Wir gestalten Zukunft! - Philologentag 2020: Arbeit und Lernen 4.0 - Philologenverband Niedersachsen
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1/2020 Philologentag 2020: Wir gestalten Zukunft! Arbeit und Lernen 4.0 © dotshock - shutterstock Die Zeitschrift des Philologenverbandes
Inhalt Editorial......................................................................................................................................................................... 3 Schwerpunktthema: Philologentag 2019 Philologentag 2019: Verbesserungen bei Lern- und Arbeitsbedingungen dringend erforderlich Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität bestimmen die Wirksamkeit von Lernen.....................4 Wir gestalten Zukunft! Arbeit und Lernen 4.0.................................................................................................. 6 Grußwort des Niedersächsischen Kultusministers Grant Hendrik Tonne..................................................13 Digitalisierung zwischen Dichtung und Wahrheit.......................................................................................... 16 Über Chancen und Risiken der Digitalisierung aus erziehungswissenschaftlicher Sicht Attraktivität des Arbeitsplatzes Gymnasium v erbessern..............................................................................22 Echte Entlastung statt Mehrbelastung..............................................................................................................23 Inklusion in Niedersachsen: Verbesserungen dringend erforderlich..........................................................24 Abitur 2021 – G9 richtig machen..........................................................................................................................25 „Wir sind der Verband der kritischen Vernunft“.............................................................................................. 26 Schul- und Bildungspolitik Imagekampagne des Landes zur Nachwuchsgewinnung verpufft Wirklich ein ,,Job mit Klasse”?...............................................................................................................................28 Was ist ein guter Lehrer?....................................................................................................................................... 30 Der Lehrer als Wissensvermittler – und Magier Sprintstudium Informatik: Weiterbildung ohne Entlastung......................................................................... 33 Digitalisierung – Anspruch und Wirklichkeit....................................................................................................34 Das aktuelle Interview Vom Fachleiter zum Krimiautor: Reinhard Sturm „Ich bin kein routinierter Vielschreiber“.............................................................................................................35 Aus der Arbeit der Stufenpersonalräte Altersermäßigung – immer noch kein positives Ende in Sicht..................................................................... 37 Veranstaltungen Kontakte zur Politik gepflegt.................................................................................................................................38 Personen Ehemaliger Kultusminister Wolfgang Knies gestorben.................................................................................38 Literatur Spannend von der ersten bis zur letzten Seite................................................................................................ 39 Wir trauern um........................................................................................................................................................ 39 2 Gymnasium in Niedersachsen 1/2020
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, mit dem Jahr 2020 beginnen nun die „Zwanziger Jahre“ des Kultusministers, nun tatsächlich Entlastungen zu schaffen. noch jungen Jahrtausends. Leider beschäftigen uns in der An einem „Runden Tisch“ wurden Pläne präsentiert. Da wir Bildungspolitik des Landes Niedersachsen aber noch immer diese Ankündigungen aber schon lange hören, bleiben wir Probleme, die wir bereits im „alten“ Jahrtausend als Ver- erst einmal skeptisch und warten (hoffen!) auf eine zügige band angesprochen und mitunter deutlich kritisiert haben. Umsetzung. Die Digitalisierung wird hoffentlich schneller umgesetzt werden. Was dabei Sinn ergibt und was nicht, Zum Teil liegen die Ursachen einer verfehlten Planung und wird uns vor dem Hintergrund des Vortrags unseres Referen- fragwürdiger ideologischer Entscheidungen eben so weit ten auf dem Vertretertag in Goslar Prof. Klaus Zierer eben- zurück. Dennoch wurde auf dem jüngsten, ereignisreichen falls in dieser Ausgabe erläutert. Philologentag erneut deutlich, wie wichtig es ist, Mängel und Verfehlungen klar zu artikulieren und konstruktive Ver- Bildungspolitisch beschäftigt sich der Philologenverband besserungen zu erarbeiten. Hier bewegt sich bis jetzt auf selbstverständlich weiterhin mit der Umsetzung der Be- Seiten der Verantwortlichen des Landes deutlich zu wenig. schlusslage, die Jahr für Jahr in Goslar immer wieder neu definiert wird. Seit vielen Jahren ein „Dauerbrenner“ ist dabei Ob das nun im „neuen Jahrzehnt“ sich bessern wird? Ge- die Forderung nach umfassenden und vor allem wirksamen lingt endlich sowohl der Schritt hin zu einer modernen Arbeitsentlastungen. Das Kultusministerium hat inzwischen Schule, die unter dem Banner der „Digitalisierung“ unsere verschiedene „Pläne“ verlauten lassen, zudem wirbt das Land Schülerinnen und Schüler gleichermaßen fördern wie mit einer Imagekampagne um junge Lehrkräfte. Ob diese fordern kann, als auch zu einer nachhaltigen Arbeits- und Erfolg haben wird, bleibt indes fraglich, denn außer Ankündi- Lernkultur? Begreifen die politisch Verantwortlichen end- gungen von „Plänen“ ist weiterhin keine spürbare Entlastung lich, dass es mit der Politik eines „immer mehr, immer für Lehrkräfte in Sicht. Darauf gehen wir in dieser Ausgabe schneller und immer anders“, mit der unsere Schulen und mit einem Artikel ebenso ein wie auf die erneute Forderung Kollegien in den letzten zwei Jahrzehnten überzogen wor- der VV, nun endlich Entlastungen umzusetzen und damit den sind (eine Reform jagte die andere, fast jedes Jahr kam die Attraktivität des Arbeitsplatzes eines Lehrers oder einer etwas Neues auf die Schulen zu) nicht mehr weitergehen Lehrerin zu erhöhen. kann, nicht mehr weitergehen darf? Kommen nun irgend- wann endlich die zwingend notwenigen und vielfach ange- Damit nicht nur der Philologentag sowie die aktuelle politi- kündigten Entlastungen für Lehrkräfte – von denen dann ja sche Situation den Inhalt dieser Zeitschrift bilden, ergänzen auch die Schülerinnen und Schüler profitieren würden? unter anderem ein Interview mit Autor Reinhard Sturm, Mitteilungen aus der Arbeit der Stufenpersonalräte sowie Der Philologentag 2019 hat unter dem Titel „Wir gestalten aktuelle Meldungen und ein Buchtipp diese Ausgabe. Zukunft! Arbeit und Lernen 4.0“ genau diese Fragen aufge- worfen, die in dieser Ausgabe sowohl in der Berichterstat- Ich wünsche Ihnen an dieser Stelle noch nachträglich ein tung als auch in der bildungspolitischen Vertiefung weiter „gutes neues Jahr“ sowie sinnbildlich alles Gute in den thematisiert werden. In Goslar gab es Ankündigungen des „Zwanziger Jahren“. Cord Wilhelm Kiel Gymnasium in Niedersachsen 1/2020 3
Schwerpunktthema: Philologentag 2019 Philologentag 2019: Verbesserungen bei Lern und Arbeitsbedingungen dringend erforderlich Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität bestimmen die Wirksamkeit von Lernen Von Cord Wilhelm Kiel W ir gestalten Zukunft! Arbeit und Lernen 4.0 – der im Raum. Zum Missverhältnis zwischen der vom Kultusminis- Titel der Vertreterversammlung 2019 war etwas terium mit wohlmeinenden Worten propagierten Image- „ganz Neues“, zumindest ungewöhnlich und viel- kampagne und den realen Verhältnissen in den Schulen leicht auch ungewohnt, wenn man die Mottos der vergan- fand unter anderem der Verbandsvorsitzende Horst Audritz genen Jahre zum Vergleich hinzuzieht. In diesen waren fast in seiner Eröffnungsansprache der VV deutliche Worte. Eine immer Begriffe wie „Gymnasium“ oder „Bildung“ zu finden. gewaltige Zahl an Anträgen aus den Schulen diente dabei zur Untermauerung dieser Ausführungen – Fakten, die der Politik Schule und Lernen 4.0 deutet auf die Herausforderungen deutlich machen müssten, wie schlecht die Stimmung „an der unseres Schul- und Bildungswesens in den kommenden Basis“ inzwischen ist. Und sie wird mit jedem Jahr schlechter, Jahren, womöglich sogar Jahrzehnten, hin. Die Digitalisie- in dem sich nichts verändert und verbessert – aller gebets- rung als Kernthema der aktuellen Bildungsdebatte gilt es mühlenartig vorgetragenen Sonntagsreden der Politik, wie anzunehmen, allerdings nicht – wie in der Vergangenheit bei wichtig doch die Bildung unserer Kinder sei, zum Trotz. so vielen „Modeerscheinungen“, die mit Schule zu tun hatten – aus blinder Veränderungswut überstürzt und überall um- Arbeitszeitentlastungen längst überfällig zusetzen, sondern sinn- und maßvoll in den Schulalltag zu Die Vertreterversammlung forderte die Landesregierung integrieren. Zu diesem Thema konnte als Festredner der erneut auf, endlich die längst überfälligen Arbeitszeitent- bundesweit anerkannte Bildungswissenschaftler Prof. Klaus lastungen umzusetzen. Die Attraktivität des Arbeitsplatzes Zierer gewonnen werden. Mehr dazu später. muss für alle Lehrkräfte, auch mit Blick auf die Nachwuchs- gewinnung, deutlich gesteigert werden. Denn es fehlt immer Als zweite Herausforderung stehen nach wie vor die für alle noch eine langfristige, schulformspezifische Bedarfs- und Beteiligten nicht zufriedenstellenden Arbeitsbedingungen Ausbildungsplanung. Die Folge sind dann die weiterhin 4 Gymnasium in Niedersachsen 1/2020
ängigen Massenabordnungen, mit den hinlänglich be- g Audritz: Schulpflicht Errungenschaft eines kannten Konsequenzen für Schülerinnen und Schüler der demokratischen Gemeinwesens abgebenden, aber auch aufnehmenden Schulen. Besonders Der Verbandsvorsitzende Horst Audritz fasste gleich zu mit Blick auf das Abitur 2021 und der Rückkehr zu G9 muss Beginn seiner Rede zusammen: „Was wir brauchen, sind nun endgültig sichergestellt sein, dass alle Lehrkräfte wieder zupackende Richtungsentscheidungen, der optimale Weg ist an ihren Stammschulen eingesetzt werden. „Abordnung“ die bestmögliche Förderung von SuS durch gut ausgebildete ist daher nach 2018 im Bildungsbereich zum zweiten Mal in Lehrkräfte in einer guten Unterrichtsversorgung.“ Mit Un- Folge das „Unwort des Jahres“ geworden. terrichtsausfall dürfe nicht fahrlässig umgegangen werden, denn die Schulpflicht zähle zu den bedeutsamsten Errun- Neben Digitalisierung und Arbeitsbedingungen standen da- genschaften eines demokratischen Gemeinwesens. Dies bei für die über 300 Delegierten aus den niedersächsischen dürfe nicht dazu führen, dass „man sich Sonderrechte her- Gymnasien, Gesamtschulen und Studienseminaren unter ausnimmt und ein Schultag zu einem schulfreien Tag wird“ anderem die Themen Inklusion, Abitur und Abordnungen kommentierte Audritz das allgegenwärtige Schulschwänzen im Mittelpunkt der Beratungen. Dringende Verbesserungen unter dem Vorwand „Fridays for Future“. forderte der Verband einmal mehr bei der Umsetzung der Inklusion. Die vielen Hilferufe darf die Politik nicht länger An den Minister gewandt, bekräftigte Audritz: „Wir begrüßen, ignorieren, stattdessen muss endlich im Sinne des Kindes- dass Sie Grenzen der inklusiven Schule anerkennen. Gym wohls gegengesteuert werden – sonst scheitert die Inklusion nasien nehmen gern Schülerinnen und Schüler auf, die an an unseren Schulen vollends. dieser Schulform optimal gefördert werden können. Fest gelegte Aufnahmequoten für Gymnasien, wie es Gesamt- Die Lehrerinnen und Lehrer werden nach wie vor mit den schulen fordern, sind hingegen unprofessionell, unlogisch vielfältigen Problemen allein gelassen, da die die Bedingun- und sachfremd ideologisch.“ Die zentrale Aufgabe des gen an allgemein bildenden Schulen weder sachlich noch Gymnasiums sei „viel wissen, viel können, viel verstehen. personell den besonderen Bedürfnissen einer umfassenden Die einzige Priorität, die wir akzeptieren, ist, dass Bildung Inklusionsschule Rechnung tragen. Dabei ist es keineswegs Priorität haben muss!“ so, dass sich die Gymnasien – wie oft behauptet – der Inklusi- on entziehen würden. Die geringeren Anmeldezahlen durch Die „Work-life-Balance“ sei bei Lehrkräften im wesentlichen die Eltern zeigen vielmehr, dass diese gut einzuschätzen Maß nicht mehr gegeben, denn ein Ende „der Konzeptionitis, vermögen, ob ihre Kinder mit Aussicht auf Erfolg gymnasial des Absitzens der Zeit in Konferenzen, Planungsgruppen und beschult werden können. Festgelegte Anmeldequoten für die mit der Zeitverschwendung durch unterrichtsfremde Aufga- Gymnasien sind daher blanker Unsinn. ben“ sei nicht abzusehen. Es sollte die Politik beunruhigen, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Lösungskompe- Auch das Thema „Teilzeit“ stand erneut auf der Tagesord- tenz sinke. nung. Ein neuer, sinnvoller und an die Realitäten des Schul alltags angepasster Teilzeiterlass ist dringend erforderlich. Minister Tonne: Anhebung der Anrechtsstunden für Koordinatoren Dr. Junk: Jedes Jahr eine neue Bildungsidee Die viele Aspekte der Bildungspolitik benennende Rede des Besonderes Augenmerk lag erneut auf den Reden der öffent Verbandschefs ist im vollen Wortlaut in dieser Ausgabe ab- lichen Eröffnungsveranstaltung des Vertretertags 2019. Seit gedruckt. Gleiches gilt für das Grußwort des Kultusministers Jahren erfreuen sich die Grußworte des Goslarer Oberbürger Grant Hendrik Tonne, das daher an dieser Stelle nur kurz zu- meisters Dr. Oliver Junk großer Beliebtheit bei dieser Ver- sammengefasst wird. Tonnes Bezugnahme auf den „11-Punk- anstaltung, vermag er es doch stets, in „launigen Worten“ te-Plan“ wurde aufmerksam zur Kenntnis genommen („wir inhaltlich messerscharf der jeweiligen Bildungspolitik den werden unter anderem Archivierungspflichten verringern Spiegel vorzuhalten. und andere Vorgänge prüfen“), aber Vielen fehlt der Glaube, dass nach etlichen Ankündigungen, die keine Konsequenzen Der „Rundblick“ hatte 2018 das „wunderbare Grußwort“ zum hatten, nun endlich etwas passiert. Minister Tonne möchte damaligen Vertretertag gelobt. „Irgendwann kommt man da die „Arbeit der Lehrkräfte nicht nur wertschätzen, sondern nicht mehr drüber, daher habe ich über eine klassische Gruß- auch unterstützen.“ Dabei soll die Anhebung der Anrech- wortrede nachgedacht – Weihnachtsmarkt, Welterbe, Kaiser- nungsstunden für schulfachliche Koordinatoren als erste pfalz“, schmunzelte Junk. Denn: „Eine launige Rede ist schwer Maßnahme der Entlastung im kommenden Schuljahr erfol- angesichts der niedersächsischen Bildungspolitik!“ Junk gen. Der Minister versprach außerdem die Anhebung der erinnere sich angesichts dieser an die „Höhle der Löwen – da Altersermäßigung bzw. diese Frage im Zuge einer Entlastung kommt man jedes Jahr mit einer neuen Produktidee, und so anzugehen. Wann, blieb allerdings unklar. kommt der Minister jedes Jahr mit einer neuen Bildungs- idee“, äußerte der OB zu donnerndem Applaus. Und dann, an Die „Abordnungswelle gefällt keinem“, urteilte der Minister, eben jenen Minister gewandt: „Bei allen Produktideen, die Lehrkräftemangel sei aber kein rein niedersächsisches Pro- Sie entwickeln, nehme ich Ihnen ab, dass Sie auch mal gute blem. Konkreter wurde es, als er über die Nutzung digitaler Ideen entwickeln wollen“, denn es sei wichtiger als je zuvor, Medien sprach: „Kritisches Denken ist in Zeiten von Fake dafür zu arbeiten, dass Kinder gut ausgebildet würden. Dies News erforderlich! Schülerinnen und Schüler müssen ein sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Gefühl dafür bekommen, was richtig ist und was Schrott“. Gymnasium in Niedersachsen 1/2020 5
Schwerpunktthema: Philologentag 2019 Es gehe ihm nicht um Digitalisierung von Schule, sondern zugehen. Es hänge aber „von uns ab, was wir aus der Technik um Lernen im digitalen Wandel. Er habe einen Anspruch, machen“. dass alle Beteiligten von Schule angstfrei zur Schule gehen könnten. Zum Schluss sagte der Kultusminister, direkt den Somit hänge die Wirksamkeit von digitalem Lernen nicht vom Verbandsvorsitzenden adressierend: „Ich freue mich auf wei- Alter der Lernenden ab, auch nicht vom Fach, und nicht von der tere Zusammenarbeit mit dem PhVN. Behalten Sie sich eine Technik – sondern von der Unterrichtsqualität und der Leh- gewisse Portion Störrigkeit!“ rerprofessionalität. Auf diese komme es an. „Nicht Edutain- ment führt zum Lernerfolg“, unterstrich Zierer, „es kommt Prof. Klaus Zierer: Digitalisierung zwischen Euphorie auf Verbindlichkeit, Regeln, Werte und Normen an. Das un- und Apokalypse terscheidet Unterhaltung von der Erziehung!“ Schlechter Un- „Wenn es um Digitalisierung geht, ist die Stimmung immer terricht werde durch digitale Medien nicht besser, nur guter zwischen Apokalypse und Euphorie“, sagte der Festredner Unterricht könne davon profitieren. Zierer wiederholte daher des Philologentags, Prof. Klaus Zierer, gleich zum Beginn in Goslar seine bekannte Aussage: Pädagogik vor Technik. seines fast einstündigen, in jedem Moment hochspannen- den Vortrags. Damit gab er das vor, was wir tatsächlich in der Der – anspruchsvolle und mit einer Vielzahl von Folien unter- aktuellen Digitalisierungsdebatte erleben. mauerte – Vortrag von Prof. Zierer ist in Form eines Aufsatzes, den der Wissenschaftler eigens für diese Zeitschrift erstellt Grundlage für das, was in Schule gilt, sei Bildung, keine hat, wiedergegeben. Für den Philologenverband bleibt als Fächer würden unterrichtet, sondern Menschen. Die Sinn- Folge sowohl des Festvortrags als auch der Beratungen und frage des Lernens, die ethische Frage, sei letztlich die Frage Beschlussfassung der Vertreterversammlung die Konse- von Bildung: „Bildung ist nicht gleich Lernen, sondern mehr!“ quenz, die Forderung nach einem einen Digitalpakt 2.0 zu Schüler vierließen in der Regel die Schule schlauer, als sie stellen, der eine Anschlussfinanzierung von Bund und Län- hergekommen sind, so Zierer. „Lernen lässt sich nicht verhin- dern und somit eine nachhaltige Entwicklung bei der Um dern! Es lohnt nicht, danach zu fragen, ob eine Maßnahme setzung der Digitalisierung gewährleistet. Denn der bisher wirkt – wir müssen fragen, was am besten wirkt!“ Unsere geplante Digitalpakt kann nur als erster Schritt in die Rich- Bildungsgesellschaft müsse lernen, mit der Technik um tung von Schule, Arbeit und Lernen 4.0 gesehen werden. Wir gestalten Zukunft! Arbeit und Lernen 4.0 Rede des Vorsitzenden des Philologenverbands Niedersachsen, Horst Audritz, anlässlich des Philologentags 2019 S ehr geehrter Herr Minister Tonne, meine Damen und Zeitgeist geopfert werden dürfen. Ich denke hier u.a. an den Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, jedes Jahr ist Gleichheitsgrundsatz (Art. 3), an die Freiheit der Lehre (Art. ein Jubiläumsjahr. Doch im Jahr 2019 kommen zwei 5), an das Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und besonders bedeutsame Jubiläen zusammen: Vor 70 Jahren Erziehung ihrer Kinder (Art. 6), an die staatliche Aufsicht trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland über das gesamte Schulwesen (Art. 7) und an die Garantie in Kraft, und vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen, was die der „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“, Wiedervereinigung unserer Nation in Frieden und Freiheit also insbesondere die Verbeamtung auf Lebenszeit, das ermöglicht hat. Die Volkskammer erklärte nur kurze Zeit Laufbahnprinzip und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. später den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit der Wir tun gut daran, uns immer wieder dieser Normierungen Wirkung vom 3. Oktober 1990. zu vergewissern und sie auch einzuklagen, wenn dagegen verstoßen wird. Bedenklich wird es, wenn Verfassungsnorm Seit der Wiedervereinigung gilt nun das Grundgesetz für und Verfassungswirklichkeit zu weit auseinanderklaffen. ganz Deutschland, ein Glücksfall, für den wir dankbar sein Die Normen gibt das Grundgesetz vor, die Verantwortung müssen. Der Beitritt war ein klares Bekenntnis zum Wer- für die Umsetzung liegt im Falle der Bildungspolitik bei den tesystem des Grundgesetzes. Das Grundgesetz ist unbe- Ländern. Ich will deshalb konkreter fragen: stritten die Grundlage für die Sicherung einer freiheitlichen • Tut unser Land genug, um das Schulwesen zu auszu- und stabilen Demokratie, in der die Grund- und Menschen- statten, dass das Recht auf Bildung und der Anspruch rechte einen herausragenden Platz einnehmen. Es ist nun- auf Förderung des Einzelnen auf der Grundlage der mehr als unsere gemeinsame Verfassung weiterhin Maß- Gleichheit gewährleistet werden? stab und Kompass für politisches Handeln. Die Grundrechte • Tut es genug, um die Qualität der schulischen Abschlüsse geben dafür entscheidende Normen vor. zu sichern? • Tut es genug, um auch dem Leistungsgedanken Rech- Ich meine das nicht nur allgemeinpolitisch, sondern nung zu tragen und Spitzenleistungen zu fördern? durchaus auch bildungspolitisch. Das Grundgesetz setzt • Tut es genug, um den Lehrerberuf attraktiv zu gestalten? Maßstäbe, die beachtet werden müssen und die nicht dem 6 Gymnasium in Niedersachsen 1/2020
Redner und Ehrengäste bei der Auftaktveranstaltung des Vertreterteags 2019 Das sind die zentralen Fragen, mit denen wir uns beschäfti- Was heißt das konkret? Niedersachsen als viertgrößtes gen müssen. Schließlich gehört das Recht auf Bildung, das Bundesland in Deutschland (bezogen auf die Einwohner- aus unserer Verfassung abzuleiten ist, zu den fundamenta- zahl) muss den Anspruch haben, in der Bildungspolitik zu len kulturellen Menschenrechten. Die volle Wahrnehmung den führenden Bundesländern zu gehören, von Grundrechten wie Meinungs-, Informations- und Be- rufsfreiheit ist ohne bestimmte Bildungsvoraussetzungen • führend bei der Unterrichtsversorgung, nicht denkbar. Bildung sichert ökonomischen Wohlstand, • führend bei der Qualität der Abschlüsse die Freiheit des Einzelnen und die Teilhabe am gesellschaft- • und führend bei der pädagogisch angemessenen lichen und politischen Leben. Demokratie ist ohne eine Fortentwicklung des Schulwesens. breite Bildungsbeteiligung und Bildungsförderung nicht denkbar. Nach dem aktuellen INSM-Bildungsmonitor (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) liegt Niedersachsen nur auf Bildung ist unsere wichtigste Ressource – individuell, Rang 9. Sachsen, Bayern und Thüringen bilden nach wie vor wirtschaftlich und sozial. die Spitzengruppe, Bremen, Brandenburg und Berlin sind Aber Lernen, Bildung und Arbeit stehen heute vor radikalen die Schlusslichter. Bestätigt wird das durch den aktuellen Veränderungen, denen wir uns stellen müssen. Das Motto IQB-Bildungstrend. Bei den Viertklässlern gehören im Lesen des Philologentages problematisiert diesen Wandel und und in Mathematik überdurchschnittlich viele Schüler in legt den Fokus auf die rasant zunehmende Digitalisierung Niedersachsen zur Risikogruppe. Handlungsbedarf besteht von Wirtschaft und Gesellschaft, die unter dem Schlag- bei der Ausbildung in den MINT-Fächern und im Fremd wort 4.0 auch als vierte industrielle Revolution bezeichnet sprachenbereich. Das sind die wahren Baustellen. wird. Digitalenthusiasten entwickeln fantastische Pläne: die Abschaffung von Klassenzimmern, Schulfächern und Das heißt für uns: Wir gestalten Zukunft. Schulbüchern, Arbeit in Teams an Projekten mittels WLAN, Wir verkennen nicht, dass die Gestaltung des Schulwesens Videochat und Hologrammen. Datenbrillen für Virtual eine immerwährende Herkulesaufgabe ist, eine Dauerbaustelle, Reality sollen Exkursionen in ferne Welten erlauben. Jeder und die Probleme bewusst sind. Was wir sehen, Herr Minister, lernt selbstbestimmt nach eigenen Bedürfnissen, der Lehrer ist aber ein Vorangehen im Schneckentempo, ein Abwarten ist nur noch Trainer. Müssen wir also Schule radikal neu und Hoffen auf Beruhigung an der Bildungsfront. Was wir denken? aber brauchen, sind zupackende Richtungsentscheidungen. Aber das hieße, großartige Zukunftspläne in Form von Luft- Sie müssen entschlossen handeln, Herr Minister, um schlössern zu propagieren, die gravierenden gegenwärtigen die Qualität der schulischen Abschlüsse zu sichern. Die Probleme aber einfach beiseite zu schieben. Kein solider Senkung von Leistungsanforderungen, um die Zahl der Planer wird ein Haus auf Sand zu bauen. Zuerst müssen die Abschlüsse zu erhöhen – eine Politik, die Ihre Vorgängerin Fundamente gelegt werden. recht intensiv betrieben hat und die bis heute nicht korri- Gymnasium in Niedersachsen 1/2020 7
Schwerpunktthema: Philologentag 2019 giert wurde – das ist der falsche Weg. Der einzig richtige zu vertreten. Das sollen sie tun, das müssen sie sogar tun, Weg ist die optimale Förderung aller Schülerinnen und so bilden wir sie bewusst aus. Darum geht es aber nicht. Es Schüler durch gut ausgebildete Lehrkräfte und eine gute geht darum, dass dieses Recht nicht dazu führen darf, dass Unterrichtsversorgung. Wenn Unterricht nicht stattfindet, man sich Sonderrechte herausnimmt und einen Schultag dann fehlt die notwendige Förderung, dann entzieht sich auf Dauer zum schulfreien Tag erklärt. Die Regeln unserer das Land seiner Verantwortung und überlässt Bildung und parlamentarischen repräsentativen Demokratie gelten für Erziehung immer mehr den Elternhäusern und außerschu- alle. Deshalb müssen Pflichtverletzungen – hier der Verstoß lischen Einflüssen. Von Chancengerechtigkeit kann dann gegen die Schulpflicht – auch selbst verantwortet werden. keine Rede mehr sein. Der Rechtsstaat ist unteilbar, auch gute Ziele Wir betonen: Unterricht muss stattfinden, wenn keine so- rechtfertigen keine Rechtsbrüche! zialen Schieflagen entstehen sollen. Mit Unterrichtsausfall Das Recht auf Unterricht, das aus der Schulpflicht abzulei- darf deshalb nicht fahrlässig umgegangen werden, nicht ten ist, ist ein historisch lange erkämpftes demokratisches seitens der Kultusbürokratie, aber auch nicht seitens der Recht. Schulen dürfen Unterricht nicht ausfallen lassen und betroffenen Schülerinnen und Schüler. ihre Arbeitspläne nicht einfach angekündigten Demons- trationen anpassen. Bei allem Verständnis für politisches Deshalb an dieser Stelle ein klares Bekenntnis zur Schul- Engagement – ich habe als Schüler selbst gegen die Not- pflicht, die nicht aufgeweicht werden darf. Die Schulpflicht standsgesetzgebung demonstriert – gilt, dass die Schule zählt zu den bedeutsamsten Errungenschaften eines demo- nicht lahmgelegt werden darf. Schule ist ein zu wichtiger kratischen Gemeinwesens. Schulpflicht ist keine willkürliche Ort der Bildung bzw. Meinungsbildung, der sachlichen Bevormundung von Eltern und Kindern, sie ist Ausdruck Information, des Pro und Contra, nicht ein Ort der Politisie- einer notwendigen Fürsorge des Staates für den Einzelnen rung und des Konfliktaustrages. und für ein funktionierendes Gemeinwesen. Der Staat muss ein Schulsystem gewährleisten, „das allen jungen Bürgern Sachliche Information und Meinungsbildung, das heißt für gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaft mich, dass der Klimaschutz wie andere wichtige Themen lichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröff- auch Einzug in die Lehrpläne der verschiedenen Fächer net“ – so das Bundesverfassungsgericht. Es geht also dar- hält. Ich wünsche mir darüber hinaus, dass die engagierten um, jungen Menschen im Bildungssystem unabhängig vom Schülerinnen und Schüler nicht nur zum Handeln auffor- Elternhaus Wissen, Fertigkeiten und Werte zu vermitteln, dern, sondern auch in die Parteien, Jugendorganisationen damit sie im wirtschaftlichen, technischen, ökologischen und gesellschaftlichen Initiativen eintreten und dort dauer- und sozialen Wettbewerb bestehen können. haft Mitverantwortung übernehmen. In diesem Zusammenhang auch ein Wort zu den „Fridays Die wichtigste Aufgabe der Schule ist es, die Qualität der for future“-Aktionen: Als Politiklehrer freut es mich, wenn schulischen Bildung und die Qualität der Abschlüsse zu Schülerinnen und Schüler sich engagieren und damit Mitver- erhalten. Im Gymnasium wird die Qualität des Abschlusses antwortung für ein demokratisches Gemeinwesen und den an der Qualität des Abiturs gemessen. Und da beklagt der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen übernehmen. Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, Schülerinnen und Schüler haben das Recht, ihre Interessen massive Wissenslücken bei Abiturienten und fügt hinzu: Die musikalische Begleitung des Philologentags über- nahmen der Luther-Chor und die Band „Bloom“ des Wer- ner-von-Siemens-Gymnasiums, Bad Harzburg 8 Gymnasium in Niedersachsen 1/2020
„Wir leben in der Fiktion, dass mit dem Abitur die Voraus- Ob allerdings ein Bundeszentralabitur die Lösung ist, muss setzungen für das Studium erfüllt sind.“ Häufig stimme bezweifelt werden. Ein Bundeszentralabitur ist weder inhalt das aber nicht, und das gelte besonders für die Fächer mit lich noch organisatorisch auch nur ansatzweise in naher Mathematik als Grundlage. Zukunft realisierbar. Nur der ständige Austausch unterein- ander, der fremde Blick auf die eigenen Anforderungen und Wir haben in diesem Jahr wieder erlebt, wie mit Leistungs mehr Mut zu allgemein verpflichtenden fachlichen Inhal- anforderungen im Abitur umgegangen wird. Bundesweit ten – statt einer vagen Kompetenzorientierung – können hatten zehntausende Abiturienten gegen die Anforderun- zu mehr Verständigung über das Abiturniveau führen. Wir gen im Mathematik-Abitur protestiert und eine Überprü- bleiben dabei, dass Niedersachsen seinen Abiturientinnen fung des Bewertungsschlüssels zu ihren Gunsten gefordert. und Abiturienten keinen Gefallen tut, wenn Leistungsan- Hamburg, Bremen und das Saarland haben die Noten wegen forderungen reduziert und das Niveau des Abiturs herab des zu hohen Schwierigkeitsgrades der Aufgaben nachträg- gesetzt wird. lich nach oben gesetzt, Niedersachsen hat das nicht getan. Niedersachsen belegt zudem mit einem Abiturnotendurch- Die Studierfähigkeit muss das Niveau bestimmen, schnitt von 2,55 im Ländervergleich allerdings auch den nicht die Zahl der Absolventen oder der Durchschnitt. letzten Platz. Zu den bemerkenswerten Jahrestagen dieses Jahres gehört der zehnte Jahrestag der UN-Behindertenrechtskonvention. So kann das nicht weitergehen! Niedersächsische Abituri- Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert eine umfas- entinnen und Abiturienten sind im Vergleich unterbewertet sende Inklusion, also für alle Menschen eine uneingeschränk- und im Wettbewerb um Ausbildungs- und Studienplätze te und gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen benachteiligt. Wir wollen, dass sie bessere Chancen haben. Leben. Zehn Jahre nach Ratifizierung der UN-Behinderten- Die Niedersachsen sind nicht dümmer! rechtskonvention hat nun der niedersächsische Landtag darüber diskutiert, ob die Inklusion in der Schule scheitert. Wenn etwa Berlin einen besseren Abiturdurchschnitt erzielt Es mehrten sich die Stimmen, die Alarm schlagen: Hannover- als Niedersachsen, wobei dort auch noch wesentlich mehr aner Gesamtschulen sehen sich durch die Inklusion überfor- Schüler eines Jahrganges das Abitur bekommen, dieses dert, sie wollen nur noch die Hälfte der Kinder mit sonderpä- Land aber beim aktuellen Ländervergleich zur Bildungs- dagogischem Förderbedarf aufnehmen. qualität Träger der roten Laterne ist, dann ist da etwas faul! Für solche Ungerechtigkeiten müssen unsere Schüler Der Landkreistag erklärt lapidar: „Die inklusive Schule ge- mit schlechteren Chancen auf Studienplätze und damit lingt nicht.“ Die Landkreise fordern ein neues Konzept und schlechteren Lebenschancen bezahlen. eine bessere Finanzierung. Seit 2013 sei z.B. die Zahl der Schulbegleiter um 130 Prozent gestiegen. Das allein belege, Ich frage hier und heute: Wann kümmern sich die für Schul- dass die Voraussetzungen für ein Gelingen der Inklusion in politik Verantwortlichen endlich um diese unhaltbaren der Schule derzeit nicht gegeben seien. Elternräte sehen die Zustände? Wann sorgen Sie für Abhilfe? Der Philologenver- Lehrer am Limit, seit Jahren bleiben sie zusehends mit der band erwartet Antworten auf diese Fragen. Inklusion alleingelassen. Und eine betroffene Schulleiterin und Lehrerin an einer Bremer Grundschule drückt es noch Die Konsequenz darf allerdings nicht sein, das Abitur leichter drastischer aus: „Inklusion ist ein typisches Beispiel dafür, zu machen, die Konsequenz kann nur sein, dass das Abitur wie Bildungspolitik auf dem Rücken der Lehrer und zulas- in allen Bundesländern vergleichbarer wird und damit ein ten des Bildungsniveaus der Schüler ausgetragen wird.“ verbindliches Niveau und verbindliche Korrekturmaßstäbe (Ute Schimmler, seit Jahrzehnten Lehrerin an einer Bremer definiert werden, nicht am Durchschnitt der schwächsten Grundschule, in Ihrem Buch „Inklusion – So nicht!“) Länder orientiert, sondern an den stärksten. Sie illustriert sehr anschaulich, dass normaler Unterricht Wer mehr Vergleichbarkeit will, muss auch eine Harmoni- nicht mehr möglich ist, wenn ein Kind auf andere Kinder sierung des Wegs zum Abitur anstreben. Denn wir haben mit der Schere losgeht, wenn ein autistischer Junge den in den Ländern eben keine einheitlichen Lehrpläne, keine Unterricht durch ständiges lautes Singen behindert, wenn einheitlichen Stundenpläne, keine einheitlichen Ferien- Flüchtlingskinder den ganzen Tag stumm unter dem Tisch zeiten und ganz unterschiedliche Schulsysteme. 4 oder 5 sitzen. Diese unangepassten Kinder seien eine ständige Prüfungsfächer, 4- oder 5-stündige Leistungskurse, 32 oder Herausforderung und auch eine Belastung für Lehrer und 40 einzubringende Kurse, eine unterschiedliche Zahl von Schüler. Denn auch die normalen Schüler benötigten immer Unterkursen, eine unterschiedliche Anzahl von Aufgaben, Aufmerksamkeit. Und vor lauter sozialer Fürsorge fehle eine unterschiedliche Behandlung von Hilfsmitteln, das zunehmend die Zeit, den Unterrichtsstoff zu vermitteln. alles ist Realität. Mindestens 265 Jahreswochenstunden ab der Jahrgangsstufe 5 bis zum Erwerb der Allgemeinen Wir müssen bei aller Rückendeckung für die Inklusion endlich Hochschulreife einzufordern, auf die bis zu fünf Stunden auch offen die Grenzen der Belastung und die Mängel bei Wahlunterricht angerechnet werden können, das reicht bei der Umsetzung ansprechen. Ein Leser der Braunschweiger weitem nicht aus und verleitet zudem zu Tricksereien. Wir Zeitung hat das getan: „Die Unterstützung, die durch Förder- kennen das aus dem G8. schullehrkräfte an den unterschiedlichen Schulen gegeben wird, ist vollkommen unzureichend. Das liegt nicht an den Gymnasium in Niedersachsen 1/2020 9
Schwerpunktthema: Philologentag 2019 Förderschullehrkräften, aber was nutzen 5 Stunden Unter- Die Umsetzung der Inklusion ist durch fehlende finanzielle, stützung bei 25 Stunden Unterricht in der Woche? Und ist es personelle, sächliche und räumliche Ressourcen gefährdet, nicht sinnvoller, für eine bestimmte Lernbehinderung jeweils sie ist durch sachfremde ideologische Zielsetzungen ge- eine Schule zu bestimmen, damit nur dort und damit öko- fährdet, nicht durch den freien Elternwillen. nomisch vertretbar alle Voraussetzungen für eine optimale Förderung geschaffen werden?“ (W. Buchwald, Gifhorn) Jahr 1 des Digitalpakts Wir befinden uns im Jahr 1 des Digitalpaktes. Die Digitalisie Sehr geehrter Herr Minister, die Antwort darf nicht einfach rung ist eine der größten Herausforderungen, denen sich heißen: Die Schulen bekommen das schon hin, differenzier- die Schule stellen muss. Wirtschaft und Gesellschaft verän- te Beschulung sei der Zauberweg. dern sich durch die digitale Revolution grundlegend. Neben neuen technischen Möglichkeiten kommt eine regelrechte Inklusion – So nicht! Datenflut auf uns zu, die den Einzelnen zu überrollen droht Jeder Praktiker weiß, dass das eine Lehrkraft allein unter und ihn zum Gefangenen undurchschaubarer Algorithmen den gegebenen Voraussetzungen nicht hinbekommt. macht. Jeden Tag werden die Grenzen des Machbaren wei- Wir begrüßen es, dass Sie selbst Grenzen der inklusiven ter in Richtung künstliche Intelligenz verschoben. Die Tech- Beschulung beim Förderbedarf „Emotionale und soziale nologie dringt, ohne dass wir es groß bemerken, in immer Entwicklung“ ausdrücklich anerkennen und dafür ein- mehr Lebensbereiche vor. Roboter übernehmen menschliche treten, dass bei Verstößen gegen schulische Regeln oder Aufgaben, sind lernfähig, rund um die Uhr einsatzbereit Grenzüberschreitungen im Umgang mit Lehrkräften oder und billiger als der Mensch. Maschinen fällen sogar selbst- Mitschülerinnen und Mitschüler Kinder zeitweise aus dem ständig Entscheidungen, denken wir z.B. an autonome Waf- „normalen“ Unterricht herausgenommen werden. fensysteme oder die Kontrolle von Flugbewegungen. Schon ist es möglich, dass Fahrzeuge sich autonom ohne Fahrer In Niedersachsen sind inzwischen alle Schulen inklusive durch das Verkehrsnetz bewegen, heute schon können Schulen. Eltern können ihre Kinder mit sonderpädagogi- „schlaue“ Algorithmen in Diensten einer Versicherung die schem Unterstützungsbedarf nun an einer allgemeinen Schadensabwicklung übernehmen, und es ist auch möglich, Regelschule anmelden, sie müssen nicht zwangsläufig eine dass uns neuronale Netze bei der Erforschung von Medika- Förderschule wählen. Entscheidend ist für uns aber, dass sie menten und der Behandlung von Krankheiten helfen und wählen können, um den besten Weg für die Förderung ihrer sogar die Behandlungskosten angesichts der errechneten Kinder zu finden. Das kann auch eine Förderschule sein. Be- Lebenserwartung prognostizieren. Was an Überwachung sondere Maßnahmen, die die Gleichberechtigung von Men- des Menschen möglich wird, ist in Ansätzen schon in der schen mit Behinderungen ermöglichen oder beschleunigen, Volksrepublik China erkennbar. George Orwells Fiktion vom gelten nach Behindertenrechtskonvention – übrigens auch „Big Brother“, der uns ständig begleitet und beobachtet, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – ist längst in Form von Google, Apple und Co, von Facebook, eben nicht als Diskriminierung, so wie es die Einheitsschul Alexa und Whatsapp zur Realität geworden. ideologen unterstellen. Im Mittelpunkt muss das Kindes- wohl stehen, verbunden mit dem Anspruch, bestmöglich Wie wird nun die Digitalisierung der Schulen den Unterricht auf ein selbstbestimmtes Leben in Würde und Freiheit, mit und das Lernen verändern? Brauchen wir im Zeitalter von Wertschätzung und Teilhabe am gesellschaftlichen Mitein- Skype und Google noch Klassenzimmer? Brauchen wir noch ander vorzubereiten. Schulbücher? Braucht es den Lehrer überhaupt noch? L assen Sie mich kurz unsere Position umreißen: Wir sind keine Wir stehen zu diesen Zielsetzungen der Inklusion. Schule Maschinenstürmer, ganz im Gegenteil. Schule darf und will und Gesellschaft dürfen Menschen mit Behinderungen sich der Herausforderung der Digitalisierung nicht entziehen. nicht ausgrenzen. Inklusion ja – Bevormundung nein! So Schule muss „auf der Höhe der Zeit“ sein, gerade auch was will es die auch Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen. die technischen Möglichkeiten betrifft. Die Nutzung neuer Kommunikationsmittel gehört dazu, insbesondere eine Die Gymnasien stellen sich der Verantwortung für die Inklu- flächendeckende und leistungsstarke Breitbandanbindung sion und nehmen gern alle Schülerinnen und Schüler auf, ans Internet und Präsentationsmedien wie Smartboards. die schulformspezifisch mit Aussicht auf Erfolg gefördert Selbstverständlich müssen wir unsere Schülerinnen und werden können. Wenn die Anmeldezahlen von Kindern Schüler auf den Umgang mit den neuen technischen Mög- mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf an den lichkeiten vorbereiten und sie zu mündigen Nutzern moder- Gymnasien geringer sind als an anderen Schulformen, dann ner Technologien bilden. Das bedeutet aber auch, Entwick- spricht das nur für die Weitsicht der Eltern. Das Beste für Ihre lungen nicht unkritisch hinzunehmen, sondern Chancen Kinder, von denen sie wissen, dass sie die Ziele des Gymnasi und Gefahren zu erkennen. Sowohl übertriebene Euphorie ums nicht schaffen können, dass sie täglich im Unterricht als auch Verweigerung sind abzulehnen. Wir dürfen die Ent- überfordert sind, ist eben nicht unbedingt das Gymnasium. wicklung in den Schulen nicht einfach sich selbst überlassen. Regeln gehören dazu und Absprachen, wann, wo und wie der Eine festgelegte Aufnahmequote für Gymnasien unge- Einsatz technischer Hilfsmittel sinnvoll ist. achtet der individuellen Voraussetzungen, wie es Gesamt- schulen fordern, ist unpädagogisch, unprofessionell und Wir begrüßen es ausdrücklich, dass alle Schulen so ausge- unverantwortlich. stattet werden sollen, dass sie die neuen technischen Mög- 10 Gymnasium in Niedersachsen 1/2020
lichkeiten überhaupt nutzen können. Die Ausstattung muss Für mich ist gerade das die zentrale Aufgabe des Gymnasi besser werden. Dabei geht es aber nicht nur um Technik, es ums: viel wissen, viel können, viel verstehen. Ich habe die geht vor allem um Inhalte, es geht um die Aus- und Weiter vielfältigen Normierungen des Bildungswesens durch das bildung von Lehrkräften, es geht um die Überarbeitung Grundgesetz angesprochen. Dazu gehört auch und nicht von Lehrplänen, es geht um den Datenschutz, es geht um zuletzt das Beamtenverhältnis für Lehrkräfte und damit ein- Fragen der sozialen Spaltung, es geht um die Mitbestim- hergehend die staatliche Fürsorge für die Beamtinnen und mung am Arbeitsplatz Schule, es geht um ethische Fragen Beamten. Wir Lehrer tragen eine große Verantwortung dafür, bzw., anders gesagt, um „rote Linien“ beim Einsatz der dass jeder Schüler sein Recht auf gleiche Bildungschancen künstlichen Intelligenz. All das sind Fragen, die man nicht und beste Förderung wahrnehmen kann. Unser Arbeitsein- allein einem Pflichtfach Informatik überlassen darf, das sind satz liegt mit 45 bis 55 Stunden und mehr pro Woche weit Fragen, die in allen Fächern thematisiert werden müssen, über dem Durchschnitt und überschreitet damit – ohne ins wenn auch die Entwicklung eindeutig in Richtung mehr Jammern zu verfallen – oft die gesundheitlich bedenkliche Informatik geht. Sicherlich ist Informatik dafür ein wichtiges Höchstbelastungsgrenze. Wir sorgen dafür, dass das Schul- Ankerfach. angebot immer aufrecht erhalten bleibt und bekennen uns ausdrücklich zum Streikverbot. Und wir akzeptieren als Be- Nachgewiesenermaßen werden die Leistungen der Schüler amte auch personalwirtschaftliche Spielräume, wenn es zur innen und Schüler durch den Einsatz digitaler Medien nicht Sicherung der Unterrichtsversorgung notwendig ist. zwangsläufig besser. Im Mittelpunkt von Schule müssen der fachlich hoch qualifizierte Lehrer und das klärende Aber nicht um jeden Preis! Was wir z.B. als Abordnungs- Unterrichtgespräch bleiben, die soziale Interaktion, der praxis erleben, geht entschieden zu weit. Im Gegenzug zu pädagogische Zuspruch. Das ist die beste Förderung! unserer vollen Hingabe zum Beruf erwarten wir die strikte Einhaltung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wie sie das Der Lehrer ist nicht durch Video-Konferenzen ersetzbar! Grundgesetz (Art. 33) festschreibt, insbesondere was die Lehrer sind mehr als Lerncoaches und Lernbegleiter! Ausgestaltung der Arbeitszeit und die Besoldung betrifft. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen einem un- Wir müssen uns der Komplexität der neuen Herausforde- beschränkten Gestaltungsspielraum des Dienstherrn, der rungen stellen, ohne den Anspruch zu erheben, absolute willkürlich und unbegründet ausgenutzt wurde, deutliche Wahrheiten zu kennen. Neugier, Offenheit und Lernbereit- Grenzen gesetzt. Deshalb wurde die willkürliche und einsei- schaft werden deshalb Tugenden sein, die wir am Gymnasi tige Erhöhung der Pflichtstundenzahl für Gymnasiallehrer um weiterhin pflegen wollen. Wir müssen die mentale vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg für rechtwidrig Hoheit über die digitale Entwicklung behalten, was nichts erklärt, deshalb klagen wir für die Gewährung von Anrech- anderes heißt, als Verstehen zu fördern, Chancen und Risiken nungsstunden für die Zuweisung von Funktionsaufgaben digitaler Technologien zu erkennen und Mensch und Natur und deshalb bestehen wir auf einer amtsangemessenen zu schützen. Alimentation, also einer gerechten Besoldung. Gymnasium in Niedersachsen 1/2020 11
Schwerpunktthema: Philologentag 2019 Im Bundesvergleich muss Niedersachsen aufholen, sonst F rage der Prioritäten. Das darf man nicht endlosen Debatten verliert es den Kampf um die besten Köpfe im Bildungs an runden Tischen überlassen, hier ist das Kultusministerium bereich. Die zunehmende Kluft zwischen den Arbeitsbedin- in der Pflicht. gungen in den Bundesländern ist fatal. Ein Hoffnungsschimmer, mehr aber nicht, ist das im Januar Wir fordern: vorgestellte Maßnahmenpaket zur Entlastung der Lehrkräf- • eine Senkung der Unterrichtsverpflichtung, te, das aber noch viel zügiger und konsequenter umgesetzt • eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung der Tarifer- werden muss. Manche der Entlastungsmaßnahmen sind gebnisse auf die Beamten, marginal, wie die erleichterte Archivierung von Klassen • die Ausweitung der Beförderungsmöglichkeiten, arbeiten, manche entsprechen durchaus unseren langjähri- • eine amtsangemessene Besoldung, gen Forderungen: • eine deutliche Erhöhung des sog. Weihnachtsgeldes, • eine Entlastung von unterrichtsfernen Aufgaben und • ergleichsarbeiten werden in die Entscheidungsbefug- V • die strikte Einhaltung des Arbeits- und Gesundheits- nis der einzelnen Lehrkraft gestellt, schutzes. • es besteht nunmehr ein Anspruch auf Korrekturtage im schriftlichen Abitur, Nicht nur der Unterricht ist Arbeitszeit. Der Europäische • die bisher jährlich verpflichtende Evaluation der schu- Gerichtshof hat in diesem Jahr ausdrücklich festgestellt, lischen Arbeit soll ab 2020 in einen Zweijahresturnus dass eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und ausrei- geändert werden, chende tägliche und wöchentliche Ruhezeiten ein Grund- • und die Fokusevaluation, also die Schulinspektion, soll recht jedes Arbeitnehmers ist. Das muss auch für Lehrkräfte nur noch freiwillig oder anlassbezogen stattfinden. gelten. Wir sind aber noch lange nicht am Ziel, alle Aufgaben zu Bisherige Arbeitszeituntersuchungen bestätigen, dass die streichen, die nicht der Verbesserung der Unterrichtsquali- gesundheitlichen Belastungen der Lehrkräfte besorgniser- tät dienen oder deren Aufwand in keinem Verhältnis zum regend zunehmen. Lehrer sind aus Zeit- und Termindruck zu Nutzen steht. Überbordende bürokratische Aufgaben ma- Spät- und Wochenendarbeit gezwungen. Es fehlt die Rege- chen es dem einzelnen Lehrer immer schwerer, genügend neration in den Abendstunden und an den Wochenenden, Zeit für die Vorbereitung guten Unterrichts und für die ganz zu schweigen davon, dass die Vereinbarkeit von Familie Betreuung und Förderung seiner Schüler zu erübrigen. Ein und Beruf bzw. die work-life-balance nicht mehr in dem Ende der ausufernden Konzeptionitis und der permanenten notwendigen Maß gegeben ist. Sitzungen in Konferenzen und in Planungs- und Steuerungs gruppen – seit Einführung der Eigenverantwortlichen Schule Die Wirtschaft hat längst erkannt, wie wichtig gute Arbeits- – ist nicht absehbar. bedingungen für das Arbeitsklima und die Leistung sind. Ruhezonen, Verpflegungsstationen und gesundheitliche Be- Gerechte Arbeitszeitregelungen – Fehlanzeige! treuung einschließlich sportlicher Angebote gehören längst Im nächsten Jahr finden wieder Personalratswahlen statt. zum Alltag. Und in unseren Schulen? Eigene Schreibtische, Über 70 Prozent der abgegebenen Stimmen hat der Philo- Aufbewahrungsmöglichkeiten für das eigene Unterrichts- logenverband Niedersachsen bei den letzten Personalrats- material, Gruppenräume für das Lehrpersonal und Pausen- wahlen 2016 an den Gymnasien des Landes erzielt. Hinter räume, die den Namen verdienen, sucht man vergebens. Ein unseren bildungs- und berufspolitischen Vorstellungen und großes Lehrerzimmer für alle, oft mehr als 100 Lehrkräfte, Forderungen steht die überwältigende Mehrheit der Gym- ist immer noch Realität. Fehlen Räume, werden Container nasiallehrer, hinter ihnen stehen aber auch weitgehend angemietet, ein Provisorium, das schnell zur Dauereinrich- die Eltern unserer 220.000 Schüler, die ihre Kinder ganz tung werden kann. bewusst auf ein Gymnasium geschickt haben und auch weiterhin auf ein Gymnasium schicken wollen, das sie zu Liebe Schulträger, wir appellieren an Sie, lassen Sie Ihre einem Abschluss bringt, der sie studierfähig macht. Schulen nicht verkommen, beseitigen Sie den Investitions- stau und statten Sie alle Schulen gleichermaßen gut aus. Als Interessenvertretung der Lehrkräfte an den Gymnasien Das darf keine Frage von bildungspolitischen Bevorzugun- werden wir auch weiterhin unser Hauptaugenmerk auf die gen sein. Die einzige Priorität, die wir akzeptieren ist, dass Verbesserung der Arbeitsbedingungen richten und uns mit Bildung Priorität haben muss. Nachdruck dafür einsetzen, dass im Mittelpunkt von Schule wieder Unterricht durch gut ausgebildete und motivierte Die niedersächsische Arbeitszeitkommission hat unmiss- Lehrkräfte steht. Mit gleicher Entschiedenheit werden wir verständlich eine Überlastung der Lehrkräfte und die Verlet- dafür eintreten, dass Bildungsausgaben Priorität haben und zung der rechtlichen Arbeitszeitvorgaben festgestellt und dass nicht auf Kosten der Schülerinnen und Schüler und der dringlichen Handlungsbedarf in Bezug auf die Reduzierung Lehrkräfte gespart wird. der Arbeitszeit bei Gymnasien und Grundschulen allgemein und bei einzelnen Beschäftigtengruppen im Besonderen Getreu unseres Mottos für die Personalratsarbeit können angemahnt. Strittig sind nicht diese Ergebnisse, strittig alle niedersächsischen Lehrkräfte weiterhin darauf bauen: sind allein Umfang und Zeitpunkt der Entlastungen und die Wir sichern Ihre Rechte. 12 Gymnasium in Niedersachsen 1/2020
Wir senden ein deutliches Signal an die politisch Verant- Wochenzeitung „DIE ZEIT“ in bemerkenswerter Weise das wortlichen, die hier aufgezeigten Mängel in der Schul- und Erfolgsgeheimnis des Gymnasiums begründet: Bildungspolitik zu beheben. Es sollte die Politik beunruhigen, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Problemlösung „Gymnasien haben einen eigenen pädagogischen Stil sinkt. Das spiegelt jedenfalls eine repräsentative Umfrage gefunden. (…) Das Gymnasium ist … gerade deshalb so des Deutschen Beamtenbundes wider, die im August erfolgreich, weil es seine eigenen Standards nicht auf- veröffentlicht wurde. Danach halten über 60 Prozent der gegeben hat. Für die [pädagogischen] Prinzipien gibt es Befragten den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben für keinen Änderungsbedarf: Der fachliche Zugang zur Welt, überfordert. An vorderster Stelle wird hierbei die Schul- und die reflexive Distanz, Herausforderung als Prinzip und eben Bildungspolitik genannt. nicht primär das liebevolle Verweilen in den schülereigenen Erfahrungen. Dazu gehören Lehrkräfte, die ihr Fach be- Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede beim herrschen und deshalb besser vermitteln können – damit Verband der Elternräte 2018 gesagt, dass Sie weiterhin da- schaffen die Gymnasien ein geistig anregendes Milieu. für sorgen werden, dass das niedersächsische Gymnasium Ein konservativer Grundzug und eine gewisse Störrigkeit im Interesse der Schülerinnen und Schüler anspruchsvoll gegenüber Veränderungen haben sicher zum Erfolg dieser und erfolgreich bleibt, und Sie haben sich dabei der Ein- Schulform beigetragen.“ schätzung des Gymnasiums durch den Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth angeschlossen. Tenorth hatte in der So soll es bleiben, Herr Minister, packen Sie es an! Grußwort des Niedersächsischen Kultusministers Grant Hendrik Tonne S ehr geehrte Damen und Herren, für Ihre Einladung Gleichwohl gilt entschlossen, dass wir die Maßnahmen zum Vertretertag 2019 bedanke ich mich herzlich und identifizieren, die keinen tatsächlichen inhaltlichen Mehr- freue mich über die Möglichkeit, mit Ihnen in den wert bieten. Vor dem Hintergrund der vorgeschobenen Austausch zu kommen. Abseits aller kontroversen Themen Vergleichbarkeit war die niedersächsische Entscheidung möchte ich mich aber zunächst herzlich bei Ihnen allen für zum Aussetzen von VERA richtig und das gilt auch für Ihre Arbeit und Ihr Engagement in Ihren Schulen und auch die Veränderungen im Rahmen der Fokusevalution. Auch in Ihrem Verband bedanken. Beides ist unerlässlich wichtig das Potential von Vernetzung der Schulen untereinan- und ohne Ihren Einsatz und Ihre Kompetenz könnte Schule der und das Bereitstellen von Musterkonzepten sowie nicht gelingen. Mein Dank gilt auch Ihrer Beteiligung an Good-Practice-Beispielen müssen wir in Zukunft viel stärker der bildungspolitischen Debatte. Lieber Herr Audritz, Sie nutzen. Diese Maßnahmen sind jeweils keine alleinigen wissen, dass unser regelmäßiger Dialog, den ich als offen Lösungen, aber sie entlasten an verschiedenen Stellen. und kritisch, aber immer als konstruktiv wahrnehme, mir Gleiches gilt für den 11-Punkte-Plan, der nichts Statisches wichtig ist. Das ist nicht selbstverständlich und zeigt, dass im Dialog eine gemeinsame Suche nach Verbesserungen möglich ist. Der Kultusminister auf dem Philologentag Ich möchte gern zunächst auf die von Ihnen bereits selbst skizzierten Punkte im Rahmen der Fürsorgepflicht einge- hen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Herausforde- rung, den schwierigen Spagat zwischen Unterrichtsversor- gung auf der einen und Entlastung auf der anderen Seite. Wie Sie wissen, habe ich Anfang des Jahres in einem 11-Punkte-Plan ein Paket von Maßnahmen vorgeschlagen, um Sie als Lehrkräfte zu entlasten. Dieser Plan ist ein erster Schritt. Er ist aber auch als Schritt gedacht, um zu zeigen, dass das, was als Entlastung identifiziert werden kann, auch umgesetzt wird. Ich möchte die einzelnen Maßnahmen nicht noch einmal aufzählen, aber Sie können sich be- stimmt vorstellen, dass das Aussetzen von VERA 3 und VERA 8 kaum auf Zustimmung im Rahmen der Kultusminister- konferenz gestoßen ist. Gymnasium in Niedersachsen 1/2020 13
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