Arbeitsrechte und sozialer Fortschritt in der digitalen Wirtschaft - PES SOCIALISTS & DEMOCRATS
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INHALT 04 Vorwort von Sergei Stanishev 05 Einleitung von Pervenche Berès MEP 05 Einleitung von Yonnec Polet 06 Evolution der digitalen Wirtschaft (Abbildung) 08 HINTERGRUND 09 Evolution der digitalen Wirtschaft 10 Was ist die digitale Wirtschaft? 11 Politischer und rechtlicher Kontext 14 Die Plattformwirtschaft: ein Überblick (Abbildung) 16 Digitalisierung, Plattformwirtschaft und deren Auswirkung auf die soziale Sicherung und arbeitsrechtliche Standards 20 Die digitale Wirtschaft und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt (Abbildung) 22 POLITIKVORSCHLÄGE 24 Vorbereitung auf berufliche Veränderungsprozesse und die Diversifizierung beruflicher Werdegänge 26 Garantierter Schutz in der Erwerbstätigkeit 28 Vergleich von Normalbeschäftigungsverhältnissen und atypischen Formen (Abbildung) 30 Ein echtes Sicherheitsnetz für Zeiten der Arbeitslosigkeit 32 Integration aller Arbeitsformen in die Finanzierung des Sozialschutzes 34 SCHLUSSFOLGERUNG 36 Erklärung der Minister für Beschäftigung und Sozialpolitik der SPE 38 GLOSSAR 40 FUേNOTEN 03
VORWORT Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben Fortschritt schon immer begrüßt. Wir haben sogar dafür gekämpft - darum nennt man uns auch „progressiv“. Allerding ist das konsistente Engagement unserer politischen Familie gegenüber dem Fortschritt nicht durch blinde Einhaltung einer politischen Doktrin geprägt. Ganz im Gegenteil: Wir glauben, dass der Fortschritt in vielen unterschiedlichen Bereichen des menschlichen Bemühens insbesondere in der sozia- len und politischen Arena der einzige Weg ist, um das Leben der Menschen im Einklang mit unseren Grundwerten der Demokratie, Gleichheit und sozia- len Gerechtigkeit zu verbessern. Dabei sind wir stolz auf die Rolle, die Sozialdemokratinnen und Sozialde- mokraten im Verlauf der Geschichte im Kampf für positiven Fortschritt gespielt haben. Trotzdem bleibt viel zu tun. Das wird nirgendwo so klar, wie in unserer heutigen digitalen Welt. Die Geschichte lehrt uns, dass tech- nologischer Fortschritt nicht nur ein Katalysator für Verbesserungen beim Wirtschaftswachstum und den Freiheiten des Einzelnen sein kann, sondern auch beim Vorankommen der gesellschaftlichen Rechte. Wir als Progressive werden sicherstellen, dass die digitale Revolution dieses Versprechen auch hält. Aus der Geschichte haben wir außerdem gelernt, dass Fortschritt - insbesondere technologischer Fortschritt - nicht automatisch allen zu Gute kommt. Wir müssen sicherstellen, dass er für viele Menschen vorteilhaft ist und nicht nur für die wenigen. Gerade im Bereich der digitalen Wirtschaft und ganz beson- ders in der Arbeitswelt haben wir diesen Punkt noch nicht erreicht. In diesem Dokument stellt sich die Sozialdemokrati- sche Partei Europas der Aufgabe, wie die Digitalisie- rung für alle funktionieren kann. Unsere Schlussfol- gerungen sind zwar sehr detailliert, lassen sich jedoch einfach zusammenfassen. Wenn Digitalisie- rung in den Teilen der Wirtschaft, in denen sie her- kömmliche Beschäftigungsmodelle schnell ver- drängt, als Fortschritt gelten soll, dann darf es den Menschen, die in diesen Teilen der Wirtschaft arbei- ten, nicht schlechter gehen. Sie dürfen im Vergleich zum Zeitraum vor der Einführung dieser Technolo- gien nicht geringeren Schutz und weniger sichere Arbeitsplätze haben. Unsere Vorgängergeneration hat ein robustes euro- päisches Sozialmodell hinterlassen, das im zwan- zigsten Jahrhundert geboren wurde. Unsere Auf- gabe ist es nun, dieses Modell so anzupassen, dass es auch in der sich wandelnde Welt des einund- zwanzigsten Jahrhunderts tragfähig ist. Sergei Stanishev Präsident der Sozialdemokratischen Partei Europas 04
Die digitalen Technologien haben die Arbeitswelt bereits tiefgreifend verändert und werden das auch in Zukunft tun. Zutage getreten sind diese Veränderungen durch die breite Berichterstattung über vielfache gesellschaftliche Konflikte und Gerichtsverfahren, die gegen Unternehmen wie Uber, Airbnb und ähnliche Firmen angestrengt wurden. Solche Veränderungen betreffen Berufe, in denen haut- sächlich Informationstechnologie eingesetzt wird, aber auch jene, in denen die Digitalisierung über Handy-Apps Einzug hält und sehr unterschiedliche, aber trotzdem weit- reichende Auswirkungen hat. Denn egal ob am Arbeits- platz, bei der Arbeitszeit, beim Sozialbeitrag, in Tarifver- handlungen, bei Steuern oder in Fragen des Wirtschaftsmodells, der fortlaufende Digitalisierungspro- zess hinterlässt seine Spuren bei den Arbeiterinnen und Arbeitern in ganz Europa. Und wie immer gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille. Die eine ist positiv und bringt uns Vorteile und Komfort durch die Nutzung der digitalen Technologien. Die andere Seite der Medaille jedoch wirft viele Fragen auf. Was pas- siert mit dem Datenschutz, mit den Rechten der Content- Produzentinnen und -Produzenten und ganz allgemein mit der einschlägigen Gesetzgebung in einer immer fragmen- tierteren, internationalisierten und entmaterialisierten Wirtschaft? Was passt mit der Organisation der Arbeit und der sozialen Sicherung, die wir kennen, angesichts digitaler Plattformen mit Apps, die Angebot und Nach- Liebe Freundinnen und Freunde, frage verbinden, dabei jedoch die Definitionen von Begrif- die digitale Wirtschaft führt zu tiefgreifenden Verän- fen wie Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer, Arbeitgeberin derungen in der heutigen Arbeitswelt, in unseren und Arbeitgeber, Dienstleisterin und Dienstleister und sozialen und wirtschaftlichen Strukturen und in der selbst Arbeiterin und Arbeiter verwischen? Art und Weise, wie wir miteinander interagieren. Wir müssen uns dem technologischen Fortschritt öffnen. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten tra- Trotzdem dürfen wir nicht zulassen, dass wir damit in eine gen wir die Verantwortung dafür, dass die digitale Ära des Tagelohns und in Arbeitsbedingungen zurückfal- Revolution allen Teilen der Gesellschaft zu Gute len, die wir sie aus dem neunzehnten Jahrhundert kennen. kommt, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Ganz im Gegenteil, wir sollten sicherstellen, dass durch gleichermaßen schützt und gleiche Chancen für alle den technologischen Fortschritt die in der europäischen schafft. Dafür müssen wir die neuen Realitäten, die sozialen Acquis niedergelegten Standards nicht untergra- durch die digitale Revolution geschaffen werden, ben werden. Das ist das Ziel vieler Initiativen, wie dem eingehend analysieren, ein Laissez-Faire-Ansatz Recht auf Nichterreichbarkeit, oder der Schaffung eines genügt hier eindeutig nicht. beruflichen Tätigkeitskontos, damit sich die Rechte und Diese Broschüre präsentiert die Ergebnisse eines Rechtsansprüche der Arbeiterinnen und Arbeiter von umfassenden Austauschs zwischen den Mitgliedern einem auf das nächste Beschäftigungsverhältnis übertra- der SPE, den Gewerkschaften sowie der Zivilgesell- gen lassen. Darin besteht auch das Ziel des lebenslangen schaft im Rahmen der Sitzungen unseres SPE Social Lernens, das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Europe Network und auch die Anstrengungen unserer befähigen soll, sich im Verlauf ihrer Karriere an die sich Ministerinnen und Minister in den EPSCO-Ministerkon- verändernden Anforderungen ihrer Arbeit anzupassen. ferenzen sind hier eingeflossen. Sie zeigt konkrete Letztlich besteht unser Ziel in der Schaffung eines breite- Schritte auf, wie man die Herausforderungen und ren Sicherheitsnetzes gegen Arbeitslosigkeit, bei dem die Chancen angehen kann, die durch die digitale Wirt- beruflichen Veränderungen, denen Arbeiterinnen und schaft für unsere Gesellschaft entstehen. Wir möchten Arbeiter im Laufe ihres Lebens ausgesetzt sind, bessere den richtigen Weg finden, denn ansonsten besteht die Berücksichtigung finden. Gefahr, dass die Digitalisierung zu Schaffung unsiche- Mit dem SPE Social Europe Network haben wir Vorschläge rer Arbeitsplätze beiträgt und die Rechte von Arbeit- unterbreitet, wie man diesen Herausforderungen gerecht nehmerinnen und Arbeitnehmern untergräbt. werden kann. Wenn wir diese neuen Tools anwenden und Ich hoffe, dass Ihnen diese Broschüre gefällt und sie gleichzeitig unsere hohen sozialen Standards aufrechter- einen Betrag dazu leistet, sicherzustellen, dass die halten, können wir das Beste aus den neuen Realitäten der Vorteile der digitalen Wirtschaft allen zugutekommt Arbeitswelt machen. Auf den folgenden Seiten können Sie und jeder Zugang zu guter Arbeit hat. mehr über unsere Vorschläge erfahren. Yonnec Polet Pervenche Berès MEP Stellvertretender Generalsekretär der SPE Vorsitzende des PES Social Europe Network 05
Evolution der dig und davor Produktion Verkauf von Waren über das Inter Fließbandproduktion Auktionen Reisen Bücher & CDs Neue Technologie IT Hardware Mobiltelefone Ver PCs Inte Digitale Domänen Eingeschränkte und Genereller Einsatz Mo wissenschaftliche von IT im Büro IT- Nutzung 06
gitalen Wirtschaft net Roboter Plattformwirtschaft Peer to peer rbundene PCs Smartphones ernet obile Nutzung von Rund um die Uhr Fahrrad- Call-Zentren Lieferung Car-Sharing Click-Work 07
“ Wir möchten, dass alle vom technologischen Fortschritt und verbesserter Produktivität, Flexibilität und Autonomie profitieren. 08
Evolution HINTERGRUND der digitalen Wirtschaft Die digitale Wirtschaft verändert unsere Gesellschaft Menschen aller Altersgruppen und mit jedem Hinter- und hat tiefgreifende Auswirkungen auf die sozialen grund ihren Platz in diesem sich wandelnden und wirtschaftlichen Interaktionen. Digitale Techno- Arbeitsmarkt finden und gleichzeitig wollen wir die logien fördern Unternehmensinnovationen, erwei- Polarisierung der Beschäftigung in hochqualifizierte tern die Angebote für Verbraucherinnen und Ver- ICT-Spezialisten einerseits und das „Cybertariat” auf braucher und schaffen neue Arbeitsplätze und der anderen Seite verhindern. In Anbetracht so Arbeitspraktiken, die höhere Flexibilität und Autono- gefährlicher Trends wie der Individualisierung von mie versprechen. Aus technischer Perspektive bieten Risiken, starken Preiskämpfen und der Herabstufung digitale Dienstleistungen innovative, generell zuver- sozialschutzrechtlicher Standards fordern wir eine lässige und benutzerfreundliche Möglichkeiten, um umfassende Strategie, mit der die bestehenden die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbrau- Schutzmodelle und Arbeitsrechtsstandards auch auf cher zu erfüllen, häufig auch zu geringeren Kosten all diejenigen ausgeweitet werden, die in der digita- als traditionelle Dienstleistungen. Die Digitalisierung len Wirtschaft tätig sind, insbesondere auf die Platt- der Branchen schafft neue Chancen für europäische form-Arbeiterinnen und -Arbeiter. Industrieunternehmen, ihre Produktion zu moderni- Unser Ziel ist die Schaffung einer Wettbewerbs- sieren, dem Bedarf der Menschen besser zu entspre- gleichheit zwischen der traditionellen Wirtschaft chen und so Wettbewerbsvorteile zu erlangen. und der Plattformwirtschaft, so dass Rechte und Diese digitale Transformation hat ein riesiges Poten- Pflichten für alle Akteure gleichermaßen gelten - zial für Wachstum, Innovation und die Schaffung von egal, ob sie online oder offline tätig sind. Arbeitsplätzen und sollte daher unterstützt werden, Ziel dieses Dokuments ist es, die gemeinsamen pro- auch durch Investitionen in Infrastruktur, digitale Bil- gressiven Antworten, die wir auf die Chancen und dung und Unternehmen. Um sich diese Vorteile Herausforderungen, denen unsere Beschäftigungs- jedoch umfassend nutzbar zu machen, müssen die und Sozialschutzmodelle in einer immer digitalisier- traditionellen Branchen auf den digitalen Übergang teren Wirtschaft ausgesetzt sind, gefunden haben, vorbereitet werden, nur so können Startup-Unter- in Kontext zu setzen. nehmen unterstützt und Innovations-Hubs geschaf- fen werden.1 Auf den folgenden Seiten erläutern wir zunächst, wie wir den Begriff „digitale Wirtschaft“ verstehen Trotzdem haben die Auswirkung auf den Arbeits- und skizzieren danach den politischen und rechtli- markt gemischte Ergebnisse hervorgebracht, sei es chen Kontext sowie die Auswirkung der Digitalisie- durch neue Beschäftigungssektoren oder durch sich rung und der Plattformwirtschaft auf soziale Siche- verändernde Arbeitspraktiken. Der Übergang zu rung und die Arbeitsstandards. Darauf folgt ein einem digitalen Arbeitsumfeld darf nicht dazu füh- zweiter Teil, in dem Politikvorschläge zum Umgang ren, dass die europäischen Arbeits- und Beschäfti- mit den Chancen und Herausforderungen unterbrei- gungsstandards untergraben werden.2 Wir möchten tet werden, die in diesem Hintergrundpapier ange- eine nachhaltige digitale Wirtschaft schaffen, die für sprochen wurden. Wachstum und eine bessere Zukunft steht, sowie für neue, qualitativ hochwertig Arbeitsplätze, neue For- men der Solidarität und soziale Gerechtigkeit für alle Bürgerinnen und Bürger und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.3 Doch dafür müssen wir bei die- sem Übergang zu einem digitalen Arbeitsmarkt und -umfeld sichern, dass angemessene soziale Siche- rung und adäquate Arbeitsbedingungen bestehen bleiben und die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet sind. Wir möchten, dass alle vom technologischen Fort- schritt und verbesserter Produktivität, Flexibilität und Autonomie profitieren. Das bedeutet, dass wir bereit sind, für adäquate Schulungs- und Umschu- lungsmaßnahmen zu kämpfen. Wir möchten, dass 09
Was ist die Es gibt eine Vielzahl an Begriffen, die synonymisch für die digitale Wirtschaft verwendet werden, obwohl sie wichtige Unterscheidungsmerkmale bergen. Zu diesen Begriffen gehören: digitale ■ „Vierte Welle der Industrialisierung” oder „zweites Maschinenzeitalter“ auf Grund der „Big Data Explo- sion“ und des Roboter-Markts,4 Wirtschaft? ■ Eine „zweite, von der Realwirtschaft getrennte Wirtschaft”,5 ■ „Plattformwirtschaft“, „kollaborative Wirtschaft“, „Share-Economy“, „Gig-Economy“6, „Crowd-Eco- nomy“, „On-Demand-Economy“ oder „Peer-to-Peer-Economy“.7 Digitalisierung und die digitale Wirtschaft stehen für die ständig wachsende Präsenz von Informations- und Kommunikationstechnologien an vielen Arbeits- plätzen, die wachsende Bedeutung digitaler Unter- nehmen (Infrastruktur-, Hardware- und Softwareproduzenten) und vollkommen neue For- men von Arbeit, die durch die wichtige Rolle von Plattformen, Netzwerken und Big Data geprägt sind “ und bei denen der geografische Standort keine Rolle mehr spielt.8 Diese Digitalisierung hat eine zuneh- mende Anzahl an atypischen Beschäftigungsver- hältnissen hervorgebracht, wie Freiberufler oder Wichtig ist die Arbeit in der sogenannten Plattformwirtschaft.9 Digitalen Geschäftsmodellen, die über Plattformen arbeiten, wurde bereits viel Aufmerksamkeit zuteil. Die Unterscheidung bekanntesten Formen sind Car-Sharing-Dienste (daher auch der Begriff „Uberisation”), Home-Sharing- Plattformen und Messenger-Lieferdienste, bei denen zwischen Plattformen, Plattformen Algorithmen nutzen, um Dienstleiterinnen und Dienstleister und Benutzerinnen und Benutzer die „gewerbliche Ziele“ zusammenbringen, Arbeiten zuzuweisen und die Aus- zahlung von Einnahmen zu verwalten. Der Einsatz sol- cher Technologien senkt die Transaktionskosten sowie verfolgen und anderen die Risiken der Markttransaktionen bzw. macht sie überschaubar, zum Beispiel bei unvollständigen Infor- mationen über die Arbeitnehmerin bzw. den Arbeit- mit „nicht gewerblichen” nehmer mittels einer Mischung aus verschiedenen Überwachungssystemen, standardmäßigen Versiche- rungsmechanismen und rechtlichen Diensten zum Zwecken sowie Schutz gegenüber Betrug.10 Doch angesichts der Ver- änderungen der Arbeitswelt, in der Personalrekrutie- rung und in den Personalstrategien sind Plattform- zwischen Arbeiterinnen Unternehmen der größte Störfaktor der digitalen Transformation und rühren an den Grundfesten der traditionellen sozialen Sicherungssysteme. und Arbeitern und Trotzdem sind nicht alle digitalen Plattformen gleich: hier muss eine klare Unterscheidung zwischen den Tätigkeitstypen gemacht werden, die die digitale Benutzerinnen und Plattform ermöglicht. Während einige als Dienstleister fungieren und gelegentlich Modelle einsetzen, die auf Sozial- und Steuerdumping basieren, wollen andere Benutzern. (z.B. Car-Pools) einfach nur die Ressourcennutzung optimieren und haben daher nur beschränkte Auswir- kungen auf Beschäftigung und soziale Sicherung. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Plattformen, die „gewerbliche Ziele” verfolgen und anderen mit „nicht gewerblichen” Zwecke sowie zwischen Arbei- ternehmerinnen und Arbeitnehmern und Benutzerin- nen und Benutzern. In diesem Dokument geht es in der Hauptsache um die Herausforderungen, die sich durch die gewerblichen Plattformen ergeben. 10
Politischer der entsprechenden Plattform arbeiten. Uber beispiels- weise muss sich allein in den USA in 170 Klagen verant- worten und wurde zwischen 2009 und April 2016 zur Zahlung von bis zu 161,9 Mio. $ verurteilt. Vor allem in und rechtlicher einer Sammelklage von bis zu 385.000 Fahrern von Uber in Kalifornien und Massachusetts bot Uber zunächst einen Vergleich in Höhe von 100 Mio. $ an und Kontext erklärte sich dann zu einer Änderung ihrer Richtlinien bereit. Dieser Vorschlag wurde jedoch von einem Gericht in Kalifornien abgelehnt, da damit der Fall ohne eine Entscheidung über den Status der Fahrerinnen und Die digitale Transformation ist bereits in großem Maße Fahrer von Uber eingestellt worden wäre.17 Im Septem- Teil der politischen Debatte in Europa, insbesondere ber 2016 haben die Gerichte in San Francisco geurteilt, bezüglich der Agenda des digitalen Binnenmarkts. Lei- dass sich die Fahrer, die ihren Vertrag mit Uber zwi- der fehlt es den bisherigen Kommissionsvorschlägen schen 2013 und 2014 geschlossen haben, zur Lösung zum digitalen Binnenmarkt noch immer an jeglicher ihrer Streitigkeiten nicht an die Gerichte, sondern an die sozialen Dimension. In der Mitteilung der Kommission Schiedsgerichte wenden sollten, sodass eine Sammel- über die Europäische Agenda für kollaborative Wirt- klage offensichtlich nicht mehr in Frage kommt.18 schaft definiert die Europäische Kommission den In Europa wurde der Betrieb solcher Plattformen aus Begriff „kollaborative Wirtschaft” als Geschäftsmo- “ delle, bei denen Tätigkeiten durch kollaborative Platt- formen ermöglicht werden, die einen offenen Markt für die vorübergehende Nutzung von Waren oder Dienst- leistungen schaffen, welche häufig von Privatpersonen angeboten werden”.11 Unter Bezugnahme auf den Jah- reswachstumsbericht 2016 hat die Kommission betont, Den Kommissionsentwürfen dass sich eine flexiblere Regulierung der Dienstleis- tungsmärkte produktivitätssteigernd auswirken und den Markteintritt neuer Akteure erleichtern, Dienstleis- zum digitalen Binnenmarkt tungen günstiger machen und die Auswahl für die Ver- braucherinnen und Verbraucher vergrößern könnte”.12 Weiter führt die Kommission aus, dass „neue fehlt es aktuell noch Geschäftsmodelle ein beträchtliches Potenzial zur Stei- gerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum ber- gen”, indem sie „flexible Arbeitsregelungen und neue immer an jeglicher sozialer Einkommensquellen” fördern.13 Den Gedanken der wirtschaftlichen Liberalisierung auf- Dimension. rechterhaltend hat die Kommission eine einseitige Per- spektive auf die neuen Formen der Arbeit in der digita- len Wirtschaft und lässt dabei die Herausforderungen ähnlichen Gründen von mehreren Ländern untersagt außer Acht, die sich aus der Erodierung der sozialen oder eingeschränkt. Sicherung, durch unklare Verträge und die Nichtein- ■ In einem kürzlich zu Ende gegangenen richtungs- haltung von arbeitsrechtlichen Standards ergeben. Im weisenden Verfahren gegen Uber in Großbritannien May 2016 drückten vierzehn Mitgliedsstaaten der EU wurde das Argument von Uber, dass die Fahrerinnen ihre Bedenken dahingehend aus, dass eine pauschali- und Fahrer bei Uber nicht angestellt seien, sondern sierte Regulierung von Online-Plattformen „Innovatio- lediglich die Technologie des Unternehmens nutzten, nen behindern” könnte und verlangten einen „positi- zurückgewiesen. ven Ansatz gegenüber der digitalen Zerrüttung”.14 Im Urteil heißt es, dass das Ubers Produktangebot Allerdings unterlagen die Plattform-Unternehmen in deutlich von Uber selbst komme und nicht von den den letzten zwei Jahren, insbesondere sogenannte einzelnen Fahrerinnen und Fahrer und dass das Selbst- Fahrdienstvermittler bereits rechtlichen Kontrollen, da marketing erfolge, um den Namen Uber zu fördern.19 sie Schlupflöcher im Regulierungsrahmen gefunden Etwa 40.000 Fahrer haben nun Anspruch auf grundle- hatten (z. B. durch den Betrieb von Taxi-Geschäften gende Rechte, einen Lohn entsprechend des Existenz- ohne Lizenz), sie die Sicherheit für Verbraucherinnen minimums im Land sowie auf Krankschreibung und und Verbraucher und die Standards des Datenschutzes Urlaub.20 herabgesetzt bzw. sogar arbeitsrechtliche Standards ■ In Frankreich wurde angeordnet, dass Uber 1,2 Mio. verletzt haben.15 EUR an den Zusammenschluss der Taxifahrerinen und ■ In den USA geht es bei den Verfahren gegen die Taxifahrer zu zahlen hätte, nachdem Beschwerden ein- Plattform-Unternehmen, darunter die Fahrdienstleister gegangen waren, dass die Fahrerinnen und Fahrer von Uber, Lyft und Instacart, die Messenger-Dienste Shyp, Uber genau wie normale Taxis arbeiteten und auf der Postmates, GrubHub, Try Caviar und Washio, sowie der Straße auf Fahrgäste warteten.21 Anfang 2016 machten Reinigungsdienst Homejoy, in der Hauptsache um eine die Taxifahrerinen und Taxifahrer in Frankreich mit lan- falsche Einstufung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- desweiten Protesten Schlagzeilen, bei denen es zu Ver- nehmer als selbstständige Auftragnehmerinnen und kehrsstörungen und Auseinandersetzungen mit der Auftragnehmer, obgleich sie klar nach den Vorschriften Polizei kam.22 11
■ In Belgien waren Car-Sharing-Dienste wie Uber beruflerinnen und Freiberufler.26 zunächst verboten, bis die Stadtverwaltung in Brüssel Außerdem sind bei den darstellenden Künsten „Tarif- Pläne vorlegte, nach denen der Taxidienst moderni- verträge mit mehreren Arbeitgebern üblich und bil- siert werden soll, einschließlich unter Berücksichti- den einen wichtigen Mechanismus bei der Festle- gung neuer technologischer Entwicklungen und bei gung der Bezahlung sowie der gleichzeitiger Bekämpfung unfairen Wettbewerbs.23 Arbeitsbedingungen”.27 Hier dienen die vereinbarten ■ Nach einer Beschwerde des Taxiverbands Deutsch- „Lohnsätze zwischen den Gewerkschaften und den lands, in der es hieß, dass Uber deutsches Recht miss- Arbeitgeberverbänden allgemein als Benchmark für achte, wurden die Dienste von Uber in Deutschland die Branche”.28 Gleichzeitig tritt bei den darstellen- verboten, nachdem sie 2014 zunächst angeboten wor- den Künsten und der audiovisuellen Branche der den waren. Später wurde das Urteil von einem Gericht Konflikt zwischen den Rechten der Arbeitnehmerin- in Frankfurt aufgehoben.24 nen und Arbeitnehmer und dem Wettbewerbsrecht Wenn man die Herausforderungen eingehend besonders deutlich zu Tage, da in vielen Gesetzen betrachtet, die sich aus der digitalen Wirtschaft und Tarifverhandlungen unter den Geltungsbereich des den gewerblichen Plattformen ergeben, lassen sich Wettbewerbsrechts fallen. Folglich werden die wichtige Lehren und Handlungsempfehlungen für Anstrengungen der Freiberuflerinnen und Freiberuf- andere Branchen ableiten. Das gilt beispielsweise für ler, sich zu organisieren und tarifvertragliche Ver- die Bereiche der darstellenden Künste und der audio- handlungen zu führen, im Rahmen des Wettbewerbs- visuellen Branche und der Versuchen Tarifverhandlun- rechts als nicht gesetzeskonform eingestuft. Dieses gen für selbstständige Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Problem könnte auch in der digitalen Wirtschaft und nehmer und Freiberuflerinnen und Freiberufler bei gewerblichen Plattformen entstehen. einzuführen. ■ In den Niederlanden hat im Fall eines Tarifvertrags, der zwischen der FNV KIEM29 sowie den Orchester- “ Arbeitgebern ausgehandelt worden war und selbst- ständigen Musikerinnen und Musikern Mindestvergü- tungen und Rentenleistungen zusicherte, das Berufungsgericht in Den Haag geurteilt, dass „freibe- Durch das Fehlen klarer rufliche Musiker scheinselbstständig wären, insofern als dass ihre Arbeitsbeziehung ein Unterordnungsver- hältnis impliziere.30 und kohärenter ■ In Dänemark ist es für Gewerkschaften mittlerweile schwieriger geworden, Tarifverhandlungen im Namen Regelungen wissen viele von Freiberuflerinnen und Freiberuflern und kurzzeitig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu führen. So können freiberufliche Pressefotografin- Länder nicht, nen und Pressefotografen bzw. freiberufliche Journa- listinnen und Journalisten in Dänemark nicht länger eine Liste mit empfohlenen Vergütungssätzen bzw. wie sie mit den neuen Bedingungen für Freiberufler zusammenstellen und veröffentlichen, wodurch sich ihre Bezahlung und ihre Arbeitsbedingungen erheblich verschlechtert haben.31 Wettbewerbern und der Diese vielen Verfahren und Beispiele zeigen deutlich, dass ein Laissez-Faire-Ansatz nicht genügt, wenn neuen durch sie unsere Gesellschaft als Ganze von der Digitalisierung profitieren soll.32 Es müssen Lösungen gefunden wer- den, mit denen sich der Schutz der Arbeitnehmerin- geschaffenen Organisation nen und Arbeitnehmer verbessern lässt. Durch das Fehlen klarer und kohärenter Vorschriften wissen jedoch viele Länder nicht, wie sie mit den der Arbeit umgehen sollen. neuen Wettbewerbern und der neuen durch sie geschaffenen Organisation der Arbeit umgehen sollen. Die Digitalisierung unserer Volkswirtschaft und unse- rer Arbeitsmärkte insbesondere erfordert einen Regu- lierungsrahmen auf nationaler Ebene und EU-Ebene , ■ Deutschland geht das Problem der Tarifverhandlun- um angemessene Schutzstandards zu schaffen gen für Selbstständige beispielsweise im Rahmen nati- (Arbeits- und Sozialrecht, Vertragsrecht, Handelsrecht, onelen Rechts an, das Selbstständigen vornehmlich im Datenschutzrecht, Steuerrecht usw.), ein umfassendes Bereich Presse und Fernsehen die Möglichkeit bietet, Sicherheitssystem aufzubauen, das in der Lage ist, die von den Bestimmungen in Tarifverträgen zu Herausforderungen, die sich aus höherer Flexibilität, profitieren.25 Unsicherheit und Instabilität der Beschäftigungsver- ■ In Großbritannien gilt der Tarifvertrag zwischen der hältnisse und aus flexibleren Formen der Arbeitszeit- Gewerkschaft Broadcasting, Entertainment, Communi- gestaltung in der digitalen Wirtschaft ergeben zu cations and Theatre Union (BECTU) und der Produ- bewältigen und Investitionen in die Ausbildung in digi- cers Alliance for Cinema and Television auch für Frei- tale Kompetenzen bereitzustellen.33 12
13
Angebote für Messenger- Transportd Unterricht Dienste Zugang zu selbstständigen Reinigungsdienste Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern & Dienstleistungen Gewerbliche Plattformen Zugang zu Waren & Eigentum Immobilien Auktionen und Wohnen 14
E-Mail-Dienste Soziale online Netzwerke dienste e Gewinnorientiert Nicht gewerbliche Plattformen Nicht gewinnorientiert Bücher usw. Car-Pooling 15
Digitalisierung, Plattform- wirtschaft und deren Auswirkung auf die soziale Sicherung und arbeitsrechtliche Standards Die digitale Wirtschaft hat bereits in vielerlei Hinsicht die im Bereich der Datenerfassung arbeiten, und ihre ihre Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen und Konkurrenz zu Ländern und Regionen mit niedrigsten wird dies auch weiter tun. Sie hat Änderungen der Standards. Diese sogenannten „Crowd-Worker“ wer- Arbeitspraktiken erzwungen und zur Schaffung bzw. den häufig mit sehr eng gefassten Aufgaben betraut, Verbreitung neuer Formen von Arbeit geführt. für die geringe Fähigkeiten erforderlich sind, jedoch den reibungslosen Betrieb der Plattform-Unterneh- Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf die men sicherstellen. Daneben brauchen solche Platt- Normalbeschäftigungsverhältnisse form-Unternehmen auch eine Vielzahl an Arbeiterin- Schaffung und Zerstörung von Arbeitsplätzen: Einer- nen und Arbeitern mit geringen Qualifikationen, die seits entstehen durch die derzeitige digitale Revolution manuellen Aufgaben nachgehen, wie z.B. Liefer- oder neue Arbeitsplätze im digitalen Sektor. Deutschland Transportdiensten usw. Die Plattformwirtschaft bietet meldet beispielsweise jährlich über 7.000 Startup- heute also Arbeitsangebote für Berufe, die genauso Unternehmen in ICT-Bereich, die bereits heute über divers sind wie Bauarbeiter, Kassierer, LKW-Fahrer, eine Million Menschen beschäftigen.34 Die ICT-Branche Anwälte, Sachbearbeiter, Journalisten und medizini- hat einen steigenden Bedarf an hochqualifizierten sches Personal. datenorientieren Arbeitskräften bzw. Ingenieuren her- Qualifikationsdiskrepanzen und digitale Spaltung: vorgebracht. Nach Angaben der Europäischen Kom- 2011 gab die Hälfte der europäischen Bürgerinnen und mission bliebt die Beschäftigungsrate unter ICT-Fach- Bürger an, dass sie wenig oder kein Vertrauen in ihre kräften von den jüngsten Arbeitslosigkeitstrends IT-Fähigkeiten hätte, wobei wesentliche Unterschiede unberührt und wächst seit 2006 jährlich um drei Pro- zwischen den Ländern bestanden (von 26 % bis 79 zent. Das ist acht Mal so hoch wie der Zuwachs der %).39 Zudem unterscheidet sich die digitale Bildung Beschäftigungsrate insgesamt im selben Zeitraum.35 innerhalb der Länder auch nach Gruppen. Obgleich Schätzungen zufolge wird es bis 2020 in der ICT-Bran- also digitale Technologien viele Vorteile bergen, soll- che 756.000 unbesetzte Stellen geben.36 Dagegen ten wir nicht vergessen, dass sie auch neue Formen gehen routineintensive Berufe, für die mittlere Qualifi- der Diskriminierung hervorbringen können. Insbeson- kationen gefragt sind, auf Grund der Automatisierung dere ältere Menschen, Frauen, Menschen mit Migrati- immer mehr zurück, was zu einer Polarisierung der onshintergrund, Menschen mit Behinderungen und Beschäftigung bzw. einer Dualisierung des Arbeits- Bewohnerinnen und Bewohner der ländlichen Räume markts führt. Obgleich die Digitalisierung häufig aus könnten besonders beachtet werden, wenn es darum technologischer Sicht diskutiert wird, lässt sich ange- geht, den Bedarf nach qualifizierten Arbeitskräften zu sichts der Innovationen, Automatisierung und dem decken und ihre Teilnahme an der Arbeitswelt sicher- Ersatz von Arbeit bzw. Arbeitskräften trotzdem schwer zustellen. Dieser höhere Bedarf an digitalen Fähigkei- abschätzen und vorhersagen, welche Auswirkung sie ten betrifft sowohl die ICT-Branche, als auch die her- auf die Verfügbarkeit zukünftiger Arbeitsplätze haben kömmlichen Beschäftigungsbereiche, da die schnellen wird.37 Es ist nicht klar, in welchem Umfang Plattfor- technologischen Veränderungen auch die Gefahr men herkömmliche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber erhöhen, dass Arbeitskräfte überflüssig werden. Das ersetzen werden. In der Hauptsache wird die Digitali- impliziert in hohem Maße, dass Arbeitskräfte auf den sierung also eher eine Auswirkung auf die Art der Wandel der Arbeitswelt vorbereitet werden müssen.40 Arbeitsstellen haben bzw. auf die spezifischen Aufga- Digitalisierung muss durch aktive Bildungspolitik, ben, die zu einem Beruf gehören und die Formen der Schulungspolitik und Industriepolitik begleitet werden, Beschäftigung, die sich daraus entwickeln. damit Arbeitskräfte sich gut ausbilden, umschulen Polarisierung der Beschäftigung: Unternehmen wie bzw. ihre Qualifikationen ausbauen können.41 Google, Facebook, LinkedIn, Amazon, Apple oder Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben werden Microsoft haben relativ wenige Mitarbeiter, vergeben immer komplizierter: Selbst Normalbeschäftigungs- jedoch gleichzeitig Aufgaben wie die Datenerfassung verhältnisse sehen sich vor Herausforderungen von ihren Zentralen in Länder mit potenziell niedrige- gestellt, die mit der Digitalisierung im Zusammenhang ren Arbeitsschutzstandards und geringeren Lohnkos- stehen, dazu gehören verschwommenen Grenzen zwi- ten. Damit entsteht die Idee eines „Cybertariats”.38 schen Arbeit und Privatleben aufgrund ständiger Dieser Begriff bezieht sich auf unsichere Arbeitsbedin- Erreichbarkeit. Viel zu häufig verwandelt sich dabei gungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, 16
die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wann und wo man arbeitet, in die Verpflichtung, überall und jederzeit zu arbeiten. Neue Beschäftigungsformen verwässer den Arbeitsschutz Durch die digitale Transformation steigt die Anzahl atypischer Beschäftigungsverhältnisse wesentlich an, beispielsweise in Form freiberuflicher Arbeit und Arbeit in der sogenannten „Sharing Economy“. Dabei sind atypische Beschäftigungsformen nicht zwangs- läufig unerwünscht oder unvereinbar mit dem Gedanken sicherer Arbeit,42 da sie den Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern größere Freiheiten bie- ten, wie bei Arbeitszeit und Arbeitsort, damit diese ihren eigenen Ausgleich zwischen Arbeitszeit und Pri- vatleben finden können. Solche atypischen Beschäfti- gungsformen bergen auch die Möglichkeit, soge- nannte „Außenseiter” in den Arbeitsmarkt zu integrieren, da diese die bestehenden Einsteigshürden für spezielle Arbeitsmärkte umgehen können. Nichts- destotrotz entstehen durch die Ausweitung der atypi- schen Beschäftigungsformen auch viele Herausforde- rungen für unsere sozialen Sicherungssysteme und insbesondere Crowdsourcing-Plattformen könnten zu einem „Race to the Bottom“ oder Abwärtswettlauf bei Löhnen und Arbeitsbedingungen führen. “ Der Gedanke eines „Cybertariats” bezieht sich auf unsichere Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die im Bereich der Datenerfassung arbeiten, und ihre Konkurrenz zu Ländern und Regionen mit niedrigsten Standards. 17
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Beschäftigungsverhältnisse sind immer weniger Beschäftigten eines Unternehmens oder derselben stabil: Die steigende Anzahl befristeter Verträge und Plattform machen es schwierig, deren gemeinsame selbstständiger Arbeit sowie die verkürzten Ver- Probleme zu erkennen, zu artikulieren und dann tragslaufzeiten führen allesamt zu höherer Fluktua- gemeinsame Interessen zu vertreten. Insgesamt tion unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, könnte dadurch der Geltungsbereich von Tarifverträ- einem stärkeren Wettbewerb zwischen den Arbeite- gen bzw. organisierte Arbeitnehmerinnen- und rinnen und Arbeitern und einem zunehmenden Ent- Arbeitnehmerschaft immer kleiner werden, sodass lassungsrisiko. Ganz besonders gilt das für Plattfor- ganze Teile des Arbeitsmarkts nicht mehr abgedeckt marbeit. Solche Arbeit wird in kleine Arbeitsschritte sind. Zwar könnten alternativen Praktiken und/oder unterteilt und einer großen Anzahl an potenziellen Strukturen für die Organisation gefunden oder Arbeitskräften angeboten. Das spielt vor allem den erfunden werden, trotzdem braucht es staatliche Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und insbeson- Maßnahmen, um die Mindeststandards für Löhne, dere den Plattformen in den Karten, die dadurch Sozialschutz usw. beizubehalten. Es müssen Wege bessere Verhandlungspositionen gegenüber den geschaffen werden, um in diesen neuen Branchen Arbeiterinnen und Arbeitern gewinnen. Dieser „Alles und Beschäftigungsformen Mitbestimmung und oder Nichts“-Ansatz verstärkt den Trend zu immer Tarifverhandlungen zu schaffen oder (erneut) zu höherer Flexibilität und Verfügbarkeit und drückt die etablieren. Löhne. Diese fehlende Berechenbarkeit trägt massiv zur Zunahme unischerer Arbeitsplätze bei. Wer nicht Teil eines Unternehmens ist, hat allzu oft keine Rechte. Soziale Rechte sind eng mit Beschäfti- gung und Unternehmen verknüpft und die meisten Gewerkschaften, sozialer Dialog oder soziale Siche- rungssysteme sind noch immer mit traditionellen “ Beschäftigungsformen verknüpft. Um dahingehend Arbeit outsourcen zu können bieten viele atypische Beschäftigungsverhältnisse keinen hinreichenden Schutz. Leiharbeit, Zeitarbeit, Auftragnahme, selbst- ständige Arbeit und Plattformarbeit bringen alle- samt zahlreiche Herausforderungen mit sich, wobei Arbeiterinnen und die Letztgenannte fast alle in sich vereinigt. Platt- form-Arbeiterinnen und Arbeiter unterliegen keiner- lei Mindeststandards im Bereich Vergütung, Schu- Arbeiter verkaufen ihre lung, Arbeitszeiten, Gesundheit und Sicherheit bzw. keiner rechtlichen und sozialen Sicherheit. Sie ver- kaufen ihre Arbeitskraft für immer kleinere Teilzeit- Arbeitskraft für immer jobs („Gigs“) ohne Sicherheitsnetz oder Aussicht auf zukünftige Beschäftigung, während die dazugehö- rige Plattform satte Gewinne einfährt.43 kleinere Teilzeitjobs Höhere Gefahr des Sozialdumpings und der struk- turellen Optimierung: Die Debatte dreht sich zum („Gigs“) ohne Teil auch um den Wettbewerb, der durch atypische Beschäftigungsformen gegenüber denjenigen ent- steht, die sich in einem regelmäßigen Arbeitsverhält- Sicherheitsnetz oder nis befinden. Beschäftigungsformen, bei denen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber die Sozialbei- träge entweder drastisch herabsetzen oder einfach Aussicht auf zukünftige vermeiden können, schaffen eine Art Sozialdumping, das seinen Auswirkungen nach jenen ähnelt, die wir von Arbeitnehmerentsendung kennen. Der Umstand, Beschäftigung, während dass viele, die für kurzfristige „Gigs” angeheuert werden, die von ihnen durch Plattform-Tätigkeiten vereinnahmten Umsätze nicht melden, führt nicht die dazugehörige nur zu Steuereinbußen für den Staat, sondern sorgt auch für unfairen Wettbewerb gegenüber denjeni- gen, die ihren Teil zur Gesellschaft beitragen. Plattform satte Gewinne Zusätzlich werden Berufstätige durch Plattform- Unternehmen auch in Wettbewerb mit Studierenden oder Personen im Erziehungsurlaub, die ihr Einkom- einfährt. men aufbessern möchten, gestellt. Gemeinsame Antworten finden: Arbeit auf Abruf, die Vermehrung kurzfristiger Gigs, Unterschiede beim Status zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, das Fehlen eines gemeinsamen Arbeitsplatzes und fehlender Kontakt zwischen den 19
Die digitale Wirtschaft und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt Robotertechnologie, Neue Big Data, Analysesoftware, Betätigungsfelder ICT usw. đ Automatisierung der Arbeit đ Schaffung von Arbeitsplätzen đ Verlust von Arbeitsplätzen ICT und mobile Geräte sind weit verbreitet đStändige Erreichbarkeit/Ungleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben đWeitreichender Zugang zu personenbezogenen Daten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern đFlexible Arbeitszeiten und orte Änderung der Arbeitsbedingungen Digitale Fähigkeiten sind gefragt đ Qualifikationsdiskrepanzen đ Neue Formen der Diskriminierung đ Digitale Kluft 20
Verwischen der Beschäftigungsverhältnisse (z.B. Scheinselbstständigkeit, Selbstständigkeit, Plattform-Arbeit) đSchwierigkeiten bei der gewerkschaftlichen Organisation und der Organisation von Tarifverhandlungen đVerfügbarkeit auf Nachfrage đHäufig kein oder begrenzter Zugang zu Arbeitsrechten, sozialer Sicherung und Sicherheitsnetzen Zunahme der atypischen Beschäftigungsformen Zunahme befristeter Verträge, Selbstständigkeit usw. đSchwache Verhandlungsposition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern đWeniger stabile Beschäftigung đ Kein Sicherheitsnetz bei beruflichen Veränderungsprozessen Aufteilung von Aufgaben entlang der Wertschöpfungskette (z.B. Dateneingabe, Datenmanagement usw.) z.B. durch Plattformarbeit, Crowd-Arbeit đPolarisierung der Beschäftigung (Schere zwischen Aufgaben für Gering- und Hochqualifizierten) đCybertariat Neue Produktions- und Wertschöpfungskettenmodelle Outsourcing ist leichter (global und lokal) đSozialdumping als Geschäftsmodell đ Steuervermeidung đ Unfairer Wettbewerb 21
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POLITIKVORSCHLÄGE Technologische Änderungen erhöhen zwar die Wohlfahrt, jedoch nicht in gleichem Maße für alle. Ganz im Gegenteil, ohne die Intervention der Politik kommen ihre Vorteile nur denjenigen zugute, die bei Themen wie Kapital, Wissen und Bildung ohnehin schon gut dastehen. Die Probleme des Zugangs zur Technologie, die vor allem ältere Menschen und andere Gruppen zu spüren bekommen, verstärken diese Verwerfungen nur. Die Kohäsion unserer Gesellschaft hängt davon ab, wie wir dieses Vertei- lungsproblem lösen. Daher müssen in einer immer digitalisierteren Welt die sozialen Rechte und der Sozialschutz für alle garantiert werden. Anstatt also speziell für die neuen Beschäftigungsformen soziale “ Rechte zu erfinden, sollte man Wege finden, die aty- pische Arbeit in unsere bestehenden Sozialschutz- systeme zu integrieren und die Rechte der Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer und die soziale Anstatt für die neuen Sicherung auch auf Personen jeden Alters auszuwei- ten, die nicht angestellt sind. Mehr und bessere soziale Sicherung war immer Teil Beschäftigungsformen der Antwort auf die technologischen Revolutionen, wir müssen diese historische Dynamik nur weiterent- wickeln. Wir streben ein gerechtes Gleichgewicht neue soziale Rechte zwischen den Versprechen der Technologie und dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, ein Gleichgewicht, mit dem wir die Vorteile der zu erfinden, sollte Digitalisierung nutzen können, ohne auf unser Sozi- almodell verzichten zu müssen. man Wege finden, Die im Folgenden aufgeführten, bereits bestehenden Maßnahmen und Politikvorschläge könnten ange- messene und progressive Antworten auf diese ent- die atypische stehenden, oft länderübergreifenden, Herausforde- rungen sein und dafür sorgen, dass die gesamte Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerschaft und Arbeit in unsere die Unternehmen ihre Arbeit im Rahmen unserer sozialen Sicherheitssysteme organisieren. Sie sollten unter Beachtung des Prinzips der Subsidiarität Sozialschutzsysteme umgesetzt werden und alle Ebenen der Governance einschließen. Und sie sollten stets als Mindeststan- dards verstanden werden, sodass die Mitgliedsstaa- zu integrieren. ten strengere Regeln einführen können, wo und wann sie dies für erforderlich erachten. 23
Vorbereitung auf berufliche Veränderungsprozesse und die Diversifizierung beruflicher Werdegänge Nur wenige Menschen üben ihr gesamtes Leben den ■ Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleichen Beruf aus, immer häufiger ändert sich auch muss Zeit gewährt werden, um an Weiterbildungen das Beschäftigungsverhältnis selbst in Bezug auf teilzunehmen und höhere Qualifikationen zu erwer- Stellenbeschreibung, Status (angestellt, selbststän- ben. Es muss ein Recht auf bezahlten Bildungsur- dig, verbeamtet, arbeitssuchend, freiwillig) oder laub für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Beruf. Daraus ergeben sich Fragen sowohl zur aktu- geschaffen werden und Anreizen für Investitionen in ellen als auch zur zukünftigen Beschäftigungsfähig- Schulungen am Arbeitsplatz geben. keit und zur Übertragbarkeit von Rechten, wenn ■ Es sollte sichergestellt werden, dass häufige Nach- man die Arbeitsstelle wechselt. schulungen verfügbar sind und diese sowohl für Verhinderung von Entlassungen und bessere Arbeitskräfte in Normalbeschäftigungsverhältnissen Beschäftigungsmöglichkeiten für alle als auch in atypischer Beschäftigung gleichermaßen zugänglich sind. Der Zugang zu Schulungen, Umschulungen und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens muss für ■ Bereitstellung von Unterstützung für Schulungen jeden und in jedem Alter zu einem absoluten Recht während der Beschäftigung (und für Unternehmen, werden. Nur so können die Arbeitnehmerinnen und die solche anbieten). Arbeitnehmer diejenigen Kompetenzen und Fähig- keiten erwerben, die sie gerade in Zeiten des tech- ■ Die Arbeitslosenversicherung könnte um Extrabei- nologischen Wandels befähigen, ihre Tätigkeiten träge ergänzt werden, die in die Finanzierung von auszuüben. Besonders wichtig ist das für Menschen, Weiterbildungen bzw. höhere Qualifizierungen für die derzeit nicht in Arbeit, Schul- oder Berufsausbil- eine höhere Anzahl an Menschen fließt, die in dung sind (NEET) bzw. für ältere Arbeitnehmerinnen Beschäftigung sind. Diese politischen Anstrengun- und Arbeitnehmern, damit auch diese vollen Zugang gen sollten mit entsprechenden Investitionen in Bil- zu und Teilhabe an der digitalen Wirtschaft haben. dung und Ausbildung abgestimmt sein. Wir glauben, dass der Europäische Fonds für die Anerkennung und Registrierung aller Aktivitäten Anpassung an die Globalisierung weiterentwickelt und Rechte werden muss, um Unterstützung zu leisten bei der Vorhersage und Verwaltung einer sozialen und ver- Beim Wechsel des Arbeitsplatzes dürfen Arbeitneh- antwortungsvollen Umstrukturierung und um Unter- merinnen und Arbeitnehmern auf keinen Fall Rechte nehmen zu ermutigen, die individuellen Fähigkeiten verloren gehen, sondern solche müssen sich über- ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter- tragen lassen. Dies könnte folgendermaßen erfolgen, zuentwickeln. Das kann umgesetzt werden durch: wenn man sich die Logik von Plattform-Unterneh- men zunutze macht: ■ Eine Stärkung von Weiterbildungs- und Schu- lungsmaßnahmen, die auf die digitale Branche aus- ■ Ein individuelles Tätigkeitskonto könnte geschaf- gerichtet sind mit stärkerer Schwerpunktsetzung fen werden, d.h. ein Online-Register aller Aktivitä- auf die Vermittlung von Codierung und digitalen ten und Rechte (wie das in Frankreich verwendete Fähigkeiten, insbesondere im Rahmen der Erstaus- „Compte Personnel d’Activité”44). bildung bzw. der fortlaufenden Berufsausbildung. In diesem Register würden alle Beschäftigungsfor- ■ Die Förderung von Partnerschaften zwischen wei- men eingetragen, die ein Mensch im Arbeitsleben terführenden Bildungseinrichtungen, Arbeitgeberin- durchlaufen hat, einschließlich freiwilliger Arbeit. nen und Arbeitgebern und Gewerkschaften, damit Damit könnten alle und in jedem Alter Zugang zu sie in Bezug auf Inhalt, Kurse und Formate die richti- Schulungsrechten erhalten, unabhängig von ihrem gen Bildungsangebote unterbreiten. Arbeitsstatus und ihrer aktuellen Lage. 24
“ ■ Dieses Online-Register über die Arbeiten und Rechte sollte auch die Möglichkeit auf Registrie- rung gleichlaufender multipler Tätigkeiten eröff- nen, die eine Person verfolgt (wie z.B. Teilzeitbe- schäftigung und Mikro-Unternehmerin oder Mikro-Unternehmer gleichzeitig), um damit den Um dem Verlust von neuen Arbeitsmustern Rechnung zu tragen. ■ Mit Ausdehnung des individuellen Tätigkeitskon- tos auf alle Formen der Beschäftigung, einschließ- Rechten beim Wechsel lich auf Plattform-Arbeit, würden Anreiz geschaf- fen werden, solche Arbeiten tatsächlich zu melden und neben der Registrierung der Schulungszeiten des Arbeitsplatzes auch die Erfassung der Pensionsrechte, Arbeitszei- ten usw. erleichtern. Zudem kann es für die Berech- nung der Steuern, Sozialabgaben und Arbeitslo- vorzubeugen ist es von senbeiträge verwendet werden. ■ Eine digitale Arbeitswelt braucht hohe Standards besonderer Bedeutung für den Schutz personenbezogener Daten. Es sind klare Vorgaben erforderlich, welche Daten Arbeitge- berinnen und Arbeitgeber erfassen und analysieren die Übertragbarkeit dürfen. Den Gesundheitsdaten, Inhalten von persön- licher Kommunikation und Mitgliedschaften in Gewerkschaften muss strengster Schutz zukommen. von Ansprüchen zu gewährleisten. 25
Garantie für negative Auswirkungen auf die Bewertung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers ergeben, oder, dass das Konto durch die Plattform permanent deaktiviert wird. Schutz in der ■ Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müs- sen das Recht haben, ihre Arbeitszeiten und ihre Arbeitsortorte selbst zu kontrollieren. Die Rolle der Erwerbstätigkeit Sozialpartner muss anerkannt werden, wenn es um das Finden von Lösungen geht, die Arbeitgeberin- nen und Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleichermaßen zu Gute kommen. Die Intensivierung der Arbeit, die höhere Flexibilität, ■ Der Produktivitätszuwachs, der sich aus der Digi- die von Arbeitskräften heute gefordert wird und die talisierung ergibt, könnte mit einer Senkung der Diversifizierung der Beschäftigungsformen machen Arbeitszeiten einhergehen. allesamt einen höheren Schutz der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer notwendig, wie auch eine Klärung des Status der Arbeitnehmerinnen und bessere soziale Absicherung für die atypischen Arbeitnehmer in neuen Beschäftigungsformen Beschäftigungsverhältnisse. Soziale Sicherungssysteme sind noch immer von der Beschäftigungsform abhängig, sodass viele Festlegung eines Rahmens für die Arbeitszeiten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur teilweise Technologischer Fortschritt sollte nicht mit zusätzli- oder überhaupt nicht abgesichert sind. Zunehmend chen Einschränkungen für die Arbeitnehmerinnen tauchen Fragen über den Status von Arbeitneh- und Arbeitnehmer einhergehen. Es ist besonders merinnen und Arbeitnehmern und dem ihnen zuge- wichtig, die Nutzung digitaler Technologien so zu dachten Sozialschutz auf. Hier sollten Lösungen rahmen, dass damit niemand verpflichtet ist, ständig gefunden werden, indem man die Definition des erreichbar zu sein und sicherzustellen, dass die Vor- Begriffs „Beschäftigung“ ausweitet, die Unterstüt- teile sowohl den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- zung für individuelle Selbstständigkeit stärkt und mern, als auch den Arbeitgeberinnen und Arbeitge- die Definition einer Arbeitgeber/Arbeitnehmer- bern zu Gute kommen. Diese Ziele lassen sich Beziehung klärt. “ Der Europäische Gerichtshof hat das Konzept des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin auf Basis eines Beschäftigungsverhältnisses definiert, in dem Kriterien wie Unterstellung, Vergütung und Art der Es müssen Möglichkeiten Arbeit berücksichtigt sind. Neue Parameter für ein Unterstellungsverhältnis in der Plattform-Wirtschaft, wie zum Beispiel auferlegte Bewertungssysteme, die geschaffen werden, um mit Kompetenz, Preise festzulegen, oder die Kontrollme- chanismen der Plattform-Anbieter, könnten dabei helfen, festzustellen, ob auch hier ein Beschäfti- Hilfe der Gewerkschaften gungsverhältnis vorliegt. Ebenso sollte die Empfeh- lung der IAO Nr. 19846 Berücksichtigung finden. Diese Elemente sollten eingesetzt werden, wenn der und über Status von angestellten oder selbstständigen Platt- form-Arbeiterinnen und -Arbeitern festgelegt wird, und dabei ist die entsprechende Vorschrift anzu- Tarifverhandlungen wenden. Plattformen dürfen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht einfach festlegen, dass jede und jeder, der oder die für die Plattform arbei- ein gemeinsames Vorgehen tet, automatisch selbstständig ist. Dies könnte Fol- gendes einschließen: ■ Der Status der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeit- zu ermöglichen und zu nehmers wird auf alle Plattformarbeiterinnen und -arbeiter47 und Scheinselbstständige ausgeweitet. stärken. ■ Der Status der Plattformen nähert sich dem von Zeitarbeitsfirmen an, wenn diese ähnlich funktio- nieren, und damit werden beiden ähnliche Vorschrif- ten auferlegt. folgendermaßen erreichen: ■ Tarifverträge werden automatisch auf eine brei- ■ Anerkennung des Rechts auf Nichterreichbarkeit, tere Kategorie von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- d.h. das Recht, außerhalb der vereinbarten Arbeits- nehmern ausgeweitet, als nur auf traditionelle und Bereitschaftszeiten45 nicht verfügbar zu sein Arbeitsverhältnisse, so, dass auch Plattform-Arbei- und bei Plattform-Arbeiterinnen und -Arbeitern das terinnen und -Arbeiter abgedeckt sind. Recht, ein Konto vorübergehend deaktivieren zu können, ohne dass sich daraus ■ Schutzvorschriften müssen auch für 26
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