GEWERKSCHAFT Neue Vorsitzende - SCHULE
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Juli / August 2021 KIJUSO GEWERKSCHAFT SCHULE Hilfe zur Neue Vorsitzende Ein Preis Selbsthilfe gewählt mit Prädikat
I C A R T O O N D E S M O N AT S I KO L U M N E Non vitae, sed scholae tiver Bürokratie im Sinn? Die Lebensnähe zu beschäftigen. Der Forderung, all das von Joshua Schultheis von Voll- und Teilkasko für Schüler*innen, schon in der Schule zu lehren, liegt der die noch gar kein Auto fahren, wäre ihm Irrtum zugrunde, sie könnte mit Didaktik sicherlich zweifelhaft. Eine Gedichtanalyse die Schüler*innen auf jede beliebige Le- I ch bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ne Gedichtsanalyse schrei- dagegen wäre für ihn als Römer, der in der Schule vor allem eines musste, näm- lich auswendig lernen, vermutlich eine benslage vorbereiten. Das kann sie aber nicht. Etwas, was sie kann: Gedichtanalysen und Fremdsprachen. ben. In 4 Sprachen.« Mit diesem Tweet unverhoffte, kreative Anwendungsaufgabe. löste die damals 17-jährige Schülerin Naina Und dann auch noch in vier Sprachen! Die eine Diskussion darüber aus, wie zeitge- Zahl ist zwar vielleicht etwas hochgegriffen, mäß und sinnvoll das an Schulen Gelehrte aber warum sollte ausgerechnet die Mög- ZEICHNUNG: RAINER DEMATTIO heute noch ist. Sie erhielt viel Zuspruch lichkeit, mehrere Sprachen an ihr zu lernen, für ihre Klage, die mittlerweile klassisch gegen die Schule sprechen? genannt werden kann. Schon Seneca be- Learning by doing: Wer möchte schon frü- schwerte sich: Non vitae, sed scholae dis- her als nötig Steuererklärungen schreiben Joshua ist Lehramtsstudent in Berlin. cimus – nicht für das Leben, sondern für oder sich mit Mietrecht beschäftigen? Vor In seiner Kolumne schreibt er über die Schule lernen wir. Doch hatte Seneca einem praktischen Anlass fehlt einem der Widersprüchliches und Kurioses in damit praktische Übungen in administra- Bezug und damit das Interesse, sich damit der Lehrer*innen-Ausbildung 2 CARTOON DES MONATS I KOLUMNE bbz | JULI/AUGUST 2021
I S TA N D P U N K T Es bleibt aufregend! Die Landesdelegiertenversammlung der GEW BERLIN hat ein neues Vorsitzenden-Team gewählt. Viel Zeit zum Eingewöhnen bleibt aber nicht hung und Bildung von Kindern, Jugendlichen und Martina Regulin, Vorsitzende der GEW BERLIN jungen Erwachsenen gearbeitet. Ihr habt online und/ oder in Wechselgruppen unterrichtet, euch in den Kitas der Betreuung und Erziehung der Kinder trotz Corona und ohne Impfung gewidmet und in der Ju- D oreen Siebernik wurde am 10. Juni 2021 mit 77 Prozent der Delegiertenstimmen vom Gewerk- schaftstag in den Bundesvorstand für den Arbeits- gendhilfe den Kindern und Familien neue Wege auf- gezeigt. An den Hochschulen sollen zum 21. Okto- ber endlich wieder die Studierenden vor Ort an Ver- bereich Jugendhilfe und Sozialarbeit gewählt. Herz- anstaltungen teilnehmen und das Onlinefernstudi- lichen Glückwunsch, liebe Doreen, und viel Erfolg um beendet werden. Zahllose neue und herausfor- bei dieser neuen Aufgabe im Bundesvorstand! Bei dernde Aufgaben und Situationen wurden von euch der Landesdelegiertenversammlung am 16. Juni ha- gestemmt und all diese Anstrengungen sollen sich ben mich unsere Landesdelegierten daraufhin zur auch in einer Entgelterhöhung wiederfinden. Wir ha- neuen Vorsitzenden der GEW BERLIN gewählt. Danke ben viel vor uns, lasst uns das gemeinsam angehen! für euer Vertrauen in Tom Erdmann und mich als neu- es Leitungsteam der GEW BERLIN! Ihr, liebe Mitglieder, habt durch die Corona-Pande- mie eine ungewöhnliche Zeit hinter euch. Nicht nur D amit ihr mich noch ein wenig besser kennen- lernt, möchte ich euch noch ein paar Informati- onen zu meiner Person geben. Ich bin 2009 als stu- im Privat- und Arbeitsleben, sondern auch im ehren- dentische Beschäftigte Mitglied der GEW BERLIN ge- amtlichen Engagement gab es Veränderungen. Mit- worden und habe den Personalrat der studentischen gliederversammlungen mussten im Freien oder on- Beschäftigten in der Position der Vorsitzenden gelei- line stattfinden, Menschen trafen sich nur noch in tet. An der TU Berlin studierte ich Erziehungswissen- Form von Kacheln vor dem Bildschirm. Dennoch war schaften und bin seit 2013 an der Freien Universität die GEW BERLIN mit eurer Hilfe eine hörbare Stimme im Bereich Qualitätssicherung und Akkreditierung bis in die Senatsverwaltung hinein. Durch den Som- für Studium und Lehre tätig. Viele Jahre arbeitete ich mer und wahrscheinlich die Impfungen sinken nun als Mitglied der Abteilung Wissenschaft und vertrat die Zahlen der Infizierten stark, und wir alle hoffen, diese auch im Landesvorstand. Vor vier Jahren über- dass es auch so bleibt. nahm ich als ein Teammitglied den Vorstandsbereich Tom Erdmann und ich werden die GEW BERLIN im Hochschule und Lehrer*innenbildung. Außerdem bin Team in die Zeit nach der Pandemie führen. Und ich Mutter von drei jetzt erwachsenen Kindern. FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG dann wird es ruhiger? Wohl kaum! Wir werden das Auch bei meinem Engagement in Kita und Schule Tarifvorhaben TV Gesundheitsschutz anstoßen, und als Elternvertreterin sowie im Förderverein der Schu- im Herbst nicht nur die Wahlen zum Bundestag, Ab- le als Kassenwartin ist mir bewusst geworden, dass geordnetenhaus und Bezirksverordnetenversamm- man nur gemeinsam mit vielen Mitstreiter*innen lung haben, sondern auch eine Tarifauseinanderset- etwas bewirken kann. zung für die im Tarifvertrag der Länder Beschäftig- Ich freue mich darauf, mit euch zu diskutieren und ten. Alle von uns haben in ihrem eigenen Bereich mit gemeinsam unsere politischen Forderungen voran hohem Engagement in der Pandemie für die Erzie- zu bringen. JULI/AUGUST 2021 | bbz STANDPUNKT 3
20 SCHULE OBEN LINKS: ADOBE STOCK/ЮЛИЯ ЗАВАЛИШИНА; OBEN RECHTS: BERTOLT PRÄCHT; UNTEN LINKS: GEW; UNTEN RECHTS: GEW Am Robert Blum Gymnasium entwickeln drei Kolleg*innen zusammen mit ihren Schüler*innen den »BLUM-Preis« für gesellschaftliches Engagement. Im Interview mit Antje Jessa berichten sie uns von ihrem innovativen Unterricht, für den sie ausgezeichnet wurden. 36 GEWERKSCHAFT 16 KIJUSO Innerhalb von nur 7 Tagen Unsere GEW BERLIN ist vielseitig. wurde sowohl auf Bundesebene TITELBILD: BERTOLT PRÄCHT Mit dem Interview mit der als auch in der GEW BERLIN Sozialarbeiterin Adelina Koch ein neuer Vorstand gewählt. startet Jeannine Schätzle unsere Die GEW BERLIN bekommt mit neue Reihe »Soziale Arbeit Martina Regulin und Tom Erdmann stellt sich vor«. ein neues Vorsitzenden-Team. 4 INHALT bbz | JULI/AUGUST 2021
I I N H A LT Kolumne | Standpunkt | kurz & bündig | Impressum | Leser*innenforum ________________________________________________________ 2-7 | 47 AUFRUHR IM HÖRSAAL ________________________________________________________________________________ 8 Wie wir Studierende mobilisieren Marcel Fünfstück________________________________________ 10 95 Thesen gegen Zeitverträge K. Eichhorn / A. Bahr / S. Kubon____________________________ 12 Gute Arbeit im Berliner Hochschulgesetz Rainer Hansel_______________________________ 14 KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT Selbsthilfe – die vierte Säule im Gesundheitssystem Jeannine Schätzle________ 16 SCHULE Schule muss anders Philipp Dehne____________________________________________________________________ 18 Ausgezeichnet: Der BLUM-Preis Antje Jessa____________________________________________________ 20 Digitale Bildung an die Schulen Michael Retzlaff_____________________________________________ 22 Weniger Technik wagen Ralf Schiweck______________________________________________________________ 24 8 TITEL Gewerkschaftliche Mit dem FREI DAY Zukunft lernen und gestalten Brigitte Schumann_____________ 25 Organisierung an Hochschulen Schreibend zu mehr Selbstwertgefühl Irene Lange_______________________________________ 27 gestaltet sich oft schwierig: In der Wissenschaft sind Stellen meist Die Arbeit von Pädagogischen Unterrichtshilfen Pablo Postigo Olsson__________ 28 befristet, der Leistungsdruck hoch 100 Jahre weltliche Schulen in Berlin Bruno Osuch_______________________________________ 30 und extrem individualisiert. Trotz Leben in Betonburgen Eva Stein_______________________________________________________________________ 32 dem gab und gibt es erfolgreiche Versuche, für bessere Arbeitsbedin- HOCHSCHULE gungen an Hochschulen zu kämpfen. Personalratsarbeit in der Pandemie Joshua Schultheis____________________________________ 33 Diesen Versuchen ist dieses Mal der Themenschwerpunkt gewidmet. GEWERKSCHAFT Den Protest-Lockdown überwinden Christoph Wälz________________________________________ 34 Die Berliner GEW – Widerstandskraft in der Pandemie Ralf Schäfer___________ 35 Wale, Warten, Wahlen Markus Hanisch / Tine Scheffelmeier_____________________________________ 36 Corona-Blog Markus Hanisch / Joshua Schultheis______________________________________________________ 37 Gewerkschaftliche Zeitpolitik – feministisch, was sonst Frauke Gützkow____ 38 Auyen Müller geht in Rente Christiane Weißhoff_______________________________________________ 39 RECHT & TARIF Dienstreisekosten bei Klassenfahrten Nele Althoff______________________________________ 40 INTERNATIONALES Kinderarbeit in Zeiten der Pandemie Bruni Römer_______________________________________ 41 TENDENZEN Wie sehr Corona unsere Jugend belastet Detlef Träbert________________________________ 42 Mehr Sichtbarkeit für queere Lehrkräfte Annika Sanner_______________________________ 43 Generationengerechte Bildung Ulrich Falke___________________________________________________ 44 Karriere eines Nazi-Verbrechers Helmut Krohne____________________________________________ 45 Bekenntnis zur Neutralität Sebastian Vaupel __________________________________________________ 46 SERVICE Ausstellung | Bücher | Materialien | Aktivitäten ______________________________________ 49 JULI/AUGUST 2021 | bbz INHALT 5
I KURZ & BÜNDIG des Vorstandsbereichs Beamten-, Ange- stellten- und Tarifpolitik. Die GEW BERLIN kritisiert, dass die Einbeziehung der Be- schäftigtenvertretungen wieder sehr ver- spätet und unvollständig erfolgt ist. ■ Kinderschutz neu geregelt Um den Kinderschutz zu verbessern, hat das Land Berlin neue Vorschriften für die Zusammenarbeit von Schulen und Ju- gendämtern beschlossen. Die neuen Re- geln sollen helfen, schneller und einfa- cher bei Missständen zu reagieren und Kinder und Familien besser zu unterstüt- Lore Kujawa, geboren am 4. November 1930 im Berliner Wedding, wurde im Jahr 1974 die zen. Ziel ist es, jedem Kind und jedem erste weibliche Vorsitzende der GEW BERLIN und damit die erste Frau eines Landesver- jungen Menschen das Recht auf gewalt- bands der GEW und an der Spitze eines DGB-Bezirkes. Für ihre Verdienste wurde ihr nun freie Erziehung und auf den besonderen die höchste Auszeichnung, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vergibt, verliehen: Schutz der Gemeinschaft vor Vernachläs- die Hans-Böckler-Medaille. Einen Film zu Ehren von Lore Kujawa findet ihr auf unserer sigung, Misshandlung, sexueller und Webseite. FOTO: GEW häuslicher Gewalt sowie Ausbeutung zu gewähren. Die GEW BERLIN bemüht sich ■ Kürzungen statt sauberer Schulen gendlichen und ihre Familien vielfältige schon seit langem, die für den Kinder- Die Sparpläne des Berliner Finanzsena- Bildung und Unterstützung und werden schutz relevanten Akteur*innen besser tors Matthias Kollatz sehen Kürzungen pädagogisch ermutigt, am Schulleben ak- zu vernetzen, etwa mit dem regelmäßi- bei den Ausgaben für die Schulreinigung, tiv teilzunehmen.« Gerade in der Coro- gen Seminar »Jugendamt trifft Schule«. konkret der Tagesreinigung der Schulen, na-Pandemie hätte sich gezeigt, welch vor. Das Bündnis Saubere Schulen, an wichtige unterstützende Rolle die Ju- dem auch die GEW beteiligt ist, kritisiert gendsozialarbeit an den Schulen spielt. ■ Tarifabschluss mit diesen Schritt scharf. Schon lange kriti- Humanistischem Verband siert das Bündnis die untragbaren hygie- Der Humanistische Verband Berlin-Bran- nischen Zustände an den Berliner Schu- ■ Digitalisierung der Berliner denburg (HVD) KdöR und die GEW BERLIN len und fordert eine Rekommunalisie- Schulen schreitet voran haben eine Tarifeinigung erzielt. Nach rung der Schulreinigung. Bisher wird Die Senatsbildungsverwaltung hat bereits nur zwei Verhandlungsrunden erreichten diese Aufgabe an den günstigsten Anbie- etwas mehr als die Hälfte der vom Bund die Tarifparteien einen für beide Seiten ter übertragen, was für die Reinigungs- zur Verfügung gestellten Gelder im Rah- tragenden Kompromiss. Der ausgehan- kräfte meistens bedeutet, unter enormem men des »DigitalPakt Schule« abgerufen. delte Tarifvertrag wird rückwirkend zum Zeitdruck und für geringen Lohn arbeiten Mit Stand 10. Mai 2021 waren das 131 1. Januar 2020 in Kraft gesetzt. Insge- zu müssen. Obwohl sich die drei Berliner Millionen Euro. Das Geld soll in die digi- samt können alle Beschäftigten des HVD Regierungsparteien bereits für das Ziel tale Ausstattung der Schulen fließen und Berlin-Brandenburg für den Zeitraum von der Rekommunalisierung ausgesprochen steht noch bis Ende 2024 zur Verfügung. 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 haben, ist dies bislang nicht geschehen. In Berlin sollen die Mittel vor allem zum mit Entgelterhöhungen zwischen 5,5 und Die mit den Auswirkungen der Corona- Ausbau der Netzwerkanbindung der 10 Prozent rechnen, unter Anrechnung Pandemie begründeten Kürzungen des Schulen benutzt werden. Von dem Geld bereits einseitig ausgezahlter Beträge. Landeshaushalts sind ein weiterer Rück- wurden unter anderem bereits 11.500 Zusätzlich konnte eine Einigung auf ei- schritt auf dem Weg zu sauberen Schulen. LTE-Router für einen schnellen Internet- nen Urlaubsanspruch von mindestens 30 Zugang besorgt. Die GEW BERLIN begrüßt, Tagen für alle erzielt werden. Der HDV dass inzwischen endlich auch die Lehr- Berlin-Brandenburg versteht sich als Inte- ■ Ein*e Sozialarbeiter*in kräfte Dienstgeräte erhalten. »Nachdem ressenvertretung religionsfreier Men- für jede Schule wir Lehrkräfte uns während eineinhalb schen und hat 1.200 Beschäftigte, die vor An 214 zusätzlichen Berliner Schulen sol- Jahren Pandemie im Distanzlernen oft allem im Sozial- und Bildungssektor tätig len in Kooperation mit verschiedenen mit unseren eigenen Geräten behelfen sind. freien Trägern ab dem 1. August 2021 mussten, scheint es der Senatsverwaltung Sozialarbeiter*innen angestellt werden. jetzt kurz vor den Ferien nicht schnell Damit wäre in jeder Schule in Berlin min- genug gehen zu können. Damit die Gerä- ■ Hauptstadtzulage ab sofort destens eine Sozialarbeiter*in tätig. Das te auch einen Mehrwert für unsere Arbeit für alle Referendar*innen verlautbarte die Senatsbildungsverwal- haben, müssen allerdings offene Fragen Die Senatsverwaltung für Finanzen hat tung in einer Pressemitteilung. Bildungs- zum Datenschutz, zur Barrierefreiheit, entschieden, dass auch alle nicht verbe- senatorin Sandra Scheeres sagte dazu: zur Haftung und zur Erreichbarkeit ge- amteten Referendar*innen die Haupt- »Dadurch erhalten die Kinder, die Ju- klärt sein«, sagte Anne Albers, Leiterin stadtzulage erhalten. Das betrifft die 6 KURZ & BÜNDIG bbz | JULI/AUGUST 2021
I ÜBRIGENS Lehramtsanwärter*innen, die im öffent- lich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis sind, einschließlich der Kolleg*innen im lung, die Weiterbildung der Lehrkräfte so- wie die Einbindung des schulnahen Sozi- alraums im Fokus des Programms stehen. G leich zwei Riesenveranstaltungen standen im Juni bei der GEW auf dem Programm. Online, versteht sich. Auf dem regulären Anpassungslehrgang. Die GEW Die ausgewählten Schulen werden wäh- Gewerkschaftstag wurde der Vorstand der BERLIN hat zusammen mit dem Personal- rend des Projekts von einem Forschungs- Bundes-GEW gewählt. Unsere nun ehema- rat der Lehramtsanwärter*innen und dem verbund, der an das Leibniz-Institut für lige Vorsitzende Doreen Siebernik wird Gesamtpersonalrat in der Vergangenheit Bildungsforschung und Bildungsinforma- sich in Frankfurt am Main für den Bereich immer wieder Druck gemacht, dass die tion angegliedert ist, wissenschaftlich be- Kinder-, Jugendhilfe und Sozialarbeit stark betreffenden Kolleg*innen ebenfalls die gleitet. Das Programm ist auf zehn Jahre machen. Wir wünschen Dir dafür viel Power Zulage bekommen. Dieser lange überfällige ausgelegt. und Energie, liebe Doreen! Schritt ist nun erfolgt. Die Zulage in Höhe von 50 Euro wird rückwirkend, aber frü- hestens ab November 2020 nachgezahlt. ■ Schulbauoffensive teurer als geplant Nach Recherchen der Berliner Zeitung E in teilweiser Wechsel des Vorsitzenden- Teams stand damit auch der GEW BER- LIN ins Haus. Martina Regulin, seit 2018 sind die Kosten für die von der rot-rot- im Vorstandsbereich Hochschulen und ■ Ein Erwachsenenbildungsgesetz grünen Regierungskoalition auf den Weg Lehrer*innenbildung tätig, wurde bei der für Berlin gebrachte Schulbauoffensive deutlich hö- Landesdelegiertenversammlung zur neu- Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat am her, als anfangs geplant: Statt den veran- en Vorsitzenden der GEW BERLIN gewählt. 20. Mai 2021 ein erstes Erwachsenenbil- schlagten 5,5 Milliarden Euro kostet das Herzlichen Glückwunsch, liebe Martina! dungsgesetz für das Land Berlin einstim- Programm nun über 14 Milliarden. Die mig – bei Enthaltung der AfD-Fraktion – verabschiedet. Mit dem neuen Gesetz werden die Weiterbildung und die Bil- Schulbauoffensive liegt in der Verantwor- tung der drei Senatsverwaltungen für Bil- dung, Finanzen und Stadtentwicklung W ir wünschen allen frisch Gewählten und Euch, unseren Leser*innen, eine angenehme und hoffentlich erholsame dungsberatung zu Pflichten der Bezirke. und hat zum Ziel, neben der Sanierung Saure-Gurken-Zeit! NW Das Ziel ist es, »eine wohnortnahe Grund- und Vergrößerung bestehender Schulen versorgung und ein stadtweit vielfältiges auch 60 neue zu erbauen. Seit dem Start und an unterschiedliche Zielgruppen ge- der Offensive 2017 sind bisher insgesamt VON MITGLIEDERN FÜR MITGLIEDER richtetes Angebotsspektrum sicherzustel- 270 Sanierungsmaßnahmen begonnen len«. Während die Senatsverwaltung von worden sowie drei Schulen fertig gebaut. Die bbz veröffentlicht Beiträge einem »historischen Tag für Lebenslan- In der Vergangenheit musste die Kosten- zu vielfältigen Themen, von jedem ges Lernen in Berlin« spricht, sieht die schätzung schon einmal auf 11 Milliarden GEW-Mitglied. Schreibt an GEW BERLIN in dem neuen Gesetz keinen Euro angehoben werden. Zuletzt offen- bbz@gew-berlin.de und bringt euch ein! großen Wurf. Viele der Maßnahmen, wie barte dann eine parlamentarische Anfra- REDAKTIONSSCHLUSS etwa der Erwachsenenbildungsbeirat oder ge der CDU, dass zusätzliche 3 Milliarden September/Oktober 2021: 28. Juli der zu klein geratene Fördertopf für be- für die Umsetzung der Offensive nötig fristete Projekte und Programme, hätten sein werden. Die Inhalte in der bbz geben die lediglich symbolischen Wert. Die wichtigs- Meinungen der Autor*innen wieder, nicht ten Aufgaben in der Erwachsenenbildung, die der Redaktion. Erst recht sind sie nicht als verbandsoffizielle Mitteilungen der zum Beispiel die Entfristung der Lehren- ■ BAföG-Berechnung ist GEW BERLIN zu verstehen. Die bbz sieht es den an Volkshochschulen und in der Wei- verfassungswidrig als ihre Aufgabe, nicht nur Verkündungs- terbildung, seien dagegen nicht ernsthaft Das Bundesverwaltungsgericht hat ent- organ der offiziellen Beschlusslage zu sein, angegangen worden. schieden, dass die Berechnung der sondern darüber hinaus auch Raum für BAföG-Bedarfssätze wahrscheinlich nicht kontroverse Positionen zu geben, Diskus verfassungsmäßig ist. So beruht die aktu- sionen zu ermöglichen und so zur Mei- ■ Neues Programm elle Grundlage, anhand derer die Lebens- nungsbildung in der GEW beizutragen. für Brennpunktschulen haltungskosten der Studierenden berech- Das Programm »Schule macht stark«, ge- net wird, auf Daten aus dem Jahr 2006. meinsam getragen von Bund und Län- Da de facto in den letzten zehn Jahren I IMPRESSUM dern, möchte soziale Ungleichheiten an keine Anpassung an die Inflation erfolgt Die bbz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin Schulen abbauen und einen Beitrag zu ist, sind die BAföG-Sätze teilweise so und erscheint zweimonatlich (6 Ausgaben). Für Mitglieder ist mehr Bildungserfolg leisten. Mit den ins- niedrig, dass sie laut dem Verwaltungsge- der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand). gesamt 125 Millionen Euro werden bun- richt gegen das Teilhaberecht auf einen Redaktion: Nadine Wintersieg (verantwortlich), Markus Hanisch (geschäftsführend), Janina Bähre, Josef Hofman, Antje Jessa, desweit 200 und in Berlin 10 Schulen in chancengleichen Zugang zu staatlichen Caroline Muñoz del Rio, Jeannine Schätzle, Ralf Schiweck, Joshua schwieriger Lage unterstützt. Das Ziel Ausbildungsangeboten verstoßen. Die end- Schultheis, Bertolt Prächt (Fotos), Doreen Stabenau (Sekretariat). Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46, des Programms ist die Förderung der gültige Entscheidung über die Verfas- Fax –49, E-Mail bbz@gew-berlin.de Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion. sprachlichen und mathematischen Basis- sungswidrigkeit obliegt nun dem Bundes- Anzeigen: bleifrei Medien + Kommunikation, info@bleifrei-berlin.de, kompetenzen, der Lernmotivation und verfassungsgericht. Der Verhandlung am Tel. 030/613936-30. Es gilt die Preisliste Nr. 15 vom 1.11.2018 Satz, Layout und Konzept: bleifrei Texte + Grafik / Brauweiler, Miller der sozialen Kompetenzen der Schüler* Verwaltungsgericht ging die Klage einer Druck: Bloch & Co, Grenzgrabenstr. 4, 13053 Berlin innen. Um dies zu erreichen, werden vor Studentin aus Osnabrück voraus. Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit dem Blauen Engel allem die Unterrichts- und Schulentwick- ISSN 0944-3207 / 74. (89.) Jahrgang 7-8 / 2021: 31.100 JULI/AUGUST 2021 | bbz KURZ & BÜNDIG 7
E s ist ruhig geworden in den Berliner Hörsälen. Die Coronapandemie hat dazu geführt, dass ein Groß- teil der Studierenden, Wissenschaftler*innen und Ver- WissZeitVG wurde von vielen Menschen geteilt. Da- durch erhielten die vielen Betroffenen eine Möglich- keit, sich auch in Pandemiezeiten eine Stimme zu waltungskräfte mittlerweile von zuhause aus lernen verschaffen und auf die schwierigen Arbeitsbedingun- und arbeiten. Dialog und Diskurs finden nun vor al- gen aufmerksam zu machen. Die Arbeit am neuen lem in Videokonferenzen statt. Dabei ist es noch gar Berliner Hochschulgesetz wirkt dagegen eher wie ein nicht so lange her, dass die studentischen Beschäftig- Hintergrundrauschen. Fast unscheinbar erscheint die- ten der Berliner Universitäten lautstark am Branden- se weitreichende Gesetzesreform, die angesichts der burger Tor, in den Uni-Gebäuden und auf der Straße Pandemie kaum öffentliche Beachtung fand. Dabei ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag Gehör ver- sind von der GEW viele konstruktive Vorschläge ein- schafften. »Gemeinsam gegen Prekarisierung« war gebracht worden, die das Arbeiten in der Wissen- damals ein Slogan, der auf vielen roten Bannern zu schaft wesentlich besser machen könnten. Auch diese lesen war und die Entschlossenheit der Bewegung wi- Gesetzesentwürfe müssen erstritten werden, nicht derspiegelte. Ihre Rufe wurden gehört und das Ergeb- immer laut, aber dafür umso kämpferischer. Wir wol- nis war ein voller Erfolg. Nicht auf der Straße, aber len in Zeiten leerer Hörsäle und Seminarräume den dafür im Internet sind in diesen Tagen ebenfalls Rufe verschiedenen kleinen und großen Arbeitskämpfen an zu hören. Sie kommen von engagierten wissenschaft- den Berliner Hochschulen Gehör verschaffen. In den lichen Mitarbeiter*innen, die mit 95 Thesen gegen Fotos greifen wir die Slogans und Parolen der zahllo- das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eine digitale sen Menschen auf, die bei Demos auch in Zeiten der Welle der Empörung auslösten. Das Hashtag #95vs- Pandemie zu lesen waren. FOTO: BERTOLT PRÄCHT 8 TITEL AUFRUHR IM HÖRSAAL bbz | JULI/AUGUST 2021
»Wir wollen in Zeiten leerer Hörsäle den kleinen und großen Arbeitskämpfen an den Berliner Hochschulen Gehör verschaffen.« JULI/AUGUST 2021 | bbz AUFRUHR IM HÖRSAAL TITEL 9
Die studentischen Beschäftigten der Berliner Universitäten haben 2018 einen neuen Tarifvertrag erkämpft – das ist deutschlandweit einzigartig. Entscheidend für diesen Erfolg war eine mehrjährige Vorarbeit von Marcel Fünfstück D ie Hochschule ist allgemein ein denkbar schlech- ter Ort für gewerkschaftliche Organisierung: befristete Arbeitsverträge, persönliche Abhängig- ben der geringen Entlohnung stellen auch ein befris- tetes Teilzeitarbeitsverhältnis und das Studium eine Hürde dar. Befristung und Teilzeit bedeuten häufig keitsverhältnisse und das Verständnis von wissen- auch eine hohe Fluktuation und dadurch wenig Zeit schaftlicher Tätigkeit primär als Selbstverwirkli- mit denselben Kolleg*innen. Um sich gemeinsam für chung – dies erschwert es allen Beschäftigten, sich etwas einzusetzen, braucht es jedoch Zeit sowie ei- zu organisieren und Druck aufzubauen. nen persönlichen Draht und viel Kommunikation. Bei studentischen Beschäftigten kommt noch da- Für viele studentische Beschäftigte bedeuteten Ar- zu, dass sie ihre Beschäftigung in der Regel nicht als beitskampf und Streik anfangs erst einmal, eine per- vollwertige Lohnarbeit begreifen. Für sie steht die sönliche Beziehung mit der*dem – vielleicht auch wohlmeinenden – direkten Vorgesetzten aufs Spiel zu setzen oder sich das eigene Studium zu erschwe- »Nach 15 Jahren ohne Lohnerhöhung ren. Daran zeigt sich, dass hier oftmals das Wissen über Organisierung am Arbeitsplatz fehlt: Was ist war eine Steigerung des Stundenlohnes »normal« auf der Arbeit und welche Ansprüche sind eine der zentralen Forderungen.« berechtigt? Hierbei waren die Unterstützung und das Wissen des Personalrates besonders wichtig. Tätigkeit oftmals als Bildungschance beziehungswei- Gelegenheitsfenster und wie man sie nutzt se erster Karriereschritt im Vordergrund. Für andere studentische Beschäftigte, die mit der Stelle ihr Stu- Im Frühjahr 2015 traten einige studentische Perso- dium finanzieren, steht die Stelle oft als bloßer Ne- nalräte an die Gewerkschaften heran mit dem benjob im Blickpunkt. Sie finden, dass sie es damit Wunsch, Tarifverhandlungen aufzunehmen. Es folg- verhältnismäßig gut getroffen haben im Vergleich zu te eine Befragung der Beschäftigten, um herauszu- Arbeitsbedingungen in anderen Bereichen wie der finden, welche Forderungen aufgestellt werden Gastronomie. könnten, wie viele Personen hinter einer Kampagne Für die Organisierung der studentischen Beschäf- stehen würden und wie die Mobilisierungsbereit- tigten war es daher zentral, dass sie ein Bewusstsein schaft aussieht. Das Ergebnis war überwältigend, der eigenen sozialen Position auf dem Arbeitsmarkt denn innerhalb weniger Wochen hatten mehrere tau- entwickelten. Nur so können studentische Beschäf- send Personen an der Umfrage teilgenommen. tigte Arbeitnehmer*innenansprüche als eigene An- Zentrale Forderungen der studentischen Beschäf- sprüche wahrnehmen. Zudem war es wichtig, ver- tigten kristallisierten sich heraus: Nach 15 Jahren ständlich zu machen, dass sie diese soziale Position ohne Lohnerhöhung war eine Steigerung des Stun- als Arbeitnehmer*innen mit anderen Statusgruppen denlohnes eine der zentralen Forderungen. Außer- an der Hochschule, wie den wissenschaftlichen oder dem sollten Kettenbefristungen angegangen sowie sonstigen Mitarbeiter*innen, teilen. Urlaubs- und Krankheitsansprüche verbessert wer- Zusätzlich zu diesem Selbstverständnis der stu- den. Die Kampagne zum Abschluss eines neuen, dentischen Beschäftigten sind es auch strukturelle verbesserten Tarifvertrages begann und startete mit Umstände, die eine Mobilisierung erschweren. Ne- Bürorundgängen und persönlichen Gesprächen zur 10 TITEL AUFRUHR IM HÖRSAAL bbz | JULI/AUGUST 2021
Mobilisierung. Zu diesem Zeitpunkt ging es nicht gab, in dem nachgedacht oder miteinander in Kon- mehr um das OB einer Kampagne, sondern nur noch takt getreten werden konnte, um Gedanken und Er- um das Wie. fahrungen auszutauschen. Auch in anderer Hinsicht gab es vielversprechende Dynamiken. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin standen die Zeichen auf Wechsel zu einer Schluss: Das war erst der Anfang rot-rot-grünen Regierung. Die Forderungen der Kam- pagne passten gut zum potenziellen Politikwechsel. Am Ende brauchte es 41 Streiktage und drei Jahre Deshalb lautete der Dreischritt der Kampagne fol- Zeit für die Kampagne, um einen neuen, besseren gendermaßen: TVStud zuerst in die Wahlprogramme, Tarifvertrag zu erkämpfen. Viele Erfahrungen der dann in den Koalitionsvertrag und schließlich in die Kampagne der studentischen Beschäftigten in Berlin, Hochschulverträge bringen. Dieser Dreiklang war die in dieser Zeit gemacht wurden, sind auch für erfolgreich und am Ende verständigte sich der neue andere Arbeitskämpfe relevant. Im Umgang mit so- Senat darauf, dass der bundesweit einzigartige stu- zialen Medien hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, dentische Tarifvertrag erhalten bleiben und ausge- sich daran zu orientieren, welche Medien von den baut werden muss. Außerdem soll die Entwicklung Menschen genutzt werden, die man mobilisieren der Entgelte für studentische Beschäftigte mindes- möchte. Es ist wichtig, eigene Narrative zu vermit- tens der Entwicklung der realen Lebenshaltungskos- teln und den Arbeitgeber*innen nicht die Deu- ten entsprechen. Ohne diese Festlegung und den tungshoheit zu überlassen. politischen Wandel wäre die Kampagne wohl nicht Bei der dezentralen Organisation hat es sich be- so erfolgreich gewesen. währt, in Bürorundgängen und durch gut sichtbare Entscheidend für den Erfolg der Kampagne und Infostände beziehungsweise Streikposten auf die damit für den Abschluss eines neuen Tarifvertrags Menschen zuzugehen und diese mit niedrigschwel- war es auch, dass sich alle Aktiven einig waren. Sie ligen Mitmachangeboten einzubinden. Durch die trugen eine gemeinsame Kampagne, die in der Beleg- gemeinsame Organisierung für bessere Arbeitsbe- schaft verankert war und die Menschen in die Ge- dingungen, eine strategische Eskalation und die So- werkschaften und auch auf die Straße brachte, um lidarität mit Kolleg*innen, die ebenfalls Arbeits- sich für ihre Forderungen einzusetzen. kämpfe ausfechten, können wir zusammen mehr erreichen. Lasst uns gemeinsam die Probleme, die wir tagtäglich erleben, angehen und politisieren. Arbeitskampf, Streik und dezentrale Organisierung Denn ohne uns alle läuft hier nix! Besonders wichtig bei einer Kampagne zur Verbes- serung der Arbeitsbedingungen ist, das Framing zu bestimmen, also die Grunderzählung. Im Fall von TVStud lautete diese Erzählung in etwa: »15 + X Jah- re ohne Lohnerhöhung für Leute, die viel Lehre und Forschung stemmen. Da muss doch mal was drin »Es ist wichtig, eigene Narrative zu sein!«. Öffentlichkeitswirksame Aktionen wurden genutzt, um das Thema zu positionieren und Social vermitteln und den Arbeitgeber*innen Media, um das Thema zu verbreiten und die Deu- nicht die Deutungshoheit zu überlassen.« tungshoheit darüber zu behalten. Da Hochschulen Einrichtungen der öffentlichen Bildung sind, entsteht durch einen Streik der Be- schäftigten nur eingeschränkt ökonomischer Scha- den. Allerdings schadet ein Streik den Hochschulen, da sie ihre öffentlichen Bildungsaufgaben nicht mehr erfüllen können. Wenn dies öffentlichkeits- wirksam geschieht, entsteht politischer Druck und die Reputation leidet. Damit ein Streik funktioniert, braucht es aber auch Streikgruppen. Diese wurden an fast allen Hochschu- len gebildet. Dabei wurde versucht, die bereits exis- tierenden studentischen Organe (Hochschulgruppen, Allgemeine Studierendenausschüsse, Fachschaftsini tiativen, Personalräte) einzubinden. Regelmäßige Marcel Fünfstück, Aktionen, zentrale oder dezentrale Streikversamm- Sprecher des Landesausschusses der lungen haben dazu beigetragen, dass nicht nur or- Studierenden in der GEW BERLIN ganisatorische oder strategische Fragen besprochen werden konnten, sondern dass es auch einen Raum JULI/AUGUST 2021 | bbz AUFRUHR IM HÖRSAAL TITEL 11
ge 9 5 T h e se n g e g e n Z e it v e rt rä Es begann mit einem Hashtag und entwickelte sich zu einer erfolgreichen Online-Kampagne gegen die Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft von Kristin Eichhorn, Amrei Bahr und Sebastian Kubon A lles begann als Witz in einem sozialen On- line-Netzwerk. Eine Wissenschaftlerin twitterte an Halloween, sie wolle als Wissenschaftszeitver- »Wissenschaftler*innen schreiben tragsgesetz (WissZeitVG) gehen. Dieses Gesetz ver- Bewerbungen, statt zu lehren schafft den Universitäten ein Sonderbefristungsrecht und zu forschen.« und führt dazu, dass viele Beschäftigte über Jahre nur befristet angestellt werden und somit keine dau- erhafte soziale Absicherung erhalten. Wenn die Be- schäftigten es in einer bestimmten Zeit nicht schaf- der Hashtag #95vsWissZeitVG schnell etabliert und Während der Vorbereitung fen, eine der wenigen Professuren oder Dauerstellen bald sogar in den Twitter-Trends zu finden. Noch dieses Titels hat sich in zu ergattern, müssen sie sich oft endgültig von der über Monate sammelten mehrere Hundert Wissen- den sozialen Medien ein Universität verabschieden. schaftler*innen auf Twitter Argumente für eine Ab- neuer Protest gegen das schaffung des WissZeitVG. Aus diesen Beiträgen ist Wissenschaftszeit eine Internetseite entstanden, auf der die 95 Thesen vertragsgesetz formiert. Vom Hashtag zum Trend nachgelesen werden können. Unter dem Hashtag Die Diskussion wurde noch einmal durch einen #ichbinhanna kritisieren junge Wissenschaftler Sebastian Kubon griff den Impuls auf und schlug Tweet angeheizt, den das Bundesministerium für FOTO: BERTOLT PRÄCHT *innen erneut die vor, stattdessen lieber den Reformationstag zu be- Bildung und Forschung etwa einen Monat später ab- Befristungspraxis an deut- gehen und 95 Thesen gegen das Wissenschaftszeit- setzte. In diesem Tweet wurde das Gesetz dafür ge- schen Universitäten. vertragsgesetz zu sammeln. Nachdem die wissen- priesen, dass es den wissenschaftlichen Institutio- schaftlichen Mitarbeiterinnen Amrei Bahr und Kris- nen »a certain degree of flexibility« verschaffe. Die- tin Eichhorn die ersten Thesen geliefert hatten, war se Flexibilität freilich geht auf Kosten der Arbeitneh- 12 TITEL AUFRUHR IM HÖRSAAL bbz | JULI/AUGUST 2021
mer*innen in der Wissenschaft, die sich Jahr um Jahr »Von einem Normalarbeitsverhältnis – der vollen von einer befristeten Stelle zur nächsten hangeln, dazwischen regelmäßig Phasen der Arbeitslosigkeit unbefristeten Stelle – können die meisten in Kauf nehmen und Gelder für ihre Weiterbeschäf- Wissenschaftler*innen in der Regel nur träumen.« tigung erst selbst einwerben müssen. Entsprechend fühlten sich die Wissenschaftler*innen von der Dar- stellung des Ministeriums geradezu in ihren Nöten verhöhnt. Bis heute sind auf Twitter Nachrichten zu telpunkt haben und oft mehrere hundert Kilometer lesen, in denen Wissenschaftler*innen ihre Wut über zu ihrem Dienstort pendeln, weil sich ein Umzug für die Aktion des Ministeriums zum Ausdruck bringen. wenige Jahre nicht lohnt, wird das eigentlich solide Gehalt im öffentlichen Dienst zudem selbst auf vol- len Stellen schnell aufgezehrt. Ein Gesetz mit desaströsen Folgen Die derzeitige Lage – das wird aus den Thesen deut- Die Politik muss jetzt reagieren lich – ist nicht nur eine Belastung für einzelne Wis- senschaftler*innen, sondern geht auf Kosten von Der Erfolg der Aktion #95vsWissZeitVG zeigt die Wissenschaft und Gesellschaft. Durch die ständigen Frustration, die sich inzwischen in Bezug auf die Ar- Neueinstellungen werden horrende Summen an beitsbedingungen in der Wissenschaft bei den meis- Steuergeldern verschleudert und der Verwaltungs- ten Beschäftigten aufgestaut hat. Das WissZeitVG ist aufwand steigt ins Unermessliche. Den Studierenden sicher nicht die einzige Stellschraube, an der zu dre- fehlen kontinuierliche Ansprechpartner*innen und hen wäre, steht aber stellvertretend für eine Befris- Betreuer*innen für ihre Abschlussarbeiten, weil die tungspraxis, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Lehrenden, bei denen sie studiert haben, nach weni- Dank dieses Sonderbefristungsrechts sind laut dem gen Jahren die Universitäten verlassen müssen. Wis- aktuellen »Bundesbericht Wissenschaftlicher Nach- senschaft und Lehre sind an kurzfristigen Projekte wuchs« immer noch 92 Prozent aller Wissenschaft- orientiert, statt auf den Aufbau langfristiger und in ler*innen unter 45 Jahren an Hochschulen und au- der Breite wirkender Strukturen. ßeruniversitären Forschungseinrichtungen befristet Wissenschaftler*innen schreiben Bewerbungen, angestellt – während der Anteil der Befristungen statt zu lehren und zu forschen. Sie leiden psychisch gesamtgesellschaftlich dagegen marginal ist und so- unter Existenzsorgen und dem ständigen Bewäh- gar immer weiter sinkt. rungsdruck. Unbezahlte Mehrarbeit von durchschnitt- Von einem Normalarbeitsverhältnis – der vollen lich 13 beziehungsweise 10 Stunden vor und nach unbefristeten Stelle – können die meisten Wissen- der Promotion pro Woche sind die Regel, weil die schaftler*innen in der Regel nur träumen. Endet die Beschäftigten ständig um ihre Vertragsverlängerung wissenschaftliche Karriere dann nach 12 Jahren, weil bangen und folglich selten das Risiko eingehen, die das WissZeitVG eine darüber hinaus gehende Befris- Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts einzuklagen. tung (mit Ausnahme weniger Sonderregelungen) An die Stelle riskanter Forschungsvorhaben treten strikt verbietet und unbefristete Stellen rar sind, so Bemühungen um karrieredienliche und antragsfähi- war die über Jahre investierte (Mehr-)Arbeit in der ge Projekte sowie unsichtbare Zuarbeit für Vorge- Hoffnung auf eine Dauerperspektive in der Wissen- setzte, die zum Teil formal als Antragssteller*innen schaft umsonst. fungieren, obwohl sie zum Antragstext oft nur wenig, Der Zuspruch zur Aktion #95vsWissZeitVG macht Die Internetseite mitunter sogar überhaupt nichts beigetragen haben. aber deutlich, dass ein Mentalitätswandel eingesetzt zur Kampagne: Dass Wissenschaftler*innen überdies immer wie- hat. Immer weniger junge Forschende sind bereit, https://95vswisszeitvg. wordpress.com/ der auf Unterstützung aus den Sozialkassen ange- diese oft desaströsen Zustände weiterhin als norma- wiesen sind und ihre Arbeit auf Arbeitslosengeld I les Erfordernis auf dem Weg zur Entfristung hinzu- und II fortführen, um noch eine Chance auf spätere nehmen, insbesondere wenn der außerakademische Wiedereinstellung zu haben, ist gängige Praxis, führt Arbeitsmarkt je nach Fach bessere Chancen bietet. aber zu geringeren Einzahlungen in die Sozialversi- Die Wissenschaftspolitik ist am Zug und muss re- cherungen, etwa in die Rentenkasse. Altersarmut ist agieren, will sie eine innovative und qualitativ hoch- damit vorprogrammiert. wertige Forschung in Deutschland halten bezie- Folglich ist Wissenschaft in Deutschland nicht zu- hungsweise überhaupt erst etablieren. Das wird nur letzt wegen des WissZeitVG etwas für die, die sich gelingen, wenn auch Forschenden jenseits der Pro- die Arbeit unter derart prekären Bedingungen leisten fessur endlich akzeptable Arbeitsbedingungen gebo- können – was die von Karrierestufe zu Karrierestufe ten werden. abnehmende Diversität des Personals erklärt. Die Betreuung von Kindern und andere Care-Aufgaben sind mit der wissenschaftlichen Karriere unter den Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon, derzeitigen Bedingungen schwer vereinbar. Da Wis- wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und senschaftler*innen lange keinen festen Lebensmit- Initiator*innen der Online-Kampagne JULI/AUGUST 2021 | bbz AUFRUHR IM HÖRSAAL TITEL 13
im B e rl in e r H o ch sc h u lg e se tz G u te A rb e it Berlin arbeitet an einem neuen Hochschulgesetz. Die GEW BERLIN positioniert sich und tritt für bessere Arbeitsbedingungen für alle an Hochschulen Beschäftigte ein von Rainer Hansel Für alle an dem Aushandlungsprozess für das neue Gesetz Beteiligten, auch für uns als Gewerk- schaft, stellen sich dabei folgende Fragen: Was ge- hört ins Gesetz? Was kann oder soll über Verordnun- gen des Landes regelbar sein? Welche Aspekte sind dagegen besser über Hochschulverträge und Zielver- einbarungen zu regeln? Und welche Gestaltungs- möglichkeiten sind innerhalb der Hochschule zu entwickeln? Fakt ist: Im Ergebnis muss alles zusam- menspielen. Ein neues BerlHG allein kann die Prob- leme im Wissenschaftsbetrieb nicht lösen. Aber das Gesetz muss die Grundlage und den Rahmen für die Hochschulverträge, Verordnungen und hochschulin- ternen Prozesse konstruktiv setzen. Im Folgenden werden die Punkte, die die GEW BERLIN im neuen Gesetz verwirklicht sehen will, vorgestellt. Weniger Befristung, mehr Karrierewege Die unbefristete Vollzeitbeschäftigung soll zum Re- gelarbeitsverhältnis werden, von dem nur in begrün- deten Fällen abgewichen wird. Die Personalstruktur ist neu zu justieren. Dabei sollen unterschiedliche Aufgabenschwerpunkte mit unterschiedlichen Gra- den von Selbstständigkeit in Lehre, Forschung und Management gesetzt werden. Diese sollen aufeinan- der aufbauen und Übergänge im Sinne einer Perso- »Die unbefristete Vollzeitbeschäftigung soll zum nalentwicklung ermöglichen. Wichtig ist dabei eine Regelarbeitsverhältnis werden.« Durchlässigkeit der verschiedenen Bereiche. Neue Karrierewege sollen unter Nutzung von Tenu- re-Track-Verfahren gestaltet werden. Wenn Lehrbeauftragte dauerhaft Lehr- und Prü- G ute Arbeit in der Wissenschaft ist seit längerer Zeit ein bewegendes Thema. Zielvorstellungen, rechtliche Regelungen und Umsetzungsschritte sind fungsaufgaben wahrnehmen, also nicht nur zur Er- gänzung des Lehrangebots beitragen, sind ihnen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält- immer wieder auf Bundes-, Landes- und Hochschul nisse anzubieten, die ihrer Qualifikation entspre- ebene kontrovers diskutiert worden. In Berlin sind chen. Beschäftigungsverhältnisse mit studentischen verschiedene, nicht immer gut zueinander passende Hilfskräften müssen entsprechend der Aufgabenpro- Schritte auf dem Weg zu besseren Arbeitsbedingun- file bundesrechtlicher Bestimmungen begründet FOTO: BERTOLT PRÄCHT gen an den Hochschulen unternommen worden. Die werden. Ihnen werden grundsätzlich keine Aufgaben bisherige Bilanz ist zwiespältig. Doch nun bietet sich übertragen, die üblicherweise von hauptberuflichem mit dem neuen Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) Personal wahrgenommen werden. Die Lehrverpflich- eine Chance, gute Arbeit zum Standard in der Wis- tungsverordnung muss grundsätzlich überarbeitet senschaft werden zu lassen. werden. Dabei sind alle Personalkategorien zu be- 14 TITEL AUFRUHR IM HÖRSAAL bbz | JULI/AUGUST 2021
»Mit dem neuen Berliner Hochschulgesetz bietet sich eine Chance, gute Arbeit zum Standard in der Wissenschaft werden zu lassen.« rücksichtigen. Die Lehrbelastungen in Folge neuer Über einen zentralen Überbrückungsfonds ermög- Aufgabenprofile, Veränderungen durch die Bologna- licht sie die Zwischenfinanzierung von Beschäfti- Reform und die zunehmende Digitalisierung sind, gungsverhältnissen bis zur Anschlussfinanzierung insbesondere in Hochdeputatsbereichen, abzusenken. aus Drittmitteln oder regulären Haushaltsmitteln. Für die befristete Beschäftigung sind als besonde- Soweit möglich, ist auch beim Wechsel der Finanzie- re Fälle die Qualifizierung, die Drittmittelbeschäfti- rungsart ein mittelfristiges oder unbefristetes Be- gung und die Vertretungsbeschäftigung zu gestalten. schäftigungsverhältnis abzuschließen. Die Hochschu- Tenure-Track Dabei sollen folgende Grundsätze zur Anwendung len dürfen nur solche Drittmittelanträge befürwor- ist eine Professur auf kommen: Vorrang von Beschäftigungsverhältnissen ten, die den Standards von guter Arbeit entsprechen. Bewährung, die im vor Stipendien. Die Dauer der Befristung ist mindes- Gute Arbeit ist kein Selbstläufer. Es muss sicher- Regelfall nach einigen Jahren in eine Lebens- tens die durchschnittliche Promotions-/Qualifizie- gestellt werden, dass die Mitglieder der Hochschule zeitprofessur mündet. rungszeit respektive die Projektlaufzeit. Für die in geeigneter Weise an den Entscheidungsprozessen Qualifizierung sollen mindestens 50 Prozent der beteiligt werden. Dazu müssen die Aufgaben und Die Bologna-Reform Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Das Qualifizie- Rechte der akademischen Selbstverwaltung entspre- ist ein EU-weiter Prozess rungsziel wird im Arbeitsvertrag festgehalten und chend eingerichtet werden. Parallel dazu müssen die der Vereinheitlichung mit Qualifizierungsvereinbarungen untersetzt. Hin- Beteiligungsrechte der Personalräte entsprechend der europäischen Hoch- sichtlich der Arbeits- und Befristungsbedingungen genutzt und weiterentwickelt werden. Die Beteili- schulen. Kritiker*innen sagen, dass mit der Ein- wird eine gleiche Ausgestaltung bei Haushalts-, gung der Beschäftigten an den Entscheidungsprozes- führung das Studium zu Drittmittel- und Vertretungsbeschäftigung ange- sen wird gefördert, indem Gremientätigkeiten auf sehr verschult wurde. strebt. Sachgrundlose Beschäftigung nach Teilzeit- die Arbeitszeit angerechnet werden. Es wird die Par- und Befristungsgesetz muss ausgeschlossen werden. tizipation der Mitglieder auch in neuen Organisati- Im Templiner Manifest onsformen wie Graduiertenfördereinrichtungen oder hat die GEW im Jahr Forschungsclustern gewährleistet. Die Grundsätze 2010 ihre Forderungen Planungssicherheit für Beschäftigte guter Arbeit werden in den zentralen akademischen für bessere Arbeitsbe- dingungen an den Gremien beschlossen und zu einem festen Bestand Hochschulen dargelegt. Hochschulen müssen durchgängig familienfreund- der Berichtspflicht der Hochschulleitungen. Die Ein- www.gew.de/ lich werden. Sie sollen allen Beschäftigten ein aus- haltung der Grundsätze der Verbesserung der Be- wissenschaft/ gewogenes Verhältnis von Berufs- und Privatleben schäftigungssituation aller Mitglieder der Hochschu- templiner-manifest/ unter anderem durch flexible Arbeits- und Anwesen- le soll mithilfe jährlicher Berichte der Präsidien heitszeiten, familiengerechte Lehrveranstaltungs- überprüft werden. und Sitzungszeiten sowie bedarfsgerechte Betreu- Die Neufassung der Berliner Hochschulgesetze ist ungsmöglichkeiten für Kinder ermöglichen. Wegen auf dem Weg. Die Zeit wird knapp. Wenn die nächs- Mutterschutz oder Elternzeit vakante Stellen sind ten Schritte im Gesetzgebungsverfahren nach Plan unverzüglich, auch durch die Aufstockung vorhan- ablaufen, dann könnte das Gesetz in der letzten Sit- dener Teilzeitstellen, zu besetzen. Bei der Beantra- zung vor den Wahlen im September beschlossen gung und Bewirtschaftung von Drittmitteln sind sein. Konstruktive Vorschläge, um Prinzipien für zusätzliche Mittel einzuplanen, die für Vertretungen gute Arbeit in der Wissenschaft im Gesetz zu veran- und Vertragsverlängerungen in Folge von Mutter- kern, haben wir eingebracht. Es wird sich zeigen, ob schutz und Elternzeit sowie zur Finanzierung von wir ab dem kommenden Wintersemester auf einer Kinderbetreuungsmöglichkeiten notwendig sind. Die neuen gesetzlichen Grundlage für die Verbesserung familienpolitische Komponente des Wissenschafts- der Beschäftigungsverhältnisse streiten können, oder »Hochschulen zeitvertragsgesetzes, die eine Verlängerung von be- ob das Stückwerk aus verschiedenen, nicht kompa- müssen fristeten Beschäftigungsverhältnissen bei Betreuung tiblen Einzelregelungen und ohne verbindliche Über- eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei prüfungsmöglichkeiten weitergeht. durchgängig Jahre je Kind auch über die Höchstbefristungsdauer familien- hinaus zulässt, muss an der Hochschule grundsätz- lich angewandt werden. freundlich In der Personalentwicklung sollen die Hochschu- werden.« len eine mittel- und langfristige Personalplanung betreiben. Auf dieser Grundlage bestimmen sie ein Rainer Hansel, aufgabenadäquates Verhältnis zwischen befristeten Sprecher des Leitungsteams Abteilung und unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Wissenschaft der GEW BERLIN Durch ein aktives Personalmanagement sorgt die Hochschule für die Stabilisierung von Beschäftigung. JULI/AUGUST 2021 | bbz AUFRUHR IM HÖRSAAL TITEL 15
Selbsthilfe – die vierte Säule im Gesundheitssystem Innerhalb der GEW gibt es die vielfältigsten Berufsfelder. Im ersten Interview unserer Reihe über die verschiedenen Arbeitsbereiche in der sozialen Arbeit erzählt uns Adelina Koch, was den Geist der Selbsthilfe ausmacht Das Interview führte Jeannine Schätzle bbz: Wir sitzen zusammen im Selbsthilfe- bedingungen unzufrieden, sodass ich terschiedlichen Themen. In Reinicken- zentrum Reinickendorf, wo du seit über wieder auf Jobsuche gegangen bin. Eine dorf sind es circa 100 Selbsthilfegruppen. sechs Jahren als Sozialarbeiterin tätig sehr gute Freundin von mir hat in der bist. Wie bist du zur sozialen Arbeit ge- Selbsthilfe gearbeitet und mir die Aus- Welche Selbsthilfegruppen gibt es bei euch? kommen? schreibung für diese Stelle geschickt. Koch: In erster Linie sind es gesund- Koch: Ich war immer daran interessiert, Und was sie mir von ihrem Job erzählt heitliche Selbsthilfegruppen, da geht es Menschen zu unterstützen. Schon zu hat, fand ich sehr spannend und vielsei- um chronische Erkrankungen, wie bei- Schulzeiten war ich eine »Kummerkasten- tig. Es war etwas ganz anderes, als das, spielsweise Osteoporose, Multiple Sklero- Schulfreundin« und fand es wichtig, für was ich vorher gemacht habe. Ich wollte se, Krebserkrankungen oder Suchterkran- andere da zu sein. Ich habe dann relativ mich ja verändern. kungen oder der ganze psychosoziale schnell das Bedürfnis entwickelt, das pro- Bereich, Gruppen zu Ängsten und De- fessioneller und nachhaltiger zu machen Was genau sind die Aufgaben, die ihr hier pressionen oder Hochsensibilität, Kon- und wollte Menschen unterstützen, die im Selbsthilfezentrum habt? taktabbrüche und Trennungen. Weiterhin aufgrund unterschiedlichster Gründe und Koch: Unsere große Aufgabe heißt treffen sich in unserem Haus Gruppen Lebenslagen gerade nicht in der Lage »Selbsthilfeunterstützung«. Wir unterstüt- aus unterschiedlichen Kulturkreisen wie sind, sich selbst zu helfen. zen die Gruppen, die sich bei uns im Haus zum Beispiel aus Nigeria, Kamerun, dem und in ganz Reinickendorf treffen, bei Kongo oder eine Aussiedlergruppe. Dann Hast du dich schon vorher mit dem Thema ihrer Arbeit. Dabei begleiten wir sie zum haben wir noch Gruppen aus dem Frei- Selbsthilfe beschäftigt oder war es eher Beispiel bei der Gruppengründung und in zeitbereich, die gemeinsam etwas unter- Zufall? krisenhaften Gruppensituationen, organi- nehmen möchten, wie beispielsweise Koch: Es war tatsächlich eher Zufall. Ich sieren Referent*innen für Fachvorträge verschiedene Frauen- und Senior*innen- habe meine Berufslaufbahn in der Kinder- oder Workshops und vermitteln Interes- gruppen. und Jugendhilfe begonnen. War dann aber sierte. Wir haben bei uns im Haus circa nach den ersten Jahren mit den Arbeits- 35 Gruppen, die sich treffen, zu ganz un- Du hast von der Vielseitigkeit deines Jobs erzählt. Inwieweit geht deine Aufgabe über die Beratung und Begleitung der Gruppen Links: Jeannine Schätzle, Mitglied der bbz-Redaktion, hinaus? Rechts: Adelina Koch, Sozialarbeiterin im Selbsthilfezentrum Reinickendorf Koch: Der zweite Aspekt ist die Öffent- lichkeitsarbeit, die einen sehr großen Teil einnimmt. Wir sind gerade dabei, die Flyer neu zu gestalten. Zudem werben wir auf unserer Homepage, in diversen Nachbarschaftsportalen, lokalen Zeitun- gen und Social Media. In Berlin ist die Datenbank von SEKIS die zentrale Daten- bank für die Suche nach Selbsthilfegrup- pen. Dort pflegen wir den Bereich für Reinickendorf. Wir führen selbst auch Veranstaltungen zu verschiedensten The- men unserer Gruppen durch, die wir or- ganisieren und bewerben. Zwei Mal im Jahr geben wir ein Programmheft heraus, FOTOS: GEW das nimmt schon ziemlich viel Arbeits- zeit ein. 16 KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT bbz | JULI/AUGUST 2021
SEKIS (Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle) informiert über Selbsthilfe in Berlin, unterstützt Gruppen bei der Gründung oder der Vertretung ihrer Interessen. www.sekis-berlin.de Ein weiterer großer Bereich ist die Gre- ist das Haus voll. Es ist dann eine Frage des Verstehens, Mitgefühls, Ansporns, mienarbeit, weil wir mit der Berliner von Flexibilität, Abgrenzung und Multitas des gegenseitigen Respekts und des An- Selbsthilfe sehr vernetzt sind und dort in king. genommenseins. unterschiedlichen Arbeitskreisen aktiv Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Gibt es einen Teil der Arbeit, der dich be- werden. Darüber hinaus gibt es natürlich Öffentlichkeitsarbeit ein sehr großer Be- sonders begeistert? noch weitere Netzwerke und Arbeitsge- reich. Damit muss man sich beschäftigen Koch: In der Öffentlichkeitsarbeit fühle meinschaften, in denen die Selbsthilfe und sich weiterbilden. Es gibt Aspekte mich sehr wohl. Ich kann da neue Ideen aktiv ist, wie zum Beispiel das Gesunde der Öffentlichkeitsarbeit, die machen wir entwickeln, um mehr Menschen zu errei- Städte Netzwerk. Neben der Unterstüt- selber, wie Ausschreibungen oder Wer- chen. Besonders die kreative Arbeit, wie zung der Selbsthilfegruppen vor Ort ha- bung für die Gruppen, aber es gibt auch die Gestaltung der neuen Flyer, macht mir ben wir auch den Auftrag, die Selbsthilfe die Möglichkeit, entsprechende Fachkräf- zurzeit dabei am meisten Spaß. als Hilfeform bekannter zu machen, als te weiterführend zu engagieren. Möglichkeit der Aktivierung und des Em- Gibt es andererseits Bereiche, die du schwie- powerments. Noch mehr Menschen sollen Gibt es Erlebnisse, die dich besonders ge- rig findest? Nicht nur für dich, sondern die von der Möglichkeit wissen, sich in Grup- prägt haben? Eine Geschichte, die dir Herausforderungen, die noch zu bearbeiten pen zu organisieren und die eigenen The- spontan einfällt, etwas, das vielleicht ein sind? men aktiv anzugehen. bisschen beschreibt, wie die Arbeit hier so Koch: Ein Thema ist die Finanzierung. abläuft? Wir unterliegen dem Zuwendungsrecht Du hast vorher schon erzählt, welche Ar- Koch: Was mich sehr geprägt hat, ist und müssen Fördergelder finden, was es beitsbereiche schwerpunktmäßig von euch tatsächlich diese Vielfältigkeit an The- manchmal nicht so einfach macht, Pro- abgedeckt werden – welche Kompetenzen, men, die teilweise an einem Tag auf einen jekte umzusetzen. Es wäre schön, wenn welche Fähigkeiten braucht man für das, einströmen. Wie viele Schicksale einem das einfacher und flexibler möglich wäre. was ihr hier tut? hier begegnen, in welcher besonderen Zudem haben wir zwar eine recht große Koch: Es ist ein sehr vielseitiger Ar- Rolle man ist. Die Distanz zu den Men- Freiheit in der Gestaltung unserer Arbeit, beitsbereich, daher ist es gut, breit aufge- schen, die hierherkommen, ist eigentlich das kann allerdings auch schwierig sein. stellt zu sein. Zum einen gibt es den pä- größer als in der klassischen sozialpäda- Wir sind drei Sozialpädagoginnen in Teil- dagogischen Bereich, wo es um Gruppen- gogischen Arbeit und trotzdem ist ein zeit und müssen ein recht vielseitiges, arbeit, um Beratung geht und entspre- Austausch und Nähe da. Es kommen im- komplexes Projekt stemmen, das weit chende Kompetenzen gefragt sind. Es mer wieder neue Anfragen und Aufgaben über die Soziale Arbeit hinausgeht. sind aber auch einige organisatorische auf einen zu. Man arbeitet sich natürlich Fähigkeiten gefragt, also vieles geht um ein, um zu verstehen, was das alles be- Was würdest du dir für die Zukunft wün- Koordinierung und Organisation hier im deutet. Ich habe Krankheiten kennen schen? Haus, Projektmanagement würde ich sa- gelernt, von denen ich vorher noch nie Koch: Mehr Anerkennung! Ich ärgere gen. Es kommen immer wieder Aufträge was gehört habe und von Schicksalen mich darüber, dass die Löhne sich stark FOTO: ADOBE STOCK/LUCKAS KOMMUNIKATION auch von außen, welche Schwerpunktthe- erfahren, die hätte man sich nicht aus- unterscheiden und prinzipiell recht nied- men gerade umzusetzen sind, von der denken können. rig sind. Allein in Berlin verdienen die Senatsverwaltung zum Beispiel. Und in diesem Zusammenhang ist ein Mitarbeiter*innen in den Selbsthilfekon- Gut strukturiert zu sein, ist auf jeden weiterer Aspekt, der mich sehr geprägt taktstellen ganz unterschiedlich, wobei Fall auch ein Aspekt, es passiert vieles hat und noch prägt, der »Geist der Selbst- wir doch alle ähnliche Arbeit machen. Ich gleichzeitig. Man bekommt sehr viele E- hilfe«. Gemeint ist damit die Haltung, mit wünsche mir, dass wir alle nach TV-L be- Mails, dann haben wir natürlich auch der Menschen sich ihren Problemen, Ein- zahlt werden. Schließlich machen wir Sprechzeiten, wo von außen Anfragen schränkungen, Ängsten, Verlusten, Schmer- eine wertvolle Arbeit in den Bezirken, kommen. Im Moment ist es sehr ruhig im zen stellen und in der Gemeinschaft ihrer Stadtteilen und Kiezen. Das sollte ent- Haus – coronabedingt –, aber in der Regel Gruppe angehen. Diese Haltung ist die sprechend honoriert werden. JULI/AUGUST 2021 | bbz KINDER-, JUGENDHILFE & SOZIALARBEIT 17
Sie können auch lesen