AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE

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AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
AMNESTY
                                                                                          Nr. 106
                                                                                        Juni 2021

MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE

 60 JAHRE AMNESTY INTERNATIONAL

  IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN
  UND IHRE RECHTE

ANTISEMITISMUS IN DER SCHWEIZ   ÄTHIOPIEN           FILM
«Wir müssen genau hinschauen»   Flucht aus Tigray   Ein Guantánamo-Häftling berichtet
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
© PAZ

               EINLADUNG ZUR
               JUBILÄUMSKONFERENZ
               AM 4. SEPTEMBER 2021

              Seit 60 Jahren setzt sich Amnesty International zusammen mit Millionen
              Unterstützer*innen für eine Welt ein, in der die Menschenrechte für alle gelten.
              Deshalb wollen wir gemeinsam auf Erfolge anstossen und in die Zukunft
              unserer Organisation blicken:

              WIR LADEN SIE HERZLICH ZUR JUBILÄUMSKONFERENZ
              AM SAMSTAG, 4. SEPTEMBER 2021,
              IN BERN EIN!
              An der Jubiläumskonferenz wollen wir nicht nur das Erreichte feiern, sondern auch
              über aktuelle Herausforderungen diskutieren. Wir besprechen, wie Amnesty Inter-
              national die globale Menschenrechtsbewegung stärken kann. Gäste aus verschiede-
              nen Ländern, Bewegungen und Organisationen berichten von ihrem Engagement
              und ihrer Vision für die Menschenrechte.
              Zudem erwartet Sie ein attraktives Rahmenprogramm mit Workshops,
              einer Ausstellung über Aktivist*innen von Amnesty Schweiz und
              einem festlichen Apéro. Eine Kinderbetreuung wird angeboten.
              Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

              JETZT ANMELDEN UNTER:
              www.amnesty.ch/jubilaeumskonferenz

 Da die aktuelle Situation Flexibilität erfordert, sind verschiedene Varianten der Jubiläumskonferenz in Planung.
 Unter Umständen müssen wir eine hybride Alternative (in Präsenz und virtuell) anbieten oder die Veranstaltung kurzfristig
 absagen. Sollten wir die Publikumszahl einschränken müssen, werden diejenigen berücksichtigt, die sich zuerst angemeldet
 haben. Wir bedanken uns für das Verständnis und werden laufend über die Durchführung informieren.
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
Titelbild                                                                                                                                                                                      INHALT_JUNI 2021
Die Geschichte von Amnesty International begann 1961 mit
Protestbriefen. Bis heute schreiben zahlreiche Aktivist*innen
weltweit Briefe für Menschen, die in Gefahr sind. Auf dem Cover:
eine Briefeschreiberin in den Niederlanden.
© AI Netherlands

        AKTUELL                                                                                                                    THEMA
4        Good News                                                                                                        26       Äthiopien
6        Aktuell im Bild                                                                                                           «Raus. Weg hier!»

7        Nachrichten
9        Brennpunkt
         Bescheidener Durchbruch nach zwanzig Jahren

                                                                                                                                                                         Amanuel Tesfay musste
        DOSSIER                                                                                                                                                          aus Tigray fliehen.

        60 Jahre Amnesty International
                                                                                                                          29       Antisemitismus in der Schweiz
                                                                                                                                   «Es gab einen Dammbruch»

                                                                                                                                   KULTUR
                                                                                                                          33       Ausstellung
                                                                                                                                   In der Natur ist nichts unnatürlich
                                                                                                                          34       Film
10       Wir machen weiter                                                                                                         «Gewalt ist das Spiel der Regime»

12       Wie alles begann…
         Die Entwicklung von Amnesty International während
         60 Jahren Engagement.
                                                                                                                                   CARTE BLANCHE
14       «Doch, man kann etwas tun»                                                                                       36       Walter Kälin
         Zwei aktive Mitglieder über ihre Motivation und                                                                           Blick zurück und nach vorn
         ihre Wünsche an Amnesty.

16       Amnesty weltweit
         Eine Karte zeigt, wo Amnesty überall vertreten ist.
                                                                                                                                   IN ACTION
         Dazu: 60 Jahre Geschichte im Überblick.

18       60 Jahre, 6 Erfolgsbeispiele                                                                                     37       Spreading Hope since 1961
         Erfolgreiche Amnesty-Aktionen der letzten Jahre.                                                                          Ein Jubiläum zum Mitmachen

20       «Das Risiko gehört zum Beruf»
         Zwei Amnesty-Researcher*innen erzählen von ihrer Arbeit.

22       Der Ex-Häftling, der nicht aufgeben will
         Der Demokratieaktivist Yves Makwambala blieb
         auch im Gefängnis nicht tatenlos.

24       Bilder, die hängen bleiben
         Kampagnen-Poster aus sechs Jahrzehnten.

Impressum: «AMNESTY», Magazin der Menschenrechte, Nr. 106, Juni 2021. Redaktion: Carole Scheidegger (cas.), Manuela Reimann Graf (mre). Mitarbeiter*innen dieser Nummer: Anna-Theresa Bachmann,
Fabienne Engler, Michael Ineichen, Walter Kälin, Alexandra Karle, Lena Keller, Émilie Mathys, Olalla Pineiro Trigo, Stefanie Rinaldi, Anita Streule, Patrick Witte. Korrektorat: Doris Yannick Héritier, Bern. Gestal-
tung: www.muellerluetolf.ch. Druck: Stämpfli AG, Bern. Auf nachhaltig produziertem Papier gedruckt, Schutzhülle überwiegend aus nachwachsenden Rohstoffabfällen hergestellt. Die Mitgliederzeitschrift
«AMNESTY» erscheint viermal jährlich in Deutsch und Französisch. Sie kann als E-Paper unter issuu.com/magazin-amnesty-schweiz gelesen werden. Redaktionsschluss der nächsten Nummer: 18. Juni 2021.
Distribution: «AMNESTY, Magazin der Menschenrechte» erhalten alle, die die Schweizer Sek­tion von Amnesty International mit mindestens 30 Franken jährlich unterstützen. Über die Veröffentlichung von
Fremdbeiträgen entscheidet die Redaktion. Alle Rechte vorbehalten. © Amnesty Inter­            national, Schweizer Sektion. Redaktions­adresse: Magazin «AMNESTY», Redak­               tion, Postfach, 3001 Bern.
Tel.: 031 307 22 22, E-Mail: info@amnesty.ch. Auflage: 81 000 (dt.). Spendenkonto: Amnesty International, Schweizer Sektion, 3001 Bern (PC 30-3417-8, IBAN CH52 0900 0000 3000 3417 8). Oder spen-
den Sie online: www.amnesty.ch/spenden.

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                                                                                                                                                                                                                         3
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
A K T U E L L _ EN DA IC THORRI ICAHLT E N

                                                Sie steht vor uns, klein
                                                und zierlich, und strahlt
                                                diese unfassbare Stärke
                                                aus: Waad al-Kateab hat
                                                mit   ihrem   Film   «For
                                                                             GOO
                                                                             Auszeichnung
                                                                             AMNESTY − Das Online-Multimedia-Projekt von Amnesty International,
                                                                             «Tear Gas: An Investigation», wurde mit dem Webby Award für die
                                                                             beste Aktivismus-Website weltweit ausgezeichnet. Dieser Preis der
                                                                             Internationalen Akademie für Digitale Kunst und Wissenschaft (IADAS)
                                                                             gilt als führende

                                                                                                   © AI
                                                                             Auszeichnung für
                                                Sama» das Überleben im       herausragende
                                                                             Leistungen im In-
                                                kriegsgebeutelten Alep-
                                                                             ternet.
               po in Syrien dokumentiert. Ihre Tochter Sama kam
               im Bombenhagel auf die Welt, ihr Mann rettete als
               Chirurg Leben, sie filmte. Die Unterstützung von              Das Online-Projekt
                                                                             «Tear Gas» dokumen-
               Amnesty International habe ihr Kraft gegeben, sagte
                                                                             tiert Missbräuche
               sie bei unserem Treffen 2019 in Zürich.                       beim Einsatz
                                                                             von Tränengas.
               Es sind Begegnungen wie diese, die uns zeigen, dass
                                                                             Virginia schafft                      ren. Die entsprechenden Emp-
               unsere Arbeit etwas bewirkt. Hinter unseren Compu-
                                                                             Todesstrafe ab                        fehlungen des Ministerkomitees
               ter-Bildschirmen in der sicheren und wohlhabenden             USA − Der Gouverneur des US-          beinhalten ein Verbot für den
               Schweiz sind wir oft weit weg von den Orten, wo täg-          Bundesstaats Virginia, Ralph          Handel mit Ausrüstungsgegen-
                                                                             Northam, hat am 24. März 2021         ständen, die leicht für Folter oder
               lich schwerste Menschenrechtsverletzungen gesche-             ein Gesetz zur Abschaffung der        andere Misshandlungen miss-
               hen. Viele unserer Aktivist*innen und Mitarbeitenden          Todesstrafe unterzeichnet. Virgi-     braucht werden können, etwa mit
                                                                             nia ist damit der 23. US-Staat,       Stacheln versehene Schlagstöcke
               auf der ganzen Welt setzen ihre Freiheit oder sogar
                                                                             der die Todesstrafe abgeschafft       oder am Körper getragene Elek­
               ihr Leben aufs Spiel, um für die Menschenrechte               hat, und der erste Südstaat. Virgi-   troschockwaffen. Ausserdem sol-
               einzustehen. Aber auch hier können wir viel tun, um           nia hält den Rekord für die meis-     len Ausrüstungsgegenstände der
                                                                             ten Hinrichtungen in der Ge-          Strafverfolgungsbehörden – wie
               andernorts und auch in der Schweiz Veränderungen
                                                                             schichte der USA. Ausserdem           Pfefferspray, Tränengas und
               zu erzielen: Sei es durch Kampagnen und Aktionen              wurden Schwarze Menschen hier         Elektroschock-Projektilwaffen –
               oder das Sammeln von Spendengeldern.                          dreimal häufiger zum Tode verur-      streng kontrolliert werden. Die
                                                                             teilt als weisse Menschen.            Empfehlung enthält auch Leitlini-
               «Spreading Hope since 1961» – diesem Motto unse-                                                    en für die Regulierung des Han-
                                                                             Gegen den Handel mit                  dels mit bestimmten Arzneimit-
               res 60 Jahr-Jubiläums wollen wir weiterhin treu blei-
                                                                             Folterwerkzeugen                      teln, die für Hinrichtungen mit
               ben. Wir wollen den Menschen Mut machen, die                  EUROPA − Der Europarat hat am         der Giftspritze missbraucht wer-
               schikaniert und verfolgt werden, unschuldig im Ge-            31. Mai einen entscheidenden          den können. «Wir begrüssen die-
                                                                             Schritt getan, um den Handel mit      ses entschlossene Handeln des
               fängnis sitzen, auf der Flucht sind, diskriminiert wer-       Folterwerkzeugen und Hinrich-         Europarats ­– wir können Folter
               den. Wir wollen dazu beitragen, dass die Verantwortli-        tungsausrüstung einzudämmen.          nicht beenden, ohne den Handel
                                                                             Die Mitgliedsstaaten des Europa-      mit Folterwerkzeugen zu unter-
               chen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir wollen
                                                                             rats sollen künftig den Handel        binden. Alle 47 Mitgliedsstaaten
               zeigen, dass Menschenrechte für alle gelten!                  mit Gütern, die zur «Todesstrafe,     des Europarates müssen diese
                                                                             Folter oder anderer grausamer,        Empfehlungen nun schnell um-
                                   Alexandra Karle, Geschäftsleiterin und   unmenschlicher oder erniedri-         setzen», sagte Nils Muižnieks,
                Stefanie Rinaldi, Präsidentin von Amnesty Schweiz           gender Behandlung» verwendet          Regionaldirektor von Amnesty In-
                                                                             werden könnten, besser regulie-       ternational für Europa.

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                                                                                                                                       AMNESTY Juni 2021
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
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D NEWS
Todesstrafe ist
                                                                                                                                               IN KÜRZE

                                                                                                                         © IMAGO / APP-Photo
verfassungswidrig
MALAWI – Das Oberste Beru-                                                                                                                     ALGERIEN – Nach fast einem Jahr
fungsgericht Malawis hat ent-                                                                                                                  Haft wurde der algerische Journa-
schieden, dass die Todesstrafe                                                                                                                 list Khaled Drareni auf Anordnung
mit der Verfassung des Lan-                                                                                                                    des Präsidenten Abdelmadjid
des unvereinbar ist, und hat                                                                                                                   Tebboune zusammen mit weiteren
neue Urteile für alle zum Tod                                                                                                                  politischen Gefangenen freigelas-
Verurteilten angeordnet. Ein                                                                                                                   sen. Drareni hatte über die lan-
2003 wegen Mordes Verurteil-                                                                                                                   desweiten Proteste von 2019 be-
ter hatte gegen sein Todesur-                                                                                                                  richtet und wurde im März 2020
teil geklagt und nach einem                                                                                                                    wegen «Gefährdung der nationa-
jahrelangen juristischen Streit                                                                                                                len Einheit» verurteilt.
am 28. April 2021 schliesslich
Recht bekommen. Das Ge-                                                                                                                        RUSSLAND – Der gewaltlose politi-
richt befand, dass das Recht                                                                                                                   sche Gefangene Konstantin Kotov
                                         Amnesty-Demonstration für Ahmet Altan, Deniz Yücel und Asli Erdoğan in Berlin
auf Leben das höchste aller              am 3. Mai 2017.                                                                                       konnte Mitte Dezember das Ge-
Rechte sei, von dem die Ver-                                                                                                                   fängnis verlassen, wo er ein Jahr
fassung keine Abweichung er-             Ahmet Altan frei                                                                                      und vier Monate lang inhaftiert
laube. Mit der Todesstrafe               TÜRKEI − Der türkische Journalist Ahmet Altan wurde am 14. April                                      war. Seine Freilassung wurde erst
werde dieses Recht nicht nur             2021 aus der Haft entlassen. Der Kassationsgerichtshof hat zuvor die                                  im Februar bekannt. Kotov war
missachtet, sondern quasi                Haftstrafe aufgehoben, ohne eine Begründung zu liefern. Altan sass                                    im August 2019 wegen der Teil-
ausser Kraft gesetzt.                    mehr als vier Jahre im Gefängnis, weil ihm eine Beteiligung am                                        nahme an «nicht genehmigten
                                         Putschversuch von 2016 unterstellt wurde. Der Freilassung ging ein                                    Kundgebungen» festgenommen
Impfstoff für alle                       Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte voraus, der                                   und verurteilt worden. Zunächst
WELTWEIT − Die USA haben am              die Türkei wegen Altans Inhaftierung scharf gerügt hatte.                                             sollte er für vier Jahre ins Gefäng-
6. Mai angekündigt, dass sie die                                                                                                               nis, 2020 wurde das Strafmass
Lockerung der Rechte betref-             Satiriker aus Haft entlassen                                                                          auf achtzehn Monaten reduziert.
fend geistiges Eigentum für Co-          MYANMAR − Drei Mitglieder der Satire-Gruppe Peacock Generation wur-
vid-19-Impfstoffe unterstützen           den im Rahmen einer Generalamnestie am 17. April, dem myanmari-                                       USA – Der ugandische Pastor Ste-
werden. Somit stimmen sie einer          schen Neujahrsfest, gemeinsam mit etwa 23 000 weiteren Gefangenen                                     ven Tendo flüchtete im Dezember
der Hauptforderungen der welt-                                                        aus der Haft entlassen.                                  2018 vor Folter und anderen
                                                                                         © Amnesty International

weiten Kampagne zu, die sicher-                                                       Paing Phyo Min, Paing                                    Menschenrechtsverletzungen in
stellen will, dass alle Menschen                                                      Ye Thu und Zayar Lwin                                    die USA. Dort kam er sogleich in
Zugang zu einer Impfung gegen                                                         waren am 22. April                                       Einwanderungshaft und wäre fast
Covid-19 erhalten können. Auch                                                        2019 festgenommen                                        abgeschoben worden, doch konn-
Amnesty Schweiz fordert mit ei-                                                       und wegen verschiede-                                    te dies im September 2020
ner Petition, dass die Schweiz                                                        ner Vorwürfe der «Auf-                                   durch weltweite Aktionen verhin-
vorübergehende Ausnahmen                                                              wiegelung» und «On-                                      dert werden. Sein Gesundheits-
vom Schutz des geistigen Eigen-                                                       line-Diffamierung» zu                                    zustand verschlechterte sich auf-
tums bei Covid-19-Behandlun-                                                          Gefängnisstrafen von                                     grund seiner Diabeteserkrankung
gen, -Tests und -Impfstoffen un-                                                      fünfeinhalb beziehungs-                                  und unzureichender medizini-
terstützt.                                                                            weise sechs Jahren ver-                                  scher Versorgung; zudem war in
                                                                                      urteilt worden. Grundla-                                 der Hafteinrichtung Covid-19
                                                                                      ge für die Vorwürfe                                      ausgebrochen. Nun wurde Tendo
                                                                                      waren mehrere satiri-                                    aus humanitären Gründen freige-
       Handy-Bild von Paing Phyo Min,
       der gemeinsam mit vier weiteren                                                sche Aufführungen, in                                    lassen, bis über seinen Asylan-
                 jungen Künstler*innen                                                denen sie das Militär                                    trag entschieden wird.
            festgenommen worden war.                                                  kritisiert hatten.

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AMNESTY Juni 2021
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
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       KOLUMBIEN – Auf einem der typischen bunt bemalten Chivas – wie die lokalen Busse heissen – reisen diese Indigenen am 11. Mai auf dem
       Panamerican Way in die Stadt Cali, um an Protesten im Rahmen der landesweiten Streiks teilzunehmen. Seit dem 28. April gab es in verschie-
       denen Teilen des Landes meist friedliche Demonstrationen als Reaktion auf das von Präsident Iván Duque vorgelegte Steuerreformgesetz. Viele
       dieser Demonstrationen wurden gewaltsam unterdrückt. Dutzende Menschen starben infolge der Repression durch die Nationalpolizei. Es kam
       zu Hunderten willkürlichen Verhaftungen. Berichte sprechen von Misshandlungen, sexueller Gewalt und Verschwindenlassen von Menschen im
       Zusammenhang mit den Demonstrationen und von Angriffen auf Medienschaffende.

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AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
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                                                                                     sein. Auch Informationen über                                             definieren. Begrüssenswert
© AI

                                                                                     ihre Finanzierung, ihr Personal                                           ist die Bereitschaft des Parla-
                                                                                     und ihre Leitung müssen veröf-                                            ments, das Sexualstrafrecht
                                                                                     fentlich werden. Die Vorschriften                                         dahingehend zu reformieren,
                                                                                     stellen für zivilgesellschaftliche                                        dass Betroffene besser vor se-
                                                                                     Organisationen und die Men-                                               xueller Gewalt geschützt wer-
                                                                                     schen, für die sie sich engagie-                                          den. Allerdings ist Amnesty der
                                                                                     ren, ein grosses Risiko dar, Re-                                          Ansicht, dass die vorgeschlage-
                                                                                     pressalien und Kriminalisierung                                           nen Definitionen von Vergewal-
                                                                                     ausgesetzt zu werden.                                                     tigung und sexueller Nötigung
                                                                                                                                                               weiterhin nicht den Anforde-
                                                                                     Chance für «Ja heisst Ja»                                                 rungen der internationalen
                                                                                     SCHWEIZ – Im Mai endete die                                               Menschenrechtsnormen wie
                                                                                     Vernehmlassung zur Revision                                               der Istanbul-Konvention genü-
                                                                                     des Sexualstrafrechts. Amnesty                                            gen. Diese verlangen, dass die
                                                                                     International empfiehlt in ihrer                                          Definition von Vergewaltigung
                                                                                     Vernehmlassungsantwort, nicht                                             auf dem Fehlen der Zustim-
       Aktion vor dem Bundeshaus: «Die Schweiz hat Platz – Jetzt Geflüchtete aus
       Lesbos aufnehmen!»                                                            einvernehmlichen Geschlechts-                                             mung basiert und nicht auf
                                                                                     verkehr als Vergewaltigung zu                                             Zwang oder Nötigung.
       Der Bundesrat muss handeln
       SCHWEIZ/GRIECHENLAND – Die Situation von Geflüchteten auf den grie-           Polizeigewalt vor Gericht
       chischen Inseln ist nach wie vor prekär. Amnesty International und            USA – Die Entscheidung war mit grosser Spannung erwartet wor-
       #evakuierenJETZT fordern, dass die Schweiz mehr tut, um diesen                den: Am 20. April 2021 kamen die Geschworenen im Fall des ge-
       Menschen zu helfen. Der Bundesrat muss einen Dialog führen mit                töteten George Floyd zusammen und befanden den ehemaligen
       den Städten, Gemeinden und Kirchgemeinden, die bereit sind, Flücht-           Polizisten Derek Chauvin wegen der Tötung von George Floyd in
       linge von den Ägäischen Inseln aufzunehmen. Ziel ist es, humanitäre           allen Anklagepunkten für schuldig. Das genaue Strafmass wird zu
       Aufnahmeprogramme zu entwickeln.                                              einem späteren Zeitpunkt verkündet. «Um dem systematischen
                                                                                     Versagen der Polizei in den USA entgegenzuwirken, sind aller-
       Brutales Vorgehen                        langen die Protestierenden einen     dings grundlegende Reformen notwendig», sagte Paul O'Brien,
       gegen Demos                              «vollständigen Wechsel des poli-     Geschäftsleiter von Amnesty International USA. «Der tragische Tod
       ALGERIEN – Seit Februar finden           tischen Systems».                    von George Floyd hat das systemische Versagen der Polizeiarbeit
       nach einer Corona-bedingten                                                   in den USA nur allzu deutlich gemacht – und dass Schwarze und
       Pause wieder wöchentliche De-            Risiko für Menschenrechts-           People of Color die Hauptlast der Polizeigewalt tragen. Die Wahr-
       monstrationen in der Hauptstadt          organisationen                       heit ist: Dass ein Polizist
                                                                                                                   © Amnesty International / Jarek Godlewski

       Algier und mehreren anderen              VENEZUELA – Seit dem 1. Mai          für die Tötung eines
       Städten statt. Erneut gehen die          2021 müssen alle zivilgesell-        Schwarzen zur Rechen-
       algerischen Behörden brutal ge-          schaftlichen Organisationen in       schaft gezogen wird, ist die
       gen die Proteste vor. So werden          Venezuela aufgrund neuer Ge-         Ausnahme und nicht die
       die friedlichen Versammlungen            setze zur Bekämpfung von Ter-        Regel.» Seit dem Tod
       gewaltsam aufgelöst, Demonst-            rorismus und organisierter Krimi-    George Floyds kam es zu
       rierende verprügelt und Massen-          nalität mit strafrechtlicher         weiteren Fällen von Polizei-
       verhaftungen durchgeführt. Die           Verfolgung rechnen, wenn sie         gewalt. So erschoss eine
       Demonstrierenden fordern seit            sich nicht an unverhältnismässi-     Polizistin im April 2021
       Februar 2019 politische Refor-           ge Registrierungsvorschriften        den 20-jährigen Daunte
       men. Begonnen hatten die Pro-            halten. Diese Vorschriften bein-     Wright in einem Vorort der
       teste, als der damalige Präsident        halten die Offenlegung von           US-Stadt Minneapolis. Die
       Abdelaziz Bouteflika erklärte, für       Details über ihre Nutz­niesser*in­   Beamtin gab an, dass sie
       eine fünfte Amtszeit antreten zu         nen, das können auch Opfer von       ihre Schusswaffe mit dem       Der Tod von George Floyd hatte weltweit
       wollen. Seit seinem Rücktritt ver-       Menschenrechtsverletzungen           Taser verwechselt habe.        zu Protesten geführt.

                                                                                                                                                                                                 7
   AMNESTY Juni 2021
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
AKTUELL_NACHRICHTEN

                                                                                                            Verheerende Folgen der Pandemie
      © Amnesty International

                                                                                                            WELTWEIT – Die Coronakrise hat Ungleichheiten und Diskriminierung
                                                                                                            schonungslos offengelegt. «Eine polarisierende Politik, fehlgeleitete
                                                                                                            Sparmassnahmen und mangelnde Investitionen in die öffentliche Infra-
                                                                                                            struktur haben dazu geführt, dass viele Menschen dem Virus schutzlos
                                                                                                            ausgesetzt waren», sagte Agnès Callamard, die neue Generalsekretärin
                                                                                                            von Amnesty International, anlässlich der Veröffentlichung des Am-
                                                                                                            nesty-Jahresberichts. Die Coronakrise hat auch die Lage von Geflüch-
                                                                                                            teten, Asylsuchenden und Migrant*innen in vielen Ländern verschlech-
                                                                                                            tert. Manche wurden in unhygienischen Lagern festgesetzt, die
                                                                                                            Versorgung mit Grundbedarfsgütern war nicht mehr gewährleistet, und

                                   CHINA
                                                                                                            es wurden überstürzt Grenzen geschlossen. Zudem nutzten autoritäre
                                                                                                            Machthabende Covid-19 als Vorwand, um ihren Einfluss zu stärken.
                                                                                                            Ein gängiges Muster war die Verabschiedung von Gesetzen, mit denen
                                                                                                            die Berichterstattung über die Pandemie kriminalisiert wurde.

                                                            e

                                                                                                                                                                                              © Mohammad Rakibul Hasan
                                Zahl der Hinrichtungen sinkt
                                WELTWEIT – Im Jahr der Corona-Pandemie wurden mindestens 483
                                Menschen in 18 Ländern hingerichtet. Das ist die tiefste Zahl seit Lan-
                                gem, die Amnesty International in ihrem jährlichen Bericht festhielt. Es
                                gab aber auch ein Land, in dem die Zahl der Hinrichtungen trotz Co-
                                rona-Pandemie zunahm: In Ägypten wurden dreimal mehr Menschen
                                als im Vorjahr hingerichtet. China wird in der Statistik nicht berück-
                                sichtigt, da dort die Hinrichtungen geheim gehalten werden und eine
                                genaue Dokumentation nicht möglich ist. Amnesty schätzt die Zahl
                                der Vollstreckungen auf mehrere Tausend.

                                Arbeitsaktivist verschwunden                                                Corona traf jene besonders hart, die schon zuvor in prekären Situationen lebten
                                KATAR – Der Kenianer Malcolm Bidali wurde am 4. Mai von Angehöri-           wie diese geflüchteten Rohingyas in Bangladesch.
                                gen der katarischen Staatssicherheit aus seiner Arbeiterunterkunft ab-
                                geholt. Bis Redaktionsschluss fehlte von ihm jede Spur. Malcolm Bi-
                                dali arbeitete als Wachmann und betätigte sich zudem als Blogger. Er
                                                                                                                    JETZT ONLINE
                                sprach offen über die schwierigen Bedingungen, denen Arbeits­                        Zum Jubiläum: Anlässlich des 60. Geburtstags von
                                migrant*in­nen wie er ausgesetzt sind, und verfasste Artikel für zahlrei-           Amnesty International erzählen wir Geschichten, die
                                                                  che Online-Plattformen. Am 12. Mai                Hoffnung verbreiten. Erfahren Sie mehr auf
                                                                © Adam Jones

                                                                  bestätigte die Regierung die Inhaf-               amnesty.ch/spreading-hope
                                                                  tierung Bidalis, ihm werde die Ver-
                                                                                                                     Meet the Defenders: Gespräche mit Menschen, die die
                                                                  letzung katarischer Sicherheitsbe-
                                                                                                                    Menschenrechte verteidigen. Melden Sie sich jetzt für die
                                                                  stimmungen vorgeworfen. Seinen                    Webinare an.
                                                                  Aufenthaltsort gaben die Behörden
                                                                                                                      Podcast «Amnesty Talks»: Patrick Walder, Leiter
                                                                  jedoch nicht bekannt. Eine Petition
                                                                                                                    Campaigning & Advocacy bei Amnesty Schweiz, erklärt,
                                                                  mit der Forderung, dass die Fifa                  weshalb das neue Polizeimassnahmen-Gesetz die Tür für
                                                                  endlich Druck auf Katar machen                    Polizei-Willkür öffnet und die Menschenrechte in der
                                                                  muss, finden Sie auf S. 39.                       Schweiz bedroht.
                                                                                                                    Jetzt online unter www.amnesty.ch/magazin-juni21
                                                                               Arbeiter in Katar.

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                                                                                                                                                                             AMNESTY Juni 2021
AMNESTY - IN AKTION FÜR DIE MENSCHEN UND IHRE RECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE
AKTUELL_BRENNPUNKT

BESCHEIDENER DURCHBRUCH NACH 20 JAHREN
                                                                                                            rechte (DIMR) existiert hinge-     stärker betroffen. Diskriminie-

                                                                          © Marco Cala / shutterstock.com
                                                                                                            gen schon seit 20 Jahren. Bei      rungen und strukturelle Be-
                                                                                                            verschiedenen Themen – von         nachteiligungen sind ans
                                                                                                            der Umsetzung der Behinder-        Tageslicht getreten. Während
                                                                                                            tenrechtskonvention bis zur        der Pandemie zeigte sich auch:
                                                                                                            Prävention und Bekämpfung          Es braucht noch stärkere An-
                                                                                                            von häuslicher Gewalt – agiert     strengungen gegen Gewalt an
                                                                                                            das DIMR als «dreifache Brü-       Frauen und häusliche Gewalt.
                                                                                                            cke» zwischen Zivilgesellschaft
                                                                                                            und Staat, zwischen Wissen-        Eine unabhängige, starke und
                                                                                                            schaft und Praxis und zwischen     langfristig finanzierte NMRI
                                                                                                            der internationalen und der na-    könnte hier einen wesentlichen
                                                                                                            tionalen Ebene.                    Mehrwert bieten, indem sie die
                                                                                                                                               öffentliche Debatte mit Fachwis-
                                                                                                            Der Gesetzesentwurf der            sen unterstützt, und zwar in
                                                                                                            Schweizer Regierung, der 2019      breiten Themenfeldern – von der
                                                                                                            endlich ans Parlament ging, war    Einschränkung des Rechts auf
                                                                                                            eine typisch schweizerische,       Selbstbestimmung und Privat-
                                                                                                            wenig ambitionierte Umsetzung.     sphäre für ältere Menschen, der
                                                                                                            Doch nun, nochmals zwei Jahre      Meinungsäusserungs- und der
Die Coronakrise hat die Notwendigkeit                                                                       später, kann der Ständerat in      Versammlungsfreiheit bis hin
einer Nationalen Menschenrechts­                                                                            der Sommerses­sion endlich die     zum Recht auf Gesundheit für
institution in der Schweiz deutlich
gemacht.
                                        E   s hat lange gedauert: Nach
                                            jahrelangem Hin und Her
                                        und einer anfänglich zögerli-
                                                                                                            Weichen stellen.

                                                                                                            Mit Beginn der Corona-Pande-
                                                                                                                                               das Gesundheitspersonal und
                                                                                                                                               besonders gefährdete Personen.

                                        chen Haltung des Bundesrats                                         mie waren zwar auch die parla-     Auch wenn es ein wenig den
                                        kommt endlich wieder Bewe-                                          mentarischen Arbeiten an der       Anschein macht, dass der Berg
                                        gung in das Geschäft zur                                            NMRI unterbrochen worden.          eine Maus gebären wird − vor
                                        Schaffung einer Nationalen                                          Was anfänglich wie eine weitere    allem was die geplanten Res-
                                        Menschenrechtsinstitution                                           Verzögerung aussah, hat im         sourcen für die NMRI betrifft:
                                        (NMRI). Schon 1993 hatte die                                        Nachhinein die Notwendigkeit       Die Verabschiedung des vorlie-
                                        Uno-Generalversammlung alle                                         einer solchen Institution jedoch   genden Gesetzes wäre doch ein
                                        Staaten aufgefordert, nationale                                     unterstrichen: Die Corona-         Fortschritt. Ein Signal, dass
                                        Menschenrechtsinstitutionen                                         Pandemie und die zu ihrer Be-      auch das Schweizer Parlament
                                        einzurichten, die zuhanden von                                      kämpfung getroffenen Mass-         einsieht, wie zentral der Schutz
                                        Regierung und Parlament                                             nahmen haben ein Schlaglicht       und die Förderung der Men-
                                        Empfehlungen zu Menschen-                                           auf die Fragilität des Men-        schenrechte für eine Gesell-
                                        rechtsfragen formulieren und                                        schenrechtsschutzes geworfen.      schaft – gerade in Krisenzeiten
                                        Unterstützung bei der Umset-                                        Sie haben gezeigt, dass auch in    – sind, und dass unsere «aus-
                                        zung internationaler Konventio-                                     der Schweiz von einem Tag auf      sergewöhnliche» Schweiz
                                        nen leisten. Über 100 Staaten                                       den anderen grundlegende           manchmal auch institutionell
                                        haben solche nationalen Insti-                                      Rechte und deren Schutz auf        von den Erfahrungen anderer
                                        tutionen bisher aufgebaut –                                         die Probe gestellt werden kön-     Länder profitieren kann. 
                                        nicht so die Schweiz. Das Deut-                                     nen. Gerade verletzliche Perso-                           Michael Ineichen,
                                        sche Institut für Menschen­-                                        nen waren von der Pandemie                 Leiter Advocacy Amnesty Schweiz

                                                                                                                                                                                           9
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WIR MACHEN WEITER

                       Für die Menschen, mit den
                       Menschen. Seit 60 Jahren ist
                       Amnesty International im Einsatz
                       dafür, dass die Menschenrechte
                       geachtet und geschützt werden –
                       im Interesse von uns allen. In
                       diesen sechs Jahrzehnten hat
                       sich viel verändert, aber eines
                       ist gleich geblieben: Amnesty
                       ist erfolgreich, weil so viele
                       Menschen gemeinsam für mehr
                       Menschlichkeit kämpfen.

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AMNESTY Juni 2021
© AI
     Wie alles begann…
     Seit 60 Jahren setzt sich Amnesty International für                        desstrafe wurde in Dutzenden von Ländern abgeschafft. Bis-
                                                                                lang unantastbare Staatsoberhäupter wurden zur Rechen-
     die Menschenrechte ein. Die Organisation hat sich                          schaft gezogen. Geänderte Gesetze, gerettete Leben.
     im Lauf der Jahre gewandelt und ist bereit, auch die
                                                                                    Grosse Entwicklungen Im Verlauf der Jahre hat
     künftigen Herausforderungen zu meistern.                                   sich auch das Gesicht von Amnesty International gewandelt:
     Von Carole Scheidegger                                                     Zunächst setzten sich die Mitglieder in erster Linie für Ge-
                                                                                wissensgefangene ein, also für Menschen, die inhaftiert wa-
                                                                                ren, weil sie ihre Meinung friedlich kundgetan hatten. 1963
                                                                                erlangte in Sibirien der erste Gewissensgefangene die Frei-

               1961           Zwei Studenten stossen in einem Café in Lis-
                              sabon auf die Freiheit an. Eine gefährliche Sa-
               che, denn es herrscht eine Militärdiktatur; sie werden denn
                                                                                heit, der ukrainische Erzbischof Josyf Slipyi.
                                                                                    Später engagierte sich Amnesty auch gegen die Todesstra-
                                                                                fe, Folter und das Verschwindenlassen. In den 1970er-Jahren
               auch zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Als der britische       wurde eine Aktionsform ins Leben gerufen, die bis heute er-
               Rechtsanwalt Peter Benenson davon erfährt, will er nicht wei-    folgreich ist: die Urgent Actions (Eilaktionen). Wann immer
               ter tatenlos zusehen. Am 28. Mai 1961 veröffentlicht er im       Amnesty nun von willkürlichen Festnahmen, Morddrohun-
               «Observer» den Artikel «The Forgotten Prisoners». Er macht       gen, Verschwindenlassen, Folterungen oder bevorstehenden
               auf das Schicksal politischer Gefangener auf der ganzen Welt     Hinrichtungen erfuhr, wurde mit diesen Urgent Actions öf-
               aufmerksam und ruft dazu auf, mit Appellschreiben deren          fentlicher Druck auf Verantwortliche ausgeübt. Unzählige
               Freilassung zu fordern. Das Echo ist gross. Dreissig Zeitun-     Menschen – von China bis Chile, von Syrien bis Simbabwe
               gen drucken den «Appeal for Amnesty» ab, über tausend            – konnten so im Laufe der Jahre gerettet werden. Wegen ih-
               Menschen bieten ihre sofortige Unterstützung an.                 rer Verdienste um die Menschenrechte wurde Amnesty In-
                  Damit war Amnesty International gegründet – verwurzelt        ternational 1977 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
               in der Idee, dass Menschen wie Sie und ich gemeinsam die             Begonnen hat Amnesty also als Gefangenenhilfsorganisa-
               Welt verändern können. Heute kann die Organisation welt-         tion, später kam der Einsatz für bürgerliche und politische
               weit auf zehn Millionen Unterstützer*innen zählen.               Menschenrechte hinzu, danach die Arbeit zu sozialen, kultu-
                  Vieles hat sich in diesen 60 Jahren getan. Zehntausende       rellen und wirtschaftlichen Menschenrechten. Zu den Ar-
               von Menschen, die wegen ihrer Überzeugungen oder ihrer           beitsgebieten gehören heute der Kampf für Frauenrechte, die
               Lebensweise inhaftiert waren, wurden freigelassen. Die To-       Respektierung der Menschenrechte in der Wirtschaft und die

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© Miguel Arana
                                                                      © Eileen Barroso / Columbia University
Protest auf der Strasse: Eine von unzähligen
Aktionen.

     Rechte von Geflüchteten, das Thema der Klimagerechtigkeit                                                 Agnès Callamard, die heutige
     und seit der Pandemie die gerechte Verteilung von Impfstof-                                               Generalsekretärin.
     fen und Medikamenten.
        Die Ausweitung der Themengebiete geschah oft unter Dis-                                                     Amnesty-Gründer Peter Benenson in
     kussionen. So führte zum Beispiel das Eintreten gegen die To-                                                          einer Aufnahme von 1991.
     desstrafe, die 1977 erst in 16 Staaten vollständig abgeschafft
     war, zu Austritten. Solche Diskussionen sind aber durchaus
     gewünscht. Denn in einer Organisation mit dem Selbstver-                                                     Global wird der Schwerpunkt auf den Themenbereichen
     ständnis einer demokratischen Bewegung bestehen breite Mit-                                               «Meinungsfreiheit und Raum für die Zivilgesellschaft» sowie
     bestimmungsmöglichkeiten. Manchen war Amnesty im Lauf                                                     «Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung» liegen. Ein
     der Zeit zu zahm. Anderen wiederum auf zu vielen Gebieten                                                 Teil der Ressourcen wird auch weiterhin etablierten Anliegen
     aktiv.                                                                                                    wie dem Kampf gegen die Todesstrafe oder dem Zugang zu
                                                                                                               Recht in internationalen Konflikten gewidmet sein, dazu kom-
        Historische Umwälzungen Die Gründung von                                                               men neuere Themenfelder wie Technologie und Klimawandel.
     Amnesty fiel in die Hochphase des Kalten Kriegs und in die                                                   1961 berührte das Schicksal von zwei Menschen Peter Be-
     Zeit, als Kolonien um ihre Unabhängigkeit kämpften. Die                                                   nenson so sehr, dass er aktiv wurde. Auch Agnès Callamard,
     Menschenrechte waren zum politischen Spielball zwischen                                                   die seit März an der Spitze von Amnesty steht, hat sich in ih-
     den Supermächten geworden. Um als vertrauenswürdige Or-                                                   rem Werdegang immer wieder für Einzelschicksale einge-
     ganisation agieren zu können, war Neutralität das oberste                                                 setzt. So hat sie als Sonderberichterstatterin der Uno bei-
     Gebot für Amnesty. Nach 1989 und dem Zerfall der Sowjet-                                                  spielsweise den Mord am saudi-arabischen Journalisten
     union veränderte sich das Umfeld grundsätzlich und stellte                                                Jamal Khashoggi untersucht – und erhielt deswegen Dro-
     neue Herausforderungen. Mit den Anschlägen vom 11. Sep-                                                   hungen, die sie jedoch nicht von ihrem Vorhaben abbrach-
     tember 2001 und dem folgenden «Krieg gegen den Terror»                                                    ten. «Ich habe diesen Fall untersucht, nicht weil er wichtiger
     wandelte sich die Welt erneut. Die Globalisierung und die                                                 wäre als ein anderer. Aber daraus lassen sich viele allgemeine
     Macht von multinationalen Konzernen taten weitere The-                                                    Erkenntnisse gewinnen.» Amnestys neue Generalsekretärin
     menfelder auf, ebenso die Digitalisierung oder die Gräuelta-                                              macht deutlich, dass die Welt an einem Wendepunkt steht:
     ten von bewaffneten Gruppen.                                                                              «Wir müssen bei allem, was wir tun, die Zukunft bedenken.
        Auch die Organisationsstruktur wandelte sich über die                                                  Was wir heute tun – oder eben nicht tun – wird grosse Aus-
     Jahre. Lange war der Hauptsitz ausschliesslich in London do-                                              wirkungen auf künftige Generationen haben. Das dürfen wir
     miziliert, in der vergangenen Dekade hat Amnesty aber auch                                                nie vergessen.» 
     Regionalbüros in Städten in Afrika, Asien-Pazifik, Mittel-
     und Osteuropa, Lateinamerika und dem Nahen Osten eröff-                                                      Amnesty in der Schweiz
     net. Diese Büros vor Ort sind wichtige Drehscheiben für Re-                                                  In der Schweiz, genauer in Genf, entstand schon drei Jahre nach der Gründung
     cherche,      Kampagnen      und    Kommunikation.        Die                                                der internationalen Bewegung eine Amnesty-Gruppe. Die ersten vier Mitglie-
     Regionalbüros verstärken die Arbeit der Sektionen, die be-                                                   der kamen aus dem internationalen Umfeld der Uno-Stadt. Am 3. Oktober
     reits auf nationaler Ebene in mehr als 70 Ländern tätig sind.                                                1967 führte diese Genfer Gruppe eine erste Hauptversammlung durch. Ab
                                                                                                                  dann sprach sie von der «Schweizer Sektion». In der Deutschschweiz beschlos-
        Bereit für die Zukunft Auch heute noch müssen                                                             sen 1969 drei Leute, eine Amnesty-Gruppe zu gründen – ohne Kenntnis davon,
     wir leider Angriffe auf die Menschenrechte verzeichnen. Mit                                                  dass in Genf bereits eine Gruppe existierte. Als die Deutschschweizer dies
     einer neuen Strategie für die nächsten acht Jahre will Am-                                                   schliesslich bemerkten, tat man sich zusammen und hielt am 25. Oktober
     nesty in der Lage sein, sich weiterhin schlagkräftig gegen                                                   1970 in Zürich die erste gemeinsame Hauptversammlung ab. Heute hat die
     Menschenrechtsverletzungen einzusetzen. Die Strategie der                                                    Schweizer Sektion rund 130 000 Unterstützer*innen, und 1500 Aktive enga-
     Schweizer Sektion steht unter dem Leitsatz «Gemeinsam für                                                    gieren sich in 66 Gruppen. 2020 wurden rund 110 000 Stunden ehrenamtliche
     eine gerechte Welt! Wir setzen uns glaubwürdig, mutig und                                                    Arbeit für Amnesty geleistet. Die Angestellten des Sekretariats sind an vier
     langfristig mit anderen zusammen dafür ein, dass die Men-                                                    Standorten tätig: Neben dem Hauptsitz in Bern gibt es Büros in Genf, Zürich
     schenrechte weltweit und in der Schweiz geachtet, geschützt                                                  und Lugano. Der Sektion steht ein ehrenamtlicher Vorstand vor.
     und gewährleistet werden.»

                                                                                                                                                                                                 13
    AMNESTY Juni 2021
DOSSIER_ 60 JAHRE AMNESTY INTERNATIONAL

       «Doch, man kann etwas tun»
       Mit Amnesty International stehen viele Menschen ehrenamtlich für die Menschenrechte ein. Reto
       Moritzi und Elettra Bernasconi, zwei aktive Mitglieder aus verschiedenen Gegenden und Generatio-
       nen, geben Auskunft darüber, was sie antreibt und was sie sich für Amnesty wünschen.
       Interview: Émilie Mathys und Carole Scheidegger

                 E AMNESTY: Könnt ihr euch noch daran erinnern, wann ihr             mob gegen die Todesstrafe. Den ganzen Vormittag über sass
                 zum ersten Mal von Amnesty International gehört habt?               jemand in einem Käfig mit einem Sack über dem Kopf. Dann
                 F Elettra: Ja, Amnesty wurde einmal an einer Schülerver-            simulierten als Häftlinge verkleidete Studierende eine Hin-
                 sammlung in Lugano vorgestellt. Seit meinem zweiten Jahr            richtung auf dem elektrischen Stuhl. Damals hatte ich nicht
                 im Gymnasium war ich dann aktiv bei Amnesty dabei.                  das Gefühl, dass die Aktion viel Aufmerksamkeit bekam,
                 F Reto: Erstmals hörte ich von Amnesty 1977, als ich mit mei-       aber ich wurde später mehrmals darauf angesprochen.
                 ner Familie in Peru wohnte und als Lehrer unterrichtete. Dort       F Reto: Wir führen andere Aktionen durch. Der grösste Erfolg
                 erlebte ich, wie es in einer Diktatur zu- und hergeht. Es           war wohl ein klassisches Konzert mit einer lokalen Musik-
                 herrschte Ausnahmezustand, eine Militärregierung war an der         grösse, das in der Presse und bei den Gönner*innen ein gutes
                 Macht. Ich las in einer US-amerikanischen Zeitung, dass die         Echo fand. Fruchtbarer Boden sind für uns auch Kirchge-
                 Amnesty-Gruppe Peru verboten wurde, weil Amnesty offenbar           meinden: Sie sind offen für Präsentationen von Amnesty.
                 ein Stachel im Fleisch der Regierung war. Zurück in der             Ein oder zwei Mal pro Jahr führen wir eine Strassenaktion
                 Schweiz habe ich mich dann sehr für die Aktivitäten von             am städtischen Integrationstag und anlässlich des Briefmara-
                                                Amnesty interessiert und bin         thons in einem öffentlichen Lokal durch.
                                                gleich der lokalen Gruppe
                                          © zvg

                                                St. Gallen bei­getreten.             E Hat euch Corona sehr in eurem Engagement behindert?
                                                                                     F Elettra: Ja, eindeutig. Zu Beginn der Pandemie haben wir
                                                    E Habt  ihr Tipps, die ihr       uns virtuell getroffen, aber mit der Zeit hatten die Leute ge-
                                                    austauschen könntet, zum         nug davon. Wir verlieren Mitglieder, und es gibt Motivations-
                                                    Beispiel eine Idee für eine      probleme. Immerhin konnten wir uns treffen, um Videos zu
                                                    Aktion?                          drehen. Es ist auch schwieriger, neue Mitglieder zu finden.
                                                    F Elettra: Im November 2019      F Reto: Ich war mit den Gruppenmitgliedern per Telefon oder
                                                    organisierten wir einen Flash-   E-Mail in Kontakt, aber das ersetzt den persönlichen Austausch
                                                                                     natürlich nicht. Es gibt so spannende Leute in unserer Gruppe:
                                                                                     zum Beispiel eine schwedische Politologin, einen 82-jährigen
                                                                                     ehemaligen Kaufmann, einen 40-jährigen Informatiker, eine
                                                  Elettra Bernasconi ist 23 Jahre    Sozialpädagogin, einen ehemaligen kurdischen Flüchtling so-
                                                  alt. Sie ist im Tessin aufge-      wie eine Ärztin. Es ist ein weiteres Verdienst von Amnesty, dass
                                                  wachsen, wohnt derzeit in          ganz unterschiedliche Leute zusammenkommen.
                                                  Genf und wird nächstes
                                                  Semester in Bern studieren.        E Was  motiviert euch für den Einsatz bei Amnesty?
                                                  Sie hat einen Bachelor in          F Reto: In der Schweiz haben wir ein (über)geregeltes Leben,
                                                  Internationalen Beziehungen        alles verläuft in ordentlichen Bahnen. Amnesty geht weltweit
                                                  und absolviert jetzt einen         dorthin, wo das Leben nicht so geregelt ist, und setzt kleine
                                                  Master in Rechtswissenschaf-       Nadelstiche, die auch Riesen plagen können, von Russland
                                                  ten. Noch bis Mitte Jahr leitet    bis China. Daneben gefällt mir auch die Internationalität, auf
                                                  sie die Uni-Gruppe Genf.           allen Kontinenten gibt es Amnesty-Gruppen. Unsere Gruppe

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                                                                                                                                       AMNESTY Juni 2021
© zvg
hatte zum Beispiel einmal Verbindungen mit Amnesty in
Ghana, weil jemand von uns dort geschäftlich zu tun hatte.
F Elettra: Hinter meinem Engagement steht der Wunsch, in             Reto Moritzi ist 71 Jahre
einer besseren Welt zu leben, sei es international oder natio-       alt und wohnt in Abtwil
nal. Ich treffe mich gern mit Menschen, die diesen Willen            bei St. Gallen. Er war
teilen, die Menschenrechte zu verteidigen. Junge Menschen            Sekundarlehrer und hat
fragen sich oft, was für eine Welt sie erwartet. Ein Teil von        drei erwachsene Kinder
Amnesty zu sein, gibt mir viel Hoffnung.                             und fünf Grosskinder.
                                                                     Reto Moritzi leitet die
E Was  sagt ihr den Leuten, die zögern, sich mit Amnesty zu          Lokalgruppe St. Gallen.
engagieren? Die denken, dass es nichts bewirken würde?
F Elettra: Ich nenne oft den Briefmarathon als Beispiel. In-
dem wir Briefe schreiben, ermöglichen wir Verbesserungen.        stark ins politische Tagesgeschäft eingreifen sollten. Ich den-
Ausserdem nützt es nicht nur anderen, sondern ist auch auf       ke da an Vorlagen wie die Konzernverantwortungsinitiative
persönlicher Ebene lohnend. Ich habe bei Amnesty tolle Leu-      oder das Burka-Verbot. Natürlich muss Amnesty Stellung be-
te kennengelernt, das ist sehr motivierend. Dieses Engage-       ziehen, wenn Individualrechte im Inland verletzt werden.
ment gibt mir generell viel Energie im Leben. Und wenn wir       Aber grosse Kampagnen zu Abstimmungen sehe ich eher
nichts tun, wird sich bestimmt nichts ändern!                    kritisch. In unserer Gruppe besitzt auch nur eine Minderheit
F Reto: Ich höre tatsächlich oft den Einwand: «Da kann man       der Aktivmitglieder das Schweizer Stimmrecht.
ja doch nichts machen, das nützt doch nichts.» Deshalb freue
ich mich, Elettra, wenn auch junge Leute sagen: «Doch, man
kann etwas tun.» Ich nehme jeweils die «Good News» aus           «Ich treffe mich gern mit Menschen, die diesen
dem Amnesty-Magazin mit an die Standaktionen und zeige           Willen teilen, die Menschenrechte zu verteidigen.»
den Menschen, welche Erfolge es gab. In St. Gallen und Um-
gebung haben wir ausserdem ein Netz von etwa 200 Leuten,                                                                    Elettra Bernasconi

die Briefe gegen Menschenrechtsverletzungen schreiben. Sie
kommen nicht an unsere Sitzungen oder Veranstaltungen,           E Elettra, wiebeurteilst du den Einsatz von Amnesty bei
aber sie versenden Briefe an Regierungen. Solche kleinen Ak-     Abstimmungen?
tionen können Grosses bewirken.                                  F Elettra: Ziemlich positiv. Amnesty bezieht Stellung, wenn
                                                                 die Menschenrechte direkt betroffen sind. Ich war aktiv vor
E Welche Veränderungen    habt ihr im Lauf der Jahre bei         der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative.
Amnesty bemerkt?                                                 Aber das hat viel Energie gekostet, auch weil die Initiative ab-
F Reto: In den ersten Jahren meines Engagements setzten          gelehnt wurde.
wir uns als lokale Aktivmitglieder nur für Einzelfälle ein.
Heute steht der Schutz von Minderheiten-Gruppen stärker          E Was  wünscht ihr Amnesty zum Geburtstag?
im Zentrum, seien es Uiguren, Rohingya oder Homosexuel-          F Elettra: Dass wir nach der Pandemie wieder die Motivation
le, womit die systemischen Menschenrechtsverletzungen            finden, uns zu treffen, sowohl auf nationaler als auch auf in-
stärker an die Öffentlichkeit gebracht werden. Diese Verän-      ternationaler Ebene. Wir müssen die Beziehungen innerhalb
derung ist für mich absolut nachvollziehbar. Den Einsatz für     von Amnesty neu knüpfen.
einzelne Menschen gibt es ja weiterhin.                          F Reto: Dass es Amnesty in 60 Jahren nicht mehr braucht,
F Elettra: Als ich mein Studium begann, wurde ich auf das        weil alle Rechte eingehalten sind. [lacht] Das ist natürlich sehr
Problem der sexuellen Belästigung aufmerksam gemacht.            idealistisch, und ich weiss, dass es wahrscheinlich nicht so
Heutzutage wird viel darüber gesprochen, auch auf der legis-     sein wird. Ich wünsche mir, dass Amnesty immer
lativen Ebene. Ich frage mich ausserdem, ob sich Amnesty         Aktivist*innen haben wird, die alle Menschenrechte auch
schon immer so aktiv an Abstimmungen beteiligt hat.              dort verteidigen, wo dies nicht so einfach ist. Wir müssen ins-
F Reto: Früher war das viel weniger der Fall. Es überzeugt       besondere die Menschen unterstützen, die die Menschen-
mich auch nicht ganz, wenn Amnesty zu schwergewichtig            rechte vor Ort verteidigen. Bei uns in der Schweiz braucht
Position bezieht bei Abstimmungen. Ich finde, dass wir uns       das ja wenig Mut! Es steht nie einer vor der Tür und sagt:
auf den Kern der Menschenrechte fokussieren und nicht zu         «Jetzt kannst du gleich mitkommen.» 

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AMNESTY Juni 2021
DIE STRUKTUREN DER ORGANISATION WELTWEIT
                                                                                                      REGIONALBÜRO EUROPA          In Osteuropa gibt es
        Wir haben in einigen unserer Regional­büros                                                   Brüssel                      Rückschritte bei den
                                                                                                      26 Sektionen                 Frauenrechten (Polen
        auf verschiedenen Kontinenten nachgefragt,
                                                                                                                                   schränkt den Zugang
        welche Herausforderungen – nebst der                                                           zu Schwangerschaftsabbrüchen ein; die Türkei droht
        Covid-19-Pandemie – sie zurzeit in ihrer                                                       aus der Istanbul-Konvention auszutreten); in Ungarn
        Region am stärksten beschäftigen. Hier                                                         und Russland wird versucht, kritische Stimmen zum
        ihre Antworten.                                                                                Schweigen zu bringen. Für die Flüchtlinge in Grie-
                                                                                                       chenland ist keine Lösung in Sicht. Massnahmen
                                                                                                       zur Bekämpfung von Terrorismus schränken auch in
                                                                                                       Westeuropa zivile Rechte ein.

                                                                                                                    ISLAND
                                                                                                                                      NORWEGEN

                                KANADA

                                                                                                                             London 
                                                                                                                                     Brüssel                    UKRAINE
                                                                                                                                                            MOLDAWIEN

                             USA                                                                                                                                       TÜRKEI
                                                                                                                                            
                                                           Washington DC
                                                                                                                                             Tunis                       Beirut
                                                                                                                                             TUNESIEN        PALÄSTINA  Besetzte
                                                                                                                                                                        palästinensische
                                                                                                                                                                            Gebiete
                                                                                                                               ALGERIEN                           ISRAEL
                             MEXIKO
                                  
                         Mexiko City                                                                                           MALI
                                                                                                             SENEGAL                                                                    JEMEN
                                                                                                          Dakar
        REGIONALBÜRO AMERIKAS         Covid-19                                                                                           NIGERIA
                                                            VENEZUELA                                    SIERRA LEONE
        Mexico City                   hat alle
        11 Sektionen                  Aspekte       KOLUMBIEN
                                      der Arbeit                                                                                      TOGO                                      KENIA
                                                                                                              ELFENBEINKÜSTE
        in den Sektionen Amerikas geprägt, ein
        gerechter sozioökonomischer Auf-                                                                                                                                Nairobi
                                                                                                                                                                                
        schwung, der die Ungleichheiten an-
                                                                                                     REGIONALBÜRO WEST-          In vielen
        geht und die Menschenrechte respek-         PERU                    BRASILIEN                UND ZENTRALAFRIKA           Ländern
        tiert, ist nun vonnöten. Daneben sind
                                                                                                     Dakar                       der Region
        momentan folgende Themen prioritär:
                                                                                                     23 Länder                   gerät die
        das Recht auf Gesundheit, staatliche
                                                                                                                                 Zivilbevöl-                        SIMBABWE
        Repression, Geschlechtergerechtigkeit,
                                                                        PARAGUAY
                                                                                                    kerung zunehmend zwischen bewaff-
        Migration sowie die Stärkung des Akti-             CHILE                                    nete Gruppen und die Regierung. Die
        vismus.
                                                                                                    Meinungs- und Versammlungsfreiheit
                                                                                                                                                                 
                                                                                                                                                        Johannesburg
                                                                                                                                                                            MADAGASKAR

                                                                                                    ist bedroht, LGBTI*-Rechte werden
                                                                                                    nach wie vor beschnitten, während                   SÜDAFRIKA
                                                                                   URUGUAY
                                                                    ARGENTINIEN                     Straflosigkeit in vielen Ländern fortge-
                                                                                                    setzte Menschenrechtsverletzungen
                                                                                                    schafft. Millionen von Menschen wur-
                                                                                                    den intern vertrieben. Die wirtschaftli-
                                                                                                    chen und sozialen Rechte werden
                                                                                                    trotz Wirtschaftswachstum nicht er-
                                                                                                    füllt, ebenso wenig wie die Rechte von
                                                                                                    Frauen und Mädchen (Themen sind
                                                                                                    Kinder­heiraten oder der erschwerte
                                                                                                    Zugang zu Verhütungsmitteln).

     NATIONALE EINHEITEN

          SEKTION Formell konstituiertes Gremium mit             STRUKTUREN bestehen mindestens aus einem                    NATIONALE BÜROS werden an strategischen Orten
     einer vom internationalen Vorstand genehmigten Sat-    Vorstand und Freiwilligen. Sie koordinieren die Men-        eingerichtet und vom Internationalen Sekretariat be-
     zung, das die Arbeit von Amnesty International in      schenrechtsaktivitäten und stärken die nationale oder       aufsichtigt, um die Menschenrechtsarbeit im Namen
     einem bestimmten Land, Staat, Gebiet oder einer        regionale Präsenz von Amnesty. Eine Struktur arbeitet       der Bewegung durchzuführen.
     Region durchführt.                                     mit dem Ziel, eine Sektion zu werden.

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                                                                                                                                                                 AMNESTY Juni 2021
60 JAHRE AMNESTY INTERNATIONAL
               REGIONALBÜROS NAHER OSTEN           In der gesamten Region nutzen die Behörden über­-
               UND NORDAFRIKA                      mässig weit gefasste strafrechtliche Bestimmungen
               Beirut, Tunis, Ost-Jerusalem
               und London
                                                   zur Einschränkung der Meinungsfreiheit. Friedliche
                                                   Kritiker*innen und Aktivist*innen werden einge-
                                                                                                         1961 GRÜNDUNG VON AMNESTY INTERNATIONAL
                                                                                                         28. Mai 1961: Der britische Anwalt Peter Benenson
               20 Länder                           schüchtert und zum Schweigen gebracht, Websites
                                                   und die sozialen Medien werden blockiert. In vielen   fordert in «The Observer» die Leserschaft auf, mit
               Ländern der Region zahlen Menschenrechts­verteidiger*innen weiterhin einen hohen          Appellschreiben Druck auf die Regierungen zu ma-
               Preis für ihre Arbeit. Die Sicherheitskräfte in mehreren Ländern wenden oft ungesetz-     chen und die Freilassung politischer Gefangener zu
               liche und übermässige Gewalt an.
                                                                                                         fordern. Dieses Datum markiert die Geburtsstunde
                                                                                                         von Amnesty International.

                                                                                                         1964 KONSULTATIVSTATUS BEI DER UNO
                                                                                                         .
                                                                                                         1964 BEGINN DER ARBEIT IN DER SCHWEIZ
                                                                                                         Die erste Amnesty-Gruppe wird in Genf gegründet.

                                                                                                         1970 GRÜNDUNG SCHWEIZER SEKTION
                             MONGOLEI
                                                                                                         1973 TODESSTRAFE
                                                                                                         Die Amnesty-Delegierten beschliessen nach hitzigen
                                                      SÜDKOREA         JAPAN                             Diskussionen, sich künftig für die Abschaffung der
                                                                                                         Todesstrafe einzusetzen.
                     NEPAL
                                                                                                         1977 FRIEDENSNOBELPREIS
          INDIEN                                 
                                                           TAIWAN
                                                Hongkong
                                                                                                         1978 MENSCHENRECHTSPREIS DER UNO
                                     THAILAND               PHILIPPINEN
                                     
                                Bangkok
                                                                                                         2001 GESAMTES SPEKTRUM
                                                                                                         Verabschiedung einer neuen Vision und Mission, die
                                                                                                        nun das ganze Spektrum an Menschenrechten welt-
              SRI LANKA
                                                                                                         weit umfassen.

                                                INDONESIEN                                               2002 INTERNATIONALER STRAFGERICHTSHOF ICC
REGIONALBÜRO ASIEN       Die grösste                                                                     Nach langjährigem Druck von Amnesty-Unter­
UND PAZIFIK              Herausforde-
                                                                                                         stützer*innen nimmt der Internationalen Straf-
Bangkok, Hongkong        rung ist der
6 Sektionen              Militärputsch                                                                   gerichtshof (ICC) seine Arbeit auf.
                         in Myanmar
und seine verheerenden Folgen für die                                                                    2003 AMBASSADOR OF CONSCIENCE AWARD
Menschenrechte. Neben der Inhaftie-                                 AUSTRALIEN                           Seit 2003 verleiht Amnesty International den undo-
rung von Tausenden und der Tötung von
                                                                                                         tierten Preis «Botschafter*in des Gewissens». Václav
Hunderten von Menschen, besteht die
Gefahr einer humanitären Katastrophe                                                                     Havel war der erste Preisträger, 2019 ging der Preis
mit Nachbeben für die gesamte Region.                                                                    an Greta Thunberg und Fridays for Future.
Internet-Blackouts behindern auch
das Regionalbüro dabei, Missstände zu
dokumentieren.
                                                                                                         2012 NÄHER BEI DEN MENSCHEN
                                                                                                         Ab 2012 werden regionale Büros auf den Kontinen-
                                                                                                         ten errichtet, um näher am Ort des Geschehens zu
                                                                                                         sein und Menschenrechtsverletzungen besser unter-
                                                                                                         suchen und dokumentieren zu können.

                                                                Das Internationale Sekretariat           2013 ATT
                                                                wird vom Internationalen Vor-            Nach 20 Jahren Engagement von Aktivist*innen
                                                                stand beaufsichtigt. Es vertritt         verabschiedet die Uno-Generalversammlung
     LÄNDER ohne Sektion, aber mit einer hohen Zahl
                                                                die Bewegung nach aussen,
 an Mitgliedern auf internationaler Ebene.                                                               im April 2013 den globalen Waffenhandelsvertrag
                                                                koordiniert und leitet die globale
                                                                Arbeit, entwickelt eine globale          (Arms Trade Treaty, ATT).
  REGIONALE BÜROS ermöglichen es, vor Ort Men-                 Strategie, Richtlinien und Stan-
 schenrechtsanliegen anzugehen und Projekte durch-
 zuführen. Sie werden rechtlich vom internationalen
                                                                dards und schützt den Namen              2020 10 MILLIONEN
                                                                und das Logo von Amnesty                 Amnesty wird mittlerweile von 10 Millionen
 Sekretariat kontrolliert oder sind ihm angegliedert.           International.
                                                                                                         Menschen unterstützt und ist in mehr als
                                                                                                         70 Ländern aktiv.

                                                                                                                                                              17
 AMNESTY Juni 2021
DOSSIER_ 60 JAHRE AMNESTY INTERNATIONAL

       60 Jahre,
                                                                                                    EL SALVADOR Freilassung von
                                                                                                    Teodora del Carmen Vásquez

       6 Erfolgsbeispiele
                                                                                                    Wegen Mordes wurde Teodora del Carmen Vásquez
                                                                                                    in El Salvador zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Die
                                                                                                    junge Frau war bei der Arbeit, als sie plötzlich starke
                                                                                                    Schmerzen hatte. Sie verlor das Bewusstsein und er-
                                                                                                    litt eine Fehlgeburt. Die Polizei nahm Teodora we-
       Trotz aller Angriffe auf die Menschenrechte: Das                                             gen Mordverdachts fest, erst danach brachte man sie
       Engagement von Amnesty International und ihren                                               in ein Krankenhaus. 2008 verurteilte ein Gericht
                                                                                                    Teodora del Carmen Vásquez wegen «Mordes» zu
       Mitgliedern zeigt, dass ein Wandel möglich ist.                                              30 Jahren Gefängnis. In El Salvador gelten Fehlge-
       Einige Beispiele von Erfolgen der letzten Jahre.                                             burten als Schwangerschaftsabbrüche. Diese sind ge-
                                                                                                    nerell illegal, auch in Fällen von Vergewaltigung und
       Von Olalla Pineiro Trigo                                                                     Inzest und auch wenn das Leben der Mutter in Gefahr
                                                                                                                   ist. Amnesty International setzte sich
                                                                                                                         mit Petitionen, Demonstrationen
                                                                                                                            und Briefen für Teodora ein
       SIERRA LEONE Junge Mütter zurück                                                                                       und forderte ausserdem den
       in der Schule                                                                                                            Justizminister auf, sie frei-
                                                                                                                                  zusprechen und die Verur-
                                Sierra Leone erlaubt seit 2019                                                                     teilungen aller Frauen, die
                                   jungen Müttern wieder den                                                                       aufgrund von Schwanger-
                                     Schulbesuch. Der westafri-                                                                    schaftsabbrüchen inhaf-
                                      kanische Staat hatte ab                                                                     tiert wurden, aufzuheben.
                                      2015 schwangeren Mäd-                                                                      Teodora wurde 2018 entlas-
                                      chen den Schulbesuch              ©
                                                                                                                               sen, nachdem sie zehn Jahre
                                                                            Ed
                                      und die Teilnahme an                       ga
                                                                                      rR                                     hinter Gittern verbracht hatte.
                                                                                        om
                                                                                             e ro
                                      Prüfungen verwehrt. Die
        ©
                                    Behörden hielten sie für
          ai
                                  «lern­unfähig» und fürchteten
                                                                  KASACHSTAN Gegen die Diskriminierung
                               einen negativen Einfluss auf an-
                                                                  von Menschen mit Behinderung
                          dere Schüler*in­nen. Diese diskrimi-
       nierende Massnahme betraf nach Angaben der Uno mehr        Wegen seiner geistigen Behinderung wurde Vadim Nesterov
       als 14 000 Mädchen. Schwangerschaften bei Teenagern        aus Kasachstan im Jahr 2011, als er 18 Jahre alt wurde, seine
       sind in dem Land laut Amnesty International meist das      Rechtsfähigkeit aberkannt. Ohne die Möglichkeit, selbst über
       Ergebnis von Vergewaltigungen. Viele Mädchen werden        sein Leben zu entscheiden und seine
       auch schwanger, nachdem sie sich prostituiert haben, um    Rechte wahrzunehmen, gab es für
       zu überleben. Amnesty erreichte zusammen mit zwei an-      ihn nur wenig Hoffnung, je eine
       deren NGOs, dass das Schulverbot durch eine Klage bei      Anstellung zu finden oder hei-
       der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas       raten zu können. Nach einem
       aufgehoben wurde. Amnesty begrüsst diesen Fortschritt,     Bericht von Amnesty Inter-
       fordert Sierra Leone jedoch auf, Sexualaufklärung zu be-   national über seinen Fall
       treiben und die Kultur der Scham im Zusammenhang           und der Intervention des
       mit Kinderschwangerschaften zu beenden. Nach mehre-        Verbandes der kasachischen
       ren Interviews hatte die Organisation festgestellt, dass   Psycho­analy­ti­­ker*innen wur-
       Familien junge Mädchen, die schwanger werden, oft          den Vadim Nesterov seine
       nicht mehr unterstützen und dass sie von Lehrpersonen      Rechte schliesslich wieder zuge-    ©
                                                                                                        ai

       häufig ausgegrenzt werden.                                 standen.

18
                                                                                                                                               AMNESTY Juni 2021
DOSSIER_ 60 JAHRE AMNESTY INTERNATIONAL

SUDAN Ein Flüchtling,                                                         NIGERIA Minderjähriger vor der
der sich für sein Volk einsetzt                                               Hinrichtung gerettet

Abdul Aziz Muhamat war erst 19                                                Moses Akatugba aus Nigeria wurde des Diebstahls von drei
Jahre alt, als er 2013 den Sudan                                              Handys, Geld und Gutscheinen angeklagt. Für diese «Ver-
verliess, um dem Krieg zu                                                     brechen» wurde der damals erst 16-Jährige zum Tod verur-
entkommen. Leider wurde                                                       teilt. Der Teenager war 2005 von den nigerianischen Behör-
sein Flüchtlingsboot abge-                                                    den verhaftet worden, als er auf dem Weg zu seiner Tante
fangen, bevor es Austra­                                                      war. Seine Familie erfuhr von der Verhaftung nur dank eines
lien erreichte. Die Behör-                                                    Strassenverkäufers, der Zeuge des Vorfalls geworden war.
den schickten ihn in ein                                                      Moses Akatugba wurde genötigt, ein unter Folter erzwunge-
Migrant *innen-Zentrum                                                        nes Geständnis zu unterschreiben. Nach einem unfairen
auf die Insel Manus in                                                        Prozess verurteilte ein Gericht den Schüler zu zehn Jahren
Papua-Neuguinea. Mit sei-                                                     Gefängnis. 2013, nach acht Jahren hinter Gittern, wurde Mo-
nem Handy informierte Abdul           ©
                                        Ja s
                                                                              ses ausserdem zum Tod durch den Strang verurteilt. Zusam-
                                             on
mit Sprachnachrichten über die                  G a rm
                                                       a n / ai               men mit anderen Organisationen, die in Nigeria aktiv sind,
schlechten Bedingungen im Lager                                               griff Amnesty International den Fall auf und forderte die Be-
und die katastrophalen Folgen von Australiens Migrationspo-                   hörden auf, das Todesurteil umzuwandeln und die von der
litik, die Flüchtlinge auf entlegene Inseln verfrachtet. Die                  Polizei verübten Folterungen zu untersuchen. Aktivist*innen
Medien begannen, Abduls Geschichte zu veröffentlichen.                        aus der ganzen Welt schlossen sich der Aktion an, indem sie
Amnesty International startete eine Online-Kampagne, um                                          Briefe schrieben und über Facebook und
seine Freilassung zu fordern. 2019 erhielt Abdul den Martin-                                              Twitter massenweise Botschaften
Ennals-Preis, der jedes Jahr von zehn Menschenrechtsorgani-                                                   an den Gouverneur des nige-
sationen verliehen wird. Abdul nutzte seine Reise in die                                                        rianischen Bundesstaats
Schweiz, um ein Asylgesuch zu stellen, das angenommen                                                              Delta schickten. Moses
wurde. Er lebt heute in Genf und setzt sich für Menschen auf                                                        wurde schliesslich am
der Flucht ein – unter anderem im Rahmen der Kampagne                                                                28. Mai 2015 begna-
#evakuierenJETZT, die eine verstärkte Aufnahme von Ge-                                                               digt. Nach seiner Frei-
flüchteten in Europa fordert.                                                                                        lassung begann er,
                                                                                                                     sich als Menschen-
                                                                                                                    rechtsaktivist zu enga-
                                                                                                                   gieren und Folteropfern
                                                                          ©

                                                                                                                  zu helfen.
                                                                          M

                                                                               ka
                                                                           iik

                                                                                 Pi
                                                                                      rin
                                                                                            en
                                                                                                 / ai

                                          SYRIEN Ermittlungen bei Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung
                                           «Strike Tracker»: Dieses   dem die Militärkoalition schliesslich ihre Verantwortung aner-
                                           von Amnesty Internatio-    kannt und die Zahl der zivilen Opfer nach oben korrigiert hatte,
                                           nal 2018 ins Leben geru-   blieb Amnesty überzeugt, dass dies nur die Spitze des Eisbergs
                                          fene Projekt hatte zum      darstellte. Deshalb wurde die Untersuchung fortgesetzt und
                                         Ziel, die Zerstörung der     «Strike Tracker» gegründet: ein partizipatives Datenerfassungs-
       ©
                                       syrischen Stadt Rakka ge-      tool, das es ermöglicht, das genaue Ausmass der Zerstörungen in
         Mi
           len
               aM
                  arin/a
                                     nau  zu erfassen. Eine erste     Rakka zu erheben. Mehr als 3000 Freiwillige aus 124 Ländern
                         i
                                 Untersuchung hatte 2017 gezeigt,     beteiligten sich an der Aktion von Amnesty und analysierten Sa-
                           dass die von den USA angeführte Koali­     tellitenbilder, um die Zerstörung von Gebäuden zu dokumentie-
            tion Bombardierungen durchführt hatte, bei welchen        ren und zu datieren – ein wichtiger Schritt zur Gerechtigkeit für
            auch Hunderte Zivilpersonen getötet wurden. Auch nach-    die Opfer des syrischen Bürgerkriegs.

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AMNESTY Juni 2021
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