Aus Politik und Zeitgeschichte - 4/2006 23. Januar 2006 - Bundeszentrale für politische ...

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APuZ
Aus Politik und Zeitgeschichte
                              4/2006 ´ 23. Januar 2006

                                 Zentralasien
                                     Friedemann Mçller
                   Machtspiele um die kaspische Energie?

                                       Mehdi P. Amineh
   Die Politik der USA, der EU und Chinas in Zentralasien

                                    Alexander Warkotsch
                           Russlands Rolle in Zentralasien

                                             Asiye Úztçrk
       Die geostrategische Rolle der Tçrkei in Vorderasien

                         Marie-Carin von Gumppenberg
                       Markus Brach-von Gumppenberg
                      Zur Rolle der OSZE in Zentralasien

        Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial
   Die Terroranschlåge des 11. September 2001 haben zu gravie-
renden Verånderungen in der internationalen Politik gefçhrt.
Die Region, welche von den Umbrçchen am stårksten betroffen
war, ist Zentralasien. Dort prallen russische Groûmachtinteres-
sen und imperiale Ansprçche der USA unmittelbar aufeinander.
Im Zuge des globalen ¹Krieges gegen den Terrorismusª konnten
sich die USA einen enormen geostrategischen Vorteil sowohl ge-
gençber den anderen Groûmåchten Russland und China als auch
der Europåischen Union verschaffen, indem sie in den ehemali-
gen Sowjetrepubliken Stçtzpunkte einrichteten. Neben geostra-
tegischen Interessen geht es auch um ækonomischen Einfluss,
insbesondere aber um die kaspischen Úlvorråte.

   Dieses ¹Great Gameª entscheidet langfristig çber die Kontrol-
le des Transportes von Erdæl und Erdgas. Der Verlauf der Pipe-
lines unterstreicht ihre politische Bedeutung. So haben die USA
ihren Einfluss geltend gemacht, damit sowohl die Baku-Tbilisi-
Ceyhan-Pipeline (BTC) als auch die Trans-Caspian-Gas-Pipe-
line (TCGP) um Russland und Iran herum verlaufen. Aus politi-
schen Grçnden wurde die gefåhrlichere und teurere Route durch
den Kaukasus bewusst in Kauf genommen.

   Bei der Ausgestaltung dieses Pipeline-Geflechts spielte die
Tçrkei von Beginn an eine zentrale Rolle. Beide Routen enden in
der Tçrkei: in Ceyhan und in Samsun. Das Land ist fçr den Wes-
ten zur wichtigsten Energiedrehscheibe geworden. Diese Funk-
tion kænnte die Tçrkei nutzen, um zwischen der arabisch-islami-
schen Welt und der westlichen Staatengemeinschaft zu vermit-
teln. Dadurch wçrde sich nicht nur ihr Handlungsspielraum
erhæhen, sondern das Land kænnte im vorderasiatischen Raum
auch stabilisierend wirken.
                                                 Ludwig Watzal
Friedemann Mçller            weit neuen Entdeckungen. In Russland
                                                             wurde Erdæl an der Wolga, also nåher an den

       Machtspiele um                                        groûen Industriezentren des Landes, ent-
                                                             deckt, so dass die kaspischen Ressourcen
                                                             trotz Produktionswachstums relativ an Be-

         die kaspische                                       deutung verloren. Doch der Mythos blieb. Im
                                                             Zweiten Weltkrieg nahm die Wehrmacht die

              Energie?
                                                             Erdælquellen von Baku ins Visier und wurde
                                                             nicht weit davor vernichtend geschlagen.
                                                             Nach dem Zweiten Weltkrieg lag fçr die So-
                                                             wjetunion die Bedeutung des Erdæls von
                                                             Baku und dem Nordkaukasus mehr darin,

          M        achtspiele um kaspische Energie sind
                   so alt wie die Geschichte des moder-
           nen Erdælzeitalters, dessen Beginn um die
                                                             dass dort die Industrieanlagen fçr die Ausrçs-
                                                             tung zur Erdælerschlieûung und Ausbil-
                                                             dungsståtten fçr die Ingenieure angesiedelt
           Mitte des 19. Jahrhunderts angesetzt wird.        waren. Der Anteil des Erdæls an der sowjeti-
           Dabei ist die Gier nach kaspischem Erdæl          schen Produktion nahm jedoch weiter ab. Al-
           noch viel ålter, doch sind die Machtspiele frç-   lerdings wurden in Kasachstan und dem çbri-
           herer Jahrhunderte unzureichend dokumen-          gen Zentralasien neue Erdælregionen er-
           tiert. Bohrungen wurden bereits im 10. Jahr-      schlossen, die sich aber ebenfalls nicht mit
           hundert in bis zu zwælf Metern Tiefe vor-         dem groûen Projekt in Westsibirien messen
                                    genommen, um den         konnten. Doch gewannen die Erdgasfelder in
                                    wertvollen Rohstoff      Turkmenistan, zum kleineren Teil auch in Us-
              Friedemann Mçller                              bekistan und Kasachstan, an Bedeutung. 1990
                                    Erdæl zu gewinnen. 1
   Dr. rer. pol., geb. 1943; Leiter                          trug Turkmenistan etwa 15 Prozent zur Ge-
                                    Doch das moderne
 der Forschungsgruppe Globale                                samtproduktion der Sowjetunion, dem mit
                                    Erdælzeitalter ist mit
     Fragen der Stiftung Wissen-                             Abstand græûten Erdgasproduzenten der
                                    der Industrialisierung
   schaft und Politik (SWP), Lud-                            Welt, bei. Zu dieser Zeit zeichnete sich auch
                                    und     Motorisierung
wigkirchplatz 3 ±4, 10719 Berlin.                            ein neuer Erdælboom in Kasachstan ab, denn
                                    der    neueren     Ge-
      friedemann.mueller@swp-                                in der Region Tengiz, am nærdlichen Ostufer
                                    schichte verbunden,
                         berlin.org                          des Kaspischen Meeres, wurde das damals
                                    und im Zuge dessen
                                    wurde eine relativ       græûte unerschlossene Erdælfeld der Welt
           kleine Flåche um Baku in der zweiten Hålfte       entdeckt.
           des 19. Jahrhunderts zur Boomregion fast
           amerikanischen Ausmaûes. 1863 wurde dort             So ist nicht verwunderlich, dass sich mit
           die erste Erdæl-Raffinerie eræffnet. Die Brç-     der Unabhångigkeit der kaspischen Anrainer-
           der Ludwig und Robert Nobel lieûen sich in        staaten Aserbaidschan, Kasachstan und Turk-
           Baku nieder und kauften 1875 das groûe Ba-        menistan der Mythos der unermesslichen
           lachany Erdælfeld. Russland brçstete sich als     Energieschåtze erneuerte. Der Titel von Ru-
           Kolonialmacht bei der Pariser Weltausstel-        dyard Kiplings Roman ¹Great Gameª, der
           lung 1878 mit dem neuen Erdælzentrum und          das imperialistische Gezerre zwischen Russ-
           dank Investoren mit internationaler Reputa-       land und England in der zweiten Hålfte des
           tion floss mehr Kapital in die Region. So         19. Jahrhunderts beschreibt, hat wie kein an-
           kamen 1893 beispielsweise die Rothschilds         deres Schlagwort die internationale Wahrneh-
           und gaben der Erdælgewinnung einen neuen          mung der postsowjetischen Entwicklung die-
           Schub. Zwischen 1898 und 2003 wurde in            ser Region geprågt. Die Úffentlichkeit sieht
           keiner Region der Welt mehr Erdæl produ-          sich jetzt mit der Neuauflage eines recht un-
           ziert als im Raum Baku, im Jahr 1901 sollen       appetitlichen Machtkampfes zwischen groûen
           hier sogar 50 Prozent der Weltproduktion ge-      Måchten, diesmal Russland, USA und China,
           wonnen worden sein. Das architektonische          in diesem Raum konfrontiert. Nur geht es
           Gesicht Bakus ist heute noch wie wohl keine       nun nicht mehr um kolonialen Landgewinn,
           andere Stadt æstlich des Bosporus von dieser      sondern um die begehrte Ressource Erdæl.
           Grçnderzeit geprågt.
                                                             1 Vgl. Michael P. Croissant/Bçlent Aras, Oil and
            Bald nach der Jahrhundertwende fçhrte die        Geopolitics in the Caspian Sea Region, London 1999,
          Jagd nach dem flçssigen Treibstoff zu welt-        S. 4.

                                                                                                 APuZ 4/2006       3
Zbigniew Brzezinskis Buch ¹The Grand                    Mit der ersten Erdælkrise Anfang der siebzi-
       Chessboardª 2 hat zu diesem Eindruck beige-          ger Jahre wurden das bereits im Jahrzehnt
       tragen, doch mag auch er unterschåtzt haben,         zuvor abgeschlossene Kapitel kolonialer Erd-
       dass die Globalisierung neue Spieler und             ælausbeutungsvertråge durch ein neues Selbst-
       Spielregeln hervorbringt. Deshalb sollte die         bewusstsein der energiereichen Staaten als
       derzeitige Erschlieûung der Energieressour-          unabhångige internationale Akteure ersetzt.
       cen am Kaspischen Meer nicht aus dem Blick-          Seitdem haben sich prinzipiell drei Vertragsop-
       winkel des 19. Jahrhunderts bewertet werden.         tionen zur Erschlieûung von Erdæl- und Erd-
       Ohne Zweifel gibt es Einflussversuche, wel-          gasressourcen herauskristallisiert: 3 erstens, die
       che eher an die Zeit vor den Weltkriegen erin-       Erschlieûung durch eine staatliche (monopo-
       nern, doch alle Entwicklungen unter diesem           listische) Erdælgesellschaft, wie dies zum Bei-
       Licht zu betrachten, wçrde die Analyse in            spiel in Saudi-Arabien oder Mexiko der Fall
       eine schiefe Lage bringen.                           ist; zweitens die Erschlieûung durch auslåndi-
                                                            sche Firmen, die gegebenenfalls mit inlåndi-
                                                            schen im Wettbewerb stehen, wie in Kanada;
Post-sowjetische Machtbildung in den                        drittens eine Kombination aus beidem, indem
                                                            eine staatliche Erdælgesellschaft zusammen
neunziger Jahren                                            mit auslåndischen Gesellschaften die Erschlie-
                                                            ûung betreibt. Letzteres trifft auf die neuen
       Fçr die neuen unabhångigen Anrainerstaaten
                                                            kaspischen Staaten zu. Diese Kombination
       des Kaspischen Meeres Aserbaidschan, Ka-
                                                            macht es mæglich, die Technologie und das
       sachstan und Turkmenistan boten die Ener-
                                                            Management-Know-how von auûerhalb he-
       gieressourcen die beste Chance, sich nach
                                                            ranzuziehen und doch zu einem hohen Grad
       Auflæsung der Sowjetunion Ende 1991 von
                                                            an der Erschlieûung beteiligt zu sein. Das Ten-
       dem frçheren Kolonialherrn Russland unab-
                                                            giz-Projekt ist das erste im post-sowjetischen
       hångig zu machen. Zieht man zum Beispiel in
                                                            Raum, das sich dieses Modells bedient. Auf
       Betracht, wie sehr andere post-sowjetische
                                                            diese Weise bleiben etwa 80 Prozent der Ge-
       Staaten wie die Ukraine, Moldawien oder
                                                            winne im eigenen Land. Im Falle des Tengiz-
       auch Armenien wegen der Abhångigkeit von
                                                            Projekts hat Chevron zugesagt, çber dreiûig
       Energielieferungen aus Russland in ihrer Be-
                                                            Jahre lang ca. 20 Milliarden US-Dollar in die
       wegungsfreiheit begrenzt sind, so kann man
                                                            Erschlieûung zu investieren. Dieses Groûpro-
       diese Ressourcen als durchaus segensreich fçr
                                                            jekt und Folgeprojekte machten Kasachstan in
       den Unabhångigkeitsdrang der jungen Staa-
                                                            den neunziger Jahren zu dem Land mit dem
       ten ansehen. Bereits drei Jahre vor Auflæsung
                                                            hæchsten auslåndischen Investitionsanteil am
       begannen mit Duldung des damaligen Gene-
                                                            Bruttosozialprodukt weltweit.
       ralsekretårs der KPdSU, Michail Gorba-
       tschow, Verhandlungen zwischen Vertretern
                                                               Noch mehr internationales Aufsehen hat
       der (sowjetischen) Republik Kasachstan und
                                                            das im September 1994 in Baku abgeschlos-
       der amerikanischen Firma Chevron um die
                                                            sene ¹Jahrhundertprojektª erregt. Hier
       Erschlieûung des Tengiz-Feldes. Die Ver-
                                                            wurde das Tengiz-Projekt weitgehend kopiert
       handlungen zogen sich wegen der Unerfah-
                                                            mit der wesentlichen Ausnahme, dass als aus-
       renheit im Umgang mit privaten Unterneh-
                                                            låndischer Partner nicht ein groûes Erdælun-
       men seitens der kasachischen Verhandler,
                                                            ternehmen gewåhlt wurde, sondern ein Kon-
       aber auch wegen çberzogener Forderungen
                                                            sortium aus elf Unternehmen (Azerbaijan In-
       und dem latenten Misstrauen in der Moskau-
                                                            ternational Operating Company, AIOC), die
       er Zentrale, çber Jahre hin. Chevrons Vertre-
                                                            sich gegenseitig politisch neutralisieren soll-
       ter wollten mehrmals die Verhandlungen be-
                                                            ten. Unter Fçhrung von BP mit dem græûten
       enden. Doch nach Auflæsung der Sowjetuni-
                                                            Anteil von 17 Prozent an dem Konsortium
       on wuchs auf der kasachischen Seite der
                                                            wurden amerikanische, europåische, russi-
       Wille, zu einem Abschluss zu kommen, so
                                                            sche, japanische Firmen und die aserbaidscha-
       dass im April 1993 schlieûlich ein Vertrag un-
       terzeichnet wurde, der fçr eine ganze Region
       Maûståbe setzen sollte.                               3 Vgl. Jenik Radon, The ABCs of Petroleum Con-

                                                            tracts: License-Concession Agreements, Joint Ventures
       2 Zbigniew Brzezinski, The Grand Chessboard.         and Production-sharing Agreements, in: Svetlana Tsa-
       American Primacy and Its Geostrategic Imperatives,   lik/Anya Schiffrin (Eds.), Covering Oil, Open Society
       New York 1997.                                       Institute, New York, S. 61±74.

   4    APuZ 4/2006
nische staatliche Erdælfirma SOCAR einbe-          Baku çber Grozny (Tschetschenien) zum
zogen. Damit sollte verhindert werden, dass        russischen Schwarzmeerhafen Novorossiisk.
die auslåndischen Erdælfirmen als Interessen-      Diese Pipelines sollten die russische Seite zu-
vertreter der entsprechenden auslåndischen         frieden stellen, Georgien als Transitland ein-
Regierung wirken. Dies scheint in diesem wie       beziehen und zugleich den Wunsch westlicher
auch in weiteren Konsortialgeschåften gut ge-      Staaten nach einer Route sçdlich von Russland
lungen zu sein, denn die Firmen selbst sind        abdecken. Mit dieser fçr alle Beteiligten vor-
zwar an politischem Schutz durch ihre Hei-         teilhaften Læsung wurde die Entscheidung
matregierungen interessiert, nicht aber daran,     çber die Verlegung der Hauptexport-Pipeline
dass sie politische Interessen ihrer Regierun-     fçr das erst spåter in groûen Mengen verfçgba-
gen mitvertreten mçssen. Schlieûlich sehen         re aserbaidschanische Erdæl auf einen spåteren
sie sich in einem globalen Wettbewerb und          Zeitpunkt vertagt. Dies bedeutete einen ge-
dabei in erster Linie ihren Anteilseignern ver-    schickten Schachzug seitens der USA, denn
pflichtet. Deshalb kænnen politische Interes-      mit amerikanischer Hilfe wurde die CPC-
sen der eigenen Regierung hinderlich sein,         Pipeline auf den Weg gebracht, die den Trans-
wie dies bei amerikanischen Unternehmen in         port des ostkaspischen Erdæls çber russisches
der Region mit Blick auf die Iran-Sanktionen       Territorium leitete. Zwar hatten sich die USA
durchaus der Fall ist.                             zuvor intensiv darum bemçht, fçr das ost-
                                                   kaspische Erdæl eine Russland ausschlieûende
   So geriet Chevron zwischen 1993 und 1997        Alternative zu konstruieren, nåmlich mittels
unter groûen Druck, weil die ursprçnglich be-      einer das kaspische Meer durchquerenden
absichtigte Leitung des Tengiz-Erdæls nach         Pipeline von Kasachstan nach Baku an die
Sçden durch Turkmenistan und Iran zum Per-         Westkçste. Doch wurde den amerikanischen
sischen Golf von der US-Regierung unterbun-        Unterhåndlern bald klar, dass Russland bei
den wurde. Zugleich aber verbot sich die einzi-    seiner Weigerung, eine solche Pipeline zuzu-
ge Alternative, nåmlich das Erdæl çber Russ-       lassen, am långeren Hebel saû. Es musste nur
land zum Schwarzen Meer zu leiten, weil die        die Bemçhungen um die Einigung der Anrai-
russische Regierung nicht bereit war, als Tran-    ner des Kaspischen Meeres auf dessen Rechts-
sitland fçr den Erdæltransport des neuen Kon-      status verzægern oder verhindern und zugleich
kurrenten Kasachstan zur Verfçgung zu stehen.      damit drohen, dass es einer transkaspischen
Erst eine amerikanische Intervention, verbun-      Verlegung einer Pipeline nicht zustimmen
den mit einer Neuorganisation des CPC (Cas-        wird, so wçrde angesichts der tatsåchlichen
pian Pipeline Consortium) als Konsortium,          militårischen Machtverhåltnisse im Kaspi-
sorgte dafçr, dass Russland den Vorteil der        schen Meer, in dem nur Russland çber eine
Transitgebçhren hæher bewertete als die Rivali-    starke Marine verfçgt, kein Investor wagen,
tåt mit Kasachstan, das Russland nicht an der      eine solche Pipelineverlegung durchzufçhren.
Exploration des Tengiz-Feldes beteiligte.
                                                      Da demnach Russland mit seiner CPC-
   Doch långst bevor 1997 das neue CPC ge-         Pipeline nicht nur çber die leistungsstårkste
grçndet und die leistungsfåhige CPC-Pipeline       Pipeline des kaspischen Raumes verfçgt, son-
(Kapazitåt anfangs 28 Millionen, Ausweitung        dern damit auch Zugang zu dem erdælreiche-
bis 67 Millionen Tonnen pro Jahr) im Oktober       ren Ostteil des kaspischen Meeres hat, lag es
2001 endlich in Betrieb genommen werden            nahe, die westkaspischen Produktionskapazi-
konnte, hatte sich ein Interessengleichgewicht     tåten fçr einen Transport zu reklamieren, der
herausgebildet, welches die Transportinfra-        Russland nicht einbezieht. Die USA bildeten
struktur fçr lange Zeit prågen sollte. Unter der   bereits 1996 eine Koalition mit der Tçrkei, die
amerikanischen (Clinton-) Regierung wurde          auf tçrkisches Drången zurçckzufçhren war.
im Oktober 1995 fçr den Transport der kleine-      Es ging den USA darum, einerseits zu verhin-
ren Mengen des ¹frçhen Úlsª aus der Produk-        dern, dass Iran ins Infrastrukturnetzwerk ein-
tion des Jahrhundertgeschåfts in Baku eine         bezogen wçrde, andererseits wollten sie die
Doppellæsung gefunden: Eine Pipeline, die          andere Mittelmacht in der Region, nåmlich
von Baku zum georgischen Schwarzmeer-Ter-          den NATO-Verbçndeten Tçrkei, stårken. Die
minal Supsa fçhrt mit einer Kapazitåt von ca.      USA brauchen die Tçrkei fçr Militårbasen
sechs Millionen Tonnen pro Jahr (Fertigstel-       mit Blick auf die Region des Mittleren Ostens.
lung 1999) und eine Pipeline mit einer Kapazi-     Sie fçhlten sich aber auch konkret der Tçrkei
tåt von fçnf Millionen Tonnen pro Jahr von         verpflichtet, weil diese den Mittelmeerhafen

                                                                                    APuZ 4/2006      5
Ceyhan ausgebaut hatte, um irakisches Erdæl             Bedingungen in Lagern. Der Versuch, den Bau
    çber eine Pipeline ± und damit unabhångig               der Baku-Ceyhan-Pipeline zum Ausgangs-
    von dem empfindlichen Wasserweg durch den               punkt einer Friedensregelung zu machen und
    Ausgang des Persischen Golfs (Straûe von                den armenischen Megri-Korridor fçr eine Ver-
    Hormus) ± zum Weltmarkt zu leiten. Dieser               kçrzung der gesamte Pipeline um ca. 300 km
    Hafen war wegen der im Irak-Kuweit-Krieg,               zu nutzen, scheiterte. Bereits 1997 hat sich
    dem Zweiten Golfkrieg (1990/91), verhångten             Aserbaidschan auf Georgien als Transitland
    Sanktionen der Vereinten Nationen kaum aus-             festgelegt. Dies war auch deshalb ein effizien-
    gelastet. Insofern bot sich aus amerikanischer          ter Schachzug, weil dadurch Georgien als Be-
    Sicht eine Pipeline von Baku nach Ceyhan an,            fçrworter einer anderen Route ruhig gestellt
    um diesen Hafen besser auszunutzen. Die                 wurde. Diese andere und viel kostengçnstige-
    Tçrkei lebte nach Auflæsung der Sowjetunion             re Læsung sah eine Hauptleitung parallel zur
    wåhrend der neunziger Jahre in einer Art pan-           Pipeline des frçhen Erdæls von Baku nach
    tçrkischer Euphorie und bemçhte sich, die               Supsa (Georgien) vor und von dort die Ver-
    turkståmmigen, ehemals sowjetischen Repu-               schiffung des Erdæls entweder zur europå-
    bliken, zu denen auch die drei kaspischen An-           ischen Schwarzmeerkçste oder durch den
    rainer gehæren, an sich zu binden. 4 Zwar               Bosporus zum Weltmarkt. Doch die Europåer
    folgte dieser Euphorie eine gewisse Ernçchte-           unterstçtzten diese ækonomisch sinnvolle Va-
    rung, weil sich die kulturellen Unterschiede            riante nicht, und Georgien wurde mit der
    zu dem lange isolierten, sowjetisch geprågten           Rolle des Transitlandes fçr die Pipeline nach
    Raum stårker als erwartet zeigten, und die              Ceyhan abgespeist.
    machtpolitischen Einflussmæglichkeiten der
    Tçrkei begrenzt blieben. Doch als Investor ist             Die zweite Hçrde fçr die nunmehr Baku-
    die Tçrkei in diesem Raum durchaus pråsent,             Tbilisi-Ceyhan (BTC) genannte Pipeline lag
    und die infrastrukturelle Anbindung ist fçr             in den enormen Kosten und technischen
    die Tçrkei gerade wegen der fehlenden ge-               Schwierigkeiten, da die Leitung nicht nur
    meinsamen Grenze ± Georgien, Armenien                   çber eine Långe von mehr als 1 700 km, son-
    oder Iran muss durchquert werden, um nach               dern auch çber mehr als 2 000 Meter hohe
    Aserbaidschan oder gar nach Zentralasien zu             Gebirge in der Tçrkei gefçhrt werden musste.
    gelangen ± besonders wichtig. Allerdings                Mit der Kostenfrage brachte sich die russi-
    mussten çber den Zeitraum von fast einem                sche Seite wieder ins Gespråch, indem sie
    Jahrzehnt viele Steine aus dem Weg geråumt              argumentierte, dass im Zeitalter der Global-
    werden, 5 bis die Pipeline mit ihrer Kapazitåt          isierung die kostengçnstigste Læsung zu favo-
    von rund 50 Millionen Tonnen pro Jahr 2005              risieren sei. Deshalb bot sie an, die Hauptex-
    eingeweiht und Anfang 2006 das erste Erdæl              portpipeline wesentlich billiger von Baku
    in Ceyhan verladen werden konnte. Die di-               zum Schwarzmeerhafen Novorossiisk paral-
    rekte Route Baku ± Ceyhan konnte nicht ge-              lel zu der nærdlichen Pipeline fçr das frçhe
    wåhlt werden, weil diese durch Armenien ge-             Úl zu verlegen. Die Clinton-Administration
    fçhrt håtte. Aserbaidschan und Armenien                 kam dagegen in Bedrångnis, weil ihr unter-
    trennt jedoch ein seit 1994 eingefrorener Kon-          stellt wurde, dass sie die Pipeline aus dem
    flikt in Nagorny Karabach, einem mehrheit-              amerikanischen Bundeshaushalt subventio-
    lich von Armeniern besiedelten Territorium in           nieren wçrde, was die amerikanische Verfas-
    Aserbaidschan. Dieses Gebiet und ein sehr               sung jedoch verbietet.
    breiter Korridor, ebenfalls auf aserbaidschani-
    scher Seite, ist von Armenien, das sich russi-             Die Investitionskosten der BTC-Pipeline
    scher Unterstçtzung versichern kann, militå-            wurden auf drei bis vier Milliarden US-Dol-
    risch besetzt. Dadurch kam es zu einer                  lar geschåtzt, die russische Alternative sollte
    Massenflucht ± noch heute leben aserbaid-               etwa die Hålfte kosten. Gegen diese Variante
    schanische Flçchtlinge unter unertråglichen             sprach zum einen, dass Russland bereits den
                                                            græûten Teil des ostkaspischen Erdæls trans-
    4 Vgl. Stephen Larrabee, U.S. and European Policy
                                                            portierte, zum anderen aber, dass die Pipeline,
    Toward Turkey and the Caspian Basin, in: Robert D.      die zunåchst çber Grozny, Tschetschenien,
    Blackwill/Michael Stçrmer (Eds.), Allies Divided ±
                                                            fçhrte, nicht hinreichend gegen Anschlåge
    Transatlantic Policies for the Greater Middle East,
    Cambridge, MA 1997, S. 143±173.                         und illegale Erdælentnahmen seitens tschet-
    5 Vgl. Rizvan Nabiyev, Erdæl und Erdgaspolitik in der   schenischer Rebellen geschçtzt werden
    kaspischen Region, Berlin 2003, S. 189± 247.            kænne. Die Hauptexport-Pipeline wåre sol-

6    APuZ 4/2006
chen, auch ækonomischen Beeintråchtigun-          ausgeçbt. Ob dies zum Schaden der jungen
gen in der unsicheren Region des nærdlichen       Staaten im kaspischen Raum erfolgt ist, kann
Kaukasus ståndig ausgesetzt gewesen.              nur entschieden werden, wenn dafçr die
                                                  Maûståbe genau definiert werden. Entspre-
   Der Durchbruch zu Gunsten der BTC              chend muss der Begriff ¹great gameª, der ein
zeichnete sich im Jahr 2001 ab, als die Úlge-     massives Machtspiel suggeriert, kritisch hin-
sellschaft BP bekundete, das BTC-Projekt zu       terfragt werden. Es gibt seriæse Literatur, die
çbernehmen. Die Kosten wurden dadurch             mit diesem Begriff operiert, 6 es gibt aber
begrenzt, dass die Tçrkei bereits 1997 in Aus-    auch pseudowissenschaftliche Bçcher und
sicht stellte, alle Kosten zu tragen, die 1,7     Medien, die hinter jedem aus ækonomischen
Milliarden US-Dollar fçr den Teil des Projek-     Interessen geleiteten Geschåft ein bæses poli-
tes auf tçrkischem Boden çberschritten. Fçr       tisches Machwerk vermuten. 7
BP aber war ausschlaggebend, dass angesichts
der recht groûen Erdgasfunde bei den off-
shore-Bohrungen æstlich von Baku parallel                              Die Verengung der globalen
zur Erdælpipeline eine Erdgaspipeline gebaut                                       Energiemårkte
werden sollte, die nicht zum Mittelmeer, son-
dern in die tçrkische Stadt Erzurum und von       Wåhrend Ende 1998 und Anfang 1999 der
dort weiter nach Westen fçhren sollte. Durch      Úlpreis mit zehn US-Dollar pro Fass auf ein
die Parallelverlegung der Leitungen konnten       Jahrzehnttief sank, reduzierten verschiedene
betråchtliche Kosten eingespart werden, ins-      auslåndische Úlfirmen ihre geplanten Investi-
besondere in Aserbaidschan und Georgien.          tionen im kaspischen Raum drastisch. Dies
                                                  lag auch daran, dass die von den Weltmeeren
   Auf der ostkaspischen Seite zeichnete sich     abgeschnittene kaspische Region fçr schweres
1997 etwas ab, das im neuen Jahrhundert eine      Bohrgeråt besonders mçhsam zu erreichen ist
wachsende Rolle spielen sollte. China, das        und deshalb mangels ausreichenden Geråts
1994 zum Nettoimporteur von Erdæl wurde,          die Erkundungsbohrungen ohnehin nur lang-
bemçhte sich um Zugang zu kaspischem              sam vorankamen. Mit der Wiedergewinnung
Erdæl. Der chinesische Ministerpråsident Li       der Mitte der achtziger Jahre verloren gegan-
Peng und der kasachische Pråsident Nursultan      genen Kartellmacht der OPEC, die auf Mårz
Nazarbaev unterzeichneten am 24. September        1999 datiert werden kann, als zum ersten Mal
1997 einen Vertrag, der fçr China die bis dahin   wieder çber Mengenbegrenzungen Preisstei-
græûte Auslandsinvestition bedeutete. Fçr         gerungen durchgesetzt werden konnten, kam
9,5 Milliarden US-Dollar wollte China die         es zu einer dauerhaften Anhebung des Erdæl-
Erschlieûungsrechte çber das ostkaspische         preises, gefolgt von einer nicht mehr kçnstli-
Uzen-Feld sowie kleinere Felder nahe Aktobe       chen Verknappung des Erdælangebots im Ver-
erwerben und von dort eine 3 000 km lange         gleich zu der unerwartet hohen globalen
Pipeline nach Westchina bauen. Diese Pipeline     Nachfragesteigerung.
sollte auf eine Jahreskapazitåt von 25 Millio-
nen Tonnen ausgelegt sein. Das Pipelinepro-         Folgende Ereignisse stehen fçr diese Ent-
jekt kam bald danach aus Kostengrçnden zum        wicklung. Erstens, der 11. September 2001
Stillstand. Es war billiger, Erdæl auf dem See-   warf die Frage auf, ob die nun zunehmend als
weg vom Persischen Golf und aus anderen Re-       ¹Græûerer Mittlerer Ostenª (Greater Middle
gionen zu importieren, wenngleich die Versor-     East) genannte Region ± also vor allem die Re-
gung Westchinas auf Dauer eine verbesserte        gion des Mittleren Ostens und des Kaspischen
Infrastruktur erfordert.                          Meeres, die zusammen mit den Energieståtten
                                                  Russlands bis nach Westsibirien als ¹Strategi-
  Zweifelsohne haben sich in den neunziger        sche Ellipseª bezeichnet wurde ± weiterhin
Jahren die groûen Måchte Russland, USA
und China in die Errichtung einer Infrastruk-      6 Hierzu gehært die sorgfåltige Arbeit von Mehdi

tur zum Transport der kaspischen Energie-         Parvizi Amineh, Globalisation, Geopolitics and Ener-
ressourcen intensiv eingemischt und damit ei-     gy Security in Central Eurasia and the Caspian Region,
                                                  The Hague 2003. Anmerkung der Redaktion: Siehe
gene Interessen verfolgt. Dabei wurden auch
                                                  auch den Beitrag des Autors in dieser Ausgabe.
projektbezogene Koalitionen geschmiedet            7 In diese Richtung bewerte ich das Buch Lutz Kleve-
und, wenngleich sich der genaue Einblick          man, Der Kampf um das Heilige Feuer ± Wettlauf der
dem Analysten zumeist entzieht, auch Druck        Weltmåchte am Kaspischen Meer, Berlin 2002.

                                                                                        APuZ 4/2006        7
politisch hinreichend stabil sei, um die Versor-                 Ende gehenden Reserven in allen Nachfrage-
               gung der Weltwirtschaft insbesondere mit                         regionen ist jedes Angebot auûerhalb des
               Erdæl, aber auch mit Erdgas zu gewåhrleisten.                    Mittleren Ostens von groûem Interesse. Im-
               Da diese Frage nicht positiv beantwortet wer-                    merhin ist Kasachstan nach der Golfregion
               den konnte, bot sich ein verstårkter Ansatz fçr                  mit ihren fçnf groûen Reservelåndern (Saudi-
               spekulative Geschåfte um den Erdælpreis.                         Arabien, Iran, Irak, Kuweit, Vereinigte Ara-
               Zweitens, die Sanktionen gegen Irak und der                      bische Emirate) sowie dem OPEC-Land Ve-
               Krieg im Frçhjahr 2003 und seine Folgen der                      nezuela und Russland der erdælreichste Staat
               Instabilitåt zeigten, dass dieses an Erdælreser-                 der Welt (Tabelle 2).
               ven drittreichste Land der Welt auf absehbare
               Zeit weit hinter seinen Produktionsmæglich-
               keiten und der realen Produktion der siebziger                   Tabelle 2: Kaspische Ölreserven im globalen Kontext (2004)
               und achtziger Jahre zurçckbleibt. Drittens                                  Milliarden Fass
               haben sich China und andere asiatische                                                                     Reserven                Anteil an Weltreserven
               Schwellenlånder in einer Weise als Nachfrager                    Aserbaidschan                                 7,0                           0,6 %
               auf den globalen Erdælmårkten zu Wort ge-                        Kasachstan                                   39,6                           3,3 %
               meldet, wie sie keine seriæse Prognose voraus-                   Turkmenistan                                   0,5                              –
               gesehen hatte. China allein ist fçr 30 Prozent                   Kaspische Region                             47,1                           4,0 %
                                                                                Mittlerer Osten                             733,9                         61,7 %
               des globalen Erdælnachfragewachstums zwi-
                                                                                Venezuela                                    77,2                           6,5 %
               schen den Jahren 2000 und 2004 verantwort-                       Russland                                     72,3                           6,1 %
               lich. 8 2004 war diese globale Nachfrage hæher                   Libyen                                       39,1                           3,3 %
               als im gesamten Jahrzehnt davor.                                 Nigeria                                      35,3                           3,0 %
                                                                                USA                                          29,4                           2,5 %
Tabelle 1: Konzentration der Ölreserven (2004)                                  China                                        17,1                           1,4 %
           Milliarden Fass                                                      Welt                                      1188,6                         100,0 %
                                                                                Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2005, S. 4.
                                                     Anteil an
                              Reserven              Weltreserven   R/P* Jahre
Mittlerer Osten                   734                    62 %         82
Lateinamerika                     116                    10 %         30           Da unter den groûen Erdælregionen der
Afrika                            112                     9%          33        Welt die kaspische Region ein Spåtentwickler
Russland                           72                     6%          21
                                                                                ist, stellt sie neben der Golfregion die welt-
Kaspische Region                   47                     4%          71
Asien/Pazifik                      41                     3%          14
                                                                                weit einzige dar, von der erwartet wird, dass
USA/Kanada                         46                     4%          13
                                                                                sie ihren Anteil an der Weltversorgung stei-
Europa                             19                     2%           8        gern wird. Auch dies fçhrt zu einem wieder
Welt                            1 189                   100 %         41        wachsenden Interesse an den Úlschåtzen der
Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2005, S. 4.                 Region. Ein neues Machtspiel zeichnet sich
                                                                                deshalb ab. Der Blick fållt aber anders als in
                                                                                den neunziger Jahren nicht mehr vor allem
                 Schlieûlich viertens, zeigt Tabelle 1, wie
                                                                                auf die USA und Russland, sondern auf
               sehr sich die Reservesituation auf die Region
                                                                                China und Iran. China hat im September
               des Mittleren Ostens verengt hat, weil dort
                                                                                2004 die Plåne zum Bau der zunåchst aller-
               ein viel geringerer Anteil der Reserven fçr die
                                                                                dings nur 998 km langen Pipeline von Ka-
               Produktion entnommen wurde als andern-
                                                                                sachstan nach Westchina wieder aufgenom-
               orts. Das heiût, die Produktion der heute be-
                                                                                men und baut diese mit hohem Tempo. Sie
               kannten gesicherten Erdælreserven kænnte
                                                                                soll 2006 in Betrieb genommen werden. Iran
               am Persischen Golf fçr çber achtzig Jahre
                                                                                wiederum nutzt seinen Streit mit den westli-
               aufrechterhalten werden, wåhrend sie an-
                                                                                chen Låndern çber sein Atomprogramm, um
               dernorts sehr viel frçher zur Neige geht ± mit
                                                                                sich aus der Isolation gegençber den postso-
               Ausnahme der Kaspischen Region.
                                                                                wjetischen Låndern zu befreien. Es wåre
                                                                                nicht verwunderlich, wenn in einem wçn-
                 Diese Region birgt zwar im Vergleich zum
                                                                                schenswerten Kompromiss die amerikani-
               Mittleren Osten nur etwa ein fçnfzehntel so
                                                                                schen Sanktionen bezçglich der infrastruktu-
               viel Erdælreserven, doch angesichts der zu
                                                                                rellen Verbindung zwischen Iran und seinen
                                                                                nærdlichen Nachbarn aufgehoben wçrden
               8 Vgl. BP Statistical Review of World Energy, London             oder nicht mehr aufrechtzuerhalten wåren
               2001 und 2005.                                                   (Tabelle 3).

        8        APuZ 4/2006
Tabelle 3: Weltölproduktion                                                                   So gçnstig die Bedingungen sind, unter
           Millionen Fass pro Tag                                                          denen kaspisches Erdæl zum græûten Teil nach
                                  2000                                2030
                                                                                           Europa gelangt, so ungçnstig sind sie bei Erd-
                                                                                           gas. Dabei liegt der Anteil an den Weltreserven
                                      Anteil an Welt-                    Anteil an Welt-
                     Produktion        produktion           Produktion    produktion       beim Ergas mit acht Prozent doppelt so hoch
OECD                     21,2              28,0 %              12,8           11,0 %       wie beim Erdæl, das nur vier Prozent umfasst
Russland                  6,5               9,0 %               9,5            8,0 %       (Tabelle 4). Die Ansåtze in der zweiten Hålfte
Kaspische                                                                                  der neunziger Jahre, eine leistungsfåhige Erd-
Region                     1,6              2,0 %               5,4              4,5 %
                                                                                           gasleitung von Turkmenistan çber Iran und die
Afrika                     2,8              4,0 %               4,4              4,0 %
                                                                                           Tçrkei nach Europa zu legen, sind zum einen
Persischer
Golf                     23,1              31,0 %              52,3           44,0 %       wegen der amerikanischen Bedenken gegen
OPEC                     28,7              38,0 %              64,9           54,0 %       das Transitland Iran und den fehlgeschlagenen
Total                    75,0             100,0 %             120,0          100,0 %       Bemçhungen um eine transkaspische Erdgas-
Quelle: IEA, World Energy Outlook, 2004, S. 155.                                           leitung, und zum anderen wegen der deutschen
                                                                                           Fixierung auf Russland als bevorzugtem Liefe-
                 Wie immer neue Begehrlichkeiten gegen-                                    ranten nicht ernsthaft verfolgt worden. Dabei
              çber dem kaspischen Erdæl entstehen, die In-                                 kann in Turkmenistan kostengçnstiger produ-
              frastruktur hat sich in den letzten zehn Jahren                              ziert werden als im nordwestlichen Sibirien,
              so weit entwickelt, dass vermutlich auf weite-                               und die Entfernung von Europa ist auch nicht
              re Jahrzehnte die Handelsstræme vorgegeben                                   græûer. Russland hat dagegen in den neunziger
              sind. Denn Pipelines sind Investitionen, die                                 Jahren turkmenisches Erdgas boykottiert in
              sich amortisieren mçssen. Konkret heiût dies,                                dem Wissen, dass das leitungsabhångige turk-
              dass China als Spåteinsteiger darauf achten                                  menische Erdgas çber keine quantitativ rele-
              muss, wo noch freie Kapazitåten verfçgbar                                    vante Alternative zu dem von Russland kon-
              sind. Die beiden wirklich groûen Pipelines                                   trollierten postsowjetischen Netz verfçgte. So
              CPC und BTC fçhren nach Westen zum                                           ist die Erdgasproduktion in Turkmenistan in
              Schwarzen Meer und Mittelmeer. Da Russ-                                      den neunziger Jahren mangels Transportmæg-
              land selbst ein Nettoexporteur ist und des-                                  lichkeiten auf ca. 20 Prozent des Standes von
              halb kein Interesse am Import dieser Erdæl-                                  1990 heruntergefahren worden. Anfang des
              mengen hat, ist Europa die Region, in die am                                 neuen Jahrhunderts hat Gazprom jedoch sein
              gçnstigsten exportiert werden kann und in                                    Interesse an turkmenischem Gas entdeckt, da
              der deshalb das meiste kaspische Úl gekauft                                  aus Kapitalmangel die Erdgasproduktion in
              wird. Der Mythos, dass die USA sich in der                                   Russland nicht so gesteigert werden konnte,
              Region so sehr engagiert haben, um das kas-                                  wie dies der vor allem europåischen Nachfrage
              pische Úl fçr den eigenen Verbrauch zu si-                                   entsprach.
              chern, widerspricht aller ækonomischer und
              sicherheitspolitischer Vernunft. Fçr die USA                                   Deshalb wurde vom russischen Pråsidenten
              ist es um ein Vielfaches gçnstiger, die Úl-                                  Vladimir Putin die Eurasische Gasallianz ins
              transporte aus dem Persischen Golf oder aus                                  Gespråch gebracht, die dazu fçhren soll, dass
              Westafrika militårisch zu sichern, und auch                                  Russland den Transport, aber auch die volle
              die Exportkosten sind dort niedriger.                                        Kontrolle çber Erdgas im postsowjetischen
Tabelle 4: Erdgasreserven – die Hauptregionen                                              Raum çbernehmen will. Turkmenistan und
           Milliarden m3                                                                   Kasachstan sollten ausschlieûlich mit Russ-
                                         Reserven                     R/P* Jahre           land Liefervertråge abschlieûen, Russland
Mittlerer Osten                            71,7                        > 200,0             entscheidet dann çber den Transport in Russ-
davon Iran                                 26,7                                            land und gegebenenfalls ins europåische Aus-
       Katar                               25,8                                            land. 2003 hat Gazprom mit Turkmenistan
Russland                                   47,0                           81,0             einen auf 25 Jahre ausgelegten Vertrag abge-
Afrika                                     13,8                           98,0
                                                                                           schlossen, der ab 2005 fçnf Milliarden Kubik-
Kaspische Region                             8,0                          63,0
Lateinamerika                                7,6                          49,0
                                                                                           meter und ab 2010 100 Milliarden Kubik-
Europa                                       7,3                          25,0             meter von Turkmenistan zur Lieferung
USA/Kanada                                   6,9                           9,5             vorsieht. 9 Damit ist eine jåhrliche Menge
Andere                                     13,5                              –
Welt                                      175,8                           67,0             9 Vgl. Roland Gætz, Russlands Energiestrategie und

* Reserven bei jährlich Produktion (2003).                                                 die Energieversorgung Europas, Stiftung Wissenschaft
Quelle: BP Statistical Review of World Energy, June 2004.
                                                                                           und Politik, Berlin, Mårz 2004, S. 13.

                                                                                                                               APuZ 4/2006        9
erreicht, die Turkmenistans gesamtes Produk-                            gesichts der Renteneinnahmen aus Energie-
       tionspotenzial umfasst. Damit erçbrigt sich                             verkåufen ist die Korruption und damit die
       der Bau einer leistungsfåhigen Pipeline von                             Verhinderung eines breiten gesellschaftlichen
       Turkmenistan nach Westen, aber auch nach                                Wohlstandes noch stårker ausgeprågt als in
       Osten, eine von den USA in den neunziger                                den Nachbarlåndern. Der Konzentration der
       Jahren verfochtene Idee, welche Afghanistan                             Wirtschaft auf den Erdælsektor und der Ver-
       in die Pipelineinfrastruktur einbinden und                              hinderung einer ausgewogenen Wirtschafts-
       Pakistan und Indien miteinander verbinden                               struktur (ein als ¹Hollåndische Krankheitª
       sollte. Letzteres Vorhaben wird nun durch                               bezeichnetes Phånomen) wird in diesen Staa-
       eine vereinbarte Pipeline von Iran çber Pakis-                          ten viel zu schwach entgegengewirkt. Dage-
       tan nach Indien verwirklicht. Aserbaidschan                             gen werden nationalistische Tendenzen gefær-
       hat sich dem russischen Zugriff dank seiner                             dert, wie zum Beispiel die Ankçndigung in
       geografischen Lage entziehen kænnen, doch                               Aserbaidschan, zusåtzliche Einnahmen in den
       die von dort zu erwartenden Færdermengen                                militårischen Bereich zu investieren, um die
       an Erdgas sind im Vergleich zu Turkmenistan                             besetzten Gebiete zurçckzuerobern.
       und Kasachstan nicht von allzu groûer Be-
       deutung. Ohne Zweifel ist aus diesem Inte-                                 Dies alles hat wenig mit dem vermuteten
       ressenspiel Russland als Sieger hervorgegan-                            ¹great gameª zu tun. Die åuûeren Måchte
       gen. Dies lag vor allem daran, dass weder die                           hindern Kasachstan, Turkmenistan und Aser-
       USA noch Europa sich ernsthaft fçr ein Ge-                              baidschan nicht daran, mit dem aus Energie-
       genmodell engagiert haben. Dabei bråuchte                               verkåufen erworbenen Geld eine Entwick-
       Europa angesichts eines dramatischen An-                                lung zum Schwellenland und gar zu einem
       stiegs des Importanteils an seinem Verbrauch                            westlichen Lebensniveau zu beschreiten. Die
       (Tabelle 5) dringend zusåtzliche Bezugsquel-                            Infrastruktur fçr den Energietransport hat
       len. Derzeit wird 65 Prozent des Erdgases,                              sich nach einem turbulenten Jahrzehnt weit-
       das aus auûereuropåischen Staaten nach Eu-                              gehend gefestigt. Sie folgt zum Teil ækonomi-
       ropa importiert wird, aus Russland bezogen.                             scher Vernunft, zum Teil massiven Interessen
                                                                               von åuûeren Måchten, zum Teil ist sie Ergeb-
                   Tabelle 5: Europas Gasversorgung                            nis der Unfåhigkeit der Anrainerstaaten des
             800
                                                                               Kaspischen Meeres, in mehr als zehn Jahren
                                                                               Verhandlungszeit zu einem Konsens çber den
             600
                                                                               Rechtsstatus des Kaspischen Meeres zu gelan-
                                                                               gen. All dies ist im historischen Vergleich
                                                                               nichts Ungewæhnliches. Bedauerlich ist dage-
       bcm

             400
                                                                               gen das geringe Engagement der Europåer,
             200
                                                                               sich in diese historische Phase der Struktur-
                                                                               bildung einzuklinken, und vor allem die Un-
               0
                                                                               fåhigkeit der jungen Staaten selbst, das Ge-
                    1980      1990       2002       2010      2020      2030   schenk ihres Ressourcenreichtums fçr eine
                                   Production             Net imports          Staatsbildung zu nutzen, die der Bevælkerung
       Quelle: IEA, World Energy Outlook, 2004, S. 155.                        und der langfristigen Entwicklung besser zu-
                                                                               gute kommt.

Ausblick
       Angesichts des schwindenden Erdælangebots
       wird der kaspische Raum als energiereiche
       Region an Bedeutung gewinnen. Auch wer-
       den die Staaten durch ihre Einnahmen aus
       Energieverkåufen stårker prosperieren als
       ihre Nachbarn, die nicht çber die entspre-
       chenden Energiereserven verfçgen. Die in
       weiten Teilen des postsowjetischen Raums er-
       kennbaren Rçckschlåge im Demokratisie-
       rungsprozess finden aber auch hier statt. An-

  10     APuZ 4/2006
Mehdi P. Amineh           men, ist damit ein essentieller Faktor in der
                                                           Machtprojektion von Staaten geworden. 2

          Die Politik der                                     Seit dem Fall der Sowjetunion ist weltweit

           USA, der EU
                                                           eine unipolare militårische Machtstruktur
                                                           entstanden. Sie besteht aus den drei wirt-
                                                           schaftlichen Kernregionen Nordamerika,

          und Chinas in                                    Westeuropa sowie Ost- und Sçdostasien.
                                                           Davor gab es lediglich ein wirtschaftliches
                                                           Kerngebiet, bestehend aus der Atlantischen

            Zentralasien                                   Allianz zusammen mit Japan und unter Ein-
                                                           beziehung von Taiwan und Sçdkorea in Ost-
                                                           asien. Das Wirtschaftswachstum dieser bei-
                                                           den Randgebiete Eurasiens wurde von der

         D       er Fall der Sowjetunion und das Ende
                 des Kalten Krieges, der Globalisie-
          rungsprozess und die Entwicklungen in der
                                                           Atlantischen Allianz gefærdert und sollte der
                                                           Sicherheit der westlichen Welt zugute kom-
                                                           men. Hier ist nun offensichtlich eine Verån-
          Informations- und Kommunikationstechno-          derung eingetreten. Seit dem Aufstreben
          logie haben zu einer Neudefinition des Kon-      Chinas ± nach den Vereinigten Staaten der
          zepts ¹Geopolitikª beigetragen. Mit dem Fall     zweitgræûte Erdælkonsument der Welt mit
          der Sowjetunion sind nicht nur acht unabhån-     rasanter industrieller Entwicklung und den
                                  gige Staaten in Zen-     Bestrebungen nach Regionalisierung auch in
                                  tralasien entstanden;    Ostasien ± gehen Wirtschaftswachstum und
                Mehdi P. Amineh                            Sicherheit nicht mehr Hand in Hand. Der
                                  zugleich ist auch ein
     Dr. phil., geb. 1961; Senior                          Strukturwandel der frçheren Staatenordnung
                                  gesamtes      Weltord-
   Research Fellow und Direktor                            und die damit verbundenen Verånderungen
                                  nungskonzept      çber
    des Energy Programme Asia                              in der Weltwirtschaft bilden fçr die Regie-
                                  das geopolitische Ver-
 (EPA) am International Institute                          rung von US-Pråsident George W. Bush den
                                  ståndnis von Identitåt
        for Asian Studies (IIAS),                          politischen Handlungsrahmen seiner Macht-
                                  im politischen Raum
Universität Leiden, Niederlande.                           projektion auf die Region ¹Greater Middle
                                  auseinander gefallen.
             m.p.amineh@uva.nl                             Eastª. Die Vereinigten Staaten haben es sich
                                  Im Gegensatz zum
                                  traditionellen   Kon-    zum Ziel gesetzt, diese Region zu demokrati-
          zept der Geopolitik ± der so genannten realis-   sieren, gegebenenfalls sogar mit Gewalt. Sie
          tischen Schule der Internationalen Beziehun-     unterliegt bereits faktisch US-amerikanischer
          gen ±, das den Staat als wesentlichen Akteur     Autoritåt.
          in einer anarchischen Weltordnung begreift,
          lehnt die Schule der ¹kritischen Geopolitikª        Die Politik der Machtprojektion beinhaltet
          oder ¹Neo-Geopolitikª 1 jegliche staatszen-      Kontrolldimensionen çber die Staatsgrenzen
          trische Analyse ab. Im neo-geopolitischen        industrialisierter und industrialisierender Ge-
          Verståndnis gehæren nichtstaatliche Akteure      sellschaften hinaus und ist die entscheiden-
          wie multinationale Unternehmen, terroristi-      de Kraft im Ûbergangsprozess einer Welt, in
          sche Gruppen, Regierungs- und Nichtregie-        der einzelne Gesellschaften zu einer einzigen
          rungsorganisationen genauso zum Konzept          Weltgemeinschaft des globalen Kapitalismus
          der Geopolitik wie Staaten.
                                                            1 Zum Konzept der kritischen Geopolitik vgl.
           Ein wichtiger Bestandteil der gegenwårti-
                                                           Mehdi P. Amineh/Henk Houweling, The crisis in IR ±
         gen internationalen Politik ist der Wettstreit
                                                           Theory: Towards a Critical Geopolitics Approach, in:
         zwischen Staaten und multinationalen Unter-       M. P. Amineh/H. Houweling (Eds.), Central Eurasia in
         nehmen um Erdæl- und Erdgasreserven in der        global politics: Conflict, Security and Development,
         Welt. Das Ûberleben eines Landes und seiner       Leiden ± Boston 20052, S. 1± 21; G. Tuathail/S. Dalby,
         Gesellschaft, wirtschaftliche Dynamik und         Rethinking Geopolitics, London 1998.
                                                            2 Vgl. M. P. Amineh/H. Houweling, Caspian Energy:
         technologische Innovation hången heute von
                                                           Oil and Gas Resources and the Global Market, in:
         den Energieressourcen Erdæl und Erdgas ab         Dies. (Eds.), ebd., S. 77 ±92; M. P. Amineh, Globalisa-
         und nicht mehr von einem groûen Militårap-        tion, Geopolitics and Energy Security in Central
         parat. Zugang zu den Erdæl- und Gasreserven       Eurasia and the Caspian Region, Den Haag 2003,
         eines Landes oder einer Region zu bekom-          S. 57 ±69.

                                                                                                  APuZ 4/2006        11
zusammenwachsen. Die Ziele der Machtpro-                  Die Kosten zum Erhalt der sozialen Ord-
       jektoren werden vom Raum und der Zeit der              nung steigen, sobald die Legitimitåt ab-
       Machtprojektion, den ihnen zugesprochenen              nimmt. Dies gilt auch fçr die internationale
       Ressourcen und dem Zielland oder der Ziel-             Ordnung. Die amerikanische Auûenpolitik
       region, welche(s) der Machtprojektor unter             stçtzt sich seit der Pråsidentschaft von Ro-
       seine Kontrolle bringen will, bestimmt.                nald Reagan vor allem auf militårische
                                                              Macht und das ¹Erkaufenª von Freunden.
          Das post-sowjetische Zentralasien ist eine          Eine ¹Koalition der Willigenª beruht auf in-
       solche Zielregion. 3 Seit Ende des Kalten              dividuellen Vorteilen, wåhrend eine nachhal-
       Krieges hat sich seine Stellung in der Welt-           tige soziale Ordnung von Legitimitåt, kol-
       ordnung veråndert, wie auch die sozioækono-            lektiven Vorteilen und der Achtung von un-
       mischen und ideologischen Kråfte, die in               terschiedlichen Identitåten gekennzeichnet
       diese Region von auûen eindringen. In Zen-             ist. Die USA scheinen nicht mehr in der
       tralasien treffen die rivalisierenden Machtpro-        Lage zu sein, Eliten in strategischen Gebie-
       jektionen der Vereinigten Staaten, der EU,             ten zu vereinen. Auch eine von auûen und
       Chinas und auch Russlands, Irans und Japans            mit Militårgewalt aufgezwungene ¹Demo-
       aufeinander. Bei politischen und wirtschaftli-         kratieª im ¹Greater Middle Eastª åndert
       chen Ûberlegungen fçr Zentralasien mçssen              daran nichts. Unter US-Pråsident Jimmy
       amerikanische, europåische und chinesische             Carter beschåftigten sich die Vereinigten
       Politiker darauf achten, dass sich im jeweils          Staaten zum ersten Mal intensiv mit Afgha-
       eigenen Land die Langzeitziele in der Auûen-           nistan. Sie bewaffneten sechs Monate vor
       und Sicherheitspolitik (æffentlicher Raum)             dem Einfall der Sowjets die Mudschaheddin,
       und die (kommerziellen) Kurzzeitinteressen             die daraufhin russische Dærfer im Grenzge-
       im privaten Raum miteinander vertragen.                biet beschossen. Nach Zbigniew Brzezinski
       Nach dem Untergang der Sowjetunion                     haben sie mit dieser beabsichtigten Strategie
       scheint sich die Staatsråson sowohl in Frie-           die Invasion der Sowjets in Afghanistan pro-
       dens- als auch in Kriegszeiten nicht nur zu            voziert, die hier ihr eigenes ¹Vietnamª fin-
       kommerzialisieren, sondern vor allem zu pri-           den sollten. Der Krieg in Afghanistan
       vatisieren. 4                                          brachte hohe Verluste an Kriegsmaterial und
                                                              ± weitaus schlimmer ± auch 1,8 Millionen af-
                                                              ghanische Tote, 2,6 Millionen Flçchtlinge
Amerikanische Auûenpolitik                                    und 10 Millionen Landminen. US-Pråsident
                                                              George Bush Senior stellte 1990/91 noch den
nach dem Kalten Krieg                                         ¹status quo anteª wieder her, indem er die
                                                              Iraker aus Kuwait vertrieb, aber das ge-
       Die neue Weltordnung, die sich nach dem
                                                              schwåchte Regime von Saddam Hussein an
       Fall der Sowjetmacht allmåhlich herauskris-
                                                              der Macht lieû. US-Pråsident George W.
       tallisiert hat, ist gekennzeichnet von militåri-
                                                              Bush Junior dagegen hat den Weg einer
       scher Unipolaritåt, wirtschaftlicher Tripolari-
                                                              neuen Weltordnung eingeschlagen. Diese
       tåt und einer Neudefinition von Identitåt.
                                                              Ordnung enthålt Elemente aus der Zeit vor
       Die USA sind die unbestrittene Militårmacht
                                                              dem Kalten Krieg, die sich aber bereits unter
       der Welt. Ihre Militårausgaben waren 2004
                                                              Pråsident Reagan abzeichneten. Zwei dieser
       betråchtlich hæher als das gesamte Bruttoin-
                                                              Elemente sollen hier genannt werden:
       landsprodukt Russlands. Insgesamt betragen
       die Militårausgaben der Vereinigten Staaten
                                                                Erstens sehen sich die Vereinigten Staaten
       nicht mehr als 4 Prozent ihres eigenen Brut-
                                                              von Amerika in der Rolle des Erlæsers, wel-
       toinlandproduktes. Auch die Beziehung zwi-
                                                              cher der Menschheit den Weg in eine bessere
       schen militårischer Macht und Kontrolle çber
                                                              Zukunft weist. Auch die Regierung von US-
       Freund und Feind hat sich seit dem Vietnam-
                                                              Pråsident Bill Clinton machte wiederholt
       krieg veråndert.
                                                              deutlich, auf der ¹guten Seiteª der Geschichte
                                                              zu stehen. Der Historiker Francis Fukuyama
        3 Zentralasien umfasst die Regionen Zentralasien
                                                              hat diese Idee kurz und bçndig in seinem be-
                                                              rçhmten Essay ¹The End of Historyª folgen-
       (Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan,
       Usbekistan) und Sçdkaukasus (Armenien, Aserbaid-       dermaûen zusammengefasst: Mit dem Ende
       schan, Georgien).                                      des Kalten Krieges ist ein ¹Amerika des 19.
        4 Vgl. M. P. Amineh/H. Houweling (Anm. 1).            Jahrhundertsª auferstanden.

  12    APuZ 4/2006
Zweitens hat ein souveråner Staat das                   stan, Kirgisien und Georgien stationiert. Im
      natçrliche Recht auf einen Pråventivkrieg.                 Gegenzug bieten die Vereinigten Staaten die-
      Schon bei den Staatsphilosophen Hugo Gro-                  sen Låndern militårisches Training und Wirt-
      tius, Thomas Hobbes und John Locke gehær-                  schaftshilfe an. Neben der Militårpråsenz
      ten Naturrecht und Vælkerrecht zusammen.                   haben die Amerikaner weitere Initiativen er-
      Aus ihrer Lehre låsst sich folgern, dass ein               griffen, um eine engere Zusammenarbeit mit
      Land seiner natçrlichen Ressourcen beraubt                 Zentralasien aufzubauen. 1994 wurde die
      werden kann, solange seine Bewohner es                     NATO-Partnerschaft fçr den Frieden (Part-
      selbst nicht ausbeuten. Die praktische Seite               nership for Peace) gegrçndet, um die Zu-
      idealistischer Politik beinhaltet also stets das           sammenarbeit zwischen der NATO, den zen-
      Recht, Gebiete fçr wirtschaftliche Expansion               tralasiatischen Låndern und interessierten
      zu ¹æffnenª.                                               OSZE-Mitgliedslåndern auszuweiten. Neben
                                                                 dieser Partnerschaft hat die NATO einen Ak-
Die Politik der USA in Zentralasien                              tionsplan (Membership Action Plan) fçr die
                                                                 Lånder erarbeitet, die der NATO gerne bei-
      Die USA haben die Terroranschlåge vom                      treten wçrden. Eine weitere Initiative ist
      11. September 2001 dazu benutzt, ihr Ein-                  der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, ein
      flussgebiet auf Zentralasien auszudehnen, den              Forum fçr politische Beratungen zwischen
      Irak anzugreifen und somit eine neue Politik               NATO-Mitgliedslåndern, Mitgliedern der
      in den Låndern des ¹Greater Middle Eastª                   Partnerschaft fçr den Frieden und anderen
      umzusetzen. Zu dieser Politik gehært auch                  Låndern in Zentralasien wie Tadschikistan,
      die Privatisierung von Erdæl- und anderen                  das an keinem der Militårprojekte beteiligt
      Unternehmen. Doch beschrånkt sich das In-                  ist. 8 Die Machtprojektion der Vereinigten
      teresse der USA an Zentralasien nicht nur auf              Staaten in Zentralasien stæût auch auf Wider-
      die dortigen Erdæl- und Erdgasreserven, son-               stand in Form von Allianzen oder Interessen-
      dern richtet sich auch auf die geographische               gemeinschaften gegen die USA. Anzeichen
      Nåhe dieser Region zu Europa, dem Mittle-                  eines solchen anti-amerikanischen Blocks
      ren Osten und Asien (China). 5                             gibt es bei der Shanghai Cooperation Organi-
                                                                 sation (SCO) oder bei der von Russland un-
        Fçhrende Mitglieder des US-Central Com-                  terstçtzten Collective Security Treaty Orga-
      mand (USCENTCOM) wie z. B. der frçhere                     nization (CSTO). 9
      Generalkommandant Tommy Franks erklår-
      ten æffentlich, wie wichtig die zentralasiati-                Durch die militårische Zusammenarbeit
      sche Region im Kampf gegen Al-Qaida und                    und die Pråsenz amerikanischer Unterneh-
      im Krieg gegen den Irak sei. 6 Die Vereinigten             men in Zentralasien bekommen die USA Zu-
      Staaten bråuchten einen ståndigen Zugang                   gang zu den dortigen Erdæl- und Erdgasvor-
      zur Region, nicht als ståndigen Militårstçtz-              råten und sind damit weniger abhångig von
      punkt im traditionellen Sinne, sondern, wie                Erdæl aus der Golfregion.
      Verteidigungsminister Donald Rumsfeld es
      ausdrçckte, als ¹operating sitesª 7. Amerika-                 Die Vereinigten Staaten sind der græûte
      nisches Militår ist in Usbekistan, Tadschiki-              Erdælkonsument der Welt. Das Land er-
                                                                 reichte schon 1970 den Hæhepunkt seiner
       5 Vgl. ebd., S. 8±10.                                     Erdælproduktion. Im Jahre 2001 verbrauch-
       6 Testimony of Secretary Donald H. Rumsfeld an            ten die Amerikaner 19,6 Millionen Tonnen
      das Senate Appropriations Committee vom 23. 9.             Erdæl pro Tag und 22,6 Trillionen Kubik-
      2004; General Tommy Franks, USA, Ret. zus. mit             Feet Erdgas pro Jahr. Damit haben die Verei-
      M. McConnell, American Soldier, New York 2004.
      7 Radio Free Europe Radio Liberty vom 26. 2. 2004,
                                                                 nigten Staaten nicht nur den hæchsten pro-
      Bericht çber Rumsfelds Reisen nach Usbekistan und
      Kasachstan, US relations with Central Asia: Beth Jones      8 Vgl. M. P. Amineh, Caspian Energy: A viable Al-

      Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs,     ternative to the Persian Gulf, EIAS-Briefing Papers 03/
      Briefing to the Press, Washington, D. C., 11. 2. 2002      02, Brussels: The European Institute for Asian Studies
      www.state/gov/p/eur/rls/rm/2002/7946.htm;          R. N.   (EIAS), 2003.
      McDermott, Washington Vague on US Basing Plans in           9 Vgl. Russia reportedly seeking strategic axis, military

      Central Asia, in: Euoasna Daily Monitor vom 6. Au-         production cooperation, in: BBC Monitoring vom 2. 1.
      gust 2004; Envoy to Azerbaijan Upholds USA's Re-           2001; Foreign Minister discusses Bilateral ties with
      gional Policy, in: Zerkalo, Baku vom 11. 9. 2004, S. 15±   Chinese Official, in: IRNA News Agency vom 20. 2.
      17, in: BBC Monitoring vom 18. 9. 2004.                    2001.

                                                                                                          APuZ 4/2006         13
Kopf-Verbrauch an Energie, sondern auch         wurde, hat eine Långe von 1 730 km. Davon
     das hæchste Emissionsniveau. Schåtzungen        liegen 1 070 km in der Tçrkei. Die Baukosten
     zufolge wird der Verbrauch bis 2025 auf 28,3    betrugen 3 bis 4 Milliarden US-Dollar. Damit
     Millionen Tonnen Erdæl pro Tag und 34,9         ist die BTC-Pipeline bei weitem die teuerste
     Trillionen Kubik-Feet Erdgas pro Jahr anstei-   aller westlichen Optionen. Nach Meinung
     gen. Im Jahr 2000 importierten die Amerika-     der Umweltbewegung Caucasus Environ-
     ner bereits 53 Prozent ihres Erdælverbrauchs,   mental Network (CENN) ist die BTC aus
     ein Viertel davon kam vom Persischen Golf.      wirtschaftlicher und (umwelt-)politischer
     Im Jahr 2020 wird die Erdælimportabhångig-      Sicht nicht kosteneffektiv, weil die Nachfrage
     keit der Vereinigten Staaten voraussichtlich    der Tçrkei an Erdæl unzureichend steigen
     auf bis zu 60 Prozent gestiegen sein. Schon     wird. Die europåische Umweltgesetzgebung,
     diese Tatsachen lassen diese Region fçr die     die Korruption bestimmter Regierungen und
     USA als geopolitisch åuûerst wichtig erschei-   die Tatsache, dass die BTC durch sieben Kon-
     nen. Diversifikation von Energieimport ist      fliktgebiete fçhrt, 11 machen die Pipeline zu
     aber nicht das einzige Motiv amerikanischen     einem unsicheren Geschåft. Die Carnegie En-
     Engagements in der Region: alle potenziellen    dowment for International Peace und das
     Mitkonkurrenten der USA schæpfen aus den-       CATO Institut rieten vom Bau der BTC-
     selben Erdælquellen, und die liegen haupt-      Pipeline ab und schlugen alternative Pipelines
     såchlich am Persischen Golf. Eine wichtige      durch Russland und den Iran vor. Die Ameri-
     Herausforderung fçr die amerikanische           kaner sind aber fest entschlossen, gerade diese
     Politik ist es, eine Interessenkonvergenz       zwei Lånder zu umgehen. Die Schwesterpi-
     zwischen staatlichen und nichtstaatlichen       peline der BTC, die TCGP, verlåuft çber
     Akteuren herbeizufçhren, die an der Erdæl-      Turkmenistan via Baku in die Tçrkei und
     gewinnung, dem Transport und der Verarbei-      wird 2 bis 3 Milliarden US-Dollar kosten.
     tung und Verteilung von Energie beteiligt       Die an diesem Projekt beteiligten Erdælge-
     sind. Die Interessen der Erdælgesellschaften    sellschaften sind von der Realisierbarkeit der
     und die Energiepolitik von Regierungen sind     Pipeline çberzeugt. Doch sie hat in der russi-
     nicht immer dieselben. Besondere Aufmerk-       schen Blue Stream-Pipeline eine Konkurren-
     samkeit in der Energiepolitik und -versor-      tin. Diese verlåuft teilweise çber den Boden
     gung gilt dem Verlauf von Pipelines zum         des Schwarzen Meeres vom Russischen
     Transport von Erdæl und Erdgas. Die Verei-      Hafen Tuapse bis Samsun in der Tçrkei.
     nigten Staaten wollen nicht nur die Erdælge-    Auch diese Pipeline wurde vor allem von
     winnung aus Zentralasien kontrollieren, son-    Umweltorganisationen heftig kritisiert, da sie
     dern auch den Einfluss Russlands und Irans      ein groûes Risiko fçr Umweltschåden birgt.
     eindåmmen sowie die Erdælquellen in und         Merkwçrdigerweise hat Russland den Bau
     die Verschiffung aus der Region des Persi-      der TCGP-Pipeline aus Umweltschutzgrçn-
     schen Golfs verwalten und kontrollieren. 10     den abgelehnt, die Blue Stream-Pipeline aber
                                                     stillschweigend hingenommen. 12
        Pipelinediplomatie wird nicht von Trans-
     porteffizienz bestimmt. Pipelines erfordern
     groûe Investitionen çber einen Abschrei-                         Chinas Politik in Zentralasien
     bungszeitraum von Jahrzehnten. Private Ge-
     sellschaften haben sowohl die Technologie als   Im Jahre 2003 çberholte China Japan als
     auch das Kapital zur Erdælgewinnung und         zweitgræûter Erdælkonsument nach den Ver-
     zum Transport. Pipelinediplomatie erfordert     einigten Staaten, im Jahr 2010 kænnte es der
     eine aktive Teilnahme der Amerikaner bei        græûte Erdælimporteur der Welt sein. Eine
     Verhandlungen       zwischen   Unternehmen      der wichtigsten Ursachen fçr den rasanten
     untereinander und zwischen Unternehmen          Anstieg des Erdælkonsums in China ist die
     und Behærden. Die Baku-Tbilisi-Ceyhan           enorme Zunahme an Motorfahrzeugen, die
     (BTC)-Pipeline und die Trans-Kaspische-         sich nach Schåtzungen bis 2020 verfçnffachen
     Gas-Pipeline (TCGP), die beide sowohl           wird. Eine weitere Ursache ist die Tatsache,
     Russland als auch den Iran umgehen, illus-      dass China kaum Erfahrung mit Energiespar-
     trieren diese Verflechtungen. Die BTC-Pipe-     11 Diese sind: Nagorno-Karabakh, Sçdossetien, In-
     line, die offiziell am 25. Mai 2005 eræffnet    guschetien, Abchasien, Tschetschenien, Dagestan und
                                                     kurdisches Gebiet in der Tçrkei.
     10   Vgl. M. P. Amineh (Anm. 2).                12 Vgl. M. P. Amineh (Anm. 2), S. 197±199.

14    APuZ 4/2006
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