Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...

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Winter 2017

Magazin von Pro Senectute Kanton Zürich
www.pszh.ch

Lichtvolles Ende
Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen:
Was passiert mit uns, wenn wir sterben?
Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
Im Alter zu Hause leben

                                
                                 
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                                                                                         Heimelig Betten möchte, dass Sie sich zuhause fühlen. Wir
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                                  ' #   #                                  beraten Sie gerne und umfassend und übernehmen die
                                                                      erforderlichen administrativen Aufgaben mit den Kostenträ-
                #(                                                  gern. Heimelig Betten liefert schnell und zuverlässig, damit
                                                                   Sie Ihren Alltag zuhause weiterhin geniessen können.
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                                                                        !1                                  Vermietung & Verkauf
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                                                                                                                8280 Kreuzlingen
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inhalt

                                                                               Liebe Leserin, lieber Leser

                                                                               Der Tod ereilt früher oder später jede und
                                                                               jeden. Für viele kommt er überraschend, für
                                                                               manche erwartet, für einige sogar ersehnt.
                                                                               Das Sterben, der Tod – ist es das Ende? Oder
                                                                               ein neuer Anfang?
                                                                                  Der Übergang vom Leben in den Tod ist
                                                                               eines der grössten Rätsel der Menschheit.
                                                                               Was passiert mit uns, mit unserer Seele, wenn
                                                                               wir sterben? Ist diese letzte Reise beängsti-
                                                                               gend, traurig oder schön?
                                                                                  Wir hoffen und glauben dies oder jenes,
                                                                               aber wir wissen es nicht. Gewiss ist nur eines:           4
                                                                               Der Tod gehört unabdingbar zum Leben wie                 Mit der Vorstellung eines Jenseits verbindet sich die Suche nach dem Sinn
                                                                               das Fallen der Blätter im Herbst. Er ist unaus-          des Lebens. Menschen mit Nahtoderfahrungen berichten.

                                                                               weichlicher Teil der Natur. Und je älter der
                                                                               Mensch wird, desto eher fragt er sich: Wie
                                                                               lange lebe ich noch? Wie wird mein Ende
                                                                                                                                         16                                           20
                                                                               sein? Und was bleibt von mir in dieser Welt?
                                                                                  Pro Senectute Kanton Zürich steht im Alter
                                                                               von 100 Jahren. Unsere über 300 Mitarbeiten-
                                                                               den und gegen 4000 Freiwilligen engagieren
                                                                               sich tagtäglich dafür, dass alle Menschen in
                                                                               unserem Kanton bis ins hohe Alter möglichst              Im Gespräch mit Palliativmediziner           Arbeit und Bescheidenheit haben
                                                                               selbstbestimmt, mit so wenig Sorgen wie nur              Roland Kunz über die Erwartungen             das Leben der 100-jährigen
                                                                               möglich und zufrieden leben können.                      von Sterbenden.                              Elisabeth Meier geprägt.

                                                                                   Dazu zählt auch die Bereitschaft, sich den
                                                                                grossen finalen Fragen zu stellen, fachliche                 lebensraum                              28 Tipps zum Thema
                                                                                                                                                                                     30 Heidi Fischer: Die Netzweberin
                                                                               Hilfeleistung und mentale Unterstützung                   4	Die Sehnsucht nach dem                      am Fusse des Pfannenstiels
                                                                               zu bieten für die letzten Vorkehrungen und                   ­Jenseits
                                                                                                                                        11 «... umgab mich ein herrlich
                                                                               ­Stunden. Wertvolle Arbeit leisten hierbei etwa                                                          lebenslust
                                                                                                                                             blauer Himmel»: Jacob Albert
                                                                                unsere Besuchsdienste, die ältere Menschen                   Heim, Pionier der Nahtod­               32 Die Geister sind los –
                                                                                liebevoll umsorgen und begleiten.                            forschung                                  «Ghost Walk» in Zürich
                                                                                  Denn losgelöst von der Frage, was nach                13 Von der Totenstadt zum                    34 Leseraktionen
                                                                                                                                             Paradies                                38 Grenzerfahrung im Rafzerfeld:
Foto Titelseite : Daniel Rihs ; Seite 3 : Daniel Rihs / Christian Roth / zVg

                                                                               dem Tod kommt: «Gutes» Leben und «gutes»
                                                                                                                                        16 «Wir sterben heute anders als                Visit begleitet die Wander­
                                                                               Sterben sind eng miteinander verknüpft. Das                   früher»: Gespräch mit Palliativ­           gruppe Niederhasli
                                                                               glauben wir nicht nur. Wir dürfen es immer                    mediziner Roland Kunz                   41 Hotel Kirchbühl in Grindelwald
                                                                               wieder erleben.                                                                                       42 Rätsel
                                                                                                                                             lebensart                               44 Marktplatz
                                                                                                                                                                                     45 Impressum
                                                                                                                                        20 Die Duldsame: Elisabeth Meier             46 Goldene Zeiten:
                                                                                                                                           (100) hat ein arbeitsames                    Der Mann im Mond
                                                                                                                                           ­Leben hinter sich
                                                                                                                                        24 Der «Hexenklub»
                                                                                                                                                                                        Beilage AKTIV
                                                                                                                                                                                     		Agenda mit Veranstaltungen
                                                                                                    Franjo Ambroz                                                                      und Kursen von Pro Senectute
                                                                                                    Vorsitzender der Geschäftsleitung   Auf dem Titelbild: Nicole Züllig (Seite 7)     Kanton Zürich

                                                                                                                                                                                              Visit Winter 2017        3
Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
lebensraum

Die Sehnsucht
nach einem
­Jenseits
Der Tod als Grenze und endgültiger Abschied fordert heraus und
macht Angst. Mit der Vorstellung eines Jenseits verbindet sich die
Suche nach einem Sinn des Lebens. Eine Erkundung der Frage,
wie Menschen den Tod erfahren.

Text: Rita Torcasso   Fotos: Daniel Rihs

Jetzt in der Weihnachtszeit fliegen sie    der Pension leitender Angestellter        wirklich für kurze Zeit tot gewesen zu
wieder: die Engel als Friedensverkün-      beim Kanton war, interessiert sich seit   sein. Und das Erlebte hatte für sie auch
der und Jenseitsboten. Doch laut der       vier Jahrzehnten für das Jenseits. Er     Jahrzehnte danach noch immer eine
Europäischen Wertestudie von 2008          sagt: «Ich bin von einem Leben nach       tiefe emotionale Bedeutung.
glauben in der Schweiz heute nur noch      dem Tode überzeugt. Jeder wird dort          Seit langem versucht die Wissen-
43 Prozent der Erwachsenen an einen        von verstorbenen Angehörigen be-          schaft, Nachweise im Gehirn für solche
Himmel oder ein Paradies nach christ-      grüsst, und er wird in die dort herr-     Nahtoderlebnisse zu finden. «Aus mei-
licher Lehre. Gleichzeitig nimmt die       schende Gemeinschaft eingereiht.»         ner Sicht gibt es (noch) keine Messin-
nichtreligiös begründete Überzeugung                                                 strumente, die wirklich einen zweifels-
zu, dass es eine ausserkörperliche         Sterben als grösstes Geheimnis            freien Beweis liefern können, dass es
Existenz gibt.                             Interessiert an solchen Nahtoderfah-      nach dem Tod eine nichtkörperliche
   Ein Bereich, der auf grosses Interes-   rungen ist heute auch die Forschung.      Existenz gibt», sagt Nadile dazu. Und
se stösst, sind Nahtoderfahrungen. Wer     Der Religionswissenschaftler Stefan       fügt an: «Mich interessiert an diesem
im Internet das Wort eingibt, erhält       Nadile schreibt an der Universität Bern   Thema vor allem, wie Menschen mit
145 000 Ergebnisse. Vier Frauen erzäh-     eine Dissertation darüber, wie Nah­tod­   der Gewissheit ihrer eigenen Sterblich-
len in dieser Ausgabe von Visit, was sie   erfahrungen Menschen prägen. Er           keit umgehen.»
angesichts des Todes erlebt haben. Alle    schaltete die Webseite www.nahtod.ch         Der Physiker Albert Einstein schrieb:
vier sprechen von einem Licht (siehe       auf, die sich eingehend damit ausein-     «Es gibt nur zwei Arten, sein Leben zu
Porträts ab Seite 7). Franz Dschulnigg     andersetzt. Als eine Art roter Faden      leben: Entweder so, als gäbe es keine
hielt über 80 solcher Erzählungen in       zeigte sich für den Forscher, dass alle   Wunder, oder so, als wäre alles ein Wun-
Kurzfilmen fest. Der 63-Jährige, der vor   von ihm Befragten überzeugt waren,        der.» Mit seiner Relativitätstheorie

4       Visit Winter 2017
Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
ist Verhängnis und zugleich Glück des
                                                                                        Menschen.» Denn wir wollen uns mit
                                                                                        dem Bestehenden nicht zufriedenge-
                                                                                        ben, sondern über uns selber hinaus-
                                                                                        wachsen können. In Bezug auf den Tod
                                                                                        hiess das seit Tausenden von Jahren
                                                                                        auch, dass der Kontakt mit Toten ge-
                                                                                        sucht wurde.

                                                                                        Wohin geht die Seele?
                                                                                        Neurowissenschaftler gehen hingegen
                                                                                        davon aus, dass das Verhalten des
                                                                                        M enschen von rein physikalisch-­
                                                                                        ­
                                                                                        chemischen Prozessen im Gehirn
                                                                                        gesteuert wird. Gegen eine solche
                                                                                        ­
                                                                                        ­«Verwissenschaftlichung» unserer Er-
                                                                                         lebniswelt protestiert der Psychiater
                                                                                         Daniel Hell. In seinem Buch «Die Wie-
                                                                                         derkehr der Seele» beschreibt er die
                                                                                         Seele als «Ausdruck für ein Erleben,
                                                                                         das mit den äusseren Augen nicht ein-
                                                                                         zufangen ist, aber für den Menschen
                                                                                         und seine Selbstentwicklung so wich-
                                                                                         tig ist wie Brot und Wasser für den
                                                                                         Körper».
                                                                                             Für Hell ist klar: «Das Seelische be-
                                                                                         freit den Menschen aus seiner Selbst-
                                                                                         bezogenheit und öffnet ihn für den
                                                                                         andern.» Aus seiner Erfahrung als Lei-
                                                                                         ter von psychiatrischen Kliniken leiden
                                                                                         viele Menschen an einer Form von
                                                                                         «Seelenhunger», weil sie ihre gemüt-
Was passiert mit uns, mit unserer Seele, wenn wir sterben? Die meisten Menschen          hafte Verankerung im Leben verloren
beschäftigt solche und ähnliche Fragen.                                                  haben. Ohne eine solche Verankerung
                                                                                         verliert das Leben an Sinn.
                                                                                             Der Dichter Angelus Silesius um-
wurde Unvorstellbares messbar. Doch          Für Renz ist klar: «Der auf sein Sterben    schrieb seine Vorstellung vom Tod so:
je mehr wir wissen, desto klarer er-         zugehende Mensch taucht ein in Zu-          «Wenn ich in Gott vergeh’, so komm ich
scheinen offensichtlich auch die Gren-       sammenhänge und Wahr­nehmungen              wieder hin, wo ich in Ewigkeiten vor
zen unseres Denkens.                         von ganz anderer, ganzheitlicher Art.»      mir gewesen bin.» Noch für unsere El-
   Sterben ist eines der letzten grossen        Bei allen Menschen, ob sie nun an        tern und Grosseltern war der Tod ein
Geheimnisse geblieben. Die Schweizer         ein Jenseits glauben oder nicht, bleibt     selbstverständlicher Teil des Lebens.
Sterbeforscherin Monika Renz schrieb         beim Tod eines geliebten Menschen           Über ihr Leben und die Vorstellung
über ihre Erfahrungen mit über 600           eine zeitlose Bindung ausserhalb der        vom Sterben erzählen über 80-Jährige
Sterbenden das Buch «Hinübergehen».          körperlichen Präsenz bestehen. Der          im Buch «Das volle Leben».
Darin hält sie fest, dass sich im Ster-      Soziologe Peter Gross schrieb 2015 das          Die Schauspielerin Stephanie Glaser
ben selber eine Wandlung vollziehe,          Buch «Ich muss sterben» über den Tod        sagte mit 87 Jahren: «Vom Tod habe ich
unabhängig davon, ob nach dem Tod            seiner Frau. Darin wendet er sich an        keine Vorstellung oder eine romanti-
noch etwas komme: «Sterbende verlas-         die Verstorbene mit den Worten: «Das        sche. Dass ich, also meine Seele, aus
sen schon vor ihrem Tod unser Emp-           Abwesende ist übermächtig. Du bist          dem Fenster fliege. Ich finde es eine
finden in Raum und Zeit, in ‹Ich› und        nicht mehr anwesend und gleichzeitig        schöne Idee, das Fenster einen Spalt
‹Du›, und sie tauchen immer wieder in        stärker und schmerzlicher gegenwär-         offen zu lassen, damit die Seele hinaus-
eine gänzlich andere Erlebnisweise           tig denn je.» Damit drückt er aus, dass     fliegen kann. Ich sehe mich tot eher
ein. Wo sie sich bei diesem Übergang         Gefühle genauso bedeutsam sein kön-         herumfliegen als neben einem stren-
noch äussern konnten, beschrieben sie        nen wie die Realität. Gross formuliert      gen Herrgott sitzen.»
eine auffallend friedliche Atmosphäre,       es so: «Dass das Abwesende immer                Diese Generation wurde in der Kind-
und erzählten von Liebe und Licht.»          wichtiger ist als das Anwesende, das        heit noch mit Bildern eines strafenden
                                                                                                                               >>

                                                                                                        Visit Winter 2017      5
Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
lebensraum

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Gottes konfrontiert, der nach dem Tod                 erste Gedanke Gottes war ein Engel.
Gericht über die Sünder hält. Gegen                   Das erste Wort Gottes war ein Mensch.»                  Weitere Infos zum Thema
solche Vorstellungen wehrte sich die                      In der Schweiz glauben heute zwei
                                                                                                              Monika Renz, «Hinübergehen.
Kinderschwester Monica Suter: «Längst                 Drittel an Geistwesen und Magie, be-
                                                                                                              Was beim Sterben geschieht», Verlag
ist mir klar geworden: Was gegen die                  sonders viele an Engel (siehe Grafik).
                                                                                                              Herder 2016
Liebe ist, ist Sünde; mit einer Todsünde              Der Künstler Paul Klee, der sich selbst
                                                                                                              Gross Peter, «Ich muss sterben»,
auf dem Herzen ist man tot. Hölle                     als «nicht religiös» bezeichnet hat,
                                                                                                              ­Verlag Herder 2015
heisst, man ist tot, verschüttet, vergra-             schuf rund 80 Engelsbilder, viele in den
                                                                                                               Hell Daniel, «Die Wiederkehr der Seele.
ben; Himmel heisst, man ist leicht und                letzten Monaten vor seinem Tod. Es
                                                                                                               Wir sind mehr als Gehirn und Geist»,
frei. Du richtest dir das im Leben selber             scheint, als hätte er den geflügelten
                                                                                                               Verlag Herder 2010
ein.»                                                 Wesen auch diese Sätze gewidmet, die
                                                                                                               Daniel Hell, «Seelenhunger. Vom Sinn
                                                      noch heute auf seinem Grabstein zu
                                                                                                               der Ge­fühle», Verlag Herder 2009
Engel im Diesseits erkennen                           lesen sind: «Diesseits bin ich gar nicht
                                                                                                               Susanna Schwager, «Das volle Leben,
Ein schönes Bild ihres Jenseitsglau-                  fassbar. Denn ich wohne grad so gut bei
                                                                                                               Frauen über achtzig erzählen»,
bens hat die Hebamme Marie Zürcher:                   den Toten wie bei den Ungeborenen.
                                                                                                               ­Wörterseh Verlag 2007
«Vielleicht ist der Tod nur eine umge-                Etwas näher dem Herzen der Schöp-
                                                                                                                Denise Battaglia, Ruth Hölzle-­
kehrte Geburt. Gar am Ende steht da                   fung als üblich. Und noch nicht nahe
                                                                                                                Baumann, «Gutes Leben – gutes
auf der anderen Seite eine gute Heb-                  genug.»
                                                                                                                ­Sterben», Schulthess Verlag 2013
amme und hilft einem hinaus in etwas                      Klees Engel treten nicht als vergeis-
                                                                                                                Boris Friedewald, «Die Engel von
Neues.» Die Sterbeforschung weiss                     tigte Wesen auf, sondern als sehr irdi-
                                                                                                                Paul Klee», Dumont Verlag 2011
heute: Was das Leben als lebenswert                   sche und alltagstaugliche. Er zeichnete
                                                                                                                Dokumentarfilm: Edwin Beeler,
erscheinen liess, macht auch den Tod                  einen vergesslichen, einen zweifeln-
                                                                                                                «Die weisse Arche»; ein Film über
erträglicher; gutes Leben und gutes                   den, einen weinenden Engel, aber auch
                                                                                                                den Umgang mit Sterben und Tod,
Sterben sind eng miteinander ver-                     einen blinden und gestürzten, einen
                                                                                                                ­Calypso Film AG 2016
knüpft.                                               wütenden und einen hässlichen. Ein
                                                                                                                 Sammlung und Erforschung von
   Als eine Konstante in allen Kulturen               Spruch aus der jüdischen Überliefe-
                                                                                                                 ­Nahtoderlebnissen: www.nahtod.ch
stellten sich Menschen vor, dass Engel                rung sagt: «Einen Engel erkennt man
                                                                                                                  und www.swiss-iands.ch
sie über den Tod hinaus begleiten wer-                immer erst, wenn er vorübergegangen
den. Im Arabischen sagt man: «Der                     ist.» 

    Viele glauben an Geistwesen und Magie
              Gott, Gottheit, etwas göttliches                                                                                  42
                                        Engel                                                  24
                                     Wunder                                             20
                                   Telepathie                                     17
                                Wiedergeburt                                14
                                   Astrologie                              13
          Gute, schlechte Vorzeichen (Omen)                          10
                                 Geistheilung                        10
                           Kontakt mit Toten                         9
                            Geister und Spuk                         9
                                       Magie                    6
                            Dämonen, Teufel                     6
                           Amulett, Talisman                4
                                  Wahrsagen                 4

                                          Anderes       2
                                      An gar keine                                                                     37

                                                     0%                10%               20%                30%               40%                50%

    Vier von zehn Menschen glauben an eine Gottheit oder an etwas Göttliches. Doch der Anteil der Menschen, die an nichts dergleichen
    glaubt, wächst.                                                                      Umfrage Link-Institut von 2014, 1250 Personen zwischen 15 und 75.

6          Visit Winter 2017
Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
«In diesem Licht zu sein,
war das Beste, was ich je erlebt habe.»
Nicole Züllig (67), Psychologin und Traumatherapeutin, Zürich

                                                                Im Arbeitsraum von Nicole Züllig
                                                                hängt ein grosses Bild mit einem
                                                                Lichtkreis. «Das habe ich aus der
                                                                ­Erinnerung gemalt», sagt sie. Mit
                                                                16 Jahren wurde sie in Mailand mit
                                                                Asthma ins Spital eingeliefert. Sie
                                                                ­erzählt: «Ich bin aus meinem Körper
                                                                 herausgetreten und begann zu
                                                                 schweben, dann wurde ich wie mag-
                                                                 netisch von einem Licht angezogen.»
                                                                 Die Rückkehr erlebte sie als seelisch
                                                                 sehr schmerzhaft und verdrängte
                                                                 das Erlebte über 17 Jahre lang. Doch
                                                                 es bestimmte ihre Berufswahl mit.
                                                                 «Ich habe danach immer versucht,
                                                                 Antworten zu finden», sagt sie.
                                                                 Nach dem Psychologiestudium
                                                                 machte sie Weiterbildungen in Fami-
                                                                 lientherapie. In den USA hörte sie
                                                                 dann erstmals von Nahtoderfahrun-
                                                                 gen. «Das erklärte endlich mein Er-
                                                                 lebnis und veränderte mein Leben.»
                                                                 Fortan setzte sich die Psychologin
                                                                 zum Ziel, die beiden Ebenen des
                                                                 ­Ausserkörperlichen und des Körper­
                                                                 lichen zusammenzubringen. Sie
                                                                 ­begann sich mit Traumatherapie zu
                                                                  beschäftigen. «Nahtoderfahrungen
                                                                  federn ja ein traumatisches Erleben
                                                                  ab, wenden es in etwas Positives»,
                                                                  erklärt sie. «Dieses Wissen ist unge-
                                                                  mein tröstlich für uns Menschen,
                                                                  weil die m­ eisten grosse Angst vor
                                                                  dem Tod haben.»
                                                                  Nicole Züllig leitete jahrelang in den
                                                                  USA eine Gruppe der ­Internationalen
                                                                  Gesellschaft für N­ ahtodstudien
                                                                  (IANDS) und gründete 2014 mit
                                                                  ­Kollegen eine Schweizer Sektion.
                                                                   Sie habe auf viele Lebensfragen Ant-
                                                                   worten erhalten, sagt sie: «In dieses
                                                                   Licht hineingezogen zu werden, war
                                                                   eine riesige Freude und das Beste,
                                                                   was ich je erlebt habe.»
                                                                www.nicole-zuellig.ch / www.swiss-iands.ch

                                                                                   Visit Winter 2017         7
Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
lebensraum

    «Ich kann Sterbenden jetzt Zuversicht
    ­vermitteln»
    Monika Dreier (63), Pflegefachfrau Akutgeriatrie, Zug

    Vor elf Jahren wurde Monika Dreier auf einer Skitour von ei-      verändert; nach und nach konnte sie das Jenseits ins Dies-
    ner Lawine verschüttet. «Ich hatte fürchterliche Todesangst»,    seits integrieren. «Vorher war ich eine Suchende, heute ist
     erinnert sie sich. «Dann öffnete sich mir ein Blick ins Jen-    da eine Gewissheit, dass alles gut wird», erklärt die Gross­
     seits.» In ihrem Buch «Die Lawine» beschrieb sie das Erleb-     mutter von sechs Enkelkindern. Verschwunden war ihre
     te: Sie konnte von lieben Menschen Abschied nehmen und          ­Todesangst, von der sie sagt: «Sie war seit meiner Kindheit
     sah auf ihr Leben zurück. «Alles fügte sich zu einem Sinn»,     manchmal so stark, dass sie mich am Leben hinderte.» Die
     erklärt sie heute. Sie wurde von einer Gestalt aus Licht in     Veränderungen prägten auch ihre Arbeit als Pflegefachfrau
     ­einen Zustand von Geborgenheit, Liebe, Zufriedenheit und       in der Akutpflege für Menschen mit Demenz. «Ich kann
      Glück begleitet.» Nach einer halben Stunde kam die Rettung.    Sterbende und Angehörige jetzt aus eigener Erfahrung
      Monika Dreier trug Verletzungen davon, und eine Folge war,     durch die verschiedenen Phasen des Sterbeprozesses
      dass sie bis vor einem Jahr fast täglich unter starken Kopf-   ­begleiten und ihnen Zuversicht vermitteln.» Über diese
      schmerzen litt.                                                 ­Erfahrungen schrieb sie ihr zweites Buch: «Aber Sterben
    «Anfangs war ich nicht froh über die Rettung», sagt sie           werde ich gut».
    ­heute. Doch das Nahtoderlebnis habe ihr Leben vollständig       www.wartmann-natuerlich.ch

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Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
«Geblieben ist das starke Gefühl,
dass wir Menschen gehalten sind»
Samira Henning (52), Yogalehrerin, Zürich

Das lichtdurchflutete Yoga-Studio
von Samira Henning ist heute ein
­Abbild ihres Leben. Mit 20 Jahren,
kurz vor Beginn ihrer Ausbildung als
Tänzerin, wurde sie von einem Auto
angefahren. Sie erzählt: «Zuerst
schwebte ich über der Unfallstelle,
dann zog es mich mit aller Macht zu
einer Art lebendigem Licht hin.»
Doch dann sei sie von einem Geist-
wesen aufgehalten worden. «Wir
­flogen über eine Stadt und mein
 ­Begleiter zeigte mir, dass die Men-
 schen dieses Licht in sich tragen.»
 Nach dem Unfall verschwieg Samira
 Henning das Erlebte. Heute sagt sie:
 «Nie habe ich den Blick über den Tod
 als etwas erlebt, das mit Gott im Sin-
 ne von Religion zu tun hat. Ich bin in
 einem Pfarrhaushalt aufgewachsen
 mit Bildern von Sünde und Gericht.»
 Nach der Rückkehr ins Leben habe
 sie anfangs immer wieder Todes-
 sehnsucht verspürt. Sie musste das
 Tanzen wegen Schmerzen aufgeben.
 Auf einer Reise nach Indien entdeck-
 te sie dann Yoga als ihre Berufung.
 Noch heute leidet die Mutter von
 zwei erwachsenen Kindern hin und
 wieder an Spätfolgen des Unfalls.
 Sie sagt: «Die Rückenschmerzen
 ­halten präsent und zwingen dazu,
  mich weiterzuentwickeln.»
  Vom Nahtoderlebnis blieb ihr das
  starke Gefühl, dass wir Menschen
  ­gehalten sind. «Es hatte für mich
   ­etwas unglaublich Befreiendes.»
    2016 veröffentlichte sie das Buch
    «Die Seele will atmen» über ihre
    ­Erfahrungen und die heilende Wir-
    kung von Yoga. Sie sagt: «Nach mehr
    als 30 Jahren machte ich darin meine
    Nahtoderfahrung öffentlich.»
www.premayoga.ch

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Winter 2017 Visit - Lichtvolles Ende Menschen berichten von ihren Nahtoderfahrungen: Was passiert mit uns, wenn wir sterben? - Pro Senectute ...
lebensraum

     «Ich möchte Menschen helfen,
     ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen»
     Maya Muraro (57), Begleiterin für Licht-, Bewusstseins- und Seelenarbeit, Stäfa

        In der Wohnung fallen als Erstes die farbigen Lichtsäulen     nen. «Doch dann erkannte ich, dass ich die beiden Welten
        auf. Maya Muraro lag 2003 als Folge einer schweren Lungen­-   zusammenbringen und das Bewusstsein für das göttliche
     entzündung fast drei Wochen im künstlichen Koma. Sie             Licht und die Liebe weitergeben konnte», erklärt sie. Sie
     ­hatte ausserkörperliche Wahrnehmungen von dem, was um           ­begann Lichtsäulen und Lichtbilder zu gestalten und Licht-
      sie herum geschah, und erinnerte sich später an Besucher         meditationen anzubieten. Nach mehreren Aus- und Weiter-
      und an Gespräche der Ärzte. Sie sah aber auch die eigenen        bildungen, unter anderem auch in Traumaverarbeitung,
      Fehler im bisherigen Leben. «Dann schwebte ich in die Höhe       ­bietet sie heute Einzel- und Gruppenarbeit zu verschiedenen
      einem unvergleichlich schönen Licht entgegen, das jede            Bewusstseinsthemen an. «Es geht mir darum, Menschen
      ­Zelle durchdrang und Liebe, Frieden und Freude verström-         zu helfen, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen und frei zu
       te», erzählt sie. Und fügt an: «Zurückgezogen ins Leben          leben.»
       ­haben mich die tiefe Liebe zu meinen drei Kindern und der       Der Blick ins Jenseits nahm Maya Muraro die Todesangst.
        Wunsch, mitzuerleben, wie sie sich weiterentwickeln.»           «Tod bedeutet für mich, wieder in dieses Licht hineinzu­
        Die Rückkehr war aber nicht einfach, und sie wünschte sich      gehen und ein Teil des ewigen Bewusstseins zu sein.»
        mehrmals, einfach wieder in dieses Licht eintauchen zu kön-   www.lichtregenbogen.com

10        Visit Winter 2017
lebensraum

«Es umgab
mich ein
­herrlich
 blauer
 ­Himmel»
ETH-Professor Jacob Albert Heim
(1849–1937) erfasste systematisch
Berichte von Nahtoderlebnissen.
1898 berichtet er in einem
SAC-Jahrbuch darüber.
                                                      Pionier der Nahtodforschung:
Text: Robert Bösiger                                  Jacob Albert Heim (1849–1937).    Foto: Sammlung ETH Zürich

«Wir sind zum Resultat gelangt, dass der Tod          men von Menschen, die dem Tod ins Angesicht
durch Absturz subjektiv ein schöner Tod ist. Ohne     geblickt haben: Kriegsverwundete, von Dächern
vorangegangene Krankheit erfolgt er bei klarem        und Gerüsten Gestürzte, von Unfallopfern, von
Bewusstsein, bei gesteigerter Sinnes- und Gedan-      Bergsturz- und Lawinenopfern und von «Älplern,
kentätigkeit ohne Angst und ohne Pein.» Dies          die abgestürzt sind, ohne das Leben zu verlieren».
schreibt Prof. Dr. Jacob Albert Heim (1849–1937)         Darüber hinaus konnte er auf eigene Erfahrun-
im Rahmen eines Aufsatzes, erschienen im Jahr-        gen bauen: 1871 stürzte er selber am Säntis ab.
buch 27 des Schweizer Alpen-Clubs SAC aus dem         Diese Erfahrung und Berichte von Clubgenossen
Jahre 1898.                                           führten Heim zur Erkenntnis, dass ein Sturz ent-
   Heim, Geologe an der ETH Zürich und begeis-        gegen der landläufigen Meinung nicht mit einem
terter Alpinist, folgerte aus seinen Untersuchun-     beängstigenden Gefühl verbunden ist und mit
gen und Recherchen: «Unsere im Gebirge todge-         Schmerz.
stürzten Freunde haben im letzten Momente ihre           Heim berichtet: «Während dem Fall stellte sich
eigene Vergangenheit in Verklärung geschaut. Sie      die Gedankenflut ein. (…) Alles war wie verklärt
haben der Ihrigen noch liebend gedacht, sie wa-       von einem himmlischen Lichte und Alles war
ren schon erhaben über körperlichen Schmerz.          schön und ohne Schmerz, ohne Angst, ohne Pein.
Reine, grosse Gedanken, himmlische Musik, das         Auch die Erinnerung an sehr traurige Erlebnisse
Gefühl des Friedens und der Versöhnung be-            war klar, aber dennoch nicht traurig. (…) und eine
herrschte sie, sie fielen in einen blauen und rosi-   göttliche Ruhe zog wie herrliche Musik durch
gen, herrlichen Himmel hinein so sanft, so weich,     meine Seele. Mehr und mehr umgab mich ein
so selig – und dann war plötzlich alles still.»       herrlich blauer Himmel mit rosigen und beson-
   Jacob Albert Heim gilt als einer der Ersten, die   ders mit zart violetten Wölklein. (…) Dann hörte
systematisch Nahtoderscheinungen gesammelt            ich mein dumpfes Aufschlagen, und mein Sturz
haben. Er trug Berichte und Schilderungen zusam-      war zu Ende.»

                                                                                                              Visit Winter 2017   11
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lebensraum

            Das Dreitafelbild «Der Garten der Lüste» ist ein Triptychon des niederländischen Malers Hieronymus Bosch
            (um 1450–1516). Bilder: zVg

                  Von der Totenstadt
                    zum Paradies
                 Ist das Leben auf Erden nur eine Art Generalprobe? Und wenn ja,
                  was erwartet Menschen im Jenseits? Seit Tausenden von Jahren
                        beschäftigt sich die Menschheit mit solchen Fragen.

                                                      Text: Rita Torcasso

Mit dem Wort Jenseits sind viele Vor-      Bereichen weiter: auf der Erde, in der       ohne Sorgen und Leiden zu leben. Oder
stellungen verbunden. Erst ging es vor     Unterwelt und im Himmel. Für sie er-         es warteten die ewige Verdammnis und
allem um das Totenreich, in das der        baute man Häuser aus Stein für die           die Vernichtung von Körper und Seele.
Mensch nach dem Tod eintritt. Erst         Ewigkeit, während die Lebenden in            Ganz anders als die Ägypter glaubten
das Christentum und später der Islam       Lehmbauten wohnten. Man gab ihnen            die alten Griechen, dass sich die Seele
machten das Paradies zum Ort aller         Gaben wie Stühle, Brot, Schmuck und          vom Körper löst. Die Toten wurden vom
Sehnsucht.                                 Salben mit sowie Dolche, um sich ge-         Fährmann Charon über den Fluss Lethe
   Das Paradies beflügelt bis heute die    gen Dämonen verteidigen zu können.           in den Hades, einen düsteren und
Fantasie der Menschen – oft nicht mehr     Nach dem Tod traten sie eine lange           freudlosen Ort, gebracht. Überquert
im religiösen Sinn, sondern als Gegen-     Wanderung an.                                wurde der Fluss des Vergessens, da-
bild zum Alltag und als Ausdruck eines        Das ägyptische Totenbuch, das zwei        nach kannten sie weder Zukunft noch
existenziellen Mangels.                    Jahrtausende vor Christus entstand,          Vergangenheit, sondern nur noch die
                                           enthält an die 200 Anweisungen, um           ewige Gegenwart.
Weiterleben in der Unterwelt               den Weg und die Anhörung vor dem                Das überlieferte Bild wurde später
Eine besonders aufwendige Vorberei-        Totengericht zu bestehen. Dort wurde         in Frage gestellt. Euripides schrieb
tung auf das Jenseits betrieben die al-    das Herz gewogen. Entweder kehrte der        im 5. Jahrhundert vor Christus: «Wer
ten Ägypter. Die Toten lebten in drei      Tote dann in seinen Körper zurück, um        weiss, ob nicht das Leben nur ein Ster-
                                                                                                                            >>

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Im alten Ägypten gab es etwa 200 Anweisungen, um den Weg und die Anhörung vor dem Totengericht Osiris zu bestehen.

>>
ben ist und was wir Sterben nennen,         ben im Diesseits wurde zu einem Über-       mit dem Garten Eden, dem Paradies
drunten Leben heisst.» Und Platon           gang in eine bessere Welt.                  und der Hölle.
schuf eine ewige Weltseele, die sich           In der Offenbarung von Johannes               Ganz anders erscheint das Jenseits
selber und alles bewegt und deshalb         steht: «Siehe da, die Hütte Gottes bei      in der Lehre Buddhas. Nach ihr ist der
auch die Seele des Einzelnen unsterb-       den Menschen! Und er wird bei ihnen         Mensch Teil einer universalen Weltord-
lich macht.                                 wohnen, und sie werden sein Volk sein,      nung. Der Tod bedeutet das Erlöschen
                                            und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr     des Individuums, das jedoch im ewigen
Der Himmel als Ort der Erlösung             Gott sein; und Gott wird abwischen alle     Kreislauf alles Lebendigen wieder­
Viele Vorstellungen aus der vorchrist-      Tränen von ihren Augen, und der Tod         geboren wird. Am Ende des Geburten-
lichen Zeit flossen in die Weltreligio-     wird nicht mehr sein, noch Leid noch        kreislaufs steht das Nirwana.
nen ein. Im Alten Testament glaubte         Geschrei noch Schmerz wird mehr                  Mit dem Erkennen des wahren
man noch nicht an Gott in der Hoffnung      sein.» Wer ins Himmelreich einging,         ­Wesens wird alles Diesseitige bedeu-
auf ein Jenseits. Erst mit der Auferste-    genoss ein unbeschwertes Dasein mit          tungslos. Für das Nirwana gibt es
hung Christi entstand die Vorstellung       irdischen Genüssen. Um 1500 malte            deshalb keine Begriffe, es ist das
                                                                                         ­
der Erlösung im Himmelreich. Das Le-        Hieronymus Bosch eine Gesamtschau            Nichts und das Alles in einem. Im
                                                                                         ­Hinduismus, in dem viele religiöse
                                                                                          Strömungen zusammenkommen, stellt
                                                                                          Brahma «das alles durchdringende,
  Paradies, Nirwana, Himmel                                                               selbstexistierende kosmische Abso­
  Jenseitsvorstellungen der Weltreligionen:                                               lute» dar, in dem die Seele nach dem
  Joel Suter: «Erlösungsgedanken in vier Weltreligionen», 2004,                           Tod aufgeht.
  Download auf www.igw.edu
  Das Jenseits aus sozialpolitischer Sicht:                                             Man erntet, was man im Diesseits
  Birgit Heller: «Beziehungen zwischen Diesseits und Jenseits», 2017,                   gesät hat
  Download auf www.sozialpolitik.ch                                                     Allen Weltreligionen gemeinsam ist,
  Michael von Brück: «Ewiges Leben oder Wiedergeburt?», Herder, 2012                    dass sich der Mensch das Jenseits
  Dante Alighieri, «Göttliche Komödie», Diogenes Verlag                                 ­verdienen muss: Er erntet, was er im
  Film: «Becoming Who I Was – Werden, der ich war», Kinostart Oktober 2017               Diesseits gesät hat. Besonders dras-
                                                                                         tisch schildern das Christentum und

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lebensraum

später der Islam die Höllenstrafen.         s­ tärker sind als die Liebe, muss er sie    dung durch Wissen, Aberglaube durch
Ein Zeugnis davon gibt die «Göttliche        zurücklassen.                               Verstand zu besiegen (siehe Bericht ab
Komödie» von Dante Alighieri. Zwi-               Die Toten unterstützen aber auch        Seite 4).
schen Paradies und Hölle steht das           die Lebenden je nach Religion als Hei-          Der Dichter Friedrich Nietzsche
Purgatorium, in dem die Menschen             lige, Sufi, Wunderrabbi. Im Mittelalter    ­erklärte vor 150 Jahren Gott als tot.
so lange verharren müssen, bis sie           gab es die Verehrung der 14 Nothelfer,      ­Ersetzt wurde der christliche Jenseits-
­gerichtet werden. Auch die Reinkar­         Heilige für Notsituationen wie Krank-        glaube seither durch Vorstellungen,
 nation im Buddhismus hatte zum              heit, Geburt, Sterben. Im Buddhismus         dass der Mensch Teil eines kosmischen
 Zweck, die Lebensführung zu belohnen        kehren Geläuterte als Lehrer zu den          Ganzen ist. Oder aber durch eine be-
 oder zu bestrafen. Für alle vier Weltre-    Lebenden zurück.                             wusste Begrenzung auf den natür­
 ligionen galt die goldene Regel der gu-         Der im Oktober erstmals in der           lichen Lebenslauf von Werden und Ver-
 ten Lebensführung: die Aufforderung,        Schweiz gezeigte Film «Werden, der ich       gehen.
 mit den anderen so umzugehen, wie           war» erzählt von einer solchen «Rück-           Nietzsche schrieb damals: «Gesetzt,
 man selber auch behandelt werden            kehr». Er zeigt auf eindrückliche Weise,     wir sagen ja zu einem einzigen Augen-
 möchte.                                     wie schwierig es ist, in unserer moder-      blick, so haben wir damit nicht nur zu
    Von jeher bestand ein enges Bezie-       nen Welt der Zweifel und menschen­           uns selbst, sondern zu allem Dasein ja
 hungsnetz zwischen den Lebenden und         gemachter Grenzen einer göttlichen           gesagt. Denn es steht nichts für sich,
 den Toten. Immer wieder in der langen       Bestimmung gerecht zu werden.                weder in uns selbst noch in den Din-
 Geschichte der Jenseitsvorstellungen                                                     gen: Und wenn nur ein einziges Mal
 konnten Lebende ins Totenreich hinab-      Das Jenseits ins Diesseits zurückholen        unsere Seele wie eine Saite vor Glück
 steigen. Der wohl bekannteste Mythos       Im 18. Jahrhundert begannen die               gezittert und getönt hat, so waren alle
 ist jener von Orpheus und Eurydike.        ­Jenseitsvorstellungen vielfältiger und       Ewigkeiten nötig, um dies eine Gesche-
 Der Dichter und Sänger Orpheus erhält       gleichzeitig beliebiger zu werden. Die       hen zu bedingen – und alle Ewigkeit
 von den Göttern die Erlaubnis, seine        Aufklärung setzte sich zum Ziel, Men-        war in diesem einzigen Augenblick un-
 geliebte Ehefrau aus der Unterwelt          schen aus Unwissenheit, Furcht und           seres Jasagens gutgeheissen, erlöst,
 zurückzuholen. Weil seine Zweifel
 ­                                           Abhängigkeit zu befreien und Einbil-         gerechtfertigt und bejaht.»

Inserat

     Sonnmatt
     tut gut.

                                                                            Gesund werden, gesund bleiben,
                                                                            gelassen altern.

                                                                            Sie erreichen uns telefonisch
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lebensraum

                   «Wir sterben heute
                   anders als früher»
                   Die Menschen haben ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Jenseits.
                   Palliativmediziner Roland Kunz über die Erwartungen von Sterbenden
                   und über die Lebensqualität im letzten Lebensabschnitt.

                   Interview: Robert Bösiger

                   Visit: Herr Kunz, wie stellen Sie sich persönlich     ist. Ich würde also nicht wetten wollen, dass ich
                   das Jenseits vor?                                     es in einer solchen Situation nicht plötzlich auch
                   Roland Kunz: Ich habe keine konkrete Vorstel-         mit der Angst zu tun bekommen würde.
                   lung. Ich denke aber, da ist eine andere Dimen­sion
                   von Existenz, die wir uns mit unserem menschli-       Es gibt eine stattliche Anzahl von Menschen,
                   chen Hirn gar nicht vorstellen können.                die von Nahtoderlebnissen berichten. Wie ernst
                                                                         soll oder darf man solche Schilderungen neh­
                   Als Palliativmediziner haben Sie schon viele          men?
                   Menschen bis in den Tod begleitet. Glauben            Es gibt tatsächlich sehr viele diesbezügliche Schil-
                   Sterbende an eine Form des Jenseits oder eher         derungen. Deshalb darf man davon ausgehen,
                   an ein Nichts?                                        dass es sich nicht um etwas Erfundenes handelt.
                   Das ist so individuell wie die Menschen selbst.       Für mich, der mit Todkranken zu tun hat, heisst
                   Die Leute haben ganz unterschiedliche Vorstel-        das: Ein Mensch, der immer weiter weg scheint,
                   lungen. Der Anteil derer aber, die der Ansicht        lebt vielleicht in einer Zwischenwelt und erlebt
                   sind, nach dem Tod komme nichts, der steigt. Ich      intensive Erlebnisse, die wir von unserer Warte
                   frage viel bei Gesprächen mit Patienten, ob und       aus nicht erkennen können. Ich habe schon Men-
                   welche Vorstellungen sie haben, wie es nach dem       schen gehabt, die ich begleitet habe und die früher
                   Tod weitergehen könnte. Jene Menschen, die            schon Nahtoderlebnisse hatten. Diese Menschen
                   ­Vorstellungen haben, können mit dem Übergang
                    vermutlich besser umgehen.

                   Vielleicht macht ein Jenseits (das man sich           «Ein Mensch, der immer
                   vorstellt) auch weniger Angst als ein Nichts?         weiter weg scheint, lebt viel-
                   Ja, das ist mein Eindruck.
                                                                         leicht in einer Zwischenwelt
                   Könnte man deshalb vermuten, dass Menschen,           und erlebt intensive Erlebnisse,
                   die an ein Jenseits glauben (wie auch immer
                   dieses sein mag), es einfacher haben loszulas­
                                                                         die wir von unserer Warte aus
                   sen als solche, die an ein Nichts glauben?            nicht erkennen können.»
                   Ja. Allerdings gibt es viele Menschen, die sehr
                   rational damit umgehen können, dass mit dem
                   Tod Schluss ist, dass das in der Natur der Sache
                   liegt.                                                hatten dann genau wegen dieser Erlebnisse weni-
                                                                         ger Angst vor dem richtigen ­Sterben – weil sie den
                   Haben Sie persönlich Angst vor dem Tod?               Tod eher als etwas Schönes erlebt haben.
                   Wenn Sie mich das heute fragen, würde ich mit
                   Nein antworten. Aus Gesprächen mit Patienten          Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie vom
                   hingegen weiss ich, dass es, wenn der Tod sich        Arzt, der primär Leben retten will, zu einem
                   abzeichnet, bei vielen Menschen wieder anders         Palliativ­mediziner gemacht hat?

16   Visit Winter 2017
Zur Person
                                                                         Roland Kunz (62) ist Chefarzt
                                                                         der universitären Klinik für
                                                                         Akutgeriatrie am Stadtspital
                                                                         Waid in Zürich. Der Facharzt
                                                                         FMH für allgemeine innere
                                                                         Medizin, für Geriatrie und für
                                                                         Palliativmedizin hatte zuvor
                                                                         einige leitende Stellungen
                                                                         inne; unter anderem baute
                                                                         er die Palliativstation «Villa
                                                                         Sonnenberg» auf. Als Mit-
                                                                         glied und Präsident der
                                                                         schweizerischen Gesellschaft
                                                                         für palliative Medizin half
                                                                         er bei der Erarbeitung der
                                                                         ­nationalen Strategie Pallia­
                                                                          tive Care mit. Im Jahre 2010
                                                                          wurde ihm der erste schwei-
                                                                          zerische «Palliative Care-­
                                                                          Preis» verliehen. Kunz ist
                                                                          verheiratet und Vater dreier
                                                                          erwachsenen Kinder. Er lebt
                                                                          in der Region Zürich.

Zum Ende meines Medizinstudiums erkrankte            Das beobachte ich auch. In der heutigen Zeit de-
mein Vater an Krebs. Ich realisierte, wie hilflos    finieren sich die meisten Menschen über Leis-
die Medizin im Grunde ist, wie dürftig die Ge-       tung. Der Tod ist traditionellerweise das, was ein-
sprächskultur ist, wie wenig man auf die Schmer-     fach irgendwann ins Leben hineinbricht. Das
zen meines Vaters einging. Das hat mich dazu         macht Angst, weil man denkt: Alles andere kann
gebracht, dass ich mich vermehrt dieses Themas       ich mit meiner Leistung, mit meiner Arbeit unter
angenommen habe. Später bei meiner Arbeit als        Kontrolle haben – den Tod nicht. Und wir haben
Geriater hatte ich viel mit Menschen am Le-          alle Dinge, die uns an den Tod erinnern – die «Me-
bensende zu tun. Ich erkannte, wie wichtig es ist,   mento Mori» –, aus unserer Gesellschaft ver-
die Arbeit als Arzt nicht (nur) auf die Bekämpfung   drängt. Früher kleideten sich die Leute in Schwarz
der Krankheit auszurichten, sondern diese Men-       und man wusste, da ist jemand gestorben. Heute
schen zu begleiten.                                  gibt es das kaum noch.

Der Tod gehört zu Ihrem Berufsalltag, zur            Wieso, Herr Kunz, spricht in letzter Zeit alles
­Routine. Heisst das, dass der Tod Sie mittler­      über Palliative Care?
 weile kaltlässt, dass Sie quasi abgebrüht           Das hängt einerseits damit zusammen, dass die
 sind?                                               Menschen zunehmend Angst bekommen vor ei-
Nein. Das Begleiten eines Menschen in seiner         nem Lebensende, das von Apparaten dominiert
letzten Lebensphase ist immer einmalig. Jeder        wird, andererseits, dass wir auf Bundesebene
Mensch hat ein anderes gelebtes Leben. Und stirbt    die «Nationale Strategie Palliative Care» haben. In
dieser Mensch dann, berührt es mich jedes Mal.       der Schweiz haben wir dazu noch eine spezielle
                                                     Situation, weil wir aktive Bewegungen haben für
Für die meisten Menschen sind der Tod und            den assistierten Suizid – namentlich durch Exit
das Sterben etwas Fremdes, mit dem man am            und Dignitas. Das hat dazu geführt, dass in den
liebsten nichts zu tun hat.                          letzten Jahren immer wieder politische Vorstösse
                                                                                                     >>

                                                                                                       Visit Winter 2017   17
- GRUNDREINIGUNG
                                                                                       - HAUSHALTSHILFE
            Ikonenmalen zu Weihnachten. Ein Einblick in die                            - UMZUG, RÄUMUNG                    SENIOREN
byzantinische Maltechnik mit Nina Gamsachurdia, 8. – 10.12.                              UND ENDREINIGUNG
KlosterTage im Advent. Vorbereiten auf Weihnachten, z. B.
                                                                                                                           UNTERHALTSREINIGUNG
mit kreativen Atelierangeboten, 30.11. – 2.12. oder 7. – 9.12.
     KlosterTage zu Weihnachten. Für alle, die die Festtage                                 WIR BRINGEN SAUBERKEIT – SIE FÜHLEN SICH WOHL!
        individuell gestalten und gleichzeitig in Gemeinschaft
                             verbringen möchten, 23. – 26.12.                                                TELEFON 044 830 43 33
    Weitere Informationen und Angebote: www.klosterkappel.ch                                        www.senioren-unterhaltsreinigung.ch
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 4. Ausgabe „Blick
Botengänge,        ins Jenseits“ usw.
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    öffentlich-rechtliche Stiftung der Stadt Zürich mit eigener Rechtspersönlichkeit.
lebensraum

>>
gemacht wurden. Die Antwort war aber immer            Wenn mir aber ein Patient nachvollziehbar auf­
sinngemäss: Wir wollen nicht den assistierten         zeigen kann, dass der Suizid der richtige Weg für
Suizid fördern, sondern Palliative Care.              ihn ist, dann stehe ich sicher nicht im Weg, gebe
   Aus meiner Sicht ist es übrigens ein Nachteil,     ihm auch die entsprechenden Adressen, um sich
dass – gerade durch die Debatte um die Sterbe­        beraten zu lassen. Aber ich werde nicht der sein,
hilfeorganisationen – die Palliative Care stark       der dem Patienten dann auch noch das tödliche
mit dem Sterben verknüpft wird. Für uns setzt         Medikament reicht.
Palliative Care viel früher ein.
                                                      Wie wichtig ist es trotz allem, den Menschen
Die Menschen werden immer älter. Heisst               reinen Wein einzuschenken, was ihre Über­
das, dass Palliative Care in der Tendenz an           lebenschancen anbelangt?
­Bedeutung zunimmt und dass es immer mehr             Das ist extrem wichtig! Da hat man lange Zeit ge-
 Palliativ­patienten gibt?                            sündigt. Meine Erfahrung ist, wenn man mit den
Das ist das eine. Das andere ist, dass wir heute      Patienten spricht und ihnen die Wahrheit nicht
anders sterben. Früher kannten wir vor allem den      verschweigt, so bedanken sie sich nachher häufig.
unerwarteten Tod – Herzinfarkt zum Beispiel.          Denn die Menschen realisieren ja oft selber, dass
Heute ist es so, dass wir die meisten Krankheiten     es ihnen schlechter geht, sie spüren das nahende
behandeln können. Das bringt es mit sich, dass        Ende. Wenn der Arzt ihnen dann immer noch
viel mehr Leute die Zeit vor dem Sterben länger       ­Honig um den Mund schmiert, hilft das nieman-
erleben – auch solche mit unheilbaren Krankhei-        dem, auch den Angehörigen nicht. Die Patienten
ten.                                                   haben häufig den Wunsch, mit den Angehörigen
                                                       über das Ende zu sprechen.
Sie unterrichten an der Medizinischen Fakultät
der Uni Zürich. Wie gross ist das Interesse der       Was raten Sie generell älteren Menschen,
Studierenden?                                         die realisieren, dass das Lebensende naht?
Erstaunlich gross. Dieser Kurs ist immer als Ers-     Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen
ter voll. Die angehenden Mediziner sind heute         in Ruhe damit auseinandersetzen, was ihnen
kritisch genug, um zu sehen, dass es Palliative       wichtig ist für ihr Lebensende. Dass sie eine
Care als Ergänzung zu den stets wachsenden            ­Patientenverfügung ausfüllen und dass sie mit
­neuen Behandlungsmöglichkeiten braucht.               ihren Angehörigen darüber sprechen. 

Wer wie Sie Sterbende begleitet, muss sich
auch mit Sterbehilfe auseinandersetzen. Welche
Haltung haben Sie dazu?
Grundsätzlich ist es das Recht jedes Menschen, zu
sagen, dass er von dieser Welt gehen möchte.
­Viele, mit denen ich gesprochen habe und die
                                                       Palliative Care
 gleichzeitig Mitglied von Sterbehilfeorganisatio-     Palliative Care ist ein interdisziplinärer Ansatz,
 nen w­ aren, hatten Angst vor dem Sterben und         der Hilfe und Unterstützung bei der Auseinan-
 betrachteten die Mitgliedschaft als eine Art «Ver-    dersetzung mit dem Lebensende bietet. Pallia­
 sicherungspolice», die besagt: Ich habe da noch       tive Care will nicht mehr die unheilbare Krank-
 eine andere Möglichkeit, falls es nicht mehr an-      heit bekämpfen, sondern setzt sich für eine
 ders geht. Redet man dann aber mit solchen Men-       möglichst gute Lebensqualität bis zuletzt ein.
 schen und sagt ihnen, dass sie mit Palliative Care    Dazu gehören die Linderung von belastenden
 nicht Angst haben müssen, eines Tages zu er­          körperlichen Beschwerden wie Schmerzen,
 sticken oder schreckliche Schmerzen zu erleiden,      Übelkeit oder Atemnot und die Hilfe bei psychi-
 dann verliert sich diese Angst häufig. Und dann       schen Belastungen wie Angst oder Depression.
 gibt es natürlich noch einen kleinen Teil von Men-    Sie unterstützt und begleitet nicht nur die
 schen, die Exit wählen weniger aus Angst, sondern     ­Patienten, sondern auch ihre Angehörigen.
 weil sie primär selbst bestimmen möchten, wann         In der Zusammenarbeit verschiedener Berufs-
 sie gehen möchten – und nicht das Schicksal.           gruppen wird eine umfassende Behandlung und
                                                        Betreuung möglich.
Was, wenn jemand partout nicht mehr leben               Palliative Care kann zu Hause, im Spital oder im
möchte? Würden Sie ihm dabei helfen, sich das           Pflegeheim in Anspruch genommen werden.
Leben zu nehmen?                                        Unter www.palliative.ch können regionale
Ich habe meine Überzeugung, dass wir mit Pal­           ­Angebote abgerufen werden.
liative Care sehr viel lindern und helfen können.

                                                                                                        Visit Winter 2017   19
lebensart

Die Duldsame
Arbeit und Bescheidenheit haben das Leben der 100-jährigen
Elisabeth Meier geprägt. Sie war nie auf Rosen gebettet. Doch die
Winterthurerin ist zufrieden und dankbar.

20   Visit Winter 2017
lebensart

                                        Text: Robert Bösiger   Foto: Christian Roth

                                        Als an diesem Samstag, 2. Juni 1917,          e­ ngagiert sie sich im Hoffnungsbund,
                                        kurz vor 10 Uhr das Mädchen Elisabeth          der Jugendorganisation des Blauen
                                        («Bethli») zur Welt kommt, treffen sich        Kreuzes.
                                        im neutralen Stockholm gerade die
                                        Teilnehmer der sozialistischen Frie-          Der Mann fürs Leben
                                        denskonferenz. Mitten im Ersten Welt-         Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs
                                        krieg wollen sie dort den Weg zu einem        kommt es erneut zu einem Umbruch in
                                        sicheren Frieden ebnen …                      Elisabeth Kindhausers Leben: Sie mel-
                                           Das Kind ist die älteste Tochter der       det sich zum Frauenhilfsdienst und
                                        Bauersleute Edwin und Elisabeth Kind-         wird zur Pflege kranker Soldaten einge-
                                        hauser-Kägi. Die Familie ist arm, die         teilt. In der Militärsanitätsanstalt lernt
                                        Lebensmittelrationierung und die stei-        sie Ernst Meier aus Lenzburg kennen
                                        genden Preise verschlimmern die Situa­        – und lieben. Bereits Am 15. Mai 1942
                                        tion. Elisabeth ist erst fünf Jahre jung,     geben sich die beiden in der Stadtkirche
                                        als die Mutter überraschend und viel          von Lenzburg das Jawort. Als Hochzeits-
                                        zu früh stirbt. Zunächst versucht der         reise gehen sie (es ist mitten im Zwei-
                                        Vater mit einer Hilfskraft, die Familie       ten Weltkrieg) mit dem Zug nach Bein-
                                        zusammenzuhalten. Doch es klappt              wil am See und fahren dort mit dem
                                        nicht. So bleibt ihm nichts anderes üb-       Ruderboot auf dem Hallwilersee.
                                        rig, als seine vier Kinder zu «verteilen».        Neben seiner Arbeit in der Holz­
                                                                                      warenfabrik Wisa Gloria amtet Ernst
                                        Jugend in Steckborn                           Meier als nebenamtlicher Sigrist der
                                        Mit dem Velo bringt der Vater «Bethli»        reformierten Stadtkirche Lenzburg.
                                        zur Bauernfamilie der Gotte Elise nach        Rasch wird klar, dass die Sigristen-­
                                        Steckborn am Bodensee. Dort wird sie          Ehefrau kräftig mit anpacken muss: Sie
                                        die nächsten fünf Jahre leben und zur         muss während der Woche für Beerdi-
                                        Schule gehen. Daneben hütet sie den           gungen die Glocken läuten und die
                                        jüngeren Sohn der Familie und hilft auf       ­Kirche reinigen. Daneben pflegt sie
                                        dem Hof mit. Dort, am Bodensee, habe           den Garten und unterhält zwei weitere
                                        sie es «recht gehabt», sagt Elisabeth          Schrebergärten. Gewaschen wird in
                                        Meier rückblickend.                            einem grossen Waschzuber und mit
                                            Die Frau, die am 2. Juni dieses Jah-       dem Waschbrett.
                                        res ihren 100. Geburtstag feiern konn-            Als schöne Momente in Erinnerung
                                        te, hatte ein bewegtes Leben oder – um         bleiben ihr die jeweils im Juli stattfin-
                                        es mit ihren eigenen Worten zu sagen           denden Jugendfeste in Lenzburg. Da
                                        – «ein Durcheinander». Das mag über-           aus diesem Grunde jeweils die Stadt-
                                        trieben sein, Tatsache aber ist: Schon         kirche mit Kränzen aus Moos und Blu-
                                        im Frühjahr 1927 muss sich Elisabeth           men geschmückt wird, muss diese an-
                                        wieder umgewöhnen, denn der Vater              schliessend in tagelanger Arbeit
                                        hat erneut geheiratet. Deshalb holt er         (damals auf den Knien) wieder gerei-
                                        seine Kinder zurück nach Winterthur.           nigt werden. Dem jungen Paar werden
                                        Er ist nun beim Strassenreinigungs-            die Kinder Elisabeth Regula und
                                        dienst der Stadt Winterthur angestellt,        Hans-Rudolf geschenkt.
                                        die finanziellen Verhältnisse bleiben             1965 zieht die Familie nach Bir-
                                        sehr bescheiden.                               mensdorf um, wo Ernst Meier als
                                            Nach der ordentlichen Schulzeit tritt      Schulhausabwart eingestellt wird. Die
      2017 feiern wir Jubiläum:         Elisabeth in die örtliche Schneiderei          dortige Stelle hält ihn aber nicht lange,
100 Jahre Pro Senectute Kanton Zürich   Th. Heeck ein. Sie besucht zwar die Be-        und er lässt sich als vollamtlicher
    Aus diesem Anlass porträtiert       rufsschule, ein Berufsabschluss aber           Sigrist an die neu erbaute Kirche
     Visit in jeder Ausgabe einen
                                        wird ihr verwehrt, weil sie nicht die          R osenberg in Winterthur-Veltheim
                                                                                       ­
     hundertjährigen Menschen.
                                        Sekundarschule besucht hat. So tritt           wählen. Auch hier ist die Mitarbeit der
                                        sie die Stelle als Dienstmädchen bei           Ehefrau im Amt «inbegriffen». Neben
                                        einer Winterthurer Kaufmannsfamilie            der Putzarbeit hilft sie bei allen Aktivi-
                                        mit vier Kindern an. In der Freizeit           täten in der Kirche mit. Im Winter ist
                                                                                                                              >>

                                                                                                       Visit Winter 2017     21
Zum Leben gut, zum Wohnen schön
                                                            Wohnheim Mühlehalde, Zürich
                                                            • für Seniorinnen und Senioren mit und ohne Sehbehinderung
                                                            • Alters- und Pflegeheim, perfekte Infrastruktur
                                                              für blinde und sehbehinderte Menschen
                                                            • Abwechslungsreiche Alltagsgestaltung
                                                            • Auch für Ferien/Rekonvaleszenz empfohlen

                                                             Ihr Kontakt:
                                                             Irene Gerzner Leiterin              Stiftung Mühlehalde
                                                             Wohnheim                            Witikonerstr. 100, 8032 Zürich
                                                             044 421 11 11                       wohnheim@muehlehalde.ch
                                                                                                 www.muehlehalde.ch

                                           MH_Anzeige_Visit.indd 1                                                                          21.09.17 1

«Da sind wir uns einig.»                                         „Jetzt ist das Baden für mich
                                                                 wieder ein sicheres Vergnügen.“
Rotkreuz-Notruf                                                                                                        Broschüre
                                                                                                                        gratis:
                                                                                                                   0800-808018
Meine Mutter will ihre Unabhängigkeit, ich ihre               Ihr neuer                                              24 Std., Anruf

                                                              Badewannenlift
                                                                                                                     gebührenfrei
Sicherheit. Die Lösung: Der Rotkreuz-Notruf. Im
Notfall wird schnell geholfen. Ich bin beruhigt –
und sie kann weiterhin zuhause wohnen.

Informationen unter Telefon 044 388 25 35

                                                              Mehr Informationen unter www.idumo.ch, info@idumo.net

                                                    IDU-17-070_ANZ_CH_Visit_91x122+0_RZ.indd 1                                     12.10.17 12:54
lebensart

                                                        Bild links: Die zwei
                                                        Schwestern «Bethli»
                                                        und Margrith, damals
                                                        7 und 3 Jahre jung.
                                                        Bild rechts: Elisabeth
                                                        und Ernst 1943 als
                                                        frisch verhei­ratetes
                                                        Paar in Lenzburg.

>>
bei der Schneeräumung oft die ganze        Elisabeth Meier ins Alterszentrum Ro-         und fünf Tage vor Dean Martin (gestor-
Familie gefordert.                         sental. Hier, sagt sie, fühle sie sich wohl   ben 1995) hat Elisabeth Meier im Som-
                                           und gut aufgehoben. Besonders schätzt         mer ihren 100. Geburtstag im Alters-
Einmal ans Meer                            sie es, dass sie noch oft spazieren ge-       heim und im Kreise ihrer Familie feiern
Freizeit nach heutigem Verständnis         hen kann, gestützt auf beiden Seiten,         können. Sogar der Stadtpräsident Mi-
gibt es im Leben der Elisabeth Meier       da sie unsicher geworden ist. So kann         chael Künzle machte ihr die Aufwar-
wenig. So kommt es, dass sie die Frage     sie sich an den Gärten der Umgebung           tung.
nach einer Freizeitbeschäftigung be-       freuen. Besuche von Angehörigen, Be-             Welches Rezept haben Sie befolgt,
antwortet mit «die Gärten besorgen und     kannten und Sigristenkollegen bringen         um so alt zu werden, Frau Meier? Bei
lesen». Ferien werden in der Schweiz       ebenso Abwechslung wie die verschie-          dieser Frage ist sie bescheiden und
verbracht (im Münstertal, im Wallis, im    denen Anlässe im Heim selber. Kürz-           sagt: «Ich hatte Freude an der Arbeit
Berner Oberland). Ein einziges Mal rei-    lich, mit 98 Jahren, ist sie sogar noch       und am Garten. Und statt Alkohol habe
sen sie und ihr Mann nach Italien ans      Urgrossmutter geworden. Drei Tage             ich viel Lindenblüten- und Pfefferminz-
Meer in die Cinque Terre, zusammen         nach John F. Kennedy (gestorben 1963)         tee getrunken.»
mit der jüngsten Schwester und ihrem
Ehemann zum Wandern. Wäre sie gerne
einmal weit weg geflogen, zum Beispiel
nach Amerika? «Nein», sagt sie ent-
                                             Alterszentrum Rosental
schlossen: «Ich hatte es nicht, und habe     Das Alterszentrum Rosental liegt idyllisch am Waldrand in der Stadt Winterthur
es deshalb auch nicht vermisst.»             und verfügt über einen grossen Garten mit Weiher und Terrasse. Trotzdem sind
   In den letzten gemeinsamen Ehejah-        es nur drei Busstationen bis in die Altstadt. Das Haus bietet 107 Bewohnenden
ren muss Bethli ihren herzkranken            ein «Zuhause». Die nach Osten und Westen ausgerichteten Einzelzimmer mit
Mann pflegen. Im Jahr 2002 stirbt Ernst      Balkon und eigener Nasszelle sind hell und sehr gemütlich.
Meier. Die Witwe intensiviert die Kon-       Gemäss Gisela Heim, Leiterin des Alterszentrums, ist das «Rosental» im Quartier
takte zu Verwandten und Bekannten,           bestens integriert und geniesst einen guten Ruf, sodass die Zimmer immer
macht Besuche in Alters- und Pflegehei-      schnell wieder belegt sind. Die Bewohnenden können in der Regel bis zum Tod im
men (als Frau des Sigristen kennt sie        «Rosental» bleiben. Die rund 90 Mitarbeitenden sorgen für eine fürsorgliche
viele Gemeindeglieder), besorgt ihren        Pflege, feines Essen und Räumlichkeiten, in denen man sich wohlfühlt. Viel Wert
Garten und geht mit Verwandten und           wird auf ein vielfältiges, kulturelles und aktivierendes Angebot gelegt. Singen,
Bekannten auf Reisen in der Schweiz.         ­Gedächtnistraining, Konzerte, Ausflüge und vieles mehr sorgen für Abwechslung
   Vor vier Jahren, im September 2013,       im Alltag und bringen Menschen zusammen.
im Alter von 96 Jahren, übersiedelt

                                                                                                        Visit Winter 2017    23
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