Alles auf grün? Bausteine einer nachhaltigen Immo-bilienwirtschaft - No. 34 / 2020 - Quantum ...
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Editorial Sehr geehrte Damen und Herren, die Corona-Krise wird 2020 prägen. Die Herausforderungen des Klimawandels dür- fen dabei jedoch nicht vergessen werden. Bei den Konjunkturprogrammen gegen die Corona-Krise sollte der Klimaschutz „fest im Blick“ behalten werden, appelliert Angela Merkel. Die Entwicklungen und Auswirkungen der letzten Wochen eröffnen aber auch Möglichkeiten für neue Weichenstellungen. Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon brachte es schon 2012 auf den Punkt: Der Kampf für eine globale Nachhaltigkeit wird in den Städten gewonnen oder verloren. Und da die Städte zum Großteil gebaute Umwelt sind, hat die Immobilien- Dr. André Scharmanski wirtschaft einen erheblichen Einfluss auf die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Leiter Research Die EU setzt auf Regulierung im Bereich des nachhaltigen Investierens und macht mit verschärften Zielsetzungen im Rahmen des „Green Deals“ eine Auseinandersetzung mit den nationalen und europaweiten Klimazielen in Zukunft unumgänglich. Auch der öffentliche Druck sorgt dafür, dass sich Unternehmen mehr denn je daran messen lassen müssen, ob und wie nachhaltig sie agieren. Der aktuelle Quantum Focus No. 34 „Alles auf grün? Bausteine einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft“ zeigt auf, dass die Bau- und Immobilienwirtschaft ein entschei- dender Hebel für die Initiierung nachhaltiger Pfadabhängigkeiten von Städten ist und diskutiert mögliche Ansatzpunkte und Handlungsfelder für einen Beitrag zur Erfül- lung der Nachhaltigkeitsziele. Die Steigerung der Energieeffizienz und der Einsatz al- ternativer Baumaterialien im Gebäudesektor, die Integration intelligenter Mobilitäts- konzepte, die konsequente Fokussierung auf Innenentwicklung und die Versorgung mit bezahlbarem und altersgerechtem Wohnraum sind dabei die wesentlichen Bau- steine einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft. Wir freuen uns, wenn der Focus Ihr Interesse findet und wünschen Ihnen eine auf- schlussreiche und interessante Lektüre! FOCUS 34 1
Inhalt 4 Mehr als ein Buzzword? Dimensionen und Perspektiven der Nachhaltigkeit Welche europa- und deutschlandweiten Klimaziele gibt es und welche Rolle spielt dabei die Immobilienwirtschaft? 8 Städte als Schlüssel einer Seite 12 Bausteine einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft nachhaltigen Entwicklung Was sind die Herausforderungen der urbanen Transformationen zur Nachhaltigkeit? 12 Bausteine einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft Wo liegen die wesentlichen Handlungsfelder der Immobilienwirtschaft? 30 Kurz & knapp Das Wichtigste dieser Ausgabe kurz zusammengefasst. Seite 8 Städte als Schlüssel einer nachhaltigen Entwicklung 2 FOCUS 34 A L L E S A U F G R Ü N ? B A U ST E I N E E I N E R N AC H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 3
Mehr als ein Buzzword? Abb. 01 Klimaziele in Deutschland und in der EU Dimensionen EU Deutschland 120 CO2-Äquivalente: 1990 = 100 110 und Perspektiven der 100 90 Kyoto-Ziel EU 2020: -20% Nachhaltigkeit 80 70 Nationales Ziel Deutschland 2020: -40% Paris-Ziel EU: -40% 60 50 40 -56% Atomausstieg 30 20 10 -100% 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Quelle: in Anlehnung an Sinn 2019 Unternehmen müssen sich mehr denn je daran mes- wurde der nächste Meilenstein für die weltweiten An- sen lassen, ob und wie nachhaltig sie agieren. Die strengungen zur Beschränkung der Erderwärmung mediale und kommunikative Nutzung des Labels gesetzt. Ziel der EU ist die Senkung der CO2-Emissio- „nachhaltig“ für die Legitimation jeglicher Produkte nen um mindestens 40 Prozent bis 2030. Deutschland und Dienstleistungen führt dadurch mitunter zu einer setzt sich mit -40 Prozent bis 2020 und -55 Prozent Tendenz zur Trivialisierung als „Buzzword“ und wird bis 2030 sogar noch höhere Zwischenziele als die EU. häufig als „Green Washing“ kritisiert. Der Diskurs um Bis 2050 soll der CO2-Ausstoß schließlich auf Null den Gebrauch (und Missbrauch) des Begriffs Nach- gebracht werden (Abb. 01). Die jüngsten Prognosen haltigkeit überlagert zunehmend die Dringlichkeit der und Szenarien zeigen jedoch, dass a) das Erfordernis, eigentlich dahinterstehenden Herausforderung: dem Treibhausgasemissionen zu reduzieren und Maßnah- verantwortungsvollen Umgang mit den uns zur Ver- men zur Klimaanpassung wirksam umzusetzen immer Spätestens seit Fridays for Future ist das Thema Nachhaltigkeit poli- fügung stehenden Ressourcen und der Anpassung an größer wird und b) die Erreichung der nationalen und den Klimawandel. internationalen Klimaziele gleichzeitig immer weiter in tisch und gesellschaftlich populär. Bevölkerung wie Unternehmen sind die Ferne zu rücken scheinen. Entsprechend erwägt bemüht sich auf nachhaltiges Handeln auszurichten, hinterfragen wie Als historische Wegmarken der internationalen Klima- die EU-Kommission im Green Deal nach 2030 regel- politik können das Kyoto Protokoll (1997) und das Pa- mäßige Nachjustierungen der Zwischenziele sowie Produkte zustande kommen, welche Auswirkungen eine Geschäfts- riser Übereinkommen (2015) verstanden werden. Im eine höhere Reduzierung der klimaschädlichen Treib- tätigkeit auf die Umwelt und das Klima haben. Der öffentliche Druck Zuge des Kyoto-Abkommens, bei dem sich rund 190 hausgase bis 2030 auf bis zu 55 Prozent unter den Staaten erstmals völkerrechtlich verbindlich darauf Wert von 1990. sorgt dafür, dass nachhaltiges Handeln, nachhaltige Produkte und die einigten, ihren CO2-Ausstoß reduzieren, verpflichtete Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards kein Alleinstellungsmerk- sich die Europäische Union zu einer Verringerung ihrer Die EU hat ihr Zwischenziel (-20 Prozent bis 2020) CO2-Emissionen um 20 Prozent gegenüber dem Ba- zwar bereits erfüllt. Deutschland tat sich bislang mal, sondern mittlerweile obligatorischer Bestandteil von Geschäfts- sisjahr 1990 bis 2020. Mit dem Beschluss des Pariser schwer sein ambitioniertes Ziel (-40 Prozent bis modellen sein müssen, um im Wettbewerb zu bestehen. Übereinkommens auf der UN Klimakonferenz 2015 2020) zu erreichen. Die Corona-Krise sorgt jedoch 4 FOCUS 34 M E H R A L S E I N B U Z Z W O R D ? D I M E N S I O N E N U N D P E R S P E K T I V E N D E R N AC H H A LT I G K E I T 5
aktuell für eine paradoxe Situation. Seitdem die Pan- die Diskussionen um Nachhaltigkeit als inhaltsleeres demie in vielen Ländern einen Shutdown ausgelöst „Buzzword“ im Prinzip hinfällig. Denn mit der Opera- hat, wird bedeutend weniger gereist und Energie ver- tionalisierung des EU-„Aktionsplans zur Finanzierung braucht. Entsprechend ist der globale CO2-Ausstoß nachhaltigen Wachstums“ sollen einheitliche Stan- eingebrochen. Nach einer Prognose der Internationa- dards und messbare Nachhaltigkeitskennzahlen für len Energieagentur IEA (Ende April 2020) könnten die Unternehmen der Investmentbranche verpflichtend Treibhausgasemissionen, die durch das Verbrennen werden. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit von Kohle, Öl und Gas verursacht werden, in diesem verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit und Jahr acht Prozent niedriger ausfallen als im vergan- mit den nationalen und europaweiten Klimazielen ist genen Jahr. Der weltweite CO2-Ausstoß würde damit daher in Zukunft unumgänglich. kurzfristig auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren sinken. Sollte es in der zweiten Jahreshälfte erneut zu Sustainable Development Goals Shutdowns aufgrund neuer Infektionswellen kommen, könnte der Rückgang sogar noch größer ausfallen. Das Gleichgewicht aus ökonomischen, ökologischen Deutschland könnte sein Klimaziel für 2020 nun doch und sozialen Belangen des vielfach bemühten „3-Säu- erreichen. Gleichzeitig hat die Corona-Krise die Klima- len-Modells“, auch bekannt als „Triple-Bottom-Ansatz krise in der öffentlichen Wahrnehmung fast vollstän- (TBL)“ der Nachhaltigkeit ist die lose Grundlage für die dig überlagert. Die Klimaziele des Green Deals wer- verschiedensten Modelle1. Auch die „Agenda 2030 für den mit Blick auf die Bewältigung der wirtschaftlichen nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen be- Auswirkungen der Corona-Krise in Frage gestellt. Wie zieht sich auf diese drei Elemente der Nachhaltigkeit. sich die Pandemie langfristig auf das Klima auswirkt, Die daraus abgeleiteten 17 „Sustainable Development hängt jedoch unmittelbar davon ab, welcher Weg zur Goals“ (SDG) gelten als politische Zielsetzung bis Überwindung der ökonomischen Krise eingeschlagen 2030 und sollen weltweit der Sicherung einer nach- wird. Deutschland tut sich jedoch schwer und kann haltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie sein ambitioniertes Ziel (-40 Prozent bis 2020) nicht ökologischer Ebene dienen. Die Vereinten Nationen erreichen. Ob das nächste Etappenziel, die Reduzie- berichten jährlich zum Fortschritt bei der Zielerrei- rung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent (EU) bzw. 55 chung. Der aktuelle Report zeichnet ein kritisches Bild Prozent (Deutschland) bis 2030, und schließlich die der bisherigen Entwicklungen. Eine nachhaltige und vollständige Eliminierung sämtlicher Emissionen bis integrative Wirtschaft wird als einer der Schlüssel- 2050 realisiert werden können, ist daher nach wie vor bereiche zur Erreichung der 17 Ziele identifiziert. Ziele offen. Fest steht: Um die angestrebten Grenzwerte zu wie erzielen, müssen die bisherigen Maßnahmen zur Re- duzierung des CO2-Ausstoßes nochmal deutlich ver- — Bezahlbare und saubere Energie (SDG 7) stärkt und beschleunigt werden. Das wird sich in Zu- — Weniger Ungleichheiten (SDG 10) kunft jedoch ungleich schwieriger gestalten als bisher. — Nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11) Denn einerseits steht 2022 der Atomausstieg bevor. — Nachhaltige/r Konsum und Produktion (SDG 12) Die durch die Abschaltung der Atomkraftwerke weg- — Maßnahmen zum Klimaschutz (SDG 13) fallenden Kapazitäten können allein durch Erneuer- bare Energien (noch) nicht kompensiert werden, was sind auch für die Immobilienwirtschaft zunehmend den notwendigen Kohleausstieg zusätzlich erschwert. relevant und werden in Nachhaltigkeitsstrategien und Anderseits sind die „low-hanging-fruits“ zur Reduzie- -berichten adressiert. rung der nationalen CO2-Emissionen bereits geerntet. Mengenmäßig große Einsparungen, wie sie beispiels- weise durch den Niedergang der DDR-Industrie erzielt werden konnten, sind zukünftig nicht mehr zu erwar- ten. Daher stellt sich die Frage, wie die ambitionierten und gleichzeitig notwendigen Klimaziele in gegebener Zeit überhaupt erfüllt werden können. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist daher nicht nur das Gebot der Stunde, sondern das des Jahrhunderts. Da- bei ist „Gebot“ in Zukunft wörtlich zu verstehen. Die EU ¹ Im Bereich der nachhaltigen Geldanlagen hat sich die ursprünglich aus dem angelsächsischen Raum stammende Abkürzung ESG für Umwelt setzt auf Regulierung im Bereich des nachhaltigen In- (Environment), soziale Aspekte (Social) und verantwortungsvolle Unter- vestierens und macht mit verschärften Zielsetzungen nehmensführung (Governance) etabliert. 6 FOCUS 34 M E H R A L S E I N B U Z Z W O R D ? D I M E N S I O N E N U N D P E R S P E K T I V E N D E R N AC H H A LT I G K E I T 7
Städte als Schlüssel Beim Erreichen all dieser Nachhaltigkeitsziele stehen Städte zuneh- mend im Fokus. Dort wird zukünftig entschieden, ob und wie der Über- gang zur Nachhaltigkeit gelingen wird. „Let there be no doubt: we live einer nachhaltigen in an urbanized world. The implications of this change are clear. Our struggle for global sustainability will be won or lost in cities“, brachte es Entwicklung der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon 2012 auf den Punkt. 8 FOCUS 34 S TÄ D T E A L S S C H L Ü S S E L E I N E R N A C H H A LT I G E N E N T W I C K L U N G 9
Abb. 02 Urbane Bevölkerung und Urbanisierungsgrad in % Ozeanien Asien Nordamerika Urbanisierungsquote weltweit Europa Afrika Lateinamerika und Urbanisierungsquote Europa Karibik 8 90 Urbane Bevölkerung in Mrd. Urbanisierungsquote in % 7 80 70 6 60 5 50 4 40 3 30 2 20 1 10 1950 1970 1990 2010 2030 2050 Datenbasis: UN 2019 Und es ist offensichtlich: Die urbanen Gebiete sind der- In den Städten bündeln sich schließlich soziale Un- der Habitat-III-Konferenz in Quito ein Rahmen für die Flächennutzung, den Einsatz nachhaltiger Materialen zeit verantwortlich für rund 70 Prozent der weltweiten gleichheiten wie in einem Brennglas. So leben in den Stadtentwicklung der kommenden 20 Jahre gesetzt. und intelligenter Mobilitätskonzepte sowie die Wohn- CO2-Emissionen und 80 Prozent des weltweiten Ener- Megacities der Welt mehr als die Hälfte der Einwohner Darauf aufbauend hat der Wissenschaftliche Beirat raumversorgung einkommensschwacher Haushalte. giebedarfs (WBGU 2016). Städte und ihre Einwohner von unregelmäßigen Einkünften, jeder vierte Stadtbe- der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Die immense Bedeutung der Immobilienwirtschaft für sind damit Hauptverursacher der globalen Umwelt- wohner weltweit lebt in Slums und die Unterschiede (WBGU) acht sogenannte transformative Handlungs- den Wandel ergibt sich schon alleine aus der Schät- veränderungen. Gleichermaßen schlagen sich die Um- bezüglich Einkommen, Beschäftigungsmöglichkeiten, felder identifiziert, die eine große potenzielle Hebelwir- zung, wonach der Gebäudesektor in Deutschland weltprobleme direkt auch auf die jeweiligen Stadtge- Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen kung für die urbane Transformation zur Nachhaltigkeit für ganze 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 biete in Form von Luftverschmutzung, Altlasten sowie nehmen drastisch zu (UN 2020). Die Überwindung ext- aufweisen (WBGU 2016): Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Mit Lärm nieder. Neun von zehn Stadtbewohnern sind von remer Armut und großer sozioökonomischer Polarisie- CO2-Einsparungen von rund 40 Prozent gegenüber starker Luftverschmutzung betroffen. Über komplexe rung zählt zu den zentralen Herausforderungen einer — Dekarbonisierung, Energie und Klimaschutz in 1990 wurde bereits einiges erreicht, aber das Ziel (bis Mechanismen wirken die Klimaveränderungen schließ- nachhaltigen Urbanisierung. Städten 2020 -67 Prozent) ist weiterhin ambitioniert. Bau- und lich auch in die Städte zurück. Viele Städte sind durch — Mobilität und Verkehr Immobilienwirtschaft sind damit ein entscheidender ihre exponierte Lage, ihre hohe Einwohner- und Infra- Auch zukünftig werden Städte der Schlüssel zur glo- — Baulich-räumliche Gestalt von Städten Hebel für die Initiierung nachhaltiger Pfadabhängig- strukturdichte höchst anfällig für Klimarisiken. Das balen Nachhaltigkeitsfrage sein. Denn der Urbanisie- — Anpassung an den Klimawandel keiten von Städten. Das folgende Kapitel diskutiert Thema Resilienz, d.h. die Widerstandsfähigkeit der rungstrend hält weiter an. Bereits heute leben mit rund — Armutsbekämpfung und sozioökonomische anhand der Handlungsfelder Klimaschutz im Gebäu- Städte gegenüber klimatischen Veränderungen wie 4 Mrd. Einwohnern mehr als die Hälfte der Menschen Disparitäten desektor, Materialien und Stoffströme, Mobilität und intensivere Hitzewellen, Starkregen, Meeresspiegelan- weltweit in Städten (Abb. 02). Bis 2050 wird ein An- — Urbane Flächennutzung Verkehr, Urbane Flächennutzung sowie Soziale Wohn- stieg, gewinnt deutlich an Relevanz. stieg auf dann 6,5 Mrd. Menschen erwartet, der auf — Materialien und Stoffströme raumversorgung die wesentlichen Bausteine einer einer zunehmenden Urbanisierungsrate in Afrika und — Urbane Gesundheit nachhaltigen Immobilienwirtschaft. Asien fußt. Weltweit könnten dann fast 70 Prozent der Menschen in urbanen Räumen leben, in Europa wären „Our struggle for global sustainability es dann sogar rund 85 Prozent. Da die Städte zum Großteil gebaute Umwelt sind, hat will be won or lost in cities“ die Immobilienwirtschaft erheblichen Einfluss auf Um den Weg Richtung urbaner Nachhaltigkeit einzu- viele dieser Aspekte, etwa auf den Klimaschutz im (Ban Ki Moon, 2012) schlagen, wurde 2016 mit der New Urban Agenda auf Gebäudesektor, eine ressourcenschonende urbane 10 FOCUS 34 S TÄ D T E A L S S C H L Ü S S E L E I N E R N A C H H A LT I G E N E N T W I C K L U N G 11
Bausteine einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft Der Schlüssel zur Nachhaltigkeit liegt also vor allem in den Städten, wo die wachsende Mehrheit der Weltbevölkerung lebt, die entscheidend zum weltweiten CO2-Ausstoß beiträgt. Deren Übergang in eine nach- haltige urbane Zukunft kann nur mit der Immobilienwirtschaft gelingen. Die wesentlichen Handlungsfelder dafür umfassen die Steigerung der Energieeffizienz und den Einsatz alternativer Baumaterialien im Ge- bäudesektor, die Integration intelligenter Mobilitätskonzepte, die kon- sequente Fokussierung auf Innenentwicklung und die Versorgung mit bezahlbarem und altersgerechtem Wohnraum. 12 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 13
Abb. 03 Abb. 04 Hohe energetische Standards im Neubau Energieverbrauch nach Baualtersklassen Energieverbrauch in kWh/ m2 a Anteil am Gesamtbestand (D) Anteil am Gesamtbestand (München) Dach Solarthermie & Photovoltaik 320 60 Energieverbrauch in kWh/ m2 a Anteil am Gesamtbestand in % Smart Home 280 Nachhaltige Baumaterialien 50 (z. B. Holz) 240 Niedrigenergiefenster und Wassersparende 40 passive Sonnenenergienutzung Fassade Sanitärarmaturen 200 Dämmung der Gebäudehülle Ökostrom 160 30 Kontrollierte Wohnraumbelüftung mit Wärmerückgewinnung ELF*-Farben und -Lacke 120 Wärmespeicher 20 Smart Meter 80 10 Energieeffizientes Heizsystem 40 Keller Energieeffiziente Haushaltsgeräte (A+++) Elektrofahrzeug und Ladestation vor 1919- 1949- 1979- 1991- 2001- 2011- 2015- 1919 1948 1978 1990 2000 2010 2014 2017 Datenbasis: Statistisches Bundesamt 2019 Klimaschutz im Gebäudesektor bau zum Einsatz kommen. Neubauten müssen in Technisch sind bereits klimaneutrale Neubauten mög- Sanierungsstau bei Bestandsgebäuden Deutschland alle die energetischen Anforderungen lich. Dazu zählen Passiv- oder Plus-Energiehäuser, die Die Vorgabe eines Null-Emissionsziels bis 2050 hat der Energieeinsparverordnung (ENEV 2016) erfüllen. sich selbst versorgen oder zum Beispiel mit Photovol- Durch Neubau alleine lässt sich das Einsparziel aller- weitreichende Auswirkungen auf den Gebäudesektor, Die Hälfte der realisierten Neubauten ist aus energe- taikanlagen mehr Energie erzeugen, als sie verbrau- dings nicht erreichen, denn von den 19 Mio. Gebäuden der in Deutschland rund 30 Prozent der CO2-Emissio- tischer Sicht sogar besser als gesetzlich vorgeschrie- chen. Ein Passivhaus spart bis zu 90 Prozent gegen- in Deutschland wurden rund zwei Drittel vor der ersten nen verantwortet. Bis 2030 sollen CO2-Einsparungen ben, was auf die Förderprogramme in Form von Dar- über konventionellen Neubauten ein. Seit 2009 sind Wärmeschutzverordnung 1979 erbaut und haben ent- von 67 Prozent gegenüber 1990 erzielt werden. Auch lehen und Zuschüssen über die KfW zurückzuführen rund 2.200 Wohngebäude im Passivhausstandard fer- sprechend schlechte Energiewerte. Das betrifft ins- der European Green Deal der Europäischen Kommis- ist. Im Jahr 2019 wurden insgesamt über 7,6 Mrd. € tiggestellt worden, Schätzungen gehen von einem Be- besondere die Baualtersklassen 1949-1978 mit einem sion konzentriert sich insbesondere auf die Energieef- Förderungen für energieeffizientes Bauen durch die stand von rund 10.000 Gebäuden in Deutschland aus. durchschnittlichen Energieverbrauch von mehr als 200 fizienz im Gebäudebereich, der in Europa für rund 40 KfW-Bank bewilligt (KfW 2019). Der Übergang zu er- Perspektivisch erwartet man von der zunehmenden kWh/m2a, die in Deutschland fast die Hälfte und in man- Prozent des Energieverbrauchs steht. Entsprechend neuerbaren Energien lässt sich auch in der Baustatistik Digitalisierung im Gebäudebereich (Stichwort Smart chen deutschen Großstädten bis zu 60 Prozent des ist Klimaschutz im Gebäudesektor ein wesentlicher ablesen. Home) weitere Energieeinsparpotenziale. So sollen gesamten Gebäudebestands ausmachen (Abb. 04). Baustein einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft. vernetzte Strom- und Wasserzähler beim Energiespa- ren helfen. Nach dem von der Bundesregierung verab- Entscheidend für das Erreichen der Klimaziele im Ge- Knapp 80 Prozent des Energieverbrauchs im Ge- Bereits 23 Prozent der schiedeten Messstellenbetriebsgesetz sollen bis 2032 bäudesektor ist also der Bestand. Dazu hat die Poli- bäudesektor werden für die Wärme in Gebäuden alle mechanischen Zähler gegen intelligente Messge- tik seit 2002 verpflichtende energetische Standards aufgewendet. Um einen nahezu klimaneutralen Ge- 2018 fertiggestellten räte (Smart Meter) ausgetauscht werden. Bereits ab (EnEV) für die Modernisierungen gesetzt und gleich- bäudebereich bis 2050 zu erreichen, muss also die Herbst 2020 müssen gemäß Vorgaben der EU in neu- zeitig energetische Sanierungsmaßnahmen über die Energieeffizienz bei der Gebäudehülle und der An- Wohngebäude werden en Gebäuden intelligente Heizkostenzähler installiert KfW mit Darlehen und Zuschüssen gefördert. Trotz- lagetechnik deutlich erhöht werden und es müssen werden. Ob ein höherer Technologisierungsgrad zur dem verharrt die energetische Sanierungsrate seit mehr erneuerbare Energien in den Gebäuden ein- hauptsächlich mit Umwelt-, Energieeinsparung beiträgt, ist zumindest heute noch Jahren auf einem niedrigen Niveau. In den letzten 15 setzt werden. Abb. 03 zeigt derzeitige Standards wie fraglich. Trotz energieeffizienterer Technik verbrau- Jahren wurde pro Jahr selten mehr als ein Prozent des Niedrigenergiefenster, Dämmung der Gebäudehülle, Geo- oder Solarthermie chen die Haushalte aufgrund der immer mehr vorhan- Bestands energetisch ertüchtigt, notwendig wären bis kontrollierte Wohnraumbelüftung, energieeffiziente denen Elektronik mehr Strom (IZ 2020). 2050 mehr als zwei Prozent pro Jahr. Heizsysteme oder Solarthermie, die allesamt im Neu- beheizt. 14 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 15
Die Gründe für die zu geringe Sanierungsquote sind auch von der seriellen Sanierung erwartet, die einen Fast jeder zehnte Quadratmeter Büro in den Top 7 sparungen im Betrieb, die die Nachfrage nach zertifi- vielschichtig. Gerade bei ambitionierten energetischen Markt mit hohem Wachstumspotenzial für die Bauin- ist zertifiziert zieren Gewerbeflächen weiter antreibt (JLL 2019). Hier Standards zeigt sich etwa das Kosten-Nutzen-Dilem- dustrie darstellt. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte könnten perspektivisch Smart Office Technologien ma. Die Kosten steigen exponentiell an, während die Energiesprong-Prinzip aus den Niederlanden, das für Klimaschutz im Gebäudesektor beschränkt sich nicht helfen, eine höher Energieeffizienz zu erreichen und Kurve des möglichen Einsparpotenzials immer weiter hohen Wohnkomfort, kurze Sanierungszeiten und ein nur auf Wohnimmobilien, sondern hat auch im gewerb- sowohl die Umwelt- als auch die Budgetbelastung zu abflacht. Manche sehen mit den energetischen Stan- innovatives Finanzierungsmodell steht. Das Sanie- lichen Bereich beim Werben um Mieter und Investoren reduzieren. dards der ENEV 2016 bereits die wirtschaftliche Gren- rungskonzept wird nun auch vom Bundesministerium weiter an Bedeutung gewonnen. Mit der Vergabe von ze als erreicht (ARGE 2019). Ebenso bremsend wirkt für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanziert und vom Zertifikaten wie DGNB, LEED und BREEAM ist es in Materialien und Stoffströme das Vermieter-Mieter-Dilemma. Schon eine einfache GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Im- den letzten Jahren gelungen, die Nachhaltigkeit von energetische Modernisierung älterer Häuser auf ak- mobilienunternehmen unterstützt (dena 2019). Die Gebäuden messbar und bewertbar zu machen. Dabei Die klimapolitischen Ziele beziehen sich allerdings tuellen EnEV-Standard führt durchschnittlich zu einer Sanierung eines Bestandsgebäudes zum Passivhaus umfassen die Bewertungen alle wesentlichen Aspekte nicht nur auf höhere Energieeffizienz im Betrieb von Mieterhöhung von mindestens 2 € je Quadratmeter, erfolgt nach diesem Prinzip im bewohnten Zustand des nachhaltigen Bauens (u.a. Ökobilanz des Gebäu- Immobilien. Sondern auch der Baubereich verursacht die nicht ansatzweise durch eingesparte Strom- und und innerhalb von wenigen Wochen. Das funktioniert, des), aber auch soziokulturelle (u.a. Innenraumluftqua- eine enorme Nachfrage nach Baustoffen, die die natür- Heizkosten refinanzierbar ist. Das InWIS-Institut be- weil neue Technologien wie die 3D-Vermessung und lität), technische (u.a. Immissionsschutz), wirtschaft- lichen Ressourcen und die Umwelt beansprucht. Die ziffert die Einsparung für den Mieter auf nur 0,67 € je -Planung sowie vorgefertigte Fassadenelemente oder liche (u.a. Marktfähigkeit) und auch Standortkriterien immense Rohstoffnachfrage in urbanen Räumen stellt Quadratmeter (Handelsblatt 2020). Hinzu kommen Haustechnikmodule eingesetzt werden, wodurch (u.a. Verkehrsanbindung) finden Berücksichtigung. Ins- ein zentrales globales Umweltproblem dar. So fordert knappe Baukapazitäten und steigende Baupreise, letztlich auch die Baukosten sinken. Die resultierenden gesamt hat sich insbesondere in den Top 7 der Anteil der Aufbau neuer Infrastrukturen, der mit dem Urbani- die viele Sanierungen unwirtschaftlich machen. Und Einsparungen bei Raumwärme-, Warmwasser- und zertifizierter Bürogebäude in den letzten Jahren deut- sierungstrend einhergeht, einen erheblichen Material- schließlich trägt die Altersstruktur der Eigentümer zur Stromkosten kommen dabei aber nicht dem Mieter zu lich erhöht. Mitte 2019 belief sich deren Bestand auf einsatz. Der globale „Material Footprint“ wird so immer geringen Sanierungsrate bei, denn ein Großteil steht Gute, sondern werden auf die Kaltmiete umgelegt. So 8,6 Mio. Quadratmeter, das entsprach fast 10 Prozent größer. Waren es 1990 noch 43 Mrd. t verbrauchter kurz vor der Rente und scheut Investitionen. wird die Sanierung durch Einsparungen bei den Ener- der gesamten dortigen Büroflächen. Spitzenreiter ist Rohstoffe, ist der Fußabdruck 30 Jahre später mehr giekosten refinanziert. In den Niederlanden wurden Frankfurt mit über 22 Prozent zertifizierter Bürogebäu- als doppelt so hoch – Tendenz steigend (Abb. 05). Der Um die energetische Modernisierungsquote anzu- bereits 4.500 Sanierungen umgesetzt, 100.000 sollen de, was mitunter auf die internationale Mieterklientel „Material Footprint“ pro Kopf ist in Ländern mit hohem treiben, hat die Bundesregierung im Januar 2020 die folgen. Auch in Deutschland könnten nach Schätzun- zurückgeführt werden kann, die immer häufiger die Einkommensniveau (27 t pro Kopf) über 13 Mal so hoch Zuschüsse und Darlehensbeträge nochmals erhöht. gen über 500.000 Mehrfamilienhäuser nach diesem Vorgabe hat, nur noch in zertifizierten Immobilien zu wie in einkommensschwachen Ländern (2 t pro Kopf) Ein weiterer Impuls zur Erreichung der Klimaziele wird Vorgehen saniert werden. mieten. Neben Imagegründen sind es auch Kostenein- (United Nations 2019). Allerdings schlagen die Folgen der Corona-Krise Abb. 05 auch auf den globalen Ausbau erneuerbarer Energien Die Produktion von 11% Entwicklung des globalen „Material Footprint“ durch. Experten rechnen für 2020 mit einer Stagna- 2015 tion im Ausbau von Wind, Photovoltaik und Speicher- Zement verursacht acht systemen. Denn auch die „grünen“ Lieferketten sind unterbrochen oder eingeschränkt. Ein Großteil der Prozent der globalen weltweit eingesetzten Windturbinen, Solarmodule und Lithium-Ionen-Batterien für Netzspeicher wird CO2-Emissionen. in China produziert, sodass die krisenbedingten Pro- duktionsrückränge und Lieferschwierigkeiten zu einer Umsatzanteil zertifizierter Bürogebäude in den Top 7 Verlangsamung von nachhaltigen Neubauprojekten In der Physiognomie der Städte spiegelt sich die Do- und energetischen Sanierungen führt. Gleichzeitig minanz einiger Baustoffe wider. Stahlbeton ist nahezu t 190 fordert der Bundesverband energieeffiziente Gebäu- überall das bevorzugte Baumaterial, um in die Höhe zu 2019 15% Mrd. (geschätzt) dehülle (Buveg), die Notwendigkeit konjunktureller bauen, sodass im Zuge der Globalisierung eine zuneh- 92 Maßnahmen für eine energetische Sanierungswelle mende Vereinheitlichung von Stadtbildern zu erkennen des Gebäudebestands zu nutzen. Großes Potenzial ist. Zement ist ein Bestandteil von Beton und als welt- 43 54 Mrd. sieht der Verband kurzfristig vor allem in derzeit we- weit meistverbrauchter Baustoff aus dem Baugewerbe Mrd. Mrd. niger genutzten Büro- und öffentlichen Gebäuden. nicht wegzudenken. Allein zwischen 1945 und 2010 Auch das Buildings Performance Institute Europe wurden weltweit 60 Mrd. t Zement produziert, die in 1980 2000 2017 2060 (BPIE) plädiert in seinem Aktionsplan „renovation Form von 500 Mrd. t Beton verbaut worden sind. Mehr wave“ (April 2020) dafür, die wirtschaftliche Erholung als die Hälfte (60 Prozent) davon wurde in den Jahren Umsatzanteil zertifizierter Bürogebäude in den Top 7 nach der Corona-Krise durch eine umfangreiche Sa- von 1990 bis 2010 verwendet und 35 Prozent allein nierungswelle zu unterstützen und damit einen klima- in den Jahren 2000 bis 2010. Die globale Nachfrage neutralen Gebäudebestand bis 2050 zu erreichen. nach Zement wird zunehmend von China dominiert. In den drei Jahren von 2008 bis 2010 hat China mit 4,9 Mrd. t mehr Zement verbaut als die USA im gesam- Quelle: United Nations 2019 ten 20. Jahrhundert (4,56 Mrd. t). Das Bindemittel aus 16 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 17
Kalkstein gilt als alternativlos. Dabei ist die Produktion 2002 39% von Zement extrem klimaschädlich. Bis 2010 wurden nur durch Zement Emissionen von etwa 40 Mrd. t CO2 freigesetzt. Rund 8 Prozent des globalen CO2-Aussto- ßes gehen auf die Herstellung dieses Baustoffes zu- rück – damit verursacht die globale Zementproduktion mehr CO2-Emissionen als Deutschland (2,2 Prozent). Das liegt daran, dass der Grundstoff Kalkstein Kohlen- Anteil Chinas an der globalen Zementnachfrage dioxid enthält und diesen in der Verarbeitung freigibt. Bei der Herstellung des Zementklinkers, der den Be- ton später hart werden lässt, werden große Mengen an Treibhausgasen frei (ca. 800 kg CO2 pro t Klinker). Da- 2018 58% von entstehen rund 60 Prozent durch die Entsäuerung des Kalksteins, 40 Prozent durch die Verbrennung fos- siler Brennstoffe. Stahlbeton besteht, neben Zement, zu 80 Prozent aus Sand und Gestein. Sand ist der weltweit am meisten verwendete Rohstoff – nach Luft und Wasser – und Anteil Chinas an der globalen Zementnachfrage ist Bestandteil von Beton, Asphalt und Ziegelsteinen und damit eine der wichtigsten Ressourcen in der Bau- industrie, die gleichzeitig der größte Verbraucher des Rohstoffs ist (Abb. 06). Die weltweite Nachfrage nach Sand und Kies hat sich in den letzten 20 Jahren ver- dreifacht und liegt heute bei 40 Mrd. t pro Jahr (UNEP 2019). Die Vereinten Nationen schätzen, dass der Be- darf nach Sand und Kies für den Bau von Gebäuden und Infrastrukturen jährlich um weitere 5,5 Prozent Abb. 06 steigen wird. Sand scheint es im Überfluss zu geben. Sandverbrauch im Vergleich Aber selbst Wüstenstaaten wie Dubai müssen Sand, trotz seines hohen Gewichtes, importieren. Denn Wüs- tensand ist nicht gleich Bausand und Sand ist eine fos- 200 t Sand sile Ressource, dessen Entstehung mitunter Millionen von Jahren in Anspruch nimmt. Zwar geht in Deutsch- Mittelgroßes land der Sand bisher nicht aus. Aber dass der Rohstoff Wohnhaus auch hier knapp ist, spüren Bauunternehmen an War- tezeiten von mehreren Wochen bis genügend Material 30.000 t Sand zur Verfügung steht. = Es muss nicht immer Beton sein 1 Kilometer Autobahn 150 Häuser Einige Projektentwickler setzen mittlerweile zuneh- mend auf alternative Baustoffe, auch um den CO2-Fuß- abdruck und die Ökobilanz von Gebäuden bereits in der Bauphase zu reduzieren. Alternative Optionen sind beispielsweise Materialien wie Lehm, Ziegel, Stein, 12 Mio t Sand Bambus und Holz. Die Verwendung dieser Baustof- = fe erfährt seit einiger Zeit eine Renaissance, denn sie sind keineswegs neu, wurden allerdings teilweise von den Baustoffen der industriellen Revolution verdrängt. Im Vordergrund steht die Verringerung der Intensität Atomkraftwerk 400 km Autobahn prozessbedingter Emissionen. Zementreduzierte „Ökobetone“ weisen gegenüber herkömmlich einge- Quelle: Katapult 2019 setzten Betonarten eine Verringerung von ca. 30 bis 18 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 19
60 Prozent der spezifischen Emissionen auf (WBGU Materialien, um nicht automatisch auf die gängigen Trendwende in der urbanen Verkehrspolitik vollzogen mittelwahl) nachweisen. Lag zum Beispiel der Anteil 2016). Auch Holzkonstruktionen können bis zu 48 Pro- Standards zurückzugreifen. Es geht um das richtige und die Dominanz privater motorisierter Mobilität auf- der 18-24-Jährigen ohne Fahrerlaubnis in Deutsch- zent CO2 gegenüber konventionellen Bauten mit Beton „Mindset“: Cradle-to-Cradle heißt, Mehrwert hinzufü- gebrochen werden. Der Wille zum Wandel ist in vielen land 2010 nur bei 14 Prozent, hatte 2018 bereits mehr einsparen (Ruhr-Universität Bochum 2017). Dabei sind gen. Im „Material Passport“ als erweiterter Bauteilkata- Städten erkennbar. Immer mehr Städte bauen den als jeder Fünfte dieser Altersklasse (noch) keinen die alternativen Optionen nicht unbedingt mit höheren log werden Ökobilanz, chemische Zusammensetzung, öffentlichen Nahverkehr und die Radinfrastruktur aus, Führerschein. Anders sieht es bei alternativen Ver- Kosten verbunden. Vieles kann heute vorproduziert Recyclingfähigkeit sowie die Trennbarkeit und Demon- reduzieren Stellplätze, führen Umweltzonen ein oder kehrsmitteln aus: Die Carsharing-Flotte ist in Deutsch- werden. Das spart Zeit und Geld. Im privaten Bereich tagefähigkeit der verwendeten Materialien durch Pro- begrenzen den Zugang von Individualverkehr in die In- land zwischen 2014 und 2020 um 81 Prozent auf über ist die Verwendung von Holz beim Bau von Einfamilien- duktzertifikate nachgewiesen. nenstädte, um den Verkehr mit hoher Luftverschmut- 25.000 Fahrzeuge gewachsen, an mittlerweile 840 häusern bereits weit verbreitet. Im mehrgeschossigen zung einzudämmen. Heute gibt es weltweit bereits in Orten sind Fahrzeuge verfügbar (bcs 2020). Die Car- Holzbau erschweren die baurechtlichen Anforderun- Neben der Zukunftsfähigkeit und Innovationsstärke über 300 Städten Umweltzonen und in 440 Städten sharing-Branche zählt insgesamt 2,4 Mio. Kunden, in gen häufig die Realisierung, sodass der Marktanteil gibt es auch wirtschaftliche Anreize für Investoren und autofreie Zonen (Abb. 07). In Paris sollen ab 2020 die 14 Prozent aller städtischen Haushalte ist mindestens bisher nur bei rund 4 Prozent liegt (Zentralverband des Projektentwickler ihre Immobilie nach dem C2C-Kon- vier zentralen Innenstadt-Arrondissements weitge- eine Person Carsharing-Kunde. Auch weltweit lässt Deutschen Baugewerbes 2018). Hamburg gilt deutsch- zept zu planen und zu errichten. Erstens kann die Ver- hend autofrei gemacht werden, in Madrids Innenstadt sich seit 2010 ein steiler Anstieg erkennen. So gab es landweit als Vorreiter und Impulsgeber in Sachen Holz- wendung chemisch unbedenklicher Baustoffe den dürfen seit letztem Jahr nur noch Anwohner und Fahrer zur Jahrtausendwende nur in rund 500 Städten welt- bau. Mit der Novellierung der Hamburgischen Bau- Verkehrswert positiv beeinflussen, denn die Schad- von Hybrid-, Elektro- und Gasfahrzeugen fahren, Brüs- weit Carsharing-Angebote bzw. Mietfahrräder, im Jahr ordnung 2018 wurde die Massivholzbauweise auch stofffreiheit von Gebäuden, Lebens- und Arbeitswelten sel wiederum verdoppelte seine autofreie Zone im Zen- 2018 verfügten bereits rund 3.000 bzw. 1.000 Städte für Gebäude bis zur Hochhausgrenze (22m) zulässig. wird auch in Zukunft verstärkt nachgefragt. Zweitens trum von 28 auf nun 50 Hektar und ist damit eine der über diese Möglichkeit. (Abb. 07) Immer mehr deutsche Städte fördern den Holzbau. In fallen in der Verwertungsphase keine oder zumindest größten Pkw-freien Zonen Europas. In Bremen plant München entsteht derzeit am Prinz-Eugen-Park die mit weniger Kosten für die Entsorgung von Sondermüll an. die Regierungskoalition das Zentrum der Hansestadt Im Zuge der Corona-Pandemie ist die Auslastung der 570 Wohneinheiten größte zusammenhängende Holz- Denkbar sind sogar Einnahmen durch die Veräußerung bis zum Jahr 2030 nach und nach autofrei zu machen öffentlichen Verkehrsmittel in den Städten kurzfris- bausiedlung in Deutschland. Die Stadt fördert Holz- der demontierten Rohstoffe. Drittens können auch die und parallel den öffentlichen Nahverkehr auszubauen tig stark zurückgegangen. Zum einen haben die Aus- bauprojekte über ein Zuschussprogramm und überlegt Baukosten zumindest perspektivisch durch Rohstoff- und kostengünstiger zu machen. gangsbeschränkungen und die große Anzahl von Be- bei der Vergabe städtischer Grundstücke einen Anteil leasing sinken. Dabei verbleiben die Baustoffe im Be- schäftigten, die aktuell im Homeoffice arbeiten, den von 50 Prozent Holzbauweise vorzuschreiben. sitz des Herstellers und werden nur für die Dauer der Der allmähliche Mobilitätswandel lässt sich auch an- Bedarf deutlich reduziert. Zum anderen steigen viele Nutzung gegen Entgelt zur Verfügung gestellt. hand der Verschiebungen im Modal Split (Verkehrs- Fahrgäste infolge des befürchteten erhöhten Anste- Die kurzfristigen Lieferengpässe und Einschränkungen bzw. Unterbrechung internationaler Lieferketten auf- Mobilität und Verkehr grund der Corona-Krise könnten auch langfristig eine Rückbesinnung auf regionale Märkte und Produkte zur Eine wesentliche Stellschraube zur Erreichung der Kli- Abb. 07 Folge haben. Das würde die Verwendung nachhaltiger maziele stellt auch der Verkehrssektor dar, bei dem Weltweite Verbreitung alternativer Verkehrskonzepte Baustoffe wie heimisches Holz und damit auch eine bislang kaum Fortschritte bezüglich des CO2-Aus- Reduzierung der Transportwege zusätzlich fördern. stoßes registriert werden können. Die Autonutzung ist U-Bahn | 1883, London Bikesharing (rechte Skalierung) | 1998, Rennes hoch wie eh und je, weiterhin werden rund drei Viertel Autofreie Zonen | 1953, Rotterdam Carsharing (rechte Skalierung) | 1997, Zürich Cradle-to-Cradle – ein ganzheitlicher Ansatz der der gesamten in Deutschland registrierten Personen- Umweltzonen | 2003, Tokio Nachhaltigkeit kilometer mit dem motorisierten Individualverkehr zurückgelegt. Zwar emittieren Pkw und Lkw heute im Im Zusammenhang mit Materialströmen in der Bau- Durchschnitt weniger Treibhausgase und Luftschad- 500 3.500 Anzahl der Städte Anzahl der Städte wirtschaft wird auch der Ansatz einer konsequenten stoffe als noch 1995. Weil aber mehr Pkw und Lkw 450 Kreislaufwirtschaft zunehmend diskutiert. Das Prinzip unterwegs sind, sind die absoluten CO2-Emissionen 3.000 von „Cradle-to-Cradle“ (C2C, wörtlich: „von der Wiege im Straßengüterverkehr heute um 22 Prozent höher 400 zur Wiege“) beruht auf zwei kontinuierlichen Kreis- als 1995 (Umweltbundesamt 2020). In vielen Städten 350 2.500 läufen: Biologisch abbaubare Verbrauchsgüter gehen gehören Staus, verbunden mit starker Luftverschmut- nach ihrer Verwendung in den natürlichen Nährstoff- zung über den sicheren Grenzwerten zum Alltag. So 300 2.000 kreislauf zurück. Gebrauchsgüter werden nach ihrer verlängert sich in den deutschen Metropolen Berlin, 250 Nutzung in sortenreine Ausgangsstoffe zerlegt und Hamburg, München, Köln und Frankfurt die Fahrzeit 1.500 einem technischen Kreislauf zugeführt. So kann die durch das hohe Verkehrsaufkommen morgens um 44 200 stoffliche Güte der eingesetzten Materialen über ihren bis 54 Prozent, abends um gar 51 bis 60 Prozent (Tom- 150 1.000 Verwendungszweck hinaus erhalten und Downcycling Tom 2020). bzw. Qualitätsverlust vermieden werden. 100 500 Auf dem Weg zur urbanen Mobilitätswende 50 C2C ist nicht gleichzusetzen mit Gebäudezertifizie- rungen. Ziel des C2C-Prinzips ist vielmehr die grund- Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die sätzliche und dezidierte Auseinandersetzung mit der deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 1900 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Herkunft und Zusammensetzung aller verwendeten Prozent gegenüber 1990 zu mindern. Dazu muss die Daten: VDD 2019, WBGU 2016 20 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 21
ckungsrisikos im Nahverkehr und der damit verbun- desto höher sind in der Regel die erzielbaren Preise denen Unsicherheiten auf das Auto um. Während des und Mieten. Gerade in den staugeplagten Großstädten Shutdowns sind entsprechend die Fahrgastzahlen in werden gut mit dem ÖPNV erschlossene Wohnstand- Städten weltweit um 70 bis 90 Prozent zurückgegan- orte immer stärker nachgefragt sein. Perspektivisch gen. Noch stärker sind Mikromobilitätsdienste (z.B. gewinnen auch Mikrolagen mit einem vielfältigen An- Clevershuttle oder Moia) eingebrochen und kämpfen gebot an verschiedenen alternativen Verkehrsmitteln mit Umsatzrückgängen von 60 bis 70 Prozent zum Teil an Relevanz. Das betrifft u.a. die Verfügbarkeit von um ihre Existenz (McKinsey 2020). Das eigene Auto Carsharing-Fahrzeugen, E-Bikes oder E-Scootern im scheint kurz- und mittelfristig aufgrund des sozialen Umkreis der Wohnung. Kurze Wege zum ÖPNV (maxi- Distanzgebotes wieder attraktiver zu werden, die indi- mal 600 Meter zur Haltestelle) sind schließlich auch viduelle Freiheit wird wieder stärker geschätzt. Damit ein wesentliches Kriterium bei der Bürostandortwahl ist die Mobilitätswende durch den Corona-Virus ab- von Unternehmen. Über die Hälfte der Büromitarbeiter rupt ausgebremst worden. Während sich die Verkehrs- in Deutschland erwarten nämlich, dass sie in maximal dichte im Individualverkehr langsam wieder norma- 30 Minuten ihren Arbeitsplatz erreichen. lisiert, stagnieren die Fahrgastzahlen im öffentlichen Verkehr seit dem Einbruch Mitte März noch immer – Da über 90 Prozent aller Wege am Wohn-/Bürostand- trotz Schutzmaßnahmen wie der Maskenpflicht. Bis ort starten oder enden, müssen schließlich die Gebäu- zur Umsetzung eines „virussicheren“ ÖPNV mit u.a. de an die neuen Mobilitätskonzepte angepasst werden. getrenntem Ein- und Ausstieg, besseren Belüftungs- Das heißt E-Ladestationen, Fahrradstellplätze etc. systemen und einer erhöhten Taktfrequenz wird sich gewinnen deutlich an Relevanz. Die Wohnungswirt- der Modal Split voraussichtlich stärker hin zu Pkw- und schaft muss sich entsprechend zunehmend mit in- Fahrradverkehr verlagern. telligenten Mobilitätskonzepten im Wohnquartier auseinandersetzen. Das Angebot reicht hierbei von Einfluss der Immobilienwirtschaft auf die Stellplätzen mit Ladeinfrastruktur, über stations- Mobilitätswende (un)abhängiges Car- oder Bikesharing bis hin zum An- gebot von eigenen elektrischen Quartiersfahrzeugen Welcher Zusammenhang besteht nun zwischen Mo- (Abb. 08). Wesentliche Bausteine beziehen sich auf die bilität und Immobilienwirtschaft? Zunächst sind Ver- Fahrradfreundlichkeit. Gefragt sind v.a. ebenerdige, schmutzung und Lärmemissionen bedeutende Fakto- ausreichend dimensionierte Stellplätze, die vor Witte- Quelle: In Anlehnung an VCD 2019 Abb. 08 ren in der Immobilienwirtschaft, indem sie eher negativ rung, Vandalismus und Diebstahl schützen. Die Quali- Bausteine einer intelligenten Mobilität am Wohnort auf Immobilienwerte wirken. Die Lebens- und damit tät von Fahrradabstellanlagen bestimmt maßgeblich auch Wohnqualitäten in besonders schadstoffbelaste- darüber, ob Bewohner das Fahrrad für ihre Alltags- ten Städten könnten aber perspektivisch durch einen wege nutzen. Auch das Angebot spezieller ÖPNV-Ta- sukzessiven Wandel hin zur emissionsarmen Elektro- rifmodelle für Bewohner (z. B. Mieterticket) sind mobilität gesteigert werden. In den ersten Quartalen wichtige Anreize zur ÖPNV-Nutzung und können ein 2019 erhöhte sich der Anteil alternativer Antriebe attraktives Angebot seitens der Wohnungsunterneh- Fahrrad und Fußgängerfreundlichkeit Autoreduziertes Wohnen (Elektro, Hybrid-, Gasantrieben) an den Neuzulassun- men darstellen, um das Wohnumfeld autoarmer zu — Fahrradparken ausreichend dimensioniert, — Stations(un)abhängiges Car- und Bikesharing gen auf 8,2 Prozent (2018: 5,1 Prozent). Innerhalb der gestalten. ebenerdig, Schutz vor Witterung, — Mieter- und Ermäßigungstarife Städte könnten sich dadurch wiederum Lagequa- Vandalismus, Diebstahl — Multimodale Mobilitätsstationen litäten ändern, indem beispielsweise Wohnungen an Urbane Flächennutzung — Sicheres Wegenetz durch breite Wege, — Sammel- / Quartiersgaragen Beleuchtung, Orientierungshilfen, Instandhaltung, — Mitfahrbörse verkehrsreichen Straßen an Attraktivität und Wert ge- Winterdienst — Depot für Waren- / Paketannahmen winnen. Die großen Herausforderungen im Verkehrssektor — Barrierefreiheit stehen im engen Zusammenhang mit der Flächen- Immobilienpreise werden nicht zuletzt auch durch die nutzung. Der Nachfragedruck in den großen Städten NeueTechnologien und Angebote Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) Erreichbarkeit und die Anbindung an den Öffentlichen hält unvermindert an. In den letzten 20 Jahren haben Personennahverkehr beeinflusst. Schließlich ist eine die Top 7 über eine Million Einwohner dazu gewonnen. — Lademöglichkeiten und Vorrangabestellplätze für — Komfort durch fußläufig erreichbare, wettergeschützte E-Autos und E-Fahrräder Haltestellen mit Sitzmöglichkeiten gute Erschließung durch Bus und (Straßen-)Bahn für Allein von 2014 bis 2019 ist die Bevölkerung in den — Digitale Haustafeln (z.B. mit ÖPNV-Auskunft) — Orientierung durch Wegweiser zu nahen Haltestellen, viele Menschen ein zentrales Kriterium bei der Wohn- deutschen Metropolen um knapp 536.000 Einwohner — Kennenlernangebote und -trainings für ÖPNV oder Fahrpläne am Schwarzen Brett oder online / per App ortwahl. Die positiven externen Effekte von fußläufig gewachsen, was einem Bevölkerungswachstum von E-Autos und - Fahrräder — Tarifinformationen, Mietertickets, Schnupper- / — Neumieterpakete Neumietertickets erreichbaren ÖPNV-Stationen auf Miet- und Kaufprei- durchschnittlich 5,3 Prozent entspricht. Die erheblich se werden je nach Angebotsqualität (Art des Verkehrs- wachsende Zahl der Stadtbewohner übt Druck auf mittels, Systemverfügbarkeit und Umsteigezeiten) auf den Flächenverbrauch in Städten und ihrem Umland rund vier bis acht Prozent beziffert (Hein 2016). Je höher aus, Flächenknappheit und Nutzungskonkurrenz ma- die Angebotsqualität und je näher der Haltepunkt liegt, chen sich verstärkt bemerkbar. 22 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 23
Abb. 09 weitere Versiegelung und die Zersiedelung von Flächen Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in ha pro Tag außerhalb von Siedlungsgebieten zu minimieren und zu verhindern. Instrumente der Innenentwicklung sind vor Verkehrsfläche gleitender Vierjahresdurchschnitt allem (städtebauliche) Flächennutzungsregulierungen, Sport-, Freizeit- und Erholungsfläche, Friedhof wie die Ausweisung ökologischer Ausgleichsflächen, Wohnbau, Industrie und Gewerbe (ohne Abbauland), Öffentliche Einrichtungen die Regulierung des Flächenversiegelungsgrades oder die Restrukturierung bereits bebauter Flächen (z. B. industrieller Brachflächen, Verkehrsflächen, Wohnflä- 160 chen). Nicht nachhaltige Pfadabhängigkeiten bereits bestehender Siedlungsstrukturen sollen so überwun- den werden. Anstieg in ha pro Tag 120 Wenn die Entwicklung fortschreitet wie bisher, ist das für 2020 avisierte Ziel jedoch nicht zu erreichen. Zwar ist das Mantra „Innen- vor Außenentwicklung“ und 80 damit die Verdichtung der inneren städtischen Struktu- ren insbesondere in den Großstädten bereits Bestand- teil stadtplanerischer und immobilienwirtschaftlicher 40 Betrachtungen und Konzepte. Allerdings werden leicht Ziel: mobilisierbare Freiflächen dort zunehmend knapp, was unter 30 eine städtebauliche Nachverdichtung durch die bauli- che Nutzung bisher unbebauter oder mindergenutzter Flächen innerhalb einer bereits bestehenden Bebau- 1996 bis 1999 2000 2007 2006 2009 2004 2005 2008 2003 2030 2002 2001 2010 2016 2014 2015 2011 2013 2012 2017 ung erschwert. Insbesondere in den zentralen Lagen der stark wachsenden Großstädte ist ein deutlich er- kennbarer Mangel an freien und damit einfach zu akti- Foto: unsplash Quelle: BBSR 2018, Statistisches Bundesamt 2019 vierenden Innenentwicklungspotenzialen festzustellen. Die Nachverdichtung bebauter Grundstücke sowie die Konversion beispielsweise von Industriebrachen Mit zunehmendem Flächenverbrauch gehen in peri- und Verkehrsflächen umfassen auch nicht versiegelte bieten jedoch nach wie vor Potenziale. Durch die Auf- Wärmeproduktion, weniger Verdunstung, dunklere pheren und ländlichen Gebieten wertvolle Böden und Nutzungsarten wie Erholungsflächen. Dennoch gilt es gabe von Militärstandorten und Überplanung disponi- Absorptionsflächen und höhere Luftverschmutzung Landschaftsräume verloren und ländliche Gebiete sparsam mit der endlichen Ressource Boden umzu- bler Bahnliegenschaften, Industrie- oder Hafenflächen in hochverdichteten Quartieren führen dazu, dass der werden zunehmend zersiedelt. Das führt zu einer sin- gehen. In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie (2002) hat die bieten sich regelmäßig Chancen für die Errichtung Klimawandel in Städten wie München bereits heute kenden Auslastung der Infrastrukturen, die durch den Bundesregierung daher zwei nationale Ziele für die Flä- größerer Neubauprojekte in attraktiven, meist zentra- deutlich spürbar ist. Je nach Verdichtung kann die demographischen Wandel und die zunehmende Ab- chenpolitik ausgerufen, die bis zum Jahr 2020 erreicht len Lagen. Eine möglichst effiziente Flächennutzung Temperaturdifferenz bei der bodennahen Lufttempera- wanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte werden sollen: Die tägliche Ausweitung von Siedlungs- trägt dazu bei, die steigende Nachfrage nach zentralen tur zwischen Stadt und Umland punktuell bis zu 10° C noch weiter verstärkt wird. Aber auch in den dichter und Verkehrsflächen soll nur noch 30 ha betragen Wohnstandorten zu bedienen. betragen. So wird für die Münchener Innenstadt besiedelten Gebieten hat die Flächenneuinanspruch- und das Verhältnis von Innen- zur Außenentwicklung beispielsweise eine Temperatursteigerung von bis zu nahme Einfluss auf die Stadtstrukturen. Die Art der von Flächen soll bei 3:1 liegen. Im Januar 2017 wurden Allerdings haben Nachverdichtung und effiziente Flä- 8° C bis 2050 prognostiziert. Flächennutzung bestimmt unter anderem den Zugang diese Ziele mit einer Neuauflage verschärft. Im Klima- chennutzung auch ihre Grenzen: Mehr Menschen und zu und die Verteilung von technischen sowie sozialen schutzplan 2050 wird sogar ein Flächenverbrauchsziel mehr Nutzungen auf begrenzter Fläche bedeuten eine Soziale Wohnraumversorgung Infrastrukturen im städtischen Raum. Netto-Null bis 2050 angestrebt, womit die Zielsetzung erhöhte Konkurrenz – nicht nur um die Flächen selbst, der Europäischen Kommission aufgegriffen wird (siehe sondern auch um beispielsweise Kita- oder Parkplätze. Neben den harten Zielsetzungen aus den Bereichen 82 Fußballfelder pro Tag auch BMU 2019). Für den Neubau sollen dann keine Hier stellt sich die Frage: Wie viel Dichte verträgt der Gebäude- und Verkehrssektor dürfen soziale Aspekte neuen Flächen mehr in Anspruch genommen werden. Mensch? Denn mit der höheren Nutzungsdichte neh- der Nachhaltigkeit nicht unberücksichtigt bleiben. So 2008 wurden die Siedlungs- und Verkehrsflächen in Um das Flächenverbrauchsziel Netto-Null zu erreichen, men auch Verkehr- und Lärmbelastung zu. ist die Überwindung extremer Armut und großer so- Deutschland um 95 ha pro Tag ausgeweitet, 2010 um liegt der Fokus der Bundesregierung auf der Innen- zialer Ungleichheit (urban divide) in Städten ein zent- 77 ha. Die Flächenneuinanspruchnahme geht insge- entwicklung. Brachflächen sollen konsequent genutzt Eine hohe bauliche Dichte geht nicht nur zulasten der raler Bestandteil einer nachhaltigen Urbanisierung. Im samt etwas zurück, allerdings ist sie nach wie vor hoch werden, eine Flächenkreislaufwirtschaft (durch kon- Wohn- und Aufenthaltsqualität und Gesundheit, son- Fokus einer nachhaltigen Immobilienwirtschaft steht (Abb. 09). Täglich werden in Deutschland rund 58 ha krete Maßnahmen wie die Schließung von Baulücken, dern gefährdet auch die Klimaresilienz der Städte. Mit entsprechend eine soziale und auch nutzeradäquate als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Nachverdichtung und die (Um-) Nutzung von Konversi- zunehmender Versiegelung entfallen zudem Grün- Wohnraumversorgung. Das entspricht einem Flächenverbrauch von circa 82 onsflächen) etabliert sowie bestehendes Bau- und Pla- flächen, beides führt zu einer Verstärkung des soge- Fußballfeldern pro Tag. Zwar ist der Flächenverbrauch nungsrecht umgesetzt werden. Die größte Herausfor- nannten Wärmeinseleffektes (auch: UHI – Urban Heat Durch die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf nicht mit Versiegelung gleichzusetzen, denn Siedlungs- derung ist – und wird es auch in Zukunft bleiben –, eine Island). Phänomene wie weniger Luftaustausch, eigene die Wirtschaft und damit auf die finanziellen Mittel der 24 FOCUS 34 B A U S T E I N E E I N E R N A C H H A LT I G E N I M M O B I L I E N W I R T S C H A F T 25
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