Trotz Corona Kurs halten - jetzt erst recht 2/2021 - Philologenverband Niedersachsen
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2/2021 Trotz Corona Kurs halten – jetzt erst recht © Olha – adobe Stock Die Zeitschrift des Philologenverbandes
Inhalt Editorial........................................................................................................................................................................... 3 Schwerpunktthema: Trotz Corona: Kurs halten, jetzt erst recht......................................................................4 Wünsche für das neue Schuljahr 2021/22..............................................................................................................8 Verschiebung des Philologentages 2021 – Bitte vormerken . ..........................................................................9 Deutscher Lehrerverband fordert zwei Milliarden Euro für umfassendes Bildungsförderprogramm Die Zukunftschancen unserer Kinder und J ugendlichen nach Corona nachhaltig sichern!................... 10 Ein Jahr Schule mit Corona.......................................................................................................................................13 Die Angst hinter der Maske ist immer dabei Schul- und Bildungspolitik Professionalität der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern weiter erhalten und wertschätzen!....15 Stellungnahme des Philologenverbands Niedersachsen zum Entwurf der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Verbesserung der IT-Infrastruktur und der IT-Ausstattung in Schulen......................... 16 Bildungspolitik in Niedersachsen.......................................................................................................................... 18 Bildungsverbände des NBB fordern umgehende Investitionen und klare Konzepte für die Zukunft Aus der Arbeit der Personalräte Pensionierung – ein neuer Lebensabschnitt beginnt...................................................................................... 20 Digitalisierung – Ein Weckruf aus der Praxis....................................................................................................... 22 Bericht aus dem BPR am Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Lüneburg...............................24 Wir machen Sie für die Personalratsarbeit fit.....................................................................................................24 egenstand gymnasialen Unterrichts“............................................. 25 „Demokratie und Klimadebatte als G Fachtagung des Deutschen Philologenverbandes Aus der Rechtsprechung...........................................................................................................................................26 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums Ergebnisse der Vollerhebung von Mehr- und M inderzeiten an allen öffentlichen Schulen ..................28 Schulrechtliche Ausstattungspflicht mit Arbeitsmitteln.................................................................................30 Das aktuelle Interview Interview mit Markus Weilandt „Das große Gleichheitsdenken hat leider auch in der Pädagogik Einzug gehalten“................................ 32 Schulen in Niedersachsen „Schule des Jahres 20|21 Spezial“: Erste Preise für IGS Lengede und Evangelisches Gymnasium Nordhorn ....................................................36 Literatur Glückskinder – trotz allem.......................................................................................................................................38 Personen Wir trauern um...........................................................................................................................................................39 2 Gymnasium in Niedersachsen 2/2021
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, ein ereignisreiches, anstrengendes und in vielerlei Hinsicht belastendes Schuljahr neigt sich dem Ende entgegen. Vereinzelt wird vom Schuljahr 2020/21 schon als dem „Corona-Schuljahr“ gesprochen, denn über die gesamte Dauer dieses Jahres hatten wir mit den Einschränkungen, Bedrohungen und Folgen der Pandemie zu leben. Auch das Schuljahr 2019/2020 hatte Corona-Einschränkungen, aber erst ab dem zweiten Halbjahr, als ja die Schulen vor den Osterferien komplett geschlossen wurden und es dann erst sehr zögerlich wieder in einen (Wechsel-) Unterricht ging. Damals lernten wir „Szenario B“, „Kohortenprinzip“ oder „Wechselunterricht“ kennen – Begriffe, die uns 2020/21 durchgängig begleitet haben. läufe bei den Betroffenen. Als Bezirkspersonalrat sind mo- mentan so viele Anfragen zu beantworten und Probleme zu Nun haben wir aber nicht nur mit der Pandemie zu tun, lösen wie selten zuvor. Kurz und gut: Wie viele andere auch, sondern auch noch ein langes zweites Halbjahr mit sehr bin ich „urlaubsreif“. spät beginnenden Sommerferien, dazu zum Zeitpunkt der Drucklegung die erste Hitzewelle und die Fußball-EM… seh- Weiterhin wollen wir ein positives Lehrerbild vermitteln. nen Sie sich auch die Sommerferien herbei? Mir zumindest Wir müssen „Kurs halten, jetzt erst recht“, denn wir wollen geht es so: Ich zähle die Wochen und Tage, bis das Schuljahr den Präsenzunterricht, wollen wieder mit unseren Schüle- endlich vorbei ist. Das habe ich – ehrlich! – noch nie so in- rinnen und Schülern arbeiten. Aber: Nicht um jeden Preis! tensiv getan, außer ganz kurz nach Beginn meiner Tätigkeit Weiterhin müssen Gesunderhaltung und Fürsorge vor als Vollzeitlehrkraft, wo ich die ersten Herbstferien herbei- Aktionismus und übereilten Lockerungen stehen, die es in wünschte, weil der Arbeitsaufwand so groß war. Diesmal anderen Bereichen nicht gibt. Und erst recht nicht dürfen sind es die äußeren Umstände, die bei mir zu diesem Effekt Schnapsideen wie „der ausgefallene Präsenzunterricht führen – ich bin einfach „durch“, brauche Erholung und muss in den Sommerferien nachgeholt werden“ Gehör Abschalten. Da ich im Abiturjahrgang eingesetzt war, hatte finden! Denn das würde massenhaft Dauerüberlastung und ich das gesamte Schuljahr über Präsenzunterricht; wegen Burnouts zur Folge haben. Nein, alle an Schule Beteiligten eines großen Kurses ab Januar parallel in zwei Räumen mit brauchen jetzt Ferien und müssen sich regenerieren – das geteilten Gruppen, dazu noch einige vulnerable Schüler im höre ich unisono, egal, mit wem ich spreche. Distanzlernen. Die Belastung war dadurch größer als im „normalen“ Unterricht, aber viel schlimmer: Ab Februar gab In diesem Sinne: erholsame und schöne Ferien und ein gu- es durchgängig Coronafälle in der Schülerschaft und im tes, hoffentlich wieder „normaleres“ neues Schuljahr! Schulpersonal. Das bedeutete Telefonate mit dem Gesund- heitsamt und immer wieder PCR-Tests. Dazu die ständige Ungewissheit, ob man sich womöglich doch infiziert hat, und natürlich auch die Sorge um womöglich schwere Ver- Impressum GYMNASIUM in Niedersachsen Redaktionsadresse: Cord Wilhelm Kiel Die Zeitschrift Gymnasium in Niedersachsen erscheint Zeitschrift des Philologenverbandes Werder 31 · 31789 Hameln dreimal jährlich. Niedersachsen e. V. Cord.Wilhelm.Kiel@t-online.de Redaktionsschluss für Gymnasium in Niedersachsen 3-2021 Herausgeber und Verleger: ist Freitag, der 1. Oktober 2021 Philologenverband Niedersachsen e. V. Redaktion: Cord Wilhelm Kiel Beiträge bitte, soweit als möglich, als E-Mail-Anlage direkt an Sophienstraße 6 · 30159 Hannover Lektorat: Gisela Frey, Katharina Kurze die R edaktions-Adresse Cord.Wilhelm.Kiel@t-online.de schicken. Tel. 0511 36475-0 Gestaltung: Frank Heymann, Hannover Weitere Informationen auf unserer Homepage Druck: HANNOPRINT GmbH, Hannover www.phvn.de www.hannoprint.de Gymnasium in Niedersachsen 2/2021 3
Leitartikel Trotz Corona: Kurs halten, jetzt erst recht Von Horst Audritz Ü ber ein Jahr Pandemie, über ein Jahr Einschrän- in etwa drei Jahren nachgeholt sein (das Schuljahr hat etwa kungen und Belastungen. Wir hangeln uns von 40 Schulwochen). Alternativ könnten bis auf 30 Tage Erho- Lockdown zu Lockdown, mussten alte Gewohnhei- lungsurlaub alle Ferien gestrichen werden, auch dann wäre ten aufgeben, und noch immer ist ein normales Leben mit die Lücke erst in drei Jahren geschlossen. Zusätzliche Belas- allen Freiheiten und planbaren gesellschaftlichen Abläufen tungen aber wären für alle an Schule Beschäftigten nach nicht in Sicht. Tests und Impfungen lassen uns hoffen, dass den zusätzlichen Aufgaben u.a. aufgrund des Wechsel wir im Sommer einen entscheidenden Schritt weiter sind unterrichts und nicht zuletzt den psychischen Herausfor- und nach den Sommerferien ein Schuljahr ohne Corona- derungen der Pandemie in der aktuellen Zeit genau das Beschränkungen möglich wird. Corona hat im Bildungsbe- Falsche! Im Gegenteil, die Ferien werden an den Schulen reich tiefe Spuren hinterlassen, bei allen Beteiligten Sorgen herbeigesehnt wie selten zuvor. um die Zukunft ausgelöst und zu Lern- und Entwicklungs- rückschritten geführt, die nur mit großen Anstrengungen Wir brauchen intelligente Förderkonzepte, die den individu- ausgeglichen werden können. Narben werden bleiben. Es ellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schülern und den gilt nun aufzuholen, was aufzuholen ist, und sich von der verschiedenen Schulformen Rechnung tragen. Das können Vorstellung zu verabschieden, dass ausgefallener Unterricht die Schulen am besten selbst organisieren, auch z.B. in und fehlende persönliche Begegnungen und Erfahrungen Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern im Ganz- eins zu eins ausgeglichen werden können. Trotzdem müs- tagsbetrieb. Die Schulen brauchen dafür jedoch ein entspre- sen wir alles Mögliche dafür tun, dass unseren Schülerin- chend erhöhtes Stundenkontingent und mehr Personal. nen und Schülern keine gravierenden Nachteile durch die Pandemie entstehen, dass niemand abgehängt wird und Konkret müsste Folgendes bedacht werden: aus dem Raster der besten individuellen Förderung fällt. 1. Streichungen von Anforderungen in den Curricula sind nur auf begrenzte Zeit akzeptabel und wenn überhaupt, Das ist mit großen Anstrengungen verbunden, aber mög- dann nur nach Erhebung von Lernrückständen und be- lich, und bedarf intelligenter Konzepte. Ein pauschales vorzugt bei den nächsten drei Abschlussjahrgängen. Am Nachholen ausgefallener Unterrichtsstunden taugt dafür besten können Lücken im Langzeit-Bildungsgang des nicht. Das würde alle Schülerinnen und Schüler über einen G9 aufgrund zeitlicher Variabilität ausgeglichen wer- Kamm scheren und unterstellt einen generell erheblichen den. Eine Verwässerung des Niveaus der gymnasialen Unterrichtsausfall. Aber auch Distanzunterricht ist Unter- Bildung und insbesondere des Abiturs auf Dauer darf richt. Oberstufenschülerinnen und -schüler kommen z.B. nicht hingenommen werden. mit dem Distanzlernen und selbständigen Lernen recht gut 2. Der Förderunterricht ist auszubauen. Für zusätzlichen zurecht. Gefördert werden müssen gezielt diejenigen, die Förderunterricht muss zusätzliches Personal gewonnen nachweislich coronabedingte Defizite aufzuweisen haben. werden. Zudem kann vielfach gar nicht festgestellt werden, welcher 3. Es sollten auch in den Ferien Förderprojekte in Zusam- Unterrichtsstoff versäumt worden ist, denn unsere Lehrplä- menarbeit mit außerschulischen Partnern oder von ne sind keine Stoffverteilungspläne mehr, nach denen Stoff geschulten „Mitwirkern“ (also z.B. Lehramtsstudenten) abgehakt wird, sondern kompetenzorientierte Curricula. angeboten werden. Kompetenzen sollen mit Inhalten verknüpft und in zeit 4. Schulen sollten auch nach Unterrichtsschluss geöffnet lichen Stufen erreicht werden, die Wege sind verschieden, bleiben und Arbeitsplätze für „bedürftige“ Schüler zur sogar von Schule zu Schule, ganz abgesehen davon, dass der Verfügung stellen, in Schulbibliotheken, in Computer- Ausgleich von grundlegenden Defiziten kurzfristig – und räumen. Die Aufsicht kann von Assistenzpersonal über- nicht über Jahre – angelegt sein sollte. Hier ist besonders an nommen werden. die Abschlussjahrgänge zu denken. Schule beruht aber auch 5. Die Schulen sollten auch Leistungsstärkeren Möglichkei- auf sozialem Austausch, der sich nicht nachholen lässt. ten zur nachholenden Entfaltung ihrer Fähigkeiten bieten. In Frage kommen spezielle Projekte oder Wettbewerbe. Coronabedingte Lerndefizite: 6. Leistungsschwächere sollte von den Ländern ein kosten- Wir brauchen intelligente Förderkonzepte loses Nachhilfeangebot gemacht werden. Die aktuelle Diskussion um verpassten Unterricht während der coronabedingten Schulschließungen hat zu einigen Schädlich sind weitere Diskussionen über das Aussetzen fragwürdigen Vorschlägen geführt, wie Versäumtes nach- von Prüfungen und Noten. Zum Unterricht und zur Würdi- geholt werden könnte: pauschale Verlängerung der Schul- gung der Anstrengungen von Schülerinnen und Schülern zeit, Ferienkürzungen, zusätzlicher Samstagsunterricht. gehört die Bewertung von schriftlichen und mündlichen Diese Vorschläge erweisen sich bei näherer Betrachtung als Leistungen (auch in Zeiten der Pandemie). Das gehört auch Milchmädchenrechnung: Wenn 500 Unterrichtsstunden zur realistischen Selbsteinschätzung der Schülerinnen und nachgeholt werden sollen, dann würden bei vier Stunden Schüler und ist wichtig für die berufliche Planung nach zusätzlichem Samstagsunterricht die ausgefallen Stunden Abschluss des Schulbesuches. 4 Gymnasium in Niedersachsen 2/2021
Welche Schulabschlüsse gibt es in Deutschland? (2017) All das spricht gegen Einheitslösungen und Schulabschlüsse an allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufen I und II, vor allem gegen Schuli- Deutschland gesamt deologen, die die Coro- na-Krise zum Vorwand Abschlüsse insgesamt Hauptschulabschluss nehmen, Prüfungen und Mittlerer Schulabschluss Allgemeine Hochschulreife Noten auszusetzen, wenn nicht gar abzuschaffen, Leistungsanforderungen zu senken und Wissens- vermittlung in Frage zu stellen. Das zielt auf eine grundsätzliche Verände- rung des Schulsystems in Richtung einer Schule für alle, weg von einer Differenzierung des Ler- nens nach individuellen Voraussetzungen, hin zu einer Orientierung auf einheitliche Abschlüsse. Dann wird eine „moder- ne Schule“ (der Begriff „modern“ wird einfach unkritisch als Qualitäts- merkmal vorausgesetzt) als Schule mit „moder- nem Unterricht“ in viel- fältigen „Formaten“ (auch so ein Nebelbegriff) ver- standen, in dem die Lehr- kräfte mehr Lerncoaches und Sozialanwälte sind Quelle: Eigene Recherchen auf den Seiten der Kultusministerien der Länder, 2017. Infografik: www.infografiker.com Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de, und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, www.wzb.eu, 2017. und nicht mehr „Vortur- ner“ (waren sie das je?). Qualitätsansprüche aufrechterhalten Schulen sollen sich nach Wir dürfen nicht in Quantitäten denken, nicht in Zeitein diesen Konzepten zu „modernen Lernlandschaften“ mit ei- heiten und Stoffverteilungsplänen, nicht Lektürelisten ner Vielzahl von Gemeinschafts- und Rückzugsorten entwi- und Wissenskontingente einfach abhaken wollen, sondern ckeln. Entsprechend sollen Lehrende und Lernende jetzt Zeit müssen den individuellen Defiziten gerecht werden und die bekommen, Erfahrungen auszutauschen und miteinander Qualität der Ausbildung und Abschlüsse sichern. Das geht ins Gespräch zu kommen. Stoff- und Prüfungsdruck stehen nicht ohne breite Lernstandserhebungen und eine wissen- dem entgegen. Es gehe nicht darum, Defizite auszuglei- schaftliche Begleitung der Pandemiefolgen. Denn laut ak- chen, sondern darum, neue und andere Lernentwicklungen tueller ifo-Umfrage (ifo-Institut München, Pressemitteilung anzuerkennen. vom 20.04.2021) haben zwar im Durchschnitt die deutschen Schulkinder Anfang 2021 nur 4,3 Stunden am Tag mit schuli- Das klingt gut und kommt bei einer breiten Bevölkerungs- schen Tätigkeiten verbracht (das sind 3 Stunden weniger als schicht auch gut an, wird doch allen versprochen, dass an einem üblichen Schultag vor Corona). Aber immerhin 22 durch „eine Revolution in der Schule“ für alle Schülerinnen Prozent der befragten Eltern denken, dass ihre Kinder trotz und Schüler alles besser und leichter wird. Aber ob unter Schulschließungen im Distanzunterricht sogar mehr als im diesen Prämissen tatsächlich die beste individuelle Förde- regulären Unterricht gelernt haben. Eine große Mehrheit rung herauskommt, darf bezweifelt werden. Gerade in der der Eltern gibt an, dass ihre Kinder sich nun eigenständiger Corona-Krise hat sich gezeigt, wie wichtig gut strukturier- Unterrichtsstoff erarbeiten können (56 Prozent) und besser ter Unterricht unter der Verantwortung von fachlich und mit digitalen Techniken umgehen können (66 Prozent). pädagogisch hoch qualifizierten Lehrkräften ist, der sich schulformspezifisch dem Leistungsvermögen der Schülerin- Leistungsschwächere Schüler und Nicht-Akademikerkinder nen und Schüler annimmt und inhalts- und wissensbasiert hätten allerdings zu Hause deutlich weniger effektiv und orientiert ist. Dafür braucht es eine innere und eine äußere konzentriert gelernt. 23 Prozent haben sich nicht mehr als Differenzierung auf verschiedenen Niveaus, sonst droht zwei Stunden täglich mit Schule beschäftigt. tatsächlich, dass wir mit Corona-Verlierern rechnen müssen. Gymnasium in Niedersachsen 2/2021 5
Schwerpunktthema: Zum neuen Schuljahr – Trotz Corona Kurs halten Beste Förderung und mehr Bildungs- dern. Esser und Seuring stellen fest, dass gerechtigkeit in einem vielfältigen Übergang vor der bei einer strikten Differenzierung der und durchlässigen Schulwesen Grundschule zur Bildungswege in Kombination mit einer Der Philologenverband bekennt sich homogeneren Zusammensetzung der nach wie vor zu einem vielfältigen und Sekundarstufe I Schulklassen nach den kognitiven Fähig- durchlässigen Schulwesen und zu einer Vergleich der Regelungen keiten gerade die Leistungen der Kinder notwendigen Weiterentwicklung des Bil- in den 16 Bundesländern in den Schulklassen der nichtgymnasia- dungswesens unter besonderer Berück- len Schulformen besser ausfallen, wahr- sichtigung des Gymnasiums. Es ist nicht Ausschlaggebend scheinlich, weil der Unterricht stärker auf zu leugnen, dass die Pandemie Mängel für den Übergang die besonderen Anforderungen in den im Bildungswesen deutlich gemacht hat. Klassen ausgerichtet ist. Einzelne Befun- Das betrifft die räumliche und sachliche Ausstattung der Schulen, das betrifft den 3 de sind bemerkenswert: Gesundheitsschutz, das betrifft die ver- 13 • J e strenger der Wechsel von der nachlässigte Digitalisierung, das betrifft Grundschule auf die weiterführenden die Fortbildung ebenso wie eine bessere Schulen geregelt ist, desto besser fal- berufliche Wertschätzung, die mehr ist len die durchschnittlichen Leistungen als anerkennender Applaus, ganz zu Elternwille in den siebten Klassen aus. schweigen von Defiziten bei der Lehrer- • Der Einfluss der sozialen Herkunft ausbildung. Machen wir uns nichts vor: Grundschulempfehlung: nimmt durch strikte Differenzierung Bayern, Brandenburg Die Attraktivität des Berufs hat gelitten. aber nicht ab, weil Eltern u.a. nicht und Thüringen gezwungen werden können, Kinder Leitlinien der Verbandspolitik bleiben mit Gymnasialempfehlung auch auf aber die schul- und bildungspolitischen das Gymnasium zu schicken. Dieses Schwerpunkte, die jeder Vertretertag „Verbot der positiven Auslese“ ver- nahezu einstimmig immer wieder ver- stärkt also den Herkunftseffekt. abschiedet hat, nämlich das Eintreten Aufnahmeprüfung • Die Zusammenlegung von Haupt- für den Erhalt des nach Schulformen für den Übergang schule und Realschule hat wider gegliederten Schulwesens und ein leis- Erwarten der Befürworter nicht dazu tungsorientiertes Gymnasium. Dem geführt, dass Bildungsungerech- widersprechen u.a. gesetzliche und 4 tigkeiten geringer geworden sind. ministerielle Vorgaben wie die Abschaf- fung der Grundschulempfehlung, die 12 Dass Schüler in heterogenen Klassen grundsätzlich besser lernen, hat sich Reduzierung der Zahl der Klassenarbei- als Irrglaube herausgestellt. ten und Klausuren, die Absenkung des • Fehlplatzierungen bei freier Wahl der Anspruchsniveaus in der Abiturüberprü- Nein Schulform führen zu negativen Er- fung, Überlegungen zur Abschaffung der gebnissen in Bezug auf Leistung und Klassenwiederholung und Einschränkun- Ja: Bayern, Brandenburg, Zufriedenheit. gen der Überweisung an andere Schul- Sachsen und Thüringen • Eine leistungsfördernde Differenzie- formen. Die Integrierte Gesamtschule rung kann auch durch Einrichtung wird als das Gymnasium ersetzende verschiedener Leistungsniveaus Schulform abgelehnt. innerhalb einer Schulform funktionie- ren, z.B. durch Gruppen- und Kursbil- Jüngste Studien bestätigen einmal mehr, dung. Probezeit nach dass eine strikte Differenzierung nach • Man sollte alles dafür tun, um zu Leistungsvermögen nicht nur insgesamt dem Übergang einer „richtigen“ Empfehlung für die zu einem höheren Leistungsniveau aller Schülerinnen und Schüler führt, son- 2 weiterführende Schule zu kommen. Dazu gehörten nicht nur Noten, son- dern sogar mehr Bildungsgerechtigkeit dern auch standardisierte Evaluatio- schafft. Das ist das Fazit der Soziologen 14 nen der Fähigkeiten und ergänzend Hartmut Esser und Julian Seuring in ihrer evtl. auch psychologische Hilfsmittel. aktuellen Studie „Kognitive Homogeni- sierung, schulische Leistungen und sozi- Die Ergebnisse der Studie widerspre- ale Bildungsungleichheit“ (s. Zeitschrift Nein chen damit der seit PISA 2000 weit für Soziologie 2020; 49(5-6), 277-301). Ja: Berlin und Mecklen- verbreiteten Standardposition, wonach Grundlage ist die Auswertung der Daten burg-Vorpommern die Leistungsdifferenzierung zu einer der „National Educational Panel Study“ stärkeren Bildungsungleichheit führe (NEPS) zu den unterschiedlichen Rege- Quelle: Kultusministerien der Bundes- und die Effekte der sozialen Herkunft lungen der Differenzierung der Bildungs- länder, Kultusministerkonferenz www.deutsches-schulportal.de verstärke. Es ist sogar so, dass in den wege in allen 16 deutschen Bundeslän- drei Bundesländern mit den striktesten 6 Gymnasium in Niedersachsen 2/2021
Übergangsempfehlungen (s. auch Grafik links „Übergang Von den Spitzenländern (Sachsen, Bayern, Thüringen und vor der Grundschule zur Sekundarstufe I“) der soziale Sachsen-Anhalt) des IQB-Bildungstrends 2018 kann man Gradient, also die Leistungsabhängigkeit von der Her- lernen, wie ein leistungsfähiges Schulsystem funktioniert. kunft, am geringsten, und in den unverbindlichen und Dazu gehört nicht nur eine Differenzierung nach Leistungs- offenen Systemen der Bundesländer am höchsten ausge- gruppen, sondern auch ein pragmatisches Verhältnis zum prägt ist (s. z.B. IQB-Bildungstrends 2018). Unterricht. „Da muss etwas gelernt werden – die Lehr- kraft ist Experte/in und verfügt über das Wissen und die Die Fokussierung auf das Abitur für alle ist der Fähigkeit, den Schülern und Schülerinnen auch komplexe falsche Weg – Andere Fähigkeiten und Abschlüsse und komplizierte Sachverhalte interessant zu vermitteln. Was anderes hat bislang keine empirische Forschung he- müssen gesellschaftlich aufgewertet werden. rausgefunden.“ (Prof. Dr. Rainer Dollase, 31.10.2019, Von Für die Bildungspolitik bedeuten diese Befunde, dass der Sachsen, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt lernen, Weg zu einer Schule für alle, um nicht zu sagen Gesamt- heißt siegen lernen – Die Ergebnisse des IQB-Bildungs- schule für alle, weder zu mehr sozialer Gerechtigkeit noch trends 2018, https://www.news4teachers.de/2019/10/ zur Verbesserung der durchschnittlichen Schulleistungen der-gewinner-ist-das-gegliederte-schulsystem-ein-kommen- führen wird. Im Gegenteil, Leistungssteigerungen, mehr tar-zum-iqb-bildungstrend-von-professor-dollase/). Hinzu Bildungsteilhabe und sozialer Aufstieg unterprivilegierter kommt, dass der Unterricht in diesen Ländern „von deutlich Schülerinnen und Schüler lassen sich eher durch differenzier- weniger Störungen, durch hohe Strukturiertheit und eine te Wege und individuelle Förderung erreichen. Ein differen- hohe kognitive Aktivierung“ (Dollase) gekennzeichnet ist. ziertes und durchlässiges Bildungssystem bietet die besten Bei der Bewertung von Leistungen geht es mehr um objek- Chancen auf erfolgreiche und anerkannte Abschlüsse mit tive Leistungseinschätzungen auf der Grundlage schrift Anschlussmöglichkeiten bis hin zum Studium. Die Fokussie- licher Leistungen, weniger um die mündliche Mitarbeit, die rung auf das Abitur für alle ist der falsche Weg (s. auch Grafik oft nur auf vordergründige Beteiligung hinausläuft. auf der vorigen Doppelseite). Umgekehrt lässt sich daraus folgern, was in Schulsystemen Apologeten der Gesamtschule wollen nicht wahrhaben, falsch läuft, die nicht nach Leistung differenzieren: Diese dass sich inzwischen bei neueren Studien immer mehr her- Systeme leugnen die Vorteile kognitiv homogener Lern- auskristallisiert, dass das gegliederte Schulsystem der Ge- gruppen und unterwerfen alle dem Leitbild Abitur, statt winner ist, und zwar auch in Bezug auf sozialen Ausgleich. die Schüler und Schülerinnen in ihren Möglichkeiten und Schule darf kein Ort der Ignorierung von Leistungsunter- Grenzen adäquat zu unterrichten. Ein Bildungsweg, der vor schieden sein, sondern muss ungeachtet der sozialen Her- dem Abitur endet, ist kein Scheitern. Gerade für Kinder aus kunft auch die Leistungsträger herausfinden. Mit einer bil- bildungsfernen Schichten mangelt es an gezielter curricu- dungspolitischen „Restauration“ der 50er Jahre oder einer larer Unterstützung und Würdigung ihrer besonderen Lern menschenverachtenden „Selektion“ (Sprachgebrauch der voraussetzungen. Bei Kompetenzorientierung und münd- Systemreformer bzw. -veränderer) hat das überhaupt nichts licher Mitarbeit können sie sich im Wettbewerb mit den zu tun, wie Joachim Lohmann (1993 bis 1998 Staatssekre- anderen nicht so gut durchsetzen. Ihnen liegt eher solides tär der Landesregierung Schleswig-Holstein, von 1974 bis Wissen, Genauigkeit und Präzision und ein straff geführ- 1980 Vorsitzender des GGG – Gemeinnützige Gesellschaft ter Unterricht (als Gegensatz zum offenen Unterricht und Gesamtschule, 1981 bis 1986 stellvertretender Bundesvor- Selbstlernen). Ergo tun auch Gesamtschulsysteme gut dar- sitzender der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten an, mehr kognitive Homogenität zu erreichen, einmal durch im Bildungsbereich) unterstellt: „Es ist eine Binsenwahrheit, äußere Differenzierung der Lerngruppen in verschiedene dass die nach Leistung sortierten Klassen auch leistungs- Leistungsniveaus, zum andern durch innere Differenzie- stärker sind. Doch dieses Ergebnis liegt nicht daran, dass rung, was nichts anderes bedeutet als intern vergleichbare die Homogenität bessere Leistung erzielt, sondern die Lerngruppen zu bilden. Selektion die leistungshomogeneren Schulen bzw. Klassen bewirkt.“ (Joachim Lohmann, 20.03.2021, Mit Ignoranz die Es gilt zu vermeiden, dass sich die Leistungsschwächeren bildungspolitische Restauration ausrufen, als Verlierer im Bildungsprozess fühlen und ihre besonderen https://www.eine-schule.de/blog/mit-ignoranz-die-bildungs- Fähigkeiten und ihre Abschlüsse anzuerkennen, ja gesell- politische-restauration-ausrufen/ ) schaftlich aufzuwerten, damit sie stolz auf ihre Lernerfolge sein können und gute berufliche Perspektiven haben. Lohmann diffamiert die Leistungsorientierung sogar als Aus- druck einer „sozialdarwinistischen Rechtfertigung der sozia- Fazit: Corona hat uns auch deutlich gemacht, wie notwen- len Leistungsdiskriminierung“. Die Worte sprechen für sich. dig leistungsorientierter und lehrergeleiteter Unterricht ist, der den verschiedenen Leistungsvoraussetzungen gerecht Gesamtschulsysteme bringen nicht mehr wird, also eine differenzierende Unterscheidung der Schüle- Bildungsgerechtigkeit rinnen und Schüler erfordert. Insofern kommt es auch und Klar ist jedenfalls, dass Gesamtschulsysteme nicht mehr gerade bei Schulschließungen und Distanzunterricht zur Bildungsgerechtigkeit bringen, im Gegenteil, bei strikter Bildung von Lerngruppen, noch mehr allerdings, wenn es Leistungsdifferenzierung in vielgliedrigen Schulsystemen um die Frage des Ausgleichs von Lerndefiziten geht. wird mehr für die Bildungsgerechtigkeit getan. Gymnasium in Niedersachsen 2/2021 7
Schwerpunktthema: Zum neuen Schuljahr – Trotz Corona Kurs halten Wünsche für das neue Schuljahr 2021/22 Von Henning Kratsch M Seit mehr als einem Jahr bestimmt die Pandemie Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse gewährleistet den Alltag nicht nur im Privaten, sondern eben werden. auch an den Schulen. Der Umgang mit den viel- fältigen neuen Herausforderungen, die Ausarbeitung und Neben vielen inhaltlichen Wünschen, die einfach guten Einführung neuer Regeln und Konzepte zur Vermeidung „normalen“ Unterricht, Aspekte wie das Wiederaufleben von Coronaausbrüchen, umfassende Anforderungen an eines vielfältigen kulturellen oder auch sportlichen Schul eine vernünftige Krisenkommunikation und viele „Klei- lebens, eine Rückkehr zu Möglichkeiten im offenen Ganz- nigkeiten“ im Alltag beherrschten die Leitungsarbeit tagsbereich beinhalten und kurzum ein lebendiges Schul- in Schule in den vergangenen Monaten. Neben der ge- leben als Schulgemeinschaft ermöglichen, stehen einige nerellen Sorge um die Gesundheit der Lehrkräfte sowie Wünsche, die sich vor allem aus der Schulleitungssicht der Schülerinnen und Schüler, die die Arbeit belastete, ergeben: verlangten insbesondere oftmals sehr kurzfristig kom- munizierte neue Vorgaben und Lücken in den Reglungen • lle Reglungen und Maßnahmen, die für die Schulen A allen Beteiligten in den Schulleitungen und Kollegien ein getroffen und verordnet werden, sollten zunächst ei- enormes Maß an Flexibilität, Belastbarkeit und Resilienz ner deutlichen Prüfung auf „Praxistauglichkeit“ unter- ab. Nicht zuletzt auch die Auseinandersetzung mit Mas- worfen werden. Allzu oft erwiesen sich Vorgaben bzw. kenverweigerern, Testgegnern und Coronaleugnern in den Maßnahmen während der Coronapandemie als zu Elternschaften verursachten deutliche und unangenehme wenig praxisnah Als Beispiele können hier dienen die Mehrarbeit. ursprünglich angedachten Schülertests in der Schule, Testkits in Einzelteilen oder die deutlich zu späten Vor- Mit der sich abzeichnenden zunehmenden Durchimpfung gaben zum Reduzieren von schriftlichen Arbeiten. der Lehrerkollegien sowie der zumindest avisierten Mög- lichkeit, dass auch Schülerinnen und Schüler einen Impf- • chule ist deutlich mehr als ein Angebot und der Sta- S schutz erhalten könnten, wächst die Hoffnung, dass das tus von Schule muss dringend wieder allen Beteiligten kommende Schuljahr wieder ein Stück weit mehr „Norma- verdeutlicht werden. Bei allen möglichen juristischen lität“ mit sich bringen wird. Gleichwohl müsste auch bei Hintergründen oder auch Ängsten hinter einigen Rückschlägen in der Impfkampagne oder im Fall einer po- Reglungen der letzten Monate wurde und wird Schu- tentiellen vierten Coronawelle das „Fahren auf Sicht“ ein le allzu oft und allzu stark im Sinne eines Angebots Ende finden und ein größeres Maß an Planbarkeit vor dem präsentiert, gleichsam als „school on demand“. Das Hintergrund der in den vergangenen Monaten gemachten Aufweichen und Aussetzen der Präsenzpflicht auf indi- © Knopp-Pictures – Adobe Stock 8 Gymnasium in Niedersachsen 2/2021
viduellen Wunsch, zunächst auf Antrag später lediglich auf eigener Einschätzung basierend führt zu einer zunehmenden Betrachtung von Schule unter Aufbe- wahrungs- und Betreuungsaspekten. • uch wenn die seit Beginn der Pandemie regelmäßig A eintreffenden Ministerbriefe vor allem zu Beginn der Krise gut und wertschätzend gemeint waren, ersetzen Verschiebung des Philologentages 2021 sie nicht eine angemessene professionelle Information und Kommunikation zwischen dem Kultusministerium, Bitte vormerken den Regionalen Landesämtern und den Schulen. Insbe- sondere wäre eine andere Reihenfolge in der Informa- tionsvermittlung wünschenswert. Statt zunächst die Presse und Öffentlichkeit zu informieren, dann Briefe Liebe Kolleginnen und Kollegen, an Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen wegen andauernder Unsicherheit über die Ent- und Schüler zu versenden und schließlich – meist mit wicklung der Pandemie hat der Geschäftsführen- zeitlichem Abstand – die notwendigen Rundverfü- de Vorstand mit einstimmiger Zustimmung des gungen und -erlasse nachzuliefern, sollten am Anfang Hauptvorstandes beschlossen, den Philologentag die rechtlichen Reglungen und Rahmenbedingungen 2021 auf den 15. bis 17. März 2022 zu verschieben. stehen, ehe eben dann über diese die Öffentlichkeit Bitte merken Sie sich den Termin vor. informiert wird. Ferner treffen offizielle Reglungen immer noch häufig mit deutlich zu wenig Vorlauf in Der Philologentag findet wie bisher in Goslar im den Schulen ein. Äußerst beliebt ist nach wie vor der Hotel Der Achtermann im gewohnten Rahmen Freitagnachmittag als Versandtermin dienstlicher statt. Da dem Vertretertag in Verbindung mit der E-Mails an die Schulen. Gesundheitsschutz und auch Neuwahl des Geschäftsführenden Vorstandes Wertschätzung drücken sich anders aus. eine besondere Bedeutung zukommt, streben wir eine Präsenzveranstaltung an, die allen Dele- • ie Aufarbeitung des „Coronaschuljahres“ wird uns D gierten eine problemlose persönliche Teilnahme die kommenden Monate und Jahre beschäftigen. Hier ermöglicht. Wir setzen darauf, dass durch Locke- bräuchten die Schulen frühzeitige Informationen mit rungen der Corona-Verordnung und Impfungen welchen Ressourcen Förderung und Wiederheranfüh- und Testungen der Lehrkräfte dann wieder weit- rung der Schülerinnen und Schüler geplant werden gehend „Normalzustände“ einkehren. kann und wie angepasste Kerncurricula aussehen wer- den. Neben der Schaffung von mehr Planstellen auch Maßgebend sind die Vorgaben unserer Satzung an den Gymnasien wäre ein erster Schritt insbesonde- sowie der Geschäftsordnung für eine rechtssi- re das Aussetzen von Klassenzusammenlegungen nach chere Durchführung des Philologentages, wie den Jahrgängen 6 und 8, um hier für mehr Kontinuität insbesondere die erforderliche Beschlussfähigkeit in den sozialen Gefügen und für kleinere Lerngruppen zu jeder Zeit der Veranstaltungstage, ordnungs- zur intensiveren Arbeit im Präsenzunterricht zu sorgen. gemäße Wahlvorgänge, Gewährleistung der Rede- und Antragsrechte der Delegierten und • ehr als 12 Monate der Pandemiesituation in Schule M Antragsteller/innen sowie die Sicherung der haben für die Schulleitungen, insbesondere aber auch Abstimmungsmodalitäten. Das Für und Wider ei- für die Gruppe der Koordinatorinnen und Koordinatoren ner Präsenz-, Hybrid- und reinen Onlineversamm- zu einer deutlichen Mehrarbeit geführt. Hier wäre es lung haben wir intensiv fachanwaltlich geprüft. spätestens jetzt bzw. zum Schuljahresbeginn 2021/22 Eine Auswirkung auf folgende Vertretertage hat dringend geboten, die Zahl der Anrechnungsstunden diese Verschiebung nicht. von 5 auf die früher üblichen 7 Stunden zu erhöhen. Uns ist an einer breiten Beteiligung und vielfälti- Über die skizzierten Aspekte hinaus würde man sich – gen persönlichen Begegnungen gelegen, was erst trotz aller natürlich eingeräumten Schwierigkeiten und im Rahmen einer Präsenzveranstaltung mit Gäs- Unsicherheiten – eine frühzeitige Planung des nächstens ten aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft mög- Schuljahres wünschen. Informationen bzw. Planungsstän- lich ist. Das liegt sicher auch in Ihrem Interesse. de müssen zeitnah und nicht erst kurz vor den Sommer- Wir freuen uns daher, Sie wieder ganz persönlich ferien in den Schulen ankommen, denn spätestens nach begrüßen zu dürfen. dem Abitur beginnen die konkreten Planungen für die Gestaltung des neuen Schuljahres in den Schulen. Dann Ihr muss klar sein, wie es mit Förder- und Auffangmaßnah- men, mit Klassen- und Studienfahrten, mit Leistungsan- forderungen usw. weitergehen soll. Horst Audritz, Vorsitzender Gymnasium in Niedersachsen 2/2021 9
Schwerpunktthema: Zum neuen Schuljahr – Trotz Corona Kurs halten Deutscher Lehrerverband fordert zwei Milliarden Euro für umfassendes Bildungsförderprogramm Die Zukunftschancen unserer Kinder und Jugendlichen nach Corona nachhaltig sichern! Von Heinz-Peter Meidinger Bestandsaufnahme und Ausgangslage Grundsätzlich lautet aber die Herausforderung, alles zu tun, Nach der ersten Lockdownphase im Frühjahr 2020 bestand damit die negativen Folgen von Corona die Zukunfts- und noch die Hoffnung, bei einer Normalisierung des Schul- Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen nicht nach- betriebs in diesem Schuljahr durch spezifische begrenzte haltig beeinträchtigen. Zusatzförderung im dann wieder stattfindenden Präsenz unterricht die entstandenen Lernrückstände und Wissens- Bildungspolitik noch ohne tragfähiges defizite kurz- und mittelfristig weitgehend ausgleichen zu Zukunftskonzept können. Dieses Ziel ist heute in weite Ferne gerückt. Zunächst sind viele Landesregierungen davon ausgegangen, dass die Phase der Schulschließungen und des Distanzun- In den meisten Bundesländern summieren sich die Unter- terrichts so kurz sein werden, dass eine begleitende, auf richtsstunden, die nicht in Präsenz erteilt werden konnten, dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhende Zusatzförderung auf inzwischen ungefähr 400 bis 600 Unterrichtsstunden, von wenigen Stunden ausreichen würde, die entstandenen was in der Spitze etwa einem halben Schuljahr entspricht. Bildungsrückstände relativ schnell wieder auszugleichen. Auch wenn der Distanz- und Wechselunterricht nach großen Tatsache ist, dass die Lehrkräfte bisher zu keinem Zeitpunkt Anfangsschwierigkeiten jetzt deutlich besser läuft, muss die Möglichkeit hatten, unter den gegebenen Umständen konstatiert werden, dass die durchschnittlichen Lernfort- diese Ausgleichsaufgabe wahrzunehmen. schritte dort geringer sind. Allerdings werden auch große Unterschiede deutlich, zwischen Kindern und Jugendlichen, Ansonsten beschränken sich Schulministerien und Landes- die inzwischen gut mit dem Distanzlernen zurechtkommen, regierungen derzeit weitgehend auf Versuche, unzumut- und einem nicht unerheblichen Teil, der inzwischen deutlich bare Härten zu verhindern, bisherige Leistungserhebungs-, hinter der notwendigen Lernprogression liegt. Lehrplan- und Versetzungsregelungen zu flexibilisieren oder auch außer Kraft zu setzen sowie Abschlussprüfungen zu Dies hat sehr unterschiedliche Gründe. Teilweise liegt es verschieben und in Teilen anzupassen. Das ist im Grundsatz an der technischen Ausstattung, an nicht zur Verfügung nicht zu kritisieren, solange dies nicht zu einem Niveauab- stehenden Geräten im Elternhaus. Betroffen sind vor allem senkungs- und Erleichterungswettbewerb führt, der neue auch jüngere Kinder, denen elterliche Unterstützung aus Bildungsungerechtigkeiten zur Folge hat. Allerdings leistet welchen Gründen auch immer fehlt, Schülerinnen und dies im Hinblick auf den notwendigen Ausgleich der Lern- Schüler mit einem besonderen Förderbedarf, mit Handicaps, defizite keinen Beitrag und bleibt letzten Endes ein Herum- mit grundsätzlichen Sprachdefiziten, mit Migrationshinter- doktern an den Symptomen. grund oder auch Jugendliche, deren Leistungsmotivation und Bildungswille aus anderen Gründen nur gering aus Bleiben diese Maßnahmen isoliert und folgt ihnen kein geprägt ist. Ausgleich, drohen dauerhafte Nachteile. Sollten auch im nächsten Schuljahr wieder – wie schon im letzten Schuljahr Es würde aber viel zu kurz greifen, den Blick allein auf die – Kinder und Jugendliche unabhängig von ihren Leistun- entstandenen Wissens- und Kompetenzdefizite in einzel- gen in die nächste Jahrgangsstufe versetzt werden, laufen nen Fächern oder auf bestimmte besonders benachteiligte diese Gefahr, den Anschluss endgültig zu verpassen und Schülergruppen zu richten. Die schulische Bildung hat durch den angestrebten Abschluss nicht zu schaffen. Andernfalls Corona und die Folgen insgesamt Schaden genommen, die müssten dauerhaft Bildungsstandards und Prüfungsni- Effektivität von Distanzunterricht hat generell die Wirksam- veaus abgesenkt werden, was dazu führen würde, dass viele keit von Präsenzunterricht nicht erreicht. Dazu kommt, dass Schulabgänger in den nächsten Jahren mit einem geringeren vieles von dem ausgefallen ist, was schulische Bildungs- und Rüstzeug und Kenntnisstand die Schulen verlassen. Erziehungsprozesse über die Bildungsinhalte hinaus aus- macht: Gemeinschaftsveranstaltungen, P rojekte, musische Untaugliche Problemlösungs-Vorschläge Bildung (Schultheater, Kunstausstellungen, Musikfeste), Inzwischen häufen sich Vorschläge, die zu grundsätzlichen Exkursionen, Studienfahrten, Wettbewerbe, Berufsorien- Eingriffen in den zeitlichen Ablauf des Schulbetriebs auf- tierungsveranstaltungen und Schüleraustausch. Was wir fordern, um die Lerndefizite aufholen zu können. Gefordert also in Deutschland brauchen, ist nicht nur ein Nachholpro- werden etwa eine Kürzung oder auch Streichung von Ferien- gramm für eine bestimmte Gruppe, sondern ein umfassen- zeiten, die Einführung von Samstagsunterricht, die Verlän- des Bildungsaktivierungs- und Lernförderprogramm, von gerung des Schuljahres bis Weihnachten sowie die komplet- dem alle Schülerinnen und Schüler profitieren können. te Streichung und Wiederholung des aktuellen Schuljahres. 10 Gymnasium in Niedersachsen 2/2021
Alle diese Vorschläge sind weitgehend untauglich, das und Jugendliche verstärkt in den Bereichen Angebote zu Grundproblem zu lösen, also die Schülerinnen und Schüler machen und für einen Ausgleich zu sorgen, die in Pande- nach Bedarf wieder an das zu erreichende Leistungsniveau miezeiten grundsätzlich zu kurz gekommen sind, also z.B. heranzuführen. Projektwochen, musische Bildung, Sport, Wahlangebote, Schüleraustausch und Studienfahrten. Ferienkürzungen und Samstagsunterricht würden zu einer weiteren Überforderung und Überlastung aller Betroffenen Dafür ist die Bereitstellung erheblicher, zusätzlicher Perso- führen, also von Lehrkräften, Schülern und Eltern, die schon nal-, Zeit- und Finanzressourcen dringend erforderlich. jetzt an der Belastungsgrenze stehen. Die Verlängerung oder Streichung des Schuljahres würde dazu führen, dass die ge- Feststellung des Lernbedarfs samte Bildungskette, der jährliche Übergang vom Kindergar- Insgesamt brauchen wir in allen Bundesländern dringend ten zur Primarstufe, von Grundschulen an weiterführende ein Gesamtkonzept: Kindern und Jugendlichen, die wäh- Schulen und von weiterführenden Schulen ins Berufsleben rend der Schulschließungen kaum erreicht wurden, muss und an Hochschulen unterbrochen würde – mit weitreichen- eine besondere Förderung und Unterstützung im Schulall- den Folgen für den gesamten Wirtschaftsprozess und im tag angeboten werden. Doch auch diejenigen, die nur be- Falle eines zusätzlichen Schuljahres für alle mit einem massiv grenzte Hilfe nötig haben, dürfen nicht übersehen werden. erhöhten Lehrerbedarf, der nicht aufzufangen ist. Um den Umfang der notwendigen Maßnahmen bestim- men zu können, ist eine Bestandsaufnahme nötig und zwar Der Kernpunkt aber ist: Alle diese Vorschläge scheren alle so rechtzeitig, dass bis zum Ende des Schuljahres genügend Schülerinnen und Schüler über einen Kamm, sie sind viel zu Zeit bleibt für eine intensive Beratung von Schülern und undifferenziert und werden damit der eigentlichen Heraus- Eltern, welche Form der Unterstützung sinnvoll und not- forderung nicht gerecht. Notwendig ist ein zwar umfassen- wendig ist. Den Aufwand dafür kann man gering halten, des, aber differenziertes und flexibles, längerfristig ange- da es nicht um eine fein differenzierte Leistungserhebung, legtes Lern- und Bildungsförderungskonzept, angepasst an sondern lediglich um die Identifizierung größerer grund- die unterschiedlichen Bedarfslagen je nach Schülerklientel, sätzlicher Wissenslücken und Kompetenzdefizite geht. Altersstufe und Schulart. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler mit Schon vor Corona gab es Förderprogramme, die neben einer dem Distanzunterricht inzwischen gut zurechtkommt, so inhaltlich pädagogischen Konzeption auch und gerade die dass bei diesen zwar keine basalen Lernlücken aufgetreten personelle Ressourcenfrage in den Fokus genommen haben. sind, trotzdem aber auch besonderer ergänzender Förder- Wir brauchen inhaltlich ein individualisiertes Förderange- bedarf sinnvoll sein kann. Es geht aber auch darum, Kinder bot, das auf der pädagogischen und sozialen Fachkompe- © Halfpoint – Adobe Stock Gymnasium in Niedersachsen 2/2021 11
Schwerpunktthema: Zum neuen Schuljahr – Trotz Corona Kurs halten tenz der Lehrkräfte vor Ort aufbaut. Durch den massiven In Frage kommen für diese unterstützende, außerschulische Lehrkräftemangel an unseren Schulen ist dies allerdings Zusatzförderung folgende Institutionen und Ämter: nur mit dem vorhandenen Personal- und Planstellenbe- stand zusätzlich nicht leistbar. • Volkshochschulen, • Familienbildungsstätten, Mehr Flexibilität und Eigenverantwortung der • Jugendämter mit Inklusionsangeboten und individuel- Einzelschulen len Lernhilfen, Wir fordern deshalb dringend, den Schulleitungen mehr • Jobcenter und Sozialämter mit Leistungen wie Bildung Flexibilität und Eigenverantwortung einzuräumen. Es muss und Teilhabe, den Schulen ermöglicht werden, zumindest vorübergehend • Jobcenter und Jugendämter im Verbund für Angebote zusätzlich zu den im Rahmen des fest zugewiesenen, an die für Berufsschüler/innen, Stundenpläne und Fächer gebundenen Unterrichtsbudgets • Gesundheitsämter und Krankenkassen mit präventiven besondere Schwerpunktsetzungen vornehmen zu können, lernsteigernden Angeboten, also beispielsweise in Lerngruppen und Fächern mit einem • freie Jugendhilfeträger mit individuellen Hilfen für alle hohen Nachholbedarf durch Teilung und Differenzierung Altersgruppen, mit Hilfe einer integrierten Lehrerreserve. Im Rahmen einer • Anbieter von Nachhilfekursen, solchen flexiblen Stundentafel könnte jede Schule bedarfs- • Anbieter von Lernplattformen, orientiert und flexibel auf unterschiedliche Förderbedarfe • Personen in Nebentätigkeit, wie Lehramtsstudierende, reagieren. Die im Gegenzug notwendigen Kürzungen in • freie Anbieter mit Mentoringprogrammen in denen anderen Lernangeboten und Fächern dürfen aber nicht außerschulischen Personen bei Vorliegen bestimmter dazu führen, dass die zentralen Lehrplanziele dort nicht Voraussetzungen für eine enge Begleitung von Schü- erreicht werden. lerinnen und Schülern mit einem besonders großen Nachholbedarf gewonnen werden. Durch Krisensituationen wie jetzt in der Pandemie kommen Schulen meist besser, wenn ihnen mehr Freiraum zur Ver- Diese Institutionen als Bildungspartner sollen mit ihren wirklichung eigener, passgenauer Lösungen zugestanden Fachkräften (wie Schulsozialarbeiterinnen und Sozialar- wird. beitern, Inklusionsfachkräften, Schulpsychologinnen und -psychologen, Bildungsfachkräften) mit medizinisch-pfle- Gewinnung von zusätzlichen Personalressourcen gerischer Grundausbildung Maßnahmen und Angebote Zusätzliche Förderangebote am Nachmittag oder im Rah- passgenau für den Schulbereich entwickeln. men eines binnendifferenzierten Unterrichts mit zwei Lehrkräften in einer Klasse setzen voraus, dass dafür mehr Ein zusätzliches freiwilliges Lernjahr Personal zur Verfügung steht. Ein Teil der Schülerinnen und Schüler hat seit dem ersten Lockdown und auch während der derzeitigen Schulschlie- Um den generellen Lehrkräftemangel, kurzfristig und zeit- ßungsphase erhebliche Lerndefizite angesammelt, die zwei lich befristet in der Coronakrise auszugleichen und darüber Schuljahre betreffen und kaum mehr bis Schuljahresende individualisierte Fördermöglichkeiten durch pädagogisch aufgeholt werden können. Hier besteht die große Gefahr, geschultes Fachpersonal in Kleingruppen anbieten zu dass diese Kinder und Jugendlichen auch mit einer beglei- können, sieht der Deutsche Lehrerverband (DL) folgende tenden Zusatzförderung im nächsten Jahr den Anschluss Möglichkeiten: nicht mehr schaffen können und werden. • Lehramtsstudierende gewinnen, denen die erteilten Unterrichtsstunden und Betreuungsaufgaben bezahlt Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme über den sowie als Schulpraktika anerkannt werden, Förderbedarf und der anschließenden intensiven Beratung • pensionierte Lehrkräfte zurückholen durch angemes- der Eltern und Schüler, ob und in welcher Form ein frei- sene Vergütungsbedingungen bis hin zur Möglichkeit williges zusätzliches Lernjahr Sinn macht, wird dann eine einer dauerhaften Erhöhung der Pension, Entscheidung über die Wahrnehmung dieses Zusatzjahres • Teilzeitkräfte zur freiwilligen Aufstockung durch attrak- getroffen. tive Rahmenbedingungen motivieren. Der DL sieht hierzu zwei Möglichkeiten: Lernförderung durch außerschulische • Individuelles freiwilliges Wiederholen mit Befreiung von Bildungspartner den negativen Folgen einer Pflichtwiederholung sowie In dieser außergewöhnlichen Situation und auch in Zukunft eine integrierte Zusatzförderung bei Defiziten aus dem kann es hilfreich sein, wenn Schulen bei der Lernförderung vorangegangenen Schuljahr, durch externe Partner und Institutionen mit Angeboten • Das Angebot für Kinder und Jugendliche in eigenen unterstützt werden, bzw. mit Bildungspartnern zusammen- Lerngruppen das Schuljahr zu wiederholen mit einem arbeiten. Voraussetzung dafür ist, dass nicht nur die Finan- angepassten Lehrplan, der in erster Linie darauf gerich- zierung dieser Zusatzangebote durch Bund und Länder tet ist, die Lernrückstände, die in zwei Jahren entstan- gesichert, sondern auch dass eine klare Qualitätskontrolle den sind, systematisch abzubauen. sowie eine enge Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Schulen gegeben sind. 12 Gymnasium in Niedersachsen 2/2021
Weil der Lehrermehrbedarf für die Wiederholungsjahre nur Buchtipp in kleinen Schritten, verteilt über ca. 10 Jahre anfallen wird, muss dieses Modell nicht am allgemeinen Lehrermangel Heinz-Peter Meidinger: scheitern. „Die 10 Todsünden der Schulpolitik. Eine Streitschrift.“ Finanzierung und Langfristigkeit München 2021: Claudius Verlag. Um diese Herkulesaufgabe schultern zu können, die lang- 1. Auflage, 128 Seiten, gebd. fristigen Zukunfts- und Bildungschancen unserer Kinder ISBN: 978-3532628645, 15,00 Euro. und Jugendlichen in der Schule trotz und nach Corona zu sichern, bedarf es auch finanziell einer großen Kraftanstren- Deutschland versinkt im Schulchaos. Reform folgt auf gung, die am besten gemeinsam von Bund und Ländern, Reform und doch verändert sich an den grundsätzlichen analog dem Digitalpakt, zu schultern ist. Defiziten so gut wie nichts. Die Schule ist heillos über- fordert, soll sie doch alle gesellschaftlichen Probleme Wir fordern dazu ein Lern- und Bildungsförderprogramm von der Integration bis hin zur demokratischen Erzie- in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro allein für den hung lösen. Dazu Lehrermangel allerorten, Defizite bei Zeitraum bis Sommer 2022. Ob eine Verlängerung notwen- der Digitalisierung und die fatalen Auswirkungen des dig ist, muss rechtzeitig vor Ende des nächsten Schuljahres Neoliberalismus, Stichwort Ware Bildung. Die Coronakri- geprüft werden. se hat das Versagen der Bildungspolitik endgültig offen- bart. Heinz-Peter Meidinger vertritt 160.000 Lehrkräfte in Deutschland und ist der wohl gefragteste Experte in Sachen Schulpolitik. Wer könnte besser die Todsünden des Schulsystems benennen? Nachdem in dieser Zei- tung bereits eine Synthese von Heinz-Peter Meidingers Buch erschienen ist, empfehlen wir nun die Lektüre der handlich-informativen Schrift. Ein Jahr Schule mit Corona Die Angst hinter der Maske ist immer dabei Eine Bestandsaufnahme von Sylvia Burde und Wolfgang Ehlers U nsere Schulen gleichen in Pandemiezeiten Ver- Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern suchslaboren. Auch nachdem wir weit über ein haben das Gefühl, dass ihrem Schutzbedürfnis trotz großen Jahr mit dem heimtückischen Virus leben, gibt es persönlichen Einsatzes zu wenig Rechnung getragen wird, im Land Niedersachsen keinen nachhaltigen präventiven weil, wie so oft, auch hier die nötigen Geldmittel nicht flä- Strategiewechsel. Dieser wäre aber nötig, um den so wich- chendeckend bereitgestellt werden, sei es durch ausufernde tigen Schulbetrieb zu gewährleisten, ohne unsere Schü- Bürokratie oder Kompetenzwirrwarr. Dies gilt besonders lerinnen und Schüler sowie alle Beschäftigten in Schulen auch für Lüftungsgeräte und CO2-Ampeln. Tatsache ist, dass samt Familien einer unkalkulierbaren Gefahr auszusetzen, die 20-5-20 Lüftungsregel, die in der kalten Jahreszeit kaum denn auch das schützende Impfen kommt nur schleppend durchgehalten werden konnte und Heizkosten in die Höhe in Gang. Lange wurden Lehrkräfte der weiterführenden treibt, keine letzte Sicherheit gibt. Schulen nicht mit der erforderlichen Priorität bezüglich des Impfens eingestuft, was ein Unding ist. Lange wurde über Probleme mit der Beförderung durch Schulbusse geredet und geschrieben, weil alle dort dicht Schule als unzureichend geschützte gedrängt beisammen sind, aber es ist konkret zu wenig Großveranstaltung hat für Verunsicherung gesorgt passiert, was insbesondere während der Phase des Szena- Auch nach mehr als einem Jahr fehlen an unseren Schu- rio A sehr problematisch war. Fakt ist, dass ungeachtet der len noch immer technische Schutzausrüstungen, obwohl Abstandsregeln die Schülerinnen und Schüler in den Schul- auch das schon lange Thema ist. Seit kurzem klappt im- bussen zwar mit Maske, aber oft dicht gedrängt, zusam- merhin die Ausstattung mit Masken für Beschäftigte in menkamen. Hier fehlte schlicht die innere Logik, was alle Schulen. Selbsttests für alle Schulangehörigen wurden Beteiligten verärgert hat. inzwischen organisiert, wurden aber zeitweise in Schulen in Einzelteilen angeliefert, was für Chaos sorgte. Es geht Die Schülerinnen und Schüler haben rückgemeldet, Angst das Gerücht um, dass ein findiger Schulleiter aus Süd- zu haben und sind verunsichert gewesen, weil ihnen nicht niedersachsen eigenhändig den Paketdienst abgefangen plausibel zu vermitteln war, warum in der Schule ganz an- hat, um die Annahme einer derartigen Lieferung zu ver- dere Regeln in Hinsicht auf die Pandemie gelten als in allen weigern. anderen Belangen ihres Alltags. Sie haben in der Zeit nicht Gymnasium in Niedersachsen 2/2021 13
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