Reusen als Hindernis erkennt und um­              erfassen (Gatter & Gatter 1973, Gatter             kämpfung spielen Schwebfliegen eine
fliegt und somit in den Reusen unterreprä­        1975a, b).                                         wichtige Rolle (Gatter & Schmid 1990,
sentiert ist, aber bei den Minutenzählun­                                                            Raymond et al. 2014). Unter den aphido­
                                                  Land- und forstwirtschaftliche
gen wohl entsprechend ihrer allgemeinen                                                              phagen Schwebfliegen gibt es weitgehend
                                                  Bedeutung der Schwebfliegen
Häufigkeit exakt erfasst wird.                                                                       spezialisierte Arten wie z. B. Neocnemo­
                                                  Die Bedeutung der Schwebfliegen kommt              don vitripennis (Meigen 1822), eine
Im Gegensatz zum Artenreichtum von                derjenigen der Bienen nahe und übertrifft          hauptsächlich von Tannenstammläusen

                                                                                                                                                 139
50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge Diptera: Syrphidae ...
Entomologische Zeitschrift · Schwanfeld · 130 (3) 2020

lebende Art, die einen mit den Populati­           kante Rolle innerhalb von Blattlauspopu­       Schlupfwespen traten häufig und sehr
onsmaxima der Beutetiere synchronisier­            lationen. Auch Wotton et al. (2019) die        arten­reich am Stationshügel auf, in zahl­
ten bivoltinen Lebenszyklus aufweist.              das Wanderverhalten zweier migrieren­          reichen meist kleinen Vertretern. Dies
Zahlreiche univoltine Frühjahrsarten un­           der Schwebfliegenarten im Süden Eng­           führte ab 1979 zu einer systematischen
ter den Schwebfliegen nutzen das Früh­             lands mit Hilfe von Radar untersuchten,        Erfassung ohne eine nähere Artbestim­
jahrs- und Frühsommermaximum der                   weisen auf die zunehmende Bedeutung            mung. Da diese sich größtenteils in der
Laus-Populationen. Viele dieser Arten,             der Schwebfliegen für die Blütenbestäu­        nach Norden offenen „Südfliegerreuse“
wie Dasysyrphus und Parasyrphus, sind              bung und die biologische Schädlingsbe­         fangen, ist zu vermuten, dass ein großer
hauptsächlich in Wäldern anzutreffen               kämpfung durch Blattlaus fressende Lar­        Anteil ihren ebenfalls nach Süden wan­
und spielen nach unseren Ergebnissen als           ven hin.                                       dernden Wirtsarten folgt. Dies ist in gro­
Wanderer eine geringe Rolle. Die häufigs­                                                         ßem Umfang am Südrand der Sahara fest­
ten aphidophagen Schwebfliegenlarven               Die artenreiche Gruppe der Syrphiden mit       gestellt worden, wo schon Williams
in einem von Bastian (1984) untersuch­             zoophager Larvenentwicklung und der            (1961) Fälle von Grabwespen beschrieb,
ten Koniferenjungwuchs waren allerdings            Möglichkeit zur Entwicklung hoher Indi­        die in enormer Zahl den Wüstenheuschre­
typische Wanderschwebfliegen wie Syr­              viduendichten bei gleichzeitig kontinent­      cken folgten. Er schildert deren massen­
phus ribesii, S. torvus, S. vitripennis, Epi­      weiten Migrationen machen Syrphiden            hafte Erbeutung, Lähmung und Einschlep­
syrphus balteatus (Abb. 11) und Sphaero­           zur einflussreichsten Gruppe einer Ein­        pung in hastig gegrabene Höhlen, worauf
phoria scripta (Abb. 9) sowie der Saiso­           dämmung gefährlicher Gradationen von           die Grabwespen offenbar sofort nach der
nale Dismigrant Melanostoma mellinum,              Blattläusen (Aphidae) bis hin zu Wicklern      Eiablage weiter den Heuschreckenschwär­
also Arten, die am Randecker Maar die              (Tortricidae) und kleinen Spannerarten         men folgen. Bei uns dürften davon
herausragende Rolle spielen. Bastian               (Geometridae).                                 Schlupfwespen-Arten betroffen sein, die
(1984) konnte zeigen, dass unter den                                                              auch Schmetterlinge (Lepidoptera) und
                                                   Waffenfliegen (Stratiomyidae) und
Blattlausprädatoren unsere migrierenden                                                           Vertreter weiterer Insektengruppen para­
                                                   Schlupfwespen (Ichneumonidae)
Schwebfliegenarten in einem Jahr mit                                                              sitieren. Die im Gegensatz zu den Schweb­
witterungsbedingt stark verzögertem                Die Waffenfliegen und Schlupfwespen            fliegen teilweise recht spät im Jahr liegen­
Aufbau der Läusepopulation am rasches­             sollen hier wenigstens kurz erwähnt wer­       den Höhepunkte migrierender Hymeno­
ten auf diese veränderte Situation re­             den, da standardisiertes Material zu ihrer     pteren sprechen für Wirtsinsekten außer­
agierten.                                          Populationsentwicklung wie das unserer         halb der Dipteren. Es ist anzunehmen, und
                                                   Reusenfänge über einen so langen Zeit­         unsere Fänge und deren Einflugrichtun­
Voraussetzung für diese Flexibilität ist           raum auch bei diesen nicht existiert.          gen sprechen dafür, dass innerhalb des
nach Gatter & Schmid (1990) einerseits                                                            großen Artenspektrums dieser Hymenop­
die hohe Mobilität der Wanderschwebflie­           Waffenfliegen finden sich im Gegensatz         tera ebenfalls ein bedeutender Anteil re­
gen, andererseits ihr polyvoltiner Lebens­         zu den Schwebfliegen kaum auf Blüten           guläre Saisonwanderungen ausführt. Sie
zyklus und ihre geringe Spezialisierung            des Stationshügels und sie fallen hier ge­     werden im Einzelfall an Biologie und Mi­
auf bestimmte Beutetiere. Die polyvolti­           nerell kaum auf. Trotzdem sind sie recht       grationen ihrer jeweiligen Wirtsart ange­
nen Arten sind nicht an eng begrenzte              regelmäßig in den Reusen anzutreffen.          passt sein.
Fortpflanzungszeiten gebunden. Sie nut­            Innerhalb dieser artenreichen Familie mit
zen Blattlauskolonien auch im Sommer,              sehr unterschiedlich gestalteten Gattun­       Auch bei dieser Gruppe sprechen die Zah­
wenn die Populationshöhe und Fortpflan­            gen erscheinen am Maar acht blaue bis          len für starke Rückgänge, zwischen den
zungsrate der Läuse einen Tiefpunkt er­            blaugrün schillernde Arten. Angesichts         Untersuchungszeiträumen 1978–1981
reicht haben und damit auch ihr Einfluss           des trockenen Habitats der Station und der     und 2015–2019 auf etwa 14 % der Aus­
als Prädatoren höher wird. Die Merkmals­           Larvenentwicklung in Gewässern wäre es         gangswerte (Abb. 7, 8), also ähnlich
kombination „mobil/polyvoltin/wenig                möglich, dass hier eine gewisse Migration      wie bei den anderen hier untersuchten
spezialisiert“ macht gerade Wander­                stattfindet. Sie fangen sich in unseren Reu­   Gruppen.
schwebfliegen zu forst- und landwirt­              sen teils in größerer Zahl, ohne sich an­
schaftlich bedeutenden Blattlausvertil­            sonsten in der umgebenden Flora bemerk­
gern. Will man sie ökonomisch im Rah­              bar zu machen. Unsere Erfassung dieser
                                                                                                  Fazit
men der biologischen Schädlingsbekämp­             Gruppe hat 1978 angefangen, somit Jahre        Unsere Untersuchungen belegen, dass am
fung nutzen, ist eine sehr genaue Kenntnis         nach der bei den Syrphiden. Auch bei ih­       Randecker Maar im Zeitraum von 2014–
ihrer individuellen Lebenszyklen uner­             nen sprechen unsere Daten für starke           2019 die Zahl der migrierenden Schweb­
lässlich.                                          Rückgänge auf etwa 16 % innerhalb von          fliegen massiv unter der Anzahl der
                                                   35 Jahren (Abb. 6, 7). Das entspricht in       1970er Jahre lag.
Dem Phänomen der Migration muss hier­              etwa der jährlichen Rückgangsrate der
bei wesentlich mehr Aufmerksamkeit als             Schwebfliegen im August, wenn deren            Ein kleinerer Datensatz von Waffenfliegen
bisher geschenkt werden. Gerade die Zug­           Rückgang am ausgeprägtesten ist. Die           und Schlupfwespen weist dort auf ähnli­
bewegungen der Schwebfliegen spielen               Waffenfliegen sind daher wahrscheinlich        che Verhältnisse hin. Die seit Jahrzehnten
für ihre schnelle Reaktion auf lokale Häu­         stärker betroffen als die später ziehenden     beobachteten Rückgänge bei fast allen
fungen von Aphiden eine wichtige Rolle             Schwebfliegen Arten von Eristalis und He­      von uns an der Station einst regelmäßig
(Gatter & Schmid 1990). Nach Raymond               lophilus mit entsprechender Larvenent­         oder gar häufig registrierten Insekten­
et al. (2014) spielen immature Schweb­             wicklung. Sechs Arten von Sargus, Chlo­        gruppen waren einst Anlass, den jährli­
fliegen, die in kultivierten Anbauten über­        romyia und Microchrysa sind häufiger           chen Beginn der Erfassung in den 1990er
wintern eine im Herbst offenbar signifi­           angetroffen worden.                            Jahren von Mitte Juli auf Ende August zu

140
Wulf Gatter, 50-jährige Untersuchungen an migrierenden Insekten

verschieben, womit der einst insekten­        Diskussionen um das Thema. Letztendlich               vaterländische Naturkunde Württemberg 128:
reiche Zeitabschnitt der Erfassung stark      ist aus der Arbeit an der Station auch ein            151–154.
                                                                                                  Gatter, W. 1975a. Regelmäßige Herbstwande­
verkürzt wurde. Die ständig ansteigenden      bedeutender Stamm von Syrphidenken­
                                                                                                    rungen der Schwebfliege Eristalis tenax am
Kosten des Stationsbetriebs, der überwie­     nern hervorgegangen.                                  Randecker Maar, Schwäbische Alb. Atalanta 6:
gend mit Spendengeldern und eigenen                                                                 193–200.
Mitteln finanziert wurde, stärkten diese      Besonders bedanken möchte wir uns bei               Gatter, W. 1975b. Massenwanderungen der Li­
Entscheidung. Heute jedoch sind diese         Walter Beissmann, Wolfgang Bro­                       bellen Sympetrum vulgatum und Sympetrum
Daten aktueller und wichtiger als je zuvor.   ckert, Gabi Ebenhöh, Dorothea Gatter,                 flaveolum am Randecker Maar, Schwäbische
                                                                                                    Alb. Atalanta 6: 193–200.
Angesichts des heute viel geringeren In­      Andreas Hachenberg, Georg Kahlert
                                                                                                  Gatter, W. 1976. Der Zug der Schwebfliegen nach
sektenzugs am Randecker Maar würde            (+), Tina Kulhanek, Roland Laih (+),                  planmäßigen Fängen am Randecker Maar
wohl niemand mehr auf die Idee kommen,        Hermann Mattes, Thomas Meineke, Rai­                  (Schwäbische Alb) (Diptera, Syrphidae). Ata­
hier eine entomologische Station zu grün­     ner Pliefke, Wolfgang Müller (+), Pia                 lanta 7: 4–18.
den und beide Forschungszweige, Vögel         Reufsteck, Rolf Rochau, Aron Rossma­                Gatter, W. 1977a. Zusammenbruch der Nah­
                                                                                                    rungsgrundlage als Auslöser einer Wanderung
und Insekten, gleichbedeutend zu be­          nith, Rudi Seibold, Ulrich Schmid und
                                                                                                    der Haarmücke (Philia febrilis). Atalanta 8:
treiben.                                      Martin Schrezenmaier.                                 247–254.
                                                                                                  Gatter, W. 1977b. Eine Wanderung der Erdschna­
Es gehört der Vergangenheit an, große         Seit dem Bestehen der Station am Rande­               ke (Tipula oleracea l.). Passive Verdriftung oder
flugunfähige Laufkäfer in einem halben        cker Maar haben sich besonders in den                 gerichtete Migration?. Nachrichtenblatt Bayeri­
Dutzend Arten zu beobachten, die einst        1970 bis 1990er Jahren zahlreiche weite­              scher Entomologen 26: 141–152.
                                                                                                  Gatter, W. 1978. Planbeobachtungen des sicht­
an unserer Station in nennenswerter Zahl      re Mitarbeiter Verdienste erworben bei
                                                                                                    baren Zugs am Randecker Maar als Beispiel
im Herbst bergauf, vorbei nach Süden          den Beobachtungen, beim Aufbau und der                ornithologisch-entomologischer Forschung.
wanderten, wobei es sich wahrscheinlich       Unterhaltung von Station und Fanganla­                Vogelwelt 99: 1–21.
um Wanderungen in höher gelegene Über­        gen, durch technische Hilfe im Bereich der          Gatter, W. 1980. Nordwärts gerichtete Frühjahrs­
winterungsgebiete handelte. Zur Vergan­       Datenerfassung und Auswertung und bei                 wanderungen palaearktischer Schmetterlinge,
genheit gehören ebenfalls die teils in My­    der Betreuung der Mitarbeiter der Station.            Fliegen und Hummeln im Himalaya- und Trans­
                                                                                                    himalayagebiet Nepals. Atalanta 11: 188–196.
riaden auftretenden Marienkäfer (Cocci­       Dafür danken wir Frieder Alkemeyer,
                                                                                                  Gatter, W. 1981a. Insektenwanderungen. Neues
nella septempunctata), ebenso Vertreter       Manfred Behrndt, Heinz Fiala, Martin                  zum Wanderverhalten der Insekten. Über die
der einst häufigen flugfähigen kleinen        Gatter, Hans Grau (+), Martin Göp­                    Voraussetzungen des westpalaearktischen Mi­
Laufkäferarten (Carabidae), der zahlreich     fert, Ute Hermann, Brian Hillcoat,                    grationssystems. 94 S. Kilda Verlag, Greven.
fliegenden Vertreter der Kurzflügelkäfer      Günther Jauch, E. Kotzke (+), Martin                Gatter, W. 1981b. Die Migrationsformen der In­
                                                                                                    sekten. Entomologische Zeitschrift 91: 1–16.
(Staphylinidae) (Gatter 1981) und gro­        Neub und Konrad Sill (+). Eine große Zahl
                                                                                                  Gatter, W. 1981c. Anpassungen von Wanderinsek­
ßer Tipuliden, die in der Höhe, von schwa­    der inzwischen über 600 Mitarbeiter der               ten an die tägliche Drehung des Windes. Jah­
chen Winden erfasst, auffällige Migratio­     Station ist in unserem 1999 erschienenen              reshefte Gesellschaft für Naturkunde in Württem­
nen durchführten (Gatter 1977b).              Band über die „Wanderungen der Schweb­                berg 136: 191–202.
                                              fliegen am Randecker Maar“ (Gatter &                Habel, J. C., Trusch, R., Schmitt, T., Ochse, W.
Auch die am Sattelbogen eingangs geschil­     Schmid 1990 und bei Gatter 2000) auf­                 2019. Long-term large-scale decline in relative
                                                                                                    abundances of butterfly and burnet moth spe­
derten Massenwanderungen der Schweb­          geführt.
                                                                                                    cies across south-western Germany. Scientific
fliegen konnten wir in den letzten Jahren                                                           Reports 9 (1): 1–9, DOI 10.1038/s41598-019-
(2014–2019) dort nicht mehr bestätigen.       Für freundliche Unterstützung danken wir              51424-1. https://www.nature.com/articles/
Klausnitzer & Segerer (2019) bemän­           der Gemeinde Bissingen, der Landeswas­                s41598-019-51424-1.
geln in ihrer Stellungnahme zum Insek­        serversorgung Kirchheim /Teck, den um­              Hallmann, C. A., Sorg, M., Jongejans, E. E., Sie­
tensterben, dass die Bezeichnung „Insek­      liegenden Grundstückseigentümern,                     pel, H., Hofland, N., Schwan, H., Stenmans,
                                                                                                    W., Müller, A., Sumser, H., Hörren, Th.,
tenrückgang“ ein verharmlosender Aus­         Landwirten und dem Hof Ziegelhütte,                   Goulson, D. & De Kroon, H. 2017. More than
druck für die Entwicklung in der Insekten­    sowie der Jugendhilfe Michaelshof-Ziegel­             75 percent decline over 27 years in total flying
welt ist.                                     hütte für die hilfreich gewährte Nutzung              insect biomass in protected areas. PLoSONE 12
                                              ihrer Einrichtungen.                                  10:e0185809.
Danksagung. Zu Beginn unserer Untersu­                                                            Jauker, F., Bondarenko, B., Becker, H. C. &
                                                                                                    Steffan-Dewenter, I. 2012. Pollination effi­
chungen fehlten bebilderte Führer für die
Schwebfliegen und die anderen hier be­
                                              Literatur                                             ciency of wild bees and hoverflies provided to
                                                                                                    oilseed rape. Agricultural and Forest Entomo­logy
handelten Gruppen. Eine rasch angelegte       Bastian, O. 1984. Zum Vorkommen und zur Ef­           14 (1): 81–87.
Sammlung, die Bestimmung nach Sack in           fektivität aphidophager Prädatoren in Koni­       Jauker, F., Diekoetter, T., Schwarzbach, F. &
Lindner (1935) und nach einem Bestim­           feren-Jungwüchsen des Tharandter Waldes.            Wolters, V. 2009. Pollinator dispersal in an
                                                Zoologisches Jahrbuch für Systematik 111:           agricultural matrix: opposing responses of wild
mungsschlüssel des Deutschen Jugend­
                                                245–279.                                            bees and hoverflies to landscape structure and
rings für Naturbeobachtungen und beson­       Berthold, P., Bezzel, E. & Thielcke, G. 1974.         distance from main habitat. Landscape Ecology
ders die Unterstützung durch den damals         Praktische Vogelkunde. Greven.                      24 (4): 547–555.
schon hochbetagten Prof. Dr. Erwin Lind­      Eimer, T. 1882. Eine Dipteren- und Libellenwan­     Klausnitzer, B. & Segerer, A. H. 2019. Stellung­
ner am Naturkundemuseum in Stuttgart            derung, beobachtet im September 1880. Jah­          nahme zum Insektensterben. Entomologische
erleichterten die Schaffung einer Über­         reshefte Verein vaterländische Naturkunde Würt­     Zeitschrift 129 (2): 121–125.
                                                temberg 38: 105–113.                              Menz, M. H. M., Brown, B. V. & Wotton, K. R.
sichtssammlung und damit die Einarbei­
                                              Gatter, W. & Gatter, D. 1973. Massenwanderung         2019. Quantification of migrant Hoverfly move­
tung des oft wechselnden Mitarbeiterstabs       der Schwebfliege Eristalis tenax und des Ma­        ments (Diptera: Syrphidae) on the West Coast
in die Materie. Josef Reichholf verdankt        rien­käfers Coccinella septempunctata am Rand­      of North America. Royal Society Open Science 6:
W. Gatter viele einstige Anregungen und         ecker Maar, Schwäbische Alb. Jahreshefte Verein     190153.

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