MALTESER - Ein Recht auf den Tod? Klinische Ethikberatung Wie die Väter, so die Söhne - Institut für Ehe und Familie

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MALTESER - Ein Recht auf den Tod? Klinische Ethikberatung Wie die Väter, so die Söhne - Institut für Ehe und Familie
MALTESER
          Die
              Der Souveräne Malteser-Ritter-Orden und seine Werke in Österreich

                                                                Ausgabe 1/2021

Ein Recht auf den Tod?
Klinische Ethikberatung

Wie die Väter, so die Söhne
MALTESER - Ein Recht auf den Tod? Klinische Ethikberatung Wie die Väter, so die Söhne - Institut für Ehe und Familie
INHALT

    MALTESERORDEN                         VORBILDER
04 Zeit der Veränderung               18 Ein Vorbild im Einsatz und in der Führung

    IMFOKUS                               LEBENSWERT
07 Wie hast du’s mit dem Leben        20 Klinische Ethikberatung, für ein
     und dem Tod?                         würdevolles Leben bis zuletzt

    RELIGIONAKTUELL                       MALTESERÖSTERREICH
15 Der Selige Carlo Acutis            24 Berichte aus den Bereichen:
16 Not lehrt beten                        Vielfältige Initiativen und Dienste

                     04          15
                                          MALTESERWELTWEIT
                                      50 „Frei wie ein Vogel“
                                      51 Kroatien: Erdbeben-Nothilfe
                                      52 Syrien: Jegliche Belastungsgrenze ist weit
                                          überschritten
                                      54 Südafrika: Durch AIDS und Corona doppelt gefordert
                                      55 Neuer Generalsekretär bei Malteser International

                     18          24
                                          MEDIZINAKTUELL
                                      56 Drei Impfstoffe im Vergleich

                                          TAGEBUCH
                                      58 Wie die Väter, so die Söhne
                                      61 MALTESER Jobnetzwerk
                                      62 Ingeborg Gurker – Eine Freundin für
                                          Generationen
                     50          56

                                          GELESENEMPFOHLEN
                                      63 Interessante Neuerscheinungen

                                          RUNDSCHAU
                                      67 Auszeichnungen
                                                                                Spenden
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                                                                              STEUERLICH
                                                                              ABSETZBAR

2       DIE MALTESER 1/2021
MALTESER - Ein Recht auf den Tod? Klinische Ethikberatung Wie die Väter, so die Söhne - Institut für Ehe und Familie
EDITORIAL

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Leserinnen und Leser,

für die Malteser hat das Jahr 2021 mit zwei erfreulichen
Neuigkeiten begonnen: Wir durften Fra’ Marco Luzzago als
neuen Statthalter des Großmeisters des Souveränen Malteser-
Ritter-Ordens willkommen heißen. Erzbischof Silvano Tomasi
durften wir zur Ernennung zum Kardinal und zum Sonder-
beauftragten des Heiligen Stuhls für den Orden herzlich                  Junge Malteser-Freiwillige springen zum Beispiel kurzerhand
gratulieren.                                                             ein, wenn im Altenwohnheim Haus Malta der Aufzug ausfällt
                                                                         und mehrere Wochen lang ein „Frühstücksservice über die
Auf beide kommen große Herausforderungen zu. Die Zei-                    Treppe“ eingerichtet werden muss. Malteser beteiligen sich an
ten, in denen wir weltweit durch die Covid-19-Pandemie zu                der Essensausgabe für Obdachlose, sie kümmern sich mit un-
physischem „Distancing“ gezwungen sind, halten an. So gut es             gebrochenem Engagement um die Pflege und Begleitung von
geht, soweit wir es vermögen, versuchen wir dennoch all jenen,           alten, kranken und einsamen Menschen. Sie gehen über ihre
die einsam, krank und bedürftig sind, nahe zu sein. Gerade sie           Grenzen, wenn es um die Betreuung von Kindern mit lebens-
brauchen jetzt all unsere Kraft und die Geborgenheit, die sich           verkürzender Diagnose geht. Und: Sie nehmen rege an der
nur in einer von Nächstenliebe und sozialem Zusammenhalt                 aktuell geführten Debatte um die vom Verfassungsgerichtshof
getragenen Gemeinschaft finden lässt.                                    nun zugelassene „Sterbehilfe“ teil. Vielleicht sollte es ja viel
                                                                         mehr um eine würdevolle, schmerzfreie „Begleitung zum Ende
Darum wird es 2021 mehr denn je gehen: um sozialen Zu-                   des Lebens“ gehen als um eine juristisch korrekte „Begleitung
sammenhalt, um ein achtsames Füreinander-Da-Sein. Dafür                  zum Sterben“? Dazu gibt es etwa im Palliativdienst der
werden wir uns weiterhin kreative Wege einfallen lassen,                 Malteser viel Expertise und gute Erfahrungen.
damit wir einander – unter Einhaltung aller Corona-Schutz-
maßnahmen – persönlich begegnen können, einander ein                     Definitiv muss das Leben lebenswert bleiben. Die Malteser
Lächeln unter dem Mund-Nasen-Schutz schenken, Geduld mit                 tragen das ihre dazu bei. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen
der gesamten Situation haben, die uns allen viel abverlangt.             alles Gute für die nächste Zeit. Behalten Sie bitte Ihre Kraft,
Ob Eltern, Lehrende, Schüler, Studierende, Kranke, Gesunde,              bleiben Sie bitte gesund!
Ärzte, Pflegekräfte, Kindergartenpädagogen, Handelsan-
gestellte, Einsatzkräfte oder Unternehmer: Sie alle leisten              Norbert Salburg-Falkenstein
Unvergleichliches. Viele von ihnen geben noch mehr.                      Prokurator

IMPRESSUM                                                                Pixabay, Karolina Grabowska/Pexels, Gerald Gugerel, Gerhard Hammler,
Medieninhaber: Souveräner Malteser-Ritter-Orden (Malteserorden),         Hand in Hand for Aid and Development Media, imago images/pho-
Großpriorat Österreich, 1010 Wien, Johannesg. 2, T: 01/512 72 44,        tonews.at, Institut für Ehe und Familie (IEF), Ernst Kainerstorfer,
E: presse@malteser.at                                                    Gunhard Keil, Chris Lendl, Malteser International, Thomas Meyer
Chefredaktion: Katharina Stögner Mitarbeiter bzw. Autoren die-           Photography, Nanographics GmbH, Arthur Ogleznev/Pexels, Order of
ser Ausgabe: Astrid Aufschnaiter, Bernhard Bachna, Theresa Backhau-      Malta, Sasirin Pamai/Shutterstock/1730251996, Prof. Christoph von
sen, Matthias Beck, Elena Becker, Barbara Bernegger-Kittinger, Quelle:   Ritter MD PhD AGAF, DoroT Schenk/Pixabay, Stephan Schönlaub/
Kurier online vom 8. Jänner 2021 Autorinnen Theresa Bittermann,          EDW, Stadtmarketing Amstetten, Land Steiermark/Jesse Streibl,
Henriette Blanckenstein, Marie Czernin, Quelle: www.erzdioezese-         Daniel Trippolt/HBF, Andy WenzelBKA.
wien.at/site/glaubenfeiern/spirituelles/grossechristen/article/86768.    Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzei-
html, Thomas Fisher, Aglaë Hagg-Thun, Franz Harnoncourt-Unverzagt,       tige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet.
Petra Hellmich, Edith Holzer, Christian Höllinger, Fra‘ Gottfried        Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für beiderlei
Kühnelt-Leddihn, Stephanie Merckens, Johannes Mlczoch, Sandor            Geschlecht.
Norman, Eva Perl, Christoph von Ritter, Norbert Salburg-Falkenstein,     Gestaltung: Karin Mayer-Fischer, werbeproduktion.at
Benedikt Spiegelfeld, Beatrix Spannbauer, Maria-Sophia Stadler,          Druck: Druckerei Robitschek, Schlossgasse 10–12, 1050 Wien.
Richard Steeb, Ingrid Teufl, Udo Thianich-Schwamberger, Angela           Offenlegung gemäß §25 Mediengesetz: Berichterstattung
Thierry, Andreas Trentini, Jürgen Wallner, Gabriele Walterskirchen,      über nationale und internationale Tätigkeiten des SMRO und
Susanne Wick, Richard Wittek-Saltzberg, Tobias Zöhrer.                   seiner Werke, sowie religiöse, karitative und soziale Fragen aller Art.
Text und Lektorat: Edith Holzer, Thomas Fisher.                          Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der Meinung der
Fotos: Blue Planet Studio/Shutterstock/1216683727, Albrecht Fietz/       Redaktion entsprechen. Redaktionsschluss: Februar 2021

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NEUES AUS DEM ORDEN

ZEIT DER VERÄNDERUNG
In der letzten Ausgabe unseres Magazins für das Jahr 2020 hatten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, versprochen,
­Ihnen im aktuellen Heft zwei besondere Persönlichkeiten näher vorzustellen. Wir halten unser Versprechen! Nachste-
 hend finden Sie die Porträts von Fra’ Marco Luzzago, dem neuen Großmeister-Statthalter des Malteserordens, und von
 Kardinal Silvano Tomasi, dem neuen Sondergesandten des Heiligen Stuhl beim SMRO. Es sind beeindruckende Karrieren,
 die hier nachgezeichnet werden.

DER VERWANDTE VON PAPST PAUL VI.
Am 8. November 2020 trat Fra‘ Marco Luzzago die Nachfolge des im April verstorbenen Großmeisters Fra’ Giacomo Dalla Torre
del Tempio di Sanguinetto an. Seither ist für den gebürtigen Brescianer vieles anders, aber nur wenig neu. Ein Porträt.

Fra’ Marco Luzzago wurde 1950 geboren. Er stammt
aus einer Adelsfamilie, deren Wurzeln sich bis in das
14. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Außerdem be-
steht eine verwandschaftliche Verbindung zu einem der
berühmten Maltesermitglieder der Geschichte – dem
Heiligen Papst Paul VI.

Nach seinem wissenschaftlichen Abitur bei den Franzis-
kanerbrüdern studierte Fra’ Marco mehrere Jahre Medi-
zin an den Universitäten von Padua und Parma, bevor er
zur Leitung diverser Familienunternehmen in der Kon-
sumgüterindustrie berufen wurde. 1975 wurde der für
sein Verhandlungsgeschick bekannte Norditaliener in            2010 übersiedelte er in die italienischen Marken, eine Re-
den Malteserorden aufgenommen und gehörte damals               gion in Mittelitalien zwischen Adria und Apennin, um sich
dem Großpriorat Lombardei und Venedig an. 2003 legte           dort um eine Kommende des Ordens zu kümmern.
er seine feierlichen Gelübde zum Professritter ab.
                                                               Seit 2011 gehört Fra’ Marco dem Großpriorat von Rom
Von Brescia in die Marken                                      an, wo er die Position des Delegaten der Delegation Mar-
Fra’ Marco nahm regelmäßig an den internationalen Pil-         ken-Nord sowie die Leitung der Bibliothek innehatte.
gerfahrten des Ordens nach Lourdes und an den nationa-         Seit 2017 war er auch Ratsmitglied der italienischen
len italienischen Pilgerfahrten nach Assisi und Loreto teil.   Assoziation des Malteserordens.

                                                                                          DIE MALTESER 1/2021          5
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MALTESERORDEN

Einsatz mit größtem Engagement                                  „Der Heilige Geist hat seinen Blick gnädig zu mir gewandt.
Am 8. November 2020 wurde er vom Großen Staatsrat               Ich danke jedem Einzelnen von Ihnen, dass Sie mir Ihr Ver-
des Ordens in Rom zum Statthalter des Großmeisters              trauen geschenkt und durch Ihre Anwesenheit heute hier
des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens mit überwie-              eine große Liebe und eine große Hingabe an unseren Or-
gender Mehrheit gewählt. Gemäß der Verfassung des               den gezeigt haben“, sagte Luzzago anlässlich seiner Wahl.
Malteserordens bleibt der Statthalter des Großmeis-             „Ich kann Ihnen nur versichern, dass ich mich mit größtem
ters ein Jahr lang mit den gleichen Befugnissen wie ein         Engagement für die Herausforderungen einsetzen werde,
Großmeister im Amt. Der Statthalter des Großmeisters            die in den kommenden Monaten vor uns liegen.“
muss den Großen Staatsrat vor Ablauf seiner Amtszeit
erneut einberufen. Als Statthalter wird er den Orden,           Wir wünschen Fra’ Marco Luzzago alles erdenklich Gute
der sich seit 2018 in einem größeren Reformprozess be-          und Gottes Segen in seiner neuen, überaus verantwor-
findet, zunächst bis Herbst 2021 leiten.                        tungsvollen Funktion!

EINE BEEINDRUCKENDE KARRIERE
Kardinal Silvano Maria Tomasi: So lautet der Name des
neuen Sondergesandten, den Papst Franziskus für alle Fra-
gen zu den Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und
dem Malteserorden ernannt hat.

Es ist eine herausfordernde Aufgabe, die der Kardinal
übernommen hat. Er wird auf Bitte des Papstes bis zum
Abschluss des bei den Maltesern laufenden Reformprozes-
ses im Amt bleiben. „Auf jeden Fall so lange, wie es hilf-
reich erscheint“, meinte der Heilige Vater. Dieser Bitte wird   dort zum ständigen Beobachter des Heiligen Stuhles beim
Silvano Tomasi sehr gerne nachkommen. Er blickt auf eine        UN-Büro in Genf und der Welthandelsorganisation be-
wechselvolle und anspruchsvolle Karriere zurück.                stellt.

Der Ordensmann wurde 1940 in Casoni/Venetien gebo-              2016 folgte die Ernennung zum Mitglied des Päpstlichen
ren. Er trat zunächst als Seminarist in die Gemeinschaft        Rates für Gerechtigkeit und Frieden. Ein Jahr danach be-
der Scalabrini-Missionare ein und wurde 1965 durch den          traute ihn Papst Franziskus mit der Funktion des dele-
New Yorker Weihbischof Joseph Pernicone zum Priester            gierten Sekretärs des neu errichteten Dikasteriums für die
geweiht. 1989 folgte die Ernennung zum Sekretär des             ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Am 1. November
Päpstlichen Rates der Seelsorge für Migranten und Men-          2020 avancierte Tomasi zum Sonderbeauftragten für den
schen unterwegs, 1996 die Weihe zum Kurienerzbischof.           Souveränen Malteser-Ritter-Orden beim Heiligen Stuhl.
                                                                Den vorläufig krönenden Abschluss seiner Kirchenlaufbahn
Von Dschibuti über Genf nach Rom                                bildete am 28. November 2020 die Ernennung zum Kardi-
Nur vier Jahre später ging es steil bergauf in der Karrie-      nal. „Mit der Kardinalswürde fühle ich mich noch stärker in
re des Kirchenmannes. Er wurde durch Papst Johannes             die Pflicht genommen, weiter für Solidarität und Dialog ein-
Paul II. zum Apostolischen Nuntius in Dschibuti ernannt.        zustehen“, bekräftigte Tomasi in seiner Dankesrede.
2003 wechselte Silvano Tomasi in den päpstlichen diplo-
matischen Dienst bei den Vereinten Nationen und wurde                            www.orderofmalta.int

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MALTESERÖSTERREICH
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WIE HAST DU’S MIT DEM
LEBEN UND DEM TOD?
Diese Frage steht seit der jüngsten Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zur Sterbehilfe
mehr denn je im Zentrum der öffentlichen Debatte. Hier eine facettenreiche Darlegung von Fachleuten verschie-
denster Disziplinen, die zu differenziertem Nachdenken einlädt.

RESPEKT VOR DEM LEBEN                                                          leistete Recht auf Leben1 nach der Österreichischen Ver-

UND DEM GESETZ                                                                 fassung und den verfassungsrechtlichen Nebengesetzen
                                                                               auch das Recht einschließt, sich der Hilfe anderer Men-
                          Von Fra’ Gottfried Kühnelt-Leddihn                   schen zur Selbsttötung zu bedienen. Bisher, so scheint es
Nein, es ist nicht einfach. Nein, es gibt keine ein-                           mir, wird das Recht auf ein menschenwürdiges Leben als
deutige Antwort. Zu welchem Ergebnis soll ein                                  höchster Wert unserer Rechtsordnung betrachtet. Die
gläubiger Mensch kommen, zu welchem einer ohne                                 Todesstrafe wurde 1950 auch in Österreich abgeschafft,
religiöse Bindung?                                                             im Militärstrafrecht erst 1968.

Als ich diese Zeilen zu schreiben begonnen habe, stand                         Eigentlich hatte sich der VfGH nicht mit einer Frage,
die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH)                           sondern mit einer ganzen Fülle von verknüpften ethi-
unmittelbar bevor, ob das verfassungsgemäß gewähr-                             schen und religiösen Fragen, die ich wohl kaum vollstän-
1
 Vgl. zweiter Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950: Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt.
Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausge-
sprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

                                                                                                                DIE MALTESER 1/2021                  7
MALTESER - Ein Recht auf den Tod? Klinische Ethikberatung Wie die Väter, so die Söhne - Institut für Ehe und Familie
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dig aufzählen kann, zu befassen. Es klingt wohl wie eine     fers vor Gott und vor dem
rein rechtliche Frage: „Beinhaltet das Recht auf Leben       Staat. Kann ich das Vor-
auch das Recht auf Beendigung desselben mit Hilfe von        liegen des klaren Verstan-
Dritten?“ Der VfGH hat mittlerweile eine rechtliche Ant-     des und des freien Willens
wort gegeben. Menschen ohne religiöse Bindung werden         juristisch bejahen und
auch nur daran interessiert sein.                            gleichzeitig theologisch
                                                             verneinen? Und wie ist –
Das Dilemma des freien Willens                               in diesem Zusammenhang
Nun will ich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, hier        – mit dem Willen nicht
einige dieser Fragen aufwerfen. Für mich persönlich          entscheidungsfähiger Personen umzugehen – darf oder
habe ich die Fragen aufgrund zahlreicher Begegnungen         soll hier der gesetzliche oder gewillkürte Vertreter diese
mit unheilbar kranken oder schwerstbehinderten Men-          folgenschwere Entscheidung treffen?
schen, von denen ich einige auch jahrelang begleitet
habe, beantwortet. Ich kann nicht sagen, wie weit die all-   Mein Rechtsempfinden (ich habe mehr als drei Jahr-
gemeine Zustimmung zu meinen Denkanstößen reicht.            zehnte als Beamter staatliches Recht vollzogen) sagt mir
Da ist zuerst einmal der für eine derart schwerwiegende      klar und deutlich, dass aus strafrechtlicher Sicht sowohl
Entscheidung aus juristischer Sicht erforderliche freie      derjenige, der seinem Leben ein Ende bereiten will, als
Wille. Es wird wohl auf jeden Fall unzulässig sein, dass     auch derjenige, der ihm dabei assistiert, sich der vollen
Dritte, die irgendein wie auch immer geartetes Interes-      Tragweite des Handelns bewusst sein muss, damit der
se am Tod eines Menschen haben könnten, auf seinen           „Gehilfe“ allenfalls den (noch nicht formulierten) Aus-
Entschluss einwirken oder an der Umsetzung mitwirken         nahmetatbestand erfüllt und somit straffrei handelt.
dürfen. Hier tut sich ein gewaltiges Dilemma auf: Han-       Wenn in irgendeiner Weise hier Druck ausgeübt wird,
delt jemand, der sich bei der Selbsttötung durch einen       dann muss dies weiterhin strafbar sein, zumindest für
Dritten helfen lässt, bei klarem Verstand und ohne jegli-    denjenigen, der hier willentlich die Entscheidung eines
chen Druck von anderer Seite, oder ist er entweder von       Menschen zum Suizid hinlenkt oder diesen dazu drängt.
sich aus durch schweres Leid oder durch „Überredung“ in
seiner Entscheidung beeinträchtigt?                          Druck durch die kostentragende Allgemeinheit
                                                             Hinsichtlich des möglichen Drängens aus dem eigenen
In meinen Schulzeiten wurde im Religionsunterricht           Umfeld des Betroffenen lasse ich Ihrer Fantasie freien
noch gelehrt, dass Suizidenten sich bewusst aus der Ge-      Lauf. Ich kann mir leider aber auch einen mehr oder min-
meinschaft mit Gott gelöst hätten, ihnen wurde daher         der sanften Druck vonseiten der kostentragenden Allge-
auch ein kirchliches Begräbnis verweigert. Sie wurden in     meinheit vorstellen. Die vom Sozialversicherungsträger
einem abgelegenen Winkel des Friedhofes in nicht ge-         übermittelte Aufstellung der in einem Kalenderjahr an-
weihter Erde bestattet. Diese Haltung hat sich im Lau-       gefallenen Heilkosten kann im besten Fall wertneutral
fe der Jahre dahin geändert, dass angenommen wurde,          „ankommen“, aber auch ein schlechtes Gewissen oder
dass Suizidenten immer in einem nicht selbst verschul-       gar Zorn verursachen – vor allem, wenn diese Kosten das
deten Zustand der Unzurechnungsfähigkeit gehandelt           Familieneinkommen im gleichen Zeitraum bei Weitem
haben und daher auch ein kirchliches Begräbnis erhalten      übersteigen. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis Leistun-
können.                                                      gen der Sozialversicherungen ab einem Alter, ab einem
                                                             bestimmten oder prognostizierten Krankheitsverlauf ein-
Verantwortung für die Tragweite des Handelns                 geschränkt oder gar eingestellt werden? Oder werden die
Hier muss eine klare Trennlinie gezogen werden zwi-          Kosten des Suizids, die bei vielen chronisch Kranken nied-
schen der Verantwortung des die Selbsttötung begehren-       riger sein können als die der Therapie, von der Gesund-
den Menschen vor Gott und der Verantwortung des Hel-         heitskasse übernommen? Hier tut sich ein Abgrund auf.

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Ärzte (diese allein können die Art der Behandlung vor-          dere fühlen, durch gelebte Zuneigung und Zuwendung zu
schlagen) werden wohl immer wieder mit dem Problem              vermitteln, dass sie geliebt, anerkannt und in ihrer unan-
konfrontiert sein, mit ihrem Therapievorschlag das Le-          tastbaren Menschenwürde respektiert sind. Geborgenheit
ben (oder das Sterben) eines Patienten zu verlängern            in der Familie und im Freundeskreis trägt sicher wesent-
oder seinen natürlichen Tod zu ermöglichen. Etwas An-           lich dazu bei. Die heutige Heilkunst, insbesondere die Pal-
deres ist jedoch das aktive Herbeiführen des Todes. Aus         liativmedizin, beachtet selbstverständlich hier auch den
christlicher Sicht ist der Zeitpunkt des Todes ausschließ-      Willen des Kranken, der allein entscheiden kann und darf,
lich dem Spender des Lebens, also Gott, überlassen.             ob eine Behandlung fortgesetzt oder beendet wird.
Einer Entscheidung hierüber durch Menschen, egal in
welcher Funktion, ist vom Gesetzgeber massiv entgegen-          „Nicht nur den Körper berücksichtigen“
zutreten, da Menschen in ihrer Entscheidung zu leicht           Papst Johannes Paul II. erklärte am 24. März 2002, drei
beeinflussbar sind und auch irren können.                       Jahre vor seinem Tod, vor Medizinern und Gesund-
                                                                heitsfachleuten aus aller Welt: „Die Komplexität des
Dem Schöpfer in SEIN ureigenstes Handwerk zu pfuschen,          Menschen fordert bei der Verabreichung der notwendi-
erweist sich immer wieder als fatal. Breche ich aus dem Boll-   gen Heilmethoden, dass man nicht nur seinen Körper
werk einen oder mehrere Steine heraus, beginnt das Ganze        berücksichtigt, sondern auch seinen Geist. Es wäre an-
zu bröckeln, und irgendwann fällt der Schutzwall. Erst vor      maßend, allein auf die Technik zu setzen. Und in dieser
75 Jahren ging eine solche unheilvolle Zeit zu Ende.            Sicht würde sich eine Intensivmedizin um jeden Preis bis
                                                                zum Letzten schließlich nicht nur als unnütz erweisen.
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“              Sie würde auch nicht völlig den Kranken respektieren,
Aber wie erkläre ich das alles einem Menschen, der nicht        der nun an sein Ende gelangt ist.“
an einen Gott als Schöpfer allen Lebens glaubt? Kann
man das mittels durchdachter Gesetze regulieren? Seit           Es liegt nunmehr beim Gesetzgeber (dem Nationalrat,
es menschliche Gesetze gibt, wird immer wieder ver-             der von uns allen gewählt wird) zu prüfen, wie die auf-
sucht, diese zu umgehen, auszutricksen oder nach Par-           gehobene Bestimmung des § 78 Strafgesetzbuch (StGB)
teiinteressen zu ändern. Seit Menschengedenken unver-           unter Wahrung der Menschenrechte und der Menschen-
ändert sind aber die zwei wichtigsten Gebote: „Du sollst        würde ersetzt werden soll oder ob hier ein neues lukra-
den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit           tives Geschäftsfeld entstehen kann. Mit einer Beibehal-
ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.“ Das ist das          tung im Rang einer Verfassungsbestimmung ist wohl
wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zwei-        kaum zu rechnen.
te: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ An
diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den           Auf jeden Fall wird es an uns allen (nicht nur an uns Mal-
Propheten. (Mt 22, 37–40)                                       tesern) liegen, ob sich Menschen mit einer begrenzten
                                                                Lebenserwartung oder schweren Behinderungen als Belas-
Es wird an uns allen liegen, Mitmenschen, die ihr Leben         tung für sich und ihre Mitmenschen empfinden oder sich
selbst als Last empfinden oder sich als Belastung für an-       durch Zuwendung geliebt, geborgen und wertvoll fühlen.

                                                                                          DIE MALTESER 1/2021            9
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MORBIDE JUDIKATUR UNTER DEM
DECKMANTEL DER FREIHEIT
                                                               Von Stephanie Merckens
Was bedeutet das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofs
(VfGH) in Sachen Sterbehilfe aus juristischer Sicht? Eine Erläuterung und
Schlussfolgerung.

Mit 11. Dezember 2020 hob der VfGH das Verbot der              Der VfGH unterscheidet nicht zwischen dem Sterbenden,
Beihilfe zum Selbstmord als verfassungswidrig auf. Was         der eine tödliche Überdosis Morphium verabreicht be-
bedeutet das? Für das Jahr 2021 noch nicht viel, denn die      kommt, oder dem Verwitweten, der ohne Fallschirm aus
Entscheidung wirkt erst ab 1. Jänner 2022. Aber: Sollte        dem Flugzeug springen möchte. Egal, ob aus Liebeskum-
der Gesetzgeber bis dahin keine Ersatzregelung getrof-         mer, Privatkonkurs oder aus sonstigen Gründen, egal ob
fen haben, dann ist ab dem 1. Jänner 2022 jeglicher Bei-       mit Pistole, Seil oder Brückensprung: Wenn bis Ende des
trag zur Selbsttötung eines Menschen erlaubt. Wirklich         Jahres – dieses Jahres 2021 – keine Änderung erfolgt,
jeder Beitrag? Immer? Egal aus welchem Grund?                  darf bei all diesen Gründen und auf welche Art und Wei-
                                                               se auch immer „geholfen“ werden, wenn sich jemand das
Brutal gesagt ja – die einzigen Voraussetzungen, die laut      Leben nehmen will.
VfGH für die Straflosigkeit erfüllt sein müssen, sind der
nachhaltige freie Willensentschluss des Suizidwilligen         Der Missbrauch liegt in der Zulassung selbst
und die Bereitschaft des Beitragenden. Zu diesem Er-           Der Ball liegt also abermals beim Gesetzgeber. Dieser
gebnis kommt der VfGH vor allem aufgrund folgender             muss in einem ersten Schritt prüfen, welche Gestal-
Entscheidungsgründe:                                           tungsmöglichkeiten ihm überhaupt zu Verfügung ste-
1. Nicht der „Schutz des Lebens“ ist die primäre Aufgabe des   hen. Innerhalb des vom VfGH gesetzten Rahmens kann
   Staates, sondern die Wahrung des „Rechts auf Leben“.        er nur mit einfacher Mehrheit agieren. Trifft er Entschei-
2. Dieses „Recht auf Leben“ umfasst auch das „Recht auf        dungen, die über die Wertung des VfGH hinweg halten
   freie Selbstbestimmung“.                                    sollen, benötigt er eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
3. Das „Recht auf freie Selbstbestimmung“ wiederum
   umfasst auch das Recht, seinem Leben ein Ende set-          Wesentlich scheinen vor allem folgende Punkte: Suizid-
   zen zu wollen – und zwar auf die vom Sterbewilligen         prävention sollte zum Staatsziel erhoben werden. Beihil-
   als „würdig“ empfundene Art und Weise.                      fe zur Selbsttötung sollte weder Aufgabe der Ärzte noch
4. Braucht man dazu die Hilfe eines Anderen, und ist           sonst eines Pflegeberufes sein. Die Gewissensfreiheit
   dieser Andere dazu bereit, so hat man auch das Recht        sollte nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für or-
   darauf, dass dieser „helfen“ darf.                          ganisatorische Einheiten wie Krankenhausträger gelten.
5. Es dürfe nicht bewertet werden, warum sich jemand           Niemandem sollte aus der Beihilfe ein Vorteil erwachsen,
   das Leben nehmen will.                                      der über eine Abgeltung der geleisteten „Dienstleistung“
6. Es müsse allerdings geprüft werden, ob dieser Ent-          hinausgeht. Aufklärungs-, Beratungs- und Kontrollme-
   schluss frei und nachhaltig getroffen wurde.                chanismen müssen möglichst sicherstellen, dass der Sui-
7. Und es müsse sichergestellt werden, dass der Beitra-        zidwunsch „nachhaltig“ und „selbstbestimmt“ ist.
   gende aus freien Stücken handelt.
8. Allerdings stört den VfGH vor allem, dass ausnahms-         Aber eines muss uns klar sein: Um Missbrauchsver-
   los jede Hilfe verboten ist – es scheint also möglich,      meidung geht es eigentlich nicht mehr, denn der Miss-
   die Art und Weise zu beschränken, mit der „geholfen“        brauch liegt in der Zulassung selbst. Eine Judikatur,
   werden darf.                                                die die Tötungshilfe über die Lebenshilfe stellt, hat in

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meinen Augen den Dienst an der Freiheit missbraucht.        der Menschheit in Naturwissenschaften, Technik und
Es geht also nicht mehr um Missbrauchsvermeidung, es        Medizin. Der Mensch wird vom Geschöpf zum Schöpfer.
geht nur noch um dessen Begrenzung.                         Uneingeschränkte Selbstbestimmung muss aber unwei-
                                                            gerlich angesichts des Todes scheitern. Als Ausweg aus
                                                            diesem Dilemma schlägt der österreichische Psychologe
EIN RECHT AUF DEN TOD?                                      Adolf Jost im Jahr 1895 „Das Recht auf den Tod“ vor. Die
                               Von Christoph von Ritter     „Jost’schen Sätze“ hat am 26. Februar 2020 das deutsche
Moderne Gesellschaften haben zunehmend ein                  Bundesverfassungsgericht ins Gesetz geschrieben: „Das
Problem mit dem Sterben. Gerichte fordern ein               allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst eben auch ein
„selbstbestimmtes Recht auf den Tod“. Zynisch               Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Der Bürger hat die
wird übersehen, dass der Selbstmörder in seiner             Freiheit, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die
Verzweiflung nicht nach dem Tod, sondern nach ei-           freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Seine Entschei-
nem besseren Leben, nach Zuwendung und Nächs-               dung ist, als Akt autonomer Selbstbestimmung, zu res-
tenliebe ruft.                                              pektieren.“

Die Frage, wie wir sterben wollen, ist so alt wie die       Entpflichtung der Gesellschaft
Menschheit und gleichzeitig hochaktuell. „Sterben           Einseitige Verpflichtung auf die Selbstbestimmung des
macht mir nichts aus, ich möchte nur nicht dabei sein!“,    Einzelnen führt zu einer Entpflichtung der Gesellschaft.
verkündet der Regisseur und Autor Woody Allen und           Respekt vor Selbstbestimmung ersetzt Solidarität und
trifft damit ziemlich präzise den Zeitgeist. Anders der     Mitgefühl. Der Selbstmörder am Brückengeländer wird
verstorbene Gründer von Apple, Steve Jobs: „Mir ins         nicht mehr mit allen Mitteln am Sprung gehindert. Nein:
Gedächtnis zu rufen, dass ich bald sterbe, ist mein wich-   Respekt vor „autonomer Persönlichkeitsentfaltung“ for-
tigstes Hilfsmittel, um weitreichende Entscheidungen        dert ein „Spring doch, wenn du willst!“
zu treffen. Der Tod ist wohl die mit Abstand beste Erfin-
dung des Lebens.“ Ganz ähnlich galt im Mittelalter das      Selbstmörder ziehen selten kühl Bilanz. Sie wollen nicht
„Memento mortis“: Sei dir deiner Sterblichkeit bewusst!     den Tod, sondern rufen verzweifelt nach einem besseren
Plato schildert im berühmten „Dialog des Phaidon“, wie      Leben. Es ist zynisch, diese Verzweiflung in „autono-
die Schüler des Sokrates nach dessen Tod die Frage nach     me Persönlichkeitsentfaltung“ umzudeuten. Nicht der
dem rechten Sterben diskutieren. Nach Platos fester         Selbstmörder, die moderne Gesellschaft zieht Bilanz.
Überzeugung ist hierzu die Anerkennung der „Vanitas“,       „Human dignity is the public worth of men“ formulierte
der Vergänglichkeit, entscheidend. Nur so könne heite-      schon im 17. Jahrhundert Thomas Hobbes: „Der Mensch
res und unbeschwertes Sterben gelingen.                     ist nicht an sich wertvoll, er ist nur so viel wert, wie er für
                                                            die Gesellschaft leistet, wie viel Mehrwert er zu liefern
                              Die Aufklärung und das        vermag.“ Diese Bilanz fällt zwangsläufig für den Men-
                              „Recht auf den Tod“           schen im Alter zunehmend negativ aus. „Die Gesellschaft
                              Seit dem 18. Jahrhun-         verliert die Geduld mit den Alten“ titelte einmal treffend
                              dert, dem Jahrhundert         die deutsche „Bild“-Zeitung. Für den schnellen Tod wird
                              der Aufklärung, steht die     dem ängstlichen, alten Menschen der Selbstmord als mo-
                              Überwindung der Vani-         dern, praktisch, schnell und kostengünstig angedient.
                              tas im Zentrum der bür-
                              gerlichen     Hochkultur.     „Unwertes Leben“ im Alter
                              Der „Triumph über das         Apokalyptische Zukunftsvisionen werden bemüht, um
                              Scheitern“ führt zu einem     alten Menschen den Weg zum Suizid zu ebnen. Dabei
                              großartigen Aufschwung        fallen die immer wieder bemühten Horrorvorstellungen

                                                                                         DIE MALTESER 1/2021           11
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von unerträglichen Schmerzen und Atemnot am Ende              Christliche Institutionen können und sollen zum „siche-
unseres Lebens angesichts moderner Palliativmedizin           ren Hafen“ für Patienten, Pflegekräfte und Ärzte werden.
eindeutig in die Kategorie des ärztlichen Kunstfehlers.       In den USA versuchen Krankenhäuser in katholischer
Moderne Medizin kann heute den sanften Tod garantie-          Trägerschaft Sicherheit zu vermitteln: „We don’t kill you,
ren. Aber die von Alter und Krankheit bedrohten Men-          even if you ask us; we don’t kill your parents, even if you
schen machen sich das gesellschaftliche Klima zuneh-          ask us and we don’t kill your child, even if you ask us to
mend zu eigen. Sie wollen eher aus dem Leben scheiden         do so!”
als „lästig zu fallen“. Wie oft wurde ich von Patienten mit
der Bitte konfrontiert: „Doktor, ich will sterben, um mei-    Wie kann gutes Sterben gelingen? Nach dem Schweizer
nen Angehörigen nicht länger zur Last zu fallen!“             Arzt, Alchemisten, Naturphilosophen und Theologen
                                                              Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Pa-
Die deutschen Verfassungsrichter interpretieren das           racelsus, führe nur die demütige Anerkennung unserer
selbstbestimmte Verlangen eines Menschen, sein Leben          Vergänglichkeit, der Vanitas, zu einer „Harmonie der
vorzeitig zu beenden, als Verpflichtung für den Arzt, zu      Seele“. Diese ist die Grundlage für ein gutes, ja – nur im
töten. Ärzte sollen töten wollen! Damit wird der Arzt für     scheinbarem Widerspruch – für ein gesundes Sterben.
den Schwachen, den alten Menschen zur Gefahr. Un-
merklich kann er sich vom bedingungslosen Helfer zum          Weiterführende Informationen:
staatlich animierten und legitimierten Vollstrecker des       www.christoph-von-ritter.com
Todes wandeln.

„Samaritanus bonus“, das vatikanische Schreiben über
die „Sorge an Personen in kritischen Phasen und in
                                                              ASSISTIERTER SUIZID?
der Endphase des Lebens“, setzt diesem gesellschaftli-                                                   Von Marie Czernin
chen Klima eine christliche Perspektive entgegen: „…          Wie hört sich die Debatte um die Sterbehilfe aus
innere(n) Perspektive eines therapeutischen Bundes            der Perspektive einer Patientin an? Was geht in
zwischen Arzt und Patient, … (ist) die Anerkennung            einem Menschen vor, der auf dem schmalen Grat
vom transzendenten Wert des Lebens und vom mysti-             zwischen Leben und Tod wandert? Eine berühren-
schen Sinn des Leidens. Dieser Bund ist das Licht, um zu      de, sehr offen formulierte Selbsterfahrung.
verstehen, was gutes medizinisches Handeln ist.“ Und
weiter: „Die pastorale Begleitung (am Lebensende) zieht       Dass die jüngste Erkenntnis des VfGH über die ab 2022
die Ausübung der menschlichen und christlichen Tu-            erlaubte Beihilfe zum Suizid genau in diese Zeit der
genden hinzu: der Empathie (en-pathos), des Mitleids          Coronakrise fällt, scheint mir wirklich grotesk! Einer-
(cum-passio), der Annahme des Leidens des Kranken             seits ist unser Staat bemüht, Gelder in Milliardenhöhe
durch das Teilen dieses Leidens und des Trostes (cum-         für die Beschaffung von Impfstoffen auszugeben, um
solacium), des Eintretens in die Einsamkeit des ande-         Menschenleben zu retten, andererseits soll es nun den
ren, damit er sich geliebt, angenommen, begleitet und         Menschen leichter gemacht werden, sich von diesem
getragen fühlt.“                                              Leben „selbstbestimmt“ zu verabschieden. Wozu sol-

12       DIE MALTESER 1/2021
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len sich alte Menschen jetzt impfen lassen, wenn ihnen
morgen das Gefühl vermittelt wird, dass sie der Fami-
lie oder auch der Gesellschaft zur Last fallen und sie
doch bitte von der Lebensbühne abtreten sollen?

Ja! Krise als Chance!
So sehr sich die Ereignisse in der Welt zuspitzen, etwas
Gutes hat die große Krise, die wir zurzeit erleben, viel-
leicht doch: Jede Krise birgt auch eine Chance in sich.
Einerseits steigt die Frustration. Wir fühlen uns macht-     heit als eine neue Chance erleben. Mein behandelnder
und hilflos und stoßen oft auch an unsere psychischen        Arzt meinte, ich hätte Glück, denn man könne heutzu-
Grenzen. Andererseits fällt nun viel äußere Ablenkung        tage mit metastasiertem Brustkrebs so gut wie mit einer
weg. Wir können uns wieder auf wesentliche Dinge be-         chronischen Erkrankung leben. Wie lange? Das wagte ich
sinnen und in einem Prozess der Selbsttranszendenz           nicht, ihn zu fragen. Aber trotzdem wurde mir bewusst,
unsere äußere und innere Begrenztheit überschreiten.         dass mein Leben begrenzt ist und bald enden kann. Die
Manche wenden sich auch wieder neu Gott zu.                  Zeit der Reisen in ferne Länder war auf einmal vorbei.
                                                             Mein äußerer Radius beschränkte sich auf ein Pendeln
Was haben wir aus der Krise gelernt? Wenn wir nicht          zwischen Wien und Kärnten. Dafür durfte ich im Gebet
mitfühlender werden für die Nöte der anderen, dann           und in der Stille erfahren, wie sich mein innerer Radius
werden am Schluss wirklich nur noch die Stärkeren über-      wieder weitete und neue Kreise zog.
leben in einer egoistischen Gesellschaft, in der das Leben
nur etwas wert ist, solange der Mensch etwas leistet. Wir    Zwischen Eigenverantwortung und liebevoller
werden alte und kranke Menschen als Belastung empfin-        Unterstützung
den und wie ein altes Kleidungsstück entsorgen. Um uns       Ich hatte das große Glück, während der Zeit der Thera-
wird es kälter werden.                                       pie viele liebe Menschen um mich zu haben, die mich auf
                                                             diesem Weg begleiteten. Ich fühlte mich getragen von
Wenn der innere Radius sich weitet                           den Gebeten so vieler Freunde und geborgen in meiner
Auch eine schwere Erkrankung birgt eine große Chance,        großen Familie, die mir auch weiterhin unterstützend
wenn es gelingt, die Krankheit anzunehmen und darin          zur Seite steht.
einen tieferen Sinn zu erkennen. Vor Kurzem schrieb mir
ein Freund, der an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt         Ganz anders erging es da leider einer Bekannten aus Kana-
ist: „Mein Karzinom ist leider sowohl in der Lunge als       da, die nach ihrer Brustkrebs-Erkrankung von ihren Eltern
auch am Pankreas aktiv geworden. Seitdem hat es mir et-      hören musste, dass sie nun selbst schauen müsse, wie sie da
was die Füße weggezogen, kalt ist mir jetzt zu Hause. Ich    durchkomme, weil sie ihnen finanziell zur Last fallen würde.
bin draufgekommen: Jetzt hätte ich am liebsten Kontakt
zu Leuten, die Betroffene UND auch gläubig sind. Ja, das     Geborgen fühlte ich mich auch bei den liebevollen Kran-
ist wohl die Peregrinus-Gruppe.“ Martin meinte damit         kenschwestern, die immer freundlich waren und mich
unsere Selbsthilfegruppe für Krebskranke, die sowohl         verwöhnten, wenn ich zur Chemotherapie und danach
von Psychotherapeuten als auch von einem katholischen        zur Operation in die Klinik kam. Ich bewunderte sie, wie
Priester begleitet wird.                                     sie trotz der täglichen Belastung im Krankenhaus immer
                                                             fröhlich sein konnten und gute Stimmung verbreiteten.
Seitdem ich selbst im Jahr 2018 die Diagnose Brustkrebs      Ich wusste ja, dass dies nicht mehr selbstverständlich ist
im fortgeschrittenen Stadium erhielt, hat sich in mei-       und viele Menschen sich in Spitälern vor dem Kranken-
nem Leben vieles verändert. Auch ich durfte die Krank-       hauspersonal fürchten.

                                                                                        DIE MALTESER 1/2021         13
IMFOKUS

Auf Gott vertrauen                                                „Ich will sterben!“
Ich habe weiterhin großes Glück mit meinen Ärzten, die            Wer könnte dies einem
nicht nur fachlich exzellent, sondern vor allem auch wun-         Schwerkranken, der vor
derbare Menschen sind. Mein Onkologe nimmt sich im-               sich nur die unlösbaren
mer sehr viel Zeit für das Gespräch und gibt mir das Ge-          Probleme sieht, verdenken?
fühl, dass ich ihm wichtig bin. Bevor er sich einen Befund        Aber will er wirklich? Ja
ansieht, fragt er zuerst, wie es mir geht und meint dann:         und nein. Er sucht nach Hil-
„Befunde können Fehler beinhalten, Maschinen können               fe, um mit diesem Problem
sich irren. Viel wichtiger ist es, wie Sie sich fühlen.“ Allein   nicht allein zu sein. Dies
dieser Satz hilft mir schon, mich nicht durch einen schlech-      ist ein wesentlicher Punkt.
ten Befund total verunsichern zu lassen und mehr meinem           Aber wie kann ich als Gesunder einem schwer Erkrank-
eigenen „Bauchgefühl“ zu vertrauen. Wie anders muss es            ten helfen? Durch Empathie, und indem ich ihm zeige,
hingegen für Krebspatienten sein, die aufgrund einer              dass ich bei ihm bin.
schlechten Erfahrung mit ihrem Arzt total verunsichert
sind, weshalb sie dann von einem Arzt zum anderen laufen          „Sagen Sie mir die Wahrheit!“
und dabei wichtige Therapien einfach abbrechen?                   Der Kranke erwartet sich eine Prognose, meist, um nur
                                                                  zu hören, dass es noch nicht zu Ende geht. Oft können
Mir ist während meiner Krebstherapie bewusst gewor-               wir anhand der Statistik abschätzen, wie lebensbedroh-
den, wie wichtig es ist, einem Arzt vertrauen zu können,          lich eine Krankheit ist, wir wissen aber nicht, wie eine
schließlich begebe ich mich ganz in seine Hände. Oft              Therapie den individuellen Krankheitsverlauf verändert
kam es mir vor, als ob ich mich auf eine hohe Bergwan-            und sich damit die statistische Prognose verändern
derung begeben hätte. Rechts und links von mir ging es            kann. Die Wahrheit ist, es in Wahrheit nicht zu wissen.
steil bergab. Wie ein guter Bergführer warf mir mein Arzt
das rettende Seil zu, und ich musste ganz langsam einen           „Ich kann oder will die Schmerzen nicht er-
Schritt vor den anderen setzen, ohne hinunterzuschauen.           tragen!“
Beim Anblick des tiefen Abgrunds wäre mir sonst total             Hier hat sich in den vergangenen Jahren eine deutliche
schwindelig geworden. Gleichzeitig durfte ich erfahren,           Veränderung ergeben. Die Möglichkeiten der medizini-
dass auch Gott mir dieses rettende Seil zuwirft und ich           schen Schmerzbekämpfung sind heute wesentlich um-
es vertrauensvoll ergreifen darf. Er kennt mich doch am           fangreicher geworden und werden auch von den Ärzten
allerbesten und weiß auch, was für mich gut ist.                  besser angenommen, von Morphium bis Cannabis, und
                                                                  das nicht nur erst auf der Palliativstation.

                                                                  Wichtig dabei ist zu bedenken:
BEGLEITUNG ZUM ENDE                                               Schmerz ist nicht nur körperlicher Schmerz, wie die Pi-

DES LEBENS STATT BE-                                              onierin des Palliativgedankens, Cicely Saunders, bereits
                                                                  vor Jahren das Konzept des totalen Schmerzes entwi-
GLEITUNG ZUM STERBEN                                              ckelt hat. Dieser umfasst den physischen, mentalen, so-
                                Von Traude und Johannes Mlczoch   zialen und spirituellen Schmerz. Diese Formen müssen
                                                                  ebenfalls wahrgenommen werden und in einer profes-
Kardinal König meinte einst: „Du sollst nicht                     sionellen Palliativbegleitung Berücksichtigung finden.
durch die Hand, sondern an der Hand der Mitmen-                   Die Palliativstation ist damit nicht mehr der Endpunkt
schen in den leider unvermeidlichen Tod gehen.“                   der Behandlung. Vielmehr soll sie Geborgenheit und
Eine achtsame Palliativbetreuung als Alternative                  Ruhe bringen, auf den vielfältigen Schmerz eingehen
zur Sterbehilfe?                                                  und das letzte Stück des Weges friedvoll erleichtern.

14        DIE MALTESER 1/2021
MALTESERÖSTERREICH                                                                                           IMFOKUS
                                                                                                    RELIGIONAKTUELL

KOMMUNION UND KEYBOARD

DER SELIGE CARLO ACUTIS
„Carlo liebte Videospiele, liebte Fußball, so wie ich, aber trotzdem hat er es geschafft, immer Gott an die erste Stelle zu setzen.
Denn genau das ist der Weg zur Freiheit“, so Dejan Ljubicic, Kapitän des SK Rapid über Carlo Acutis, den jungen „Internetapostel“.

Am 10. Oktober 2020 wurde in Assisi der erste Millennial            Vorbild im Alltag und Krankheit
seliggesprochen. Er war ein Informatikgenie und sozial              Durch sein gewinnendes Wesen und seine besonderen Fä-
engagiert: Carlo Acutis. Dem Charisma des 2006 15-jäh-              higkeiten hatte er großen Einfluss auf seine Altersgenos-
rig verstorbenen „Cyberapostels“ können sich auch junge             sen. „Er spielte Playstation, liebte seine Katzen und seinen
Fußballer des SK Rapid nicht entziehen, er ist der erste            Hund, schaute Actionfilme, spielte mit seinen Freunden
Selige in Jeans, Sneakers und Sweater.                              Fußball und saß natürlich am Computer“, so seine Mutter.
                                                                    Gleichzeitig engagierte sich Carlo innerhalb seiner Pfar-
Ein Seliger im Alltag zu Hause                                      re für Flüchtlinge und Obdachlose. Anfang Oktober 2006
David Budimir, U16-Stürmer, ebenfalls bei SK Rapid,                 wurde bei ihm eine aggressive Form von Leukämie diagnos-
fasziniert die „unglaubliche Ausstrahlung“ des jungen               tiziert. Acutis nahm die Diagnose mit einer bemerkenswert
Italieners. „Er war nicht nur ein ‚stiller Beter‘, sondern          gläubigen Haltung an. Er verstarb innerhalb von knapp
hat seinen Glauben gelebt. Mit seiner Nächstenliebe hat             vierzehn Tagen am 12. Oktober 2006. Seine Ausstrahlung
er andere angesteckt.“                                              hielt weit über seinen Tod hinaus nicht nur an, sondern
                                                                    wuchs und mündete in seiner Seligsprechung in Assisi.
Acutis, am 3. Mai 1991 in London geboren und in Mai-
land aufgewachsen, fiel früh durch eine außergewöhn-                Sein wiederhergestellter Leichnam, der schon im Vorfeld
liche Frömmigkeit auf. Eucharistiefeier, Rosenkranz                 der Seligsprechung zur öffentlichen Verehrung ausge-
und Beichte waren Grundpfeiler seines religiösen                    stellt wurde, zeigt wohl den ersten Seligen der Geschich-
­L ebens. Dies verband er mit einem besonderen Talent:              te in Jeans, Sneakers und Sweater. Schon jetzt gilt er für
 Acutis besaß schon als Kind hervorragende Program-                 viele als prädestinierter „Patron des Internets“.
 mierfertigkeiten auf dem Niveau von fortgeschritte-
 nen Informatikstudenten. Er schrieb Algorithmen,                   Dejan Ljubicic über den neuen Seligen: „Mich fasziniert,
 gestaltete Webseiten und Layouts für Internetzeitun-               dass er mit seinen 15 Jahren genau wusste, wo sein Weg
 gen. Die Liebe zur Eucharistie motivierte ihn, im Alter            lag, und trotz dieser teils düsteren Welt seine Beziehung
 von elf Jahren ein Onlineverzeichnis eucharistischer               zu Jesus nie aufgeben wollte.“
 ­Wunder anzulegen. Zweieinhalb Jahre arbeitete er an
  der Datenbank. Heute ist diese Onlineaufstellung welt-            Quelle: www.erzdioezese-wien.at/site/glaubenfeiern/spiri-
  weit bekannt.                                                     tuelles/grossechristen/article/86768.html

                                                                                                 DIE MALTESER 1/2021           15
RELIGIONAKTUELL

NOT LEHRT BETEN
Wird die Coronakrise die Menschen, die Kirche, die Gläubigen verändern? Wenn es um
Fragen geht, die schwer zu beantworten sind, ist es gut, sich zunächst auf das zu kon-

                                                                                                                            pexels.com
zentrieren, was offensichtlich ist.
                                                                      Von Matthias Beck
Das Zentrale ist: Die Pandemie betrifft nahezu alle Men-      war die freie Entscheidung Gottes, in diese Welt einzu-
schen auf der ganzen Welt. Das ist einzigartig. Sehr viele    tauchen. Gebet als eine Form der Hinwendung zu Gott
sind gestorben, viele sind schwer krank, viele haben ge-      und der Reflexion? Re-flectere heißt „sich nach innen
liebte Menschen sowie ihr Hab und Gut verloren, ihren         beugen“. Das gilt für das Gebet und für das Nachdenken.
Arbeitsplatz, ihr Geschäft, ihren Betrieb. Die notwendi-
gen staatlichen Maßnahmen haben darüber hinaus auch           Mit dem Mangel, dass zum Beispiel immer wieder kei-
soziale und psychische Folgen für die Menschen. Die Not       ne öffentlichen Gottesdienste stattfinden, könnte einem
ist sehr groß.                                                der Wert des Christentums, der Messe, der Kirche in
                                                              ganz neuer Weise aufgehen. Das vermeintlich Selbstver-
„Not lehrt beten“, sagt der Volksmund. Sicher haben vie-      ständliche, das einem entzogen wird, kann neu zu leuch-
le Menschen gebetet in dieser Zeit. Aber die Pandemie         ten beginnen. Gesundheit schätzt man oft erst in der
ist nicht verschwunden, und das Virus wird auch nicht so      Krankheit. Sonst nimmt man sie unbemerkt einfach hin.
schnell – wenn überhaupt – aus der Welt verschwinden.         Der Mangel kann auf den Wert des Positiven hinweisen.
Man kann ihm nur die Nahrung entziehen, dass es nicht         Diese Erkenntnis wiederum kann dankbar machen für
mehr weiterexistieren kann. Und diese Nahrung sind wir        das, was einem geschenkt worden ist.
Menschen. Daher müssen wir dem Virus die Möglichkeit
nehmen, von einem Menschen auf den nächsten über-             „Dein Wille geschehe“
zuspringen. Das gilt wahrscheinlich weiterhin auch für        Also nochmal: Worum sollen wir beten? Paulus sagt:
Geimpfte, da man nicht weiß, ob man nicht trotz einer         „Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise be-
Impfung noch infektiös bleibt. Es ist also ein Gebot der      ten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit
Vernunft, Abstand zu halten, Mund-Nasen-Schutz zu             unaussprechlichen Seufzern. Der die Herzen erforscht,
tragen, Hände zu waschen, Räume zu lüften.                    weiß, was die Absicht des Geistes ist.“ (Röm 8,26–27).
                                                              Natürlich gibt es die Klagegebete der Psalmen und der
Worum sollen wir beten?                                       Propheten, das Klagegebet Jesu und den Schrei des Men-
„Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie“,         schen nach Gott in seiner Not. All das ist gut, verständ-
ist ein wichtiger theologischer Grundsatz. Der Mensch         lich, menschlich, aber Gott allein weiß, was für den Men-
muss seine Vernunftnatur gebrauchen, um mit der Pan-          schen „gut“ ist, auch wenn wir es nicht immer verstehen.
demie fertigzuwerden. Der Geist Gottes ersetzt nicht          Wir beten es im Vater Unser, dem einzigen Gebet, das
den Geist des Menschen, aber er kann ihm helfen. Was          uns überliefert ist: „Dein Wille geschehe“. Nun darf man
aber soll dann noch das Gebet? Worum sollen wir beten?        das nicht falsch verstehen. Man könnte ja fragen, ob es
Dass die Pandemie bald aufhört, dass sie erst dann auf-       Gottes Wille ist, dass es dieses Virus gibt. Dahinter steht
hört, wenn die Menschen sich „bekehrt“ haben und er-          die ganz grundsätzliche Frage: Warum gibt es überhaupt
kennen, dass wir unser Leben ändern müssen? Oder dass         Krankheit, Leid und Not?
wir erkennen, dass die Dinge, die wir für selbstverständ-
lich gehalten haben, gar nicht selbstverständlich sind?       Christentum als heilende Religion
Nicht einmal das Christentum ist selbstverständlich. Es       Zumindest aus dem Neuen Testament geht hervor, dass

16       DIE MALTESER 1/2021
RELIGIONAKTUELL

Gott Krankheiten heilen und Not lindern will. Jesus heilt     nes scheint immer klarer zu werden: Auch dieses Virus
viele Kranke, er ist der Heiland. Christentum ist eine hei-   hat mit der Lebensweise der Menschen und den Klima-
lende Religion. Das Unheil beginnt mit der Abkoppelung        veränderungen zu tun. Das Virus folgt den Gesetzen der
des Menschen von Gott in der Paradiesgeschichte. Nicht        Natur und des menschlichen Handelns. Gott hat es nicht
Gott ist der Urheber des Unheils. So seltsam es klingt:       in die Welt geworfen, um den Menschen zu züchtigen.
Manche Krankheit kann ein Weg zu einer tieferen Hei-          Die Menschen leben so, dass es entstehen kann.
lung sein. Heilung ist dabei auf das Ganze des Lebens
bezogen, dass der Mensch nicht an seinem Leben vorbei-        Entscheidend ist jetzt, wie jeder einzelne Mensch damit
lebt. So könnte auch diese Pandemie – so tragisch sie für     umgeht. Zunächst müssen die praktischen Probleme
viele Menschen ist – aufs Ganze gesehen eine Art Hei-         gelöst werden, soweit das möglich ist. Dann aber sollte
lung sein, wenn Menschen mehr nachdenken über ihr             tiefer über die Bedeutung dieser Pandemie für die Men-
eigenes Leben oder über das Leben an sich. Man könnte         schen, die Welt und jeden Einzelnen nachgedacht wer-
versuchen, die Zeichen der Zeit zu verstehen.                 den. Christlicher Glaube hat zutiefst mit Erkenntnis zu
                                                              tun. „Credo ut intelligam“, sagt Anselm von Canterbury,
Worauf es wirklich ankommt                                    „Ich glaube, damit ich einsehe und verstehe“. Es gilt heu-
Haben wir uns nicht zu weit abgekoppelt von dem, wo­          te neu zu erkennen, wie das Leben gemeint ist und wozu
rauf es wirklich ankommt? Haben wir nicht zu tief in die      wir hier auf dieser Welt herumlaufen. Darin bestünde die
Natur eingegriffen und sie ausgebeutet? Ist es sinnvoll,      tiefere Heilung. Diesen Weg kann jeder einzeln für sich
mit Genmanipulationen eine innerweltliche Unsterb-            gehen, aber auch in Gemeinschaft.
lichkeit zu erreichen? Trifft es den Kern des Menschen,
wenn wir ihn im Kontext des Transhumanismus durch             Umkehr in der Fastenzeit
Chipeinpflanzungen verbessern oder den Menschen im            Von dieser inneren Umkehr wird es abhängen, wie wir
Posthumanismus sogar ganz durch Maschinen ersetzen            aus dieser Krise wieder herauskommen. Einem Prozess
wollen? Ist die Abkoppelung vom Urgrund nicht schon           des Umdenkens könnte die kommende Fastenzeit die-
zu weit fortgeschritten?                                      nen. Es gilt, sich neu festzumachen im letzten Grund
                                                              des Seins. Denn das heißt Glauben: sich festmachen in
Friedrich Nietzsche hat es so ausgedrückt: „Was thaten        Gott, um von dort her die Dinge genauer zu erkennen
(sic!) wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten?   und zu verstehen.
Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns?
Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend?
Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten?
Giebt (sic!) es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir
nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht
der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt
nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen
nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?“

Neu erkennen, wie das Leben gemeint ist                       Ao. Univ.-Prof. Dr. Dr. Matthias Beck ist Pharma-
Vielleicht zeichnet Nietzsche ein zu düsteres Bild der        zeut, Mediziner und Universitätsprofessor für Moral-
Welt, aber ist seine Ahnung vor fast einhundertfünfzig        theologie mit Schwerpunkt Medizinethik an der Univer-
Jahren nicht geradezu prophetisch? Umgekehrt gefragt:         sität Wien sowie Mitglied der Päpstlichen Akademie für
Kann eine derartige Pandemie den Menschen wieder zur          das Leben (Pontificia Academia Pro Vita).
„Vernunft“, zum rechten Maß, zu Gott bringen? Denn ei-

                                                                                        DIE MALTESER 1/2021         17
VORBILDER

EIN VORBILD IM EINSATZ UND IN DER
FÜHRUNG
Im Oktober 2020 mussten wir uns von Ingo Radtke verabschieden, der seine Funktion als Generalsekretär von Malteser
International an Clemens Graf von Mirbach-Harff übergab. Was bleibt, sind eine wunderbare Freundschaft und große
Dankbarkeit für das, was wir von ihm lernen durften.
                                                                                                      Von Richard Steeb
Das hartnäckige Covid-19-Virus ließ es nicht zu, dass die   1991 schied er als Oberst d. G. freiwillig aus der Bun-
vielen Mitarbeiter und Freunde, die sich von Ingo Radtke    deswehr aus und wurde selbständiger Unternehmens-
so gerne persönlich verabschiedet hätten, die Gelegen-      berater. Von 1994 bis 1998 war er Abteilungsleiter für
heit bekamen, einander zu treffen. So wurde der „Mar-       Kinder- und Jugendpastoral im Bischöflichen Generalvi-
schallstab“ des Generalsekretärs von Malteser Interna-      kariat in Trier, bevor er 1999 die Leitung des Auslands-
tional am 30. Oktober 2020 nach einer Heiligen Messe,       dienstes des Deutschen Malteser Hilfsdienstes in Köln
in einer schlichten Zeremonie, im Beisein vom Groß-         übernahm und Generalsekretär von ECOM (Emergency
kanzler Albrecht Freiherr von ­Boeselager an Clemens        Corps of the Order of Malta) wurde. Diese beiden Orga-
Graf von Mirbach-Harff übergeben.                           nisationen verschmolzen 2005 zu Malteser Internatio-
                                                            nal, der internationalen Katastrophenhilfe-Organisation
Viele Freunde und Mitarbeiter aus der ganzen Welt nah-      des Malteser-Ritter-Ordens weltweit.
men online teil und konnten sich zumindest per Video
bei Ingo bedanken. Bedanken für mehr als 22 Jahre, in       Strategisches Talent und Weitblick
denen Ingo Radtke verantwortungsvoll die Geschicke          Als Generalstabsoffizier war Ingo Radtke es gewohnt,
von Malteser International geleitet und unter zwei Prä-     auf strategischer und operativer Ebene zu denken und
sidenten so erfolgreich gedient hatte.                      zu führen. Seine Analysen und Empfehlungen zu den oft
                                                            heiklen Entscheidungen, wie und auf welche Weise am
Vom Offizier zu Malteser International                      besten Hilfe zu leisten war, waren immer fundiert und
Geboren in Köln absolvierte Ingo Radtke nach dem Ab-        wurden gerne angenommen. Der Präsident und auch ich
itur die Reserveoffiziersausbildung und studierte Päd-      als Vizepräsident waren immer bestens eingebunden in
agogik, Psychologie und Katholische Theologie an der        die Erwägungen und Möglichkeiten sowie den gefassten
Universität der Bundeswehr in Hamburg. Nach seinem          Entschluss und die gesetzten Maßnahmen und konnten
Abschluss als Diplom-Pädagoge war er Lehroffizier und       getrost die mühsame Tagesarbeit dem Generalsekretär
Kompaniechef in einem Panzergrenadierbataillon und          und seinem hervorragenden Führungsteam überlassen.
absolvierte die Generalstabsausbildung an der Füh-
rungsakademie in Hamburg sowie an der Ecole Militaire       Ingo Radtke leitete in seiner Zeit unter anderem die Not-
in Paris.                                                   hilfemaßnahmen von Malteser International nach dem

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