Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen

Die Seite wird erstellt Sam Bender
 
WEITER LESEN
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Flüchtlingsrat
                  Niedersachsen e.V.

Menschenrechtsarbeit unter
verschärften Bedingungen.
Unser Tätigkeitsbericht 2018
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Spendenkonto
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.
GLS Gemeinschaftsbank e.G.
KtoNr. 4030 460 700
BLZ: 430 609 67
IBAN: DE28 4306 0967 4030 4607 00
BIC: GENODEM1GLS
Zweck: Spende

Impressum
Tätigkeitsbericht des Vorstandes des
Flüchtlingsrats Niedersachsen e. V.
für das Jahr 2018

Redaktion
Johanna Lal, Dr. Sascha Schießl, Sebastian Rose

Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.
Röpkestraße 12
30173 Hannover

Tel.: 0511 / 98 24 60 30
Fax: 0511 / 98 24 60 31

Internet
www.nds-fluerat.org
www.facebook.com/Fluechtlingsrat.Niedersachsen

E-Mail
nds(at)nds-fluerat.org

Hannover, Mai 2019
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Inhalt

Menschenrechtsarbeit unter
verschärften Bedingungen.
Unser Tätigkeitsbericht 2018

1     Politischer Rückblick: Massiver Gegenwind für Humanität und Solidarität                                    4

2     Veranstaltungen                                                                                            13
2.1   Treffen niedersächsischer Flüchtlingsinitiativen                                                           13
2.2   Ausgewählte Veranstaltungen                                                                                14

3     Berichte aus der Praxis                                                                                    16
3.1   AMBA – Aufnahmemanagement und Beratung für Asylsuchende in Niedersachsen                                   16
3.2   Themen der Beratungspraxis – Einzelfälle                                                                   18
3.3   Die Arbeitsmarktprojekte, in denen der Flüchtlingsrat Niedersachsen tätig ist                              19
3.4   Flüchtlingsfrauen* in Niedersachsen                                                                        22
3.5   Beratung in Abschiebungshaft                                                                               23
3.6   Familienzusammenführung                                                                                    25
3.7   Perspektiven für junge Flüchtlinge                                                                         27
3.8   SEEBRÜCKE – Schafft sichere Häfen.                                                                         31
3.9   Resettlement – Ausweg aus der Hölle?                                                                       33

4     Arbeit der Initiativen vor Ort                                                                         36
4.1   Roma Center e. V.                                                                                          36
4.2   Flüchtlingshilfe Wolfsburg e. V.                                                                           37
4.3   Arbeitskreis Asyl Cuxhaven e. V.                                                                           38
4.4   Migrationszentrum für Stadt und Landkreis Göttingen des Diakonieverbands Göttingen                         39
4.5   Ausstellungen „Angekommen“/„Shame“ im Landkreis Gifhorn                                                    42
4.6   IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum                                                                          43

5     Der Flüchtlingsrat in Zahlen und Fakten                                                                44
5.1   Finanzen, Spenden und Mitgliederentwicklung                                                                44
5.2   Digitale Medien                                                                                            45
5.3   Veröffentlichungen                                                                                         47
5.4   Rechtshilfe                                                                                                47
5.5   Mitarbeit in Arbeitsgruppen auf Landesebene                                                                47
5.6   Vorläufiger Finanzbericht                                                                                  48

                                                                                      Tätigkeitsbericht 2018 —    3
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

1 Politischer Rückblick:
  Massiver Gegenwind für
  Humanität und Solidarität
Öffentliche Debatte                                           nach sich; medienbeherrschend ist eher die Aussage, dass
„Anti-Abschiebe-Industrie“ – das Unwort des Jahres            Deutschland es „nicht schafft“, abgelehnte Asylbewer-
2018 beschreibt treffend die seit einigen Jahren an-          ber_innen – die im medialen und politischen Diskurs oft-
haltende Diskursverschiebung nach rechts. Von einer           mals mit Straftäter_innen und Gefährder_innen gleich-
Willkommens­kultur wie im Sommer und Herbst 2015 ist          gesetzt werden – abzuschieben; eine Aussage, die von
zumindest in der politischen Debatte und oft auch im          Parteien wie der CSU oder der AfD bei jeder Straftat, die
öffentlichen Raum nicht mehr viel zu spüren. Die CDU          (vermeintlich) von einer/einem Ausländer_in verübt wird,
spricht seit dem Wechsel an ihrer Parteispitze hinsichtlich   gebetsmühlenartig wiedergekäut wird.
der Merkelschen Flüchtlingspolitik von einem „Fehler“,           Die Debatte wurde 2018 auf die Spitze getrieben durch
der wiedergutzumachen sei, und ist gewillt, alles dafür       polemische Wortneuschöpfungen wie „Asyltourismus“
tun, dass sich eine Situation wie 2015 nicht noch einmal      und das bereits erwähnte Unwort „Anti-Abschiebe-Indus-
wiederholt. Notfalls werde man die Grenzen komplett ab-       trie“, die nur noch als zynisch bezeichnet werden können
riegeln, so die neu gewählte CDU-Vorsitzende Annegret         und letztlich Ausdruck einer menschenverachtenden Poli-
Kramp-Karren­bauer. Bundesinnenminister Seehofer und          tik und Praxis sind. Mit immer weitreichenderen Geset-
die CSU, aber auch die CDU erzeugen mit sogenannten           zesverschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht wird
„Masterplänen“ und zahllosen Vorschlägen für immer            Deutschlands Rechtsstaatlichkeit nicht nur verbal, son-
neue Gesetzesverschärfungen einen bleibend hohen,             dern auch faktisch immer weiter ausgehöhlt.
faktisch aber völlig fehlgeleiteten Handlungsdruck. Statt
sich mit Fragen der besseren Integration, Teilhabe und An-    Der sogenannte „BAMF-Skandal“
erkennung von Schutzsuchenden zu beschäftigen, setzen         Die öffentliche Diskursverschiebung zeigte sich im letz-
sie auf Maßnahmen, mit denen die Flucht nach Deutsch-         ten Jahr nicht zuletzt an der medialen Aufbereitung des
land um jeden Preis verhindert werden soll beziehungs-        sogenannten „BAMF-Skandals“ - oder: des Skandals, der
weise Ausweisungen rigoroser durchgesetzt werden sol-         kein Skandal war. Was geschah: Im April 2018 enthüllte
len. Die Folge ist, dass die Aufnahme von Geflüchteten        ein Recherchenetzwerk der Süddeutschen Zeitung, des
mehr und mehr als „Problem“ wahrgenommen wird, das            NDR und Radio Bremen „schwerwiegende Vorgänge“ bei
es abzuwehren gilt, während humanitäre und solidarische       der Außenstelle des BAMF in Bremen. Von einem „weit-
Perspektiven kaum durchdringen. Nicht zuletzt durch den       reichenden Skandal“, „Korruption“ und „Asylbetrug“ war
Einzug der rechtsradikalen AfD in den Bundestag und die       die Rede. In der Presse und in den sozialen Medien kam
mediale Aufmerksamkeit für ihre Themen verbreiten sich        es zu einer Rufmord-Kampagne gegen die Leiterin. Auch
nationalistische Perspektiven und rassistische Ideen noch     die Pressestelle des Bundesinnenministeriums verkün-
schneller und finden in der Gesellschaft vermehrt Gehör.      dete am 23. Mai 2018, dass im Ankunftszentrum Bremen
   Jedoch verschärft sich nicht nur die Tonlage gegenüber     bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienst-
Flüchtlingen: Allein im ersten Halbjahr 2018 wurden über      vorschriften missachtet wurden. Herr Seehofer stimmte
700 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte       in öffentlichen Verlautbarungen in den Kanon ein. Die
verzeichnet. Dabei wurden 120 Menschen verletzt. Die          Leiterin wurde schließlich suspendiert. Bei den im Fokus
Mehrzahl dieser Taten war rechtsextrem motiviert. Im          stehenden Schutzsuchenden handelte es sich jedoch
gleichen Zeitraum gab es zudem 39 politisch motivierte        hauptsächlich um Jesid_innen, und die von der Bremer
Angriffe gegen Hilfsorganisationen oder ehrenamtliche         Außenstelle vorgenommene Schutzgewährung in den
Unterstützer_innen von Flüchtlingen. Doch diese Vorfäl-       Einzelfällen entsprach de facto der damaligen behördli-
le ziehen keinen medialen oder gar politischen Aufschrei      chen und gerichtlichen Entscheidungspraxis. Der IS hat-

4   — Tätigkeitsbericht 2018
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Politischer Rückblick

te im Nahen Osten sein Kalifat ausgerufen und im Zuge       ten einzuklagen. 2018 wurden rund ein Drittel aller von
weiterer Eroberungen Tausende von Jesid_innen getötet,      den Verwaltungsgericht inhaltlich überprüften Bescheide
misshandelt, vergewaltigt und versklavt.                    als falsch oder mangelhaft aufgehoben. Wohl keine ande-
   In seiner Analyse „Der eigentliche BAMF-Skandal – erst   re deutsche Behörde könnte sich eine solche Fehlerquoten
der Rufmord, dann die Recherche?“ kommt der Rechtswis-      erlauben.
senschaftler Professor Dr. Henning Ernst Müller zu dem         Die Debatte um den vermeintlichen Skandal führt vor
Schluss, dass die von den involvierten Kanzleien manda-     Augen, wie es um die politische Kultur in Deutschland
tierten Schutzsuchenden in Bremen zwar bevorzugt und        mittlerweile bestellt ist. Dabei tritt die humanitäre Ver-
wohlwollend behandelt und wohl auch Verwaltungsvor-         antwortung, Schutzbedürftigen Schutz vor Verfolgung
schriften missachtet worden seien. Die Frage, ob sich die   und gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu bieten,
Leiterin der Bremer Außenstelle und die Anwälte straf-      immer weiter in den Hintergrund. Mit der Ernennung
bar gemacht hätten, sei jedoch mit einem großen Frage-      von Hans-Eckhard Sommer zum neuen BAMF-Leiter sieht
zeichen zu versehen. Die Ermittlungen sind noch nicht       es nicht danach aus, als würde sich die Behörde auf ihre
abgeschlossen. Seit über einem Jahr sind mehr als 40        eigentlichen Aufgaben konzentrieren und dafür Sorge
Beamt_innen mit „intensiven Ermittlungen“ beschäftigt.      tragen, die eigene Fehlerquote zu senken. Vielmehr agiert
Rechtsanwalt Henning Sonnenberg stellte gegenüber der       Sommer wie ein Politiker und attackiert die Landesflücht-
Süddeutschen Zeitung treffend fest, normalerweise sei       lingsräte wegen angeblich rechtswidriger Aktivitäten.
es im Strafrecht so, „dass du eine Tat hast und den Täter
suchst. Hier hat man vermeintliche Täter und sucht ver-     Konsequenzen der
zweifelt eine Tat.“                                         europäischen Abschottungspolitik
   Für Politik und Medien ist es hingegen kein Skandal,     Während die hysterische Debatte in Deutschland un-
wenn Geflüchtete vom BAMF benachteiligt werden. Etwa        vermindert weitergeführt wird, ist die Zahl der Schutz-
32.000 Fehlentscheidungen des BAMF mussten 2017 von         suchenden nach wie vor hoch: Insgesamt 68,5 Millionen
den Gerichten zugunsten von Geflüchteten korrigiert         Menschen sind mittlerweile weltweit auf der Flucht. Doch
werden. 40,8 % der Schutzsuchenden hatten Erfolg, bei       da es immer weniger dieser Menschen überhaupt nach
Gericht einen zuvor verweigerten Schutzstatus oder ei-      Deutschland schaffen, ist davon hierzulande wenig zu
nen besseren Schutzstatus als den vom BAMF zuerkann-        spüren. So wurde hier ein Rückgang der gestellten Asyl-

  Demonstration „Herz statt Hetze“ am 12. September 2018 in Hildesheim
  © Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

                                                                                       Tätigkeitsbericht 2018 —     5
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

anträge um 20 Prozent verzeichnet, was den deutschen           Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt,
UNHCR-Repräsentanten Dominik Bartsch zu der Aussage            dass allein in der Sahara-Wüste mehr als doppelt so viele
verleitete, die Flüchtlingskrise fände woanders statt, zum     Migrant_innen sterben wie auf dem Mittel­meer, oftmals
Beispiel in Ländern wie Bangladesch oder Libanon. Ohne         auch als Opfer von Menschenhändler_innen. Auch in den
die äußerst schwierige Lage in diesen Ländern fernab der       libyschen Folterlagern sterben immer wieder Menschen
EU klein zu reden, gleicht auch die Lage an den südöstlich     oder werden ermordet. Derweil fließen Gelder in Mil-
von Deutschland auf dem Balkan gelegenen EU-Außen-             lionenhöhe aus Deutschland und anderen EU-Staaten in
grenzen einer humanitären Krise. So zählte UNHCR in der        Länder wie Niger, Libyen oder Sudan – Länder, in denen
zweiten Dezemberhälfte 2018 knapp 4.500 Flüchtlinge,           korrupte Systeme und Diktaturen herrschen und Men-
die in Serbien festsitzen und gerne in die EU einreisen wür-   schenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind –,
den, denen der Zutritt jedoch verwehrt bleibt. Der Groß-       damit diese ihre Grenzen effektiver abriegeln und teils
teil von ihnen sitzt in den offiziellen staatlichen Camps      unkontrollierte Milizen einsetzen, um Menschen am Flie-
ohne jede Perspektive fest, da das wirtschaftlich schwa-       hen zu hindern. Während viele von ihnen, beispielsweise
che Serbien ihnen keinen Ausweg bietet. Leonie Krügener        aus Eritrea, gute Chancen hätten, in Europa Asyl zu be-
und Moritz von Galen, die sich mit anderen Aktivist_innen      kommen, werden sie an innerafrikanischen Grenzen von
im Winter 2018/19 vor Ort ein Bild von der Lage gemacht        Grenzposten aufgegriffen, in Transitlager gebracht oder
haben, halten fest: „Zum Teil berichten die Geflüchteten       direkt zurück in ihre Heimatländer verfrachtet. Diese ef-
von Gewalt und Diebstählen in den serbischen Camps. Sie        fektive Verlagerung der EU-Außengrenzen nach Afrika
verlassen die offiziellen Unterkünfte und beziehen verlas-     hat außerdem zur Folge, dass die fliehenden Menschen
sene Gebäude in Grenznähe, wo sie unter unwürdigen Be-         auf die weniger patrouillierten und lebensbedrohlichen
dingungen leben müssen. So harren 50 bis 60 Menschen           Routen durch die Wüste ausweichen – mit dem Ergebnis,
derzeit in verfallenen Gebäuden auf dem Bahnhofsgelän-         dass sich dort unzählige Menschen verirren und qualvoll
de der serbischen Kleinstadt Subotica aus und 30 bis 40        verdursten. Augenzeugenberichten zufolge gleicht die
weitere Geflüchtete leben in verlassenen Scheunen nahe         Sahara bereits einem „riesigen Friedhof“ – all dies fernab
dem Grenzdorf Horgoç. Bei Minusgraden und regelmäßi-           der Augen der Verantwortlichen, die diese Verträge hier-
gem Schneefall wärmen sich die Menschen in den Bahn-           zulande als „Bekämpfung der Fluchtursachen“ verkaufen.
hofsgebäuden am Feuer und klagen über schlaflose Näch-
te, weil Decken und Schlafsäcke in den zugigen Räumen          Abschiebungen um jeden Preis
nicht genügend wärmen. Trinkwasser muss mit Kanistern          Doch beherrscht werden die medialen Debatten und poli-
von einem öffentlichen Brunnen beschafft werden, An-           tischen Diskussionen nicht von den Toten im Mittelmeer
schluss an die Stromversorgung gibt es keine.“                 und in der Wüste oder den misshandelten, teilweise ver-
   Ebenso steht die Lage in Libyen in unmittelbarem Zu-        sklavten Inhaftierten in Libyen, sondern vor allem von der
sammenhang mit der umfassenden Abriegelung der Eu-             vermeintlichen Notwendigkeit einer rigoroseren Abschie-
ropäischen Union gegenüber Geflüchteten. So wird die so-       bepraxis. Dies führt allerdings auch dazu, dass immer
genannte „libysche Küstenwache“ von der EU mit Geldern         mehr Menschen unter massiver Verletzung ihrer Rechte in
in Millionenhöhe unterstützt. Tatsächlich handelt es sich      Abschiebungshaft genommen werden oder gar unmittel-
hierbei um einen Zusammenschluss von Milizen, gegen            bar an der Grenze festgenommen und inhaftiert werden.
den der Internationale Gerichtshof in Den Haag ermittelt,      Während die Bundesregierung laut einem im Januar 2019
nicht zuletzt da die „libysche Küstenwache“ regelmäßig         in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Artikel weiter-
Geflüchtete mit illegalen Pushbacks in die libyschen Fol-      hin „keinen Zweifel daran“ hat, dass auch in Sachen Ab-
terlager zurückbringt. Bei diesen Pushbacks wendet sie         schiebungshaft „ein umfassender Schutz von Grund- und
regelmäßig Gewalt an und bedroht das Leben der Ge-             Menschenrechten gewährleistet ist“, kommen sowohl der
flüchteten in Seenot sowie das der Seenotretter_innen.         Bundesgerichtshof als auch Rechtsanwalt Peter Fahlbusch
Diese immer gnadenloser betriebene Verhinderung von            aus Hannover zu gänzlich anderen Ergebnissen.
Flucht führte auch dazu, dass sich im letzten Jahr weniger        Rechtsanwalt Fahlbusch hat seit dem Jahr 2001 bundes-
Menschen auf die gefährliche Route über das Mittelmeer         weit insgesamt 1.713 Mandant_innen in Abschiebungs-
gewagt haben – was letztlich nur bedeutet, dass sich der       haftverfahren vertreten. 842 dieser Mandant_innen, d. h.
Ort des Sterbens verlagert hat: Die Zahl der Toten im Mit-     knapp 50 %, wurden gemäß rechtskräftiger Entscheidun-
telmeer ist nach wie vor hoch, allein 2018 sind über 2.200     gen rechtswidrig inhaftiert (manche „nur“ einen Tag, an-
Menschen auf dieser Fluchtroute gestorben. Eine weitaus        dere monatelang). Zusammengezählt kommen seine 842
größere Zahl von Flüchtlingen kommt jedoch inzwischen          Mandant_innen auf 22.077 rechtswidrige Hafttage, was
auf den innerafrikanischen Fluchtrouten ums Leben; Die         gut 60 Jahren rechtswidriger Inhaftierungen entspricht.

6   — Tätigkeitsbericht 2018
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Politischer Rückblick

  Protest „Stop Europe
  Funding Slavery in Libya“
  © Flüchtlingsrat
  Niedersachsen e. V.

Im Durchschnitt befand sich damit jede_r Mandant_in             fügen Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen zwar
knapp 4 Wochen zu Unrecht in Haft. Bereits im Jahr 2014         über eigene Abschiebungshafteinrichtungen, allerdings
konstatierte die Richterin am Bundesgerichtshof Johanna         nicht über ein entsprechendes Gesetz, das die Rechte und
Schmidt-Räntsch, dass sich „geschätzt 85 bis 90 Prozent“        Pflichten der Gefangenen verbindlich regelt, obgleich das
aller Abschiebungshaftanordnungen „als rechtswidrig“            Bundesverfassungsgericht bereits 1972 entschieden hat,
erweisen.                                                       dass es im Rahmen von Freiheitsentziehungen stets eines
   Doch die Bundesregierung zieht es weiterhin vor, Reali-      solchen Gesetzes bedarf. Die niedersächsische Landesre-
täten zu leugnen und Gesetze nochmals zu verschärfen,           gierung hat zwar mitgeteilt, an einem solchen Gesetz zu
anstatt das System der Abschiebungshaft – endlich – auf         arbeiten, greifbare Ergebnisse bleibt sie bislang allerdings
den Prüfstand zu stellen. So möchte zwar auch die Bun-          schuldig.
desregierung die Vorschriften zur Abschiebungshaft re-             Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass Men-
formiert sehen, allerdings nicht, um die Rechte der Betrof-     schen in Abschiebungshaft sich immer wieder das Leben
fenen zu stärken beziehungsweise zu schützen, sondern           nehmen, in den Hungerstreik treten oder schwere Vor-
schlicht um die „Hürden für die Anordnung der Abschie-          würfe gegenüber den Bediensteten von Abschiebungs-
bungshaft zu senken“. Hierdurch soll die „nationale Kraft-      hafteinrichtungen erheben, ein untragbarer Zustand.
anstrengung“ bei der Erhöhung der Abschiebungszahlen
erleichtert und zugleich die hohe Quote rechtswidriger          Nach wie vor Abschiebungen
Inhaftierungen verringert werden – wobei für die Bundes-        nach Afghanistan
regierung jedes Mittel den Zweck zu heiligen scheint, wen       Die mit allen Mitteln betriebene Intensivierung der Ab-
auch immer, was auch immer es kostet.                           schiebepolitik zeigt sich am deutlichsten am Umgang mit
   Die Debatte um das – vermeintliche – Defizit an Ab-          Afghanistan, einem Land, in welches wider besseren Wis-
schiebungshaftplätzen ist das Resultat einer Migrations-        sens nach wie vor abgelehnte Asylbewerber_innen abge-
politik, deren oberste Prämisse es ist, die Zahl der Abschie-   schoben werden. So bewertet die Forschungsstelle ACLED,
bungen zu erhöhen, und die hierbei jedes Maß zu verlieren       die weltweit bewaffnete Konflikte auswertet, Afghanis-
scheint. Seit 2017 erleben wir geradezu eine Renaissance        tan als den derzeit weltweit tödlichsten Staat mit fast
der Abschiebungshaftgefängnisse. Mittlerweile verfügen          so vielen Todesopfern im Jahr 2018 wie in Syrien und im
zehn Bundesländer (wieder) über eigene Abschiebungs-            Jemen zusammen. Allein in Afghanistan kamen im letz-
hafteinrichtungen, während die übrigen Länder – mit             ten Jahr (offiziell erfasst) 3.804 Zivilist_innen zu Tode, da-
Ausnahme Thüringens und des Saarlandes – (teilweise in          runter 927 Kinder (zudem wurden über 7.000 Menschen
Kooperation) Eröffnungen planen.                                verletzt). Afghanistan hat damit das tödlichste Jahr hinter
   Auch in anderer Hinsicht weist der Vollzug der Abschie-      sich, seitdem die Zahl der zivilen Todesopfer im Oktober
bungshaft in Deutschland erhebliche Mängel auf: So ver-         2010 erstmals erfasst wurde. ACLED führt diesen Anstieg

                                                                                             Tätigkeitsbericht 2018 —       7
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

unter anderem auf eine erstarkte Präsenz von ISIS-Trup-      Ausnahme­fällen, nämlich bei Vorliegen schwerer Straf-
pen in Afghanistan zurück, die, zu einem großen Teil aus     taten, nach Afghanistan ab. Auch wenn der Flüchtlingsrat
Syrien und dem Irak zurückgedrängt, ihren Terror nun         diese Zurückhaltung begrüßt, fehlt es nach wie vor an ei-
zunehmend auf die afghanische Zivilbevölkerung rich-         nem öffentlich erklärten Abschiebungsstopp. Ein solcher
ten. UNHCR veröffentlichte zuletzt im August 2018 einen      würde der verbreiteten Verunsicherung innerhalb der af-
neuen Bericht zu Afghanistan, nach dem Kabul ausdrück-       ghanischen Community entgegenwirken.
lich nicht mehr als interne Fluchtalternative gelten kann       Besorgniserregend sind Berichte aus anderen Bundes-
– woraufhin einige EU-Staaten wie zum Beispiel Finnland      ländern, aus denen nicht nur Menschen abgeschoben
jegliche Abschiebungen nach Afghanistan eingestellt ha-      werden, die hierzulande eine Ausbildung absolvieren,
ben. Deutschland scheint jedoch unbeeindruckt. So hat        sondern auch solche, die schwer traumatisiert sind. Me-
die Bundesregierung im Juni des letzten Jahres ihre Ein-     diale Aufmerksamkeit erregte insbesondere der Fall eines
schränkungen für Abschiebungen nach Afghanistan auf-         23-jährigen Afghanen, der sich kurz nach seiner Abschie-
gehoben. Immerhin nahmen 13 der 16 Bundesländer dies         bung nach Kabul in einer Übergangsunterkunft das Le-
nicht zum Anlass, etwas an ihrer bisherigen Abschiebe-       ben nahm. Der junge Mann hatte zuvor bereits 8 Jahre
praxis zu ändern und etwa mehr Menschen nach Afgha-          in Deutschland gelebt. Er gehörte zu den 69 Personen,
nistan abzuschieben.                                         die am gleichen Tag wie Bundesinnenminister Seehofers
   Nichtsdestotrotz werden im Rahmen der Dublin-Ver-         69. Geburtstag abgeschoben wurden, wie dieser damals
ordnung Menschen in EU-Länder wie zum Beispiel Schwe-        amüsiert kommentierte.
den überstellt, die abgelehnte Asylbewerber_innen durch-        Ungeachtet der Frage der Abschiebungen nach Afgha-
aus nach Afghanistan abschieben. Deutschland nimmt           nistan erhalten immer weniger schutzsuchende Afghan_
also billigend in Kauf, dass mit einer Dublin-Überstellung   innen in Deutschland einen Schutzstatus: Lag die Schutz-
oftmals eine Kettenabschiebung in Gang gesetzt wird, die     quote 2015 noch bei bereinigt 80 %, ist sie mittlerweile auf
Menschen über den Umweg eines Drittstaates de facto          unter 50 % gesunken. Diese Entwicklung resultiert bedau-
eben doch nach Afghanistan abschiebt. Dies erscheint         erlicherweise nicht aus einer tatsächlichen Verbesserung
moralisch zumindest fragwürdig.                              der Sicherheitslage in Afghanistan, sondern ist vielmehr
   Die Haltung der niedersächsischen Landesregierung         Folge einer vergifteten (asyl)politischen Stimmungs­lage.
ist unverändert. Ebenso wie einige andere Bundes­            Teile der Bundesregierung, allen voran Innenminister
länder schiebt auch Niedersachsen nach wie vor nur in        Horst Seehofer und der von ihm aus dem bayerischen

    Demonstration gegen Abschiebungen nach Afghanistan am 3. November 2018 in Hannover
    © Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

8    — Tätigkeitsbericht 2018
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Politischer Rückblick

Innen­ministerium zum Präsidenten des BAMF beförderte          Eine solche Entwicklung wird sich mit einer nieder-
neue Behördenleiter Hans-Eckhard Sommer leugnen die         sächsischen Abschiebungszentrale weiter verschärfen.
Realitäten und bemühen sich, das grundgesetzlich ver-       Denn eine Ausländerbehörde vor Ort wird über aktuelle
ankerte Asylrecht durch eine möglichst restriktive Aus-     Entwicklungen stets besser informiert und näher an den
legung des materiellen Schutzbereichs mehr und mehr         Betroffenen dran sein als eine weit entfernte Landes-
einzuschränken.                                             abschiebungsbehörde: Auch künftig werden geduldete
                                                            Flüchtlinge bei ihren Kommunen Ausbildungsduldungen
Vorbereitungen für eine niedersächsische                    beantragen, Heiraten anmelden oder Operationen im
Abschiebungszentrale                                        Krankenhaus terminieren, während eine zentrale Auslän-
Auch in Niedersachsen finden inzwischen wieder skan-        derbehörde in Unkenntnis solcher Entwicklungen die Ab-
dalöse Abschiebungen statt, die zeigen, wie sehr manche     schiebungsmaschinerie in Gang setzt.
Ausländerbehörden in dem Bemühen, härter vorzuge-              Während der Entwurf annimmt, dass die Rückkehr von
hen und mehr Abschiebungen umzusetzen, humanitäre           Personen ohne Aufenthaltsrecht sowohl auf nationaler
Fragen ausblenden. Im Januar 2019 wurde eine Familie        als auch auf europäischer Ebene zur „politischen Priorität“
trotz anderslautender Erlasslage bei der Abschiebung        geworden sei, hält der Flüchtlingsrat gleichwohl fest, dass
getrennt: Der schwerkranke Familienvater musste ins         eine solche Priorisierung nicht angezeigt ist. Immerhin
Krankenhaus eingeliefert werden, während die Ehefrau        ist trotz der deutlich gestiegenen Aufnahme von Schutz-
und die minderjährige Tochter allein nach Montenegro        suchenden die Zahl der geduldeten und ausreisepflichti-
abgeschoben wurden. Im März 2018 schob der Landkreis        gen Flüchtlinge seit 2014 um nicht einmal 50 % gestiegen.
Wesermarsch den Ehemann einer schwer traumatisier-          Dagegen hat sich die Zahl der Menschen, die in Nieder-
ten, suizid­gefährdeten Patientin nach Aserbaidschan ab,    sachsen als Schutzberechtigte anerkannt wurden, seit
während die Ehefrau in die Psychiatrie eingeliefert wer-    2014 nahezu verfünffacht. Insofern sollte der politische
den musste. Abschiebungen zur Nachtzeit sind in Nieder-     Schwerpunkt auf der Integrations- und Teilhabepolitik lie-
sachsen mittlerweile schon fast zur Regel geworden. Im      gen, die auf eine Perspektive in Niedersachsen abzielt, und
Dezember 2018 drangen Polizei und Behörden in Göttin-       nicht auf einer „Förderung der freiwilligen Rückkehr“.
gen in die Wohnung der Schwester ein, um einen Mann
nach Bosnien­-Herzegovina abzuschieben, der auf Medika-     Lichtblicke
mente und Hilfe im Alltag angewiesen ist.                   Sprachlich hielt das Land Niedersachsen 2018 weiterhin
   In Niedersachsen finden die Bemühungen der Landesre-     am Ziel einer Integration von Geflüchteten fest und führ-
gierung um eine Intensivierung von Abschiebungen ihren      te den 2016 von Landesregierung, Tarifpartnern und Kom-
vorläufigen Höhepunkt in der geplanten Schaffung einer      munalen Spitzenverbänden angeführten Prozess einer
„Zentralen Ausländerbehörde“: Laut einem „Entwurfspa-       systematischen Durchdeklinierung von Maßnahmen für
pier“ des Innenministeriums vom 11. Januar 2019 will die    eine kohärente Integrationsplanung unter dem Stichwort
Landesregierung den örtlichen Ausländerbehörden die         „Niedersachsen packt an“ fort. Auch wenn nicht alle Maß-
Zuständigkeit für den ausländerrechtlichen Umgang mit       nahmen und Veranstaltungen von Erfolg gekrönt waren
abgelehnten Flüchtlingen entziehen und zukünftig selbst     und Aktivitäten von Basisgruppen oftmals zu kurz kamen,
entscheiden, welche Personen geduldet und welche ab-        setzt das Land mit seiner von der Staatskanzlei koordinier-
geschoben werden. Dazu soll eine „Zentrale Ausländer-       ten Agenda doch ein Zeichen dafür, dass die Partizipation
behörde“ mit bis zu 200 Angestellten geschaffen werden.     und Unterstützung der Geflüchteten in Niedersachsen
Mit der Umsetzung soll Mitte 2019 begonnen werden.          auch weiterhin einen hohen Stellenwert hat. Dazu gehört
   Der Flüchtlingsrat Niedersachsen lehnt die geplante      unter anderem auch, dass Maßnahmen zur Förderung von
Schaffung einer niedersächsischen Abschiebungs­behörde,     Partizipation und Teilhabe sowie Beratungsdienste und
die zunächst an die Landesaufnahmebehörde angebun-          Sprachkurse verlängert und teilweise sogar ausgebaut
den werden soll, mit Nachdruck ab. Bereits jetzt werden     wurden. Doch auch bei konfliktbehafteten Themen ist die
teilweise Menschen abgeschoben, bei denen schwere           Bereitschaft zum kritischen Dialog und zur Auseinander-
Krankheiten attestiert wurden oder Gerichtsverfahren an-    setzung bei weiten Teilen der Landesregierung nach wie
hängig sind. Mehrfach ist es auch in Niedersachsen in den   vor vorhanden.
letzten Jahren zu rechtswidrigen Abschiebungen und Ab-         Eine erfreuliche Entwicklung ist bei den Flüchtlings-
schiebungsversuchen gekommen, weil die örtlichen Be-        bürgschaften festzustellen. Nach langen Debatten haben
hörden über den aktuellen Stand nicht informiert waren      sich Bund und Länder auf Betreiben des niedersächsi-
oder noch schnell vor Fristablauf eine Abschiebung durch-   schen Innenministers Boris Pistorius Anfang 2019 endlich
setzen wollten.                                             auf eine Lösung geeinigt, die jedenfalls für alle Bürg_in-

                                                                                       Tätigkeitsbericht 2018 —      9
Menschenrechtsarbeit unter verschärften Bedingungen. Unser Tätigkeitsbericht 2018 - Flüchtlingsrat - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

  Luara Rosenstein, Sebastian Rose und Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen im Gespräch mit
  Sozialministerin Dr. Carola Reimann im Rahmen der Veranstaltung zum 3. Jahrestag des Bündnisses
  „Niedersachsen packt an“ am 6. November 2018 in Hannover

nen aus Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen           Erfreulich ist auch die Arbeit der niedersächsischen
einen Verzicht auf Kostenerstattungsforderungen im Re-        Härtefallkommission, die weiterhin sachbezogen und
gelfall vorsieht und zur Hälfte vom Bund, zur Hälfte von      nach humanitären Kriterien über Einzelfälle berät und
diesen drei Bundesländern finanziert wird. In allen drei      Empfehlungen an den Innenminister formuliert. Aller-
Bundesländern hatte die jeweilige Landesregierung die –       dings mehren sich in letzter Zeit die Fälle, bei denen der
später vom Bundesverwaltungsgericht korrigierte – Auf-        niedersächsische Innenminister den Empfehlungen der
fassung vertreten, dass Verpflichtungserklärungen mit         Härtefallkommission nicht folgt. Diese Entwicklung wird
der Flüchtlingsanerkennung erlöschen würden.                  weiter im Auge zu behalten sein.
   Die Bürg_innen hatten die Verpflichtungserklärungen
im Rahmen des niedersächsischen Landesaufnahmepro-            Asylpolitische Verschärfungen
gramms abgegeben, um Verwandte in Deutschland be-             statt Integration
findlicher Syrer_innen das Entkommen aus den Kriegswir-       Die asylpolitischen Verschärfungen des Jahres 2018 be-
ren und die Einreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen,    schränken sich bei weitem nicht auf das Thema Abschie-
ohne sie den immensen Gefahren einer Flucht auszuset-         bung und Ausreise. Bedenklich sind auch die vom BMI und
zen. Für ihre Courage wurden die Flüchtlingsbürg_innen        BAMF einseitig verfügten Verschärfungen für Kirchenasy-
mit bis zu sechsstelligen Rückzahlungsforderungen der         le, die von evangelischer wie katholischer Seite heftig kri-
Jobcenter konfrontiert. Der niedersächsische Innenminis-      tisiert wurden. Zur Verschärfung gehört, die Frist für die
ter Pistorius und Ministerpräsident Weil machten sich die     mögliche Überstellung von Asylsuchenden in ein anderes
Auffassung des Nds. Flüchtlingsrats zu eigen, dass Men-       europäisches Land von sechs auf künftig 18 Monate zu er-
schen, die sich auf die Zusagen von Behörden und Politik      höhen, wenn bei der Meldung eines Kirchenasyls kein_e
verlassen haben, nach der die Verpflichtung mit der Flücht-   kirchliche_r Ansprechpartner_in klar benannt ist, inner-
lingsanerkennung erlöschen werde, die Solidarität von         halb eines Monats kein Dossier zu dem Fall eingeht oder
Politik und Gesellschaft verdient haben, und setzten die      der/die Antragsteller_in trotz nochmaliger Ablehnung
Lösung gegen erhebliche politische Widerstände durch.         durch das Bundesamt im Kirchenasyl bleibt. Kirchenge-

10 — Tätigkeitsbericht 2018
Politischer Rückblick

  Mahnwache des Flüchtlingsrats Niedersachsen und der Flüchtlingshilfe Wolfsburg im Dezember 2018 vor dem
  Niedersächsischen Landtag; Günter Schütte von der Flüchtlingshilfe Wolfsburg im Gespräch mit Innenminister
  Pistorius und der Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe Schröder-Köpf
  © Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

meinden wird es so deutlich erschwert, die Begleitung       abgelehnt, so dass die Beratungsstellen ihre Arbeit nicht
und Versorgung der Schutzsuchenden zu organisieren, die     fortsetzen konnten. Für den Flüchtlingsrat Niedersachsen
über einen viel längeren Zeitraum hinweg gewährleistet      ist klar, dass das verbriefte Recht auf körperliche Unver-
werden müssen.                                              sehrtheit sowie der Zugang zu medizinischer Versorgung
  Im Feld der Familienzusammenführung ist wie schon         unabhängig vom Aufenthaltsstatus einer Person gewähr-
bisher frustrierend, dass die Bundesregierung grundge-      leistet sein muss. Um die Gesundheitsversorgung von
setzlich verbriefte Rechte von Flüchtlingen missachtet.     Papierlosen zu garantieren, muss aus dem Modellprojekt
Die im Sommer 2018 eingeführte Neuregelung, die 1.000       „Anonymer Krankenschein“ eine dauerhafte und vor al-
Menschen pro Monat den Nachzug zu Menschen mit so-          lem landesweite Maßnahme auf gesicherter Grundlage
genanntem „subsidiären Schutzstatus“ ermöglichen soll,      werden.
hat sich als ein Instrument entlarvt, um Familiennachzug
zu verhindern oder auf die lange Bank zu schieben.          Eine solidarische Gegenbewegung
  Aus dem Rechtsanspruch auf Familienzusammen-              Ungeachtet – oder vielmehr als Folge – der steten Dis-
führung für Flüchtlinge wurde ein willkürlicher Gnaden-     kursverschiebung nach Rechts erlebten menschenrechts-
akt im Ermessen der Behörden. Eine der Folgen ist, dass     basierte und solidarische Positionen im Laufe des Jahres
tausende Flüchtlingsfamilien mittlerweile drei Jahre und    2018 ein fulminantes Comeback im öffentlichen Raum.
länger voneinander getrennt sind, weil Deutschland die      Bei Großdemonstrationen wie „Ausgehetzt“ in München
Visumsverfahren verschleppt und behindert.                  (50.000 Menschen, 22. Juli 2018), „Wir sind mehr“ in Chem-
  Eine bedauerliche Entwicklung in Niedersachsen ist,       nitz (65.000 Menschen, 3. September 2018), „We’ll Come
dass das Modellprojekt der Anlauf- und Vergabestelle        United“ in Hamburg (30.000 Menschen, 29. September
für einen „Anonymen Krankenschein“ in Hannover und          2018) und „Unteilbar“ in Berlin (250.000 Menschen, 13.
Göttingen Ende November 2018 ausgelaufen ist. Eine Ver-     Oktober 2018) setzten Hunderttausende ein kraftvolles
längerung oder Fortentwicklung hat die Landesregierung      Zeichen für eine offene und solidarische Gesellschaft. Zu-

                                                                                       Tätigkeitsbericht 2018 —     11
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

                                                                In breiten zivilgesellschaftlichen Bündnissen wird der
                                                              Flüchtlingsrat Niedersachsen auch weiterhin daran arbei-
                                                              ten, solidarische und menschenrechtsbasierte Stimmen
                                                              hörbar zu machen, und sich dafür einsetzen, dass die asyl-
                                                              und aufenthaltsrechtlichen Regelungen zumindest einge-
                                                              halten und bestenfalls liberalisiert statt immer weiter ver-
                                                              schärft werden. Nicht zuletzt lebt Demokratie von einer
                                                              lebendigen, funktionierenden Zivilgesellschaft, die sich
                                                              erstarkenden rechtspopulistischen Tendenzen in den Weg
                                                              stellt und für die Rechte aller Menschen eintritt.

                                                              Vorstand
                                                                               Claire Deery (Vorstandsvorsitzende)
                                                                               Rechtsanwältin
                                                                               Tel.: 05 51 / 4 26 10
                                                                               cd(at)nds-fluerat.org

                                                                               Sigrid Ebritsch
                                                                               Diplom Pädagogin
                                                                               Tel.: 05 11 / 83 64 15
                                                                               sigrid(at)ebritsch.com

                                                                               Anke Egblomassé
                                                                               Diplom Soziologin
                                                                               ae(at)nds-fluerat.org
     Rund 25.000 Menschen demonstrierten auf der
     antirassistischen Parade des Bündnisses we’ll come
     united am 29. September 2018 in Hamburg
                                                                               Dündar Kelloglu
                                                                               Rechtsanwalt
dem gingen seit dem Sommer 2018 in hunderten SEEBRÜ-                           Tel.: 05 11 / 1 39 34
CKE-Demonstrationen und Kundgebungen insgesamt                                 kelloglu-rauls(at)t-online.de
mehr als 300.000 Menschen auf die Straße. Zugleich ge-
wann – in Ergänzung zu Kirchenasylen – die Kampagne
Bürger*innenasyl an Zulauf, mit der aus der Zivilgesell-                       Thomas Heek
schaft heraus versucht wird, Schutz für von Abschiebung                        Caritasstelle Friedland
Bedrohte zu organisieren.                                                      Tel.: 0 55 04 / 85 61
  Bei all diesen Demonstrationen und Aktivitäten wird                          th(at)nds-fluerat.org
immer wieder deutlich, dass universelle Menschenrechte,
Solidarität und das Recht auf Flucht gesellschaftlich mehr-
heitsfähig sind, selbst wenn – befeuert von Politiker_in-
nen von AfD, CSU und CDU sowie von rechtskonservativen
Kommentator_innen – weiterhin Themen wie Abschot-
tung, Ausgrenzung, Abschiebung und der Einschränkung
von Rechten Geflüchteter die mediale und politische De-
batte dominieren.

12    — Tätigkeitsbericht 2018
Veranstaltungen

2 Veranstaltungen
2.1     Treffen niedersächsischer
                                                                 tik nach der Regierungsübernahme der neuen rot-schwar-
        Flüchtlingsinitiativen
                                                                 zen Landesregierung sowie der Neuauflage der Großen
Die vielen ehrenamtlichen Initiativen, Gruppen und Ver-          Koalition auf Bundesebene. Im weiteren Teil des Nachmit-
eine in Niedersachsen, die sich vor Ort für die Rechte der       tags konnte die Arbeit in kleinen Arbeitsgruppen vertieft
Geflüchteten einsetzen, treffen sich mehrmals jährlich           werden. Die erste Gruppe widmete sich der konkreten
zum Austausch, zur gemeinsamen Fortbildung und zur               Vernetzung der Lüneburger Initiativen und Gruppen. Eine
Diskussion aktueller flüchtlingspolitischer Themen. Der          zweite Arbeitsgruppe bot vertiefenden Austausch zum
Kreis ist offen für alle Interessierten: Eingeladen sind stets   Umgang mit Situationen akuter Abschiebungsgefahr und
Unterstützer_innen und Geflüchtete – ganz unabhängig             Hinweise zum allgemeinen Fallmanagement.
davon, ob sie in einer Flüchtlingsinitiative, einer Selbstor-       Einen Monat später, im Juni 2018 lud der Flüchtlings-
ganisation oder einem Verein aktiv sind oder nicht. Eine         rat Niedersachsen dann gemeinsam mit der Flüchtlings-
Mitgliedschaft im Flüchtlingsrat Niedersachsen ist nicht         hilfe Wolfsburg e. V. und dem Verein niedersächsischer
erforderlich.                                                    Bildungsinitiativen e. V. zum regionalen Initiativentreffen
   Auch 2018 ging es weiter. Dieses Mal wurde ein neues          nach Wolfsburg ein. Bei guter Atmosphäre wurde intensiv
Konzept verfolgt. Die Treffen im Jahr 2018 organisierte der      zu den Themen Familienzusammenführung, Arbeit und
Flüchtlingsrat Niedersachsen dezentral in vier verschie-         Ausbildung sowie Wohnen und Unterbringung intensiv
denen niedersächsischen Regionen: jeweils ein Treffen in         gearbeitet. Anschließend wurde die antirassistische Para-
Lüneburg, in Wolfsburg, in Dannenberg (Elbe) (Landkreis          de we’ll come united näher vorgestellt, die Ende Septem-
Lüchow-Dannenberg) sowie Buchholz in der Nordheide               ber 2018 in Hamburg organisiert wurde.
(Landkreis Harburg). Auf den regionalen Initiativentreffen
sollte lokalen und regionalen Gruppen, Vereinen und Ini-
tiativen die Teilnahme erleichtert und eine gegenseitige
Vernetzung gefördert werden.
   Auftakt des neuen regionaleren Formats war das Tref-
fen Anfang Mai 2018 in Lüneburg, das gemeinsam mit der
amikeco-Willkommensinitiative e. V. Lüneburg und dem
Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen e. V. organi-
siert wurde. Ein Thema des Treffens waren Perspektiven
für die niedersächsische Flüchtlings- und Migrationspoli-

                                                                   Regionales Initiativentreffen in Wolfsburg
                                                                   © Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

                                                                    Ende 2018 trafen dann Aktive in Dannenberg (Elbe) so-
                                                                 wie in Buchholz in der Nordheide zusammen, um aktu-
                                                                 elle flüchtlingspolitische Themen zu diskutieren. Dabei
                                                                 kamen frauenspezifische asylrechtliche Fragestellungen,
                                                                 Fragen des Arbeitsmarktzugangs für Geflüchtete sowie
  Regionales Initiativentreffen in Lüneburg                      Fragen der Unterbringung und des Wohnens zur Spra-
  © Eva Kern                                                     che. Daneben stellte die Landesarbeitsgemeinschaft der
                                                                 Freiwilligenagenturen und Koordinierungsstellen für das

                                                                                            Tätigkeitsbericht 2018 —      13
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

Ehrenamt in Niedersachsen e. V. (LAGFA) beim Treffen in        stellte das Verwaltungsgericht später fest. Die Deutsche
Buchholz in der Nordheide die Unterstützungsangebote           Botschaft Addis Abeba erklärte den äthiopischen Behör-
für Ehrenamtliche in der Geflüchtetenarbeit vor.               den, dass ein direkter Rückflug mit einer Maschine nach
  Die regionalen Initiativentreffen sowie die Arbeits-         Frankfurt/Main nicht möglich sei und der Mann sich für
ergebnisse werden regelmäßig auf der Homepage des              die Wiedereinreise an die Deutsche Botschaft Harare, Sim-
Flüchtlingsrats Niedersachsen dokumentiert und können          babwe wenden solle, wie aus dem Flüchtlingsrat Nieder-
dort eingesehen werden.                                        sachsen vorliegenden Dokumenten hervorgeht. Die Ab-
                                                               schiebung in den potenziellen Verfolgerstaat Simbabwe
                                                               stellte damit einen groben Verstoß gegen das Non-Re-
2.2       Ausgewählte Veranstaltungen                          foulement-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention dar.
                                                                  Nach monatelanger Begleitung und Unterstützung aus
Verleihung des 2. Fluchthilfepreises 2018                      der Ferne gelang es Sabine Tatge, dass der Mann im Ja-
an Sabine Tatge                                                nuar 2018 wieder nach Niedersachsen einreisen konnte.
Am 9. November 2018 hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen       „Ausgezeichnet wird Sabine Tatge heute vor allem für ihre
e. V. im Rahmen einer Feierstunde in Hannover zum zwei-        Zivilcourage, mit der sie darum gekämpft hat, dass ein zu
ten Mal den Dr. Matthias Lange-Fluchthilfepreis verliehen.     Unrecht abgeschobener Flüchtling wieder nach Deutsch-
Preisträgerin ist Sabine Tatge aus Rodenberg (Landkreis        land zurückkehren konnte. Frau Tatge hat sich in aussichts-
Schaumburg). Sie hat weitgehend auf sich allein gestellt er-   los erscheinender Lage nach der bereits eingeleiteten Ab-
reicht, dass ein rechtswidrig nach Simbabwe abgeschobe-        schiebung mit den Behörden angelegt und dafür gesorgt,
ner Mann nach Deutschland zurückkehren konnte. Durch           dass der Abschiebungsvollzug zunächst auf halber Strecke
ihren selbstlosen und unermüdlichen Einsatz ist es ihr ge-     gestoppt wurde“, erklärte Dündar Kelloglu, Vorstandsmit-
lungen, gegen alle Widerstände der Behörden einem Asyl-        glied des Flüchtlingsrats Niedersachsen in seiner Laudatio.
suchenden zu seinem Recht zu verhelfen.                        „Tatge hat nach der rechtswidrig durchgezogenen Abschie-
   Der junge Mann aus Simbabwe, der mit zwei weiteren          bung nicht aufgegeben, sondern weiter gekämpft und sich
Geflüchteten im Haus von Tatge wohnte, war im Oktober          nicht beirren lassen. Am Ende hat sie dafür gesorgt, dass
2017 ohne Vorankündigung in sein Heimatland abgescho-          das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einlenken
ben worden. Obwohl das Verwaltungsgericht Hannover             und die Abschiebung rückgängig machen musste. Damit
die Unrechtmäßigkeit der Abschiebung feststellte und           hat sie dem Recht zu seinem Recht verholfen, hat frei nach
einen Abbruch des Abschiebungsvollzugs anordnete, als          Hannah Arendt dafür gesorgt, dass Flüchtlinge nicht nur
der Mann sich noch im Flughafentransit in Addis Abeba          Rechte haben, sondern sie auch einlösen können.“
befand, wurde er von dort aus weiter nach Simbabwe                In ihrer Begrüßungsrede erinnerte die Vorsitzende Claire
abgeschoben. „Das BAMF hat den Handlungsbefehl, die            Deery an die Arbeit des 2006 verstorbenen Dr. Matthias
Vollziehung der Abschiebung einzustellen, missachtet“,         Lange, an den der Fluchthilfepreis erinnert, und spann den
                                                               Bogen zu den heutigen Herausforderungen, die sich dem
                                                               Flüchtlingsrat Niedersachsen weiterhin stellen. Matthias
                                                               Lange engagierte sich bereits in den 1980er-Jahren als Lei-
                                                               ter der Flüchtlingsunterkunft „Hotel Astoria“ in Göttingen
                                                               in der Flüchtlingsarbeit und war 1984 Mitbegründer des
                                                               Flüchtlingsrats Niedersachsen.

                                                               1. Unfreiwilliger Spendenlauf Hannover
                                                               Am 9. Juni 2018 planten verschiedene rechte Initiativen
                                                               aus Deutschland und Österreich als „Bürgerbündnis Zeit
                                                               für Deutschland“ eine Demonstration in Hannover. Für
                                                               den 17. Juni 2018 wollte der hannoversche Pegida-Ableger
                                                               den bundesweiten „Tag der Patrioten“ begehen. Für beide
     Dündar Kelloglu, Anna-Maria Muhi, Sabine                  Tage organisierte ein breites Bündnis Protestkundgebun-
     Tatge, Claire Deery, Anke Egblomassé (Vorstand            gen, um gegen Faschismus und rechte Tendenzen und für
     Flüchtlingsrat Niedersachsen, BILDUNGSLABOR) bei          mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität auf die Straße
     der Verleihung des 2. Fluchthilfepreises                  zu gehen.
     © Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.                        Anlässlich dieser Aktivitäten riefen Arbeiterwohlfahrt
                                                               Region Hannover e. V., der DGB Kreisverband Hannover

14    — Tätigkeitsbericht 2018
Veranstaltungen

sowie der Flüchtlingsrat Niedersachsen zudem für den 9.             Innenstadt, sondern hielten nur eine kleine Kundgebung
Juni 2018 zum 1. Unfreiwilligen Spendenlauf in Hannover             mit wenigen Teilnehmer_innen ab. Der solidarische Spen-
auf. Der ging so: Für jeden Teilnehmenden der rechten               denaufruf zugunsten des Flüchtlingsrats Niedersachsen
Demo und pro gelaufenen Kilometer sollte – etwa von                 verlief dennoch erfolgreich. Insgesamt kamen 4.415 € für
Unternehmer_innen oder Einzelpersonen der Stadtgesell-              die Menschenrechtsarbeit zusammen.
schaft – Geld an den Flüchtlingsrat Niedersachsen gespen-
det werden. Die rechten Kundgebungsteilnehmer_innen                 Vielen Dank allen Spenderinnen und Spendern!
verzichteten schließlich auf eine Demonstration durch die

                                                                                (z. B. 1 x
                                                                                            3 km =
                                                                                   3 € für
                                                                              Unterstü die
                                                                                        tzung vo
                                                                               Migrant*           n
         Am 9. Juni 2018 wollen                                                           innen).
         verschiedene rechte Initiativen                                     Der Spe
                                                                                     nd
         aus Deutschland und Österreich                                     darf natü enbetrag
                                                                                      rlich ge
                                                                           auch hö              rne
         als „Bürgerbündnis Zeit für Deutschland“ in Hannover                       her ausf
                                                                                              allen.
         demonstrieren.

         An diesem Tag läuft alles anders und wir ändern die
         Spielregeln. Aus Nazi-Demo wird eine fulminante
         Spendengala! JedeR Teilnehmer*in der Demo erläuft
         eine Spende für die Arbeit des Niedersächsischen
         Flüchtlingsrats e. V.

         Also lassen wir doch die Nazis arbeiten, und zwar gegen
         sich selbst. Wenn auch Sie helfen wollen, dass aus
         rechtspopulistischen Plattheiten etwas Sinnvolles erwächst,
         tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass sich jeder
         Kilometer lohnt. So werden aus rechten Demonstrant*innen
         engagierte Mitarbeiter*innen für einen guten Zweck.

         Mit Ihrer Unterstützung wird ein Aufmarsch von
         Rassist*innen zu einer Integrationshilfe für Flüchtende.

         Wir bitten Sie um Unterstützung für dieses Vorhaben!

         Ihre Spende überweisen Sie bitte an den
         Flüchtlingsrat Niedersachsen:
         IBAN: DE28 4306 0967 4030 4607 00 / BIC: GENODEM1GLS
         Konto 4030 460 700 – GLS Gemeinschaftsbank eG
         BLZ 430 609 67
         Stichwort: Spendenlauf Hannover

         Kontakt für Nachfragen:
         DGB Kreisverband Region Hannover
         Otto-Brenner-Straße 1
         30175 Hannover
         Tel.: 0176 233 12 551

                                                                                  Illustration: Freepik

  Spendenlauf
  Illustration: Freepik

                                                                                                          Tätigkeitsbericht 2018 —   15
Flüchtlingsrat Niedersachsen e. V.

3 Berichte aus der Praxis
3.1      AMBA – Aufnahmemanagement
                                                              Leben in Gemeinschaftsunterkünften: struk-
         und Beratung für Asylsuchende                        turell konflikt- und gewaltfördernd
         in Niedersachsen                                     Gemeinschaftsunterkünfte bedeuten für die Bewoh-
AMBA ist ein Netzwerkprojekt bestehend aus neun Or-           ner_innen mangelnde Privatsphäre, räumliche Enge
ganisationen mit langjähriger und vielfältiger Expertise      und fehlende Rückzugsmöglichkeiten, aber auch soziale
in der Flüchtlingsarbeit. AMBA startete im Juni 2015 zu-      Hierarchien und eingeschränkte Handlungsspielräume;
nächst befristet auf drei Jahre als Pilotprojekt. In diesem   mit diesen und weiteren strukturellen Bedingungen be-
Zeitraum wurden knapp 10.000 Asylsuchende beraten             günstigen die Unterkünfte physische, psychische und se-
und eine Vielzahl von Fortbildungs- und Informationsver-      xualisierte Gewalt, Diskriminierungen und Rassismus. Ins-
anstaltungen für Asylsuchende sowie Haupt- und Ehren-         besondere geflüchtete Frauen und Kinder sind nicht nur
amtliche durchgeführt. Überdies brachte AMBA mehrere          während der Flucht, sondern auch im Aufnahmeprozess
Broschüren sowie weitere Informationsmaterialien her-         in höherem Maße Gewalt ausgesetzt. Übergriffe können
aus und bezog öffentlich im Interesse der Asylsuchenden       dabei von Bewohner_innen, Sicherheitsbediensteten,
in Niedersachsen Stellung. Im Juli 2018 ging AMBA in eine     Mitarbeiter_innen der Betreiber oder ehrenamtlichen
zweijährige Verlängerung.                                     Helfer_innen ausgehen.
                                                                 Hieraus ergibt sich für die Landesaufnahmebehörde –
Verbesserung der Aufnahmebedingungen für                      als zuständige Stelle für die Erstaufnahmeeinrichtungen
Asylsuchende in Niedersachsen                                 – wie auch die Kommunen die besondere Verantwortung,
AMBA verfolgt das Ziel, die Aufnahmebedingungen für           in Gemeinschaftsunterkünften für die Prävention phy-
Asylsuchende in Niedersachsen durch eine Reihe aufei-         sischer, psychischer und sexualisierter Gewalt Sorge zu
nander abgestimmter Maßnahmen zu verbessern. Dabei            tragen und menschenwürdige, schützende und fördernde
arbeitet AMBA engagiert und parteilich im Interesse der       Rahmenbedingungen für alle Bewohner_innen zu schaf-
Asylsuchenden. AMBA kooperiert mit Beratungsstellen           fen. Wenn es zu Gewalt kommt oder ein entsprechender
sowie weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen         Verdacht besteht, braucht es einheitliche und verbindli-
und steht im regelmäßigen Austausch mit Entschei-             che Standards zur Prävention von und zum Umgang mit
dungsträger_innen in Behörden und Ministerien, um ei-         Gewalt , da sie Handlungssicherheit für alle Beteiligten
nen größtmöglichen Beitrag zur bestmöglichen Aufnah-          schaffen und eine ganzheitliche Betreuung in jedem Ein-
me und Integration von Asylsuchenden in Niedersachsen         zelfall so gewährleistet wird.
zu leisten.                                                      Für ein solches einheitliches Vorgehen fehlt indes
                                                              bislang die gesetzliche Grundlage. Zwar verpflichtet
Fachberatung, Informationsbereitstellung,                     die EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) die Mitglieds-
Begleitung der Aufnahmeprozesse                               staaten, den Schutzbedarf vulnerabler Gruppen bei der
Im Rahmen des Netzwerks übernehmen wir neben der              Unterbringung zu berücksichtigen. Die vom Bundesfa-
Netzwerkkoordination die Fachberatung niedersächsi-           milienministerium und UNICEF 2016 unter Beteiligung
scher Beratungsstellen und die Bereitstellung von (Fach)      zahlreicher Expert_innen erarbeiteten „Mindeststan-
Informationen zu flüchtlingspolitischen Themen. Über-         dards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen
dies gewährleisten wir durch regelmäßige Gespräche mit        in Flüchtlingsunterkünften“ haben allerdings ebenso wie
Behörden und Ministerien die Qualitätssicherung im Auf-       die überarbeitete, um weitere schutzbedürftige Gruppen
nahmeprozess und im Asylverfahren, die wir engmaschig         ergänzte Neufassung aus dem Oktober 2018 lediglich
und kritisch begleiten. Im Jahr 2018 hat sich der Flücht-     Empfehlungscharakter.
lingsrat dabei im Schwerpunkt mit Fragen des Gewalt-             Angesichts fehlender bundesgesetzlicher Regelun-
schutzes in Gemeinschaftsunterkünften und der (Nicht-)        gen obliegt die Frage der Gewaltprävention den einzel-
Beschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen          nen Bundesländern. In Niedersachsen hat die Landes-
in Erstaufnahmeeinrichtungen befasst.                         regierung in allen Landesaufnahmeeinrichtungen ein
                                                              Gewaltschutzkonzept umgesetzt. Dagegen hat die Lan-

16    — Tätigkeitsbericht 2018
Berichte aus der Praxis

desregierung die Kommunen nicht verpflichtet, Gewalt-         diese Prozesse zur Entwicklung von Maßnahmen zur Ge-
schutzkonzepte in allen kommunalen Unterkünften zu            waltprävention müssen Geflüchtete und Geflüchtetenor-
implementieren. In der Folge sind in den niedersächsi-        ganisationen einbezogen und Rahmenbedingungen ge-
schen Kommunen bisher keine verbindlichen Standards           schaffen werden, die ein Empowerment der Geflüchteten
festgeschrieben worden. Einzig die Stadt Oldenburg hat        ermöglichen.
ein umfassendes Gewaltschutzkonzept verabschiedet,            Wir fordern daher:
das unter Federführung des Gleichstellungsbüros und in        óó Standards zur Gewaltprävention gesetzlich verankern

Abstimmung mit weiteren Fachdiensten entstanden ist.          óó Netzwerke zur Gewaltprävention knüpfen

Das Konzept formuliert einheitliche Vorgaben für sämt-        óó Gewaltschutz in allen Gemeinschaftsunterkünften

liche Gemeinschaftsunterkünfte der Stadt und legt einen          etablieren
Schwerpunkt auf die Gewaltprävention.                         óó Niedrigschwellige Beschwerdestellen einrichten

   Um fachlich qualifizierte und einheitliche Standards in    óó Betreiber regelmäßig kontrollieren

allen Unterkünften zu gewährleisten, sind daher gesetzli-     óó Beratungsstellen ausstatten und bekanntmachen

che Regelungen auf Bundes-, zumindest aber auf Landes-
ebene zwingend erforderlich, verbunden mit finanzieller       Horrende Gebühren für die Unterbringung in
Unterstützung. Diese Standards müssen in allen Vergabe-       kommunalen Gemeinschaftsunterkünften
verfahren zur Unterbringung und Betreuung aufgenom-           Sofern Asylsuchende (noch) in Gemeinschaftsunterkünf-
men und ihre Einhaltung in sämtlichen Betreiberverträ-        ten wohnen (müssen) – etwa weil sie auf dem angespann-
gen verbindlich festgehalten werden; sie müssen auch in       ten Wohnungsmarkt nicht fündig werden – und ihren Le-
bereits bestehenden Einrichtungen umgesetzt werden.           bensunterhalt selbst bestreiten, sind sie verpflichtet, die
Das Ziel lautet also, dass für jede Unterkunft ein Gewalt-    Gebühren der Unterbringung selbst zu tragen. Dabei wer-
schutzkonzept vorliegt, das auf einheitlichen Standards       den sie teilweise mit horrenden Gebührenforderungen
basiert und hinsichtlich der baulichen und organisatori-      der Kommunen konfrontiert. So sollen Geflüchtete etwa
schen Fragen jeweils auf die spezifischen Gegebenheiten       bis zu 700 € monatlich für einen Schlafplatz in einem
vor Ort abgestimmt ist. Diese Konzepte müssen trans-          20 qm2 Zimmer zahlen, das sie sich mit mehreren Perso-
parent und verbindlich sein, konsequent umgesetzt und         nen teilen. Zahlungsforderungen, die in privatrechtlichen
fortlaufend weiterentwickelt werden.                          Mietverhältnissen als „Wucher“ zu werten sind, sollen in
   Zu den entscheidenden Bausteinen von Gewaltschutz-         Form von öffentlich-rechtlichen Gebührenforderungen
konzepten gehören ein Bekenntnis aller Akteur_innen           rechtmäßig sein. Der Flüchtlingsrat arbeitet zu diesem
zum Gewaltverzicht, eine Sensibilisierung aller in der Ein-   Thema mit anderen Beratungsstellen zusammen und ent-
richtung tätigen Personen, ein standardisiertes Verfahren     wickelt derzeit Handlungsleitlinien.
bei Auftreten von Gewalt und Verdachtsfällen, die Schaf-
fung menschenwürdiger, schützender und fördernder             Weiterhin kein Schulbesuch für Kinder und
Rahmenbedingungen etwa durch entsprechende bauli-             Jugendliche in Erstaufnahmeeinrichtungen
che Maßnahmen, eine feste Ansprechperson vor Ort sowie        Das Recht auf Schulbesuch wird in Niedersachsen nach
eine Vernetzung aller involvierten Akteur_innen. Zugleich     wie vor missachtet: In den niedersächsischen Erstauf-
gibt eine unabhängige Beschwerdestelle die Möglichkeit,       nahmeeinrichtungen für Asylsuchende der Landesauf-
Missstände und Fehlentwicklungen zu melden. Die Um-           nahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) in Braunschweig,
setzung der Maßnahmen zum Gewaltschutz wird durch             Bad Fallingbostel, Bramsche, Celle, Friedland, Oldenburg
ein Monitoring-System, also eine kommunale Aufsicht der       und Osnabrück erhalten geflüchtete Kinder und Jugend-
Betreiber, gewährleistet.                                     liche über Zeiträume von derzeit bis zu 22 Monaten keinen
   Grundsätzlich beginnen Gewaltschutz und eine nach-         Schulunterricht.
haltige Präventionsarbeit aber bereits beim Wissen über          Die Schulpflicht und damit auch das Recht auf einen
die eigenen Rechte und bestehende Beratungsmöglich-           Schulbesuch gilt laut gegenwärtiger niedersächsischer
keiten. Damit Flüchtlinge ihre Rechte nicht nur kennen,       Erlasslage nur für Kinder und Jugendliche außerhalb der
sondern auch jederzeit durchsetzen können, sind eine          Erstaufnahmeeinrichtungen, d. h. erst nach ihrer Umver-
niedrigschwellige Informationsvermittlung sowie Anlauf-       teilung auf die Kommune. Dies führt zu der unsäglichen
und Beratungsstellen, zu denen alle Betroffenen Kontakt       Situation, dass in den niedersächsischen Erstaufnahme-
aufnehmen können, von zentraler Bedeutung. Die Einbe-         einrichtungen derzeit 175 Kinder und Jugendliche aus den
ziehung von Dolmetscher_innen muss dabei Teil der Kon-        sogenannten sicheren Herkunftsländern vom Schulbe-
zeption sein, damit die Meldung von Gewaltfällen oder         such ausgeschlossen sind (Stand: 04.01.2019) – obgleich
Bedrohungslagen nicht an Sprachbarrieren scheitert. In        geflüchtete Kinder und Jugendliche spätestens nach drei

                                                                                         Tätigkeitsbericht 2018 —      17
Sie können auch lesen