Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769

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Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
ART-Bericht 769

Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden
Empfehlungen zur Bewirtschaftung von artenreichen Alpweiden mit Verbuschungsproblemen

Oktober 2013

Autorinnen und Autoren
Bärbel Koch, Gabriela Hofer,
Thomas Walter, ART

Peter J. Edwards, ETH Zürich

Wolf U. Blanckenhorn, Universität
Zürich

                                    Abb. 1: Ein Mosaik aus Grasland und Sträuchern wirkt sich positiv auf die Biodiversität aus:
Impressum
                                    Alp Pian Doss in S. Bernardino, Graubünden. (Fotos: Bärbel Koch, ART)
Herausgeber:
Forschungsanstalt Agroscope         Sömmerungsweiden prägen grosse Teile           (www.alpfutur.ch) zum Einfluss der Ver­
Reckenholz-Tänikon ART              der alpinen Landschaft. Aber immer mehr        buschung durch Zwergsträucher auf die
Tänikon, CH-8356 Ettenhausen,       Graslandflächen werden vom Wald zu­      ­     Artenvielfalt von Pflanzen, Tagfaltern und
Redaktion: Erika Meili, ART         rückerobert. Ohne Gegenmassnahmen              Heuschrecken vor und fasst in der Litera­
                                    ver­schwinden diese kulturgeprägte Land­       tur beschriebene Bewirtschaftungsmass­
Die ART-Berichte/Rapports ART       schaft und ihre wertvolle Biodiversität.       nahmen gegen die Verbuschung zusam­
­erscheinen in rund 20 Nummern      Strukturreiche Weiden mit einem Mosaik         men. Daraus wurden zehn Empfehlungen
pro Jahr. Jahresabonnement ­        von Grasland und Sträuchern bieten einen       abgeleitet.
Fr. 60.–. Bestellung von Abonne-    Lebensraum für Pflanzen und Tiere mit          Eine genügend starke und gleichmässig
ments und Einzelnummern:            unterschiedlichen Ansprüchen, was sich         verteilte Weideintensität ermöglicht eine
ART, Bibliothek, 8356 Ettenhausen   positiv auf die Artenvielfalt auswirkt.        bessere Nutzung der Weideressourcen
T +41 (0)52 368 31 31               Trotzdem ist eine geeignete Weidefüh­          und wirkt dem Fortschreiten der Verbu­
F +41 (0)52 365 11 90               rung und -pflege erforderlich, damit die       schung entgegen.
doku@art.admin.ch                   Sträucher nicht die Oberhand gewinnen
Downloads: www.agroscope.ch         und die Flächen unbrauchbar machen.
                                    Der vorliegende Bericht stellt Ergebnisse
ISSN 1661-7568                      aus dem Forschungsprogramm AlpFUTUR
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

Alpwirtschaft zwischen Tradition                              erheblich (Fischer et al. 2012). Während am Anfang des
und Veränderung                                               20. Jahrhunderts in der Schweiz noch über 10 000 Alpen
                                                              gezählt wurden (Strüby 1914), betrugen die beitragsbe-
Blüte der Alpwirtschaft im 19. Jahrhundert                    rechtigten Sömmerungsbetriebe in den letzten Jahren
Die Alpwirtschaft hat in Europa eine lange Tradition. Erste   etwas mehr als 7000 und haben seit 2001 um rund sechs
Besiedlungen von Alpengebieten erfolgten schon ab 5000        Prozent abgenommen (BLW 2012). Zudem hat die Zahl der
v. Chr., um im Sommer die günstigen Flächen in der alpi-      Betriebe, die an der unteren Auslastungs-Toleranzgrenze
nen Höhenstufe für die Beweidung, vorwiegend mit Scha-        von 75 Prozent wirtschaften, in den letzten Jahren zuge-
fen, zu nutzen. Doch erst um 1000 n. Chr. erlebten alpine     nommen (Lauber et al. 2011). Dennoch, mit 48 Prozent der
Landschaften eine starke Entwicklung, wobei Wälder            tierhaltenden Landwirtschaftsbetriebe, die 2008 ihre Tiere
gerodet, die landwirtschaftliche Nutzfläche ausgeweitet       sömmerten, ist die Alpwirtschaft in der Schweizer Land-
und intensiviert sowie Siedlungen ausgedehnt wurden           wirtschaft noch immer stark verankert (von Felten et al.
(Bätzing 2005). Durch die aufeinanderfolgende Besied-         2012), und traditionelle Bräuche sowie Nutzungsformen
lung durch Römer, Germanen und später der Walser bil-         prägen immer noch ihr Bild (Abb. 2). Für viele Älpler spielt
dete sich eine Vielfalt an kulturellen Landnutzungen, die     die Tradition der Sömmerung nach wie vor eine wichtige
noch heute die alpine Landschaft und ihre Biodiversität       Rolle, für rund ein Sechstel ist sie sogar der entscheidende
prägt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts blühte die Alpwirt-     Faktor. Für die Mehrheit sind sowohl Wirtschaftlichkeit als
schaft auf und erreichte ihre grösste Ausdehnung. Als Ant-    auch die Erhaltung der Tradition von Bedeutung.
wort auf die stetig wachsende Bevölkerung wurden auch
die früher extensiv genutzten Flächen immer mehr einer        Mutter- statt Milchkühe
intensiven Bewirtschaftung ausgesetzt (Bätzing 2005).         Der gesömmerte Tierbestand ist allgemein leicht rückläu-
Diese Intensivierung betrifft vor allem die tiefer gelege-    fig: Zwischen 2000 und 2011 ist die Zahl von 306 668 auf
nen und gut erreichbaren Lagen der Alpen, während             297 496 Normalstösse (1 Normalstoss: Sömmerung einer
höhere Lagen vermehrt als Randgebiete angesehen wur-          Milchkuh während 100 Tage) gesunken (–3 %; BLW 2009,
den.                                                          BLW 2012). Allerdings sind Veränderungen in den verschie-
                                                              denen Tierkategorien aussagekräftiger als der abneh-
Rückzug aus dem Sömmerungsgebiet                              mende Trend. Zurzeit wird am häufigsten Jungvieh (39 %)
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm mit der Industrialisie-       gesömmert, gefolgt von Milchkühen (29 %), gemischten
rung der allgemeine Wohlstand der Bevölkerung zu, und         Tiertypen (14 %), Mutterkühen (9 %), Schafen (6 %) und
in ganz Europa zeichneten sich allgemeine sozioökonomi-       Galtvieh (2 %). Ziegen, Milchziegen und Milchschafe zäh-
sche Veränderungen sowie der Agrarstrukturwandel mit          len mit jeweils einem Prozent zu den seltensten gesöm-
einem Rückzug aus der Alpwirtschaft ab. Heutzutage            merten Tiertypen (von Felten et al. 2012). Schafe und Zie-
deckt das Sömmerungsgebiet immer noch ein Drittel             gen, die zu Beginn der Alpwirtschaft noch sehr prominent
der landwirtschaftlichen Fläche in der Schweiz ab (ca.        waren, wurden bereits ab Ende des Mittelalters in vielen
500 000 ha). Aber immer mehr Bewirtschafter geben ihre        Teilen der Alpen immer mehr durch Kühe und Rinder
Flächen im Sömmerungsgebiet aufgrund der Vergrösse-           ersetzt. Aktuelle Tierzahlen zeigen vermehrt eine Umstel-
rung der Fläche des Heimbetriebes auf. Die Wahrschein-        lung von Milch- auf Mutterkuhhaltung, was oft damit ver-
lichkeit für einen Rückzug aus der Sömmerung erhöht sich      knüpft ist, dass landwirtschaftliche Ganzjahresbetriebe
mit der Vergrösserung der Weidefläche im Talgebiet            einem Neben- oder Zuerwerb nachgehen (Lauber et al.

Abb. 2: Links die Alp Sura im Jahr 1939, rechts im Jahr 2012. Alpverbesserungen zwischen 1965–67 und die Erschliessung
mit einer Landwirtschaftstrasse haben die Infrastruktur modernisiert. Die Wiese, die zum Heumachen benutzt wird, liegt
immer noch an der gleichen Stelle. Die Zunahme der Bäume im Hintergrund des Fotos von 2012 zeigt, dass auch hier
Veränderungen in der Landschaft stattgefunden haben.(Foto links: Ernst Brunner, Schweiz. Institut für Volkskunde, Basel)

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Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

2008, Mack und Flury 2008). Die Zahl der Normalstösse von
Mutterkühen ist zwischen 2000 und 2010 von 13 854 auf           Was versteht man unter Verbuschung?
33 543 gestiegen (BLW 2009, BLW 2012); damit hat sich die       Unter der Verbuschung versteht man das Vordringen
Zahl der gesömmerten Mutterkühe mehr als verdoppelt,            von einheimischen Sträuchern im Grasland. Sie kann die
und eine weitere Zunahme auf Kosten der Milchkühe wird          Vorstufe zur Verwaldung sein, das heisst zum Vordrin-
auch in Zukunft erwartet (von Felten et al. 2012).              gen von Baumarten im Grasland. Die Verbuschung ist
                                                                eine Form der sekundären Sukzession. Im Gegensatz zu
Gehölze früher vielfältig genutzt                               primären Sukzessionen, die auf neuen, unbelebten Sub-
Während die Problematik der Verbuschung erst in den             straten auftreten, finden sekundäre Sukzessionen auf
letzten Jahrzehnten zum Thema geworden ist, wird die            Flächen statt, auf denen eine bestehende Pflanzenbe-
Ausbreitung von Gehölzen im Grasland schon länger the-          deckung durch menschliche oder natürliche Störungen
matisiert. Stebler (1903) diskutierte schon Verbesserungs-      (z. B. Rodung, Feuer, Lawine) zerstört wurden.
möglichkeiten für verwilderte Alpen, wofür mangelnde
Pflege und falsche Bewirtschaftung verantwortlich
gemacht wurden. Der grosse Bedarf an Nutzholz und die          auf Beweidung und Tritt des Viehs reagieren, können sich
höhere Zahl an Arbeitskräften in der Vergangenheit             ausbreiten und Graslandpflanzen verdrängen. Durch Suk-
haben wahrscheinlich zu einer konsequenteren Entfer-           zession, der gerichteten Abfolge von unterschiedlichen
nung von vordringenden Gehölzen geführt. Grosse Men-           Pflanzengesellschaften, entwickelt sich die Vegetation
gen an Nutzholz wurden für das Bauen von Hütten, Zäu-          langsam von Grasland zu Wald oder zu Buschvegetation.
nen, Wasserleitungen, Werkzeugen sowie Gegenständen            Die Dauer, Geschwindigkeit und die genauen Sukzessions-
aller Art benutzt. Zudem war ein sehr grosser Bedarf an        stadien ändern sich in Abhängigkeit von verschiedenen
Brennholz vorhanden, insbesondere in den Sennereien.           Faktoren wie Exposition, Neigung, Höhe oder den domi-
Weil oft Mangel an Brennholz bestand, wurden häufig            nierenden Gehölzarten.
auch Alpenrosen (Rhododendron ferrugineum), Grünerlen
(Alnus viridis) und andere Sträucher sowie Torf, Moos,         Wo nehmen die Gehölze in der Schweiz zu?
Flechten oder getrockneter Kuhmist verfeuert, was gleich-      Die Waldfläche nimmt seit über 150 Jahren wieder zu und
zeitig zur Pflege der Weide beitrug (Stebler 1903). Im Urse-   bedeckt heutzutage etwa ein Drittel der gesamten Lan-
rental zum Beispiel, wo der Waldbestand klein war,             desfläche (Brändli 2000). Zwischen den Perioden 1979/1985
be­stand das Nutzholz vorwiegend aus Grünerlen. Zwerg-         und 1992/1997 haben die Sömmerungsweiden gemäss
sträucher wie die Besenheide (Calluna vulgaris), die Hei-      Arealstatistik um 17 860 ha abgenommen (Roth et al.
delbeere (Vaccinium myrtillus) oder die Alpenrose wurden       2010). Die Zunahme an Waldflächen (Kategorien «offener
als Brennmaterial für die Käseherstellung eingesetzt           Wald», «geschlossener Wald» und «Verbuschung») zwi-
(Wunderli 2010). Mit dem Ersatz von Brennholz durch Öl         schen 1993/1995 und 2004/2006 ist etwa fünf Prozent oder
wurde der Bedarf an Holz und Sträuchern dann immer             60 000 ha, wobei hier 90 Prozent auf die Regionen der
kleiner.                                                       Alpen und Alpensüdseite entfallen, mit einem Schwer-
                                                               punkt auf Höhenlagen über 1400 m ü. M. (Brändli 2010).
                                                               Die natürliche Waldausdehnung geschieht mehrheitlich
                                                               durch das Einwachsen von Alpweiden und Vegetationsflä-
Warum breitet sich im Sömmerungsgebiet                         chen, die ertragsschwach sind und einen hohen Bewirt-
der Wald aus?                                                  schaftungsaufwand erfordern, sogenannte Grenzertrags-
                                                               lagen. Gemäss Gehrig-Fasel et al. (2007) ist die Aufgabe
Weniger Tiere und Alppersonal                                  von Landwirtschaftsflächen einer der wichtigsten Gründe
Die abnehmenden Tierzahlen bewirken in Kombination             für die Zunahme von neuen Waldflächen.
mit weniger Alppersonal eine schlechtere Ausnutzung der        Nicht alle Gebiete der Schweiz sind aber gleichermassen
Weideflächen, wobei vermehrt eine duale Entwicklung            von der Problematik betroffen. Insbesondere die Kantone
der Bewirtschaftungsintensität beobachtet wird: Wäh-           der Alpensüdseite, das heisst Graubünden, Wallis und Tes-
rend gut erschlossene und produktive Flächen immer             sin, erlebten in der Vergangenheit eine starke Waldzu-
intensiver bewirtschaftet werden, bleiben abgelegene           nahme (Stöcklin et al. 2007). In Zukunft wird laut Wieder-
und steilere Weideteile unternutzt oder werden gar auf-        bewaldungsmodellen insbesondere in Regionen der
gegeben (Baur et al. 2007). Diese divergierende Nutzung        nördlichen Zentralalpen, in den Tessiner Alpen, im Ober-
hat in beiden Fällen eine negative Auswirkung auf den          engadin, im Bergell, im Puschlav und in Teilen der nördli-
langfristigen Erhalt der Alpweide sowie auf ihre Biodiver-     chen Bündner Alpen eine stärkere Wiederbewaldung
sität: Aufgegebene Flächen verbuschen und zu intensiv          erwartet (10–20 % Verwaldungsanteile, in Extremfällen
bewirtschaftete verunkrauten. Da Alpflächen lange Zeit         bis 50 %; Schüpbach et al. 2013). Die Verbuschung (ohne
von existenzieller Bedeutung waren und somit genügend          Kategorien «offener Wald» und «geschlossener Wald»)
Arbeitskräfte dafür eingesetzt wurden, war die sorgsame        wird sich aufgrund dieser Modelle auf die Regionen der
Pflege der Weiden eine Selbstverständlichkeit. Aktuell ist     nördlichen Zentralalpen, der Tessiner Alpen und auf Teile
dies durch das oft knapp eigesetzte Alppersonal nicht          der nördlichen Bündner Alpen konzentrieren.
möglich.
Wenn Wiesen und Weiden aufgegeben werden oder                  Wieso ist die Verbuschung ein Problem?
unternutzt sind, verändert sich die Vegetation infolge der     Graslandflächen unter der Waldgrenze wären natürlicher-
fehlenden Nutzung. Gehölzarten, die eher empfindlich           weise Wald und bleiben nur durch landwirtschaftliche

                                                                                  ART-Bericht 769 | Oktober 2013      3
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

Nutzung erhalten. Wieso ist es unerwünscht, wenn der
Wald wieder aufwächst und den Platz des Graslandes ein-
nimmt?
– Alpweiden sind sehr stark in unserer Tradition verankert.
  Mit ihnen würde ein zentraler Teil unserer Kulturland-
  schaft verloren gehen.
– 7000 Alpbetriebe erwirtschaften jährlich 280 Millionen
  Franken, das entspricht elf Prozent des landwirtschaftli-
  chen Einkommens in der Schweiz. Bei den Betrieben in
  den Bergregionen macht der Anteil ein Drittel aus (Mack
  et al. 2008).
– Die Verbuschung bewirkt einen erheblichen Verlust an
  Pflanzen- und Tierarten, die sich über Jahrhunderte bis
  Jahrtausende an die extensive landwirtschaftliche Nut-
  zung angepasst und hier Graslandgesellschaften von           Abb. 3: Alpweide (Pian Doss, GR) mit einem Mosaik aus
  hohem ökologischem Wert gebildet haben. Für diese            Grasland und Zwergsträuchern.
  Biodiversität trägt die Schweiz national, aber auch inter-
  national Verantwortung. Die ursprüngliche natürliche         ähnliche Beziehung konnte zum Beispiel auch für die Grün­
  Vegetation, also der Wald, ist eher artenarm, und viele      erle (Alnus viridis) auf einer aufgegebenen Weide in den
  Arten (50–65 %) kommen hier nur vor, weil sie durch den      französischen Alpen (Anthelme et al. 2001), für den Sand-
  Menschen eingeschleppt oder eingeführt wurden (Bät-          dorn (Hippophaë rhamnoides) auf dänischen Inseln (Iser-
  zing 2005). Mit ihren rund 4500 Gefässpflanzen, etwa 40      mann et al. 2007) oder für den Wacholder (Juniperus com-
  Prozent der europäischen Arten, sind die Alpen ein           munis) in Schweden auf Kalkgrasland (Rejmanék und
  wichtiger Lebensraum für die Pflanzenartenvielfalt. 650      Rosen 1992) gezeigt werden. Aber nicht nur die Artenzahl,
  dieser Pflanzen haben hier sogar ihre Hauptverbreitung       sondern auch die Artenzusammensetzung der Pflanzen
  und 350 sind ausschliesslich hier zu finden (endemisch).     wird stark beeinflusst. Auf den zwei von uns untersuchten
  Diese Flächen sind insbesondere wichtig, weil Grasland-      Alpen Sura und Pian Doss hat die Verbuschung einen stär-
  flächen im Tiefland eher intensiv bewirtschaftet werden      keren Einfluss auf die vorkommende Pflanzengesellschaft
  und manche Arten verdrängt werden. Mehr als die              als Umweltfaktoren wie Höhe, Neigung und Exposition.
  Hälfte der Trockenwiesen und -weiden liegen im Söm-          Die Artenzusammensetzung der Pflanzen auf Graslandflä-
  merungsgebiet (Dipner 2008).                                 chen unterscheidet sich erheblich von den mit Sträuchern
– In einigen Fällen gibt es aber auch ökosystemgebundene       dominierten Flächen.
  Gründe, um vordringende Gehölze zurückzudrängen: Im          Einerseits verändern die Sträucher die mikroklimatischen
  Urserental wurde festgestellt, dass eine Zunahme der         Bedingungen für Graslandarten negativ, weil Temperatur
  Verbuschung durch Grünerlen (Alnus viridis) zu erhöhter      und Lichteinfall durch Beschattung verringert werden.
  Wasserverdunstung im Sommer führt, was sich in einem         Andererseits kann die Verbuschung auch Vorteile bieten.
  hydroelektrischen ökonomischen Verlust niederschla-          Erstens erhöhen Gehölzstrukturen im Grasland die Habitat-
  gen kann (Körner et al. 2012).                               vielfalt und bieten mehr Nischen, die von mehr Arten
– Die Alpen stellen ausserdem einen wichtigen Raum für         besetzt werden können. Zweitens können Büsche, wenn sie
  Freizeit- und Erholungsnutzung dar und sind eine welt-       genug gross sind, als Schutz für eher beweidungsintole-
  weit bekannte Tourismusdestination. Landschaftspflege        rante Pflanzenarten dienen. Drittens akkumulieren Gebü-
  und -ästhetik sind wichtige Aspekte sowohl für die           sche durch Bildung sogenannter Fertilitäts-Inseln Nähr-
  lokale Bevölkerung als auch für die Touristen.               stoffe unter ihren Kronen (DeLuca und Zackrisson 2007),
                                                               wovon Gräser und Kräuter – falls sie mit weniger Licht und
                                                               geringerer Temperatur auskommen – profitieren können.

Verbuschung und Artenvielfalt                                  Mosaike beherbergen spezielle Pflanzenarten
                                                               Mosaike stellen eine Mischung aus Grasland und Buschland
Pflanzenvielfalt bei mittlerer Verbuschung am höchsten         dar und beherbergen deshalb sowohl Grasland-Arten wie
Mit dem Vordringen von Sträuchern und Baumarten im             auch Sträucher und junge Bäume. Zusätzlich können aber
Grasland werden die bestehenden Pflanzengesellschaften         auch Pflanzenarten angetroffen werden, die nur in diesen
beeinflusst und verändert. Wenn die Sukzession nicht auf-      speziellen Lebensraumbedingungen zu finden sind. Auf der
gehalten wird, verschwinden langfristig auch die verschie-     Alp Sura kamen etwa 40 Prozent der Arten in allen Habita-
denen Graslandpflanzenarten (Freléchoux et al. 2007).          ten vor, also im Grasland (0 % Deckung durch Zwergsträu-
Trotzdem können Vegetationsstadien, in denen Grasland          cher), im Mosaik (50 % Deckung) und in den verbuschten
und Buschland ein Mosaik bilden (Abb. 3), einen für die        Flächen (100 % Deckung). 17 Prozent der Arten wurden aus-
Artenvielfalt wichtigen und erhaltenswerten Lebensraum         schliesslich im Mosaik gefunden, etwa doppelt so viele wie
darstellen. Eine Untersuchung des ganzen Deckungsgradi-        die jeweils acht Prozent, die ausschliesslich im Grasland und
enten von offener Weide zu verbuschten Flächen auf der         in den verbuschten Flächen gefunden wurden. Es konnte
Alp Sura (Guarda, GR) im Projekt AlpFUTUR hat gezeigt,         somit gezeigt werden, dass das Mosaik nicht nur die Summe
dass Flächen mit einer mittleren Zwergstrauchdeckung am        der Arten aus Grasland und Buschland ist, sondern dass es
meisten Pflanzenarten beherbergen (Abb. 4). Eine sehr          auch exklusive Arten beherbergen kann.

  4      ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

                                                                                          schaften auf diesen Flächen sind jedoch extrem artenarm
                              100                         ●                               (Anthelme et al. 2001, Freléchoux et al. 2007).

                                                                   ●                      Artenreiche Vegetation – artenreiche Insektenfauna
                                                               ●
                              90

                                                                                          Nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere sind ein wichtiger
                                                                   ●
Anzahl Pflanzenarten/900 m2

                                                     ●                                    Bestandteil des Ökosystems. Insbesondere Gliedertiere
                                                     ●     ●       ●    ●
                                             ●                                            (Arthropoden) machen mehr als 80 Prozent aller Tierarten
                                            ●                           ●
                                                                        ●   ●             in der Schweiz aus und sind für verschiedene Funktionen
                              80

                                                               ●            ●
                                                ●                           ●       ●     wie Bestäubung und Streuabbau oder auch als Futter für
                                                                                   ●●     Reptilien und Vögel wichtig. Tagfalter und Heuschrecken
                                                      ●                          ●●       sind zwei typische Graslandinsektengruppen, die auch in
                              70

                                                                                  ●       höheren Lagen vorkommen. Beide Gruppen sind mehr
                                            ●                                             oder weniger stark mit den Pflanzen assoziiert, die sie als
                                    ●                                                     Nahrung, Schutz oder zur Eiablage nutzen. Tatsächlich
                                        ●
                              60

                                                                                          wurde auf den Alpen Sura und Pian Doss bei einer höhe-
                                    ●
                                                                                          ren Vielfalt der Pflanzen auch eine höhere Artenvielfalt
                                        ●
                                    ●                                                     von Tagfaltern und Heuschrecken gefunden. Ein Einfluss
                              50

                                                                                          der Verbuschung auf diese zwei Insektengruppen konnte
                                    ●                                                 ●   also indirekt über die Vielfalt der Pflanzen beobachtet
                                                                                          werden; somit ist ein Mosaik auch für die Tiere wichtig.
                                    0           20        40       60       80
                                                                                          In einer schweizweiten Arbeit konnten Walter et al. (2007)
                                            Deckung durch Zwergsträucher (%)              zeigen, dass Strukturen wie Hecken, einzelne Bäume,
Abb. 4: Beziehung zwischen Deckung der Zwergsträucher                                     Sträucher, Steinmauern oder kleine Bäche allgemein die
und Pflanzenartenvielfalt auf der Alp Sura (Guarda, GR).                                  Ökoqualität von Weiden erhöhen. Ein Gras-Strauch-
                                                                                          Mosaik ist daher sehr wertvoll, weil es ein Habitat für viele
Die in den unterschiedlichen Deckungsgraden vorhande-                                     Arten mit unterschiedlichen Ansprüchen darstellt. Ver-
nen Arten haben auch Unterschiede in der Weide- und                                       buschte Flächen bieten beispielweise auch einen Lebens-
Trittverträglichkeit gezeigt: Bei einem bestimmten Grad                                   raum für Raufusshühner (Abb. 5). Zwergsträucher bieten
an Verbuschung kamen eher empfindliche Arten vor. Im                                      den national hoch prioritären Raufusshühnern Nahrung,
Unterschied dazu waren Arten, die ausschliesslich im Gras-                                Versteck und Nistplatz. Diese Mosaike stehen aber in
land zu finden waren, tendenziell weide- und trittverträg-                                einem fragilen Gleichgewicht und hängen stark mit der
lich. Das unterstützt die zuvor erwähnte These, dass Busch-                               Bewirtschaftung der Weide zusammen.
inseln als Schutz für empfindliche Graslandarten dienen
könnten. Das ist vor allem wichtig, wenn das umgebende
Grasland intensiv genutzt wird. Der Übergang von Gras-
zu Buschland, das heisst der Rand der Büsche, spielt wahr-                                Verbuschung und Bewirtschaftung
scheinlich die wesentliche Rolle: Empfindliche Graslandar-
ten finden hier ein Refugium, wo die mikroklimatischen                                    Dort wo Kühe, Rinder, Ziegen oder Schafe weiden, ent-
Bedingungen noch nicht so verändert sind wie im Inneren                                   steht ein Beweidungsdruck, der mehr oder weniger
des Strauchs und somit toleriert werden. Es ist jedoch zu                                 in­tensiv sein kann. Verschiedene Beweidungsintensitäten
bedenken, dass diese Stellen auch Schutz für empfindliche                                 beeinflussen die Pflanzen und führen zu Veränderungen
junge Baumtriebe bieten, die sich so ungestört ausbreiten                                 der Vegetation. Was nicht gefressen wird, bleibt stehen
können.                                                                                   und kann sich ungehindert ausbreiten. Mit Ausnahme der
                                                                                          Ziegen, die Gehölze gerne fressen, gehören Zwergsträu-
Strauch ist nicht gleich Strauch                                                          cher generell nicht zu den Vorlieben der Weidetiere. Trotz-
Nicht nur das Ausmass an Deckung, sondern auch die                                        dem können diese durch das Trampeln des Viehs stark
dominierende Strauch- oder Baumart kann die Pflanzen-                                     beeinträchtigt werden, weil sie beweidungsintolerant
vielfalt verändern. Beispielsweise beeinflussen die unter-                                sind. Die Verbuschung auf der Alp Sura zeigt eine enge
schiedlichen Wuchsformen von Gehölzpflanzen, wie viel                                     negative Beziehung mit der Beweidung durch Milchkühe:
Sonnenlicht und Wärme durchkommt. Auch spezifische                                        Dort wo der Beweidungsdruck tief ist, sind die Flächen ver-
Eigenschaften der sich ausbreitenden Pflanzenart können                                   mehrt verbuscht (Abb. 8). Eine Untersuchung des Wachol-
den Unterbewuchs stark beeinflussen, wie zum Beispiel                                     ders (Juniperus communis) hat zudem gezeigt, dass ver-
die Eigenschaft der Grünerle (Alnus viridis), pflanzenver-
fügbaren Stickstoff mittels Stickstofffixierern in den Wur-
zeln anzureichern. Diese Strategie ermöglicht der Grün­
erle, an Stellen mit Nährstoffmangel zu wachsen und sehr
konkurrenzfähig zu sein. Somit kommen im Unterbewuchs                                                                     Abb. 5: Verbuschte Flächen
vorwiegend kompetitive Gräser und Kräuter wie Zartes                                                                      bieten Raufusshühnern wie
Straussgras (Agrostis schraderiana), Wolliges Reitgras                                                                    dem Alpenschneehuhn (La-
(Calamagrostis villosa) oder Meisterwurz (Peucedanum                                                                      gopus muta) Nahrung, Ver-
ostruthium) vor, die gut mit der Konkurrenzfähigkeit der                                                                  steck und Nistplatz (Foto:
Grünerle zurechtkommen können. Die Pflanzengesell-                                                                        Matthias Hauck).

                                                                                                              ART-Bericht 769 | Oktober 2013      5
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

buschte Flächen mehr beschädigte Triebe aufwiesen,             Angebot auch sehr wählerisch sein, setzen jedoch ihre Fut-
wenn diese einer höheren Beweidungsintensität ausge-           teransprüche herab, wenn das Angebot klein ist (Spatz
setzt waren. Diese Erkenntnisse stimmen auch mit ande-         1980).
ren Studien überein, die eine negative Wirkung der Bewei-      Die Besatzdichte kann ebenfalls eine Rolle für das Fressver-
dung auf verschiedene Zwergsträucher gezeigt haben             halten der Tiere spielen. Während bei einer tiefen Besatz-
(Fitter und Jennings 1975, Livingston 1972). All dies deutet   dichte und genügend Futter die Rinder im Dischmatal sehr
darauf hin, dass eine genügend starke Beweidung in der         wählerisch waren, haben sie bei hohen Besatzdichten
Lage ist, die Verbreitung dieser Gehölzpflanzen unter          deutlich mehr Hochstauden und kleinere Pflanzenarten
Kontrolle zu halten und somit zur Offenhaltung der Weide       gefressen (Mayer und Huovinen 2007). Sulzer (2005) be­-
beizutragen.                                                   schreibt das Fressverhalten von Milchkühen auf einer
                                                               Weide der Alp Riein (GR) mit guter Qualität und reichlicher
Selektivität und Verhalten der Tiere                           Menge als «schnelles Vorwärtsgehen, nur das Beste oben
Nicht alle Gräser und Kräuter schmecken den Tieren gleich      abrupfen, nicht zu Boden fressen». Wenn weniger Futter
gut. Zum Beispiel sind Alpen-Lieschgras (Phleum alpinum),      vorhanden war, wurde stattdessen ein langsames, saube-
Kammgras (Cynosurus cristatus) oder Klee-Arten (Trifo-         res und systematisches Fressen beobachtet. Dies zeigt,
lium sp.), die einen hohen Futterwert haben, sehr beliebt      dass bei zunehmendem Beweidungsdruck und limitierten
bei Kühen (Sulzer 2005). Trotzdem werden auch Arten wie        Ressourcen die Tiere gezwungen sind, auch weniger
das Aufrechte Fingerkraut (Potentilla erecta) oder der         beliebte Pflanzen­arten zu fressen und dadurch die Bewei-
Goldpippau (Crepis aurea) gefressen, die nicht so hohe         dungsintensität gleichmässiger zu verteilen.
Futterwerte haben und als Zeiger von Weiden mit ökologi-
scher Qualität dienen. Eine Studie im Dischmatal (GR) hat      Geeignete Tierarten und Mischweidesysteme
gezeigt, dass Rinder auch Pflanzen wie Borstgras (Nardus       Nutztierarten unterscheiden sich in ihrer Frassselektivität,
stricta), Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) oder Hainsim-      ihrem Verhalten oder ihrer Fähigkeit, mehr oder weniger
sen (Luzula sp.) mit geringer Futterqualität fressen, obwohl   geneigte Flächen zu beweiden. Somit können Beweidungs-
oft gesagt wird, dass diese gemieden werden (Mayer und         muster von verschiedenen Tierarten voneinander abwei-
Huovinen 2007). Die Vorliebe der Tiere hängt daher nicht       chen und eine unterschiedlich gute Nutzung von Ressour-
unbedingt mit dem Futterwert einer Pflanze zusammen.           cen auf der Alpweide bewirken. Eine Untersuchung in
Während Schafe als sehr selektiv gelten, sind Rinder und       Schottland zeigte, dass Rindvieh und Ziegen Borstgras
Pferde weniger anspruchsvoll. Ziegen können bei breitem        (Nardus stricta) besser als Schafe nutzen und Borstgras
                                                               dadurch reduzieren können (Grant et al. 1996). Die Bewei-
                                                               dung mit Rindvieh und Ziegen wirkt daher besser gegen
                                                               Borstgras und hilft, Gräser wie Schwingel (Festuca sp.) oder
                                                               Straussgras (Agrostis sp.) zu fördern. Weil einige Nutztier-
                                                               arten gerne Gehölze fressen, sind diese geeigneter für den
                                                               Einsatz gegen Verbuschung und für die Beweidung auf
                                                               stark verbuschten Alpweiden. Ihre Vorliebe für Sträucher
                                                               und junge Baumtriebe prädestiniert Ziegen dafür sehr
                                                               (siehe Kapitel «Einsatz von Ziegen gegen Verbuschung»).
                                                               Obwohl Schafe, Kühe und Rinder generell keine Gehölze
                                                               fressen, stellt die alte Schafrasse «Engadiner» eine Aus-
                                                               nahme dar. Diese wurde im Urserental gegen die Grünerle
                                                               (Alnus viridis) erfolgreich eingesetzt, wo sie die Pflanzen
                                                               durch das Schälen von Ästen zum Absterben brachte
                                                               (Arnold 2011). Eine mehrjährige Behandlung ist aber nötig,
                                                               falls der Grünerlenbestand zu dicht ist (Körner et al. 2012).
                                                               Chassot und Deslandes (2009) konnten zeigen, dass die
                                                               Beweidung von verbuschten Alpweiden mit Mutterkühen
                                                               der Eringer-Rasse geeignet ist, da sie sowohl ökonomische
                                                               wie auch landschaftspflegerische Ansprüche erfüllen.
                                                               Topographie und Vegetationsqualität beeinflussen die
                                                               Bewegungen und damit das Beweidungsmuster der Nutz-
                                                               tiere wesentlich. Untersuchungen auf sechs Alpweiden in
                                                               Obwalden und im Unterengadin haben gezeigt, dass die
                                                               Verteilung der Beweidungsintensität mit der Geländenei-
                                                               gung sowie der Entfernung vom Alpgebäude zusammen-
                                                               hängt (Schneider und Homburger 2012). Während Milch-
                                                               kühe und Rinder lieber auf ebenen Flächen in der Nähe
                                                               des Alpgebäudes weiden, können Schafe und Ziegen dank
                                                               ihrem geringen Gewicht steilere Hänge besteigen, die
Abb. 6: Bei zunehmendem Beweidungsdruck und limitier-          ansonsten von den schwereren Tieren nicht besucht wer-
ten Ressourcen sind die Tiere gezwungen, auch weniger          den. Die gezielte Auswahl von Weidetieren, die steile Flä-
beliebte Pflanzenarten zu fressen.                             chen gerne beweiden und auch weitere Wege zu Wasser-

  6      ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

                                                                                ihnen in anspruchsvollem Gelände zu schaffen macht, son-
                                                                                dern auch, weil ihre sehr hohen Futteransprüche nicht
                                                                                über die ganze Sommersaison befriedigt werden können
                                                                                (Münger 2006). Die gesetzlich begrenzte Kraftfutter-
                                                                                menge und das frühere Erstkalbalter sind weitere Ein-
                                                                                schränkungen, welche die Beweidung mit Hochleistungs­
                                                                                tieren im Sömmerungsgebiet limitieren (Lauber et al.
                                                                                2008). Andere Tierarten wie Yaks, Lamas oder Alpakas
                                                                                können eine geeignete Alternative zu den gewöhnlich
                                                                                gesömmerten Nutztierarten sein. 2011 wurden auf Söm-
                                                                                merungsgebieten etwa 500 Normalstösse in die Kategorie
                                                                                «andere gesömmerte Tiere» aufgenommen (BLW 2012).
                                                                                Mischweidesysteme sind Weiden, die von verschiedenen
                                                                                Tierarten gemeinsam genutzt werden. Die Ressourcen
  Abb. 7: Dank ihrer Vorliebe für Gehölze können Ziegen ge-                     einer Mischweide werden durch das unterschiedliche
  gen die Verbuschung eingesetzt werden. (Foto: Nina Rich-                      Fressverhalten der Tiere sehr gut verwertet. Einzelne Pro-
  ner, ART)                                                                     jekte zeigten ermutigende Resultate, wie zum Beispiel ein
                                                                                Projekt von AGRIDEA, wo Mischweiden mit Rindern, Zie-
plätzen laufen, kann helfen, eine bessere Ausnutzung von                        gen und Schafen zur Bewirtschaftung von Flächen mit Ten-
steileren und entfernteren Flächen zu erreichen (Bailey et                      denz zur Verbuschung und Verwaldung auf der Alp Creux-
al. 1998).                                                                      de-Champ (VD) untersucht wurden (Mettler 2011). Für
Alte Rassen sind im Allgemeinen an die Bedingungen auf                          eine gute Beratung besteht aber zu dieser Thematik noch
Alpweiden angepasst und eignen sich daher gut für die                           ein hoher Forschungsbedarf (Imfeld-Müller 2013).
Nutzung der Schweizer Sömmerungsgebiete (Imfeld-Mül-
ler 2013). Leichte und kleine Rassen wie das Rätische Grau-                     Einsatz von Ziegen gegen Verbuschung
vieh eignen sich gut, um Berggebietsflächen extensiv zu                         Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Ziegen, früher auch
beweiden: Sie haben keine Probleme mit steileren Flächen                        «Kuh des armen Mannes» genannt, zur Selbstversorgung
und machen weniger Trittschäden als schwerere Rassen.                           von Menschen ohne Land einzeln im Tiefland gehalten.
Eine Untersuchung im Tessin hat gezeigt, dass Schottische                       Gemeinsam mit Schafen wurden Ziegenherden in den Ber-
Hochlandrinder minderwertige Weiden unter extensiver                            gen auf wilden und gefährlichen Bergwiesen sowie auf
Beweidung gut nutzen und dabei auch ausreichend Nähr-                           den höchstgelegenen und steilsten Weidestellen einge-
stoffe aufnehmen (Berry et al. 2002). Auf produktiveren                         setzt (Stebler 1903). Obschon zum grössten Teil im Tief-
Weiden können jedoch diese extensiven Rassen im Gegen-                          land, waren 1896 in der Schweiz noch um die 415 000 Zie-
satz zu Milchkühen das Futterangebot nicht genügend gut                         gen vorhanden (Stebler 1903). Diese haben seither
ausnutzen.                                                                      drastisch abgenommen und zählten schon in den 1960er-
Magere Alpweiden sind für Hochleistungsrassen weniger                           Jahren weniger als 100 000 (Baur et al. 2005). Im Jahr 2011
geeignet, nicht nur wegen ihrer Schwerfälligkeit, die                           wurden etwa 40 000 Tiere gesömmert (6049 Normalstösse,
                                                                                BLW 2012). In letzter Zeit ist die Tendenz wieder leicht stei-
                                                                                gend. In der Schweiz gibt es heutzutage 10 Ziegenrassen.
                                   100

                                           ●                                    Die häufigsten sind die Saanenziege, die Gemsfarbige
                                          ●●
                                          ●                                     Gebirgsziege und die Toggenburgerziege, die etwa 70 Pro-
Deckung durch Zwergsträucher (%)

                                          ●●
                                            ●                                   zent des Bestandes ausmachen. Die restlichen Rassen sind
                                          ● ●●
                                   80

                                                                                bedroht oder zählen sehr kleine Bestände.
                                                                                Das Potenzial von Ziegen zur Bekämpfung der Verbuschung
                                                ●● ●                            ist bekannt, und die Tiere werden heutzutage vermehrt in
                                                                                der Landschaftspflege eingesetzt. Durch ihr grosses Futter-
                                   60

                                           ●● ●                                 spektrum sowie ihre Vorliebe für Gehölze sind sie im Gegen-
                                           ●           ●                        satz zu anderen Nutztierarten dafür sehr geeignet. Bei
                                                ●                               Untersuchungen in Deutschland wurde beobachtet, dass
                                   40

                                                ●                               die Futterselektion auf verbuschten Flächen mit dem
                                                    ● ●
                                                           ●                    Deckungsgrad der Gehölze zusammenhängt. Wenn die
                                                                                Deckung hoch ist, fressen die Ziegen am Anfang vorwie-
                                   20

                                                ●                               gend die Strauchvegetation, bei geringerer Deckung wer-
                                                           ●
                                                       ●                        den dagegen zuerst Gräser und Kräuter gewählt (Schröder
                                                ●
                                           ●           ●                        1995). Blätter oder andere Gehölzteile können bis zu 60 Pro-
                                                            ●     ●       ●     zent des Futters ausmachen, ohne dass die Ziegen deswe-
                                   0

                                                                                gen schlecht genährt sind (Rahmann 2000). Dies ermögli-
                                         0.00              0.05   0.10   0.15   chen spezielle Enzyme im Speichel, die den Ziegen erlauben,
                     Beweidungsintensität (GVE/ha)                              bedeutende Mengen an Tanninen zu tolerieren, ohne dabei
  Abb. 8: Mit zunehmender Beweidungsintensität (gemessen                        ihre Gesundheit zu gefährden (Glatzle 1990).
  mit GPS-Sendern an einzelnen Kühen) ist die Deckung der                       Jungtiere ab etwa 15 kg, Böcke und Ziegen ohne Milch-
  Zwergsträucher tiefer (Alp Sura, Guarda, GR).                                 und Reproduktionsleistung, die extensiv gehalten werden

                                                                                                     ART-Bericht 769 | Oktober 2013      7
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

können, sollten für die Beweidung von verbuschten Flä-
chen bevorzugt eingesetzt werden (Schröder 1995). Zie-
gen für die Milchgewinnung oder Reproduktion eignen
sich weniger, vor allem weil die Futterqualität von ver-
buschten und ertragsarmen Flächen eher gering ist. Zie-
gen haben noch weitere Eigenschaften, die sie für die Nut-
zung von verbuschten Flächen geeignet macht: eine
gespaltene Oberlippe, die ihnen ermöglicht, auch Sträu-
cher mit Dornen zu fressen, und die fakultative Bipedie,
d. h. das Fressen auf den Hinterbeinen stehend, was den
Beweidungsradius zusätzlich erhöht. Die fakultative Bipe-
die ist speziell auch für grössere Sträucher wie die Grünerle
(Alnus viridis) wichtig, da die Tiere auf den Hinterbeinen
stehend Höhen von über 1,5 m erreichen können. Ihr
Leichtgewicht und ihre Wendigkeit im Gelände ermögli-
chen den Ziegen auch die Nutzung von Steilhängen. Trotz-        Abb. 9: Das Anbieten von Wasserstellen, Salz, Schutz oder
dem sind sie nicht geeignet für das Zurückdrängen von           Schatten kann dazu beitragen, die Nutzung von wenig be-
Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Berberitze (Berberis sp.),     suchten Bereichen zu steigern.
Buchs (Buxus sempervirens) und Heidekraut (Calluna vul-
garis), weil diese von den Tieren kaum gefressen werden         tät (Schneider und Homburger 2012, Jewell et al. 2007).
(Perrenoud und Godat 2006).                                     Auch das Anbieten von Wasserstellen, Salz, Schutz oder
Ziegen eignen sich insbesondere für die Erstpflege von          Schatten kann dazu beitragen, die Nutzung von wenig
verbuschten Flächen. Die Tiere lockern die Vegetation auf,      besuchten Bereichen zu steigern (Bailey et al. 1998).
wodurch lichtliebende Pflanzenarten der Krautschicht            Eine gezielte Weideführung dient nicht nur dazu, magere
gefördert werden (Rahmann 2000). Dabei können sie die           Weideteile zu nutzen, sondern auch die oft besuchten
Pflanzensukzession verlangsamen. Um aber erhaltens-             Stellen mit gutem Futter zu schonen. Obwohl offene Gras-
werte Pflanzenarten nicht zu verdrängen, sollte die Bewei-      landflächen potenziell eine hohe Artenvielfalt aufweisen
dung nur kurzfristig, jedoch mit hohem Besatz erfolgen          können, besteht die Gefahr, dass sie auf teilweise ver-
und mit mechanischer Pflege ergänzt werden (Schröder            buschten Alpen mit geringer Weideführung zu intensiv
1995). Diese Nutzung sollte über mehrere Jahre wieder-          genutzt werden, weil sich die Tiere vor allem dort aufhal-
holt werden. In einer deutschen Untersuchung waren in           ten. Dies belegt zum Beispiel die geringe Artenvielfalt auf
Flächen, die mit Weissdorn (Crataegus spp.) verbuscht           offenen Graslandflächen der Alp Sura (Abb. 4). Wenig
waren, nach drei intensiven Beweidungsgängen mit Zie-           intensive Milchkrautweiden oder milde Borstgrasweiden
gen 72,3 Prozent der Gehölze verbissen (Schröder 1995).         stellen daher einen Kompromiss zwischen Artenvielfalt
Die Ziegen haben die Baum- und Strauchvegetationen              und Futterproduktion dar, weil sie sowohl eine hohe
besonders am Vormittag befressen, da sie das taufeuchte         Artenvielfalt als auch wertvolles Futter bieten (Schneider
Gras eher meiden.                                               und Homburger 2012).
                                                                Trotz kleinerer Koppeln und Umtriebsweiden bleiben oft
Weideführung anpassen                                           weniger schmackhafte Pflanzen stehen und verrotten.
Eine angemessene Bewirtschaftung ist nicht nur für die          Eine möglichst frühe Bestossung ermöglicht das Zurück-
Artenvielfalt, sondern auch für die langfristige Nutzung        drängen von wenig attraktiven Arten wie der Rasen-
einer Alpweide wichtig. Sowohl eine zu intensive Bewei-         schmiele (Deschampsia caespitosa) oder Borstgras (Nardus
dung, die schnellwüchsige und trampelresistente Gräser          stricta), weil diese in den Anfangsstadien noch gefressen
und Kräuter begünstigt, wie auch eine mangelnde Nut-            werden (Aigner et al. 2003, Meisser et al. 2009). Eine
zung, welche die Ausbreitung von Gehölzen zulässt, sind         schnelle Überweidung beim ersten Durchgang und ein
negativ für die Graslandpflanzen von Alpweiden. Wir             ordentliches Abweiden des Aufwuchses beim zweiten
empfehlen daher, eine mittelintensive, auf der ganzen Flä-      Besuch ermöglicht, dass das Gras nicht alt und das Futter
che gleichmässig verteilte Beweidungsintensität anzustre-       möglichst gut ausgenutzt wird.
ben. Diese hängt nebst der Besatzdichte auch von der Wei-
deführung ab, die insbesondere auf unterbesetzten Alpen         Wie viel Verbuschung ist gute Verbuschung?
wichtig ist.                                                    Wenn die Habitatstruktur durch Verbuschung von Gehöl-
Wegen des aufwendigen Zäunens haben viele Weiden im             zen erhöht wird, kann dies positive Auswirkungen auf die
Sömmerungsgebiet wenige und dafür sehr weite Weide-             Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren haben. Trotzdem
koppeln, wo die Tiere frei laufen und uneingeschränkt           sollte man nicht warten, bis die Gehölzdeckung hoch ist,
auswählen können, wo und was sie am liebsten fressen.           da die Pflege arbeitsintensiver wird und die Artenvielfalt
Ein zu grosses Futterangebot fördert aber die Frassselekti-     verloren geht. Es wird daher empfohlen, ein strukturrei-
vität der Tiere stark und führt zu einer sehr ungleichmässi-    ches Mosaik anzustreben.
gen Nutzung. Dieses Muster kann durch eine bessere Steu-        Wo liegt die Grenze zwischen guter und schlechter Verbu­
erung der Tiere vermieden werden. Kleinere und für              schung? In einem Informationsblatt über die Weidepflege
kürzere Zeit genutzte Koppeln zwingen die Tiere, die Wei-       von Trockenwiesen und -weiden (TWW) mit Ziegen emp-
deteile gleichmässiger zu nutzen, und ermöglichen damit         fehlen Perrenoud und Godat (2006) einen Verbuschungs-
eine ausgeglichenere Verteilung der Beweidungsintensi-          grad von 10 bis 20 Prozent. Anthelme et al. (2003) setzten

  8      ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

                                                               Durch Nachmähen von übergebliebenen Pflanzenresten am
                                                               Ende des Sommers können diese Arten zurückgedrängt und
                                                               die Fläche für die Tiere attraktiver gemacht werden.
                                                               Die Entfernung von Büschen und eine Pflege des Mosaiks
             A                     B                      C    sollten regelmässig durchgeführt werden. Dabei sollten
                                                               nicht alle Gehölze von der Weide entfernt werden. Zudem
                                                               sollten die Massnahmen an die Standortbedingungen der
Abb. 10: Schematische Darstellung für die Pflege von Söm-      Alp wie Boden, Gelände und Klima angepasst sein und das
merungsweiden mit A) Grasland, B) Mosaik von Grasland          natürliche Ertragspotenzial der Fläche berücksichtigen.
und Gehölzen und C) geschlossener verbuschter Fläche. Das      Wo sollte man Sträucher entfernen? Verbesserungen soll-
Erreichen von Stadium C für grössere Teile der Weide sollte    ten auf den besten und ertragsfähigsten Flächen zuerst
vermieden werden, da dieses Stadium kein Futter für das        stattfinden, weil hier der Aufwand geringer und die
Vieh sowie wenig ökologischen Erhaltungswert hat.              Erfolgswahrscheinlichkeit grösser ist. Es lohnt sich, zuerst
                                                               kleinere und jüngere Sträucher von den noch offenen Flä-
bei der Verbuschung durch die Grünerle (Alnus viridis)         chen zu entfernen, bevor man mit den grösseren anfängt.
einen Wert von 25 Prozent als Bewirtschaftungsziel fest.       Obwohl alle Teile der Weide, auch die stark verbuschten,
Die Resultate auf der Alp Sura zeigen, dass Weideflächen       während der Sommersaison von den Tieren besucht wer-
mit 50 Prozent Zwergstrauchverbuschung die höchste             den, sind grössere Graslandflächen attraktiver für die Tiere
Pflanzenartenvielfalt aufweisen (Abb. 4). Trotzdem ist es      und werden auch mehr genutzt (Meisser et al. 2009).
sinnvoll, den tolerierten Verbuschungsgrad nicht zu hoch       Grosse und zusammenhängende Flächen sind daher besser
anzusetzen und nicht zu lange mit den Verbesserungs-           als kleine und zerstreute. Weil Zwergsträucher den Boden
massnahmen zu warten, weil das stark verbuschte Stadium        auf steilen, flachgründigen und erosionsgefährdeten
für Graslandarten weniger wertvoll und arbeitsintensiver       Abschnitten oder Felskuppen festigen und Schutz gegen
ist. Abgesehen von TWW-Flächen ist daher ein Verbu-            Erosion bieten, sollten sie an diesen Stellen nicht entfernt
schungsgrad um 30 bis 50 Prozent empfehlenswert.               werden (Aigner et al. 2003).
Wann sollte man einwirken? Nehmen wir an, Stadium A            Wie kann man die Sträucher entfernen? Das Schwenden
stellt die offene Weide dar, B das Mosaik mit 30 bis 50 Pro-   (Räumen von Büschen, ohne das Wurzelwerk zu entfer-
zent Büschen und C das völlig verbuschte Stadium (Abb.         nen) mit dem Freischneider oder der Motorsense ist emp-
10). Je weiter eine Alpweide sich dem Stadium C nähert,        fehlenswert, wenn zwischen den Zwergsträuchern noch
desto zeit- und kostenintensiver wird die Pflege. Für die      wertvolle Futterpflanzen zu finden sind (Aigner et al.
Vielfalt ist auch nicht wünschenswert, dass grosse Teile       2003). Grün­erlen (Alnus viridis) können über Stockaus-
der Weide das Stadium C erreichen, weil sich die Vegeta-       schlag wieder austreiben. Es ist deshalb aufwendiger, eine
tion und die Bodenbedingungen schon stark verändert            Weidefläche von diesen zu befreien. Schlägeln, das Entfer-
haben und dieses Stadium einen tiefen Erhaltungswert           nen von Büschen mit einem Hammer mit breiter oder
hat. Diese Gründe sprechen dafür, dass ein Eingriff schon      abgerundeter Fläche, kann auch eine effiziente Methode
im Stadium B erfolgen sollte (Jefferson und Usher 1987).       sein. Schwere Maschinen sollten möglichst begrenzt und
Dies hat natürlich einen Einfluss auf das Ausmass des Ein-     nur für die Entbuschung von sehr stark verbuschten Flä-
griffs, weil B das für die Artenvielfalt erhaltenswerte Sta-   chen eingesetzt werden, da dieser Eingriff sehr beein-
dium ist und die Pflege nicht zu beeinträchtigend sein         trächtigend ist. Das Ausreissen von Hand hat weniger Ein-
darf. Jefferson und Usher (1987) schlagen eine Rotations-      fluss auf andere Lebewesen als der Einsatz von Maschinen,
pflege von kleinen Flächen (etwa 10–20 m2) im Stadium B        ist aber natürlich sehr arbeitsintensiv. Wenn die Schicht
vor. Somit befinden sich verschiedene Flächen in unter-        der entfernten Büsche oder des Mähguts zu gross ist (5–6
schiedlichen Stadien der Sukzession und bilden eine struk-     cm), kann diese den Wiederbesiedlungsprozess durch
turreiche Alpweide. Möglichst kleinräumige und zer-            Graslandarten erheblich beeinflussen und um Jahre verzö-
streute, aber regelmässige Eingriffe sollten vorgezogen        gern (Rosén und Bakker 2005). Das entfernte Material
werden, damit sich die Eingriffe selbst nicht negativ auf      sollte daher unbedingt abtransportiert oder allenfalls am
die Artenvielfalt auswirken.                                   Rande der Weide aufgehäuft werden, wo Kleintiere und
                                                               Insekten davon profitieren können.
Regelmässige Pflege besser als Rückführung                     Wann und wie oft sollte man Sträucher entfernen? Allge-
Auch wenn die Verbuschung durch eine genügend starke           mein sollten Sträucher regelmässig alle 3 bis 5 Jahre ge-
Beweidungsintensität gesteuert werden kann, bleibt die         schwendet werden, damit eine Ausbreitung verhindert
Pflege der Alpweide eine sehr wichtige Komponente der          wird. Das Schwenden von Grünerlen sollte während der
Bewirtschaftung. Es geht erstens darum, das bestehende         Vegetationsphase (zwischen Ende Juni und Ende Juli)
Grasland zu pflegen, damit ungeliebte Pflanzen sich nicht      stattfinden, da sonst Nährstoffe in den Wurzeln gespei-
unkontrolliert ausbreiten und unbegrenzt als Schutz von        chert werden, die für einen Neuaustrieb genutzt werden
Gehölzkeimlingen dienen können, und zweitens, ein              können (Aigner et al. 2003).
strukturreiches Mosaik zu erhalten.
Wie schon im Kapitel «Weideführung anpassen» erwähnt,          Entbuschung: sorgfältige Planung nötig
kann ein möglichst früher Weidebeginn helfen, unattraktive     Gegenmassnahmen werden oft durchgeführt, wenn es
Graslandpflanzen unter Kontrolle zu halten, weil viele von     schon zu spät ist und die Artenvielfalt schon stark abge-
diesen in früheren Stadien noch gefressen werden. Trotz-       nommen hat. Zudem beansprucht eine Rückführung oft
dem bleiben öfter unattraktive und alte Bestände stehen.       mehr Zeit und Kosten als eine regelmässige Pflege und ist

                                                                                   ART-Bericht 769 | Oktober 2013      9
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

nicht immer effektiv, speziell wenn es um seltene Arten        Düngung zur Weideverbesserung
geht (Pykälä 2003). Trotzdem wird von Zeit zu Zeit auch        Aufgrund der heterogenen Nutzung von Alpweiden ent-
der Entscheid getroffen, komplett überwachsene Flächen         stehen oft Nährstoffverlagerungen, die langfristig zur
zu entbuschen und in Grasland zurückzuführen. Falls zu         Degradierung der Weide führen können (Jewell et al.
lange gewartet wird und sich die Weide schon in Wald           2007). Landwirte, die Sömmerungsbeiträge erhalten, dür-
umgewandelt hat, ist eine Rückführung nicht mehr mög-          fen ausser Phosphor und Kali keine alpfremden Dünger
lich, weil die Rodung der Fläche gegen das Waldgesetz          anwenden. Eine angemessene Weideführung kann aber
verstösst.                                                     bereits viel gegen eine unausgeglichene Nutzung der
Wie lange dauert eine Entbuschung? Die Rückführung von         Weide beitragen. Zudem wurden Massnahmen für eine
vollständig verbuschten Flächen zu Grasland sollte gut         bessere Verteilung des Düngers innerhalb einer Alpweide
durchgedacht und sorgfältig geplant werden. Insbeson-          entwickelt. So hat man früher oft Viehdung nach dem
dere sollte man sich fragen, ob es sinnvoll ist, die Flächen   Weidegang auf der abgeweideten Fläche verteilt oder
zu räumen, und ob diese danach wieder für die Bewei-           Kuhfladen gesammelt und auf den mageren Flächen ver-
dung genutzt werden können. Eine Entbuschung ist eine          streut, wodurch das Gleichgewicht zwischen stark bewei-
kurzfristige Massnahme, die ohne darauf folgende Bewei-        deten und untergenutzten, ausgemagerten Flächen wie-
dung unnütz ist. Je länger die Aufgabe zurückliegt und je      derhergestellt werden konnte (Stebler 1903, Strüby 1914).
weiter fortgeschritten die Sukzession, desto schwieriger       Das Eingraben von Viehdung an nützlichen Stellen wurde
und aufwendiger ist die Rückführung. Untersuchungen in         ebenfalls als geeignete Methode beschrieben.
Schweden haben gezeigt, dass 3 bis 4 Jahre benötigt wer-       Ein weniger aufwendiges Vorgehen war das Austreiben
den, um auf durch Wacholder (Juniperus communis) stark         der Tiere auf mageren Stellen über Nacht im Oberwallis,
verbuschten Flächen von Kalkgrasland wieder eine ausrei-       was als «Ausstaffeln» bezeichnet wurde (Stebler 1903). Ein
chende Pflanzendeckung zu erreichen (Rosén und Bakker          ähnliches Vorgehen wählten die Hirten der Alp Egg mit
2005).                                                         dem «Pferchen», das sie erstmals 1952 und danach meh-
Welche Gebiete lohnen sich? Es ist empfehlenswert, Flä-        rere Jahrzehnte weitergeführt haben (Eberherr 2005). Bei
chen zu entbuschen, die zwischen den Zwergsträuchern           dieser Methode werden Rinder und Schafe über Nacht
noch einzelne Graslandreste und Futterpflanzen zeigen.         oder während Ruhezeiten in einem Gehege auf abgema-
Kleinere Restbestände von Grasland sowie Wiesen und            gerten Flächen eingesperrt, wodurch diese der Düngung
Weiden in der näheren Umgebung spielen eine wichtige           und intensivem Tritt ausgesetzt werden. Somit bekommen
Rolle als Samenspeicher von Graslandarten, deren Samen         magere Standorte mehr Nährstoffe, und Lägerstellen wer-
eine limitierte Verbreitung und im Boden unter Gebü-           den entlastet. Das Pferchen haben die Bergamasker schon
schen keine lange Lebensdauer haben (Barbaro et al.            um 1900 benutzt, um ein ordentliches Abweiden sowie ein
2001). Tatsächlich können kleinere Graslandflächen in ver-     regelmässiges Verteilen des Düngers zu erreichen (Stebler
buschten Gebieten noch wertvolle Pflanzen beherbergen          1903). Die Untersuchung von Eberherr (2005) auf der Alp
(Koch und Schmid 2013). Zudem sind Weidetiere wichtige         Egg hat gezeigt, dass Pferchflächen Veränderungen im
Verbreitungsvektoren von Samen, die an den Hufen oder          Pflanzenbestand zeigten, die in Richtung Milchkrautweide
am Fell hängend weit verschleppt werden können.                gingen, weg von Zwergstrauchheiden und Borstgraswei-
Welche Begleitmassnahmen sind nötig? Die Entfernung            den. Diese Methode ist etwas arbeitslastig, ermöglicht
der Büsche alleine reicht jedoch nicht aus, um geschlos-       aber, speziell bei Mutterkuh- oder Rinderalpen ohne Stall,
sene Flächen wieder ins Grasland umzuwandeln. Es wird          eine gleichmässigere Düngung.
empfohlen, grossflächig geräumte Flächen mit Einsaat
und Düngung zu verbessern und zu pflegen, damit Kräu-
ter und Gräser schnell nachwachsen können (Aigner et al.
2003). Diese Verbesserungen sind besonders wichtig,            Beiträge für ökologische Leistungen
wenn keine Graslandflächen in der Nähe vorhanden sind.         im Sömmerungsgebiet
Das Abbrennen von sehr dichten Beständen, wie es früher
mit den Alpenrosen gemacht wurde (Stebler 1903), hat           Aktuell werden nur vier Prozent aller Direktzahlungen für
heutzutage aufgrund rechtlicher Einschränkungen und            Sömmerungsflächen eingesetzt, obwohl sie ein Drittel der
negativer Auswirkungen für die Umwelt nur begrenzt             schweizerischen Agrarfläche ausmachen (Baur et al. 2007).
Bedeutung.                                                     Die Sömmerungsbeiträge sind an die Anzahl gesömmerter

Abb. 11: Pflanzenarten, die als Zeiger für ökologische Qualität in Sömmerungsgebieten gelistet sind. Von links nach rechts:
Gebräuchlicher Augentrost (Euphrasia rostkoviana), Feld-Enzian (Gentiana campestris s. str.), Berg-Hauswurz (Sempervi-
vum montanum), Schwarzes Männertreu (Nigritella rhellicani), Bärtige Glockenblume (Campanula barbata).

  10     ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden

Tiere gekoppelt. Für Biodiversität gab es bisher keine         Verteilung der Beweidungsintensität spielt dabei eine zen-
direkten Beiträge. Obwohl die Sömmerungsbeitragsver-           trale Rolle, vor allem auf Alpweiden, auf denen zu wenige
ordnung (SöBV) in der Vergangenheit dazu beigetragen           Tiere gesömmert werden. Ein ausgeglichener Beweidungs-
hat, die Sömmerung aufrechtzuerhalten (Lauber et al.           druck kann einerseits das Vordringen von Gehölzen ein-
2011), ist eine Erhöhung der Beiträge nötig, um die Bewirt-    schränken und andererseits die Artenvielfalt fördern. Gute
schaftung dieser Flächen attraktiver zu machen (Mack und       Pflege heisst zudem nicht unbedingt, dass alle Bäume und
Flury 2008). Ab dem Jahr 2014 soll es auch für Sömme-          Sträucher von der Weidefläche entfernt werden müssen.
rungsflächen möglich sein, ergebnisorientierte Zahlungen       Weil aber das Gleichgewicht zwischen Grasland und
für Alpweiden mit ökologischer Qualität zu erhalten. Diese     Deckung der Zwergsträucher sehr empfindlich ist, braucht
Qualität wird anhand von rund 70 Pflanzenarten bestimmt,       es eine regelmässige und engagierte Pflege. Es lohnt sich,
wovon mindestens sechs in einem Kreis mit drei Metern          sofort zu handeln anstatt zu warten, weil eine Rückfüh-
Durchmesser vorhanden sein sollen.                             rung viel zeit- und kostenintensiver ist, ohne eine sichere
                                                               Erfolgsaussicht zu geben.
Sind Pflanzen ein gutes Mass für die gesamte Arten­vielfalt    Gras-Strauch-Mosaike sind wertvolle Lebensräume, wel-
von Alpweiden?                                                 che die Heterogenität der Weideflächen erhöhen sowie als
Weil es nicht möglich ist, die gesamte Artenvielfalt zu mes-   Refugium für weideempfindliche Graslandpflanzen die-
sen, werden oft Indikatoren benutzt, die sie möglichst gut     nen und daher auch spezielle Pflanzenarten beherbergen
repräsentieren. Pflanzen haben viele Vorteile als Indikato-    können. Tagfalter und Heuschrecken und wahrscheinlich
ren: Sie sind relativ leicht aufzunehmen und zu bestim-        auch andere Insektengruppen, die eine starke Beziehung
men, sie sind Lebensraum und Nahrung für viele Arten           mit den Pflanzen zeigen, werden dadurch ebenfalls
und reagieren schnell auf Veränderungen im Umfeld. In          begünstigt. Solche Mosaike stellen daher ein wertvolles
der Schweiz und in Deutschland werden bestimmte Pflan-         Habitat für viele Arten dar.
zenarten als Mass für die ökologische Qualität von land-
wirtschaftlichen Nutzflächen bereits seit längerem be­     -
nutzt. Allerdings sind die Ergebnisse von vielen Studien
aus dem Talgebiet widersprüchlich und lassen sich selten       10 Empfehlungen
auf alpine Lebensräume übertragen (Duelli und Obrist
1998, Favreau et al. 2006). Das Projekt AlpFUTUR hat hin-      1. Mosaikartige und strukturreiche Weiden anstreben
gegen eine gute Übereinstimmung zwischen der Vielfalt             Eine strukturreiche Alpweide mit einem Gras-Strauch-
von Pflanzen und Tagfaltern beziehungsweise Heuschre-             Mosaik kann eine positive Wirkung auf die Vielfalt von
cken gefunden, sowohl auf der Alp Sura als auch auf der           Pflanzen und Tieren haben und bietet daher einen
Alp Pian Doss. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Tag-       wertvollen Lebensraum. Es wird daher empfohlen,
falter und Heuschrecken im Nahrungserwerb direkte Ver-            nicht alle Sträucher zu entfernen, sondern einzelne, die
bindungen mit Pflanzen eingehen. Andere Gruppen wie               Artenvielfalt fördernde Strauchinseln stehen zu lassen.
Spinnen oder Laufkäfer zeigen keine derart unmittelbaren          Diese können als Refugien für beweidungsempfindli-
Interaktionen mit Pflanzen, sodass Verallgemeinerungen            chere Arten dienen.
für solche Gruppen weniger gut möglich sind.                   2. Weiden und Mosaike pflegen
Auch in den Umweltzielen Landwirtschaft (UZL; BAFU und            Die Aufrechterhaltung von Mosaiken verlangt eine
BLW 2008) werden Leit- und Charakterarten (Abb. 11) auf-          engagierte Bewirtschaftung. Weil Flächen mit hohen
gezählt, welche die ökologische Qualität von Flächen und          Gehölzdeckungsanteilen kein Futter für die Tiere sowie
Regionen anzeigen (Walter et al. 2013). Im Vergleich der          keinen ökologischen Erhaltungswert mehr haben,
Vielfalt der UZL-Pflanzenarten und der Insektengruppen            sollte die Pflege früh genug beginnen. Empfohlen wird
hat das Projekt AlpFUTUR ebenfalls einen positiven Zusam-         ein Verbuschungsgrad um 30 bis 50 Prozent.
menhang aufgezeigt.                                            3. Auswahl von geeigneten Nutztierarten und -rassen
                                                                  Die Wahl geeigneter Tierarten und Tierrassen ermög-
                                                                  licht eine bessere Ausnutzung des Standortpotenzials.
                                                                  Insbesondere Ziegen, Engadiner Schafe und Mutter-
Schlussfolgerungen                                                kühe der Eringer-Rasse können erfolgreich gegen die
                                                                  Verbuschung eingesetzt werden. Auch die Kombina-
Alpweiden sind vom Menschen stark geprägte Lebens-                tion von mehreren Weidetierarten mit unterschiedli-
räume. Dennoch haben sich diese Weiden während Jahr-              chem Fressverhalten kann empfohlen werden.
hunderten zu wertvollen Lebensräumen entwickelt, und           4. Ziegen gegen Verbuschung einsetzen
ihre Erhaltung hat nicht nur ökologischen, sondern auch           Ziegen sind gut geeignet, um die Verbuschung zurück-
kulturellen und traditionellen Wert. Dazu spielen diese           zudrängen. Richtig eingesetzt, können sie durch ihre
Räume eine wichtige Rolle für Freizeit und Tourismus. Der         Vorliebe für Sträucher und junge Baumtriebe sowie
Entscheid, eine Alpweide offen zu halten oder verbuschen          ihre Fähigkeit, dornige und höhere Büsche zu errei-
und Wald aufwachsen zu lassen, hängt mit dem jeweils zu           chen, die Verbuschung erfolgreich bekämpfen.
erreichenden Ziel zusammen. In einigen Fällen ist es wenig     5. Kleine Koppeln zur besseren Steuerung der Tiere
sinnvoll, die Verbuschung zu reduzieren. Falls jedoch eine        Das Gebiet in kleinere Koppeln aufteilen und dabei
von Verbuschung betroffene Alpweide und ihre Artenviel-           Topographie, Vegetation sowie Wasserstellen in Erwä-
falt erhalten werden sollen, ist eine angemessene Bewirt-         gung ziehen. Dies ermöglicht eine gleichmässigere
schaftung und Pflege der Weidefläche unabdingbar. Die             Nutzung der Weide und schränkt die Selektivität der

                                                                                   ART-Bericht 769 | Oktober 2013     11
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