Amt und Gemeinde - Evangelische Kirche in Österreich
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Amt und Gemeinde 68. Jahrgang, Heft 4, 2018 € 12, – Erinnern und Gedenken Evangelische Kirchen in Mittel- und Südeuropa – aktuelle Herausforderungen Patrick Streiff 224 Geschichtetes Erinnern. Das Denkmal in der Grazer Heilandskirche Matthias Weigold 237 Vom ideologischen Gegeneinander zum persönlichen Miteinander – Die Evangelische Kirche und die national- politische Auseinandersetzung in Kärnten im 20. Jahrhundert Alexander Bach 243 Zum Hundertjahrjubiläum der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. Rückfragen und Anmerkungen aus österreichischer Perspektive Karl W. Schwarz 251 Und weitere Beiträge Evangelischer Presseverband Herausgeber: Bischof Michael Bünker
INHALT Editorial ...................................................................................................................................... 221 Michael Bünker Evangelische Kirchen in Mittel- und Südeuropa – aktuelle Herausforderungen ......................................................................................... 224 Patrick Streiff Geschichtetes Erinnern. Das Denkmal in der Grazer Heilandskirche ........................................................ 237 Matthias Weigold Vom ideologischen Gegeneinander zum persönlichen Miteinander – Die Evangelische Kirche und die nationalpolitische Auseinandersetzung in Kärnten im 20. Jahrhundert .................................... 243 Alexander Bach Zum Hundertjahrjubiläum der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. Rückfragen und Anmerkungen aus österreichischer Perspektive .............................................................................. 251 Karl W. Schwarz *** Rezensionen Körtner Ulrich H. J.: Dogmatik – Lehrwerk Evangelische Theologie .................................................. 262 Martin Fischer Petra Verbics / Nicolette Móricz / Miklós Köszeghy (Hg.) Ein pralles Leben: Alttestamentliche Studien. Für Jutta Hausmann zum 65. Geburtstag und zur Emeritierung .......................................................... 267 Siegfried Kreuzer Ulrich Gäbler: Ein Missionarsleben: Hermann Gäbler und die Leipziger Mission in Südindien (1891–1916) ............................................................................................... 272 Elisabeth E. Schwarz
Siegfried Kreuzer / Dagmar Lagger / Helene Miklas (Hg.): „Wir haben hier keine bleibende Stadt“ (Hebräer 13,14) 100 Jahre Evangelische Frauenschule – Evangelische Religionspädagogische Akademie – Kirchliche Pädagogische Hochschule (2018) ...................................... 276 Karl W. Schwarz Gerhard Giesemann: Die Theologie des slowenischen Reformators Primož Trubar ................. 280 Karl W. Schwarz Christian Grethlein: Evangelisches Kirchenrecht – Eine Einführung Hendrik Musonius: Evangelisches Kirchenrecht – Grundlagen und Grundzüge ..................... 284 Karl W. Schwarz Ulrich H. J. Körtner: Ökumenische Kirchenkunde – Lehrwerk Evangelische Theologie ....... 285 Karl W. Schwarz Johannes Fichtenbauer / Lars Heinrich / Wolf Paul (Hg.): Meilensteine auf dem Weg der Versöhnung – 20 Jahre „Ökumene der Herzen“ am Runden Tisch für Österreich – Lehrwerk Evangelische Theologie ............................................................................. 287 Karl W. Schwarz Eginald Schlattner: Wasserzeichen ...................................................................................................................... 290 Ernst Hofhansl *** Nachruf In memoriam Professor Robert Kauer ................................................................... 292 Karl W. Schwarz *** Anhang Autor*innen ............................................................................................................................... 299 Jahresregister 2018 ............................................................................................................. 301 Impressum ................................................................................................................................. 304
ERINNERN UND GEDENKEN Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Diasporapfarrer braucht eine konzentrierte und elementare Theologie.“ – so Bischof mit dieser Ausgabe von „Amt und Ge May, der das auch noch mit den Erfah meinde“ wird ein Zwischenschritt gesetzt. rungen der Kirche während des National Das Heft ist ein Restant aus dem Jahr 2018, sozialismus zu begründen wusste. Von dessen nachträgliches spätes Erschei daher legte sich die enge Kooperation mit nen dem Umstand geschuldet ist, dass den Professoren der evangelisch-theolo die Beiträge der Pfarrer*innnentagung gischen Fakultät nahe. am Hafnersee in Kärnten vom Sommer 2018 nach und nach und letztlich nur auf Die Schriftleitung hatte 1947 Prof. Erwin grund des beharrlichen Nachfragens von Schneider übernommen. Dies scheint nicht Karl Schwarz einlangten. So haben Sie ganz freiwillig erfolgt zu sein, denn Erwin Heft 4/2018 erst nach den beiden Heften Schneider gesteht freimütig, er hätte „dies 1 und 2 aus 2019 in den Händen. Wie auch neue Amt nicht begehrt, sondern es ist ihm immer: Mit diesem Heft und dem Sommer auferlegt worden.“ Anfang der 1950er- 2019 endet zum fünften Mal die Heraus Jahre schien der erwähnte Notstand, der geberaufgabe, die traditionellerweise der die Existenzgrundlage von „Amt und Ge Bischof der Evangelischen Kirche A. B. meinde“ darstellte, überwunden. Das Er für diese Zeitschrift innehat. scheinen der Zeitschrift wurde kurzerhand eingestellt. Aber nur für wenige Jahre! Of Begonnen hat es im Jahr 1947, als Bischof fenkundig hatte sie ihre Berechtigung und D. Gerhard May „Amt und Gemeinde“ auf Notwendigkeit erwiesen und wurde – vor den Weg brachte. In seiner Einführung allem auch im Ausland, wie Bischof May zur ersten Ausgabe schrieb er, dass das bei einem Besuch in die USA feststellen Erscheinen dieser Zeitschrift durch einen konnte – gerne gelesen. Notstand veranlasst wurde. Der Zugang zu theologischer Literatur war 1947 für Unter neuer Schriftleitung durch Prof. Wil viele Pfarrer und andere Hauptamtliche helm Kühnert wurde ihr Erscheinen im in der Kirche erschwert oder gar unmög Jahr 1955 wieder aufgenommen und fort lich. Aber: „Gerade der auf sich gestellte gesetzt. Von da an blieb die Kontinuität ge Amt und Gemeinde 221
wahrt. Im November 1968 übernahm Oskar Besonders tiefgreifend sind die inhaltli Sakrausky als Nachfolger von B ischof May chen Änderungen. In den ersten Nach die Herausgeberschaft, an die Seite von kriegsjahren finden sich noch Predigthil Wilhelm Kühnert trat Dr. Stefanie Nad fen für die vorgeschlagenen Predigttexte, herny-Prochaska. Sie nahm später allein Vorschläge für die inhaltliche Arbeit der die Aufgabe der Schriftleitung wahr, wäh Pfarrkonvente, Nachrufe auf Pfarrer so rend ab dem Mai 1983 Bischof Dieter Knall wie Nachrichten aus der Kirche im In- und Herausgeber geworden war. Für viele Jahre Ausland. Später wurden in „Amt und Ge hat dann Prof. Gustav Reingrabner in einem meinde“ Diskussionsbeiträge zu Proble Team, dem Prof. Georg Sauer, Paul Weiland men abgedruckt, die die Kirche beschäf und Christoph Weist angehörten, die redak tigten, etwa zum Weisungsrecht oder zur tionelle Verantwortung wahrgenommen. So Frage des Zivildienstes u. a. m. Unter Bi war es auch noch in den ersten Jahren des schof Sturm wurde als neuer inhaltlicher Bischofsamtes von Herwig Sturm, der ab Akzent regelmäßig eine Art Chronik des 1996 Dieter Knall nachfolgte. kirchlichen Lebens aufgenommen. In den letzten zehn Jahren wurden die Beiträge Zwei Jahre später – 1998 – erscheint ein der Pfarrer*innentagung und des Refor neues Team in der Schriftleitung, für die mationsempfangs, die jährlich stattfinden, Prof. Gottfried Adam die Verantwortung und andere kirchliche Ereignisse doku trug. Mit ihm engagierten sich neu Till mentiert. Hervorzuheben ist natürlich das Geist, Birgit Lusche, Robert Schelander Reformationsjubiläum des Jahres 2017! und – gleichsam als Wahrer der Kontinu ität – Paul Weiland und Christoph Weist. Den roten Faden von 1947 bis heute bilden Dieses Redaktionsteam verantwortete aber die theologischen Beiträge, zu denen auch die Hefte des 59. Jahrgangs, also auch die Rezensionen aus der Fachliteratur des Jahres 2008, in dem bereits ich als gehören. Schwerpunkte der kirchlichen Nachfolger von Herwig Sturm als Bischof Arbeit werden aufgegriffen, ich erwähne die Herausgeberschaft übernommen hatte. „Auf dem Weg der Umkehr“ 2008/2009, Mit dem 60. Jahrgang 2009 änderte sich also zehn Jahre nach der Synodenerklä das Redaktionsteam erneut. Prof. Karl W. rung „Zeit zur Umkehr“, und zuletzt das Schwarz wurde Chefredakteur, im Team Doppelheft 1/2 des Jahres 2019 zur Seel waren Gerhard Harkam, Jutta Henner, sorge, für das dankenswerterweise Mar Ingrid Tschank, Thomas Krobath, Char git Leuthold (gemeinsam mit Charlotte lotte Matthias und Robert Schelander. Matthias) die redaktionelle Verantwortung Das war aber nicht die einzige Änderung: übernommen hat. „Amt und Gemeinde“ Die Zeitschrift erhielt ein neues Aussehen versteht sich von Anfang an bis heute als und wurde von dem ursprünglich monat theologische Fachzeitschrift mit einem lichen auf ein vierteljährliches Erscheinen deutlichen Schwerpunkt auf der Situation umgestellt. der evangelischen Kirche in Österreich. 222 Amt und Gemeinde
Freilich hat sich die Medienlandschaft, Ingrid Tschank, Gerhard Harkam und Tho auch die kirchliche, in den letzten Jahr mas Krobath, der mit Robert S chelander zehnten grundlegend geändert. Vieles von noch die letzten Hefte inhaltlich be dem, was bislang den Inhalt von „Amt treute. Dann alle, die mit der Produktion und Gemeinde“ ausgemacht hat, findet befasst waren, in erster Linie Charlotte sich heute in anderen Printmedien und Matthias, dazu Hilde Matouschek, die vor allem im Internet auf diversen Web sich um das Layout und Gesicht der Zeit sites. Aber manches in diesen Medien ist schrift annahm, sowie die Mitarbeitenden kurzlebig und nur von aktueller Bedeu im Evangelischen Presseverband, die die tung. Wenn etwas bleibend festgehalten Herstellung und den Vertrieb übernom und bewahrt werden soll, empfiehlt sich men haben. nicht nur aus meiner Sicht nach wie vor die gedruckte Form. Auch die elektroni Zu danken ist allen Autorinnen und Au sche Speicherung bietet nicht immer einen toren, die Beiträge zur Verfügung gestellt leichten Zugang und auch keine nach haben und natürlich den Bezieherinnen haltige Sicherung auf Knopfdruck. Aber und Beziehern von „Amt und Gemeinde“. neben dem Anliegen der Dokumentation Ohne die staatliche Presseförderung und dürfen auch die Anregung zur Diskussion die namhafte Unterstützung von Fördern und die Information nicht zu kurz kom den wie dem Evangelischen Krankenhaus men. Nicht alles, was für das kirchliche Wien wäre die Herstellung der Zeitschrift Leben hierzulande bedeutsam ist (oder so nicht möglich. Auch dafür sei herzlich zumindest sein sollte bzw. werden kann), gedankt. findet seinen Weg in jene Medien, die unter den heutigen Bedingungen produ Wie bei jedem bisherigen Wechsel in der ziert und vertrieben werden. Von daher hat Herausgeberschaft seit 1947 kann man „Amt und Gemeinde“ seinen zwar einge ches abgeschlossen werden. Einige der grenzten, aber dennoch klar bestimmba Genannten werden – wie ich selbst auch – ren Platz im Leben der Kirche. mit dem Sommer 2019 ihr Engagement für „Amt und Gemeinde“ beendet haben. „Amt und Gemeinde“ verändert sich in Andere werden weiter dranbleiben. Ei der inhaltlichen Ausrichtung und im Er niges wird zu Ende gehen, anderes wird scheinungsbild und bleibt sich selbst doch weitergeführt, manches wird neu. Her durch die Jahrzehnte treu. Jeder Bischof künftiges und Zukünftiges, Kontinuität als Herausgeber hat mit dem Team der Re und Neuerung greifen ineinander. daktion eigene Akzente gesetzt. Dass dies auch in den letzten Jahren möglich gewe Herzlichen Dank für das Vergangene und sen ist, ist vielen verdankt. Zuerst seien alles Gute für das, was kommt, die ehrenamtlichen Redaktionsmitglie der genannt: Karl Schwarz, Jutta Henner, Michael Bünker Amt und Gemeinde 223
ERINNERN UND GEDENKEN Evangelische Kirchen in Mittel- und Südeuropa – aktuelle Herausforderungen Vortrag des Bischofs der Evangelisch-methodistischen Kirche von Mittel- und Südeuropa auf der gesamtösterreichischen Pfarrer*innentagung der Evangelischen Kirchen im August 2018. Von Patrick Streiff Einführung Ich möchte in einem ersten Teil ganz knapp das Bischofsgebiet vorstellen, da Ich möchte mich herzlich bedanken für mit Ihnen mein eigenes Arbeits- und Er die Einladung, an Ihrer Pfarrer- und Pfar fahrungsgebiet besser verständlich wird. rerinnentagung zu diesem Thema zu spre Auch wenn es den Namen „Mittel- und chen. Ich mache es selbstverständlich aus Südeuropa“ trägt, umfasst es sehr viel meiner Perspektive als Bischof der Evan mehr Länder, als Sie mit dem mir gestell gelisch-methodistischen Kirche (EMK) in ten Thema geographisch bezeichnet ha Mittel- und Südeuropa. Wie Sie wissen, ben. In einem zweiten Teil möchte ich ei sind wir zwar eine weltweite Kirche, da nige markante Punkte aus der Geschichte und dort eine der größten protestantischen von Mitteleuropa und Balkan von kom Kirchen, aber in ganz Europa in jedem munistischer Zeit bis heute ins Bewusst Land eine kleine Minderheitenkirche. Das sein bringen, da wir ohne sie die aktuel prägt meinen Blickwinkel auf das Thema. len Herausforderungen nicht verstehen 224 Amt und Gemeinde
können. Die Teile drei bis sechs nehmen Frankreich, Kroatien, Makedonien, Öster dann die aktuellen Herausforderungen reich, Polen, Rumänien, Schweiz, Serbien, für die Evangelischen Kirchen in Mittel- Slowakische Republik, Tschechische Re und Südeuropa näher in den Blick: Teil publik, Tunesien, Ungarn. Mit Ausnahme 3 beleuchtet den gesellschaftlichen Kon von Albanien, Kroatien und Rumänien, text heute; Teil 4 geht auf die anhaltende in denen die kirchliche Arbeit erst nach inner-europäische Migration ein; Teil 5 der Wende wiederaufgenommen wurde, fokussiert auf die zwischenkirchliche bzw. gab es im Prinzip in allen Ländern nach multireligiöse Situation in den einzelnen dem Zweiten Weltkrieg eine methodis Ländern und deren Auswirkung auf die tische Präsenz. Das Bischofsgebiet von evangelischen Kirchen; Teil 6 schließlich Mittel- und Südeuropa war während der geht auf die nationale Identitätssuche und Ost-West Trennung das einzige innerhalb die multi-ethnische Situation ein. Da Mit der EMK, das diese Grenzziehung über tel- und Südeuropa aus einer Vielzahl sehr brücken konnte. unterschiedlicher Länder besteht, wird es In den sechzehn Ländern mit über immer wieder nötig sein, konkret genug zwanzig verschiedenen Sprachen gibt es zu bleiben und die Unterschiede nicht mit über 300 Ortsgemeinden. Zur Kirche zäh Allgemeinheiten zu überdecken. len sich gut 13 000 erwachsene Mitglieder Eine letzte Vorbemerkung: Ich lese („Bekennende Glieder“, die zu einem frei recht regelmäßig Artikel, seltener Bücher, gewählten Zeitpunkt in einer Bekennt zu diesem spezifischen Themengebiet, nisfeier sich verbindlich der Kirche an verzichte aber weitgehend auf Verweise schließen wollen). Insgesamt zählen sich auf andere Autorinnen und Autoren. rund 25 000 Personen, inklusive Kinder, zum Kreis derer, die mehrmals jährlich an Angeboten der Kirche teilnehmen. Etwas 1. Das Bischofsgebiet über 200 Frauen und Männer sind in pas der EMK von Mittel- toraler Verantwortung in der Kirche tätig. und Südeuropa – ein Überblick 2. Mitteleuropa und Balkan Für den ersten Teil, einen Überblick über – aus der Geschichte das Bischofsgebiet der EMK von Mittel- von kommunistischer und Südeuropa hier stichwortartig einige Zeit bis heute Hinweise. Ausführlichere Darstellungen finden sich auf der offiziellen Webseite: Wie bereits kurz angesprochen, gehörten www.umc-cse.org. in kommunistischer Zeit alle Länder west Folgende Länder (in alphabetischer lich der UdSSR zum Bischofsgebiet von Reihenfolge) zählen zum Bischofsgebiet: Mittel- und Südeuropa, währenddessen Albanien, Algerien, Belgien, Bulgarien, in der UdSSR selber die methodistische Amt und Gemeinde 225
Arbeit zerstört und aufgegeben werden unterschiedlichen Zeitpunkten in den musste. Die Entwicklung verlief aber auch verschiedenen Ländern. Der Bischof in kommunistischer Zeit in den einzel erhielt dann ein Visum zumindest für nen Ländern von Mitteleuropa und dem die jährliche Konferenz, da und dort Balkan sehr unterschiedlich. Es war kei wurde ihm auch erlaubt, Gemeinden neswegs ein gemeinsamer „Ostblock“, zu besuchen. Als es in Ungarn 1974 zu in dem alles genau gleich war. Wie un einer Kirchenspaltung kam, wollten der terschiedlich die Situation zwischen der Bischof und die ungarische Kirchenlei kommunistischen Machtergreifung und tung die Sache nicht vor weltliche Ge deren Zusammenbruch war, können zwei richte bringen, obwohl die staatlichen Beispiele deutlich machen: Organe immer wieder darauf drangen, • In der Tschechoslowakei vertraten die dass sie den Bischof und die Kirchen Kommunisten bei Amtsantritt die An leitung aktiv unterstützen möchten. sicht, dass eine private Unterstützung Ganz anders wiederum war die Situ der Pfarrer (damals nur männlich) – ation in Bulgarien. Dort blieb es dem und zudem noch bei einer möglichen Bischof während der gesamten kom Unterstützung aus dem Ausland – eine munistischen Zeit untersagt, mit einem Idee der Bourgeoisie sei und deshalb offiziellen Visum einzureisen und die abgeschafft gehöre. Der Staat wollte Evangelisch-methodistische Kirche als bewusst alle Arbeitnehmer und -neh eigenständige Kirche zu organisieren. merinnen entlohnen, also auch die Die staatlichen Organe hatten mitge Pfarrer. Dieses System hat den Kom holfen, die drei miteinander verbun munismus überdauert. Erst seit kurzem denen protestantischen Kirchen über läuft in der Tschechischen Republik einen von ihnen approbierten Bischof eine mehrjährige Übergangsphase von zu leiten. Der Bischof der EMK hätte einer staatlichen Besoldung zu einer höchstens als privater Tourist reisen privaten durch die Kirchen. In der Slo dürfen, was er immer abgelehnt hat. wakischen Republik wird das System der staatlichen Besoldung noch immer Was hat meine eigene Perspektive ge weitergeführt. prägt? Ich bin 1955 geboren. Meine Eltern • In keinem kommunistischen Land erlebten die Ungarnkrise 1956 und unga war dem Bischof der EMK (es waren rischen Flüchtlinge, die die Schweiz auf Schweizer Staatsbürger) erlaubt, die nahm. Mein Vater war immer interessiert Tagungen der Jährlichen Konferenz am politischen Geschehen in der Welt. (Synode) zu präsidieren, wie es von Für mich wurde das Erlebnis des Prager der Kirchenordnung vorgesehen ist. Frühlings 1968 sehr einschneidend. Ich Zu Beginn, in stalinistischer Zeit, gab war damals ein Teenager. Ich verfolgte es auch keine Einreisevisas, anschlie gespannt die politische Öffnung zu Rede- ßend lockerte sich die Situation zu und Meinungsfreiheit. Und dann prägte 226 Amt und Gemeinde
sich mir ein, wie im August – vor genau macht, wie künstlich und ideologisch 50 Jahren – die Truppen des Warschauer bedingt diese Trennung in zwei unter Pakts mit Panzern auffuhren, um den „So schiedliche Welten war. Das Wort vom zialismus mit menschlichem Antlitz“ nie „Eisernen Vorhang“ war für mich immer derzuwalzen.1 Wie in der Ungarnkrise zu sehr politisch überladen. Im größeren zeichnete sich die Schweiz durch eine geschichtlichen Horizont war mir schon grosszügige Flüchtlingspolitik aus und damals bewusst, dass die Mitte Europas in nahm in kürzester Zeit weit über 10 000 diesen Ländern lag und liegt. Für uns als Flüchtlinge auf. In den 80er-Jahren be EMK kommt dazu – und das gilt zum Teil suchte ich dann vor allem Ungarn regel auch für die anderen evangelischen Kir mäßig im Rahmen von kirchlichen Tagun chen: wir haben uns an sehr vielen Orten gen, weil dies ein günstiger Treffpunkt aufgrund der deutschsprachigen Ansied war, um sowohl vom Westen als auch aus lungen in Mittel- und Osteuropa und im anderen kommunistischen Ländern anrei Balkangebiet ausgebreitet. Die deutsch sen zu können. Ich erlebte mit, wie un sprachigen Gebiete waren in Europa vor terschiedlich viel Freiraum die Kirchen den beiden Weltkriegen geographisch damals für ihre Arbeit in den einzelnen sehr viel ausgedehnter. In vielen dieser kommunistischen Ländern hatten. Als Regionen kam es über die Ansiedlung dann 1989 die Flucht vieler Menschen, deutschsprachiger Bauern und Händler vor allem aus der DDR über Ungarn in zur Gründung evangelischer Kirchen. Es den Westen erfolgte, stand für mich die ist ein gemeinsamer Kulturraum gewesen, ungewisse, bange Frage im Vordergrund: auch wenn er nicht uniform war. Wie lange wird das noch dauern, bis wie Die politische Wende im Jahr 1989 kam der Panzer auffahren? Der Fall der Berli völlig überraschend. Für die Menschen in ner Mauer war für mich zunächst irreal. jenen Ländern war sie begleitet von gro Es dauerte einige Tage, bis ich überzeugt ßen Träumen von Freiheit und westlichem war, dass die politische Umwälzung – zu Wohlstand. Die Zeit der Wende und was mindest für die DDR – irreversibel ist. dann kam, erinnert mich an die biblische Sie sehen: Ich bin mit einer starken Geschichte vom Auszug aus der Sklave Prägung durch den Ost-West Konflikt rei und vom Traum vom gelobten Land, aufgewachsen. Meine Kenntnis der Ge wo Milch und Honig fließen. Religiös schichte hat mir aber auch bewusstge waren die 90er-Jahre tatsächlich geprägt von einer Aufbruchsstimmung und gro ßem Interesse am christlichen Glauben. 1 Am 21. August 1968 kam es zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts; am 26. August un Die Menschen hatten genug von den alten terschrieben die Reformer in Moskau ihr Geständnis Ideologien und suchten nach einem festen einer „Reform ohne Extreme“; am 16. Januar 1969 kam es zur Selbstverbrennung des Studenten Jan Grund für ihr Leben. Zumindest in unserer Palach in Prag; am 17. April 1969 wurde Alexander Dubček als Generalsekretär der kommunistischen eigenen Kirche prallten aber auch Gegen Partei durch Gustáv Husák ersetzt. sätze aufeinander: die bisherigen, treuen Amt und Gemeinde 227
Gemeindeglieder, die sich nicht vorstellen gene Klientel zu bedienen und in den vier konnten, zeugnishaft von ihrem Glauben Jahren ihrer Regierungszeit möglichst viel zu erzählen, weil man mehr als eine Gene zu profitieren. ration lang sich abkapseln und vorsichtig Nach dem ersten Enthusiasmus über sein musste, wem man was erzählte. Und den Fall der kommunistischen Regierun daneben westliche Missionsgruppen oder gen wurde langsam auch bewusst, dass Neubekehrte im eigenen Land, die intensiv nicht alles Frühere nur schlecht war. In und enthusiastisch evangelisieren wollten. der Sozialgesetzgebung war manches viel In den 90er-Jahren gab es eine große Of fortschrittlicher als im Westen, aber auf die fenheit gegenüber christlichen Aktivitäten. Dauer nicht finanzierbar. Deutlich wird Um das Jahr 2000 hat sich das Blatt gewen dies zurzeit in Osteuropa an den Protes det. In den letzten 15–20 Jahren sind die ten in Russland, weil die Regierung das Menschen viel vorsichtiger und zurückhal Rentenalter erhöhen will. Wir lesen dabei tender geworden. Als Beispiel: wenn in den auch, wie niedrig die Renten sind. Doch 90er-Jahren eine christliche Gruppe auf der das hängt weitgehend damit zusammen, Straße eine evangelistische Aktion plante, dass die Renten nicht mehr der Teuerung kamen die Leute und wollten sich anhören, angepasst werden konnten. In kommunis was da läuft und gesagt wird. Heute ma tischer Zeit erlaubte das niedrige Ruhe chen die Menschen in Mitteleuropa einen standsalter und die weitere Erwerbstätig genauso weiten Bogen darum herum wie keit (die es in vielen Berufsgattungen gab) in Westeuropa. den Pfarrerinnen und Pfarrern in der Regel, Die Wende ließ die Menschen vom ge ein Haus im Familienbesitz als Alterswohn lobten Land träumen. Was aber kam, war sitz herzurichten. In Serbien hatten wir eine Wüstenzeit für den größten Teil der sogar die Situation, dass Pfarrpersonen Bevölkerung. Niemand war darauf vorbe beim Eintritt in den Ruhestand eine hö reitet. Es kam ein chaotischer Umbruch, here Rente erhalten haben, als ihr früheres in dem sich einige Wenige maßlos berei Gehalt. Die meisten Länder Mitteleuropas cherten und die meisten Menschen ums und des Balkans haben noch heute eine viel Überleben kämpften. Hohe Arbeitslosig großzügigere Regelung für Mutterschafts keit, extreme Teuerung und der Zusam urlaub als die westlichen Länder. So wird menbruch des staatlichen Arbeits-, Lohn- verständlich, dass die Sehnsucht nach den und Sozialnetzes prägten die 90er-Jahre. „Fleischtöpfen Ägyptens“ bei manchen Auch politisch gab es kaum Stabilität, je Menschen im idealisierten Rückblick auf südlicher in Mitteleuropa desto weniger. die Zeit vor 1989 wach geblieben ist. Alle vier Jahre wechselte die Regierung, Es ist ein eher neueres Phänomen, dass einmal sogenannt bürgerlich, das nächste Parteien mehrmals hintereinander Wahlen Mal sogenannt sozialdemokratisch. Im gewinnen, wie es zurzeit in vielen Län Grund herrschte aber die gleiche Gesin dern Mitteleuropas der Fall ist. In der ers nung: Jede Regierung versuchte, ihre ei ten Phase nach 1989 war natürlich für die 228 Amt und Gemeinde
meisten Menschen das „gelobte Land“ Prozess und wird es weiterhin sein. Frie ihrer Träume geprägt vom Westen (West denssicherung, Menschenrechte und ge europa oder die USA). Die Möglichkeit, waltfreie Lösung von Konflikten, wie es in die EU aufgenommen zu werden und vor allem im Bereich des Europarats und Mitglied der NATO zu werden, war begeh der OSZE wichtige Anliegen sind, werden renswert. Heute schwingt bei vielen die Ent weiterhin ständige Themen bleiben. Eu täuschung über die EU oben aus. Die Angst ropa hat zwar insgesamt seit dem Zweiten vor „westlichem Liberalismus“ wird von Weltkrieg eine lange Friedenszeit auf fast manchen rechts-bürgerlichen Regierungen dem ganzen Kontinent gehabt, aber die zurzeit bewusst eingesetzt, um die eigene Jugoslawienkriege Ende der 90er-Jahre Machtbasis auszubauen. Man nimmt na und vor kurzem der gewaltsame Konflikt türlich gerne die finanzielle Unterstützung in der Ostukraine und der Krim rufen in durch die EU-Osterweiterung entgegen und Erinnerung, wie rasch der Friede gefähr möchte Investitionen anziehen, versucht det sein kann. Aus meinem Blickwinkel aber zugleich, den Markt spielen zu las scheint mir die EU zurzeit weitgehend sen und ist für Avancen von anderen politi absorbiert mit wirtschaftlichen Fragen schen Machtträgern, Russland, der Türkei (inkl. Brexit). Demgegenüber fehlt eine und neuerdings verstärkt auch China, offen. gemeinsame politische Agende. Zurzeit wird oft geklagt, wie insta Blicken wir nun auf einige Herausforde bil die Situation, gerade in der EU, sei. rungen für die evangelischen Kirchen (bzw. Ich denke nicht, dass wir heute in einer die Kirchen überhaupt) in der gegenwär weniger stabilen Zeit leben als vor zehn tigen Situation in Mittel- und Südeuropa. oder zwanzig Jahren. Nicht einmal vor der Wende und sicher nicht nach der Wende gab es je eine stabile Zeit, aber im Rück blick werden die Unsicherheiten geglättet 1981: Süderweiterung I auf 10 Länder: neu mit Griechenland; und beim Blick in die Zukunft erscheint alles viel bedrohlicher. Wir sollten nicht 1986: Süderweiterung II auf 12 Länder: neu mit Portugal und Spanien; vergessen, dass auch die EU erst langsam (1990: Deutsche Wiedervereinigung: BRD + DDR zu dem geworden ist, was sie heute ist.2 gemeinsam als Deutschland) Der ganze Prozess der EU-Erweiterung 1995 EFTA-Erweiterung auf 15 Länder (EU: war ein risikoreicher und langwieriger Europäische Union): neu mit Österreich, Schweden, Finnland; ohne Norwegen (erneut negative Volksab stimmung) 2 1957 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit sechs 2004: Osterweiterung I auf 25 Länder: neu mit Est Ländern: Belgien, BRD, Frankreich, Italien, Luxem land, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, burg und Niederlande; Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern 1973 Norderweiterung auf 9 Länder (EG: Europä 2007: Osterweiterung II auf 27 Länder: neu mit ische Gemeinschaft): neu mit Dänemark, Irland, Rumänien und Bulgarien Vereinigtes Königreich; ohne Norwegen (negative 2013: Südosterweiterung auf 28 Länder: neu mit Volksabstimmung); Kroatien Amt und Gemeinde 229
3. Der gesellschaftliche teressiert, weil die Firmen Rechtssicher Kontext für evangelische heit brauchen, um Geschäfte tätigen zu Kirchen in Mittel- und können. Doch Rechtssicherheit kommt Südeuropa heute insgesamt allen Bürgerinnen und Bürgern zugute. Sie ist ein gefährdetes Gut, dem Im dritten Teil versuche ich, auf den Sorge zu tragen ist. heutigen gesellschaftlichen Kontext für Blickt man auf die Länder im Balkan, evangelische Kirchen einzugehen. Dabei die nicht Mitglieder der EU sind, so fällt muss unterschieden werden und zwar in zunächst auf, dass sie rundum von EU- mehrfacher Hinsicht. Zunächst in Bezug Ländern umgeben sind. Sie sind nicht auf die EU-Mitgliedschaft der einzelnen etwa irgendwo am Rande von Europa, Länder. wie man es bei der Türkei sagen kann. Die EU-Erweiterungen (2004, 2007, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Monte 2013) haben einen immensen Transfor negro, Kosovo, Makedonien und Albanien mationsprozess in Gang gesetzt. Die wirt sind als Nicht-Mitgliedsländer im Norden schaftlichen Veränderungen hin zu einer angrenzend an Kroatien, gegen Nordosten Marktwirtschaft sind zwar mehr oder und Osten an Ungarn und Bulgarien und weniger in allen Ländern spürbar, aber gegen Süden an Griechenland. Weil die die EU hat einen gemeinsamen Rechts EU im Moment auf den Brexit und die raum geschaffen, der sowohl bezüglich Eurokrise fixiert ist, fehlt ihr der politische der Freizügigkeit von Personen, Gütern Wille zu klaren Signalen an diese nicht- und Dienstleistungen als auch des ge EU-Länder bzw. der politische Wille zur samten EU-Rechts in der europäischen Umsetzung dessen, was man bereits vor Geschichte seinesgleichen sucht. Die EU fünfzehn Jahren(!) als nächstes großes hat dabei auch Ansprüche an die Gewal Ziel bezeichnet hatte.3 Umso mehr ver tenteilung im modernen demokratischen Staat gestellt, die überhaupt erst größere 3 EU-Gipfel in Thessaloniki 2003: Integration der Rechtssicherheit für alle Bürgerinnen und Westbalkan-Länder (Albanien und Nachfolgestaaten Jugoslawiens) als nächstes grosses Ziel. (Beitritts Bürger eines Landes gewährleistet. Natür kandidat = assoziiertes Mitglied der EU; aber nicht lich wissen und hören wir alle über den automatisch schon Beitrittsverhandlungen) Korruptionssumpf und Mafia-ähnliche 2013: Kroatien wird EU-Mitglied Verbindungen in vielen Ländern, die nun Albanien: 2009 Beitrittsgesuch; 2014 Beitrittskandidat zur EU gehören, aber in den Ländern, die Mazedonien: 2004 Beitrittsgesuch, dann Tod von zur EU gehören, kann wenigstens Ein Staatspräsident Boris Trajkovski; 2005 Beitrittskan didat; Namensstreit mit Griechenland spruch gegen solche Praktiken erhoben Montenegro: 2008 Beitrittsgesuch; 2010 Beitritts werden, weil es grundsätzlich einen ge kandidat meinsamen Rechtsrahmen gibt. Die EU ist Serbien: 2009 Beitrittsgesuch; 2012 Beitrittskandidat wesentlich aus wirtschaftlichen Gründen Türkei: 1959 Beitrittsgesuch; 1999 Beitrittskandidat; an diesem gemeinsamen Rechtsraum in 2005 Beitrittsverhandlungen 230 Amt und Gemeinde
suchen Russland, die Türkei und neuer len, tönen für sie völlig überzogen, denn dings auch China in das Vakuum vorzu so anders und schlimm kann es doch gar stoßen mit ihren eigenen Interessen. Und, nicht gewesen sein. Sie orientieren sich wie bereits zuvor gesagt, ist das Interesse nur noch an der Welt des 21. Jahrhun dieser mächtigen Staaten auch für man derts und der digitalen Vernetzung. Wel che EU-Mitgliedsländer willkommen im che Perspektiven bieten sich ihnen dann Kräftespiel mit Brüssel. in ihrer Heimat? Oder sollten sie ebenso Für die evangelischen Kirchen stellt auswandern wie viele andere? sich bereits in den EU-Ländern von Mit Die Aufbauarbeit, die Jean und Wil teleuropa und Balkan, aber insbesondere fried Nausner in Albanien, in einer unse in den nicht EU-Ländern die Frage, ob sie rer jüngsten Missionsgründungen, leis der ansässigen Bevölkerung eine Hoff ten, ist ein leuchtendes Beispiel für ein nungsperspektive geben können, um im ganzheitliches Verständnis und Umset Land zu bleiben und sich für den Aufbau zen des Evangeliums. Gemeinsam mit des Landes einzusetzen. Nicht überall den Kirchengliedern vor Ort überlegen ist zum Glück die Abwanderung so stark sie sich, in welchem Bereich der Gesell wie unter den Lutheranern in Siebenbür schaft sie eigenes Potential haben, um gen, wo nur noch ein Zehntel dort wohn etwas zum Wohl der Menschen zu tun. haft geblieben ist (vgl. nachfolgend zu Daraus sind ein Nähatelier von und für Migration). Als Kirchen können wir der Frauen, Landwirtschaftsprojekte, und Be Bevölkerung in diesen Ländern nur eine hindertenbetreuung entstanden. Natürlich Hoffnungsperspektive geben, wenn wir ist dies in Albanien nur ein Tropfen auf ein ganzheitliches Verständnis des Evan einen glühend heißen Stein, aber für die geliums leben. In der Tradition Wesleys Albanerinnen und Albaner, die sozial- rede ich dann gerne von persönlicher und diakonische Aktivitäten erleben, macht es sozialer Heiligung, also der Verbindung einen Unterschied. Solches Tun des Guten von Glaube und Tat; von persönlichem lässt aufhorchen und macht das christliche Gottesbezug und Tun des Guten für an Zeugnis glaubhaft und ansteckend. dere; von Liebe zu Gott und Liebe zum Nächsten. Wir Älteren sollten dabei nicht vergessen: Die heute 30-Jährigen kennen 4. Die anhaltende inner- die Zeit vor der Wende nicht mehr. Die europäische Migration Geschichten, die ihnen ihre Eltern erzäh als Herausforderung für die Kirchen Potentielle Beitrittskandidaten: Im vierten Teil möchte ich die inner-eu Bosnien und Herzegowina: 2008 Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen; 2016 Beitrittsgesuch ropäische Migration ansprechen. Wir re Kosovo: noch in Verhandlung über Stabilisierungs- den zu Recht in Europa über die Flücht und Assoziierungsabkommen lingsfrage und welche Politik unsere Amt und Gemeinde 231
Regierungen in Bezug auf die Migrati Wer abwandert, sind die Erwachsenen onsströme aus dem Mittleren Osten und im erwerbsfähigen Alter, die oft schon Afrika einschlagen sollten. Wir vergessen eine Familie gegründet haben. So bleibt darüber aber oft die inner-europäische ein Elternteil mit den Kindern zurück, Migration von Ost nach West und von oder öfters als man meint, gehen beide Süd nach Nord. In der Vorbereitung auf Elternteile und geben die Kinder in die diesen Beitrag erschien in der Neuen Zür Obhut der Großeltern. So radikal, dass cher Zeitung ein Artikel über diese inner- gleich beide Elternteile ins Ausland ge europäische Migration4. hen, ist es zumindest in methodistischen Es gibt auch beim Thema der inner- Kreisen kaum. Der hohe Stellenwert der europäischen Migration eine Unterschei Familie in christlichen Kreisen hält wohl dung zwischen EU- und Nicht-EU-Län viele davon ab. Dass aber ein Elternteil dern auf Grund der Personenfreizügigkeit im Ausland arbeitet und Geld verdient, innerhalb der EU-Länder. Der EU-Bei kommt häufig vor. Welche Langzeitfolgen tritt hat zu einer erhöhten Wanderungs wird dies für gewachsene Sozialstrukturen bewegung geführt. Beispiel dafür wäre und sozialen Zusammenhalt in (Groß-) die starke Auswanderung von Polen nach Familien haben? Großbritannien und Irland, weil dort die Für evangelische Kirchen in den Ab Personenfreizügigkeit sehr schnell und wanderungsländern erwachsen neue Her ohne längere Übergangsfristen gültig ausforderungen, sowohl gegenüber direkt wurde. Kürzlich habe ich in den nicht- betroffenen eigenen Gemeindefamilien EU-Ländern des Balkans aber erfahren als auch in Bezug auf offene Angebote müssen, dass die Abwanderung dort noch der Kinder- und Teenagerarbeit für all stärker ist und ein bedrohliches Ausmaß jene, die „zu Hause“ geblieben sind. Die annimmt. Wie ist das möglich? Man sucht Herausforderung ist umso schwieriger, als z. B. nach direkten Vorfahren, die aus ei oft auch in den eigenen Reihen fähige Per nem EU-Land zuzogen, und kann sich sonen für die Arbeit mit Kindern und Ju dann in dem entsprechenden EU-Land gendlichen ins Ausland abgewandert sind. erleichtert einbürgern lassen und hat da Es gibt noch eine weitere Herausforde mit die EU-Freizügigkeit. Aufgrund der rung aus umgekehrter Sicht auf die Mi guten Wirtschaftslage und dem Mangel gration: wie offen sind unsere Kirchen nicht nur an Fachkräften, sondern oft auch und Gemeinden in Westeuropa, um den an einfachen Fabrikarbeitern in vielen Menschen Heimat zu bieten, die aus Mit EU-Ländern, ist die Chance groß, zu ei teleuropa oder dem Balkan zu uns kom ner Arbeitsstelle im Ausland zu kommen. men? Nehmen wir sie wahr? Sind wir eine einladende Gemeinschaft, die ihnen z. B. über die ersten Sprachbarrieren hin 4 Neue Zürcher Zeitung, 31. Juli 2018. Der Artikel war verbunden mit einer interessanten Grafik, die einige weg hilft? Auch in unserer Evangelisch- der Länder und ihre Ab- bzw. Zuwanderung darstellt. methodistischen Kirche muss ich öfters 232 Amt und Gemeinde
solche Fragen stellen, denn obwohl wir Gegenüber, währenddessen die Luthera uns gerne rühmen, eine weltweite Kir ner deutlich kleiner sind. Und dann gibt che zu sein, müssen auch wir noch viele es eine Reihe von Ländern, in denen or Lernschritte machen, um die Migration thodoxe Kirchen seit Jahrhunderten das als positive Chance zu nutzen. Land und Volk prägen, wobei die Länder im süd-östlichen Teil Europas jahrhunder telang zum Osmanischen Reich gehörten. 5. Die zwischenkirchliche In jenen Ländern ist der Islam über lange bzw. multireligiöse Zeiträume und in einer Ausbreitung prä Situation in Mittel- sent, wie es für Menschen in Westeuropa und Südeuropa völlig ungewohnt ist. Als Evangelisch-methodistische Kir In Teil 5 möchte ich auf die zwischen che sind wir in all diesen Ländern eine kirchliche bzw. multireligiöse Situation in ganz kleine Minderheitenkirche. Als sol Mittel- und Südeuropa eingehen, wiede che sind wir vermutlich noch stärker als rum mit der Frage, welche Herausforde größere, evangelische Kirchen mitgeprägt rungen dies für die evangelischen Kirchen vom jeweils größeren, kirchlichen Ge mit sich bringt. genüber. Allerdings ist es oft gar nicht Bei dieser Themenstellung spielt die so leicht, diese Prägung zu beschreiben, Mitgliedschaft in der EU keine Rolle. Die da es sowohl Elemente der Adaption als Situation ist tatsächlich von Land zu Land auch der Abgrenzung gibt. Aber das Ge sehr verschieden, mit der einzigen Ge genüber, das man zum Vergleich wählt, meinsamkeit, dass in keinem der Länder ist die jeweils prägende Mehrheitskirche eine evangelische Kirche eine Mehrheits oder die größte unter den evangelischen stellung hat. Es gibt in jedem Land eine Kirchen, und insofern fällt das Verglei nicht-evangelische Mehrheitskirche, die chen je nach Kontext mit unterschiedli in den meisten Fällen sehr prägend ist chen anderen Kirchen aus. für das Land. In Polen ist es die römisch- Eine nicht unwichtige Begleiterschei katholische Kirche, ebenso in der Slowa nung dieses unterschiedlichen Kontextes kei oder in Kroatien. In Tschechien ist die und Vergleichspunktes ist die Tatsache, römisch-katholische Kirche zwar auch dass die Gleichstellung der Geschlechter die größte Kirche, aber über die Hälfte im Bereich der Kirche noch keineswegs aller Bürgerinnen und Bürger zählen sich selbstverständlich ist. Grundsätzlich hat zu gar keiner Kirche – Tendenz stark zu die Evangelisch-methodistische Kirche nehmend. Dadurch ist das ökumenische zwar seit 1956 die Regelung, dass alle Klima in Tschechien sehr viel offener als Ämter der Kirche ohne Unterschied bei in anderen Ländern. In Ungarn hat die den Geschlechtern offenstehen. Doch in römisch-katholische Kirche in der refor der Umsetzung in die Praxis ist dies in mierten Kirche ein doch sehr bedeutendes einem ausgeprägt römisch-katholischen Amt und Gemeinde 233
oder ausgeprägt orthodoxen Umfeld deut gelobten Land erzählten, weicht jetzt in lich schwieriger. Im Balkanraum ist auch den Ländern Richtung Osten der Traum insgesamt die patriarchale Prägung der vom Westen einer Angst vor negativen Gesellschaft noch viel ausgeprägter. Als Einflüssen liberaler „Riesen“. Je stärker Methodisten können wir zwar anknüp man gegen Osten blickt, umso vehementer fen an die Aufbauarbeit von sogenann werden sozial-ethische Fragen auf einem ten „Bibelfrauen“ um 1900, die wesent Verständnishintergrund bearbeitet, dass es lich zum Aufbau der Kirche beigetragen um einen Kampf geht zugunsten des Er haben. Wir haben auch Kriegsjahre durch halts traditioneller Werte und gegen einen lebt, in denen nur oder fast nur Frauen militanten Säkularismus. Entsprechend kirchliche Aufgaben wahrnehmen konn heftig ist man überzeugt, dass man ei ten. Aber dennoch muss eine Frau noch nen Schutzwall dagegen aufbauen müsse. heute deutlich höhere Qualifikationen Dies ist z. B. in den Themenbereichen von aufweisen, um nicht Vorbehalte gegen Abtreibung oder gleichgeschlechtlichen über einer Empfehlung zu einem kirch Beziehungen bzw. Ehedefinition deutlich lichen Amt zu ernten. Ich vermute, dass spürbar. In der Evangelisch-methodisti dies in lutherischen und reformierten schen Kirche erleben wir dies zur Zeit Kreisen sehr ähnlich ist, da mir in jenen sehr heftig, weil die Frage der gleichge Ländern nur selten Pfarrerinnen begegnet schlechtlichen Lebensformen nach bald sind und nie in kirchenleitender Funk fünfzig Jahren heftigen Streits auf der tion. Hier stellt sich meines Erachtens weltweiten Ebene der Generalkonferenz eine wichtige Herausforderung für die an einer Sondertagung der Generalkon evangelischen Kirchen und vor allem für ferenz im Februar 2019 gelöst werden kirchenleitende Männer, Frauen bewusst sollte.5 in der Übernahme verantwortungsvoller Aufgaben in der Kirche zu fördern. Aktuell ist auch im Blick auf ethische 6. Nationale Identitätssuche Fragestellungen in Mitteleuropa und dem und multi-ethnische Balkan eine starke Tendenz zu spüren, Situation in Mittel- dass die Gesellschaft (nicht nur die Kir und Südeuropa chen, sondern oft auch staatliche Medien und Gesetzgebung) die Gefahr des westli Im letzten Teil möchte ich einige Gedan chen Liberalismus beschwören, vor dem ken zur nationalen Identitätssuche und man sich schützen und die traditionel zur multi-ethnischen Situation in den ver len, christlichen Werte hochhalten muss. schiedenen Ländern aufgreifen. Oder in der biblischen Metapher der Aus zugsgeschichte und Wüstenwanderung: 5 Anmerkung (Dezember 2019): Es kam an der Gene wie das Volk Israel vor Angst erstarrte, ralkonferenz im Februar 2019 zu keiner Lösung. Der als die Kundschafter von „Riesen“ im Streit schwelt weiter. 234 Amt und Gemeinde
Mit der Wende 1989 verband sich die die christlichen Kirchen aufgrund ihres Hoffnung, den Ost-West Graben zu über Glaubens eine Vorhut versöhnter ethni winden und ein geeintes Europa aufbauen scher Gemeinschaft sein. Allerdings zeigt zu können. Doch was entstand, war zu sich gerade in dieser Frage, wie stark na nächst ein wilder Nationalismus, in dem tionales Denken die meisten Kirchen be sich alte (Bsp. Serbien) oder neue (Bsp. stimmt. Ich nenne als Beispiel Serbien: Slowakei) Führerpersönlichkeiten profi die traditionelle Aufteilung ist völlig klar, lierten, um nationalistische Träume zu denn Serben sind orthodox, Slowakisch verfolgen und neue Staaten zu gründen sprachige sind lutherisch und Ungarisch oder Staatsgrenzen zu verändern. Wenn sprachige sind reformiert. Nur die kleine Ideologien zerbrechen, ist es naheliegend, Evangelisch-methodistische Kirche, ur dass die Identitätssuche sich auf die ge sprünglich entstanden unter deutschen meinsame Nation oder Sprache zurückbe Siedlern, dann missionarisch tätig unter sinnt, um ein Gemeinwesen aufzubauen. den sich ansiedelnden Slowaken, arbeitet Nationale Identitätssuche ist meines Er in allen drei Sprachen unter allen Ethnien, achtens nicht an sich negativ zu bewerten. und dazu noch in Romagemeinschaften. Wir sind als Beziehungswesen geschaffen, Gerade weil wir eine kleine Minderheiten wobei sich das Beziehungsnetz natürli kirche in jedem Land sind, ist die Gefahr cherweise in einem mehr oder weniger ethnischer oder nationalistischer Identifi überschaubaren Raum von Großfamilie, kation in der EMK deutlich kleiner. Und Clan oder Interessenverbund abspielt. deshalb wird in der EMK in Europa eine Will man darüber hinaus ein größeres trans-nationale Dimension der weltweiten Gemeinwesen wie einen nationalen Staat Struktur besonders geschätzt. Es bleibt aufbauen, braucht es gemeinsame Identi meines Erachtens eine Herausforderung tätsfaktoren. Insofern ist nationale Identi für alle evangelischen Kirchen (auch die tätssuche ein natürlicher Vorgang. Wenn EMK), diesen trans-nationalen Charakter die Nation aber nationalistisch überhöht des Kircheseins höher zu gewichten und wird, lauert die Gefahr von Machtmiss besser zu entwickeln. Die römisch-katho brauch gegenüber Menschen anderer Her lische Kirche ist hier den anderen Kirchen kunft. Die Jugoslawienkriege und die mit voraus, auch wenn meines Erachtens ihr ihnen verbundenen ethnischen Säuberun hierarchisch-rechtlicher Aufbau mehr dem gen bleiben in schrecklicher Erinnerung. Vorbild des römischen Reiches als dem Wenn nationale Identitätssuche in den Evangelium geschuldet ist. Nationalismus abdriftet, wird sie meist mit Zur multi-ethnischen Situation in den ethnischen Kategorien verbunden. Keine meisten Ländern von Mitteleuropa und europäische Nation war aber vor oder nach dem Balkan zählt auch ein oft hoher An 1989 ein ethnisch einheitlicher Staat. Alle teil an Romabevölkerung. Es sind fast waren multi-ethnisch, wenn auch in unter ausnahmslos sesshaft gewordene Roma. schiedlicher Intensität. Eigentlich müssten Sie haben unter der Wende besonders Amt und Gemeinde 235
gelitten, denn in kommunistischer Zeit an jungen Menschen, an Menschen mit wurde ihnen Wohnraum zur Verfügung universitärem Studium und an Romag gestellt, die Kinder verpflichtend in die liedern haben. Das ist ein guter wesleya Schule gesandt, die Eltern staatlich ange nischer Mix. In Anbetracht eines immer stellt und Sozialleistungen wurden ihnen wieder aufflammenden Nationalismus ausbezahlt. Nach der Wende haben die sind wir als Kirchen aufgefordert, zei allermeisten ihre Stelle verloren. Wenn chenhaft versöhnte Gemeinschaft über Kinder nie gesehen haben, dass ihre El die Differenzen von Ethnien, Sprachen tern zur Arbeit gehen, kann man ihnen und Kulturen hinaus aufzubauen. Es ist zwar sagen, sie sollten in die Schule ge eine der bleibenden Herausforderungen hen und einen Beruf erlernen, aber sie für alle evangelischen Kirchen. werden denken: wer wird mir je eine Ar beit geben? Wir haben als EMK in vie len Ländern Romagemeinden, manchmal Zum Schluss auch gemischte Gemeinden mit „Wei ßen“. Überall ist es aber eine kirchliche Zum Schluss noch ein kurzes Wort zum Arbeit, die sehr viel Geduld, liebevolle Miteinander der evangelischen Kirchen. Es Beziehungsarbeit und eine gute Mischung ist nirgends so gut wie bei Ihnen in Öster von Förderung und Forderung braucht. reich. Ich erwähne oft und gerne Österreich Für mich war es besonders erfreulich, als gutes Beispiel für ein aktives und en als ein Artikel nach der Volkszählung in gagiertes Miteinander der GEKE-Kirchen. Ungarn über die Methodisten schrieb, sie Hier können Sie in Ihren Kontakten mit an würden sich dadurch auszeichnen, dass deren Ländern Ansporn zur Nachahmung sie eine überdurchschnittlich hohe Zahl geben. – Herzlichen Dank! ■ 236 Amt und Gemeinde
ERINNERN UND GEDENKEN Geschichtetes Erinnern. Das Denkmal in der Grazer Heilandskirche In vielen evangelischen Kirchen in Österreich gibt es Denkmäler, welche an gefallene und vermisste Soldaten der Weltkriege erinnern. Matthias Weigold berichtet darüber, wie sich die Grazer Heilandskirche mit ihrem Kriegerdenkmal auseinandergesetzt hat. Von Matthias Weigold „Geschichte ist nicht set hielt.1 Im Anschluss daran stellte er nur Geschehenes, sich bei einer Konferenz dem Gespräch sondern Geschichtetes.“ mit jungen Israelis und Deutschen. Aus jenem Gespräch hat sich mir dieses Zitat D ieser Satz ist mir beim Studium in Jerusalem zugeflogen. Er stammt vom früheren württembergischen Landes eingeprägt: „Geschichte ist nicht nur Ge- schehenes, sondern Geschichtetes.“ Die ses Bild begleitet mich seitdem, im Blick bischof Hans von Keler. Gehört habe ich auf Geschichte und auch im Blick auf die ihn aus dem Mund des damaligen deut Erinnerung daran. schen Bundespräsiden Johannes Rau, der am 16. Februar 2000 als erstes deutsches 1 Die Rede ist hier dokumentiert: Staatsoberhaupt eine Rede vor der Knes www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/ Johannes-Rau/Reden/2000/02/20000216_Rede.html. Amt und Gemeinde 237
Das Denkmal in der Katholizismus zur Staatsideologie erhob, Grazer Heilandskirche wurde sie zur Handlangerin des National sozialismus. Erinnern wollten sich unsere Vorfahren an Besonders verstrickt war damals vor al die gefallenen Soldaten der beiden Welt lem die Grazer Heilandskirche. Die Pfarr kriege. Wie in vielen Kirchen errichteten gemeinde mit ihrem damaligen Pfarrer sie ihnen daher auch in der Grazer Hei Friedrich Ulrich und der von ihm herausge landskirche ein Denkmal: prominent ne gebenen Zeitschrift „Der Säemann“ spielte ben der Kanzel, drei monumentale Tafeln kirchenpolitisch und propagandistisch eine mit den Namen, zuerst „Unseren Helden führende Rolle, agierte als österreichischer 1914 –1918“ (1924) und dann erweitert Vorposten der „Deutschen Christen“. 3 um „1939 –1945“ (1949). Dazu das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Nie- mand hat größere Liebe denn die, daß er „Lernen wir miteinander zu sein Leben lässet für seine Brüder [sic!].“2 leben, nicht gegeneinander“ Ein Kriegerdenkmal, das – wie so viele – den Soldatentod glorifiziert – und Es hat lange gedauert, bis in der Gemeinde verschweigt, wie sie endeten, das ganze seit Mitte der 1970er-Jahre langsam be Grauen der Kriege. Ein Denkmal, das nur gonnen wurde, sich dieser Geschichte zu an die umgekommenen Landsleute erin stellen, Widerständen zum Trotz. Bahn nert und keinen Sinn hat für das Millio brechend für die Auseinandersetzung mit nenheer der toten und ins Elend gestürzten der antisemitischen Tradition in Theologie Menschen der vielen Völker, gegen die und Kirche und für das Engagement im diese Kriege geführt wurden. Daran woll christlich-jüdischen Dialog waren Othmar ten sich unsere Vorfahren nicht erinnern. Göhring (Pfarrer von 1975 bis 2000), ge Auch nicht erinnern wollten sie sich an meinsam mit Mitstreiter*innen wie Ulrich die Opfer des Nationalsozialismus; deren Trinks (Wien), Gerhard Beermann und Namen gerieten in Vergessenheit. Und Evi Krobath. schon gar nicht erinnern wollten sie sich Als sichtbares Zeichen dieser Ausei an die eigenen Verstrickungen. nandersetzung wurde 1992 im Zuge der Die Evangelische Kirche in Öster Innenrenovierung der Kirche nach hefti reich war seit der Wende zum 20. Jahr hundert tief verstrickt in die Ideologie 3 Siehe dazu die Diplomarbeit von Heinz Schubert, des Deutschnationalismus und damit ein Pfarrer Friedrich Ulrich. Ein Grazer evangelischer Geistlicher als Kirchenpolitiker, Publizist und hergehend des Antisemitismus. Konfron Antisemit, Karl-Franzens-Universität Graz 2005; tiert mit einem Staat, der den römischen vgl. seinen Beitrag „Pfarrer Friedrich Ulrich. Schlag lichter auf einen Grazer Geistlichen mit Strahlkraft im Spiegel des „Säemann“, in: Jahrbuch für die Ge schichte des Protestantismus 124/125 (2008/2009), 2 In Joh 15,13 ist nicht von „Brüdern“ die Rede, Schwerpunkt: Protestantismus und Nationalsozialis sondern von „Freund*innen“. mus in Österreich, Leipzig 2010, 121–196. 238 Amt und Gemeinde
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