Akzente 1/2021 - Ernährung - Sprießendes Miteinander Zum Wandel angestachelt Mit den Augen der Kinder - akzente | Das Magazin der GIZ
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akzente Das Magazin der GIZ 1/2021 Sprießendes Miteinander Erfolgreiches Mentoring in Südostasien Zum Wandel angestachelt Produktion von Biomasse in Namibia Mit den Augen der Kinder Sichere Schulwege in der Ukraine Ernährung Basis für eine gesunde Zukunft
Gesichter und Geschichten MEHR SPASS IM K L A S S E N Z I M M E R FARID EL-HOUZIA Nach 20 Jahren in Deutschland kehrte Farid El-Houiza in seine Heimat Marokko zurück. Er gründete mit Unterstützung des Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM) ein Start-up. Mit Robotern und digitalen Tools begeistert er Kinder spielerisch fürs Lernen. Diese und weitere „Gesichter und Geschichten“ finden Sie online auf www.giz.de/geschichten Code mit Smartphone einscannen und Video ansehen
Editorial DER KLEINE UNTERSCHIED Warum es im Kampf gegen Hunger auf jede und jeden von uns ankommt. EIN UNGEWOHNTES MANGELGEFÜHL erle- schaft vorgenommen. Wie das gelingen ben wir in Deutschland derzeit durch die kann, dem geht diese akzente-Ausgabe nach. Corona-Pandemie: Mangel an sozialen Kon- Die afrikanische Wissenschaftlerin Jemimah takten oder menschlicher Wärme, an Mög- Njuki bezeichnet unser derzeitiges Ernäh- lichkeiten und Freiheiten. Dazu kommt die rungssystem als grundlegend falsch und er- Angst vor Verlusten – etwa des Arbeitsplatzes klärt in einem Essay, warum das auch viel mit oder der Existenz. Am Anfang der Pandemie mangelnder Geschlechtergerechtigkeit zu blitzte sogar die Sorge auf, dass womöglich tun hat. Die Ruanderin und UN-Sonderbe- das Allernötigste gefährdet sei, es an Strom, auftragte Agnes Kalibata vertritt in einem In- Wasser oder Lebensmitteln fehlen könnte. terview die Ansicht, dass es mit einzelnen Deshalb horteten manche Toilettenpapier, Maßnahmen nicht getan sei. Wir müssten andere Mehl, Nudeln oder sogar Rotwein. das gesamte System auf den Prüfstand stel- len, nachhaltiger gestalten und dabei die Fol- ZUM ERSTEN MAL seit dem Zweiten Welt- gen des Klimawandels im Blick behalten. krieg erfährt der Westen einen Einbruch in seine Konsumwelt. Doch das sind vielfach AUFFÄLLIG IST, dass Frauen bei diesem The- Luxusprobleme. Viel dramatischer trifft es ma deutlich unterrepräsentiert sind, obwohl andere Weltgegenden, wo der Mangel Teil es gerade auf sie bei Produktion und Zube- des Alltags ist, weil es nie genug gibt, und reitung von Essen ganz entscheidend an- zwar von einer ganz elementaren Sache: kommt. Dieses Muster wollten wir brechen, SABINE TONSCHEIDT, Nahrung. Statistisch betrachtet geht jeder mindestens in unserem Einflussbereich. Leiterin Unternehmenskommunikation neunte Mensch hungrig zu Bett. Hunderte Deshalb kommen im Schwerpunkt mehr- sabine.tonscheidt@giz.de Millionen Menschen müssen auch im 21. heitlich Frauen zu Wort. Abgesehen vom Jahrhundert, wörtlich genommen, um ihr Gender-Aspekt zeigen ihre Beiträge vor al- tägliches Brot kämpfen. Corona hat die Lage lem eins: Wir sind Teil eines größeren Gan- verschlimmert, doch das Problem existierte zen. Wir alle prägen das Ernährungssystem schon vorher. Es herrscht gewissermaßen durch unsere täglichen Entscheidungen mit. Hunger satt. Wir alle können einen kleinen, aber maß- geblichen Unterschied machen. DAS MÜSSTE NICHT SEIN. Die Erde könnte FOTO: TRISTAN VOSTRY (S. 2), DIE HOFFOTOGRAFEN/MARIA VOGEL (S. 3) alle Menschen ernähren und könnte es auch WAS ZU TUN IST, wissen wir längst: Weniger noch lange weiter, trotz eines Bevölkerungs- Fleisch, mehr Gemüse, nichts verderben las- wachstums auf neun oder zehn Milliarden sen und wegwerfen, regional kaufen, Maß Menschen. Wo genau die Belastungsgrenze halten, lauten die Stichworte. Ohne es liegt, darüber ist sich die Wissenschaft nicht schönreden zu wollen, aber manchmal kann einig, aber klar ist: Wir haben sie noch nicht der Mangel auch durchaus positiv wirken. erreicht. Und trotzdem hat es die Welt Bei uns jedenfalls. Andernorts dagegen ist er gemeinschaft bisher nicht geschafft, jeden einfach nur: ein inakzeptables Versäumnis. Menschen mit ausreichend und gesunder Nahrung zu versorgen. Ihre BIS ZUM JAHR 2030 soll der Hunger ver- schwinden. Das hat sich die Weltgemein- akzente 1/21 3
REP OR TAGE Die Ernte der Frauen Zu Besuch im Norden Malis S. 18 ÜBERBLICK Smarte Lösungen Landwirtschaft neu gedacht S. 22 GA S T BEI T R AG Hier Verschwendung, dort Hunger Von Jessica von Blazekovic S. 23 E S S AY Repariert das System! Von Jemimah Njuki S. 24 INF OGR AF IK Hunger ohne Ende Ernährung in Zahlen S. 30 IN T ER VIE W SCHWERPUNK T: ERNÄHRUNG „Nicht genug und nicht gesund“ Mit Agnes Kalibata S. 32 Aufgetischt Eine Welt ohne Hunger – ein ferner Traum? ERKL ÄR T Über den Tellerrand blicken Von Albert Engel S. 34 Trotz aller Anstrengungen haben immer noch Millionen Menschen nicht ausreichend zu AUS DER ARBEI T DER GIZ EDITORIAL essen. Wie können wir das ändern? Viele Wege, ein Ziel Projektbeispiele der GIZ S. 35 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 FOTOS: MALTE JAEGER/LAIF (S. 4, OBEN), ILLUSTRATION: JULIAN RENTZSCH (S. 4, LINKS), TIM BRUNAUER (S. 4, RECHTS) MELDUNGEN Was die Welt bewegt Neuigkeiten, Projekte sowie REP ORTAGE Zahlen und Fakten aus aller Welt S. 6 Zum Wandel angestachelt Wie Namibia die Verbuschung eindämmt und Arbeitsplätze schafft. S. 10 4 akzente 1/21
Inhalt PERSPEK TIVEN Sprießendes NACHGEHALT EN, IMPRES SUM MOMEN TAUF NAHME Miteinander Es grünt so grün So funktioniert erfolgreiches Wo Basilikum und anderes frisches Mentoring in Südostasien. S. 42 Grün ganz ohne Erde gedeihen. S. 36 SERVICE 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 FOTOS: ALBERTO BERNASCONI/LAIF (S. 5, OBEN LINKS), AUNG NAING OO (S. 5, OBEN RECHTS), MARIA WARENIKOWA (S. 5, UNTEN LINKS) VORGES T ELLT Salam aus Islamabad Von Peer Gatter, dem Leiter des FATA- Entwicklungsprogramms in Pakistan S. 50 AKZENTE DIGITAL REP ORTAGE akzente 1/2021 Unser Magazin gibt es natürlich auch online, Das Magazin der GIZ Mit den Augen der Kinder Sprießendes Miteinander Erfolgreiches Mentoring optimiert für die mobile Nutzung. akzente.giz.de in Südostasien Durch welche Mittel ukrainische Schulwege Zum Wandel angestachelt Produktion von Biomasse in Namibia in Zukunft sicherer werden. S. 38 Mit den Augen der Kinder Sichere Schulwege in der Ukraine Ernährung Basis für eine gesunde Zukunft \GIZ\1_Produktion\2_Reproweitergabe\GIZ_21-01_Umschlag_D_DEU 105 08.03.2021 17:11:49 akzente 1/21 5
Meldungen IN ZAHLEN >91 Std. So lange dauerte der EU-Gipfel vom 17. bis 21. Juli 2020 in Brüssel – und ist damit nach jenem in Nizza im Jahr 2000 der zweitlängste EU-Gipfel der Geschichte. Die Themen waren komplex und reichten von einem Aufbaufonds zur Bewältigung der Pandemie-Folgen bis zur Abstimmung des neuen Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR). 40 Mio. So viele Wörter hat das maschinelle Übersetzungsprogramm, der sogenannte EU Council Presidency Translator, bereits in 24 Sprachen übertragen. Es übersetzt aus jeder und in jede EU-Sprache und ist allen interessierten Bürger*innen zu- Wissen nutzen gänglich. Das Übersetzungssystem wur- de speziell für die deutsche EU-Rats präsidentschaft entwickelt und basiert auf künstlicher Intelligenz. Die GIZ hat in Berlin ihren Evaluierungsbe- BERICHT richt vorgestellt. Darin werden 215 Projektbewer- 1,8 Bio. So hoch ist das Volumen des histori- tungen begutachtet. Das Fazit ist positiv: Qualität und Vergleichbarkeit der Evaluierungen haben sich erhöht. Die systematische Prüfung der Wirksamkeit schen Finanzpakets in Euro, das während ist wichtiger Bestandteil der Arbeit der GIZ. Vor- der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geschnürt wurde: Man einigte sich auf standsmitglied Ingrid-Gabriela Hoven: „Wir haben den EU-Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre und einen Aufbaufonds für den Anspruch, Transparenz zu schaffen, unsere die Bekämpfung der Folgen der Corona Instrumente weiterzuentwickeln und so unsere virus-Pandemie. Die EU-Gelder werden zudem durch einen neuen Rechtsstaats- Leistungen dauerhaft zu verbessern. Wir wollen mechanismus geschützt. wissen, was wirkt, und als Institution dazulernen.“ Quelle für alle Zahlen: bundesregierung.de www.giz.de/de/ueber_die_giz/516.html 6 akzente 1/21
Meldungen DREI FRAGEN AN „Wir müssen unsere Ernährung ändern. Der Planet kann nicht Milliarden von Fleischessern versorgen.“ SIR DAVID ATTENBOROUGH in seinem Dokumentarfilm „Mein Leben auf unserem Planeten“ TOUTY SY Die Modedesignerin hat eine klare Vision: Mode „made in Senegal“. Durch Ausbildung und Beschäfti- gung von Jugendlichen und Frauen will sie die hei- mische Textilbranche voranbringen. Bei der Gründung einer Interessengemeinschaft unterstützte sie das bilaterale GIZ-Vorhaben „Erfolgreich im Senegal“. Wie kam es zu Ihrer Karriere in der Modebranche? Abendkurse in Modedesign in Paris und ein florie- rendes Importgeschäft von Kleidung und Accessoires lagen hinter mir. Da wurde mir klar, dass ich lieber in mein eigenes Land investieren wollte. Ich schloss mich mit einer Schneiderschule in Dakar zusammen und schuf in meinem Atelier TOUTY 25 Arbeitsplätze. Seit 2015 fertigen wir Maßkonfektion und Prêt-à- porter für den afrikanischen Markt. FOTOS: THOMAS IMO/PHOTOTHEK.NET (S. 6), I SOLARPOWER EUROPE (S. 7), ILLUSTRATION: JULIAN RENTZSCH (S. 7) Shine On Wobei hat Sie das Vorhaben „Erfolgreich im Senegal“ unterstützt? Ich habe mich mit anderen senegalesischen Desi- AUDIO Solarbetriebene Wasserpumpen Michael Franz wird interviewt, er ist gnerinnen und Designern von Mode und Schmuck verdoppeln das Einkommen von Bäue- Teamleiter von GET.invest, das den zusammengetan. Wir teilen uns die Kosten für rinnen und Bauern in Tansania – ein Podcast gemeinsam mit dem Verband Räume, Anschaffungen und Fortbildungen. Die GIZ Bespiel von vielen, die der Podcast SolarPower Europe betreibt. GET.invest beriet uns 2019 bei der Gründung unserer Inte- „Shine On“ vorstellt, in dem es um er- ist ein europäisches Instrument, das ressengemeinschaft „Atelier 221“ und organisierte folgreiche Projekte und Geschäftsideen Investitionen in dezentrale erneuerbare Pop-up-Stores. rund um die Solarenergie in Afrika Energien mobilisiert. Es richtet sich an geht. Auch Themen wie Gesetze, Tarife Unternehmen und Projektentwickler Die Coronavirus-Pandemie trifft die Textilbranche und Einstiegsbarrieren in den Markt und hilft ihnen dabei, finanzierungsfä- besonders schwer. Auch Sie? kommen zur Sprache. Erfolgsgeschich- hige Ansätze zu entwickeln, um nach- Alle Boutiquen mussten im Lockdown 2020 schlie- ten sprechen für sich. So erzählt Ar- haltige Energiemärkte in Partnerlän- ßen. Also beteiligte sich das „Atelier 221“ an der noud de Vroomen vom mosambikani- dern aufzubauen. Die Europäische landesweiten Kampagne „1 Sénégalais, 1 Masque“. schen Unternehmen SolarWorks!, wie Union, Deutschland, Schweden, die Wir konnten die Produktion von 300.000 Mund-Na- eine seiner Mitarbeiterinnen vom Job Niederlande und Österreich unterstüt- sen-Masken anleiten. 600 Menschen fanden da- als Putzfrau zur Leiterin des Callcen- zen GET.invest. Die GIZ setzt es um. durch Arbeit. Die GIZ nahm insgesamt Masken im ters aufstieg. Auch GIZ-Mitarbeiter https://shineon.buzzsprout.com Wert von 15.000 Euro ab. akzente 1/21 7
Meldungen Nachhaltig fischen ABKOMMEN Gute Nachrichten für die Fischbestände zurückgegangen und minder- Ohrid-Forelle: Die Fischerei in den Seen ten das Einkommen der Fischer. Bei der Aus- Ohrid und Prespa soll in Zukunft nachhal- handlung des Abkommens unterstützte die tigen Prinzipien genügen. Die Regierungen GIZ gemeinsam mit dem Institut für Binnen- von Albanien und Nordmazedonien haben fischerei e.V. Potsdam-Sacrow die Verhand- Anfang Dezember 2020 ein Abkommen un- lungspartner. Sie führt dort im Auftrag des terzeichnet, um die nachhaltige Bewirtschaf- BMZ ein regionales Projekt zum Schutz und tung der Fischressourcen in den grenzüber- zur Nutzung der Biodiversität durch. Die Ver- schreitenden Gewässern sicherzustellen. Die handlungspartner haben vereinbart, in Zu- beiden Seen gehören zu den ältesten der Welt kunft ihre Maßnahmen zur nachhaltigen Be- und haben einen sehr hohen ökologischen wirtschaftung in den beiden Seen aufeinander Wert. Der Artenreichtum dort zählt zu den abzustimmen und im Rahmen ihrer geteilten größten in Europa und umfasst auch aus- Bestrebungen, der EU beizutreten, stärker schließlich dort auftretende Arten wie die miteinander zu kooperieren. Zu diesem Ohrid-Forelle oder die Prespa-Barbe. Für die Zweck wurde ein neues, gemeinsames Gremi- Anwohner der Seen ist die Fischerei eine um geschaffen, die Gemeinsame Fischerei- wichtige Lebensgrundlage. Zuletzt waren die kommission für die Seen Ohrid und Prespa. Snack „made So entsteht Hunger in Nigeria“ IM VERGLEICH Weltweitwaren 2019 135 Mio. Menschen INNOVATION Eine neue Leckerei hat sich von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen – der das Unternehmen Pacific Ring West Af- extremsten Form des Hungers. Hauptursachen waren rica (PRWA) aus Nigeria einfallen lassen: „Cassanovas“, Chips aus Maniok, sollen Konflikte, gefolgt von extremen Wetterereignissen den Weltmarkt erobern. Der Maniok für und Wirtschaftskrisen. die Chips stammt aus regionalem Anbau. Die GIZ unterstützt seit Ende 2019 im Rah- Quelle: Food Security Information Network, „2020 Global Report on Food Crises“ men einer Entwicklungspartnerschaft zwi- schen dem nigerianischen Unternehmen und develoPPP.de die Teilhabe der lokalen Bäuerinnen und Bauern an der Wertschöp- 24 Mio. Wirtschaftskrisen fungskette des Produkts. Die Chips wer- den jetzt nach Europa exportiert und sind etwa im Sortiment der Handelskette Edeka enthalten. Die beteiligten Kleinbäuerinnen und -bauern werden in einem vom BMZ fi- nanzierten Grünen Innovationszentrum in guter landwirtschaftlicher Praxis und un- 77 34 Mio. ternehmerischen Fähigkeiten ausgebildet. 300 Arbeitsplätze sind durch die Produk- Mio. tion der Maniok-Chips entstanden, über- wiegend für Frauen. 1.500 Kleinbäuerinnen und -bauern erzielen höhere Erträge und ein stabiles Einkommen. Bisher ist das Un- ternehmen gut durch die Corona-Krise ge- kommen und konnte Ausfälle, die durch Konflikte Wetterextreme eine vorübergehende Störung der Liefer- ketten entstanden waren, ausgleichen. 8 akzente 1/21
Meldungen Digitaler Ausweis PERU-WIKI für Bäume Landessprachen: Quechua, Aimara, Spanisch (1) / Hauptstadt: Lima (2) / Regierungsform: Republik (1) / Fläche: 1.285.220 km2 (2) / Bevölkerung: 33 Mio. (2) / Bevölkerungsdichte: 25,8 pro km2 (2) PERU Eine Software hilft dabei, Bäume aus dem Amazonasgebiet Perus ein- deutig zu identifizieren. Jeder Stamm bekommt einen Strichcode – gewisser- maßen sein Personalausweis. Dies ist wichtig, um illegalen Holzeinschlag einzu schränken. Mit Hilfe der Software „DataBOSQUE“ ist es möglich, die legale Herkunft eines Stamms nachzuweisen. Die Software registriert zunächst die Standorte aller Bäume, die legal gefällt werden sollen. Die gefällten Bäume erhalten den Strichcode. Sägewerke stellen auf diese Weise sicher, dass sie PERU kein illegal geschlagenes Holz verarbeiten. Sowohl Forstunternehmen als auch die Forstüberwachungsbehörde Perus können jederzeit effizient nachvollziehen, woher ein Stamm kommt. Eine nachhaltige Bewirtschaftung des Amazonaswal des stellt das Einkommen der Forstunternehmen und indigenen Gemeinden vor Ort sicher. Es werden selektiv bestimmte Baumarten genutzt, während der Ama zonaswald als Ganzes erhalten bleibt. Die nachhaltige Bewirtschaftung trägt dazu bei, die Entwaldung zu vermindern, und leistet einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz. Die Fläche legal und nachhaltig bewirtschafteter Wälder hat sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt und erreichte 2019 fast 4 Mio. Hektar. Quellen: (1) Statistisches Bundesamt, (2) UNdata FOTOS: MURALINATH/GETTY IMAGES (S. 8), BSWEI/GETTY IMAGES (S. 9, LINKS), TOBIAS BARTH/GETTY IMAGES (S. 9, MITTE), ARTRACHEN01/GETTY IMAGES (S. 9, RECHTS) NEUE PROJEKTE Dekarbonisierung Grüne Genossenschaften Green Recovery LATEINAMERIKA Das Konsortium IDOM POLEN Die GIZ fördert im Auftrag des BMU ZENTRALAMERIKA Die GIZ lädt gemeinsam und die GIZ, repräsentiert durch ihr In- Genossenschaften in zwei Regionen Polens, mit dem Generalsekretariat des Zentral ternational-Services-Büro in Latein um erneuerbare Energien im ländlichen amerikanischen Integrationssystems (SG- amerika, unterstützen Unternehmen aus Raum auszubauen. Die Genossenschaften SICA) Unternehmen der Region ein, sich Argentinien, Brasilien, Chile und Kolum- gewinnen grünen Strom für den Eigenbe- an zwei Ideenwettbewerben zum Thema bien dabei, neue Geschäftsbeziehungen darf und speisen Überschüsse ins Netz ein. „Green Recovery“ zu beteiligen. Unter den zu Europa zu entwickeln. Das Vorhaben Das Projekt wird aus dem Programm zur Einsendungen werden 40 Projekte ausge- konzentriert sich auf erneuerbare Ener Unterstützung von Strukturreformen (SRSP) wählt, die zu einem umweltfreundlichen gien, Abfallmanagement, Energieeffi- der EU-Kommission kofinanziert und von Aufschwung beitragen, um die Auswir- zienz sowie Land- und Forstwirtschaft, der GIZ umgesetzt. Damit ist die GIZ nach kungen der Coronavirus-Pandemie abzu- um eine Kreislaufwirtschaft mit gerin- 20 Jahren wieder in Polen aktiv. Der Ge- mildern. Ziel des Projekts im Auftrag des gen Kohlenstoffemissionen anzustoßen. schäftsbereich International Services sorgt BMZ ist es, Arbeitsplätze zu schaffen und Es wird von der EU finanziert. für die finanzielle Abwicklung. grüne Innovationen anzuregen. akzente 1/21 9
ZUM WANDEL ANGESTACHELT In den Weiten Namibias breitet sich der Busch aus. Farmer*innen stellen sich der Herausforderung und ernten die Biomasse. Das schafft Arbeitsplätze und sichert das Überle ben kleinbäuerlicher Betriebe. Ein Besuch im Nordosten des Landes zeigt, wie aus dornigen Zweigen Futter entsteht. TEXT LEONIE MARCH FOTOS TIM BRUNAUER
VISIONÄR Chief Ruben Uazukuani hat während der jüngsten Dürre durch das Buschfutter das Überleben seiner Viehherde gesichert.
Reportage A „Als ich in deinem Alter war, gab es all diese Büsche hier noch nicht“, sagt Chief Ruben Uazukuani zu seinem zwölfjährigen Sohn Rusuvero, während er das Tor zum Pferch öffnet. Seine Kühe warten schon, sie laufen in die Buschlandschaft und sind schon bald nicht mehr zu se- hen. „Früher konnte man von hier die Savanne überbli- cken und es wuchs noch überall Gras“, erzählt der Kleinbauer. Heute muss sein Vieh mühsam nach Futter suchen, die Büsche, die teilweise eine Größe von Bäu- men erreichen, haben das Gras verdrängt. An etlichen Stellen ist der Wuchs sogar so dicht und dornig, dass die Kühe gar nicht oder nur mit Blessuren durchkommen. Expertinnen und Experten sprechen von Ver- buschung, ein Problem, das viele Regionen Namibias betrifft. Auf bis zu 45 Millionen Hektar hat der Busch überhandgenommen. Das entspricht in etwa der Fläche von Deutschland und Österreich. Und das Problem wächst: jedes Jahr um rund drei Prozent. Hauptursache sei die jahr- Ruben Uazukuani schlägt das Buschholz kurz über dem zehntelange Überweidung, erklärt GIZ-Mitarbeiter Johannes Laufs: Wurzelstock ab. Dann wird es mit einer Hammermühle „Das Ganze wird durch den Klimawandel beschleunigt, denn der zerkleinert. Ernte und Verarbeitung sind arbeitsintensiv, Busch wächst unter hohem CO2-Gehalt in der Atmosphäre besser deshalb beschäftigt er dafür Arbeiter. als Gras.“ Die Folgen für die Landwirtschaft sind verheerend. Mit Unterstützung des Projekts „Busch-Kontrolle und Nutzung von Bio- masse“, das Laufs leitet, reagiert Namibia auf die Klimaveränderun- gen und versucht seine Resilienz zu stärken. Das ist dringend nötig, denn zur Verbuschung kamen in den vergangenen Jahren folgen- schwere Dürren. „Viele Kleinbauern aus unserer Region haben ihre Tiere verloren und waren gezwungen, in die Städte abzuwandern“, Zu folgenden Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) erzählt Ruben Uazukuani. Er arbeitet selbst schon seit etlichen Jah- der Vereinten Nationen trägt das Vorhaben bei: ren in der Hauptstadt Windhuk und kommt nur an den Wochen- enden ins rund vier Stunden entfernte Okamatapati, wo seine Fa- milie mehrere Tausend Hektar Land bewirtschaftet, das dem Staat gehört und er gepachtet hat. Gemeinsam mit seinem Sohn und zwei Arbeitern schleppt er aus einem Schuppen seine Hammermühle, die mittels rotierender Hämmer verschiedene Buschmaterialen unterschiedlich grob mah- 12 akzente 1/21
Zum Wandel angestachelt len kann. Er hievt sie auf seinen Pick-up und nach kurzer Fahrt stei- gen die Männer aus, greifen sich Macheten und beginnen, die Bü- NEUE WEGE AUS DEM BUSCH sche am Rand der ungeteerten Straße, die nach langersehntem Regen Befördert durch den Klimawandel verwandeln sich weltweit nun frisch austreiben, kurz über dem Wurzelstock abzuhacken. Ua- Savannen in Dickicht. Namibia versucht die Verbuschung ein zukuani zerkleinert die Äste mit Hilfe der Mühle, nach und nach zudämmen und gleichzeitig Chancen für neue Arbeitsplätze und füllt sich die Ladefläche seines Pick-ups. „Eine gute Ernte“, meint er. die Landwirtschaft zu schaffen. Die Buschkontrolle und die Denn während der Busch früher nur als Problem angesehen und Förderung von Biomasse-Wertschöpfungsketten sind ein wichti- teils mit Chemikalien vernichtet wurde, wird er heute auch als wert- ger Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit zwischen volle Ressource betrachtet. Der 47-Jährige ist einer von über eintau- Namibia und Deutschland. Das „Bush Control and Biomass Uti- send Farmerinnen und Farmern, die bei Workshops gelernt haben, lisation“-Projekt (BCBU) der GIZ im Auftrag des Bundesminis wie sie aus der Buschbiomasse Tierfutter herstellen können. Der teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung „De-bushing Advisory Service“ wurde von der GIZ gegründet und arbeitet eng mit dem namibischen Umweltministerium zusammen. organisiert die praktischen Trainings. Etliche von ihnen finden auf Innerhalb dieser Kooperation sind Rahmenbedingungen für eine der Farm von Anton Dresselhaus statt, der in Namibia als Pionier in nachhaltige Buschnutzung entwickelt und umgesetzt worden. diesem Bereich gilt. Dabei wird neben der Tierfutterproduktion auch Wertschöpfung durch erneuerbare Energie, Pflanzen- und Holzkohle sowie Jetzt lacht keiner mehr über das Buschfutter Baumaterialien unterstützt. Und mit dem „De-bushing Advisory Service“ wurde ein Wissenszentrum für Farmer*innen und Bereits vor zehn Jahren begann er mit Rezepturen zu experimentie- Unternehmer*innen aufgebaut. Bisher konnten zusätzlich 5.300 ren, zunächst aus der Not heraus, später aus Überzeugung. „Viele Jobs geschaffen werden und während der letzten Dürre produ- Leute haben mich damals ausgelacht und gesagt: ‚Kühe sind Weide- zierten 860 Bäuerinnen und Bauern Viehfutter aus Buschmasse. tiere und fressen keinen Busch‘“, erinnert er sich. Doch der innova- Jährlich wird der Busch auf 300.000 Hektar eingedämmt. tive Landwirt bewies das Gegenteil. „Wenn das Buschmaterial fein genug ist und aussieht wie Gras oder Wolle, dann fressen sie es sogar Kontakte: Johannes Laufs, johannes.laufs@giz.de; sehr gern.“ Angereichert wird die Masse mit Zutaten wie Melasse, Asellah David, asellah.david@giz.de Salz, Urea oder Phosphat, um die Tiere gleichzeitig mit Proteinen Oben: Anton Dresselhaus ist ein Pionier bei der Herstellung von Buschfutter und teilt sein Know-how. Links: Ruben Uazukuani zeigt seinem Sohn, wie sich die Verbuschung durch den Klimawandel beschleunigt hat. Wie eine Brauerei in Namibia die Buschbiomasse nutzt, sehen Sie im Video auf der akzente-Website: akzente.giz.de
und Mineralstoffen zu versorgen. Neben der Basisrezeptur gibt es weitere spezielle Mischungen, beispielsweise für trächtige Muttertie- re. Dresselhaus hat alles genauestens dokumentiert. Es freut ihn, dass seine Tiere schneller Gewicht zulegen und daher auch früher ver- kauft werden können. Das spart Kosten. Außerdem konnte er zu- sätzliche Arbeitsplätze für die Buschernte und -verarbeitung schaf- fen. Während der Dürre konnte er sich vor Anfragen kaum retten, die Nachfrage nach überschüssigem Buschfutter aus seiner Produk- tion war damals sehr groß. Inzwischen tauschen sich die verschiedenen Farmerinnen und Farmer über ihre Erfahrungen aus und konnten auch anfängliche „Unser Ziel ist es, Skeptiker wie Ruben Uazukuani überzeugen. Zunächst habe er nicht glauben können, dass sein Vieh „Zweige fressen“ würde. Aber die Balance des er war schnell überzeugt. „Dieses Konzept hat meiner Herde das Le- ben gerettet. Ohne das Buschfutter hätte sie die letzte Dürre nicht Ökosystems wieder überlebt“, betont Kleinbauer Uazukuani, als er nach der Buschernte auf seinen kleinen Hof zurückkehrt. Zwischen den kleinen Gebäu- herzustellen.“ den, gegenüber der Kochstelle, wo die Frauen der Familie gerade das Mittagessen vorbereiten, hat er bereits am Vortag gemischtes Futter auf einer Plastikplane in der Sonne ausgebreitet. PROGRESS KASHANDULA, Geschäftsführer des „De-bushing Advisory Service“ (DAS) in Namibia Der Farmer spart und dem Bullen schmeckt’s Den reinen Buschschnitt könne man einige Zeit lagern, erklärt er, Lesen Sie das komplette Interview unter die fertige Mischung müsse jedoch bald verfüttert werden. Er füllt akzente.giz.de einen Eimer und trägt ihn zu einem Trog. Direkt trabt ein Jungbulle herbei und macht sich über das Futter her. Offenbar schmeckt es 14 akzente 1/21
Zum Wandel angestachelt ihm mindestens so gut wie konventionelles Futter. Dabei sei es um schiedene Anwendungen, mit Erfolg. Ebenso ehrgeizig sind seine rund ein Drittel günstiger, so Uazukuani. „Ich spare viel Geld.“ Seit Pläne zur weiteren Ausdünnung des Buschbestands: Bis zu rund vier es wieder geregnet hat, ernährt sich seine Herde jedoch wieder über- Hektar will der 45-Jährige im Lauf des Jahres von den Arten befreien, wiegend von Gras. Nur ausgewählte Tiere, etwa jene, die besonders die sich besonders stark ausbreiten und das Gras in der Savanne ver- wertvoll sind, wie der Bulle, bekommen zusätzlich das Biobuschfut- drängen. Die Kosten für zwei Arbeiter, die er dafür anheuert, würden ter. Denn die Herstellung ist arbeitsintensiv und braucht ein gewis- sich auszahlen. „Ich habe gesehen, wie sich das Weideland dort erholt, ses Know-how. Uazukuani produziert es selbst mit größter Sorgfalt, wo wir den Busch bereits ausgedünnt haben“, betont er. Auf diesen denn eine falsche Rezeptur kann den Tieren schaden und im Ex Flächen hält er nun Ziegen, die die nachwachsenden Triebe fressen tremfall sogar ihren Tod bedeuten. „Wenn ich dauerhaft hier wäre, und so das neuerliche Wachstum in Schach halten. würde ich das Futter permanent herstellen“, sagt der Kleinbauer. Und noch etwas hat der Kleinbauer beobachtet: Seine beiden „Denn es ist wirklich hervorragend, mehr als nur ein Notfutter.“ Brunnen haben wieder mehr Wasser, seit er die Büsche, die teils tiefe Das findet auch Salomo Kauari, ebenfalls Kleinbauer auf kom- Pfahlwurzeln haben, entfernt hat. „Vorher konnten wir nur für ein munalem Land. Nach dem Tod seines Vaters hat er seinen Job bei paar Stunden am Tag daraus schöpfen, aber nun sind die Pegel deut- einem Agrarunternehmen an den Nagel gehängt, um sich ganz der lich gestiegen.“ Angesichts dieser Erfolge hat Kauari keinen Zweifel, Landwirtschaft zu widmen. „Das Biobuschfutter war eine echte Ent- dass dem Biobuschfutter die Zukunft gehört. Sein größter Traum ist deckung“, erzählt er. „Ich kann dafür vieles nutzen, was hier auf der eine Pelletiermaschine, mit der er gepresstes Futter herstellen kann, Farm bereits vorhanden ist oder was ich selbst anbauen kann.“ Und das länger haltbar ist. „Ich spare bereits dafür. Ich könnte die Farmer so wachsen neben seinem Haus unter anderem Lupine und Morin- in der Nachbarschaft mit Tierfutter versorgen und hätte eine weitere ga, die er dem Futter beimischt. In einem Schuppen stehen mehrere Einkommensquelle.“ Gleichzeitig kann sich sein Land weiter rege- Ballen und Säcke mit getrockneten Zutaten, darunter auch protein- nerieren. Und vielleicht wird die Landschaft dann irgendwann wieder haltige Schoten einiger Buscharten. so aussehen wie zu den Zeiten von Ruben Uazukuanis Kindheit. — Kauari hat sich vorgenommen, dieses Jahr gar kein Futter zu kaufen, sondern es selbst herzustellen. Nicht nur, weil er bis zum nächsten Geschäft für landwirtschaftliche Produkte in die rund 150 LEONIE MARCH lebt und arbeitet Kilometer entfernte größere Stadt fahren muss und Geld knapp ist, seit 2009 als freie Korrespondentin in sondern auch, weil er von der Qualität überzeugt ist. „Dank des Bio- Südafrika. TIM BRUNAUER ist ein buschfutters ist während der Dürre keines meiner Tiere verendet, namibischer Fotograf, der bedeutungs- gleichzeitig haben meine Nachbarn viele Tiere verloren“, erzählt er. volle Geschichten schätzt. Nun experimentiert er mit unterschiedlichen Rezepturen für ver- Kleinbauer Salomo Kauari hält seine Tiere auf kommunalem Land. Die Ziegen verhindern, dass der Busch wieder schnell nachwächst. Links oben: Kauari mischt das kleinge häckselte Buschfutter mit proteinreichen Pflanzen, die es noch wertvoller machen. akzente 1/21 15
SCHWERPUNKT ER NÄHR UNG Eine Welt ohne Hunger – ein ferner Traum? Trotz aller Anstrengungen haben immer noch Millionen Menschen nicht ausreichend zu essen. Wie können wir das ändern?
REPORTAGE Die Ernte der Frauen Kleinbäuerinnen im Norden Malis sorgen mit neuen und wiederentdeckten Methoden für gute Ernährung. S. 18 ÜBERBLICK Smarte Lösungen Wo Informations- und Kommunikations- technologie Landwirtschaft verbessert. S. 22 GASTBEITRAG Hier Verschwendung, dort Hunger Ein Kommentar von FAZ-Wirtschaftsredakteurin Jessica von Blazekovic S. 23 ESSAY Repariert das System! Die afrikanische Wissenschaftlerin Jemimah Njuki erklärt, was nötig ist, um die Welt zu ernähren. S. 24 INFOGRAFIK Hunger ohne Ende Auswirkungen auf die Ernährungssituation S. 30 INTERVIEW „Unser Essen ist nicht genug und nicht gesund“ UN-Sonderbeauftragte Agnes Kalibata über die Zukunft von Ernährungssystemen S. 32 ERKLÄRT Über den Tellerrand blicken Eine Analyse von Albert Engel, Leiter der GIZ-Stabsstel- le Evaluierung S. 34 AUS DER ARBEIT DER GIZ Viele Wege, ein Ziel Wie die GIZ zur Ernährungssicherheit beiträgt. S. 35
Schwerpunkt: Ernährung Aissata Mahamane (oben) mit ihren Enkeln im Gemüsefeld, Zainabou Cissé bei der Reisernte (Mitte, rot-schwarzes Kleid) und Fadimata Moulaye inmitten ihrer Tiere 18 akzente 1/21
Reportage Die Ernte der Frauen Im Norden Malis sorgen Kleinbäuerinnen für gute Ernährung. Und dank neuer Gemüsesorten, verbessertem Reisanbau und Ziegenzucht stärken sie mit ihrem Einkommen auch ihr Ansehen in den Gemeinden. Text KATRIN GÄNSLER Fotos D.T. ROMAIN GEORGES ARNAUD AKÉMINOU E s ist diese eine Zahl, die für Zai- doch es ist eine komplexe, fragile Zone mit nabou Cissé von großer Bedeu- höchst unterschiedlicher Vegetation. Karge MALI tung ist: neun Tonnen. So viel Regionen mit ausgelaugten, harten Böden Hauptstadt: Bamako / Reis pro Hektar hat der 63-Jäh- gibt es ebenso wie Flächen mit Bäumen und Bevölkerung: 19,66 Millionen / rigen die letzte Ernte gebracht. Sträuchern. Gute Bedingungen bieten die Jährliches Bevölkerungswachstum: Es ist ein Ergebnis, auf das sie stolz ist. Die fruchtbaren Uferregionen des Nigers. Dort 3 Prozent / Rang im Human Development Mutter von sechs Kindern und Großmutter bewirtschaftet Zainabou Cissé mit 42 weite- Index: 184 von 189 von drei Enkelkindern wohnt in Alafia, ei- ren Frauen insgesamt 16 Hektar Land. „Co- ner Gemeinde im Norden Malis, die rund opérative agropastorale Nafagoumo“ heißt 4.000 Menschen zählt. Die Stadt Timbuktu der Zusammenschluss der Kleinbäuerinnen. mit ihren Lehmmoscheen und Mausoleen, Um gute Erträge zu erzielen, haben sie die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehö- bisher viel Dünger und Saatgut auf die MALI ren, ist eine gute Stunde entfernt. Alafia feuchten Felder gebracht. Dennoch stagnier- Timbuktu selbst hat eine Schule, Moscheen und eine ten die Ernten, erinnert sich Zainabou Cissé: Bamako Krankenstation, bietet aber kaum Ver- „Wir hatten pro Hektar etwa fünf Tonnen.“ dienstmöglichkeiten. Das war zwar durchaus ein guter Ertrag, aber Während die Männer in der Region die Wende brachte die Vorstellung einer ver- meist Viehzucht und Landwirtschaft betrei- änderten Anbaumethode, des sogenannten Quellen: Weltbank, UN, WFP ben, leben die Frauen vom sogenannten Systems der Reis-Intensivierung. Wie dieses „petit commerce“: Auf kleinen Holzständen funktioniert, haben Mitglieder der Koopera- Neben Mali ist das Programm „Ernäh- verkaufen sie Waren des täglichen Bedarfs tive in einer Schulung des Projekts „Ernäh- rungssicherung und Resilienzstärkung“ wie Tomaten und Zwiebeln, Seife, Wasch- rungssicherheit und Stärkung der Resilienz derzeit in weiteren Ländern Afrikas und pulver, Salz und Zucker. Und sie bauen im in Mali“ (ProSAR) gelernt. Die GIZ setzt es Asiens aktiv: Äthiopien, Benin, Burkina kleinen Rahmen Gemüse und Reis an. mit Partnern im Auftrag des BMZ um. Faso, Indien, Kambodscha, Madagaskar, Landwirtschaft im Sahel zu betreiben, klingt Ziel der Reisanbaumethode ist es, trotz Malawi, Sambia und Togo. zunächst nach einem Widerspruch. Viele weniger Dünger und Saatgut die Erträge zu haben trockene Landschaften vor Augen, erhöhen. Dazu werden Anzuchtbeete ange- Kontakt: nutritionsecurity@giz.de akzente 1/21 19
Schwerpunkt: Ernährung legt und die kleinen Setzlinge schon nach seit Jahren das beherrschende Thema in der vielfältigem Gemüseanbau mit nährstoffrei- acht Tagen in gut umgegrabene Böden ge- Region ist. „Wir dürfen doch nicht aufge- chen Sorten auf neue Ideen kamen. Maha- pflanzt, und zwar einzeln, in ordentlichen ben. Wir müssen uns arrangieren“, sagt sie. mane, die fünf erwachsene Kinder hat und Reihen und mit Abstand. Das bedeutet Im Norden Malis rebellierten Anfang zudem ihre sieben Enkelkinder betreut, hat zwar mehr Arbeit, aber die Pflänzchen kon- 2012 Teile der Tuareg-Bevölkerung gegen seither ihren Nutzgarten komplett umge- kurrieren nicht mehr um Nährstoffe, so wie den Staat. Es folgten ein Militärputsch und staltet. „Kartoffeln baue ich an und Kohl, es bisher war, wenn mehrere an eine Stelle die Besatzung des Nordens durch zwei Ter- Kürbis, Tomaten, Auberginen, Zwiebeln, gesetzt wurden. Zudem ist der Wasserver- rorgruppen. Trotz internationaler Militär- Salat“, zählt sie auf. Mit einigen Sorten hat brauch beim SRI geringer als beim konven- missionen und des Friedensabkommens von sie erst Bekanntschaft gemacht. Neue Re- tionellen Reisanbau, da die Pflanzen geziel- 2015 bleibt die Region instabil. Im August zepte hat die Malierin auch gleich bei der ter bewässert werden. Durch die in Mali 2020 kam es erneut zum Staatsstreich. Schulung ausprobiert. Am liebsten bereitet neue Methode wurde die Ernte fast verdop- Auch Aissata Mahamane, die ebenfalls sie Kartoffeln und Kürbisse zu. „Der Kürbis pelt, freut sich Zainabou Cissé. in Alafia lebt, denkt ungern zurück. „Es wa- hat wichtige Nährstoffe, weshalb er gut für ren schwierige Zeiten“, sagt sie knapp über Kinder mit Mangelernährung ist“, sagt sie Mehr Sicherheit durch die Krise von 2012 und 2013, „immer wie- über ihr Lieblingsgemüse. der wurden Frauen vergewaltigt und wir Das ist jedoch nicht nur für ihre eigene lokalen Anbau hatten Angst, auf den Feldern zu arbeiten.“ Familie bestimmt. Die Ernte ist inzwischen Das bringt nicht nur mehr Geld in die Das habe sich mittlerweile verbessert, sagt so gut, dass ein Teil verkauft wird. Die Kun- Haushaltskassen, sondern sorgt auch für Si- die 60-Jährige. Die Region werde nicht den und Kundinnen kommen direkt zu ih- cherheit. Wenn genügend Reis vor Ort pro- mehr von Terroristen kontrolliert, die ihre rem Nutzgarten. Außerdem beliefert sie duziert wird, reduziert das die riskanten „Regeln“ gewaltsam durchsetzen. zwei Märkte. Die zusätzlichen Einnahmen Fahrten zum Einkaufen in Nachbarorte Im Rückblick muss Aissata Mahamane kann sie gut gebrauchen, finanziert sie doch oder gar nach Timbuktu. Gerade auf den immer wieder den Kopf schütteln – auch die Ausbildung ihrer Enkelkinder. Pro Kind Überlandstraßen ist die Gefahr groß, von über ihre Wirtschaftsweise: „Damals haben zahlt sie jährlich umgerechnet knapp 23 Eu- Banditen überfallen zu werden. Sie errich- wir nur Zwiebeln und Tabak angebaut.“ ro für Schulbeitrag, Bücher, Stifte, Kleidung ten Straßensperren, bedrohen Reisende und Über eine vollwertige Ernährung machte und einen Rucksack. In Mali ist das viel erpressen Geld. „Jede Fahrt macht Angst“, sie sich ebenso wenig Gedanken wie die üb- Geld. Dort leben knapp 43 Prozent der gibt Zainabou Cissé zu. Unterkriegen lässt rigen Frauen ihrer Kooperative. Das änder- rund 20 Millionen Einwohner und Ein- sie sich aber nicht, auch wenn Unsicherheit te sich 2019, als sie durch ein Training zu wohnerinnen unterhalb der Armutsgrenze Links: Aissata Mahamane mit Frauen ihrer Kooperative. Seit ihrem Training bauen sie besonders nährstoffreiche Gemüsesorten an. Oben: Fadimata Moulaye gibt die Milch ihrer Ziegen täglich ihren Enkelkindern zu trinken. 20 akzente 1/21
Reportage und haben täglich weniger als 1,90 US-Dol- lar zur Verfügung. Aissata Mahamane ist stolz darauf, dass sie mit dem Gewinn aus dem Gemüseverkauf ihre Enkel unterstüt- zen kann: „Mein Traum ist es, dass alle eine gute Ausbildung erhalten.“ Das bereite sie auf die Zukunft vor und mache sie anpas- sungsfähig, ist sich die Großmutter sicher. Auch Fadimata Moulaye sorgt für ihre Enkelkinder. Sie lebt mit ihnen und ihrem Sohn in Goundam, 85 Kilometer südwest- lich von Timbuktu. Um die Familie zu er- Zu folgenden „Die Frauen berichten, nähren, züchtet die 48-Jährige Ziegen und Schafe. Damit angefangen hat sie 2016, als Nachhaltigen Entwicklungszielen dass ihre Kinder jetzt sie im Rahmen des ProSAR-Projekts vier Ziegen und einen Bock erhielt. Die weißen (SDGs) der Vereinten Nationen trägt das seltener krank sind.“ Tiere mit den hängenden Ohren bildeten Vorhaben bei: den Grundstock für ihren Erfolg. Inzwi- FATIMATA KONÉ, schen könnte sie einige Tiere aus der Nach- Ärztin und Ernährungswissenschaftlerin bei der Welthungerhilfe, dem Projektpartner in Mali zucht verkaufen und das Geld reinvestieren. „14 têtes“, berichtet Fadimata Moulaye stolz über ihre Herdenerweiterung; 14 Köp- Lesen Sie Interviews zur Ernährungssicherheit fe, also 14 Tiere hält sie inzwischen selbst. und Stärkung der Resilienz in Mali unter akzente.giz.de Das tut den Enkelkindern gut, kann sie ih- nen doch täglich Ziegenmilch zum Trinken geben. Pro Tag geben die Tiere drei bis vier Liter. „Einen Teil der Milch erhalten Freun- MULTISEKTORALER ANSATZ de und Nachbarn. Was übrig bleibt, verkau- fe ich.“ Das bringt ihr täglich zusätzliche Um die Ernährung der Menschen in Mali zu verbessern, 1,50 Euro. arbeitet die GIZ in vielen Bereichen. Der Ansatz verknüpft Die einzige Einnahmequelle ist das umfangreiche Maßnahmen, etwa in ernährungssensitiver aber nicht. Fadimata Moulaye war sofort Bewässerungslandwirtschaft und Viehwirtschaft, Kommuni klar, was sie mit den ersten Gewinnen ma- kation zu einer gesunden, diversifizierten Ernährung chen wollte. Sie erfüllte sich einen Traum. sowie Trinkwasser-, Sanitärversorgung und Hygiene (Water, „Ich habe mir ein kleines Geschäft aufge- Sanitation and Hygiene, WASH). Erfolgreiche Ansätze baut und verkaufe heute Tomaten, getrock- (best practices) auf lokaler Ebene werden mit den relevan- nete Zwiebeln, Öl und Salz.“ Das höhere ten Gremien und Institutionen geteilt und in den entsprechen- Einkommen hat auch die Essgewohnheiten den Strukturen verankert. verbessert. Die Familie isst regelmäßiger und häufiger. „Ein Frühstück und ein Abendessen kann ich immer zubereiten“, Kontakt: Raymond Mehou, raymond.mehou@giz.de nickt sie zufrieden. Sorgen, dass sich das wieder ändert, hat sie nicht. Für Zeiten, in denen die Ziegen weniger Milch geben, hat DAS PROJEKT IN MALI IN ZAHLEN sie sich mit dem kleinen Laden ein zweites Standbein geschaffen. Und ihre Tiere sind zu ihrer privaten 6.000 Menschen wurden in nachhaltiger Landwirtschaft Bank geworden. Sollte jemand aus der Fa- und im Anbau nährstoffreicher Gemüse fortgebildet – milie krank werden, kann im Notfall eins davon knapp die Hälfte Frauen. verkauft werden, um beispielsweise Medizin und Krankenhausrechnungen zu bezahlen. Fadimata Moulaye hält einen Moment inne 10.000 Frauen und sagt dann: „Ich hoffe aber, dass es dazu ernähren sich jetzt vielfältiger. Zuvor waren sie von nie kommt.“ — Mangelernährung bedroht. akzente 1/21 21
Schwerpunkt: Ernährung Smarte und wann die Maschinen am besten Faire Verteilung eingesetzt werden. Dadurch wird ihre Lösungen Nutzung effizienter und kostengünstiger. In einer Pilotphase sanken durch den Einsatz der Web-App die Kosten für die NIGERIA Die nigerianische Regierung hat 2012 ein elektronisches Gutscheinsystem für Kleinbäuerinnen und -bauern einge- Reisernte um bis zu zehn Prozent. führt. Zuvor hatte es oft Probleme mit Ver- Vier Beispiele, wie Nachernteverluste, die in Asien jährlich einen wirtschaftlichen Schaden von etwa untreuung gegeben. Farmer*innen erhalten nun digitale Gutscheine auf ihr Handy, die die Informations- drei Milliarden US-Dollar verursachen, sie beim Kauf von Dünger und Saatgut konnten um zwei Prozent vermindert einsetzen können. Das System stellt und Kommunikations- werden. — sicher, dass alle die korrekten subventio- nierten Güter erhalten. Mit dem System technologie die wurden rund 20 Millionen Menschen Landwirtschaft in erreicht, was etwa 90 Prozent der Zielgruppe entspricht. Eine Untersuchung Entwicklungs- und zeigte, dass die E-Gutscheine zum Anstieg der Maisernte und damit des Einkommens Schwellenländern um gut ein Viertel beigetragen haben. — verbessert. Wissen per Radio ÄTHIOPIEN Menschen, die sich überwie- gend von Mais ernähren, leiden häufig unter Lysin- und Tryptophan-Mangel, vor allem Kinder und Frauen. Die Maiszüch- tung Quality Protein Maize (QPM) enthält besonders hohe Anteile dieser Amino- säuren, um den Mangel auszugleichen. Erkenntnisse in In Äthiopien wurde eine Radiosendung eingesetzt, um Menschen über die jedem Tropfen Vorteile des Anbaus und Verzehrs von QPM zu informieren. Vier lokale Radio MEXIKO Aquakulturen werden häufig stationen übertrugen 320 Episoden einer kritisiert, weil sie durch Überdüngung Infosendung in vier wichtige Maisanbau- die Wasserqualität verschlechtern. Eine gebiete des Landes. Sie erreichten damit smarte Lösung aus Mexiko hilft Betrei- 66 Prozent der kleinbäuerlichen Haus- ber*innen, ihre Aquakulturen optimal halte. Das Interesse am Besuch von einzurichten. Junge mexikanische Versuchsfeldern nahm in der Folge zu. — Unternehmer*innen haben dazu ein System entwickelt, das fortlaufend die Digitale Wasserqualität prüft und die Daten in Echtzeit erfasst. Gemessen werden Erntehelfer pH-Wert, Temperatur, Sauerstoffgehalt und bis zu 14 weitere Parameter. Die ASIEN Typischerweise teilen sich Farmer*innen können so frühzeitig auf mehrere Landwirte für die Reisernte teu- eine Verschlechterung der Wasserquali- re Maschinen, anstatt sie selbst tät reagieren und die Ausbreitung von anzuschaffen. Die neue Webapplikation Bakterien verhindern. Aquakultur-Betrei- „EasyHarvest“ kann ihnen dabei helfen, bende können ständig über eine App und die Ernte- und damit Ausleihzeiten eine Online-Plattform auf die Daten optimal abzustimmen. Mittels Smart zugreifen. Wenn bestimmte Grenzwerte phone oder Computer informieren sich überschritten werden, erhalten sie eine Landwirte und Maschinenverleiher, wie automatische Warnung. — 22 akzente 1/21
Gastbeitrag Hier Verschwendung, Das ist angesichts von rund 700 Millionen hungernden Menschen auf der Welt (eine Zahl, die seit 2014 wieder steigt) nicht nur aus dort Hunger ethischen Gründen ein Problem. Zwar konnte ein kausaler Zusam- menhang zwischen dem verschwenderischen Lebensstil der Indus trienationen und dem Hunger in den Entwicklungsländern bislang nicht hergestellt werden. Und doch gehen Organisationen wie die Millionen Menschen sind unter Welthungerhilfe davon aus, dass unser Verhalten durchaus einen Einfluss auf den sicheren Zugang zu Nahrung für Menschen in an- ernährt, während zugleich tonnen deren Weltgegenden hat. weise Lebensmittel verderben oder weggeworfen werden. Das geht „Kein Kind in Äthiopien uns alle etwas an. wird allein deshalb satt zu Bett gehen, weil der kleine Von JESSICA VON BLAZEKOVIC, Noah in Berlin-Kreuzberg Wirtschaftsredakteurin bei FAZ.NET seinen Kartoffelstampf FOTOS: SURACHETKHAMSUK/ISTOCK (S. 22, LINKS), DELIORMANLI/GETTY IMAGES (S. 22, MITTE), AVDYACHENKO/GETTY IMAGES (S. 22, RECHTS), BUNDESREGIERUNG/SANDRA STEINS (S. 23) aufgegessen hat.“ So liegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge inzwischen rund zwei Drittel der Ackerflächen im Ausland, die für die Produk- tion von Lebensmitteln für deutsche Verbraucher benötigt werden. Je größer hierzulande also die Nachfrage nach Lebensmitteln, desto mehr Anbaufläche wird andernorts für den Export benötigt und geht dem Heimatmarkt verloren. Werden die Anbauflächen knap- per, steigen zudem die Preise für Lebensmittel; das erschwert Men- schen in Entwicklungsländern den Zugang zu Nahrung noch zusätz- lich. Ein in diesem Zusammenhang häufig verwendeter Begriff ist das „Land Grabbing“ internationaler Investoren, die Ackerland für den Anbau sogenannter Cash-Crops aufkaufen. Das sind lukrative Nutzpflanzen wie zum Beispiel Soja oder Mais, die nur dem Export und nicht der Selbstversorgung der Bäuerinnen und Bauern dienen. Der Klimawandel verschärft die globale Hungersnot. Von Asien bis Afrika zerstört er die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, I weil Böden erodieren oder Dürren und andere Wetterextreme den ss deinen Teller leer, in Afrika verhungern die Kinder“ – wer Anbau von Nahrungsmitteln erschweren. Und auch hier spielt die kennt diesen Spruch nicht aus seiner Kindheit? Inzwischen Verschwendung von Lebensmitteln eine Rolle: Sie hat Schätzungen sind viele Eltern glücklicherweise zu der Erkenntnis gelangt, zufolge einen CO2-Fußabdruck von jährlich 3,6 Gigatonnen Koh- dass es falsch ist, Kinder zum Aufessen zu zwingen. Kein Kind lendioxid und trägt damit in einem fast so großen Ausmaß zur Kli- in Äthiopien wird allein deshalb satt zu Bett gehen, weil der kleine maerwärmung bei wie der globale Straßenverkehr. Noah in Berlin-Kreuzberg seinen Kartoffelstampf aufgegessen hat. Nein, die Menschen in Deutschland können die weltweite Ohnehin sind es vielmehr die Erwachsenen, die sich diese Redensart Hungersnot nicht allein dadurch beenden, dass sie weniger Lebens- aus der Mottenkiste der Erziehungsmaßnahmen zu Herzen nehmen mittel wegwerfen. Das Thema ist weitaus vielschichtiger; fragile sollten: Weltweit landen Schätzungen zufolge jedes Jahr 1,3 Milliar- Staaten, Krisen und Konflikte, aber auch Schwierigkeiten bei der La- den Tonnen Lebensmittel im Müll, ein Drittel der Gesamtprodukti- gerhaltung und Verteilung von Nahrung tragen dazu bei. Doch es on. Das Bundeslandwirtschaftsministerium geht davon aus, dass al- spricht viel dafür, dass die Art und Weise, wie wir mit Lebensmitteln lein in Deutschland jährlich 12 Millionen Tonnen Lebensmittel umgehen, ein bedeutender Teil des Problems ist. Deshalb sollten wir weggeworfen werden – mehr als die Hälfte davon in privaten Haus- auch alle, nicht nur Noah in Berlin-Kreuzberg, an dessen Lösung ar- halten. beiten – und beim Essen maßhalten. — akzente 1/21 23
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Essay Repariert das System! Millionen Menschen gehen Abend für Abend hungrig zu Bett. Das müsste nicht sein, die Welt könnte alle ernähren. Die afrikanische Wissenschaftlerin Jemimah Njuki erklärt, was nötig ist, um diesen Zustand zu ändern, und warum Frauen dabei eine wichtige Rolle spielen. Illustrationen FLORIAN BAYER I IN DIESEM m September dieses Jahres trifft sich die leben die meisten dieser Unterversorgten Welt zum ersten UN-Gipfel zu Ernäh- zwar in Asien, doch die Prognosen sehen für rungssystemen. Und dieses Treffen wird BEITRAG das Jahr 2030 den größten Anteil unterer- unter anderem zeigen, dass unser Ernäh- nährter Menschen in Afrika voraus. Gleich- rungssystem kaputt ist und repariert werden 1. STATUS QUO zeitig geht weltweit etwa ein Drittel aller Le- muss! Ungerecht, nicht nachhaltig und un- Ungerecht und nicht bensmittel zwischen Acker und Teller durch fähig, die Welt zu ernähren – diese Worte nachhaltig: Woran das Verlust oder Verschwendung verloren. beschreiben den aktuellen Zustand unserer weltweite Ernährungs Ernährungssysteme ziemlich gut. Der Gip- system krankt. Mehr Macht für Frauen fel soll mit Lösungen und Verpflichtungen der Teilnehmenden aufwarten, um dafür zu 2. WO HAKT ES? Dass dieses System nicht funktioniert, hat sorgen, dass wir allen Menschen eine gesun- Klimaschäden, Pandemie, viele Gründe. Fehlende Geschlechtergerech- de Ernährung und eine angemessene Exis- ungerechte Verteilung: tigkeit ist einer davon. Frauen haben ein um tenzgrundlage bieten können. Was den Hunger der 13 Prozent höheres Risiko mittlerer oder Im Augenblick ist das nicht der Fall. Tat- Welt speist. schwerer Ernährungsunsicherheit als Män- sächlich leben wir in Parallelwelten – zu viele ner. Eine weitere große Herausforderung ist hungern, während immer mehr an Überge- 3. WAS HILFT? der Zugang zu gesunder Nahrung, die eine wicht leiden. Zwei Milliarden Menschen, Fördern, bilden, investieren: ausreichende Versorgung mit Kalorien und beinahe 26 Prozent der Weltbevölkerung, Wie wir den größten Nährstoffen sowie Lebensmittel aus unter- haben im Jahr 2019 Hunger gelitten oder re- vermeidbaren Skandal schiedlichen Nahrungsgruppen bietet. Eine unserer Zeit beenden. gelmäßig nicht genug und zu wenig nahrhaf- solche Ernährung kostet im Durchschnitt tes Essen bekommen; 690 Millionen Men- fünf Mal so viel wie Essen, das nur genü- schen sind unterernährt. In absoluten Zahlen gend Kalorien liefert. Allein rund 965 Milli- akzente 1/21 25
onen der 1,3 Milliarden Afrikanerinnen te verschlechtern abgeschnittene und Afrikaner können sich eine gesunde Er- Vertriebswege zwischen und inner- nährung nicht leisten. halb von Ländern, die Schließung von Ironischerweise hungern am meisten Märkten und der Mangel an Arbeitskräften diejenigen, die unsere Nahrung produzie- den Zugang zu Nahrungsmitteln. Auf der ren. Weltweit gibt es 500 Millionen Klein- Nachfrageseite verringern Arbeitsplatzver- bauern und -bäuerinnen. Sie erzeugen etwa luste sowie zunehmende häusliche Pflege- 80 Prozent der Lebensmittel für Asien und und Sorgearbeit vor allem für Frauen (zum Subsahara-Afrika. Frauen stellen 43 Prozent Beispiel durch Homeschooling) die Kauf- der Arbeitskräfte in diesen kleinen landwirt- kraft der Menschen. schaftlichen Betrieben. Trotz ihres enorm Wir erleben also eine schwere Krise, die wichtigen Beitrags leiden Kleinbäuerinnen, „Ironischerweise nicht erst durch Covid-19 entstanden ist, -bauern und Landarbeitende oft unter Man- aber dadurch noch verschlimmert wurde. gelernährung und haben keinen Zugang zu hungern am meis- Doch was kann helfen? Was muss wirklich gesunden Lebensmitteln. Sie hungern buch- stäblich neben ihren Feldern. ten diejenigen, die getan werden, um den Hunger und andere Formen der Mangelernährung zu beenden Außerdem gibt es Grund zur Sorge über die wachsende Ungerechtigkeit im weltwei- unsere Nahrung und gleichzeitig das System so zu verän- dern, dass es allen Menschen auf nachhalti- ten Ernährungssystem. Kleine Kakaobäue- rinnen und -bauern in Côte d’Ivoire sind produzieren.“ ge Weise erschwingliche und gesunde Er- nährung bietet? zum Beispiel heute ärmer als in den 1970er oder 1980er Jahren, obwohl die Schokoladen Auf dem Minimum bestehen industrie jährlich mindestens 40 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet. Kleinbäuerliche Eine Studie namens „Ceres2030“ zeigt, dass Betriebe bekommen nur etwa sechs Prozent Veränderungen in der Landwirtschaft nur des Branchenumsatzes, obwohl sie einen funktionieren können, wenn einige grund- Großteil der Ernten produzieren. legende Minimalanforderungen erfüllt wer- den: Die Produzierenden müssen über ein Schädlich für das Klima Mindesteinkommen und eine gewisse Min- destbildung verfügen; sie brauchen Zugang Das derzeitige Ernährungssystem läuft auch zu Netzwerken und Beratungsdiensten so- dem Umwelt- und Klimaschutz zuwider. wie eine stabile Infrastruktur einschließlich Tatsächlich trägt die Landwirtschaft zehn verbesserter Märkte und Straßen. bis 14 Prozent zu den menschengemachten Vor diesem Hintergrund erscheint es Treibhausgasemissionen bei. Die Ernäh- sinnvoller, vielfältige Maßnahmen zu ergrei- rungs- und Landwirtschaftsorganisation der fen, als mit isolierten Eingriffen Einzelziele Vereinten Nationen (FAO) schätzt die sozi- zu verfolgen. Das bedeutet zum Beispiel, die alen Kosten der Emissionen, die auf unsere Existenzgrundlage der Bäuerinnen und Bau- derzeitigen Ernährungsgewohnheiten zu- ern zu verbessern, indem man Feldfrüchte rückzuführen sind, auf unglaubliche 1,7 Bil- fördert, die von den Verbrauchern verlangt lionen US-Dollar pro Jahr bis 2030. werden und zugleich resistenter gegen Kli- Aber das ist noch nicht alles: Dieses be- maeinflüsse und Schädlinge sind, während schädigte System ist zusätzlich durch die man gleichzeitig Zugänge zu Märkten er- Corona-Pandemie belastet, die sowohl das leichtert. In Kenia gibt es zum Beispiel eine Angebot als auch die Nachfrage weltweit steigende Nachfrage nach Sorghumhirse, nachhaltig erschüttert hat. Auf Angebotssei- nicht zuletzt durch Brauereien. Sorghum ist 26 akzente 1/21
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