Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden - ART-Bericht 769
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ART-Bericht 769 Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden Empfehlungen zur Bewirtschaftung von artenreichen Alpweiden mit Verbuschungsproblemen Oktober 2013 Autorinnen und Autoren Bärbel Koch, Gabriela Hofer, Thomas Walter, ART Peter J. Edwards, ETH Zürich Wolf U. Blanckenhorn, Universität Zürich Abb. 1: Ein Mosaik aus Grasland und Sträuchern wirkt sich positiv auf die Biodiversität aus: Impressum Alp Pian Doss in S. Bernardino, Graubünden. (Fotos: Bärbel Koch, ART) Herausgeber: Forschungsanstalt Agroscope Sömmerungsweiden prägen grosse Teile (www.alpfutur.ch) zum Einfluss der Ver Reckenholz-Tänikon ART der alpinen Landschaft. Aber immer mehr buschung durch Zwergsträucher auf die Tänikon, CH-8356 Ettenhausen, Graslandflächen werden vom Wald zu Artenvielfalt von Pflanzen, Tagfaltern und Redaktion: Erika Meili, ART rückerobert. Ohne Gegenmassnahmen Heuschrecken vor und fasst in der Litera verschwinden diese kulturgeprägte Land tur beschriebene Bewirtschaftungsmass Die ART-Berichte/Rapports ART schaft und ihre wertvolle Biodiversität. nahmen gegen die Verbuschung zusam erscheinen in rund 20 Nummern Strukturreiche Weiden mit einem Mosaik men. Daraus wurden zehn Empfehlungen pro Jahr. Jahresabonnement von Grasland und Sträuchern bieten einen abgeleitet. Fr. 60.–. Bestellung von Abonne- Lebensraum für Pflanzen und Tiere mit Eine genügend starke und gleichmässig ments und Einzelnummern: unterschiedlichen Ansprüchen, was sich verteilte Weideintensität ermöglicht eine ART, Bibliothek, 8356 Ettenhausen positiv auf die Artenvielfalt auswirkt. bessere Nutzung der Weideressourcen T +41 (0)52 368 31 31 Trotzdem ist eine geeignete Weidefüh und wirkt dem Fortschreiten der Verbu F +41 (0)52 365 11 90 rung und -pflege erforderlich, damit die schung entgegen. doku@art.admin.ch Sträucher nicht die Oberhand gewinnen Downloads: www.agroscope.ch und die Flächen unbrauchbar machen. Der vorliegende Bericht stellt Ergebnisse ISSN 1661-7568 aus dem Forschungsprogramm AlpFUTUR
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden Alpwirtschaft zwischen Tradition erheblich (Fischer et al. 2012). Während am Anfang des und Veränderung 20. Jahrhunderts in der Schweiz noch über 10 000 Alpen gezählt wurden (Strüby 1914), betrugen die beitragsbe- Blüte der Alpwirtschaft im 19. Jahrhundert rechtigten Sömmerungsbetriebe in den letzten Jahren Die Alpwirtschaft hat in Europa eine lange Tradition. Erste etwas mehr als 7000 und haben seit 2001 um rund sechs Besiedlungen von Alpengebieten erfolgten schon ab 5000 Prozent abgenommen (BLW 2012). Zudem hat die Zahl der v. Chr., um im Sommer die günstigen Flächen in der alpi- Betriebe, die an der unteren Auslastungs-Toleranzgrenze nen Höhenstufe für die Beweidung, vorwiegend mit Scha- von 75 Prozent wirtschaften, in den letzten Jahren zuge- fen, zu nutzen. Doch erst um 1000 n. Chr. erlebten alpine nommen (Lauber et al. 2011). Dennoch, mit 48 Prozent der Landschaften eine starke Entwicklung, wobei Wälder tierhaltenden Landwirtschaftsbetriebe, die 2008 ihre Tiere gerodet, die landwirtschaftliche Nutzfläche ausgeweitet sömmerten, ist die Alpwirtschaft in der Schweizer Land- und intensiviert sowie Siedlungen ausgedehnt wurden wirtschaft noch immer stark verankert (von Felten et al. (Bätzing 2005). Durch die aufeinanderfolgende Besied- 2012), und traditionelle Bräuche sowie Nutzungsformen lung durch Römer, Germanen und später der Walser bil- prägen immer noch ihr Bild (Abb. 2). Für viele Älpler spielt dete sich eine Vielfalt an kulturellen Landnutzungen, die die Tradition der Sömmerung nach wie vor eine wichtige noch heute die alpine Landschaft und ihre Biodiversität Rolle, für rund ein Sechstel ist sie sogar der entscheidende prägt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts blühte die Alpwirt- Faktor. Für die Mehrheit sind sowohl Wirtschaftlichkeit als schaft auf und erreichte ihre grösste Ausdehnung. Als Ant- auch die Erhaltung der Tradition von Bedeutung. wort auf die stetig wachsende Bevölkerung wurden auch die früher extensiv genutzten Flächen immer mehr einer Mutter- statt Milchkühe intensiven Bewirtschaftung ausgesetzt (Bätzing 2005). Der gesömmerte Tierbestand ist allgemein leicht rückläu- Diese Intensivierung betrifft vor allem die tiefer gelege- fig: Zwischen 2000 und 2011 ist die Zahl von 306 668 auf nen und gut erreichbaren Lagen der Alpen, während 297 496 Normalstösse (1 Normalstoss: Sömmerung einer höhere Lagen vermehrt als Randgebiete angesehen wur- Milchkuh während 100 Tage) gesunken (–3 %; BLW 2009, den. BLW 2012). Allerdings sind Veränderungen in den verschie- denen Tierkategorien aussagekräftiger als der abneh- Rückzug aus dem Sömmerungsgebiet mende Trend. Zurzeit wird am häufigsten Jungvieh (39 %) Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm mit der Industrialisie- gesömmert, gefolgt von Milchkühen (29 %), gemischten rung der allgemeine Wohlstand der Bevölkerung zu, und Tiertypen (14 %), Mutterkühen (9 %), Schafen (6 %) und in ganz Europa zeichneten sich allgemeine sozioökonomi- Galtvieh (2 %). Ziegen, Milchziegen und Milchschafe zäh- sche Veränderungen sowie der Agrarstrukturwandel mit len mit jeweils einem Prozent zu den seltensten gesöm- einem Rückzug aus der Alpwirtschaft ab. Heutzutage merten Tiertypen (von Felten et al. 2012). Schafe und Zie- deckt das Sömmerungsgebiet immer noch ein Drittel gen, die zu Beginn der Alpwirtschaft noch sehr prominent der landwirtschaftlichen Fläche in der Schweiz ab (ca. waren, wurden bereits ab Ende des Mittelalters in vielen 500 000 ha). Aber immer mehr Bewirtschafter geben ihre Teilen der Alpen immer mehr durch Kühe und Rinder Flächen im Sömmerungsgebiet aufgrund der Vergrösse- ersetzt. Aktuelle Tierzahlen zeigen vermehrt eine Umstel- rung der Fläche des Heimbetriebes auf. Die Wahrschein- lung von Milch- auf Mutterkuhhaltung, was oft damit ver- lichkeit für einen Rückzug aus der Sömmerung erhöht sich knüpft ist, dass landwirtschaftliche Ganzjahresbetriebe mit der Vergrösserung der Weidefläche im Talgebiet einem Neben- oder Zuerwerb nachgehen (Lauber et al. Abb. 2: Links die Alp Sura im Jahr 1939, rechts im Jahr 2012. Alpverbesserungen zwischen 1965–67 und die Erschliessung mit einer Landwirtschaftstrasse haben die Infrastruktur modernisiert. Die Wiese, die zum Heumachen benutzt wird, liegt immer noch an der gleichen Stelle. Die Zunahme der Bäume im Hintergrund des Fotos von 2012 zeigt, dass auch hier Veränderungen in der Landschaft stattgefunden haben.(Foto links: Ernst Brunner, Schweiz. Institut für Volkskunde, Basel) 2 ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden 2008, Mack und Flury 2008). Die Zahl der Normalstösse von Mutterkühen ist zwischen 2000 und 2010 von 13 854 auf Was versteht man unter Verbuschung? 33 543 gestiegen (BLW 2009, BLW 2012); damit hat sich die Unter der Verbuschung versteht man das Vordringen Zahl der gesömmerten Mutterkühe mehr als verdoppelt, von einheimischen Sträuchern im Grasland. Sie kann die und eine weitere Zunahme auf Kosten der Milchkühe wird Vorstufe zur Verwaldung sein, das heisst zum Vordrin- auch in Zukunft erwartet (von Felten et al. 2012). gen von Baumarten im Grasland. Die Verbuschung ist eine Form der sekundären Sukzession. Im Gegensatz zu Gehölze früher vielfältig genutzt primären Sukzessionen, die auf neuen, unbelebten Sub- Während die Problematik der Verbuschung erst in den straten auftreten, finden sekundäre Sukzessionen auf letzten Jahrzehnten zum Thema geworden ist, wird die Flächen statt, auf denen eine bestehende Pflanzenbe- Ausbreitung von Gehölzen im Grasland schon länger the- deckung durch menschliche oder natürliche Störungen matisiert. Stebler (1903) diskutierte schon Verbesserungs- (z. B. Rodung, Feuer, Lawine) zerstört wurden. möglichkeiten für verwilderte Alpen, wofür mangelnde Pflege und falsche Bewirtschaftung verantwortlich gemacht wurden. Der grosse Bedarf an Nutzholz und die auf Beweidung und Tritt des Viehs reagieren, können sich höhere Zahl an Arbeitskräften in der Vergangenheit ausbreiten und Graslandpflanzen verdrängen. Durch Suk- haben wahrscheinlich zu einer konsequenteren Entfer- zession, der gerichteten Abfolge von unterschiedlichen nung von vordringenden Gehölzen geführt. Grosse Men- Pflanzengesellschaften, entwickelt sich die Vegetation gen an Nutzholz wurden für das Bauen von Hütten, Zäu- langsam von Grasland zu Wald oder zu Buschvegetation. nen, Wasserleitungen, Werkzeugen sowie Gegenständen Die Dauer, Geschwindigkeit und die genauen Sukzessions- aller Art benutzt. Zudem war ein sehr grosser Bedarf an stadien ändern sich in Abhängigkeit von verschiedenen Brennholz vorhanden, insbesondere in den Sennereien. Faktoren wie Exposition, Neigung, Höhe oder den domi- Weil oft Mangel an Brennholz bestand, wurden häufig nierenden Gehölzarten. auch Alpenrosen (Rhododendron ferrugineum), Grünerlen (Alnus viridis) und andere Sträucher sowie Torf, Moos, Wo nehmen die Gehölze in der Schweiz zu? Flechten oder getrockneter Kuhmist verfeuert, was gleich- Die Waldfläche nimmt seit über 150 Jahren wieder zu und zeitig zur Pflege der Weide beitrug (Stebler 1903). Im Urse- bedeckt heutzutage etwa ein Drittel der gesamten Lan- rental zum Beispiel, wo der Waldbestand klein war, desfläche (Brändli 2000). Zwischen den Perioden 1979/1985 bestand das Nutzholz vorwiegend aus Grünerlen. Zwerg- und 1992/1997 haben die Sömmerungsweiden gemäss sträucher wie die Besenheide (Calluna vulgaris), die Hei- Arealstatistik um 17 860 ha abgenommen (Roth et al. delbeere (Vaccinium myrtillus) oder die Alpenrose wurden 2010). Die Zunahme an Waldflächen (Kategorien «offener als Brennmaterial für die Käseherstellung eingesetzt Wald», «geschlossener Wald» und «Verbuschung») zwi- (Wunderli 2010). Mit dem Ersatz von Brennholz durch Öl schen 1993/1995 und 2004/2006 ist etwa fünf Prozent oder wurde der Bedarf an Holz und Sträuchern dann immer 60 000 ha, wobei hier 90 Prozent auf die Regionen der kleiner. Alpen und Alpensüdseite entfallen, mit einem Schwer- punkt auf Höhenlagen über 1400 m ü. M. (Brändli 2010). Die natürliche Waldausdehnung geschieht mehrheitlich durch das Einwachsen von Alpweiden und Vegetationsflä- Warum breitet sich im Sömmerungsgebiet chen, die ertragsschwach sind und einen hohen Bewirt- der Wald aus? schaftungsaufwand erfordern, sogenannte Grenzertrags- lagen. Gemäss Gehrig-Fasel et al. (2007) ist die Aufgabe Weniger Tiere und Alppersonal von Landwirtschaftsflächen einer der wichtigsten Gründe Die abnehmenden Tierzahlen bewirken in Kombination für die Zunahme von neuen Waldflächen. mit weniger Alppersonal eine schlechtere Ausnutzung der Nicht alle Gebiete der Schweiz sind aber gleichermassen Weideflächen, wobei vermehrt eine duale Entwicklung von der Problematik betroffen. Insbesondere die Kantone der Bewirtschaftungsintensität beobachtet wird: Wäh- der Alpensüdseite, das heisst Graubünden, Wallis und Tes- rend gut erschlossene und produktive Flächen immer sin, erlebten in der Vergangenheit eine starke Waldzu- intensiver bewirtschaftet werden, bleiben abgelegene nahme (Stöcklin et al. 2007). In Zukunft wird laut Wieder- und steilere Weideteile unternutzt oder werden gar auf- bewaldungsmodellen insbesondere in Regionen der gegeben (Baur et al. 2007). Diese divergierende Nutzung nördlichen Zentralalpen, in den Tessiner Alpen, im Ober- hat in beiden Fällen eine negative Auswirkung auf den engadin, im Bergell, im Puschlav und in Teilen der nördli- langfristigen Erhalt der Alpweide sowie auf ihre Biodiver- chen Bündner Alpen eine stärkere Wiederbewaldung sität: Aufgegebene Flächen verbuschen und zu intensiv erwartet (10–20 % Verwaldungsanteile, in Extremfällen bewirtschaftete verunkrauten. Da Alpflächen lange Zeit bis 50 %; Schüpbach et al. 2013). Die Verbuschung (ohne von existenzieller Bedeutung waren und somit genügend Kategorien «offener Wald» und «geschlossener Wald») Arbeitskräfte dafür eingesetzt wurden, war die sorgsame wird sich aufgrund dieser Modelle auf die Regionen der Pflege der Weiden eine Selbstverständlichkeit. Aktuell ist nördlichen Zentralalpen, der Tessiner Alpen und auf Teile dies durch das oft knapp eigesetzte Alppersonal nicht der nördlichen Bündner Alpen konzentrieren. möglich. Wenn Wiesen und Weiden aufgegeben werden oder Wieso ist die Verbuschung ein Problem? unternutzt sind, verändert sich die Vegetation infolge der Graslandflächen unter der Waldgrenze wären natürlicher- fehlenden Nutzung. Gehölzarten, die eher empfindlich weise Wald und bleiben nur durch landwirtschaftliche ART-Bericht 769 | Oktober 2013 3
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden Nutzung erhalten. Wieso ist es unerwünscht, wenn der Wald wieder aufwächst und den Platz des Graslandes ein- nimmt? – Alpweiden sind sehr stark in unserer Tradition verankert. Mit ihnen würde ein zentraler Teil unserer Kulturland- schaft verloren gehen. – 7000 Alpbetriebe erwirtschaften jährlich 280 Millionen Franken, das entspricht elf Prozent des landwirtschaftli- chen Einkommens in der Schweiz. Bei den Betrieben in den Bergregionen macht der Anteil ein Drittel aus (Mack et al. 2008). – Die Verbuschung bewirkt einen erheblichen Verlust an Pflanzen- und Tierarten, die sich über Jahrhunderte bis Jahrtausende an die extensive landwirtschaftliche Nut- zung angepasst und hier Graslandgesellschaften von Abb. 3: Alpweide (Pian Doss, GR) mit einem Mosaik aus hohem ökologischem Wert gebildet haben. Für diese Grasland und Zwergsträuchern. Biodiversität trägt die Schweiz national, aber auch inter- national Verantwortung. Die ursprüngliche natürliche ähnliche Beziehung konnte zum Beispiel auch für die Grün Vegetation, also der Wald, ist eher artenarm, und viele erle (Alnus viridis) auf einer aufgegebenen Weide in den Arten (50–65 %) kommen hier nur vor, weil sie durch den französischen Alpen (Anthelme et al. 2001), für den Sand- Menschen eingeschleppt oder eingeführt wurden (Bät- dorn (Hippophaë rhamnoides) auf dänischen Inseln (Iser- zing 2005). Mit ihren rund 4500 Gefässpflanzen, etwa 40 mann et al. 2007) oder für den Wacholder (Juniperus com- Prozent der europäischen Arten, sind die Alpen ein munis) in Schweden auf Kalkgrasland (Rejmanék und wichtiger Lebensraum für die Pflanzenartenvielfalt. 650 Rosen 1992) gezeigt werden. Aber nicht nur die Artenzahl, dieser Pflanzen haben hier sogar ihre Hauptverbreitung sondern auch die Artenzusammensetzung der Pflanzen und 350 sind ausschliesslich hier zu finden (endemisch). wird stark beeinflusst. Auf den zwei von uns untersuchten Diese Flächen sind insbesondere wichtig, weil Grasland- Alpen Sura und Pian Doss hat die Verbuschung einen stär- flächen im Tiefland eher intensiv bewirtschaftet werden keren Einfluss auf die vorkommende Pflanzengesellschaft und manche Arten verdrängt werden. Mehr als die als Umweltfaktoren wie Höhe, Neigung und Exposition. Hälfte der Trockenwiesen und -weiden liegen im Söm- Die Artenzusammensetzung der Pflanzen auf Graslandflä- merungsgebiet (Dipner 2008). chen unterscheidet sich erheblich von den mit Sträuchern – In einigen Fällen gibt es aber auch ökosystemgebundene dominierten Flächen. Gründe, um vordringende Gehölze zurückzudrängen: Im Einerseits verändern die Sträucher die mikroklimatischen Urserental wurde festgestellt, dass eine Zunahme der Bedingungen für Graslandarten negativ, weil Temperatur Verbuschung durch Grünerlen (Alnus viridis) zu erhöhter und Lichteinfall durch Beschattung verringert werden. Wasserverdunstung im Sommer führt, was sich in einem Andererseits kann die Verbuschung auch Vorteile bieten. hydroelektrischen ökonomischen Verlust niederschla- Erstens erhöhen Gehölzstrukturen im Grasland die Habitat- gen kann (Körner et al. 2012). vielfalt und bieten mehr Nischen, die von mehr Arten – Die Alpen stellen ausserdem einen wichtigen Raum für besetzt werden können. Zweitens können Büsche, wenn sie Freizeit- und Erholungsnutzung dar und sind eine welt- genug gross sind, als Schutz für eher beweidungsintole- weit bekannte Tourismusdestination. Landschaftspflege rante Pflanzenarten dienen. Drittens akkumulieren Gebü- und -ästhetik sind wichtige Aspekte sowohl für die sche durch Bildung sogenannter Fertilitäts-Inseln Nähr- lokale Bevölkerung als auch für die Touristen. stoffe unter ihren Kronen (DeLuca und Zackrisson 2007), wovon Gräser und Kräuter – falls sie mit weniger Licht und geringerer Temperatur auskommen – profitieren können. Verbuschung und Artenvielfalt Mosaike beherbergen spezielle Pflanzenarten Mosaike stellen eine Mischung aus Grasland und Buschland Pflanzenvielfalt bei mittlerer Verbuschung am höchsten dar und beherbergen deshalb sowohl Grasland-Arten wie Mit dem Vordringen von Sträuchern und Baumarten im auch Sträucher und junge Bäume. Zusätzlich können aber Grasland werden die bestehenden Pflanzengesellschaften auch Pflanzenarten angetroffen werden, die nur in diesen beeinflusst und verändert. Wenn die Sukzession nicht auf- speziellen Lebensraumbedingungen zu finden sind. Auf der gehalten wird, verschwinden langfristig auch die verschie- Alp Sura kamen etwa 40 Prozent der Arten in allen Habita- denen Graslandpflanzenarten (Freléchoux et al. 2007). ten vor, also im Grasland (0 % Deckung durch Zwergsträu- Trotzdem können Vegetationsstadien, in denen Grasland cher), im Mosaik (50 % Deckung) und in den verbuschten und Buschland ein Mosaik bilden (Abb. 3), einen für die Flächen (100 % Deckung). 17 Prozent der Arten wurden aus- Artenvielfalt wichtigen und erhaltenswerten Lebensraum schliesslich im Mosaik gefunden, etwa doppelt so viele wie darstellen. Eine Untersuchung des ganzen Deckungsgradi- die jeweils acht Prozent, die ausschliesslich im Grasland und enten von offener Weide zu verbuschten Flächen auf der in den verbuschten Flächen gefunden wurden. Es konnte Alp Sura (Guarda, GR) im Projekt AlpFUTUR hat gezeigt, somit gezeigt werden, dass das Mosaik nicht nur die Summe dass Flächen mit einer mittleren Zwergstrauchdeckung am der Arten aus Grasland und Buschland ist, sondern dass es meisten Pflanzenarten beherbergen (Abb. 4). Eine sehr auch exklusive Arten beherbergen kann. 4 ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden schaften auf diesen Flächen sind jedoch extrem artenarm 100 ● (Anthelme et al. 2001, Freléchoux et al. 2007). ● Artenreiche Vegetation – artenreiche Insektenfauna ● 90 Nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere sind ein wichtiger ● Anzahl Pflanzenarten/900 m2 ● Bestandteil des Ökosystems. Insbesondere Gliedertiere ● ● ● ● ● (Arthropoden) machen mehr als 80 Prozent aller Tierarten ● ● ● ● in der Schweiz aus und sind für verschiedene Funktionen 80 ● ● ● ● ● wie Bestäubung und Streuabbau oder auch als Futter für ●● Reptilien und Vögel wichtig. Tagfalter und Heuschrecken ● ●● sind zwei typische Graslandinsektengruppen, die auch in 70 ● höheren Lagen vorkommen. Beide Gruppen sind mehr ● oder weniger stark mit den Pflanzen assoziiert, die sie als ● Nahrung, Schutz oder zur Eiablage nutzen. Tatsächlich ● 60 wurde auf den Alpen Sura und Pian Doss bei einer höhe- ● ren Vielfalt der Pflanzen auch eine höhere Artenvielfalt ● ● von Tagfaltern und Heuschrecken gefunden. Ein Einfluss 50 der Verbuschung auf diese zwei Insektengruppen konnte ● ● also indirekt über die Vielfalt der Pflanzen beobachtet werden; somit ist ein Mosaik auch für die Tiere wichtig. 0 20 40 60 80 In einer schweizweiten Arbeit konnten Walter et al. (2007) Deckung durch Zwergsträucher (%) zeigen, dass Strukturen wie Hecken, einzelne Bäume, Abb. 4: Beziehung zwischen Deckung der Zwergsträucher Sträucher, Steinmauern oder kleine Bäche allgemein die und Pflanzenartenvielfalt auf der Alp Sura (Guarda, GR). Ökoqualität von Weiden erhöhen. Ein Gras-Strauch- Mosaik ist daher sehr wertvoll, weil es ein Habitat für viele Die in den unterschiedlichen Deckungsgraden vorhande- Arten mit unterschiedlichen Ansprüchen darstellt. Ver- nen Arten haben auch Unterschiede in der Weide- und buschte Flächen bieten beispielweise auch einen Lebens- Trittverträglichkeit gezeigt: Bei einem bestimmten Grad raum für Raufusshühner (Abb. 5). Zwergsträucher bieten an Verbuschung kamen eher empfindliche Arten vor. Im den national hoch prioritären Raufusshühnern Nahrung, Unterschied dazu waren Arten, die ausschliesslich im Gras- Versteck und Nistplatz. Diese Mosaike stehen aber in land zu finden waren, tendenziell weide- und trittverträg- einem fragilen Gleichgewicht und hängen stark mit der lich. Das unterstützt die zuvor erwähnte These, dass Busch- Bewirtschaftung der Weide zusammen. inseln als Schutz für empfindliche Graslandarten dienen könnten. Das ist vor allem wichtig, wenn das umgebende Grasland intensiv genutzt wird. Der Übergang von Gras- zu Buschland, das heisst der Rand der Büsche, spielt wahr- Verbuschung und Bewirtschaftung scheinlich die wesentliche Rolle: Empfindliche Graslandar- ten finden hier ein Refugium, wo die mikroklimatischen Dort wo Kühe, Rinder, Ziegen oder Schafe weiden, ent- Bedingungen noch nicht so verändert sind wie im Inneren steht ein Beweidungsdruck, der mehr oder weniger des Strauchs und somit toleriert werden. Es ist jedoch zu intensiv sein kann. Verschiedene Beweidungsintensitäten bedenken, dass diese Stellen auch Schutz für empfindliche beeinflussen die Pflanzen und führen zu Veränderungen junge Baumtriebe bieten, die sich so ungestört ausbreiten der Vegetation. Was nicht gefressen wird, bleibt stehen können. und kann sich ungehindert ausbreiten. Mit Ausnahme der Ziegen, die Gehölze gerne fressen, gehören Zwergsträu- Strauch ist nicht gleich Strauch cher generell nicht zu den Vorlieben der Weidetiere. Trotz- Nicht nur das Ausmass an Deckung, sondern auch die dem können diese durch das Trampeln des Viehs stark dominierende Strauch- oder Baumart kann die Pflanzen- beeinträchtigt werden, weil sie beweidungsintolerant vielfalt verändern. Beispielsweise beeinflussen die unter- sind. Die Verbuschung auf der Alp Sura zeigt eine enge schiedlichen Wuchsformen von Gehölzpflanzen, wie viel negative Beziehung mit der Beweidung durch Milchkühe: Sonnenlicht und Wärme durchkommt. Auch spezifische Dort wo der Beweidungsdruck tief ist, sind die Flächen ver- Eigenschaften der sich ausbreitenden Pflanzenart können mehrt verbuscht (Abb. 8). Eine Untersuchung des Wachol- den Unterbewuchs stark beeinflussen, wie zum Beispiel ders (Juniperus communis) hat zudem gezeigt, dass ver- die Eigenschaft der Grünerle (Alnus viridis), pflanzenver- fügbaren Stickstoff mittels Stickstofffixierern in den Wur- zeln anzureichern. Diese Strategie ermöglicht der Grün erle, an Stellen mit Nährstoffmangel zu wachsen und sehr konkurrenzfähig zu sein. Somit kommen im Unterbewuchs Abb. 5: Verbuschte Flächen vorwiegend kompetitive Gräser und Kräuter wie Zartes bieten Raufusshühnern wie Straussgras (Agrostis schraderiana), Wolliges Reitgras dem Alpenschneehuhn (La- (Calamagrostis villosa) oder Meisterwurz (Peucedanum gopus muta) Nahrung, Ver- ostruthium) vor, die gut mit der Konkurrenzfähigkeit der steck und Nistplatz (Foto: Grünerle zurechtkommen können. Die Pflanzengesell- Matthias Hauck). ART-Bericht 769 | Oktober 2013 5
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden buschte Flächen mehr beschädigte Triebe aufwiesen, Angebot auch sehr wählerisch sein, setzen jedoch ihre Fut- wenn diese einer höheren Beweidungsintensität ausge- teransprüche herab, wenn das Angebot klein ist (Spatz setzt waren. Diese Erkenntnisse stimmen auch mit ande- 1980). ren Studien überein, die eine negative Wirkung der Bewei- Die Besatzdichte kann ebenfalls eine Rolle für das Fressver- dung auf verschiedene Zwergsträucher gezeigt haben halten der Tiere spielen. Während bei einer tiefen Besatz- (Fitter und Jennings 1975, Livingston 1972). All dies deutet dichte und genügend Futter die Rinder im Dischmatal sehr darauf hin, dass eine genügend starke Beweidung in der wählerisch waren, haben sie bei hohen Besatzdichten Lage ist, die Verbreitung dieser Gehölzpflanzen unter deutlich mehr Hochstauden und kleinere Pflanzenarten Kontrolle zu halten und somit zur Offenhaltung der Weide gefressen (Mayer und Huovinen 2007). Sulzer (2005) be- beizutragen. schreibt das Fressverhalten von Milchkühen auf einer Weide der Alp Riein (GR) mit guter Qualität und reichlicher Selektivität und Verhalten der Tiere Menge als «schnelles Vorwärtsgehen, nur das Beste oben Nicht alle Gräser und Kräuter schmecken den Tieren gleich abrupfen, nicht zu Boden fressen». Wenn weniger Futter gut. Zum Beispiel sind Alpen-Lieschgras (Phleum alpinum), vorhanden war, wurde stattdessen ein langsames, saube- Kammgras (Cynosurus cristatus) oder Klee-Arten (Trifo- res und systematisches Fressen beobachtet. Dies zeigt, lium sp.), die einen hohen Futterwert haben, sehr beliebt dass bei zunehmendem Beweidungsdruck und limitierten bei Kühen (Sulzer 2005). Trotzdem werden auch Arten wie Ressourcen die Tiere gezwungen sind, auch weniger das Aufrechte Fingerkraut (Potentilla erecta) oder der beliebte Pflanzenarten zu fressen und dadurch die Bewei- Goldpippau (Crepis aurea) gefressen, die nicht so hohe dungsintensität gleichmässiger zu verteilen. Futterwerte haben und als Zeiger von Weiden mit ökologi- scher Qualität dienen. Eine Studie im Dischmatal (GR) hat Geeignete Tierarten und Mischweidesysteme gezeigt, dass Rinder auch Pflanzen wie Borstgras (Nardus Nutztierarten unterscheiden sich in ihrer Frassselektivität, stricta), Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) oder Hainsim- ihrem Verhalten oder ihrer Fähigkeit, mehr oder weniger sen (Luzula sp.) mit geringer Futterqualität fressen, obwohl geneigte Flächen zu beweiden. Somit können Beweidungs- oft gesagt wird, dass diese gemieden werden (Mayer und muster von verschiedenen Tierarten voneinander abwei- Huovinen 2007). Die Vorliebe der Tiere hängt daher nicht chen und eine unterschiedlich gute Nutzung von Ressour- unbedingt mit dem Futterwert einer Pflanze zusammen. cen auf der Alpweide bewirken. Eine Untersuchung in Während Schafe als sehr selektiv gelten, sind Rinder und Schottland zeigte, dass Rindvieh und Ziegen Borstgras Pferde weniger anspruchsvoll. Ziegen können bei breitem (Nardus stricta) besser als Schafe nutzen und Borstgras dadurch reduzieren können (Grant et al. 1996). Die Bewei- dung mit Rindvieh und Ziegen wirkt daher besser gegen Borstgras und hilft, Gräser wie Schwingel (Festuca sp.) oder Straussgras (Agrostis sp.) zu fördern. Weil einige Nutztier- arten gerne Gehölze fressen, sind diese geeigneter für den Einsatz gegen Verbuschung und für die Beweidung auf stark verbuschten Alpweiden. Ihre Vorliebe für Sträucher und junge Baumtriebe prädestiniert Ziegen dafür sehr (siehe Kapitel «Einsatz von Ziegen gegen Verbuschung»). Obwohl Schafe, Kühe und Rinder generell keine Gehölze fressen, stellt die alte Schafrasse «Engadiner» eine Aus- nahme dar. Diese wurde im Urserental gegen die Grünerle (Alnus viridis) erfolgreich eingesetzt, wo sie die Pflanzen durch das Schälen von Ästen zum Absterben brachte (Arnold 2011). Eine mehrjährige Behandlung ist aber nötig, falls der Grünerlenbestand zu dicht ist (Körner et al. 2012). Chassot und Deslandes (2009) konnten zeigen, dass die Beweidung von verbuschten Alpweiden mit Mutterkühen der Eringer-Rasse geeignet ist, da sie sowohl ökonomische wie auch landschaftspflegerische Ansprüche erfüllen. Topographie und Vegetationsqualität beeinflussen die Bewegungen und damit das Beweidungsmuster der Nutz- tiere wesentlich. Untersuchungen auf sechs Alpweiden in Obwalden und im Unterengadin haben gezeigt, dass die Verteilung der Beweidungsintensität mit der Geländenei- gung sowie der Entfernung vom Alpgebäude zusammen- hängt (Schneider und Homburger 2012). Während Milch- kühe und Rinder lieber auf ebenen Flächen in der Nähe des Alpgebäudes weiden, können Schafe und Ziegen dank ihrem geringen Gewicht steilere Hänge besteigen, die Abb. 6: Bei zunehmendem Beweidungsdruck und limitier- ansonsten von den schwereren Tieren nicht besucht wer- ten Ressourcen sind die Tiere gezwungen, auch weniger den. Die gezielte Auswahl von Weidetieren, die steile Flä- beliebte Pflanzenarten zu fressen. chen gerne beweiden und auch weitere Wege zu Wasser- 6 ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden ihnen in anspruchsvollem Gelände zu schaffen macht, son- dern auch, weil ihre sehr hohen Futteransprüche nicht über die ganze Sommersaison befriedigt werden können (Münger 2006). Die gesetzlich begrenzte Kraftfutter- menge und das frühere Erstkalbalter sind weitere Ein- schränkungen, welche die Beweidung mit Hochleistungs tieren im Sömmerungsgebiet limitieren (Lauber et al. 2008). Andere Tierarten wie Yaks, Lamas oder Alpakas können eine geeignete Alternative zu den gewöhnlich gesömmerten Nutztierarten sein. 2011 wurden auf Söm- merungsgebieten etwa 500 Normalstösse in die Kategorie «andere gesömmerte Tiere» aufgenommen (BLW 2012). Mischweidesysteme sind Weiden, die von verschiedenen Tierarten gemeinsam genutzt werden. Die Ressourcen Abb. 7: Dank ihrer Vorliebe für Gehölze können Ziegen ge- einer Mischweide werden durch das unterschiedliche gen die Verbuschung eingesetzt werden. (Foto: Nina Rich- Fressverhalten der Tiere sehr gut verwertet. Einzelne Pro- ner, ART) jekte zeigten ermutigende Resultate, wie zum Beispiel ein Projekt von AGRIDEA, wo Mischweiden mit Rindern, Zie- plätzen laufen, kann helfen, eine bessere Ausnutzung von gen und Schafen zur Bewirtschaftung von Flächen mit Ten- steileren und entfernteren Flächen zu erreichen (Bailey et denz zur Verbuschung und Verwaldung auf der Alp Creux- al. 1998). de-Champ (VD) untersucht wurden (Mettler 2011). Für Alte Rassen sind im Allgemeinen an die Bedingungen auf eine gute Beratung besteht aber zu dieser Thematik noch Alpweiden angepasst und eignen sich daher gut für die ein hoher Forschungsbedarf (Imfeld-Müller 2013). Nutzung der Schweizer Sömmerungsgebiete (Imfeld-Mül- ler 2013). Leichte und kleine Rassen wie das Rätische Grau- Einsatz von Ziegen gegen Verbuschung vieh eignen sich gut, um Berggebietsflächen extensiv zu Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Ziegen, früher auch beweiden: Sie haben keine Probleme mit steileren Flächen «Kuh des armen Mannes» genannt, zur Selbstversorgung und machen weniger Trittschäden als schwerere Rassen. von Menschen ohne Land einzeln im Tiefland gehalten. Eine Untersuchung im Tessin hat gezeigt, dass Schottische Gemeinsam mit Schafen wurden Ziegenherden in den Ber- Hochlandrinder minderwertige Weiden unter extensiver gen auf wilden und gefährlichen Bergwiesen sowie auf Beweidung gut nutzen und dabei auch ausreichend Nähr- den höchstgelegenen und steilsten Weidestellen einge- stoffe aufnehmen (Berry et al. 2002). Auf produktiveren setzt (Stebler 1903). Obschon zum grössten Teil im Tief- Weiden können jedoch diese extensiven Rassen im Gegen- land, waren 1896 in der Schweiz noch um die 415 000 Zie- satz zu Milchkühen das Futterangebot nicht genügend gut gen vorhanden (Stebler 1903). Diese haben seither ausnutzen. drastisch abgenommen und zählten schon in den 1960er- Magere Alpweiden sind für Hochleistungsrassen weniger Jahren weniger als 100 000 (Baur et al. 2005). Im Jahr 2011 geeignet, nicht nur wegen ihrer Schwerfälligkeit, die wurden etwa 40 000 Tiere gesömmert (6049 Normalstösse, BLW 2012). In letzter Zeit ist die Tendenz wieder leicht stei- gend. In der Schweiz gibt es heutzutage 10 Ziegenrassen. 100 ● Die häufigsten sind die Saanenziege, die Gemsfarbige ●● ● Gebirgsziege und die Toggenburgerziege, die etwa 70 Pro- Deckung durch Zwergsträucher (%) ●● ● zent des Bestandes ausmachen. Die restlichen Rassen sind ● ●● 80 bedroht oder zählen sehr kleine Bestände. Das Potenzial von Ziegen zur Bekämpfung der Verbuschung ●● ● ist bekannt, und die Tiere werden heutzutage vermehrt in der Landschaftspflege eingesetzt. Durch ihr grosses Futter- 60 ●● ● spektrum sowie ihre Vorliebe für Gehölze sind sie im Gegen- ● ● satz zu anderen Nutztierarten dafür sehr geeignet. Bei ● Untersuchungen in Deutschland wurde beobachtet, dass 40 ● die Futterselektion auf verbuschten Flächen mit dem ● ● ● Deckungsgrad der Gehölze zusammenhängt. Wenn die Deckung hoch ist, fressen die Ziegen am Anfang vorwie- 20 ● gend die Strauchvegetation, bei geringerer Deckung wer- ● ● den dagegen zuerst Gräser und Kräuter gewählt (Schröder ● ● ● 1995). Blätter oder andere Gehölzteile können bis zu 60 Pro- ● ● ● zent des Futters ausmachen, ohne dass die Ziegen deswe- 0 gen schlecht genährt sind (Rahmann 2000). Dies ermögli- 0.00 0.05 0.10 0.15 chen spezielle Enzyme im Speichel, die den Ziegen erlauben, Beweidungsintensität (GVE/ha) bedeutende Mengen an Tanninen zu tolerieren, ohne dabei Abb. 8: Mit zunehmender Beweidungsintensität (gemessen ihre Gesundheit zu gefährden (Glatzle 1990). mit GPS-Sendern an einzelnen Kühen) ist die Deckung der Jungtiere ab etwa 15 kg, Böcke und Ziegen ohne Milch- Zwergsträucher tiefer (Alp Sura, Guarda, GR). und Reproduktionsleistung, die extensiv gehalten werden ART-Bericht 769 | Oktober 2013 7
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden können, sollten für die Beweidung von verbuschten Flä- chen bevorzugt eingesetzt werden (Schröder 1995). Zie- gen für die Milchgewinnung oder Reproduktion eignen sich weniger, vor allem weil die Futterqualität von ver- buschten und ertragsarmen Flächen eher gering ist. Zie- gen haben noch weitere Eigenschaften, die sie für die Nut- zung von verbuschten Flächen geeignet macht: eine gespaltene Oberlippe, die ihnen ermöglicht, auch Sträu- cher mit Dornen zu fressen, und die fakultative Bipedie, d. h. das Fressen auf den Hinterbeinen stehend, was den Beweidungsradius zusätzlich erhöht. Die fakultative Bipe- die ist speziell auch für grössere Sträucher wie die Grünerle (Alnus viridis) wichtig, da die Tiere auf den Hinterbeinen stehend Höhen von über 1,5 m erreichen können. Ihr Leichtgewicht und ihre Wendigkeit im Gelände ermögli- chen den Ziegen auch die Nutzung von Steilhängen. Trotz- Abb. 9: Das Anbieten von Wasserstellen, Salz, Schutz oder dem sind sie nicht geeignet für das Zurückdrängen von Schatten kann dazu beitragen, die Nutzung von wenig be- Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Berberitze (Berberis sp.), suchten Bereichen zu steigern. Buchs (Buxus sempervirens) und Heidekraut (Calluna vul- garis), weil diese von den Tieren kaum gefressen werden tät (Schneider und Homburger 2012, Jewell et al. 2007). (Perrenoud und Godat 2006). Auch das Anbieten von Wasserstellen, Salz, Schutz oder Ziegen eignen sich insbesondere für die Erstpflege von Schatten kann dazu beitragen, die Nutzung von wenig verbuschten Flächen. Die Tiere lockern die Vegetation auf, besuchten Bereichen zu steigern (Bailey et al. 1998). wodurch lichtliebende Pflanzenarten der Krautschicht Eine gezielte Weideführung dient nicht nur dazu, magere gefördert werden (Rahmann 2000). Dabei können sie die Weideteile zu nutzen, sondern auch die oft besuchten Pflanzensukzession verlangsamen. Um aber erhaltens- Stellen mit gutem Futter zu schonen. Obwohl offene Gras- werte Pflanzenarten nicht zu verdrängen, sollte die Bewei- landflächen potenziell eine hohe Artenvielfalt aufweisen dung nur kurzfristig, jedoch mit hohem Besatz erfolgen können, besteht die Gefahr, dass sie auf teilweise ver- und mit mechanischer Pflege ergänzt werden (Schröder buschten Alpen mit geringer Weideführung zu intensiv 1995). Diese Nutzung sollte über mehrere Jahre wieder- genutzt werden, weil sich die Tiere vor allem dort aufhal- holt werden. In einer deutschen Untersuchung waren in ten. Dies belegt zum Beispiel die geringe Artenvielfalt auf Flächen, die mit Weissdorn (Crataegus spp.) verbuscht offenen Graslandflächen der Alp Sura (Abb. 4). Wenig waren, nach drei intensiven Beweidungsgängen mit Zie- intensive Milchkrautweiden oder milde Borstgrasweiden gen 72,3 Prozent der Gehölze verbissen (Schröder 1995). stellen daher einen Kompromiss zwischen Artenvielfalt Die Ziegen haben die Baum- und Strauchvegetationen und Futterproduktion dar, weil sie sowohl eine hohe besonders am Vormittag befressen, da sie das taufeuchte Artenvielfalt als auch wertvolles Futter bieten (Schneider Gras eher meiden. und Homburger 2012). Trotz kleinerer Koppeln und Umtriebsweiden bleiben oft Weideführung anpassen weniger schmackhafte Pflanzen stehen und verrotten. Eine angemessene Bewirtschaftung ist nicht nur für die Eine möglichst frühe Bestossung ermöglicht das Zurück- Artenvielfalt, sondern auch für die langfristige Nutzung drängen von wenig attraktiven Arten wie der Rasen- einer Alpweide wichtig. Sowohl eine zu intensive Bewei- schmiele (Deschampsia caespitosa) oder Borstgras (Nardus dung, die schnellwüchsige und trampelresistente Gräser stricta), weil diese in den Anfangsstadien noch gefressen und Kräuter begünstigt, wie auch eine mangelnde Nut- werden (Aigner et al. 2003, Meisser et al. 2009). Eine zung, welche die Ausbreitung von Gehölzen zulässt, sind schnelle Überweidung beim ersten Durchgang und ein negativ für die Graslandpflanzen von Alpweiden. Wir ordentliches Abweiden des Aufwuchses beim zweiten empfehlen daher, eine mittelintensive, auf der ganzen Flä- Besuch ermöglicht, dass das Gras nicht alt und das Futter che gleichmässig verteilte Beweidungsintensität anzustre- möglichst gut ausgenutzt wird. ben. Diese hängt nebst der Besatzdichte auch von der Wei- deführung ab, die insbesondere auf unterbesetzten Alpen Wie viel Verbuschung ist gute Verbuschung? wichtig ist. Wenn die Habitatstruktur durch Verbuschung von Gehöl- Wegen des aufwendigen Zäunens haben viele Weiden im zen erhöht wird, kann dies positive Auswirkungen auf die Sömmerungsgebiet wenige und dafür sehr weite Weide- Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren haben. Trotzdem koppeln, wo die Tiere frei laufen und uneingeschränkt sollte man nicht warten, bis die Gehölzdeckung hoch ist, auswählen können, wo und was sie am liebsten fressen. da die Pflege arbeitsintensiver wird und die Artenvielfalt Ein zu grosses Futterangebot fördert aber die Frassselekti- verloren geht. Es wird daher empfohlen, ein strukturrei- vität der Tiere stark und führt zu einer sehr ungleichmässi- ches Mosaik anzustreben. gen Nutzung. Dieses Muster kann durch eine bessere Steu- Wo liegt die Grenze zwischen guter und schlechter Verbu erung der Tiere vermieden werden. Kleinere und für schung? In einem Informationsblatt über die Weidepflege kürzere Zeit genutzte Koppeln zwingen die Tiere, die Wei- von Trockenwiesen und -weiden (TWW) mit Ziegen emp- deteile gleichmässiger zu nutzen, und ermöglichen damit fehlen Perrenoud und Godat (2006) einen Verbuschungs- eine ausgeglichenere Verteilung der Beweidungsintensi- grad von 10 bis 20 Prozent. Anthelme et al. (2003) setzten 8 ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden Durch Nachmähen von übergebliebenen Pflanzenresten am Ende des Sommers können diese Arten zurückgedrängt und die Fläche für die Tiere attraktiver gemacht werden. Die Entfernung von Büschen und eine Pflege des Mosaiks A B C sollten regelmässig durchgeführt werden. Dabei sollten nicht alle Gehölze von der Weide entfernt werden. Zudem sollten die Massnahmen an die Standortbedingungen der Abb. 10: Schematische Darstellung für die Pflege von Söm- Alp wie Boden, Gelände und Klima angepasst sein und das merungsweiden mit A) Grasland, B) Mosaik von Grasland natürliche Ertragspotenzial der Fläche berücksichtigen. und Gehölzen und C) geschlossener verbuschter Fläche. Das Wo sollte man Sträucher entfernen? Verbesserungen soll- Erreichen von Stadium C für grössere Teile der Weide sollte ten auf den besten und ertragsfähigsten Flächen zuerst vermieden werden, da dieses Stadium kein Futter für das stattfinden, weil hier der Aufwand geringer und die Vieh sowie wenig ökologischen Erhaltungswert hat. Erfolgswahrscheinlichkeit grösser ist. Es lohnt sich, zuerst kleinere und jüngere Sträucher von den noch offenen Flä- bei der Verbuschung durch die Grünerle (Alnus viridis) chen zu entfernen, bevor man mit den grösseren anfängt. einen Wert von 25 Prozent als Bewirtschaftungsziel fest. Obwohl alle Teile der Weide, auch die stark verbuschten, Die Resultate auf der Alp Sura zeigen, dass Weideflächen während der Sommersaison von den Tieren besucht wer- mit 50 Prozent Zwergstrauchverbuschung die höchste den, sind grössere Graslandflächen attraktiver für die Tiere Pflanzenartenvielfalt aufweisen (Abb. 4). Trotzdem ist es und werden auch mehr genutzt (Meisser et al. 2009). sinnvoll, den tolerierten Verbuschungsgrad nicht zu hoch Grosse und zusammenhängende Flächen sind daher besser anzusetzen und nicht zu lange mit den Verbesserungs- als kleine und zerstreute. Weil Zwergsträucher den Boden massnahmen zu warten, weil das stark verbuschte Stadium auf steilen, flachgründigen und erosionsgefährdeten für Graslandarten weniger wertvoll und arbeitsintensiver Abschnitten oder Felskuppen festigen und Schutz gegen ist. Abgesehen von TWW-Flächen ist daher ein Verbu- Erosion bieten, sollten sie an diesen Stellen nicht entfernt schungsgrad um 30 bis 50 Prozent empfehlenswert. werden (Aigner et al. 2003). Wann sollte man einwirken? Nehmen wir an, Stadium A Wie kann man die Sträucher entfernen? Das Schwenden stellt die offene Weide dar, B das Mosaik mit 30 bis 50 Pro- (Räumen von Büschen, ohne das Wurzelwerk zu entfer- zent Büschen und C das völlig verbuschte Stadium (Abb. nen) mit dem Freischneider oder der Motorsense ist emp- 10). Je weiter eine Alpweide sich dem Stadium C nähert, fehlenswert, wenn zwischen den Zwergsträuchern noch desto zeit- und kostenintensiver wird die Pflege. Für die wertvolle Futterpflanzen zu finden sind (Aigner et al. Vielfalt ist auch nicht wünschenswert, dass grosse Teile 2003). Grünerlen (Alnus viridis) können über Stockaus- der Weide das Stadium C erreichen, weil sich die Vegeta- schlag wieder austreiben. Es ist deshalb aufwendiger, eine tion und die Bodenbedingungen schon stark verändert Weidefläche von diesen zu befreien. Schlägeln, das Entfer- haben und dieses Stadium einen tiefen Erhaltungswert nen von Büschen mit einem Hammer mit breiter oder hat. Diese Gründe sprechen dafür, dass ein Eingriff schon abgerundeter Fläche, kann auch eine effiziente Methode im Stadium B erfolgen sollte (Jefferson und Usher 1987). sein. Schwere Maschinen sollten möglichst begrenzt und Dies hat natürlich einen Einfluss auf das Ausmass des Ein- nur für die Entbuschung von sehr stark verbuschten Flä- griffs, weil B das für die Artenvielfalt erhaltenswerte Sta- chen eingesetzt werden, da dieser Eingriff sehr beein- dium ist und die Pflege nicht zu beeinträchtigend sein trächtigend ist. Das Ausreissen von Hand hat weniger Ein- darf. Jefferson und Usher (1987) schlagen eine Rotations- fluss auf andere Lebewesen als der Einsatz von Maschinen, pflege von kleinen Flächen (etwa 10–20 m2) im Stadium B ist aber natürlich sehr arbeitsintensiv. Wenn die Schicht vor. Somit befinden sich verschiedene Flächen in unter- der entfernten Büsche oder des Mähguts zu gross ist (5–6 schiedlichen Stadien der Sukzession und bilden eine struk- cm), kann diese den Wiederbesiedlungsprozess durch turreiche Alpweide. Möglichst kleinräumige und zer- Graslandarten erheblich beeinflussen und um Jahre verzö- streute, aber regelmässige Eingriffe sollten vorgezogen gern (Rosén und Bakker 2005). Das entfernte Material werden, damit sich die Eingriffe selbst nicht negativ auf sollte daher unbedingt abtransportiert oder allenfalls am die Artenvielfalt auswirken. Rande der Weide aufgehäuft werden, wo Kleintiere und Insekten davon profitieren können. Regelmässige Pflege besser als Rückführung Wann und wie oft sollte man Sträucher entfernen? Allge- Auch wenn die Verbuschung durch eine genügend starke mein sollten Sträucher regelmässig alle 3 bis 5 Jahre ge- Beweidungsintensität gesteuert werden kann, bleibt die schwendet werden, damit eine Ausbreitung verhindert Pflege der Alpweide eine sehr wichtige Komponente der wird. Das Schwenden von Grünerlen sollte während der Bewirtschaftung. Es geht erstens darum, das bestehende Vegetationsphase (zwischen Ende Juni und Ende Juli) Grasland zu pflegen, damit ungeliebte Pflanzen sich nicht stattfinden, da sonst Nährstoffe in den Wurzeln gespei- unkontrolliert ausbreiten und unbegrenzt als Schutz von chert werden, die für einen Neuaustrieb genutzt werden Gehölzkeimlingen dienen können, und zweitens, ein können (Aigner et al. 2003). strukturreiches Mosaik zu erhalten. Wie schon im Kapitel «Weideführung anpassen» erwähnt, Entbuschung: sorgfältige Planung nötig kann ein möglichst früher Weidebeginn helfen, unattraktive Gegenmassnahmen werden oft durchgeführt, wenn es Graslandpflanzen unter Kontrolle zu halten, weil viele von schon zu spät ist und die Artenvielfalt schon stark abge- diesen in früheren Stadien noch gefressen werden. Trotz- nommen hat. Zudem beansprucht eine Rückführung oft dem bleiben öfter unattraktive und alte Bestände stehen. mehr Zeit und Kosten als eine regelmässige Pflege und ist ART-Bericht 769 | Oktober 2013 9
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden nicht immer effektiv, speziell wenn es um seltene Arten Düngung zur Weideverbesserung geht (Pykälä 2003). Trotzdem wird von Zeit zu Zeit auch Aufgrund der heterogenen Nutzung von Alpweiden ent- der Entscheid getroffen, komplett überwachsene Flächen stehen oft Nährstoffverlagerungen, die langfristig zur zu entbuschen und in Grasland zurückzuführen. Falls zu Degradierung der Weide führen können (Jewell et al. lange gewartet wird und sich die Weide schon in Wald 2007). Landwirte, die Sömmerungsbeiträge erhalten, dür- umgewandelt hat, ist eine Rückführung nicht mehr mög- fen ausser Phosphor und Kali keine alpfremden Dünger lich, weil die Rodung der Fläche gegen das Waldgesetz anwenden. Eine angemessene Weideführung kann aber verstösst. bereits viel gegen eine unausgeglichene Nutzung der Wie lange dauert eine Entbuschung? Die Rückführung von Weide beitragen. Zudem wurden Massnahmen für eine vollständig verbuschten Flächen zu Grasland sollte gut bessere Verteilung des Düngers innerhalb einer Alpweide durchgedacht und sorgfältig geplant werden. Insbeson- entwickelt. So hat man früher oft Viehdung nach dem dere sollte man sich fragen, ob es sinnvoll ist, die Flächen Weidegang auf der abgeweideten Fläche verteilt oder zu räumen, und ob diese danach wieder für die Bewei- Kuhfladen gesammelt und auf den mageren Flächen ver- dung genutzt werden können. Eine Entbuschung ist eine streut, wodurch das Gleichgewicht zwischen stark bewei- kurzfristige Massnahme, die ohne darauf folgende Bewei- deten und untergenutzten, ausgemagerten Flächen wie- dung unnütz ist. Je länger die Aufgabe zurückliegt und je derhergestellt werden konnte (Stebler 1903, Strüby 1914). weiter fortgeschritten die Sukzession, desto schwieriger Das Eingraben von Viehdung an nützlichen Stellen wurde und aufwendiger ist die Rückführung. Untersuchungen in ebenfalls als geeignete Methode beschrieben. Schweden haben gezeigt, dass 3 bis 4 Jahre benötigt wer- Ein weniger aufwendiges Vorgehen war das Austreiben den, um auf durch Wacholder (Juniperus communis) stark der Tiere auf mageren Stellen über Nacht im Oberwallis, verbuschten Flächen von Kalkgrasland wieder eine ausrei- was als «Ausstaffeln» bezeichnet wurde (Stebler 1903). Ein chende Pflanzendeckung zu erreichen (Rosén und Bakker ähnliches Vorgehen wählten die Hirten der Alp Egg mit 2005). dem «Pferchen», das sie erstmals 1952 und danach meh- Welche Gebiete lohnen sich? Es ist empfehlenswert, Flä- rere Jahrzehnte weitergeführt haben (Eberherr 2005). Bei chen zu entbuschen, die zwischen den Zwergsträuchern dieser Methode werden Rinder und Schafe über Nacht noch einzelne Graslandreste und Futterpflanzen zeigen. oder während Ruhezeiten in einem Gehege auf abgema- Kleinere Restbestände von Grasland sowie Wiesen und gerten Flächen eingesperrt, wodurch diese der Düngung Weiden in der näheren Umgebung spielen eine wichtige und intensivem Tritt ausgesetzt werden. Somit bekommen Rolle als Samenspeicher von Graslandarten, deren Samen magere Standorte mehr Nährstoffe, und Lägerstellen wer- eine limitierte Verbreitung und im Boden unter Gebü- den entlastet. Das Pferchen haben die Bergamasker schon schen keine lange Lebensdauer haben (Barbaro et al. um 1900 benutzt, um ein ordentliches Abweiden sowie ein 2001). Tatsächlich können kleinere Graslandflächen in ver- regelmässiges Verteilen des Düngers zu erreichen (Stebler buschten Gebieten noch wertvolle Pflanzen beherbergen 1903). Die Untersuchung von Eberherr (2005) auf der Alp (Koch und Schmid 2013). Zudem sind Weidetiere wichtige Egg hat gezeigt, dass Pferchflächen Veränderungen im Verbreitungsvektoren von Samen, die an den Hufen oder Pflanzenbestand zeigten, die in Richtung Milchkrautweide am Fell hängend weit verschleppt werden können. gingen, weg von Zwergstrauchheiden und Borstgraswei- Welche Begleitmassnahmen sind nötig? Die Entfernung den. Diese Methode ist etwas arbeitslastig, ermöglicht der Büsche alleine reicht jedoch nicht aus, um geschlos- aber, speziell bei Mutterkuh- oder Rinderalpen ohne Stall, sene Flächen wieder ins Grasland umzuwandeln. Es wird eine gleichmässigere Düngung. empfohlen, grossflächig geräumte Flächen mit Einsaat und Düngung zu verbessern und zu pflegen, damit Kräu- ter und Gräser schnell nachwachsen können (Aigner et al. 2003). Diese Verbesserungen sind besonders wichtig, Beiträge für ökologische Leistungen wenn keine Graslandflächen in der Nähe vorhanden sind. im Sömmerungsgebiet Das Abbrennen von sehr dichten Beständen, wie es früher mit den Alpenrosen gemacht wurde (Stebler 1903), hat Aktuell werden nur vier Prozent aller Direktzahlungen für heutzutage aufgrund rechtlicher Einschränkungen und Sömmerungsflächen eingesetzt, obwohl sie ein Drittel der negativer Auswirkungen für die Umwelt nur begrenzt schweizerischen Agrarfläche ausmachen (Baur et al. 2007). Bedeutung. Die Sömmerungsbeiträge sind an die Anzahl gesömmerter Abb. 11: Pflanzenarten, die als Zeiger für ökologische Qualität in Sömmerungsgebieten gelistet sind. Von links nach rechts: Gebräuchlicher Augentrost (Euphrasia rostkoviana), Feld-Enzian (Gentiana campestris s. str.), Berg-Hauswurz (Sempervi- vum montanum), Schwarzes Männertreu (Nigritella rhellicani), Bärtige Glockenblume (Campanula barbata). 10 ART-Bericht 769 | Oktober 2013
Artenvielfalt auf verbuschten Alpweiden Tiere gekoppelt. Für Biodiversität gab es bisher keine Verteilung der Beweidungsintensität spielt dabei eine zen- direkten Beiträge. Obwohl die Sömmerungsbeitragsver- trale Rolle, vor allem auf Alpweiden, auf denen zu wenige ordnung (SöBV) in der Vergangenheit dazu beigetragen Tiere gesömmert werden. Ein ausgeglichener Beweidungs- hat, die Sömmerung aufrechtzuerhalten (Lauber et al. druck kann einerseits das Vordringen von Gehölzen ein- 2011), ist eine Erhöhung der Beiträge nötig, um die Bewirt- schränken und andererseits die Artenvielfalt fördern. Gute schaftung dieser Flächen attraktiver zu machen (Mack und Pflege heisst zudem nicht unbedingt, dass alle Bäume und Flury 2008). Ab dem Jahr 2014 soll es auch für Sömme- Sträucher von der Weidefläche entfernt werden müssen. rungsflächen möglich sein, ergebnisorientierte Zahlungen Weil aber das Gleichgewicht zwischen Grasland und für Alpweiden mit ökologischer Qualität zu erhalten. Diese Deckung der Zwergsträucher sehr empfindlich ist, braucht Qualität wird anhand von rund 70 Pflanzenarten bestimmt, es eine regelmässige und engagierte Pflege. Es lohnt sich, wovon mindestens sechs in einem Kreis mit drei Metern sofort zu handeln anstatt zu warten, weil eine Rückfüh- Durchmesser vorhanden sein sollen. rung viel zeit- und kostenintensiver ist, ohne eine sichere Erfolgsaussicht zu geben. Sind Pflanzen ein gutes Mass für die gesamte Artenvielfalt Gras-Strauch-Mosaike sind wertvolle Lebensräume, wel- von Alpweiden? che die Heterogenität der Weideflächen erhöhen sowie als Weil es nicht möglich ist, die gesamte Artenvielfalt zu mes- Refugium für weideempfindliche Graslandpflanzen die- sen, werden oft Indikatoren benutzt, die sie möglichst gut nen und daher auch spezielle Pflanzenarten beherbergen repräsentieren. Pflanzen haben viele Vorteile als Indikato- können. Tagfalter und Heuschrecken und wahrscheinlich ren: Sie sind relativ leicht aufzunehmen und zu bestim- auch andere Insektengruppen, die eine starke Beziehung men, sie sind Lebensraum und Nahrung für viele Arten mit den Pflanzen zeigen, werden dadurch ebenfalls und reagieren schnell auf Veränderungen im Umfeld. In begünstigt. Solche Mosaike stellen daher ein wertvolles der Schweiz und in Deutschland werden bestimmte Pflan- Habitat für viele Arten dar. zenarten als Mass für die ökologische Qualität von land- wirtschaftlichen Nutzflächen bereits seit längerem be - nutzt. Allerdings sind die Ergebnisse von vielen Studien aus dem Talgebiet widersprüchlich und lassen sich selten 10 Empfehlungen auf alpine Lebensräume übertragen (Duelli und Obrist 1998, Favreau et al. 2006). Das Projekt AlpFUTUR hat hin- 1. Mosaikartige und strukturreiche Weiden anstreben gegen eine gute Übereinstimmung zwischen der Vielfalt Eine strukturreiche Alpweide mit einem Gras-Strauch- von Pflanzen und Tagfaltern beziehungsweise Heuschre- Mosaik kann eine positive Wirkung auf die Vielfalt von cken gefunden, sowohl auf der Alp Sura als auch auf der Pflanzen und Tieren haben und bietet daher einen Alp Pian Doss. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Tag- wertvollen Lebensraum. Es wird daher empfohlen, falter und Heuschrecken im Nahrungserwerb direkte Ver- nicht alle Sträucher zu entfernen, sondern einzelne, die bindungen mit Pflanzen eingehen. Andere Gruppen wie Artenvielfalt fördernde Strauchinseln stehen zu lassen. Spinnen oder Laufkäfer zeigen keine derart unmittelbaren Diese können als Refugien für beweidungsempfindli- Interaktionen mit Pflanzen, sodass Verallgemeinerungen chere Arten dienen. für solche Gruppen weniger gut möglich sind. 2. Weiden und Mosaike pflegen Auch in den Umweltzielen Landwirtschaft (UZL; BAFU und Die Aufrechterhaltung von Mosaiken verlangt eine BLW 2008) werden Leit- und Charakterarten (Abb. 11) auf- engagierte Bewirtschaftung. Weil Flächen mit hohen gezählt, welche die ökologische Qualität von Flächen und Gehölzdeckungsanteilen kein Futter für die Tiere sowie Regionen anzeigen (Walter et al. 2013). Im Vergleich der keinen ökologischen Erhaltungswert mehr haben, Vielfalt der UZL-Pflanzenarten und der Insektengruppen sollte die Pflege früh genug beginnen. Empfohlen wird hat das Projekt AlpFUTUR ebenfalls einen positiven Zusam- ein Verbuschungsgrad um 30 bis 50 Prozent. menhang aufgezeigt. 3. Auswahl von geeigneten Nutztierarten und -rassen Die Wahl geeigneter Tierarten und Tierrassen ermög- licht eine bessere Ausnutzung des Standortpotenzials. Insbesondere Ziegen, Engadiner Schafe und Mutter- Schlussfolgerungen kühe der Eringer-Rasse können erfolgreich gegen die Verbuschung eingesetzt werden. Auch die Kombina- Alpweiden sind vom Menschen stark geprägte Lebens- tion von mehreren Weidetierarten mit unterschiedli- räume. Dennoch haben sich diese Weiden während Jahr- chem Fressverhalten kann empfohlen werden. hunderten zu wertvollen Lebensräumen entwickelt, und 4. Ziegen gegen Verbuschung einsetzen ihre Erhaltung hat nicht nur ökologischen, sondern auch Ziegen sind gut geeignet, um die Verbuschung zurück- kulturellen und traditionellen Wert. Dazu spielen diese zudrängen. Richtig eingesetzt, können sie durch ihre Räume eine wichtige Rolle für Freizeit und Tourismus. Der Vorliebe für Sträucher und junge Baumtriebe sowie Entscheid, eine Alpweide offen zu halten oder verbuschen ihre Fähigkeit, dornige und höhere Büsche zu errei- und Wald aufwachsen zu lassen, hängt mit dem jeweils zu chen, die Verbuschung erfolgreich bekämpfen. erreichenden Ziel zusammen. In einigen Fällen ist es wenig 5. Kleine Koppeln zur besseren Steuerung der Tiere sinnvoll, die Verbuschung zu reduzieren. Falls jedoch eine Das Gebiet in kleinere Koppeln aufteilen und dabei von Verbuschung betroffene Alpweide und ihre Artenviel- Topographie, Vegetation sowie Wasserstellen in Erwä- falt erhalten werden sollen, ist eine angemessene Bewirt- gung ziehen. Dies ermöglicht eine gleichmässigere schaftung und Pflege der Weidefläche unabdingbar. Die Nutzung der Weide und schränkt die Selektivität der ART-Bericht 769 | Oktober 2013 11
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