AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission

Die Seite wird erstellt Lui-Horst Hohmann
 
WEITER LESEN
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
MENSCHENRECHTS
AKTION 2019
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
Womit werden
wir uns kleiden?
Matthäus 6,31

Zu dieser Publikation
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Vereinte
Evangelische Mission (VEM) setzen sich seit vielen Jahren für den
Schutz der Menschenrechte ein. Sie stärken damit in Kirchen und
Gemeinden das Bewusstsein für Menschenrechte.

Die diesjährigen Heftveröffentlichungen zum Tag der
Menschenrechte entstanden erstmals in Kooperation, einige Texte
erscheinen daher in beiden Publikationen.

Im Fokus des EKD-Materialheftes stehen Kleidung und die Menschen,
die sie produzieren.

Schwerpunkt der VEM-Broschüre sind Wege zu besseren
Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie, eine nachhaltige Produktion
der Baumwolle und die Einhaltung von Menschenrechtsstandards
in der gesamten Produktions- und Handelskette.

Die EKD-Broschüre ist hier erhältlich:
Download: www.ekd.de/menschenrechte
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   3
                                                                                                                                                                                                             INHALT

                                                                                                                                                                                                             EINFÜHRUNG

                                                                                                                                                                                                            04	Womit werden wir uns kleiden?
                                                                                                                                                                                                                Für Menschenrechte in der Textilindustrie

                                                                                                                                                                                                             PROJEKTE

                                                                                                                                                                                                            08	Indonesien
                                                                                                                                                                                                                Stärkung von Gewerkschaften und Arbeiterinnen

                                                                                                                                                                                                            09	Sri Lanka
                                                                                                                                                                                                                Stärkung von Textilarbeiterinnen

                                                                                                                                                                                                            10	Deutschland
                                                                                                                                                                                                                Verbesserung der Arbeitsbedingungen

                                                                                                                                                                                                             INFORMATION

                                                                                                                                                                                                            11	Nadelstiche gegen Ausbeutung
                                                                                                                                                                                                                Menschen- und Arbeitsrechte in der
                                                                                                                                                                                                                Bekleidungsindustrie

                                                                                                                                                                                                            18	Arbeitsbedingungen in der globalen
                                                                                                                                                                                                                Textilproduktion

                                                                                                                                                                                                            20	„Demokratisierung des Wissens“
                                                                                                                                                                                                               Im Gespräch mit Dina Septi Utami

                                                                                                                                                                                                            22	Ökofaire Beschaffung von Textilien in Kirche
                                                                                                                                                                                                                und Diakonie

                                                                                                                                                                                                            25	Was kann ich tun?
                                                                          Gestaltung: Jola Fiedler / MediaCompany – Agentur für Kommunikation GmbH, Foto: © OLIVER RUDOLPH Photography

                                                                                                                                                                                                            26	Empfehlenswerte Textil-Siegel
                                                                                                                                                                                         P lakat zur
Womit werden wir uns kleiden? Matthäus 6,31
                                                                                                                                                                                          Menschenrechts-
                                                                                                                                                                                                             GOTTESDIENST UND ANDACHT
Für Menschenrechte in der Textilindustrie.
        Für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
        Rudolfstraße 137 · 42285 Wuppertal · www.vemission.org
        IBAN: DE 45 3506 0190 0009 0909 08 · Stichwort »Menschenrechte«
                                                                                                                                                                                          aktion 2019
                                                                                                                                                                                          der VEM

                                                                                                                                                                                                            28	Womit werden wir uns kleiden?
                                                                                                                                                                                                               Gedanken zu Matthäus 6,31 und zum
                                                                                                                                                                                                               VEM-Plakat

                                                                                                                                                                                                            34	Hinweis auf das Bildungsmaterial zur
                                                                                                                                                                                                                VEM-Menschenrechtskampagne 2019

                                                                                                                                                                                                            35	Impressum
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
4   VEM-Menschenrechtsaktion 2019

 EINFÜHRUNG

WOMIT WERDEN WIR UNS KLEIDEN?
FÜR MENSCHENRECHTE IN DER
TEXTILINDUSTRIE

Womit werden wir uns kleiden? – Diese Frage stellen         Es waren Frauen aus Kirchen in Asien, die 1996 im
sich viele Menschen jeden Tag. Auch Matthäus hat sie        Zuge der Internationalisierung der VEM auf die pre-
gestellt. In der Zeit Jesu wurde sie aber anders verstan-   kären Arbeitsbedingungen in Textilfabriken u. a. in
den als heute. Kostbare Kleider, Schuhe und Mäntel hat-     Indonesien und Sri Lanka aufmerksam gemacht ha-
ten nur wenige. Viele konnten sich Kleider nicht leisten.   ben. Seitdem ist die VEM Mitglied der damals gegrün-
Für uns heute stellt sich jeden Morgen die Frage, was       deten „Kampagne für Saubere Kleidung“ und setzt
wir anziehen sollen. Dabei ist das Problem meist nicht      sich für die Einhaltung wirtschaftlicher und sozialer
ein leerer, sondern ein voller Kleiderschrank. Fast hun-    Rechte von Frauen in den Lieferketten der internatio-
dert Kleidungsstücke sind es im Durchschnitt. Viele da-     nalen Modeindustrie ein. Dabei geht es mittlerweile
von landen nach kurzer Zeit in der Altkleidersammlung       nicht nur darum, die Arbeitsbedingungen der Arbei-
oder im Müll. Doch wo kommen die Kleidungsstücke            terinnen und Arbeiter in Fabriken zu verbessern. Es
her und wie wurden sie produziert? Diese Frage greift       geht darum, alle Produktionsschritte im Blick zu ha-
die diesjährige Aktion der Vereinten Evangelischen Mis-     ben, zum Beispiel beim Baumwollanbau, Spinnen,
sion auf: „Für Menschenrechte in der Textilindustrie“.      Weben oder Färben. Dort gibt es viele soziale und öko-
Die Aktion möchte den Blick auf einen Bereich lenken,       logische Probleme.
der den Verbraucherinnen und Verbrauchern buchstäb-
lich „auf der Haut“ liegt. Sie will informieren und Hand-
lungsmöglichkeiten aufzeigen.
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
VEM-Menschenrechtsaktion 2019    5

   BÜNDNIS NACHHALTIGE TEXTILIEN                                            DER NATIONALE AKTIONSPLAN WIRTSCHAFT UND
   Als Reaktion auf die Katastrophe von Rana Plaza1 hat                     MENSCHENRECHTE (NAP)
   Bundesminister Gerd Müller (Bundesministerium für                        Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat im
   wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ) im                  Jahr 2011 „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen-
   Oktober 2014 ein „Bündnis für nachhaltige Textilien ins                  rechte“ verabschiedet. In ihrem Koalitionsvertrag hatten
   Leben gerufen. Ziel dieses Bündnisses sind nachprüfbare                  sich die SPD und die Unionsparteien dazu verpflichtet,
   soziale und ökologische Verbesserungen in der gesamten                   diese auf nationaler Ebene umzusetzen. Am 21. Dezem-
   Wertschöpfungskette von Textilien und Bekleidung: vom                    ber 2016 wurde der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft
   Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel.                                       und Menschenrechte (NAP) schließlich verabschiedet.
                                                                            Das Ergebnis enttäuscht. Zwar setzt die Bundesregierung
   Das Bündnis hat 123 Mitglieder (Stand August 2018),                      darin eine Zielmarke: Bis 2020 soll die Hälfte aller
   darunter 80 Unternehmen, die rund 50 Prozent des                         Großunternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten
   deutschen Textilmarktes abdecken. Zu den 18 Nichtregie-                  umsetzen. Aber es gibt keine verbindlichen Regelungen
   rungsorganisationen gehören das Amt für MÖWe der                         für Unternehmen wie zum Beispiel in Frankreich,
   Evangelischen Kirche von Westfalen, die Kampagne für                     Großbritannien und den Niederlanden, wo Gesetze mit
   Saubere Kleidung, das Südwind Institut für Ökonomie und                  Menschenrechtsvorgaben für Auslandsgeschäfte von
   Ökumene, Misereor und Transparency International. Die                    Unternehmen verabschiedet wurden. Wieder einmal
   Bundesregierung ist mit drei Ministerien vertreten, die                  beschränkt sich die Bundesregierung auf freiwillige
   Gewerkschaften durch den DGB und die IG Metall.                          Selbstverpflichtungen für Unternehmen.

   Die Mitgliedschaft im Textilbündnis ist freiwillig. Wer                  Zu den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft
   Mitglied wird, verpflichtet sich aber zur (schrittweisen)                und Menschenrechte
   Umsetzung der Bündnisziele, zur Aufstellung eines                        www.globalcompact.de/de/angebote/publikationen.
   jährlichen Maßnahmenplans und einer regelmäßigen                         php?navid=347539895501&pageIdb758b6f1=2#list_
   Fortschrittsberichterstattung. Dies ist ein Schritt in die               b758b6f1
   richtige Richtung, zumal es in Deutschland keine gesetzli-
   chen Regelungen gibt, die eine menschenrechtliche                        www.saubere-kleidung.de/2017/11/un-leitprinzipien-fuer-
   Sorgfaltspflicht von Unternehmen beinhalten. Trotz einiger               wirtschaft-und-menschenrechte
   Fortschritte im Bündnis für nachhaltige Textilien halten die
   zivilgesellschaftlichen Mitglieder des Textilbündnisses                  Text des deutschen Nationalen Aktionsplans
   gesetzliche Maßnahmen für notwendig, besonders für die                   für Wirtschaft und Menschenrechte
   Bereiche Offenlegungs- und Berichtspflichten, die Einhal-                www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/AA/NAP_
   tung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten sowie die                    Wirtschaft_Menschenrechte_297434.html
   Haftung von Unternehmen bei Verletzungen der Men-
   schenrechte bei der Arbeit.                                              Filmbeitrag Monitor
                                                                            www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/lobbyis-
   www.textilbuendnis.de                                                    mus-104.html

2014 wurde das Bündnis für nachhaltige Textilien ge-                      det hat. Darin werden global agierende Wirtschafts-
 gründet. Die VEM hat sich dafür eingesetzt, dass die                     unternehmen aufgefordert, Verantwortung für die
Bundesregierung im Jahr 2017 einen Aktionsplan                            Einhaltung von Menschenrechten zu übernehmen.
„Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) verabschie-                         Im Aktionsplan bleiben die Verpflichtungen leider
                                                                          unverbindlich. Unternehmen, die gegen die im Akti-
1 Beim Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch wurden       onsplan dargelegten „Sorgfaltspflichten“ verstoßen,
am 24. April 2013 1.135 Menschen getötet und 2.438 verletzt – die
meisten von ihnen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter, die gezwungen   brauchen keine Konsequenzen zu fürchten.
wurden, trotz Gebäudemängel ihre Arbeit aufzunehmen.
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
6     VEM-Menschenrechtsaktion 2019

Mit der Menschenrechtsaktion für faire Kleidung                   im Akkord zum Teil unter extremem Druck und zu
möchte die VEM auch innerhalb der Kirchen, beson-                 Löhnen, die kein menschenwürdiges Leben ermögli-
ders in diakonischen Einrichtungen wie Krankenhäu-                chen. Textilien wie beispielweise Baumwollhosen, die
sern und im Pflegebereich, Entscheidungsträger er-                in Colombo für unterschiedliche Labels die Fabrik ver-
mutigen, nachhaltig und fair produzierte Textilien – wo           lassen, werden für 2 bis 4 Euro pro Hose weiterverkauft
immer möglich – zu verwenden.                                     bis sie schließlich für 60 bis 140 Euro in Deutschland
                                                                  auf den Ladentischen angeboten werden.
Anfang 2017 hat die VEM gemeinsam mit der Evange-
lischen Kirche von Westfalen eine Stelle eingerichtet,
um das Thema nachhaltiger Textilien konkret voran-
zubringen, sowohl in asiatischen und afrikanischen                       »Mit der Menschenrechtsaktion
Kirchen als auch in kirchlichen und diakonischen Ein-
richtungen in Deutschland. Pfarrer Dietrich Wein-
                                                                         für faire Kleidung möchte die VEM
brenner, der die diesjährige Aktion maßgeblich mit                       auch innerhalb der Kirchen
vorbereitet hat, steht gerne für Rückfragen, Beratung
und weitere Informationen zum Thema zur Verfügung.                       Entscheidungsträger ermutigen,
                                                                         nachhaltig und fair produzierte
    DER UN-PROZESS FÜR DIE WELTWEIT VERBINDLICHEN
    REGELN ZU WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTEN
                                                                         Textilien zu verwenden.«
    Mit dem sogenannten „UN-Abkommen-Prozess“ soll ein                   Dr. Jochen Motte, VEM-Vorstand
    internationales Menschen­rechts­abkommen erarbeitet
    werden, das für die Vertragsparteien verbindlich ist, klare
    Regeln für Unternehmen schafft und damit den Betroffe-        „Die Weber, die einzelne Stühle in ihren Häusern ha-
    nen Klage­möglichkeiten eröffnet. Seit 2015 verhandelt        ben, sitzen vom Morgen bis in die Nacht gebückt da-
    eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe bei den Vereinten       bei und lassen sich vom heißen Ofen das Rückenmark
    Nationen über das künftige Abkommen. In der Treaty             ausdörren ... in Elberfeld allein werden von 2500
    Alliance (www.treatymovement.com) haben sich mehr              schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterricht entzo-
    als 1000 zivilgesellschaftliche Organisationen und             gen und wachsen in den Fabriken auf.“ So beschrieb
    Einzelpersonen zu einem internationalen Bündnis               im Jahr 1839 Friedrich Engels die erbärmlichen Ar-
    zusammengeschlossen, um den Prozess hin zu einem              beitsbedingungen von Arbeiterinnen, Arbeitern und
    globalen Menschenrechtsabkommen zu transnationalen            Kindern in der Textilindustrie im heutigen Wuppertal.
    Konzernen und anderen Unternehmen zu unterstützen.            Dort vollzog sich einst die Industrialisierung und Glo-
                                                                  balisierung der Textilindustrie in rasantem Tempo.
    Martina Schaub, Südwind Institut für Ökonomie und Ökumene

                                                                  Damals – vor der Zulassung von Gewerkschaften und
    Das Positionspapier zum UN-Abkommen über Wirtschaft           der Verabschiedung von sozialen Grund- und Men-
    und Menschenrechte finden Sie auf der Website der             schenrechten – lag dieses Elend lange unmittelbar vor
    Kampagne für Saubere Kleidung                                 der Haustür. Heute ist das Elend weit weg, gleichsam
    www.saubere-kleidung.de/2017/11/positionspapier-zu-ei-        unsichtbar. Dafür stehen die modernen stylischen
    nem-un-abkommen-ueber-wirtschaft-und-menschenrechte           Modetempel unübersehbar im Zentrum der Innen-
                                                                  städte. Nichts erinnert dort an die Bedingungen, unter
    Kontakt: CorA-Netzwerk für Unternehmensverantwortung          denen die Textilien hergestellt wurden.
    www.cora-netz.de/treaty
                                                                  Ziel der Aktion der VEM ist es, dass den Beschäftigen
                                                                  in der Textilproduktion ein gerechter und fairer Lohn
Der Name auf dem T-Shirt des Models auf dem Poster                gezahlt wird und sie unter menschenwürdigen Bedin-
steht für viele Menschen, die in Fabriken in Indone-              gungen arbeiten und leben können. Gleichzeitig muss
sien oder Sri Lanka beschäftigt sind. Sie nähen dort              sichergestellt werden, dass Umwelt- und soziale Kos-
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
VEM-Menschenrechtsaktion 2019     7

                                                                                              ie VEM unterstützt Opfer von
                                                                                             D
                                                                                             Menschenrechtsverletzungen
                                                                                             und bittet für diese Arbeit um
                                                                                             Ihre Hilfe.

ten der Textilproduktion eingepreist werden. Die        Die VEM unterstützt auch Projekte in der Demokra-
Menschen in den Ländern des globalen Südens dürfen      tischen Republik Kongo. Kleinbauern bauen Baum-
nicht dafür bezahlen, dass T-Shirts bei uns für unter   wolle für die Textilproduktion in der Region an. Und
zwei Euro verkauft werden.                              auf Sumatra stellen junge Erwachsene Schuhe für
                                                        den lokalen Markt her. Das sichert ihnen ein Ein-
Die Vereinte Evangelische Mission unterstützt Opfer     kommen für sich und ihre Familien und eröffnet Zu-
von Menschenrechts­verletzungen und bittet für diese    kunftsperspektiven.
Arbeit um Ihre Hilfe. Im Zusammenhang mit dieser
Aktion fördern wir Projekte der Methodistischen Kir-                Dr. Jochen Motte,
che in Sri Lanka und des indonesischen Kirchenrates                 VEM-Vorstand
in Indonesien. Sie begleiten die Opfer von
Menschenrechts­verletzungen in der Textilindustrie
und treten für ihre Rechte ein.
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
8   VEM-Menschenrechtsaktion 2019

 PROJEKTE

                                                                                    Sie gehen auf die Straße, um ihre
                                                                                    Rechte durchzusetzen.

                                                                                    Vietnam
                                                                                                      Philippinen

                                                                         Malaysia

                                                                                     Indonesien                         Papua-
                                                                                                                        Neuguinea

                                                                                                        Australien

Indonesien – Stärkung von
Gewerkschaften und Arbeiterinnen
Die Textilindustrie bildet einen der größten Wirt-       Das „Sedane Labour Resource Centre“ (LIPS) in Indo-
schaftsfaktoren Indonesiens. In diesem Bereich sind      nesiens Hauptstadt Jakarta forscht zum Thema Ar-
über 1,5 Millionen Menschen beschäftigt, darunter        beitsbedingungen in der Industrie. Die Forschungser-
90 Prozent Frauen. 80 Prozent haben keinen festen        gebnisse sind wichtig für die Gewerkschaftsarbeit. Ein
Arbeitsvertrag, sie sind Kontrakt­arbeiterinnen mit      weiterer Bereich von LIPS ist die Bildungsarbeit. Die
Kurzzeitverträgen oder Heimarbeiterinnen. Allein auf     meisten Arbeiterinnen kennen ihre Rechte nicht, viel-
der indonesischen Insel Java sind 5896 Textilfabriken    fach fehlen auch die Kenntnisse darüber, wie man
konzentriert. Die Arbeitsbedingungen sind men-           eine Kampagne aufbaut. LIPS hat ein Programm auf-
schenunwürdig. Durch den Termindruck der Mar-            gestellt, in dessen Zentrum das Problem der ge-
kenunternehmen, die dort produzieren lassen, sind        schlechtsspezifischen Gewalt steht. In Lerngruppen
die Arbeiterinnen gezwungen, extrem lange Über-          beschäftigen sich Arbeiterinnen und Gewerkschafte-
stunden zu machen, oft weit über das gesetzlich          rinnen mit verschiedenen Ausprägungen sexueller
Erlaubte hinaus.                                         Gewalt – ein Tabuthema, das geschützte Räume erfor-
                                                         dert. Im Rahmen dieses Programms werden Untersu-
Die Löhne reichen nicht aus, um die Grundbedürfnis-      chungen zu Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz
se einer Familie zu decken. Bei der Verbesserung die-    durchgeführt und Materialien für entsprechende
ser Situation spielen die Gewerkschaften eine wichti-    Kampagnen entwickelt.
ge Rolle. Sie haben es schwer, sich für die Rechte der
Arbeiterinnen einzusetzen. Ihre Arbeit wird oft von      Die VEM unterstützt das LIPS-Programm über den In-
den Fabrikbesitzern behindert. Es kommt nicht selten     donesischen Kirchenrat.
vor, dass das Management eine ihm genehme „Ge-
werkschaft“ ins Leben ruft.
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   9

                  Arbeiterunterkunft
                   in Sri Lanka

         Indien

                           Trincomalee

                             Sri Lanka

                            Colombo

Sri Lanka – Stärkung von
Textilarbeiterinnen
In Sri Lanka ist die Textilindustrie ein bedeutsamer gegen die winzigen Faserteilchen gibt, die in der Luft
Wirtschaftsfaktor. Es wird auch für deutsche Unter- herumfliegen. Ein menschenwürdiges Leben ist unter
nehmen produziert, zum Beispiel für C&A, H&M, LIDL diesen Bedingungen nicht möglich.
oder Adidas. Mehr als 350 000 Menschen arbeiten in
diesem Bereich, meist sind es junge Frauen. Sie leiden Die Methodistische Kirche in Sri Lanka setzt sich be-
in vielfältiger Weise unter den Zuständen in den Fab- sonders für verletzliche und gefährdete Menschen ein.
riken: Der Lohn reicht nicht aus, um die Lebenshal- Zusammen mit der Organisation „Sramabimani
tungskosten für die Familie zu sichern. Arbeiterinnen Kendraya“ („Würdige Arbeit“) hat sie ein Programm
prostituieren sich, um überleben zu können. Vor al- entwickelt, das Arbeiterinnen in den Industriegebie-
lem die langen Arbeitszeiten sind ein Problem. Anan- ten stärken soll. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Bil-
da1, die für ein deutsches Unternehmen Kinderklei- dungsmaßnahmen, denn die Arbeiterinnen kennen
dung näht, berichtet von 16-Stunden-Schichten. oft ihre Rechte und die entsprechenden Gesetze nicht.
Wenn Container für den Export verladen werden Dafür wird ein Gebäude renoviert, in dem Seminare
müssen, ist der Zeitdruck groß. Bis zu 24 Stunden und Workshops angeboten werden. Es wird eine klei-
muss dann durchgearbeitet werden. Viele Frauen ar- ne Bibliothek eingerichtet sowie einige Wohnmög-
beiten im Stehen. Eine Frauen-Organisation hat die lichkeiten für Frauen in Not.
dadurch entstehenden Gesundheitsprobleme analy-
siert und konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht. Das Programm hat auch eine ökumenische Note:
Die Fabrikmanager waren daran jedoch nicht interes- „Sramabimani Kendraya“ wurde von Sarath Iddamal-
siert. Oft klagen Arbeiterinnen auch über Atem- goda, einem katholischen Priester, und Noel Christine
beschwerden, weil es keinen ausreichenden Schutz Fernando, einer katholischen Ordensschwester, ge-
                                                              gründet. Beide sind die verantwortlichen Kooperati-
1 Name geändert, der richtige Name ist der Redaktion bekannt. onspartner der Methodistischen Kirche.
AKTION 2019 MENSCHENRECHTS - Vereinte evangelische Mission
10    VEM-Menschenrechtsaktion 2019

                                                                                     er Fair Fashion Move
                                                                                    D
                                                                                    in Berlin Anfang Juli 2018
                                                                                    demonstriert für mehr
                                                                                    Fairness in der Mode.

                                                                               Dänemark

                                                                         Niederlande             Berlin
                                                                                                                  Polen
                                                                        Belgien         Deutschland
                                                                                                          Tschechien
                                                                       Luxemburg

                                                                       Frankreich
                                                                                                           Österreich
                                                                                       Schweiz

Deutschland – Verbesserung der
Arbeitsbedingungen
Die deutsche „Kampagne für Saubere Kleidung“ wurde        fungsketten zu übernehmen, und rufen die deutsche
1996 gegründet und ist Teil des internationalen Netz-     Regierung dazu auf, Gesetze zu verabschieden, die
werks der Clean Clothes Campaign (CCC), die 1989 in       Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unter-
den Niederlanden ins Leben gerufen wurde. Inzwi-          nehmen verhindern. Wir zeigen uns solidarisch mit
schen ist sie in 16 europäischen Ländern vertreten.       den Arbeiterinnen, die unsere Kleidung herstellen,
                                                                                und unterstützen ihren
Über 200 Menschenrechtsor-                                                      Kampf für bessere Arbeitsbe-
ganisationen, Frauenrechtsor-                                                   dingungen“, so Christiane
ganisationen, Gewerkschaften,                                                   Schnura, Koordinatorin der
Nichtregierungsorganisatio-                                                     deutschen CCC.
nen und Verbraucherverbän-
de arbeiten im Rahmen der                                                        Ein wichtiges Instrument der
Kampagne zusammen. In                                                            Kampagne für Saubere Klei-
Deutschland sind es 23 Träger-                                                   dung sind die Eilaktionen,
organisationen, darunter viele                                                   um öffentliche Aufmerksam-
aus dem kirchlichen Bereich.                                                     keit und Handlungsdruck
Auch die Vereinte Evangeli-                                                      auf Verantwortliche in Poli-
sche Mission ist Mitglied.                                tik und Wirtschaft zu erzeugen. Hier geht es um die
                                                          Unterstützung von Beschäftigten bei akuten Fällen
Die CCC verfolg das Ziel, Arbeitsrechte in der globalen   von Arbeits- oder Menschenrechtsverletzungen ent-
Bekleidungs- und Sportartikelindustrie zu verbessern.     lang der gesamten Wertschöpfungskette. Gleichzeitig
„Wir klären Bürgerinnen auf, drängen Unternehmen,         setzt die Kampagne auf kritischen Dialog, um struk-
 mehr Verantwortung für ihre globalen Wertschöp-          turelle und konkrete Verbesserungen zu erzielen.
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   11
 INFORMATION

NADELSTICHE GEGEN AUSBEUTUNG
MENSCHEN- UND ARBEITSRECHTE IN
DER BEKLEIDUNGSINDUSTRIE

»Wir leben nicht über unsere Verhältnisse,
sondern über die Verhältnisse der anderen.«
Stephan Lessenich

Große Handelshäuser bieten im Internet alle zwei        von Grundrechten in der Textil- und Baumwollpro-
Wochen eine neue Kleiderkollektion an. Wer sich je-     duktion, über internationale Verpflichtungen, ver-
des Wochenende in einem neuen Outfit präsentiert,       bindliche Regeln und Selbstauflagen für die beteilig-
gilt als schick und cool. Über 90 Prozent aller in      ten Unternehmen Gedanken machen.
Deutschland verkauften Textilien werden importiert –
größtenteils aus Asien, Osteuropa und Lateinamerika.    Demgegenüber gibt es, so die Kampagne für Saubere
Irrsinn? Ja, mit Methode. Ein Arbeitstag bis zu         Kleidung (Clean Clothes Campaign, CCC), geradezu
16 Stunden mit wenig Pausen, sechs bis sieben Ar-       eine Industrie, die die Prüfung solcher Fabriken auf
beitstage pro Woche, Arbeitslöhne am Existenzmini-      Mindeststandards im Arbeitsschutz und Gebäudezu-
mum (die Lohnkosten von Näherinnen betragen bei-        stand übernommen, allerdings auch zu einem ein-
spielsweise durchschnittlich 0,5 bis 3 Prozent des      träglichen Geschäftsmodell entwickelt hat. Die be-
Verkaufspreises), feste Arbeitsverträge als Ausnahme,   kannt gewordenen Skandale um diese Überprüfungen
gravierende Sicherheitsmängel beim Gebäudezu-           (Stichwort TÜV Rheinland im Fall von Rana Plaza)
stand, fehlender Brandschutz, Schikanen des Auf-        lassen erhebliche Zweifel aufkommen, ob es hier um
sichtspersonals, willkürliche Betriebsschließungen,     Sicherheit oder doch eher um einen vordergründigen
massive Unterdrückung von Gewerkschaften: Wir           Nachweis, also eher um Show geht. Hersteller, Auf-
sprechen nicht vom 19. Jahrhundert, sondern vom         traggeber und Händler im Textilhandel verweisen ger-
heutigen Arbeitsalltag von geschätzten 60-75 Millio-    ne auf Zertifikate zu Sicherheits- und Arbeitsstan-
nen Menschen – rund drei Viertel davon Frauen – in      dards, um eine verbindliche, rechtliche Verantwortung
der Textil- und Bekleidungsindustrie weltweit.          zu vermeiden. Den lokal Beschäftigten nutzen sie bis
                                                        heute kaum.
Getrübt werden die Verkaufskampagnen der Textil-
konzerne allenfalls durch Nachrichten über große Un-    Charakteristischerweise besitzen in der Textil- und
glücke, die ausnahmsweise auch mal bei den Käufe-       Bekleidungsindustrie die Modediscounter und Mode-
rinnen und Käufern in Europa oder Nordamerika           firmen keine eigenen Produktionsstätten, sondern
ankommen; so der Einsturz der Fabrik Rana Plaza         verfügen über Zulieferer, die in Billiglohnländern pro-
2013 in Dhaka (Bangladesch) oder das Großfeuer in       duzieren lassen. Alle bilden ein Netz an Unternehmen,
Karachi 2012 (Pakistan). Nachrichten über die alltäg-   die systematisch Rechte verletzen, durch ihr interna-
lichen Missstände in der Produktion oder im Anbau       tional verzweigtes Geschäftskonstrukt rechtlich je-
von Baumwolle (Zwangsarbeit, Verseuchung der Um-        doch schwer zu fassen sind. Einige Unternehmen sind
welt) erreichen bislang vorwiegend ein Fachpubli-       freiwillige Verpflichtungen eingegangen. Das Engage-
kum. Immerhin: Hier engagieren sich Organisationen      ment dafür ist aller Ehren wert, es reicht aber nicht
und Einzelpersonen, die sich über die Durchsetzung      aus. Auch jüngste Erhebungen über die Zustände
12   VEM-Menschenrechtsaktion 2019

                                                                                          S ie demonstrieren friedlich für
                                                                                           einen menschenwürdigen Lohn
                                                                                           und gegen die schlechten
                                                                                           Arbeitsbedingungen in den
                                                                                           Textilfabriken.

beim Baumwollanbau und in der Textilherstellung            die Demokratische Republik Kongo. Wie angedeutet,
verdeutlichen, dass eine rechtsverbindliche Regulie-       geht der Großteil der Baumwollernte überwiegend
rung nötig ist, um gegen die genannten Missstände          nicht in Länder der Endvermarktung, sondern nach
mit Aussicht auf Sanktionen vorgehen und mithin            Pakistan, Bangladesch, die Türkei, Vietnam, China, In-
Änderungen spürbar durchsetzen zu können.                  donesien, Mexiko, Indien, Thailand und Südkorea.
                                                           Dort wird die Baumwolle verarbeitet, und die Textili-
                                                           en werden anschließend in Regionen mit großer
Textilproduktion und Baumwollanbau                         Kaufkraft wie Nordamerika oder Europa exportiert.

Die größten Produktionsländer und -regionen in der         Ein Großteil der Kosten für Mensch und Natur fällt
Textilherstellung sind Bangladesch, Brasilien, China,      außerhalb des Konsumentenmarktes an. Der Anbau
Indien, Indonesien, Japan, Osteuropa, Pakistan, Süd-       und die Fasergewinnung bei Baumwolle zählen zu
korea, Sri Lanka, Taiwan, die Türkei, die USA, Vietnam     den Produktionen mit dem höchsten Schmutzfaktor:
und Westeuropa. Die Textilproduktion in China um-          hoher Pestizideinsatz, Wasserverknappung und -ver-
fasst rund die Hälfte im weltweiten Vergleich. Chine-      seuchung, Zwangs- und Kinderarbeit. Darauf basiert
sische Importeure kontrollieren darüber hinaus große       eine der lukrativsten Konsumindustrien weltweit: ge-
Baumwollanbauflächen in Afrika. In Ländern der             schätzte 3 Billionen US-Dollar an Wertschöpfung bei
VEM-Mitgliedskirchen spielt die Bekleidungsindustrie       Textilien, Bekleidung, Schuhwerk und Luxusmode;
insbesondere in Indonesien und Sri Lanka eine grö-         Tendenz steigend. Zu den desaströsen Verhältnissen
ßere Rolle. Die wichtigsten Absatzmärkte befinden          im Anbau und in der Produktion kommt in den Pro-
sich in den USA und in Europa, vor allem in der Euro-      duzentenländern die Furcht vor Arbeitsplatzverlusten,
päischen Union, und hier wiederum stehen Italien,          wie schlecht ausgestattet und bezahlt sie auch sein
Deutschland und Großbritannien an oberster Stelle.         mögen, vor Unterbietungswettbewerben im interna-
                                                           tionalen Wettbewerb und letztlich vor einem Abglei-
Die Länder mit den größten Anteilen am Baumwol-            ten in die Bedeutungslosigkeit auf dem Weltmarkt. In
lanbau sind Indien, China, die USA, Brasilien, Pakistan,   den Konsumentenländern führen Debatten um un-
Australien, die Türkei, Usbekistan, Turkmenistan, Me-      gleiche Lebensverhältnisse oft genug zu Hinweisen
xiko und Burkina Faso. Länder mit gewichtigem              auf eine Basisversorgung mit Produkten des Alltags zu
Baumwollanbau im Kontext der VEM-Mitgliedskir-             günstigen Preisen und mithin zur Zementierung der
chen sind Indonesien, die Philippinen, Tansania und        weltmarktgesteuerten Ausbeutung.
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   13

Die konsumorientierte Angleichung von Lebenslagen        reich, vertragslosen Beschäftigungsverhältnissen,
etwa in Europa oder in Deutschland fußt auf der Ex-      willkürlichen Entlassungen, mangelnder Arbeitssi-
klusion der anderen. Zusammen ergibt sich eine           cherheit, unzureichendem Gesundheitsschutz, man-
Wechselwirkung, in der selbst die hässlichsten Formen    gelndem Schutz von Schwangeren und jungen Müt-
der Ausbeutung nicht zur Ausnahme, sondern zum           tern, mangelndem Zugang zum rechtlichen Gehör in
integralen Bestandteil des Geschäftsmodells gehören.     Folge einer lokalen, schwachen oder korrumpierten
Wer das ändern will, muss auch an der Art und Weise      Justiz, mangelhaften rechtsstaatlichen Verfahrensga-
ansetzen, wie Konsum inszeniert wird, auf welchen        rantien, Verbot oder Behinderung der gewerkschaftli-
Grundlagen er beruht. Die Initiativen zu einem ethisch   chen Organisation, Repression gegen Personen und
begründbaren Konsum weisen einen der Wege. Die           Organisationen, die Kollektivverhandlungen einfor-
Entwicklung und Umsetzung (völker-)rechtlicher           dern, Landvertreibungen, Wasserverknappung oder
Mindeststandards zum Schutz der lokalen Beschäftig-      gänzlich fehlendem Zugang zu sauberem Wasser, Um-
ten und ihrer Umwelt verweisen auf einen anderen.        welt- und Gesundheitsschäden durch den Einsatz von
                                                         Agrochemikalien im Baumwollanbau und Chemika-
                                                         lien bei der Textilverarbeitung.
Völkerrechtliche Mindeststandards
                                                         Hinzu kommen Mängel in der staatlichen Organisati-
Übersetzt in Begriffe zum Schutz der Menschenrechte      on in Form von Korruption, politischer Auflösung von
handelt es sich um die unzureichende Verankerung         Ressourcenkonflikten zugunsten der Unternehmen,
und Umsetzung von bürgerlichen Freiheitsrechten          sachfremder Steuerbefreiung der Fabriken, Duldung
wie Meinungs-, Versammlungs- und gewerkschaftli-         menschenrechtswidriger Geschäftspraktiken, gering
chen Organisationsrechten sowie um die Verletzung        gehaltenen, staatlichen Kapazitäten zur Kontrolle und
von Arbeits-, Sozial- und Umweltgesetzen. Dies nimmt     Rechtsdurchsetzung, mangelnder Transparenz und
Formen an von Zwangs- und Kinderarbeit, sittenwid-       fehlender Kontrolle der unternehmerischen Sorgfalts-
rigen (Hunger-)Löhnen, überlangen Arbeitszeiten,         pflichten in den Lieferketten.
Diskriminierung und Misshandlungen im Arbeitsbe-

  In der Textilproduktion werden immer noch viele
   verschiedene Chemikalien und Farbstoffe eingesetzt,
   die gesundheitsschädigend sind.
China
                                                                                         53,70 %
                                                                                         Diskrepanz

                                                   Bangladesch
                                                     88,32 %
                                                         Diskrepanz
                                       Indien
                                      73,31 %
                                      Diskrepanz
                                                                        Kambodscha
                                                                          78,77 %
                                                                            Diskrepanz
                                           Sri Lanka                                     Malaysia
                                            80,57 %                                      45,72 %
                                            Diskrepanz                                   Diskrepanz

                                                                                                               Indonesien
                                                                                                                 69,22 %
Das verdient Niemand:                                                                                            Diskrepanz
Die Diskrepanz zwischen Mindestlohn und Existenzlohn*

 Land                 Tatsächlicher          Benötigter
                      Minimallohn            Existenzlohn

 Bangladesch          3.000 Taka             25.687 Taka
 Kambodscha           336.000 Riel           1.582.688 Riel
 China                1.450 Yuan             3.132 Yuan               *	Länderspezifische Existenzlöhne zu ermitteln, ist wichtig, um eine
                                                                        gerechte Bezahlung von Arbeiterinnen und Arbeiter einfordern zu
 Indien               4.334 Rupien           16.240 Rupien              können. Die hier vorliegenden Existenzlöhne für einige Länder Asiens
 Indonesien           1.246.151 Rupiah       4.048.226 Rupiah           basieren auf folgenden Faktoren: der Anzahl der zu unterstützenden
                                                                        Familienmitglieder, dem Grundbedarf an Nahrungsmitteln, Kosten für
 Malaysia             850 Ringgit            1.566 Ringgit              Kleidung, Wohnen, Mobilität, Bildung der Kinder und Gesundheit
                                                                        sowie Einkommen für Rücklagen, Unterhaltung und Vorsorge für Alter
 Sri Lanka            8.970 Rupien           46.168 Rupien
                                                                        und Arbeitslosigkeit.
Quelle: www.lohnzumleben.de

Die internationalen Menschenrechtskonventionen                         Kamerun, Namibia, Philippinen, Ruanda, Sri Lanka,
über zivile und politische Rechte (Zivilpakt), über                    Südafrika, Tansania. Lediglich Botsuana hat den Sozi-
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozial-                alpakt bis heute nur signiert. Insgesamt liegen die
pakt) sowie über die Kinderrechtskonvention kom-                       Ratifizierungen beim Zivilpakt momentan bei 172 Län-
men bei den vorgenannten Tatbeständen zur Anwen-                       dern, beim Sozialpakt bei 169 und bei der Kinder-
dung: das Recht auf Leben, das Verbot der willkürlichen                rechtskonvention bei 196 Staaten (Stand August 2018).
Verhaftung, das Recht auf Vereinigungs-, Versamm-                      Lediglich die USA haben als einziger Staat die Kinder-
lungs- und Meinungsfreiheit, der Zugang zu einem                       rechtskonvention nur signiert. Es kann also mit Fug
fairen Gerichtsverfahren, das Recht auf Arbeit, faire                  und Recht von international anerkannten Standards
Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, Gesundheit,                    gesprochen werden. Folglich stünde der Staat in den
das Verbot von Kinderarbeit oder das Recht des Kindes                  Produktionsländern in der Pflicht, die Menschen- und
auf eine saubere Umwelt als Voraussetzung für die vol-                 Arbeitsrechte zu achten, zu schützen und wirksam um-
le Entfaltung seiner potenziellen Persönlichkeit.                      zusetzen. Das ist jedoch offenkundig nicht der Fall.

Fast alle Länder, in denen Mitgliedskirchen der VEM                    Im Bereich der Modeindustrie hat die CCC folgende
vorhanden sind, haben alle drei hier besonders ein-                    Tatbestände als Kernprobleme identifiziert: Niedrig-
schlägigen Menschenrechtsstandards ratifiziert: De-                    löhne, Missbrauch von Kurzzeitverträgen und andere
mokratische Republik Kongo, Deutschland, Indonesien,                   prekäre Beschäftigungsformen, Verstöße gegen die
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   15

Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivver-       kommission zu den Rechten von Minderheiten seit
handlungen sowie kurzfristige und unangekündigte           den 1980er Jahren. Im Bereich des Menschenrechts-
Betriebsschließungen. Diese spezifisch im Arbeitsbe-       rates beschäftigte sich der Sondergesandte des UN-Ge-
reich angelegten Fälle werden auch in den Konventi-        neralsekretärs, John Ruggie, seit 2005 mit Fragen der
onen der Internationalen Arbeitsorganisation aufge-        Unternehmensverantwortung in Sachen Menschen-
griffen (International Labour Organisation, ILO) einer     rechte. Aus seiner Arbeit gingen Richtlinien (Guiding
seit 1919 bestehende Unterorganisation der Vereinten       Principles on Business and Human Rights) sowie da-
Nationen. Die 1998 von der ILO verabschiedeten Ker-        rauf beruhende Arbeitsgruppen hervor. Eine der bei-
narbeitsnormen setzen Sozialstandards im Rahmen            den Arbeitsgruppen sammelt seit 2011 Beispiele guter
der Welthandelsordnung, um menschenwürdige Ar-             Praxis und entwickelt diese systematisch weiter
beitsbedingungen zu gewährleisten.                         (Working Group on the issue of human rights and
                                                           transnational corporations and other business enter-
Die Kernarbeitsnormen sind bislang in ihrer Gesamt-        prises). Die andere erarbeitet seit 2014 einen völker-
heit von 143 Staaten anerkannt (Stand August 2018).        rechtlich verbindlichen Vertragsentwurf (Open-en-
Andere Staaten haben nur einzelne Übereinkommen            ded intergovernmental working group on
daraus ratifiziert; die USA beispielsweise die Konven-     transnational corporations and other business enter-
tionen 105 und 182. Im Kontext der VEM haben alle          prises with respect to human rights). Die Ergebnisse
Mitgliedstaaten alle Konventionen zu den acht Ker-         flossen bereits in Teilen in nationale Aktionspläne
narbeitsnormen ratifiziert (siehe auch Seite 19).          einzelner Staaten oder in Vereinbarungen zur men-
                                                           schenrechtlichen Unternehmensver­antwortung auf
Spezifische Normen der ILO zum Beschäftigungssek-          freiwilliger Basis ein.
tor Bekleidung beinhalten den Schutz von Heim-
arbeiterinnen (Nr. 189; 2011) oder die Empfehlungen        John Ruggies UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
aus dem Jahr 2015 zur informellen Beschäftigung            Menschenrechte knüpfen ihrerseits an die OECD-Leit-
(ILC.104/V/1). Das ILO-Übereinkommen zur Heim-             sätze für transnationale Unternehmen an (Organisa-
arbeit weist allerdings einen niedrigen Ratifizierungs-    tion for Economic Co-operation and Development;
stand auf: 25 Staaten, darunter Deutschland, die           Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Philippinen und Südafrika. Das Übereinkommen Nr.           und Entwicklung). Die dortigen Standards fordern
189 ist nicht nur für das nationale Arbeitsrecht von       von den Unternehmen mit Stammsitz in den
Bedeutung, sondern ebenso mit Blick auf die unter-         OECD-Ländern, ihrer menschenrechtlichen Sorgfalts-
nehmerischen Sorgfaltspflichten bei der Heimarbeit.        pflicht nachzukommen, Menschenrechte in ihre Un-
Hier mangelt es also allein schon an rechtlicher Ver-      ternehmenspolitik aufzunehmen, Menschenrechts-
bindlichkeit.                                              verträglichkeitsprüfungen durchzuführen und sich
                                                           einem Beschwerdeverfahren zu unterwerfen, das bei
Rechtsanspruch und Rechtswirklichkeit                      einer staatlichen Behörde angesiedelt ist, allerdings
                                                           ohne Sanktionsmöglichkeiten.
Viele Beschäftigte auf den Baumwollfeldern oder in
den Fabriken der Bekleidungsindustrie kennen we-           Völkerrechtlich verbindlich sind die Bewertungen
der ihre Rechte noch haben sie die Mittel, diese poli-     (Concluding Observations) durch die Fachausschüsse
tisch oder juristisch durchzusetzen. Sie benötigen         der UN-Vertragsorgane. Jeder Vertragsstaat zu einem
Unterstützung und Ermutigung vor Ort, durch Ge-            der internationalen Menschenrechtsabkommen wird
werkschaften, Nichtregierungsorganisationen und            periodisch wiederkehrend auf die normgerechte Um-
kirchliche Einrichtungen, um ihre Rechte einzufor-         setzung überprüft und bewertet. Schon in der Vergan-
dern oder vor Gericht einzuklagen. Menschen- und           genheit haben sich einige Fachausschüsse mit
spezifische Arbeitsrechte können auf vielerlei Ebenen      Menschenrechtsverletzungen im Kontext unter-
eingefordert werden; nachfolgend einige Hinweise in        nehmerischer Tätigkeit befasst. Aus dem Länderbe-
Stichworten.                                               reich der VEM-Mitgliedskirchen betraf dies unter an-
                                                           derem Kamerun in den Jahren 2005, 2013 und 2016,
Innerhalb der Vereinten Nationen beschäftigen sich         die Philippinen in den Jahren 2003 und 2007, Sri Lan-
mehrere Organe und Einrichtungen mit dem Thema             ka im Jahr 2005. (Details unter „Lese- und Quellenhin-
Unternehmen und Menschenrechte, die immer auch             weise“, Seite 17)
als öffentliche Plattform für die einschlägige Standard-
entwicklung genutzt werden; so die vormalige Unter-
16   VEM-Menschenrechtsaktion 2019

                                                                                          ie Umsätze der
                                                                                         D
                                                                                         Fast-Fashion-Konzerne
                                                                                         steigen weiter. Das Tempo
                                                                                         des Klamottenkonsums auch.

                                                         genannten Ebenen der Vereinten Nationen war und ist
            Die Zeiten ändern sich.                      die unmittelbare Beteiligung nicht staatlicher Akteure
                                                         ein tragendes Element der Standardentwicklung.
Die Vorstellung, die Konsequenzen
      unseres Konsums auslagern                          Die menschenrechtliche Verantwortung für die Wirt-
                                                         schaft wird von einigen Initiativen auch über soge-
         zu können und hier nichts                       nannte extraterritoriale Schutzpflichten für Men-
                                                         schenrechte hergeleitet. Das heißt die Schutzpflicht
    damit zu tun haben zu wollen,                        des Staates erstreckt sich auf grenzüberschreitende
                                                         Unternehmensaktivitäten. Dadurch soll die unter-
             ist brüchig geworden.                       nehmerische Verantwortung auch in dem Staat auf
                                                         dem gerichtlichen Klageweg eingefordert werden
                                                         können, in dem das Unternehmen seinen Stammsitz
In allen Fällen ging es um die nicht normgerechte An-    hat. Allerdings ist der Nachweis von Menschen-
wendung des Zivilpaktes durch die jeweiligen Regie-      rechtsverletzungen im Ausland aufwendig und durch
rungen: willkürliche Haft wegen der Beschwerde über      die komplexen Unternehmensstrukturen und Han-
Vertragsverletzungen, Hinauszögern von Gerichtsver-      delsketten mit Hürden versehen, etwa im Textilsek-
fahren oder Morddrohungen wegen der Einforderung         tor. Im deutschen Gesellschaftsrecht ist die Haftung
von Kompensationszahlungen und staatliche Untätig-       eines Mutterunternehmens für Handlungen von
keit. Der Kinderrechtsausschuss sowie der Fachaus-       Tochterunternehmen aufgrund des sogenannten
schuss zum Vertrag über die Eliminierung des Rassis-     Trennungsprinzips nicht möglich. Ohne hier auf wei-
mus haben auf das Recht auf sauberes Wasser und          tere juristische Details eingehen zu wollen, sei darauf
saubere Luft in der frühkindlichen Entwicklung sowie     verwiesen, dass Initiativen wie das European Center
das Recht auf eine genuine natürliche Umgebung hin-      for Constitutional and Human Rights (ECCHR) oder
gewiesen, die als Kernelement der lokalen Aborigi-       medico international gleichwohl Klagen in Deutsch-
nes-Gemeinschaft in Australien erachtet wurde. Es        land unterstützen, um eine rechtliche Neubewertung
gibt hier zwar keine international vollziehende Ins-     über Gerichtsentscheidungen zu erreichen; so die
tanz, aber diese Bewertungen und Kommentare sind         Klage von Überlebenden und Hinterbliebenen der
Teil einer Standardsetzung, die Maßstäbe für men-        Brandkatastrophe in Karachi.
schenrechtliche Sorgfaltspflichten und menschen-
rechtsverträgliches Handeln auf Seiten des Staates so-   Wie effektiv und nutzbar sind Menschenrechtsab-
wie mittelbar des Unternehmens setzt. Auf all den        kommen, ILO-Konventionen und Richtlinien ange-
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   17

sichts der vielen Wenn und Aber? Bei den internatio-                  Gesellschaft und Politik zu betreiben, damit der
nalen Konventionen gibt es Prüforgane sowie                           Schutz der Menschenrechte und das Ziel der Nachhal-
Berichts- und Beschwerdeverfahren, die feststellen,                   tigkeit nicht allein einer individuellen Verantwortung
inwieweit Staaten ihren menschenrechtlichen Pflich-                   überlassen bleibt. Solche auf die gesellschaftlichen
ten nachkommen. An diesen Prüf- und Auswertungs-                      Bedingungen zielenden Fingerzeige bestehen, in
verfahren sind nicht staatliche Akteure immer betei-                  Stichworten, unter anderem in unabhängigen Textil-
ligt, und sie haben die Standardsetzung auch im                       siegeln, in Initiativen wie dem „Bündnis für nachhal-
Bereich Wirtschaft und Menschenrechte nicht unwe-                     tige Textilien“ (BMZ), in Kampagnen für Saubere Klei-
sentlich mitbestimmt. Damit können wiederum Be-                       dung, in Regularien für die öffentliche Beschaffung,
troffene vor Ort arbeiten; und gegebenenfalls mittels                 im Einrichten von Entschädigungsfonds, in staatli-
(Rechts-)Hilfe aus dem Ausland eigene Beschwerden                     chen Regeln für Unternehmen zur menschenrechtli-
bei den UN-Organen einreichen oder Klagemöglich-                      chen Sorgfalt und in Zusagen über langfristige Ein-
keiten in Ländern mit Unternehmensstammsitz son-                      kaufsmengen für Lieferländer und anderes mehr.
dieren und ausschöpfen.
                                                                      Die Zeiten ändern sich. Die Vorstellung, die Konse-
Menschenrechtsstandards liegen etwa dem Zollpräfe-                    quenzen unseres Konsums auslagern zu können und
renzabkommen der Europäischen Union (EU) zu-                          hier nichts damit zu tun haben zu wollen, ist brüchig
grunde, dem „Allgemeinen Präferenzsystem plus“                        geworden. Wenngleich Staat und Gesellschaft in ihrer
(APS+; englisch: GSP+), das Sri Lanka und die Philip-                 Mehrheit in Deutschland faktisch gewaltsam daran
pinen einbezieht. Allerdings wurde die Zollpräferenz                  festhalten, dieses Lebensmodell gegen andere abzu-
bislang nur Sri Lanka von 2010-2017 entzogen, jedoch                  schotten, so wissen doch einige um die extremen Un-
weniger wegen grober Menschenrechtsverstöße, als                      gleichheiten: Andere haben kein Trinkwasser, damit
vielmehr wegen vermuteter Kriegsverbrechen. Ein                       wir das nächste Bekleidungsstück umtauschen kön-
zweites Anwendungsgebiet innerhalb der EU sind                        nen. Dass dies nicht mit rechten Dingen zugehen
Menschenrechtsklauseln, die seit 1992 Bestandteil bi-                 kann, ahnen ebenfalls viele. Die teils grobe und syste-
lateraler Abkommen sind. Selbst in Fällen grober Ver-                 matische Verletzung von Menschenrechten andern-
stöße wie in Mexiko wurde kein Handelsvertrag aus-                    orts, damit unser Wohlstand funktioniert, diese Ver-
gesetzt. Umgekehrt bleiben europäische Unternehmen                    knüpfung würden viele hingegen öffentlich ablehnen.
hier ausgeklammert, die unter Umständen für Men-                      Damit dies in der Praxis handlungsleitend wird, brau-
schenrechtsverletzungen mitverantwortlich sind und                    chen wir lautstarke, wirkmächtige Institutionen, die
davon profitieren.                                                    eine andere Art des Produzierens und Konsumierens
                                                                      propagieren und für sich selbst ins Werk setzen. Noch
                                                                      überwiegt der Eindruck, dass entgegen allen Umfra-
Was können wir tun?                                                   gen jedes vermeintliche Schnäppchen genutzt wird,
                                                                      und Konsumentinnen verstört auf die Verteuerung
Zunächst ist es wichtig, dass über die Anbau- und Ar-                 von Billigangeboten reagieren.
beitsbedingungen in den Produktionsländern aufge-
klärt wird. Nur wenn die Informationen breit gestreut,
die menschenrechtlichen Folgen pointiert vorgetra-
gen werden sowie ein anderes, nachhaltiges Konsu-                                     Dr. Theodor Rathgeber,
mieren aufgezeigt wird, können die Betroffenen in                                     Journalist und Menschenrechtsexperte
den Produzentenländern auf Solidarität hoffen, und
wir unser Handeln ändern. Informationen zu streuen
heißt auch, Kampagnen und Lobbyarbeit gegenüber

Lese- und Quellenhinweise
Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Hanser Berlin, Berlin 2016
Kamerun 2005 (Dokument CCPR/C/96/D/1397/2005), 2013 (CCPR/C/112/D/2325/2013) und 2016 (CCPR/C/121/D/2764/2016),
die Philippinen 2003 (CCPR/C/81/D/1167/2003) und 2007 (CCPR/C/98/D/1619/2007),
Sri Lanka 2005 (CCPR/C/95/D/1432/2005).
18     VEM-Menschenrechtsaktion 2019

       ARBEITSBEDINGUNGEN IN DER
       GLOBALEN TEXTILPRODUKTION

       Seit vielen Jahren schon machen Menschenrechtsorga-       etwa von Seidensticker oder Gerry Weber werden dort
       nisationen wie die „Kampagne für Saubere Kleidung“        hergestellt. Es gibt nur noch wenige Produktionsstät-
       auf die zahlreichen Arbeitsrechtsverletzungen bei der     ten, die den Auftraggebern selbst gehören. In der Re-
       Produktion von Textilien und Bekleidung aufmerksam.       gel beauftragen H&M und Co. indonesische Zuliefer-
       Doch wie gravierend sind diese Missstände? Wo fin-        betriebe, nach einem vorgegebenen Design eine
       den sie statt und wer ist dafür verantwortlich?           bestimmte Stückzahl an Bekleidung herzustellen und
                                                                 pünktlich zu liefern.

       Arbeitsrechte sind Menschenrechte                         Die über eine Million Beschäftigten in der indonesi-
                                                                 schen Textil- und Bekleidungsindustrie, die nähen,
       Nehmen wir das Beispiel Indonesien: Indonesien ge-        weben, verpacken etc. arbeiten in der Regel bei einem
       hört zu den zehn wichtigsten Bekleidungsexporteu-         Zulieferbetrieb der deutschen oder europäischen Auf-
       ren der Welt. Dort ist besonders die Sportartikelindus-   traggeber. Der Zulieferbetrieb hat deshalb auch die
       trie (Adidas, Nike, Puma u.a.) sehr stark vertreten,      direkte Verantwortung für die Arbeitsbedingungen.
       aber auch Bekleidung für Massenanbieter wie bei-          Wenn diese Arbeitsbedingungen gegen Menschen-
       spielsweise H&M oder C&A oder hochpreisige Ware           rechte bei der Arbeit verstoßen, also Mindestlöhne

       Die 10 wichtigsten Lieferländer von Bekleidung (2017, in Mrd. US-Dollar)

                                               2.                                               1.
                                              EU                                              China
                                              130                                              158

                                                          6.
10.                                                     Türkei
USA                                                       15                   3.
 6                                                                        Bangladesch
                                                                              29
                                                                                                   4.
                                                                                                Vietnam           7.
                                                                        5.                         27          Hongkong
                                                                      Indien                                      14
                                                                        18
                                                                                                            8.
                                                                                                        Indonesien
                                                                                      9.                    8
                                                                                  Kambodscha
                                                                                      7

 Quelle: WTO 2018
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   19

nicht gezahlt werden, Überstunden erzwungen wer-               seine eigenen Kosten senkt: Überstunden werden
den, Kinder im Betrieb beschäftigt werden, Frauen              nicht oder zu gering entlohnt, Lohnerhöhungen wer-
schlechter als Männer bezahlt werden oder keine Ge-            den ausgesetzt, Entschädigungen bei Entlassungen
werkschaft im Betrieb erlaubt wird – dann sind die             (in Indonesien rechtlich verbindlich) nicht gezahlt,
Auftraggeber aber zumindest indirekt dafür verant-             Gewerkschaftsgründungen verhindert.
wortlich: Denn der Wettbewerb im Bekleidungsmarkt
ist groß. Wer sich an diesem Markt behaupten will,             Wenn der Zulieferbetrieb trotz aller Sparmaßnahmen
muss nicht nur gute oder modische Produkte anbie-              die Preiserwartungen der Auftraggeber nicht erfüllen
ten, sondern auch Kosten reduzieren, wo es nur geht.           oder die erwünschten Lieferzeiten nicht einhalten
Was das im Vergleich zum Endverkaufspreis zum Bei-             kann, weil er zum Beispiel keine gesetzwidrigen Ar-
spiel eines Sportschuhs bedeutet, wurde vor mehr als           beitszeiten von 14 bis 16 Stunden am Tag anordnet,
15 Jahren schon einmal ausgerechnet: Die indonesi-             dann ziehen die Auftraggeber schnell weiter: zu güns-
schen Arbeitskosten in einem Sportschuh, der in Eu-            tigeren Zulieferern oder sogar in günstigere Produkti-
ropa verkauft wird, lagen damals bei rund 0,6 Prozent.         onsländer. Auch zwischen den Staaten insbesondere
Obwohl die Kostenkalkulationen der Auftraggeber                in Asien entsteht so ein großer Konkurrenzdruck.
nicht öffentlich sind, kann man davon ausgehen, dass           Wenn Mindestlöhne erhöht werden sollen, ist ganz oft
bei allen Bekleidungsstücken, ob preiswert oder teuer,         ein schlagkräftiges Gegenargument, dass man dann
die Arbeitskosten auch heute noch im niedrigen ein-            nicht mehr mit den günstigeren Nachbarländern mit-
stelligen Prozentbereich liegen.                               halten könne.

                                                               Das Ende der Freiwilligkeit
  MENSCHENRECHTE BEI DER ARBEIT
  Die sogenannten Kernarbeitsnormen der Internationalen        Seit den 1990er Jahren macht die Kampagne für Sau-
  Arbeitsorganisation (ILO) sind als Menschenrechte bei der    bere Kleidung auf die Arbeitsrechtsverletzungen in
  Arbeit weltweit anerkannt. Auf ihre Umsetzung müssen die     der textilen Kette aufmerksam. Lange verneinten die
  ILO-Mitgliedsstaaten hinarbeiten – egal, ob sie die          europäischen Unternehmen ihre Verantwortung für
  einzelnen acht Übereinkommen ratifiziert haben oder nicht.   die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben. Das
                                                               ist heute anders. Doch nehmen die meisten Auftrag-
  Die acht Kernarbeitsnormen sind:                             geber ihre Verantwortung „freiwillig“ über die Durch-
                                                               führung von Sozialaudits wahr: Sie schicken einen
  Nr. 29 und Nr. 105	Abschaffung von Zwangs- oder             Dienstleister in ihre Zulieferbetriebe, der bei seinen
                       Pflichtarbeit                           Besuchen eine Checkliste zu den dortigen Arbeitsbe-
  Nr. 87 und Nr. 98	Recht auf Vereinigungsfreiheit            dingungen abarbeitet. Das ist nicht immer glaubwür-
                       und Kollektivverhandlungen              dig, festgestellte Missstände werden nicht unbedingt
  Nr. 100 und Nr. 111	Anti-Diskriminierung in                 behoben, die vorgelagerten Betriebe wie etwa Un-
                       Beschäftigung und Beruf                 ter-Auftragnehmer oder Produzenten von Vorproduk-
  Nr. 138 und Nr. 182  Verbot von Kinderarbeit                 ten werden in der Regel gar nicht erreicht.

  Außerdem formuliert schon die ILO-Verfassung von 1919        Es ist Zeit, im Rahmen von gesetzlichen Maßnahmen
  als einen ihrer Grundsätze „die Bezahlung der Arbeiter mit   die Auftraggeber für Missstände in ihrer Lieferkette
  einem Lohne, der ihnen eine (…) angemessene Lebensfüh-       zur Verantwortung zu ziehen und damit das Zeitalter
  rung ermöglicht“. Hieran knüpfen Kampagnen zur Zahlung       der freiwilligen Sozialverantwortung zu beenden.
  existenzsichernder Löhne an.
                                                                           Dr. Sabine Ferenschild,
                                                                           wissenschaftliche Mitarbeiterin im Südwind
                                                                           Institut für Ökonomie und Ökumene
Die Preise, die die Zulieferbetriebe von ihren Auftrag-
gebern erhalten, sind in den vergangenen Jahren in
vielen Fällen noch gesunken. Das kann ein Zulieferbe-
trieb aber nur dann ökonomisch überleben, wenn er
20

„DEMOKRATISIERUNG
 DES WISSENS“
 Im Gespräch mit Dina Septi Utami, Mitarbeiterin
 des Sedane Labour Resource Center (LIPS) in
 der indonesischen Hauptstadt Jakarta

 Frau Septi Utami, wie sind die Arbeitsbedin-                zu gehen. Es kommt vor, dass Arbeiterinnen extra um
 gungen in den Fabriken?                                     Erlaubnis für den Toilettengang bitten müssen.
                                                             Manchmal müssen sie die Erlaubnis schriftlich nach-
Überlange Arbeitszeiten infolge hoher Zielvorgaben           weisen. Wenn sie „zu lange“ auf der Toilette sind, häm-
sind die Regel. Dies vor allem während der „Export-Ta-       mern die Aufsichtspersonen an die Tür. Es gibt Fabri-
ge“. Dann müssen Arbeiterinnen häufig in der Fabrik          ken, die nicht genügend Toiletten vorhalten. Viele
übernachten, um ihr Soll erfüllen zu können. Diese           stellen auch keine Gebetsräume zur Verfügung.
Überstunden werden oft nicht wie vorgeschrieben
vergütet. Es gibt ein geflügeltes Wort: „Du arbeitest, bis   In vielen Textilfabriken sind die Arbeiterinnen nicht
das Soll erfüllt ist, bis du stirbst.“                       ausreichend geschützt. Es werden Chemikalien be-
                                                             nutzt, deren gesundheitliche Langzeitfolgen sie nicht
Den Arbeiterinnen fehlt die Zeit zu beten (die meisten       kennen. Zudem sind die Lichtverhältnisse, Tempera-
sind muslimischen Glaubens; Anmerkung D. W.). Ih-            tur oder Lüftung oft unzureichend.
nen fehlt selbst die Zeit, zur Toilette zu gehen. Auch
dies hängt mit den hohen Zielvorgaben zusammen. Es           Arbeiterinnen berichten auch von alltäglichen Ge-
kommt vor, dass die eigenen Kolleginnen sie vom Ge-          walterfahrungen. LIPS hat unter anderem folgende
bet oder vom Toilettengang abhalten, weil dadurch            Formen von Gewalt registriert: Schläge, Beschimp-
das Fließband ins Stocken gerät. Manche arbeiten so-         fungen Einschüchterung, Demütigung, Schikane,
gar während der Mittagspause oder frühmorgens vor            sexuelle Belästigung, Forderung nach sexuellen
dem offiziellen Arbeitsbeginn. Aus Zeitmangel schlin-        Dienstleistungen als Voraussetzung für einen dauer-
gen sie in der Mittagspause das Essen runter. Manch-         haften Arbeitsplatz.
mal verzichten sie sogar auf die Mahlzeit. Magenge-
schwüre sind häufig die Folge. Schwerwiegende
Folgen wie Harnwegsinfektionen werden diagnosti-
ziert, wenn sie sich nicht die Zeit nehmen, zur Toilette
VEM-Menschenrechtsaktion 2019   21

Die Löhne haben Auswirkungen auf das Leben               Was können wir von hier aus beitragen,
der Arbeiterinnen.                                       aus Europa, aus Deutschland?

Textilarbeiterinnen haben Anspruch auf den gesetzli-     Fördern Sie ein besseres Arbeitsklima! Stärken Sie
chen Mindestlohn. Dennoch versuchen Unterneh-            Gewerkschaften durch Bildungsmaßnahmen. Das
men, diese Regelung zu umgehen, indem sie bei der        Wissen muss an die Basis gebracht werden. Europäi-
Regionalregierung eine Ausnahmegenehmigung be-           sche Länder sind an multilateralen und bilateralen
antragen. Im Jahr 2013 wurden von 949 solcher An-        Handelsabkommen beteiligt. Dies ist eine Gelegen-
träge 669 genehmigt. Die gesetzlichen Mindestlöhne       heit, eine bessere Arbeitspolitik zu befördern. Euro-
unterscheiden sich je nach Provinz oder Distrikt. In     päische Gewerkschaften können Wissen bereitstellen
Tangerang zum Beispiel, wo auch Adidas und H&M           und Erfahrungen mit indonesischen Gewerkschaften
produzieren lassen, liegt er aktuell bei 207 Euro im     austauschen. Üblicherweise geschieht dies zwischen
Monat, in Sragen (Ost-Java) dagegen nur bei 90 Euro.     etablierten Gewerkschaften auf nationaler Ebene und
Dieser Mindestlohn reicht aber nicht für den eigenen     in internationalen Netzwerken. Es gibt aber auch ei-
Bedarf, geschweige denn für den der Familie.             nen dringenden Bedarf der „Demokratisierung des
                                                         Wissens“ von unten, auf Fabrikebene, denn dort lie-
Untersuchungen haben gezeigt, dass man mindestens        gen die Probleme.
245 Euro im Monat braucht. Ein menschenwürdiges
Leben ist mit diesem Mindestlohn nicht möglich. Der
Lohn reicht nicht, um Lernmaterialien und Schuluni-      Was können Unternehmen und
formen für die Kinder zu kaufen oder für einen ange-     Konsumentinnen tun?
messenen Wohnraum. Ein gemietetes Zimmer in ei-
ner Arbeiterunterkunft ist kein Ort, um Kinder           Der Lohnanteil bei einer Bluse beispielsweise beträgt
großzuziehen. So lassen viele Arbeiterinnen ihre Kin-    nur 0,6 Prozent. Eins ist klar: Die Auftraggeber müssen
der bei den Großeltern.                                  den Produzenten mehr bezahlen, um bessere Löhne
                                                         zu ermöglichen.

Was können Arbeiterinnen tun, um ihre                    Die Markenfirmen stehen an der Spitze der globalen
Situation zu verbessern?                                 Lieferkette der Textilien. Sie sind mächtig und strei-
                                                         chen den größten Profit ein. Sie müssen ihren eigenen
Drei Dinge: Erstens können Arbeiterinnen und Ge-         Verhaltenskodex umsetzen, um den Arbeiterinnen
werkschaften den sozialen Dialog nutzen. Es gibt dafür   menschenwürdige Bedingungen zu garantieren. Sie
Institutionen auf verschiedenen Ebenen, in denen sie     dürfen nicht nur auf ihre Profitsteigerung blicken.
für eine bessere Arbeitspolitik kämpfen können, d. h.
für den Schutz vor unbegründeter Entlassung oder die     Für die Konsumentinnen ist es wichtig, dass sie Infor-
Verbesserung der Berechnung und die Vereinbarung         mationen über die Produkte haben, die sie kaufen. Wer
des Mindestlohns. Zweitens können sie ihre organisa-     hat sie gemacht? Wo wurden sie produziert? Wie sind
torischen Fähigkeiten und ihr Verhandlungsgeschick       dort die Arbeitsbedingungen? Konsumentinnen kön-
entwickeln.                                              nen Druck auf Markenfirmen ausüben, die Arbeiterin-
                                                         nen besser zu bezahlen.
Es geht darum, die Bedürfnisse und Forderungen der
Arbeiterinnen gut zu formulieren und an den Ver-         Vielen Dank für das Gespräch!
handlungstisch zu bringen. Schließlich können sie
sich für Demokratisierungsprozesse innerhalb der Ge-                 Interview und Übersetzung:
werkschaften einsetzen. Erneuerung und Verjüngung                    Dietrich Weinbrenner
der Gewerkschaftsführung sowie Bildungsmaßnah-
men sind wichtig, um die Verhandlungsfähigkeit im
sozialen Dialog zu verbessern.
Sie können auch lesen