Aus Politik und Zeitgeschichte - 4/2006 23. Januar 2006 - Bundeszentrale für politische ...
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APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 4/2006 ´ 23. Januar 2006 Zentralasien Friedemann Mçller Machtspiele um die kaspische Energie? Mehdi P. Amineh Die Politik der USA, der EU und Chinas in Zentralasien Alexander Warkotsch Russlands Rolle in Zentralasien Asiye Úztçrk Die geostrategische Rolle der Tçrkei in Vorderasien Marie-Carin von Gumppenberg Markus Brach-von Gumppenberg Zur Rolle der OSZE in Zentralasien Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial Die Terroranschlåge des 11. September 2001 haben zu gravie- renden Verånderungen in der internationalen Politik gefçhrt. Die Region, welche von den Umbrçchen am stårksten betroffen war, ist Zentralasien. Dort prallen russische Groûmachtinteres- sen und imperiale Ansprçche der USA unmittelbar aufeinander. Im Zuge des globalen ¹Krieges gegen den Terrorismusª konnten sich die USA einen enormen geostrategischen Vorteil sowohl ge- gençber den anderen Groûmåchten Russland und China als auch der Europåischen Union verschaffen, indem sie in den ehemali- gen Sowjetrepubliken Stçtzpunkte einrichteten. Neben geostra- tegischen Interessen geht es auch um ækonomischen Einfluss, insbesondere aber um die kaspischen Úlvorråte. Dieses ¹Great Gameª entscheidet langfristig çber die Kontrol- le des Transportes von Erdæl und Erdgas. Der Verlauf der Pipe- lines unterstreicht ihre politische Bedeutung. So haben die USA ihren Einfluss geltend gemacht, damit sowohl die Baku-Tbilisi- Ceyhan-Pipeline (BTC) als auch die Trans-Caspian-Gas-Pipe- line (TCGP) um Russland und Iran herum verlaufen. Aus politi- schen Grçnden wurde die gefåhrlichere und teurere Route durch den Kaukasus bewusst in Kauf genommen. Bei der Ausgestaltung dieses Pipeline-Geflechts spielte die Tçrkei von Beginn an eine zentrale Rolle. Beide Routen enden in der Tçrkei: in Ceyhan und in Samsun. Das Land ist fçr den Wes- ten zur wichtigsten Energiedrehscheibe geworden. Diese Funk- tion kænnte die Tçrkei nutzen, um zwischen der arabisch-islami- schen Welt und der westlichen Staatengemeinschaft zu vermit- teln. Dadurch wçrde sich nicht nur ihr Handlungsspielraum erhæhen, sondern das Land kænnte im vorderasiatischen Raum auch stabilisierend wirken. Ludwig Watzal
Friedemann Mçller weit neuen Entdeckungen. In Russland wurde Erdæl an der Wolga, also nåher an den Machtspiele um groûen Industriezentren des Landes, ent- deckt, so dass die kaspischen Ressourcen trotz Produktionswachstums relativ an Be- die kaspische deutung verloren. Doch der Mythos blieb. Im Zweiten Weltkrieg nahm die Wehrmacht die Energie? Erdælquellen von Baku ins Visier und wurde nicht weit davor vernichtend geschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag fçr die So- wjetunion die Bedeutung des Erdæls von Baku und dem Nordkaukasus mehr darin, M achtspiele um kaspische Energie sind so alt wie die Geschichte des moder- nen Erdælzeitalters, dessen Beginn um die dass dort die Industrieanlagen fçr die Ausrçs- tung zur Erdælerschlieûung und Ausbil- dungsståtten fçr die Ingenieure angesiedelt Mitte des 19. Jahrhunderts angesetzt wird. waren. Der Anteil des Erdæls an der sowjeti- Dabei ist die Gier nach kaspischem Erdæl schen Produktion nahm jedoch weiter ab. Al- noch viel ålter, doch sind die Machtspiele frç- lerdings wurden in Kasachstan und dem çbri- herer Jahrhunderte unzureichend dokumen- gen Zentralasien neue Erdælregionen er- tiert. Bohrungen wurden bereits im 10. Jahr- schlossen, die sich aber ebenfalls nicht mit hundert in bis zu zwælf Metern Tiefe vor- dem groûen Projekt in Westsibirien messen genommen, um den konnten. Doch gewannen die Erdgasfelder in wertvollen Rohstoff Turkmenistan, zum kleineren Teil auch in Us- Friedemann Mçller bekistan und Kasachstan, an Bedeutung. 1990 Erdæl zu gewinnen. 1 Dr. rer. pol., geb. 1943; Leiter trug Turkmenistan etwa 15 Prozent zur Ge- Doch das moderne der Forschungsgruppe Globale samtproduktion der Sowjetunion, dem mit Erdælzeitalter ist mit Fragen der Stiftung Wissen- Abstand græûten Erdgasproduzenten der der Industrialisierung schaft und Politik (SWP), Lud- Welt, bei. Zu dieser Zeit zeichnete sich auch und Motorisierung wigkirchplatz 3 ±4, 10719 Berlin. ein neuer Erdælboom in Kasachstan ab, denn der neueren Ge- friedemann.mueller@swp- in der Region Tengiz, am nærdlichen Ostufer schichte verbunden, berlin.org des Kaspischen Meeres, wurde das damals und im Zuge dessen wurde eine relativ græûte unerschlossene Erdælfeld der Welt kleine Flåche um Baku in der zweiten Hålfte entdeckt. des 19. Jahrhunderts zur Boomregion fast amerikanischen Ausmaûes. 1863 wurde dort So ist nicht verwunderlich, dass sich mit die erste Erdæl-Raffinerie eræffnet. Die Brç- der Unabhångigkeit der kaspischen Anrainer- der Ludwig und Robert Nobel lieûen sich in staaten Aserbaidschan, Kasachstan und Turk- Baku nieder und kauften 1875 das groûe Ba- menistan der Mythos der unermesslichen lachany Erdælfeld. Russland brçstete sich als Energieschåtze erneuerte. Der Titel von Ru- Kolonialmacht bei der Pariser Weltausstel- dyard Kiplings Roman ¹Great Gameª, der lung 1878 mit dem neuen Erdælzentrum und das imperialistische Gezerre zwischen Russ- dank Investoren mit internationaler Reputa- land und England in der zweiten Hålfte des tion floss mehr Kapital in die Region. So 19. Jahrhunderts beschreibt, hat wie kein an- kamen 1893 beispielsweise die Rothschilds deres Schlagwort die internationale Wahrneh- und gaben der Erdælgewinnung einen neuen mung der postsowjetischen Entwicklung die- Schub. Zwischen 1898 und 2003 wurde in ser Region geprågt. Die Úffentlichkeit sieht keiner Region der Welt mehr Erdæl produ- sich jetzt mit der Neuauflage eines recht un- ziert als im Raum Baku, im Jahr 1901 sollen appetitlichen Machtkampfes zwischen groûen hier sogar 50 Prozent der Weltproduktion ge- Måchten, diesmal Russland, USA und China, wonnen worden sein. Das architektonische in diesem Raum konfrontiert. Nur geht es Gesicht Bakus ist heute noch wie wohl keine nun nicht mehr um kolonialen Landgewinn, andere Stadt æstlich des Bosporus von dieser sondern um die begehrte Ressource Erdæl. Grçnderzeit geprågt. 1 Vgl. Michael P. Croissant/Bçlent Aras, Oil and Bald nach der Jahrhundertwende fçhrte die Geopolitics in the Caspian Sea Region, London 1999, Jagd nach dem flçssigen Treibstoff zu welt- S. 4. APuZ 4/2006 3
Zbigniew Brzezinskis Buch ¹The Grand Mit der ersten Erdælkrise Anfang der siebzi- Chessboardª 2 hat zu diesem Eindruck beige- ger Jahre wurden das bereits im Jahrzehnt tragen, doch mag auch er unterschåtzt haben, zuvor abgeschlossene Kapitel kolonialer Erd- dass die Globalisierung neue Spieler und ælausbeutungsvertråge durch ein neues Selbst- Spielregeln hervorbringt. Deshalb sollte die bewusstsein der energiereichen Staaten als derzeitige Erschlieûung der Energieressour- unabhångige internationale Akteure ersetzt. cen am Kaspischen Meer nicht aus dem Blick- Seitdem haben sich prinzipiell drei Vertragsop- winkel des 19. Jahrhunderts bewertet werden. tionen zur Erschlieûung von Erdæl- und Erd- Ohne Zweifel gibt es Einflussversuche, wel- gasressourcen herauskristallisiert: 3 erstens, die che eher an die Zeit vor den Weltkriegen erin- Erschlieûung durch eine staatliche (monopo- nern, doch alle Entwicklungen unter diesem listische) Erdælgesellschaft, wie dies zum Bei- Licht zu betrachten, wçrde die Analyse in spiel in Saudi-Arabien oder Mexiko der Fall eine schiefe Lage bringen. ist; zweitens die Erschlieûung durch auslåndi- sche Firmen, die gegebenenfalls mit inlåndi- schen im Wettbewerb stehen, wie in Kanada; Post-sowjetische Machtbildung in den drittens eine Kombination aus beidem, indem eine staatliche Erdælgesellschaft zusammen neunziger Jahren mit auslåndischen Gesellschaften die Erschlie- ûung betreibt. Letzteres trifft auf die neuen Fçr die neuen unabhångigen Anrainerstaaten kaspischen Staaten zu. Diese Kombination des Kaspischen Meeres Aserbaidschan, Ka- macht es mæglich, die Technologie und das sachstan und Turkmenistan boten die Ener- Management-Know-how von auûerhalb he- gieressourcen die beste Chance, sich nach ranzuziehen und doch zu einem hohen Grad Auflæsung der Sowjetunion Ende 1991 von an der Erschlieûung beteiligt zu sein. Das Ten- dem frçheren Kolonialherrn Russland unab- giz-Projekt ist das erste im post-sowjetischen hångig zu machen. Zieht man zum Beispiel in Raum, das sich dieses Modells bedient. Auf Betracht, wie sehr andere post-sowjetische diese Weise bleiben etwa 80 Prozent der Ge- Staaten wie die Ukraine, Moldawien oder winne im eigenen Land. Im Falle des Tengiz- auch Armenien wegen der Abhångigkeit von Projekts hat Chevron zugesagt, çber dreiûig Energielieferungen aus Russland in ihrer Be- Jahre lang ca. 20 Milliarden US-Dollar in die wegungsfreiheit begrenzt sind, so kann man Erschlieûung zu investieren. Dieses Groûpro- diese Ressourcen als durchaus segensreich fçr jekt und Folgeprojekte machten Kasachstan in den Unabhångigkeitsdrang der jungen Staa- den neunziger Jahren zu dem Land mit dem ten ansehen. Bereits drei Jahre vor Auflæsung hæchsten auslåndischen Investitionsanteil am begannen mit Duldung des damaligen Gene- Bruttosozialprodukt weltweit. ralsekretårs der KPdSU, Michail Gorba- tschow, Verhandlungen zwischen Vertretern Noch mehr internationales Aufsehen hat der (sowjetischen) Republik Kasachstan und das im September 1994 in Baku abgeschlos- der amerikanischen Firma Chevron um die sene ¹Jahrhundertprojektª erregt. Hier Erschlieûung des Tengiz-Feldes. Die Ver- wurde das Tengiz-Projekt weitgehend kopiert handlungen zogen sich wegen der Unerfah- mit der wesentlichen Ausnahme, dass als aus- renheit im Umgang mit privaten Unterneh- låndischer Partner nicht ein groûes Erdælun- men seitens der kasachischen Verhandler, ternehmen gewåhlt wurde, sondern ein Kon- aber auch wegen çberzogener Forderungen sortium aus elf Unternehmen (Azerbaijan In- und dem latenten Misstrauen in der Moskau- ternational Operating Company, AIOC), die er Zentrale, çber Jahre hin. Chevrons Vertre- sich gegenseitig politisch neutralisieren soll- ter wollten mehrmals die Verhandlungen be- ten. Unter Fçhrung von BP mit dem græûten enden. Doch nach Auflæsung der Sowjetuni- Anteil von 17 Prozent an dem Konsortium on wuchs auf der kasachischen Seite der wurden amerikanische, europåische, russi- Wille, zu einem Abschluss zu kommen, so sche, japanische Firmen und die aserbaidscha- dass im April 1993 schlieûlich ein Vertrag un- terzeichnet wurde, der fçr eine ganze Region Maûståbe setzen sollte. 3 Vgl. Jenik Radon, The ABCs of Petroleum Con- tracts: License-Concession Agreements, Joint Ventures 2 Zbigniew Brzezinski, The Grand Chessboard. and Production-sharing Agreements, in: Svetlana Tsa- American Primacy and Its Geostrategic Imperatives, lik/Anya Schiffrin (Eds.), Covering Oil, Open Society New York 1997. Institute, New York, S. 61±74. 4 APuZ 4/2006
nische staatliche Erdælfirma SOCAR einbe- Baku çber Grozny (Tschetschenien) zum zogen. Damit sollte verhindert werden, dass russischen Schwarzmeerhafen Novorossiisk. die auslåndischen Erdælfirmen als Interessen- Diese Pipelines sollten die russische Seite zu- vertreter der entsprechenden auslåndischen frieden stellen, Georgien als Transitland ein- Regierung wirken. Dies scheint in diesem wie beziehen und zugleich den Wunsch westlicher auch in weiteren Konsortialgeschåften gut ge- Staaten nach einer Route sçdlich von Russland lungen zu sein, denn die Firmen selbst sind abdecken. Mit dieser fçr alle Beteiligten vor- zwar an politischem Schutz durch ihre Hei- teilhaften Læsung wurde die Entscheidung matregierungen interessiert, nicht aber daran, çber die Verlegung der Hauptexport-Pipeline dass sie politische Interessen ihrer Regierun- fçr das erst spåter in groûen Mengen verfçgba- gen mitvertreten mçssen. Schlieûlich sehen re aserbaidschanische Erdæl auf einen spåteren sie sich in einem globalen Wettbewerb und Zeitpunkt vertagt. Dies bedeutete einen ge- dabei in erster Linie ihren Anteilseignern ver- schickten Schachzug seitens der USA, denn pflichtet. Deshalb kænnen politische Interes- mit amerikanischer Hilfe wurde die CPC- sen der eigenen Regierung hinderlich sein, Pipeline auf den Weg gebracht, die den Trans- wie dies bei amerikanischen Unternehmen in port des ostkaspischen Erdæls çber russisches der Region mit Blick auf die Iran-Sanktionen Territorium leitete. Zwar hatten sich die USA durchaus der Fall ist. zuvor intensiv darum bemçht, fçr das ost- kaspische Erdæl eine Russland ausschlieûende So geriet Chevron zwischen 1993 und 1997 Alternative zu konstruieren, nåmlich mittels unter groûen Druck, weil die ursprçnglich be- einer das kaspische Meer durchquerenden absichtigte Leitung des Tengiz-Erdæls nach Pipeline von Kasachstan nach Baku an die Sçden durch Turkmenistan und Iran zum Per- Westkçste. Doch wurde den amerikanischen sischen Golf von der US-Regierung unterbun- Unterhåndlern bald klar, dass Russland bei den wurde. Zugleich aber verbot sich die einzi- seiner Weigerung, eine solche Pipeline zuzu- ge Alternative, nåmlich das Erdæl çber Russ- lassen, am långeren Hebel saû. Es musste nur land zum Schwarzen Meer zu leiten, weil die die Bemçhungen um die Einigung der Anrai- russische Regierung nicht bereit war, als Tran- ner des Kaspischen Meeres auf dessen Rechts- sitland fçr den Erdæltransport des neuen Kon- status verzægern oder verhindern und zugleich kurrenten Kasachstan zur Verfçgung zu stehen. damit drohen, dass es einer transkaspischen Erst eine amerikanische Intervention, verbun- Verlegung einer Pipeline nicht zustimmen den mit einer Neuorganisation des CPC (Cas- wird, so wçrde angesichts der tatsåchlichen pian Pipeline Consortium) als Konsortium, militårischen Machtverhåltnisse im Kaspi- sorgte dafçr, dass Russland den Vorteil der schen Meer, in dem nur Russland çber eine Transitgebçhren hæher bewertete als die Rivali- starke Marine verfçgt, kein Investor wagen, tåt mit Kasachstan, das Russland nicht an der eine solche Pipelineverlegung durchzufçhren. Exploration des Tengiz-Feldes beteiligte. Da demnach Russland mit seiner CPC- Doch långst bevor 1997 das neue CPC ge- Pipeline nicht nur çber die leistungsstårkste grçndet und die leistungsfåhige CPC-Pipeline Pipeline des kaspischen Raumes verfçgt, son- (Kapazitåt anfangs 28 Millionen, Ausweitung dern damit auch Zugang zu dem erdælreiche- bis 67 Millionen Tonnen pro Jahr) im Oktober ren Ostteil des kaspischen Meeres hat, lag es 2001 endlich in Betrieb genommen werden nahe, die westkaspischen Produktionskapazi- konnte, hatte sich ein Interessengleichgewicht tåten fçr einen Transport zu reklamieren, der herausgebildet, welches die Transportinfra- Russland nicht einbezieht. Die USA bildeten struktur fçr lange Zeit prågen sollte. Unter der bereits 1996 eine Koalition mit der Tçrkei, die amerikanischen (Clinton-) Regierung wurde auf tçrkisches Drången zurçckzufçhren war. im Oktober 1995 fçr den Transport der kleine- Es ging den USA darum, einerseits zu verhin- ren Mengen des ¹frçhen Úlsª aus der Produk- dern, dass Iran ins Infrastrukturnetzwerk ein- tion des Jahrhundertgeschåfts in Baku eine bezogen wçrde, andererseits wollten sie die Doppellæsung gefunden: Eine Pipeline, die andere Mittelmacht in der Region, nåmlich von Baku zum georgischen Schwarzmeer-Ter- den NATO-Verbçndeten Tçrkei, stårken. Die minal Supsa fçhrt mit einer Kapazitåt von ca. USA brauchen die Tçrkei fçr Militårbasen sechs Millionen Tonnen pro Jahr (Fertigstel- mit Blick auf die Region des Mittleren Ostens. lung 1999) und eine Pipeline mit einer Kapazi- Sie fçhlten sich aber auch konkret der Tçrkei tåt von fçnf Millionen Tonnen pro Jahr von verpflichtet, weil diese den Mittelmeerhafen APuZ 4/2006 5
Ceyhan ausgebaut hatte, um irakisches Erdæl Bedingungen in Lagern. Der Versuch, den Bau çber eine Pipeline ± und damit unabhångig der Baku-Ceyhan-Pipeline zum Ausgangs- von dem empfindlichen Wasserweg durch den punkt einer Friedensregelung zu machen und Ausgang des Persischen Golfs (Straûe von den armenischen Megri-Korridor fçr eine Ver- Hormus) ± zum Weltmarkt zu leiten. Dieser kçrzung der gesamte Pipeline um ca. 300 km Hafen war wegen der im Irak-Kuweit-Krieg, zu nutzen, scheiterte. Bereits 1997 hat sich dem Zweiten Golfkrieg (1990/91), verhångten Aserbaidschan auf Georgien als Transitland Sanktionen der Vereinten Nationen kaum aus- festgelegt. Dies war auch deshalb ein effizien- gelastet. Insofern bot sich aus amerikanischer ter Schachzug, weil dadurch Georgien als Be- Sicht eine Pipeline von Baku nach Ceyhan an, fçrworter einer anderen Route ruhig gestellt um diesen Hafen besser auszunutzen. Die wurde. Diese andere und viel kostengçnstige- Tçrkei lebte nach Auflæsung der Sowjetunion re Læsung sah eine Hauptleitung parallel zur wåhrend der neunziger Jahre in einer Art pan- Pipeline des frçhen Erdæls von Baku nach tçrkischer Euphorie und bemçhte sich, die Supsa (Georgien) vor und von dort die Ver- turkståmmigen, ehemals sowjetischen Repu- schiffung des Erdæls entweder zur europå- bliken, zu denen auch die drei kaspischen An- ischen Schwarzmeerkçste oder durch den rainer gehæren, an sich zu binden. 4 Zwar Bosporus zum Weltmarkt. Doch die Europåer folgte dieser Euphorie eine gewisse Ernçchte- unterstçtzten diese ækonomisch sinnvolle Va- rung, weil sich die kulturellen Unterschiede riante nicht, und Georgien wurde mit der zu dem lange isolierten, sowjetisch geprågten Rolle des Transitlandes fçr die Pipeline nach Raum stårker als erwartet zeigten, und die Ceyhan abgespeist. machtpolitischen Einflussmæglichkeiten der Tçrkei begrenzt blieben. Doch als Investor ist Die zweite Hçrde fçr die nunmehr Baku- die Tçrkei in diesem Raum durchaus pråsent, Tbilisi-Ceyhan (BTC) genannte Pipeline lag und die infrastrukturelle Anbindung ist fçr in den enormen Kosten und technischen die Tçrkei gerade wegen der fehlenden ge- Schwierigkeiten, da die Leitung nicht nur meinsamen Grenze ± Georgien, Armenien çber eine Långe von mehr als 1 700 km, son- oder Iran muss durchquert werden, um nach dern auch çber mehr als 2 000 Meter hohe Aserbaidschan oder gar nach Zentralasien zu Gebirge in der Tçrkei gefçhrt werden musste. gelangen ± besonders wichtig. Allerdings Mit der Kostenfrage brachte sich die russi- mussten çber den Zeitraum von fast einem sche Seite wieder ins Gespråch, indem sie Jahrzehnt viele Steine aus dem Weg geråumt argumentierte, dass im Zeitalter der Global- werden, 5 bis die Pipeline mit ihrer Kapazitåt isierung die kostengçnstigste Læsung zu favo- von rund 50 Millionen Tonnen pro Jahr 2005 risieren sei. Deshalb bot sie an, die Hauptex- eingeweiht und Anfang 2006 das erste Erdæl portpipeline wesentlich billiger von Baku in Ceyhan verladen werden konnte. Die di- zum Schwarzmeerhafen Novorossiisk paral- rekte Route Baku ± Ceyhan konnte nicht ge- lel zu der nærdlichen Pipeline fçr das frçhe wåhlt werden, weil diese durch Armenien ge- Úl zu verlegen. Die Clinton-Administration fçhrt håtte. Aserbaidschan und Armenien kam dagegen in Bedrångnis, weil ihr unter- trennt jedoch ein seit 1994 eingefrorener Kon- stellt wurde, dass sie die Pipeline aus dem flikt in Nagorny Karabach, einem mehrheit- amerikanischen Bundeshaushalt subventio- lich von Armeniern besiedelten Territorium in nieren wçrde, was die amerikanische Verfas- Aserbaidschan. Dieses Gebiet und ein sehr sung jedoch verbietet. breiter Korridor, ebenfalls auf aserbaidschani- scher Seite, ist von Armenien, das sich russi- Die Investitionskosten der BTC-Pipeline scher Unterstçtzung versichern kann, militå- wurden auf drei bis vier Milliarden US-Dol- risch besetzt. Dadurch kam es zu einer lar geschåtzt, die russische Alternative sollte Massenflucht ± noch heute leben aserbaid- etwa die Hålfte kosten. Gegen diese Variante schanische Flçchtlinge unter unertråglichen sprach zum einen, dass Russland bereits den græûten Teil des ostkaspischen Erdæls trans- 4 Vgl. Stephen Larrabee, U.S. and European Policy portierte, zum anderen aber, dass die Pipeline, Toward Turkey and the Caspian Basin, in: Robert D. die zunåchst çber Grozny, Tschetschenien, Blackwill/Michael Stçrmer (Eds.), Allies Divided ± fçhrte, nicht hinreichend gegen Anschlåge Transatlantic Policies for the Greater Middle East, Cambridge, MA 1997, S. 143±173. und illegale Erdælentnahmen seitens tschet- 5 Vgl. Rizvan Nabiyev, Erdæl und Erdgaspolitik in der schenischer Rebellen geschçtzt werden kaspischen Region, Berlin 2003, S. 189± 247. kænne. Die Hauptexport-Pipeline wåre sol- 6 APuZ 4/2006
chen, auch ækonomischen Beeintråchtigun- ausgeçbt. Ob dies zum Schaden der jungen gen in der unsicheren Region des nærdlichen Staaten im kaspischen Raum erfolgt ist, kann Kaukasus ståndig ausgesetzt gewesen. nur entschieden werden, wenn dafçr die Maûståbe genau definiert werden. Entspre- Der Durchbruch zu Gunsten der BTC chend muss der Begriff ¹great gameª, der ein zeichnete sich im Jahr 2001 ab, als die Úlge- massives Machtspiel suggeriert, kritisch hin- sellschaft BP bekundete, das BTC-Projekt zu terfragt werden. Es gibt seriæse Literatur, die çbernehmen. Die Kosten wurden dadurch mit diesem Begriff operiert, 6 es gibt aber begrenzt, dass die Tçrkei bereits 1997 in Aus- auch pseudowissenschaftliche Bçcher und sicht stellte, alle Kosten zu tragen, die 1,7 Medien, die hinter jedem aus ækonomischen Milliarden US-Dollar fçr den Teil des Projek- Interessen geleiteten Geschåft ein bæses poli- tes auf tçrkischem Boden çberschritten. Fçr tisches Machwerk vermuten. 7 BP aber war ausschlaggebend, dass angesichts der recht groûen Erdgasfunde bei den off- shore-Bohrungen æstlich von Baku parallel Die Verengung der globalen zur Erdælpipeline eine Erdgaspipeline gebaut Energiemårkte werden sollte, die nicht zum Mittelmeer, son- dern in die tçrkische Stadt Erzurum und von Wåhrend Ende 1998 und Anfang 1999 der dort weiter nach Westen fçhren sollte. Durch Úlpreis mit zehn US-Dollar pro Fass auf ein die Parallelverlegung der Leitungen konnten Jahrzehnttief sank, reduzierten verschiedene betråchtliche Kosten eingespart werden, ins- auslåndische Úlfirmen ihre geplanten Investi- besondere in Aserbaidschan und Georgien. tionen im kaspischen Raum drastisch. Dies lag auch daran, dass die von den Weltmeeren Auf der ostkaspischen Seite zeichnete sich abgeschnittene kaspische Region fçr schweres 1997 etwas ab, das im neuen Jahrhundert eine Bohrgeråt besonders mçhsam zu erreichen ist wachsende Rolle spielen sollte. China, das und deshalb mangels ausreichenden Geråts 1994 zum Nettoimporteur von Erdæl wurde, die Erkundungsbohrungen ohnehin nur lang- bemçhte sich um Zugang zu kaspischem sam vorankamen. Mit der Wiedergewinnung Erdæl. Der chinesische Ministerpråsident Li der Mitte der achtziger Jahre verloren gegan- Peng und der kasachische Pråsident Nursultan genen Kartellmacht der OPEC, die auf Mårz Nazarbaev unterzeichneten am 24. September 1999 datiert werden kann, als zum ersten Mal 1997 einen Vertrag, der fçr China die bis dahin wieder çber Mengenbegrenzungen Preisstei- græûte Auslandsinvestition bedeutete. Fçr gerungen durchgesetzt werden konnten, kam 9,5 Milliarden US-Dollar wollte China die es zu einer dauerhaften Anhebung des Erdæl- Erschlieûungsrechte çber das ostkaspische preises, gefolgt von einer nicht mehr kçnstli- Uzen-Feld sowie kleinere Felder nahe Aktobe chen Verknappung des Erdælangebots im Ver- erwerben und von dort eine 3 000 km lange gleich zu der unerwartet hohen globalen Pipeline nach Westchina bauen. Diese Pipeline Nachfragesteigerung. sollte auf eine Jahreskapazitåt von 25 Millio- nen Tonnen ausgelegt sein. Das Pipelinepro- Folgende Ereignisse stehen fçr diese Ent- jekt kam bald danach aus Kostengrçnden zum wicklung. Erstens, der 11. September 2001 Stillstand. Es war billiger, Erdæl auf dem See- warf die Frage auf, ob die nun zunehmend als weg vom Persischen Golf und aus anderen Re- ¹Græûerer Mittlerer Ostenª (Greater Middle gionen zu importieren, wenngleich die Versor- East) genannte Region ± also vor allem die Re- gung Westchinas auf Dauer eine verbesserte gion des Mittleren Ostens und des Kaspischen Infrastruktur erfordert. Meeres, die zusammen mit den Energieståtten Russlands bis nach Westsibirien als ¹Strategi- Zweifelsohne haben sich in den neunziger sche Ellipseª bezeichnet wurde ± weiterhin Jahren die groûen Måchte Russland, USA und China in die Errichtung einer Infrastruk- 6 Hierzu gehært die sorgfåltige Arbeit von Mehdi tur zum Transport der kaspischen Energie- Parvizi Amineh, Globalisation, Geopolitics and Ener- ressourcen intensiv eingemischt und damit ei- gy Security in Central Eurasia and the Caspian Region, The Hague 2003. Anmerkung der Redaktion: Siehe gene Interessen verfolgt. Dabei wurden auch auch den Beitrag des Autors in dieser Ausgabe. projektbezogene Koalitionen geschmiedet 7 In diese Richtung bewerte ich das Buch Lutz Kleve- und, wenngleich sich der genaue Einblick man, Der Kampf um das Heilige Feuer ± Wettlauf der dem Analysten zumeist entzieht, auch Druck Weltmåchte am Kaspischen Meer, Berlin 2002. APuZ 4/2006 7
politisch hinreichend stabil sei, um die Versor- Ende gehenden Reserven in allen Nachfrage- gung der Weltwirtschaft insbesondere mit regionen ist jedes Angebot auûerhalb des Erdæl, aber auch mit Erdgas zu gewåhrleisten. Mittleren Ostens von groûem Interesse. Im- Da diese Frage nicht positiv beantwortet wer- merhin ist Kasachstan nach der Golfregion den konnte, bot sich ein verstårkter Ansatz fçr mit ihren fçnf groûen Reservelåndern (Saudi- spekulative Geschåfte um den Erdælpreis. Arabien, Iran, Irak, Kuweit, Vereinigte Ara- Zweitens, die Sanktionen gegen Irak und der bische Emirate) sowie dem OPEC-Land Ve- Krieg im Frçhjahr 2003 und seine Folgen der nezuela und Russland der erdælreichste Staat Instabilitåt zeigten, dass dieses an Erdælreser- der Welt (Tabelle 2). ven drittreichste Land der Welt auf absehbare Zeit weit hinter seinen Produktionsmæglich- keiten und der realen Produktion der siebziger Tabelle 2: Kaspische Ölreserven im globalen Kontext (2004) und achtziger Jahre zurçckbleibt. Drittens Milliarden Fass haben sich China und andere asiatische Reserven Anteil an Weltreserven Schwellenlånder in einer Weise als Nachfrager Aserbaidschan 7,0 0,6 % auf den globalen Erdælmårkten zu Wort ge- Kasachstan 39,6 3,3 % meldet, wie sie keine seriæse Prognose voraus- Turkmenistan 0,5 – gesehen hatte. China allein ist fçr 30 Prozent Kaspische Region 47,1 4,0 % Mittlerer Osten 733,9 61,7 % des globalen Erdælnachfragewachstums zwi- Venezuela 77,2 6,5 % schen den Jahren 2000 und 2004 verantwort- Russland 72,3 6,1 % lich. 8 2004 war diese globale Nachfrage hæher Libyen 39,1 3,3 % als im gesamten Jahrzehnt davor. Nigeria 35,3 3,0 % USA 29,4 2,5 % Tabelle 1: Konzentration der Ölreserven (2004) China 17,1 1,4 % Milliarden Fass Welt 1188,6 100,0 % Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2005, S. 4. Anteil an Reserven Weltreserven R/P* Jahre Mittlerer Osten 734 62 % 82 Lateinamerika 116 10 % 30 Da unter den groûen Erdælregionen der Afrika 112 9% 33 Welt die kaspische Region ein Spåtentwickler Russland 72 6% 21 ist, stellt sie neben der Golfregion die welt- Kaspische Region 47 4% 71 Asien/Pazifik 41 3% 14 weit einzige dar, von der erwartet wird, dass USA/Kanada 46 4% 13 sie ihren Anteil an der Weltversorgung stei- Europa 19 2% 8 gern wird. Auch dies fçhrt zu einem wieder Welt 1 189 100 % 41 wachsenden Interesse an den Úlschåtzen der Quelle: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2005, S. 4. Region. Ein neues Machtspiel zeichnet sich deshalb ab. Der Blick fållt aber anders als in den neunziger Jahren nicht mehr vor allem Schlieûlich viertens, zeigt Tabelle 1, wie auf die USA und Russland, sondern auf sehr sich die Reservesituation auf die Region China und Iran. China hat im September des Mittleren Ostens verengt hat, weil dort 2004 die Plåne zum Bau der zunåchst aller- ein viel geringerer Anteil der Reserven fçr die dings nur 998 km langen Pipeline von Ka- Produktion entnommen wurde als andern- sachstan nach Westchina wieder aufgenom- orts. Das heiût, die Produktion der heute be- men und baut diese mit hohem Tempo. Sie kannten gesicherten Erdælreserven kænnte soll 2006 in Betrieb genommen werden. Iran am Persischen Golf fçr çber achtzig Jahre wiederum nutzt seinen Streit mit den westli- aufrechterhalten werden, wåhrend sie an- chen Låndern çber sein Atomprogramm, um dernorts sehr viel frçher zur Neige geht ± mit sich aus der Isolation gegençber den postso- Ausnahme der Kaspischen Region. wjetischen Låndern zu befreien. Es wåre nicht verwunderlich, wenn in einem wçn- Diese Region birgt zwar im Vergleich zum schenswerten Kompromiss die amerikani- Mittleren Osten nur etwa ein fçnfzehntel so schen Sanktionen bezçglich der infrastruktu- viel Erdælreserven, doch angesichts der zu rellen Verbindung zwischen Iran und seinen nærdlichen Nachbarn aufgehoben wçrden 8 Vgl. BP Statistical Review of World Energy, London oder nicht mehr aufrechtzuerhalten wåren 2001 und 2005. (Tabelle 3). 8 APuZ 4/2006
Tabelle 3: Weltölproduktion So gçnstig die Bedingungen sind, unter Millionen Fass pro Tag denen kaspisches Erdæl zum græûten Teil nach 2000 2030 Europa gelangt, so ungçnstig sind sie bei Erd- gas. Dabei liegt der Anteil an den Weltreserven Anteil an Welt- Anteil an Welt- Produktion produktion Produktion produktion beim Ergas mit acht Prozent doppelt so hoch OECD 21,2 28,0 % 12,8 11,0 % wie beim Erdæl, das nur vier Prozent umfasst Russland 6,5 9,0 % 9,5 8,0 % (Tabelle 4). Die Ansåtze in der zweiten Hålfte Kaspische der neunziger Jahre, eine leistungsfåhige Erd- Region 1,6 2,0 % 5,4 4,5 % gasleitung von Turkmenistan çber Iran und die Afrika 2,8 4,0 % 4,4 4,0 % Tçrkei nach Europa zu legen, sind zum einen Persischer Golf 23,1 31,0 % 52,3 44,0 % wegen der amerikanischen Bedenken gegen OPEC 28,7 38,0 % 64,9 54,0 % das Transitland Iran und den fehlgeschlagenen Total 75,0 100,0 % 120,0 100,0 % Bemçhungen um eine transkaspische Erdgas- Quelle: IEA, World Energy Outlook, 2004, S. 155. leitung, und zum anderen wegen der deutschen Fixierung auf Russland als bevorzugtem Liefe- Wie immer neue Begehrlichkeiten gegen- ranten nicht ernsthaft verfolgt worden. Dabei çber dem kaspischen Erdæl entstehen, die In- kann in Turkmenistan kostengçnstiger produ- frastruktur hat sich in den letzten zehn Jahren ziert werden als im nordwestlichen Sibirien, so weit entwickelt, dass vermutlich auf weite- und die Entfernung von Europa ist auch nicht re Jahrzehnte die Handelsstræme vorgegeben græûer. Russland hat dagegen in den neunziger sind. Denn Pipelines sind Investitionen, die Jahren turkmenisches Erdgas boykottiert in sich amortisieren mçssen. Konkret heiût dies, dem Wissen, dass das leitungsabhångige turk- dass China als Spåteinsteiger darauf achten menische Erdgas çber keine quantitativ rele- muss, wo noch freie Kapazitåten verfçgbar vante Alternative zu dem von Russland kon- sind. Die beiden wirklich groûen Pipelines trollierten postsowjetischen Netz verfçgte. So CPC und BTC fçhren nach Westen zum ist die Erdgasproduktion in Turkmenistan in Schwarzen Meer und Mittelmeer. Da Russ- den neunziger Jahren mangels Transportmæg- land selbst ein Nettoexporteur ist und des- lichkeiten auf ca. 20 Prozent des Standes von halb kein Interesse am Import dieser Erdæl- 1990 heruntergefahren worden. Anfang des mengen hat, ist Europa die Region, in die am neuen Jahrhunderts hat Gazprom jedoch sein gçnstigsten exportiert werden kann und in Interesse an turkmenischem Gas entdeckt, da der deshalb das meiste kaspische Úl gekauft aus Kapitalmangel die Erdgasproduktion in wird. Der Mythos, dass die USA sich in der Russland nicht so gesteigert werden konnte, Region so sehr engagiert haben, um das kas- wie dies der vor allem europåischen Nachfrage pische Úl fçr den eigenen Verbrauch zu si- entsprach. chern, widerspricht aller ækonomischer und sicherheitspolitischer Vernunft. Fçr die USA Deshalb wurde vom russischen Pråsidenten ist es um ein Vielfaches gçnstiger, die Úl- Vladimir Putin die Eurasische Gasallianz ins transporte aus dem Persischen Golf oder aus Gespråch gebracht, die dazu fçhren soll, dass Westafrika militårisch zu sichern, und auch Russland den Transport, aber auch die volle die Exportkosten sind dort niedriger. Kontrolle çber Erdgas im postsowjetischen Tabelle 4: Erdgasreserven – die Hauptregionen Raum çbernehmen will. Turkmenistan und Milliarden m3 Kasachstan sollten ausschlieûlich mit Russ- Reserven R/P* Jahre land Liefervertråge abschlieûen, Russland Mittlerer Osten 71,7 > 200,0 entscheidet dann çber den Transport in Russ- davon Iran 26,7 land und gegebenenfalls ins europåische Aus- Katar 25,8 land. 2003 hat Gazprom mit Turkmenistan Russland 47,0 81,0 einen auf 25 Jahre ausgelegten Vertrag abge- Afrika 13,8 98,0 schlossen, der ab 2005 fçnf Milliarden Kubik- Kaspische Region 8,0 63,0 Lateinamerika 7,6 49,0 meter und ab 2010 100 Milliarden Kubik- Europa 7,3 25,0 meter von Turkmenistan zur Lieferung USA/Kanada 6,9 9,5 vorsieht. 9 Damit ist eine jåhrliche Menge Andere 13,5 – Welt 175,8 67,0 9 Vgl. Roland Gætz, Russlands Energiestrategie und * Reserven bei jährlich Produktion (2003). die Energieversorgung Europas, Stiftung Wissenschaft Quelle: BP Statistical Review of World Energy, June 2004. und Politik, Berlin, Mårz 2004, S. 13. APuZ 4/2006 9
erreicht, die Turkmenistans gesamtes Produk- gesichts der Renteneinnahmen aus Energie- tionspotenzial umfasst. Damit erçbrigt sich verkåufen ist die Korruption und damit die der Bau einer leistungsfåhigen Pipeline von Verhinderung eines breiten gesellschaftlichen Turkmenistan nach Westen, aber auch nach Wohlstandes noch stårker ausgeprågt als in Osten, eine von den USA in den neunziger den Nachbarlåndern. Der Konzentration der Jahren verfochtene Idee, welche Afghanistan Wirtschaft auf den Erdælsektor und der Ver- in die Pipelineinfrastruktur einbinden und hinderung einer ausgewogenen Wirtschafts- Pakistan und Indien miteinander verbinden struktur (ein als ¹Hollåndische Krankheitª sollte. Letzteres Vorhaben wird nun durch bezeichnetes Phånomen) wird in diesen Staa- eine vereinbarte Pipeline von Iran çber Pakis- ten viel zu schwach entgegengewirkt. Dage- tan nach Indien verwirklicht. Aserbaidschan gen werden nationalistische Tendenzen gefær- hat sich dem russischen Zugriff dank seiner dert, wie zum Beispiel die Ankçndigung in geografischen Lage entziehen kænnen, doch Aserbaidschan, zusåtzliche Einnahmen in den die von dort zu erwartenden Færdermengen militårischen Bereich zu investieren, um die an Erdgas sind im Vergleich zu Turkmenistan besetzten Gebiete zurçckzuerobern. und Kasachstan nicht von allzu groûer Be- deutung. Ohne Zweifel ist aus diesem Inte- Dies alles hat wenig mit dem vermuteten ressenspiel Russland als Sieger hervorgegan- ¹great gameª zu tun. Die åuûeren Måchte gen. Dies lag vor allem daran, dass weder die hindern Kasachstan, Turkmenistan und Aser- USA noch Europa sich ernsthaft fçr ein Ge- baidschan nicht daran, mit dem aus Energie- genmodell engagiert haben. Dabei bråuchte verkåufen erworbenen Geld eine Entwick- Europa angesichts eines dramatischen An- lung zum Schwellenland und gar zu einem stiegs des Importanteils an seinem Verbrauch westlichen Lebensniveau zu beschreiten. Die (Tabelle 5) dringend zusåtzliche Bezugsquel- Infrastruktur fçr den Energietransport hat len. Derzeit wird 65 Prozent des Erdgases, sich nach einem turbulenten Jahrzehnt weit- das aus auûereuropåischen Staaten nach Eu- gehend gefestigt. Sie folgt zum Teil ækonomi- ropa importiert wird, aus Russland bezogen. scher Vernunft, zum Teil massiven Interessen von åuûeren Måchten, zum Teil ist sie Ergeb- Tabelle 5: Europas Gasversorgung nis der Unfåhigkeit der Anrainerstaaten des 800 Kaspischen Meeres, in mehr als zehn Jahren Verhandlungszeit zu einem Konsens çber den 600 Rechtsstatus des Kaspischen Meeres zu gelan- gen. All dies ist im historischen Vergleich nichts Ungewæhnliches. Bedauerlich ist dage- bcm 400 gen das geringe Engagement der Europåer, 200 sich in diese historische Phase der Struktur- bildung einzuklinken, und vor allem die Un- 0 fåhigkeit der jungen Staaten selbst, das Ge- 1980 1990 2002 2010 2020 2030 schenk ihres Ressourcenreichtums fçr eine Production Net imports Staatsbildung zu nutzen, die der Bevælkerung Quelle: IEA, World Energy Outlook, 2004, S. 155. und der langfristigen Entwicklung besser zu- gute kommt. Ausblick Angesichts des schwindenden Erdælangebots wird der kaspische Raum als energiereiche Region an Bedeutung gewinnen. Auch wer- den die Staaten durch ihre Einnahmen aus Energieverkåufen stårker prosperieren als ihre Nachbarn, die nicht çber die entspre- chenden Energiereserven verfçgen. Die in weiten Teilen des postsowjetischen Raums er- kennbaren Rçckschlåge im Demokratisie- rungsprozess finden aber auch hier statt. An- 10 APuZ 4/2006
Mehdi P. Amineh men, ist damit ein essentieller Faktor in der Machtprojektion von Staaten geworden. 2 Die Politik der Seit dem Fall der Sowjetunion ist weltweit USA, der EU eine unipolare militårische Machtstruktur entstanden. Sie besteht aus den drei wirt- schaftlichen Kernregionen Nordamerika, und Chinas in Westeuropa sowie Ost- und Sçdostasien. Davor gab es lediglich ein wirtschaftliches Kerngebiet, bestehend aus der Atlantischen Zentralasien Allianz zusammen mit Japan und unter Ein- beziehung von Taiwan und Sçdkorea in Ost- asien. Das Wirtschaftswachstum dieser bei- den Randgebiete Eurasiens wurde von der D er Fall der Sowjetunion und das Ende des Kalten Krieges, der Globalisie- rungsprozess und die Entwicklungen in der Atlantischen Allianz gefærdert und sollte der Sicherheit der westlichen Welt zugute kom- men. Hier ist nun offensichtlich eine Verån- Informations- und Kommunikationstechno- derung eingetreten. Seit dem Aufstreben logie haben zu einer Neudefinition des Kon- Chinas ± nach den Vereinigten Staaten der zepts ¹Geopolitikª beigetragen. Mit dem Fall zweitgræûte Erdælkonsument der Welt mit der Sowjetunion sind nicht nur acht unabhån- rasanter industrieller Entwicklung und den gige Staaten in Zen- Bestrebungen nach Regionalisierung auch in tralasien entstanden; Ostasien ± gehen Wirtschaftswachstum und Mehdi P. Amineh Sicherheit nicht mehr Hand in Hand. Der zugleich ist auch ein Dr. phil., geb. 1961; Senior Strukturwandel der frçheren Staatenordnung gesamtes Weltord- Research Fellow und Direktor und die damit verbundenen Verånderungen nungskonzept çber des Energy Programme Asia in der Weltwirtschaft bilden fçr die Regie- das geopolitische Ver- (EPA) am International Institute rung von US-Pråsident George W. Bush den ståndnis von Identitåt for Asian Studies (IIAS), politischen Handlungsrahmen seiner Macht- im politischen Raum Universität Leiden, Niederlande. projektion auf die Region ¹Greater Middle auseinander gefallen. m.p.amineh@uva.nl Eastª. Die Vereinigten Staaten haben es sich Im Gegensatz zum traditionellen Kon- zum Ziel gesetzt, diese Region zu demokrati- zept der Geopolitik ± der so genannten realis- sieren, gegebenenfalls sogar mit Gewalt. Sie tischen Schule der Internationalen Beziehun- unterliegt bereits faktisch US-amerikanischer gen ±, das den Staat als wesentlichen Akteur Autoritåt. in einer anarchischen Weltordnung begreift, lehnt die Schule der ¹kritischen Geopolitikª Die Politik der Machtprojektion beinhaltet oder ¹Neo-Geopolitikª 1 jegliche staatszen- Kontrolldimensionen çber die Staatsgrenzen trische Analyse ab. Im neo-geopolitischen industrialisierter und industrialisierender Ge- Verståndnis gehæren nichtstaatliche Akteure sellschaften hinaus und ist die entscheiden- wie multinationale Unternehmen, terroristi- de Kraft im Ûbergangsprozess einer Welt, in sche Gruppen, Regierungs- und Nichtregie- der einzelne Gesellschaften zu einer einzigen rungsorganisationen genauso zum Konzept Weltgemeinschaft des globalen Kapitalismus der Geopolitik wie Staaten. 1 Zum Konzept der kritischen Geopolitik vgl. Ein wichtiger Bestandteil der gegenwårti- Mehdi P. Amineh/Henk Houweling, The crisis in IR ± gen internationalen Politik ist der Wettstreit Theory: Towards a Critical Geopolitics Approach, in: zwischen Staaten und multinationalen Unter- M. P. Amineh/H. Houweling (Eds.), Central Eurasia in nehmen um Erdæl- und Erdgasreserven in der global politics: Conflict, Security and Development, Welt. Das Ûberleben eines Landes und seiner Leiden ± Boston 20052, S. 1± 21; G. Tuathail/S. Dalby, Gesellschaft, wirtschaftliche Dynamik und Rethinking Geopolitics, London 1998. 2 Vgl. M. P. Amineh/H. Houweling, Caspian Energy: technologische Innovation hången heute von Oil and Gas Resources and the Global Market, in: den Energieressourcen Erdæl und Erdgas ab Dies. (Eds.), ebd., S. 77 ±92; M. P. Amineh, Globalisa- und nicht mehr von einem groûen Militårap- tion, Geopolitics and Energy Security in Central parat. Zugang zu den Erdæl- und Gasreserven Eurasia and the Caspian Region, Den Haag 2003, eines Landes oder einer Region zu bekom- S. 57 ±69. APuZ 4/2006 11
zusammenwachsen. Die Ziele der Machtpro- Die Kosten zum Erhalt der sozialen Ord- jektoren werden vom Raum und der Zeit der nung steigen, sobald die Legitimitåt ab- Machtprojektion, den ihnen zugesprochenen nimmt. Dies gilt auch fçr die internationale Ressourcen und dem Zielland oder der Ziel- Ordnung. Die amerikanische Auûenpolitik region, welche(s) der Machtprojektor unter stçtzt sich seit der Pråsidentschaft von Ro- seine Kontrolle bringen will, bestimmt. nald Reagan vor allem auf militårische Macht und das ¹Erkaufenª von Freunden. Das post-sowjetische Zentralasien ist eine Eine ¹Koalition der Willigenª beruht auf in- solche Zielregion. 3 Seit Ende des Kalten dividuellen Vorteilen, wåhrend eine nachhal- Krieges hat sich seine Stellung in der Welt- tige soziale Ordnung von Legitimitåt, kol- ordnung veråndert, wie auch die sozioækono- lektiven Vorteilen und der Achtung von un- mischen und ideologischen Kråfte, die in terschiedlichen Identitåten gekennzeichnet diese Region von auûen eindringen. In Zen- ist. Die USA scheinen nicht mehr in der tralasien treffen die rivalisierenden Machtpro- Lage zu sein, Eliten in strategischen Gebie- jektionen der Vereinigten Staaten, der EU, ten zu vereinen. Auch eine von auûen und Chinas und auch Russlands, Irans und Japans mit Militårgewalt aufgezwungene ¹Demo- aufeinander. Bei politischen und wirtschaftli- kratieª im ¹Greater Middle Eastª åndert chen Ûberlegungen fçr Zentralasien mçssen daran nichts. Unter US-Pråsident Jimmy amerikanische, europåische und chinesische Carter beschåftigten sich die Vereinigten Politiker darauf achten, dass sich im jeweils Staaten zum ersten Mal intensiv mit Afgha- eigenen Land die Langzeitziele in der Auûen- nistan. Sie bewaffneten sechs Monate vor und Sicherheitspolitik (æffentlicher Raum) dem Einfall der Sowjets die Mudschaheddin, und die (kommerziellen) Kurzzeitinteressen die daraufhin russische Dærfer im Grenzge- im privaten Raum miteinander vertragen. biet beschossen. Nach Zbigniew Brzezinski Nach dem Untergang der Sowjetunion haben sie mit dieser beabsichtigten Strategie scheint sich die Staatsråson sowohl in Frie- die Invasion der Sowjets in Afghanistan pro- dens- als auch in Kriegszeiten nicht nur zu voziert, die hier ihr eigenes ¹Vietnamª fin- kommerzialisieren, sondern vor allem zu pri- den sollten. Der Krieg in Afghanistan vatisieren. 4 brachte hohe Verluste an Kriegsmaterial und ± weitaus schlimmer ± auch 1,8 Millionen af- ghanische Tote, 2,6 Millionen Flçchtlinge Amerikanische Auûenpolitik und 10 Millionen Landminen. US-Pråsident George Bush Senior stellte 1990/91 noch den nach dem Kalten Krieg ¹status quo anteª wieder her, indem er die Iraker aus Kuwait vertrieb, aber das ge- Die neue Weltordnung, die sich nach dem schwåchte Regime von Saddam Hussein an Fall der Sowjetmacht allmåhlich herauskris- der Macht lieû. US-Pråsident George W. tallisiert hat, ist gekennzeichnet von militåri- Bush Junior dagegen hat den Weg einer scher Unipolaritåt, wirtschaftlicher Tripolari- neuen Weltordnung eingeschlagen. Diese tåt und einer Neudefinition von Identitåt. Ordnung enthålt Elemente aus der Zeit vor Die USA sind die unbestrittene Militårmacht dem Kalten Krieg, die sich aber bereits unter der Welt. Ihre Militårausgaben waren 2004 Pråsident Reagan abzeichneten. Zwei dieser betråchtlich hæher als das gesamte Bruttoin- Elemente sollen hier genannt werden: landsprodukt Russlands. Insgesamt betragen die Militårausgaben der Vereinigten Staaten Erstens sehen sich die Vereinigten Staaten nicht mehr als 4 Prozent ihres eigenen Brut- von Amerika in der Rolle des Erlæsers, wel- toinlandproduktes. Auch die Beziehung zwi- cher der Menschheit den Weg in eine bessere schen militårischer Macht und Kontrolle çber Zukunft weist. Auch die Regierung von US- Freund und Feind hat sich seit dem Vietnam- Pråsident Bill Clinton machte wiederholt krieg veråndert. deutlich, auf der ¹guten Seiteª der Geschichte zu stehen. Der Historiker Francis Fukuyama 3 Zentralasien umfasst die Regionen Zentralasien hat diese Idee kurz und bçndig in seinem be- rçhmten Essay ¹The End of Historyª folgen- (Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) und Sçdkaukasus (Armenien, Aserbaid- dermaûen zusammengefasst: Mit dem Ende schan, Georgien). des Kalten Krieges ist ein ¹Amerika des 19. 4 Vgl. M. P. Amineh/H. Houweling (Anm. 1). Jahrhundertsª auferstanden. 12 APuZ 4/2006
Zweitens hat ein souveråner Staat das stan, Kirgisien und Georgien stationiert. Im natçrliche Recht auf einen Pråventivkrieg. Gegenzug bieten die Vereinigten Staaten die- Schon bei den Staatsphilosophen Hugo Gro- sen Låndern militårisches Training und Wirt- tius, Thomas Hobbes und John Locke gehær- schaftshilfe an. Neben der Militårpråsenz ten Naturrecht und Vælkerrecht zusammen. haben die Amerikaner weitere Initiativen er- Aus ihrer Lehre låsst sich folgern, dass ein griffen, um eine engere Zusammenarbeit mit Land seiner natçrlichen Ressourcen beraubt Zentralasien aufzubauen. 1994 wurde die werden kann, solange seine Bewohner es NATO-Partnerschaft fçr den Frieden (Part- selbst nicht ausbeuten. Die praktische Seite nership for Peace) gegrçndet, um die Zu- idealistischer Politik beinhaltet also stets das sammenarbeit zwischen der NATO, den zen- Recht, Gebiete fçr wirtschaftliche Expansion tralasiatischen Låndern und interessierten zu ¹æffnenª. OSZE-Mitgliedslåndern auszuweiten. Neben dieser Partnerschaft hat die NATO einen Ak- Die Politik der USA in Zentralasien tionsplan (Membership Action Plan) fçr die Lånder erarbeitet, die der NATO gerne bei- Die USA haben die Terroranschlåge vom treten wçrden. Eine weitere Initiative ist 11. September 2001 dazu benutzt, ihr Ein- der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, ein flussgebiet auf Zentralasien auszudehnen, den Forum fçr politische Beratungen zwischen Irak anzugreifen und somit eine neue Politik NATO-Mitgliedslåndern, Mitgliedern der in den Låndern des ¹Greater Middle Eastª Partnerschaft fçr den Frieden und anderen umzusetzen. Zu dieser Politik gehært auch Låndern in Zentralasien wie Tadschikistan, die Privatisierung von Erdæl- und anderen das an keinem der Militårprojekte beteiligt Unternehmen. Doch beschrånkt sich das In- ist. 8 Die Machtprojektion der Vereinigten teresse der USA an Zentralasien nicht nur auf Staaten in Zentralasien stæût auch auf Wider- die dortigen Erdæl- und Erdgasreserven, son- stand in Form von Allianzen oder Interessen- dern richtet sich auch auf die geographische gemeinschaften gegen die USA. Anzeichen Nåhe dieser Region zu Europa, dem Mittle- eines solchen anti-amerikanischen Blocks ren Osten und Asien (China). 5 gibt es bei der Shanghai Cooperation Organi- sation (SCO) oder bei der von Russland un- Fçhrende Mitglieder des US-Central Com- terstçtzten Collective Security Treaty Orga- mand (USCENTCOM) wie z. B. der frçhere nization (CSTO). 9 Generalkommandant Tommy Franks erklår- ten æffentlich, wie wichtig die zentralasiati- Durch die militårische Zusammenarbeit sche Region im Kampf gegen Al-Qaida und und die Pråsenz amerikanischer Unterneh- im Krieg gegen den Irak sei. 6 Die Vereinigten men in Zentralasien bekommen die USA Zu- Staaten bråuchten einen ståndigen Zugang gang zu den dortigen Erdæl- und Erdgasvor- zur Region, nicht als ståndigen Militårstçtz- råten und sind damit weniger abhångig von punkt im traditionellen Sinne, sondern, wie Erdæl aus der Golfregion. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld es ausdrçckte, als ¹operating sitesª 7. Amerika- Die Vereinigten Staaten sind der græûte nisches Militår ist in Usbekistan, Tadschiki- Erdælkonsument der Welt. Das Land er- reichte schon 1970 den Hæhepunkt seiner 5 Vgl. ebd., S. 8±10. Erdælproduktion. Im Jahre 2001 verbrauch- 6 Testimony of Secretary Donald H. Rumsfeld an ten die Amerikaner 19,6 Millionen Tonnen das Senate Appropriations Committee vom 23. 9. Erdæl pro Tag und 22,6 Trillionen Kubik- 2004; General Tommy Franks, USA, Ret. zus. mit Feet Erdgas pro Jahr. Damit haben die Verei- M. McConnell, American Soldier, New York 2004. 7 Radio Free Europe Radio Liberty vom 26. 2. 2004, nigten Staaten nicht nur den hæchsten pro- Bericht çber Rumsfelds Reisen nach Usbekistan und Kasachstan, US relations with Central Asia: Beth Jones 8 Vgl. M. P. Amineh, Caspian Energy: A viable Al- Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs, ternative to the Persian Gulf, EIAS-Briefing Papers 03/ Briefing to the Press, Washington, D. C., 11. 2. 2002 02, Brussels: The European Institute for Asian Studies www.state/gov/p/eur/rls/rm/2002/7946.htm; R. N. (EIAS), 2003. McDermott, Washington Vague on US Basing Plans in 9 Vgl. Russia reportedly seeking strategic axis, military Central Asia, in: Euoasna Daily Monitor vom 6. Au- production cooperation, in: BBC Monitoring vom 2. 1. gust 2004; Envoy to Azerbaijan Upholds USA's Re- 2001; Foreign Minister discusses Bilateral ties with gional Policy, in: Zerkalo, Baku vom 11. 9. 2004, S. 15± Chinese Official, in: IRNA News Agency vom 20. 2. 17, in: BBC Monitoring vom 18. 9. 2004. 2001. APuZ 4/2006 13
Kopf-Verbrauch an Energie, sondern auch wurde, hat eine Långe von 1 730 km. Davon das hæchste Emissionsniveau. Schåtzungen liegen 1 070 km in der Tçrkei. Die Baukosten zufolge wird der Verbrauch bis 2025 auf 28,3 betrugen 3 bis 4 Milliarden US-Dollar. Damit Millionen Tonnen Erdæl pro Tag und 34,9 ist die BTC-Pipeline bei weitem die teuerste Trillionen Kubik-Feet Erdgas pro Jahr anstei- aller westlichen Optionen. Nach Meinung gen. Im Jahr 2000 importierten die Amerika- der Umweltbewegung Caucasus Environ- ner bereits 53 Prozent ihres Erdælverbrauchs, mental Network (CENN) ist die BTC aus ein Viertel davon kam vom Persischen Golf. wirtschaftlicher und (umwelt-)politischer Im Jahr 2020 wird die Erdælimportabhångig- Sicht nicht kosteneffektiv, weil die Nachfrage keit der Vereinigten Staaten voraussichtlich der Tçrkei an Erdæl unzureichend steigen auf bis zu 60 Prozent gestiegen sein. Schon wird. Die europåische Umweltgesetzgebung, diese Tatsachen lassen diese Region fçr die die Korruption bestimmter Regierungen und USA als geopolitisch åuûerst wichtig erschei- die Tatsache, dass die BTC durch sieben Kon- nen. Diversifikation von Energieimport ist fliktgebiete fçhrt, 11 machen die Pipeline zu aber nicht das einzige Motiv amerikanischen einem unsicheren Geschåft. Die Carnegie En- Engagements in der Region: alle potenziellen dowment for International Peace und das Mitkonkurrenten der USA schæpfen aus den- CATO Institut rieten vom Bau der BTC- selben Erdælquellen, und die liegen haupt- Pipeline ab und schlugen alternative Pipelines såchlich am Persischen Golf. Eine wichtige durch Russland und den Iran vor. Die Ameri- Herausforderung fçr die amerikanische kaner sind aber fest entschlossen, gerade diese Politik ist es, eine Interessenkonvergenz zwei Lånder zu umgehen. Die Schwesterpi- zwischen staatlichen und nichtstaatlichen peline der BTC, die TCGP, verlåuft çber Akteuren herbeizufçhren, die an der Erdæl- Turkmenistan via Baku in die Tçrkei und gewinnung, dem Transport und der Verarbei- wird 2 bis 3 Milliarden US-Dollar kosten. tung und Verteilung von Energie beteiligt Die an diesem Projekt beteiligten Erdælge- sind. Die Interessen der Erdælgesellschaften sellschaften sind von der Realisierbarkeit der und die Energiepolitik von Regierungen sind Pipeline çberzeugt. Doch sie hat in der russi- nicht immer dieselben. Besondere Aufmerk- schen Blue Stream-Pipeline eine Konkurren- samkeit in der Energiepolitik und -versor- tin. Diese verlåuft teilweise çber den Boden gung gilt dem Verlauf von Pipelines zum des Schwarzen Meeres vom Russischen Transport von Erdæl und Erdgas. Die Verei- Hafen Tuapse bis Samsun in der Tçrkei. nigten Staaten wollen nicht nur die Erdælge- Auch diese Pipeline wurde vor allem von winnung aus Zentralasien kontrollieren, son- Umweltorganisationen heftig kritisiert, da sie dern auch den Einfluss Russlands und Irans ein groûes Risiko fçr Umweltschåden birgt. eindåmmen sowie die Erdælquellen in und Merkwçrdigerweise hat Russland den Bau die Verschiffung aus der Region des Persi- der TCGP-Pipeline aus Umweltschutzgrçn- schen Golfs verwalten und kontrollieren. 10 den abgelehnt, die Blue Stream-Pipeline aber stillschweigend hingenommen. 12 Pipelinediplomatie wird nicht von Trans- porteffizienz bestimmt. Pipelines erfordern groûe Investitionen çber einen Abschrei- Chinas Politik in Zentralasien bungszeitraum von Jahrzehnten. Private Ge- sellschaften haben sowohl die Technologie als Im Jahre 2003 çberholte China Japan als auch das Kapital zur Erdælgewinnung und zweitgræûter Erdælkonsument nach den Ver- zum Transport. Pipelinediplomatie erfordert einigten Staaten, im Jahr 2010 kænnte es der eine aktive Teilnahme der Amerikaner bei græûte Erdælimporteur der Welt sein. Eine Verhandlungen zwischen Unternehmen der wichtigsten Ursachen fçr den rasanten untereinander und zwischen Unternehmen Anstieg des Erdælkonsums in China ist die und Behærden. Die Baku-Tbilisi-Ceyhan enorme Zunahme an Motorfahrzeugen, die (BTC)-Pipeline und die Trans-Kaspische- sich nach Schåtzungen bis 2020 verfçnffachen Gas-Pipeline (TCGP), die beide sowohl wird. Eine weitere Ursache ist die Tatsache, Russland als auch den Iran umgehen, illus- dass China kaum Erfahrung mit Energiespar- trieren diese Verflechtungen. Die BTC-Pipe- 11 Diese sind: Nagorno-Karabakh, Sçdossetien, In- line, die offiziell am 25. Mai 2005 eræffnet guschetien, Abchasien, Tschetschenien, Dagestan und kurdisches Gebiet in der Tçrkei. 10 Vgl. M. P. Amineh (Anm. 2). 12 Vgl. M. P. Amineh (Anm. 2), S. 197±199. 14 APuZ 4/2006
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