AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...

Die Seite wird erstellt Valentin Volk
 
WEITER LESEN
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
www.null41.ch
                       Dezember 2020
                          SFr. 9.–

                  AUSSERDEM
12
9 771424 958000

                  CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT
                  ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL!
                  DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
L                           Theater
                          schenken!

Verschenken Sie mit
einem Gutschein
Theatererlebnis im
Luzerner Theater
www.luzernertheater.ch/
geschenktipps                    T
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
EDITORIAL

                                                                                       museum gesprochen. Es ist
UNFOKUSSIERT UND                                                                       sein Abschiedstext – die Wis-
                                                                                       senschaft hat ihn nach Heidel-

DOCH NICHT DANEBEN                                                                     berg geführt und aus unserer
                                                                                       Redaktion gerissen. Er fehlt
                                                                                       uns schon jetzt. Verabschieden
            Liebe Leserin, lieber Leser                                                müssen wir auch Stoph Ruckli.
                  Es ist offensichtlich: Wir können nicht              Nach vielen Jahren als Kalenderchef und
            weitermachen wie bisher. Das günstigere                    Mister Sperberauge bei der Schlussredaktion
            Papier, auf das wir dieses Magazin gedruckt                schlägt nun der aufmerksame, ausgezeichnet
            haben, ermöglicht uns, einiges einzusparen.                vernetzte Musikkritiker neue Wege ein.
            Und das müssen wir nun leider tun – denn                   Wir alle, lieber Stoph, werden dich und deine
            uns fehlen aufs Jahr gesehen Zehntausende                  offene, liebenswerte Art sehr vermissen.
            Franken. Wir schicken Ihnen hier auch ein                       Von Herzen möchte ich mich bei der gan-
            Magazin ohne Fokus. Eines, in dem wir uns                  zen Redaktion für Unterstützung, Freund-
            als Redaktion neben den gewohnten Kolum-                   schaft, grossartige Ideen und ebensolche
            nen, Rezensionen und Hinweisen auf sehens-                 Texte in diesem irrsinnigen Jahr bedanken.
            werte Veranstaltungen (ja, die gibt es noch!)              Dazu gehören auch Anna Girsberger und
            eine Carte blanche erteilt haben. Für ein un-              Lea Schüpbach, die aus unterschiedlichen
            verschämt tiefes flat-rate-Honorar haben fast              Gründen keinen Beitrag zu diesem Magazin
            alle Redaktionsmitglieder einen Beitrag abge-              beisteuern konnten.
            liefert, der jetzt passt.                                       Leider müssen wir davon ausgehen, dass
                  Mirjam Steffen zum Beispiel hat in Bil-              zum neuen Papier weitere vorübergehende
            der, Jonas Wydler in Worte gefasst, wie sich               Massnahmen dazukommen werden. Zum
            dieses Jahr angefühlt hat. Jana Avanzini                   jetzigen Zeitpunkt sind noch keine Entschei-
            stürzte sich in den weihnächtlich aufgemotz-               dungen gefallen, aber es wird uns unter den
            ten Konsumtempel Emmen Center, Ritah                       aktuellen Umständen nicht möglich sein,
            Ayebare Nyakato porträtierte einen Organis-                weiterhin die gleiche Qualität und Quantität
            ten, der nun eine allzu stille Nacht fürchtet.             aufrechtzuerhalten. Wir versuchen der Pan-
            Und Michel Rebosura nimmt uns mit auf                      demie zu trotzen und uns auf das Licht am
            einen märchenhaften Spaziergang durch sein                 Ende des Tunnels zu konzentrieren. Bleiben
            Heimatdorf, macht unterwegs spürbar, wa-                   Sie uns bitte treu – wir tun das auch!
            rum wir so sehr auf Kultur angewiesen sind:                     Frohe Festtage Ihnen und herzliche
            weil sie uns Gemeinschaft erfahren lässt.                  Grüsse,
                  Paul Buckermann hat mit Alexandra                         Anna Chudozilov
            Blättler über die Jahresausstellung im Kunst-                   Redaktionsleiterin

Dezember 2020                         041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                     3
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
INHALTSVERZEICHNIS

       Für die einen die Hölle, für die anderen ein zweites Zuhause:                An der zentral! gibt es Neues zu sehen – doch was hat sich hinter den
                 Konsumtempel Emmen Center. > Seite 18                                       Kulissen getan? Wir haben nachgefragt. > Seite 43

                                                                                 Editorial > Seite 3
ABRECHNUNG I
Jonas Wydler blickt auf das Jahr ohne Kulturjahreszeiten zurück > Seite 17
                                                                                 Guten Tag > Seite 5
                                                                                 Stadt – Land
                                                                                 Blick durch die Linse aus Luzern und Wolhusen > Seite 6

ABRECHNUNG II
Christof Schwenkel dividiert Schwaben und Zentralschweizerinnen
                                                                                 Poliamourös
                                                                                 Weihnachtsmann, Christkind & Co. im Testvergleich > Seite 8

                                                                                 Kosmopolitour
auseinander und rechnet vor, was sie verbindet > Seite 24
                                                                                 Weihnachtsgrüsse aus dem Londoner Lockdown > Seite 9

                                                                                 Nachschlag
BETTELBRIEF
Damit die Abrechnung auch in Zukunft stimmt, muss sich was tun > Seite 32
                                                                                 Mehr Mexiko an den Wänden als im Teller > Seite 10

                                                                                 Fotodok
                                                                                 Arbeiter-Fotos zwischen Dokumentation, Aktivismus und Kunst > Seite 11

                                                                                 Anno41
                                                                                 Mario Stübi hat die Boa im Archiv gefunden und bringt den Kultur-
                                                                                 kompromiss wieder aufs Tapet > Seite 34
                                                                                 Ausgefragt
                                                                                 Die neue Co-Leiterin des Museums Sankturbanhof Sursee spricht über
                                                                                 Migration > Seite 53

                                                                                 Käptn Steffis Rätsel > Seite 74
                                                                                 Gezeichnet
                                                                                 Malin Widén zeichnet > Seite 75

Titelbild: Christof Schürpf
Jeanne Jacob, Mirjam Ayla Zürcher, «FAQ», Video-Loop 7 min 2020. Die dunkle Seite des Löwen – The dark side of the lion, Kunsthalle Luzern

    KULTURKALENDER                                                               Film > Seite 54
                                                                                 Kinder > Seite 55
    DEZEMBER 2020                                                                IG Kultur > Seite 56
Aktuell > Seite 36                                                               Veranstaltungen > Seite 57
Musik > Seite 37                                                                 Ausstellungen > Seite 67
Bühne > Seite 39                                                                 Adressen A-Z > Seite 71
Wort > Seite 41                                                                  Impressum > Seite 71
Kunst > Seite 43                                                                 Ausschreibungen > Seite 72

4                                                041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                               Dezember 2020
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
GUTEN TAG

                GUTEN TAG, VBL
                «Superspreader-Gefahr in Luzern» – so
          titelte kürzlich der «Blick». Tatsächlich sehen
          die massiv überfüllten Busse, die täglich eine
          ganze Menge Schülerinnen und Schüler von
          und zur Kanti Alpenquai befördern, wie regel-
          rechte Virenparadiese aus. Dein Sprecher
          Sämi Deubelbeiss wiegelt allerdings ab: «Die-
          ses Problem hat nichts mit Corona zu tun!» Es
          sei so, dass sich viele Schülerinnen und Schüler                        GUTEN TAG, STAPI ZÜSLI UND
          jeweils in den gleichen Bus quetschen, analy-                           KULTURCHEFIN BITTERLI
          siert er weiter im beliebten Boulevardblatt.                           Vielen Dank für den salbungsvollen Brief
          No shit, Sherlock! Aber nur weil ein Problem                     vom 30. Oktober, den Sie an die «Vertreterin-
          schon vor Corona bestand, heisst das nicht,                      nen und Vertreter von Event-, Kultur- und
          dass man es jetzt nicht umso resoluter ange-                     Sport-Organisationen» geschickt haben. Auch
          hen sollte. Das ist, als ob man sagen würde, die                 nach wochenlangem Grübeln verstehen wir
          Künstlerinnen und Künstler hätten doch                           nicht, was Sie mit den folgenden Worten wohl
          schon vor der Pandemie am Hungertuch gen-                        meinen könnten: «Seitens Stadt Luzern kön-
          agt, nur weil jetzt alles noch prekärer sei,                     nen wir Ihnen versichern, dass wir die Situa-
          müsse man nicht handeln. Und jetzt – hopp-                       tion eng verfolgen und dass wir die bisher auch
          hopp! Lasst Euch was einfallen. Bei den Sub-                     in der Krise wunderbar funktionierenden pri-
          ventionen wart Ihr ja auch nicht um kreative                     vatwirtschaftlichen Strukturen im Veranstal-
          Lösungen verlegen!                                               tungs- und Kultur- bzw. Sportbereich erhalten
                                                                           und stützen wollen!» Das klingt ein bisschen
          Die Krise als Chance sehend,                                     so, als wolle man sich von der öffentlichen
          041 – Das Kulturmagazin                                          Hand aus ja nicht in die – wunderbar funktio-
                                                                           nierenden! – privatwirtschaftlichen Angele-
                                                                           genheiten einmischen. Heisst das im Klartext,
                                                                           dass da kein roter Rappen zu erwarten ist von
                                                                           der Stadt? Wir freuen uns auf die Ausdeut-
                GUTEN TAG, REGIERUNGSRAT                                   schung von dem darauf folgenden «Wir lassen
                GUIDO GRAF                                                 Sie nicht im Stich!». Am besten direkt auf
               Sie haben Ihre Pflegefachkräfte am liebs-                   unser Spendenkonto:
          ten so, wie Sie die Patientinnen abhandeln:                      Verein IG Kultur Luzern.
          ambulant vor stationär. Statt genügend Perso-                    Raiffeisenbank Luzern:
          nal einzustellen, wie es seit Jahren aus der                     CH64 8080 8002 2440 2915 6
          Branche gefordert wird, schalten Sie lieber
          eine Werbeanzeige in der Krise, um qualifi-                      Die Krise als Krise sehend,
          zierte Leute ad hoc anzuheuern. Denn lang-                       041 – Das Kulturmagazin
          sam, das haben Sie als cleverer Gesundheits-
          fachmann längst bemerkt, wird’s brenzlig in
          den Spitälern und Pflegeheimen. Dabei wol-
          len Sie nur die vielen Anfragen «kanalisieren»!
          Die Luzernerinnen und Luzerner sind da
          ihrem Sozialdirektor scheinbar fast zu sozial.
          Und um dieses Engagement gleich mal einer
          ordentlichen Prüfung zu unterziehen, zahlen
          Sie den Freiwilligen nur knappe 20 Stutz
          brutto pro Stunde Corona-Betreuung. Nicht,
          dass diese Fachkraft-Saisonniers noch glau-
          ben, im Pflegeberuf herrschten Anstellungs-
          bedingungen, die Lust darauf machen wür-
          den, sich stationär einzunisten.

          Fachkräftig, 041 – Das Kulturmagazin

Dezember 2020                            041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                       5
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
STADT
        7. NOVEMBER, KUNSTHALLE LUZERN

                                          «Maske trifft auf Maske in der Aus-
                                        stellung ‹Die dunkle Seite des Löwen›
                                          in der Kunsthalle Luzern. Die Arbeit
                                         von Claudia Schildknecht, zu der die
                                            Fotografie im Hintergrund gehört,
                                        setzt sich mit dem voranschreitenden
                                                 Artenschwund auseinander.»

                                                                    Bild & Wort:   Christof Schürpf

6   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                           Dezember 2020
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
LAND
                 11. NOVEMBER, TROPENHAUS WOLHUSEN

                            «Entspannen unter Palmen -
                                       hier und jetzt.»
                                                                                Bild & Wort:   Gabriela Acklin
Dezember 2020   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                7
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
POLIAMOURÖS

                  Vor einer Weile wohnte ich einer           produktuntypisch dünne Exemplare             senz verloren. Sein Brand liegt im
                  Diskussion bei über die Frage, wer         kosteten ihn beim letzten Qualitäts-         Geheimnis, es bleibt bekanntlich «still
                  eigentlich zu Weihnachten die Ge-          audit einige Punkte.                         und unerkannt», was allerdings wirk-
                  schenke bringt. Wer «Amazon» denkt,               Sehr zu loben ist sein Supply         same Marketingkampagnen deutlich
                  ist rettungslos verloren. Mit allen        Chain Management. Aufgrund gün-              erschwert.
                  anderen teile ich gerne als adventli-      stiger Produktionsbedingungen in                    Ein bisschen Geheimniskräme-
                  chen Service meine Recherchen zu           Billiglohngegenden, die zudem die            rei ist ja gut, aber die Markenidentität
                  den marktdominierenden Gaben-              Lagerung von Frischware begünsti-            bleibt mit Blick auf die Erlösungsmar-
                  bringfiguren.                              gen, sowie ausreichender Transport-          ke «Jesus» undurchsichtig: Diese bildet
                        Der Weihnachtsmann ist un-           logistik ist der Weihnachtmann in der        den Ursprung des Christkindes, aller-
                  angefochtener Marktführer. Diesen          Lage, Waren international zu vertrei-        dings ist Jesus ikonografisch glaubhaft
                  Erfolg hat er dem gelungenen Merger        ben, zollfrei. Leider gibt es Defizite       zuerst erwachsen geworden, bevor er
                  zu verdanken, zwischen dem Nikolaus        im Diversity Management: Ausschliess-        an den Folgen einer unangemessenen
                  und Knecht Ruprecht nämlich. Niko-         lich alte weisse Männer mit Bart sind        Befestigung verschied. Warum er jetzt
                  laus hatte aufgrund seines episkopalen     nicht mehr zeitgemäss. Auch beim             als geflügeltes Kind Geschenke bringt,
                  Auftretens Marktanteile eingebüsst,        Tierschutz gibt’s ein Problem: Ru-           erschliesst sich mir leider nicht. Die
                  Knecht Ruprecht war aufgrund ge-           dolph. Wer offensichtlich kranke             grundsätzliche Geschlechtsneutrali-
                  walttätiger Übergriffe schon lange         Viecher einmal um die halbe Welt jagt,       tät des Christkindes ist löblich, lässt
                  vor #metoo untragbar geworden. Ihr         muss mit Verfassungsinitiativen              es doch vielfältige Identifikationen
                  Zusammenschluss zum Weihnachts-            rechnen, selbst wenn die Tiere ihr           zu. Die Logistik ist ebenfalls auf dem
                  mann stellte sich auch aufgrund eines      Gehörn noch haben.                           neuesten Stand, da das Christkind als
                  Co-Brandings mit einem erfolgreichen              Da s G esch ä f t smodel l des        eine Art Drohne funktioniert. Die
                  Brausehersteller als zukunftsträchtig      Christkinds ist unter Druck geraten.         Lieferung ist ungemein pünktlich.
                  heraus. Marktführerschaft hat jedoch       Eigentlich war es ersonnen worden,           Unternehmensethisch problematisch
                  auch klare Nachteile: Wer überall          um Nikolaus Marktanteile abzuneh-            scheint mir hingegen der Aspekt der
                  zugleich sein muss, kann das nicht         men, was rund 300 Jahre lang recht           Kinderarbeit. Reden müssten wir
                  überall in gleichbleibender Qualität:      gut funktionierte. Mit dem erwähnten         zudem über jahreszeitlich angemes-
                  Herabfallende Brauen, schiefe Bärte,       Merger des Nikoruprechts zum Weih-           sene Arbeitskleidung.
                  abgewetzte Mäntel und vor allem            nachtsmann aber hat es stark an Prä-                Die anderen Gestalten – ob nun
                                                                                                          Weihnachtswichtel, Gnome, Heilige
                                                                                                          oder gar eine zottige Ziege in Nordeu-

Weihnachtsgaben-                                                                                          ropa – sind allesamt kleine Nischen-
                                                                                                          produzenten und haben je eigene
                                                                                                          Probleme, exemplarisch verweise ich

bringfiguren
                                                                                                          auf Befana, die italienische Weih-
                                                                                                          nachtshexe. Der Sage nach soll die
                                                                                                          Hexe seinerzeit von den Hirten die
                                                                                                          Frohe Botschaft gehört haben, der
                                                                                                          Stern von Bethlehem sollte sie zur
Text: Rayk Sprecher
                                                                                                          Krippe führen. Da sie jedoch zu spät
Illustration: Anja Wicki & Benjamin Hermann
                                                                                                          aufbrach, verpasste sie den Stern. Wer
                                                                                                          so etwas zum Gründungsmythos
                                                                                                          seines Unternehmens macht, muss
                                                                                                          sich nicht wundern, nur im italieni-
                                                                                                          schen Markt erfolgreich zu sein.
                                                                                                                 Zum Schluss empfehle ich gerne
                                                                                                          die Devise meiner Kinder: Hauptsa-
                                                                                                          che, es bringt überhaupt irgendjemand
                                                                                                          irgendwas. Halleluja!

                                                                                                          Wenn Rayk Sprecher nicht gerade die
                                                                                                          Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
                                                                                                          der Universität Luzern managt, ist er
                                                                                                          freischaffender Philosoph, Dozent,
                                                                                                          Berater und Kabarettist, zum Beispiel
                                                                                                          im Kleintheater Luzern mit der Philo-
                                                                                                          Kabarett-Reihe «standup philosophy».

8                                         041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                             Dezember 2020
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
KOSMOPOLITOUR

Weihnachtslichter gegen
düstere Aussichten
           Das Grossstadtleben, trotz seiner An-      «Lazuli Sky» von Will Tuckett wurde drängten, wurde klar, dass wir nach wie
           onymität, war vor der Pandemie voller      während der Pandemie in Auftrag ge- vor in einer Zeit der Isolation lebten
           Körperkontakt. Auf die U-Bahn zu           geben; eine schlichte Choreografie mit und diese noch lange weiterbestehen
           rennen, sich in das volle Abteil zu drü-   klassischer Technik, eine Zelebration würde, doch diesmal während der
                         cken, bevor die Tür zu-      des Ausdrucks und der Schönheit des langen, dunklen Jahreszeit und einer
Text und Bild:           schnappt und man einem       menschlichen Körpers. Das Theater neuen Brexit-Realität, die uns am
David Kilian Beck anderen Pendler hautnah             war nur zu einem Drittel besetzt, je- Neujahrsmorgen erwartet.
                         in den Nacken atmet; in      weils vier Sitze bis zur nächsten Person,     Geplant wäre das Jahresende in
           Kellern zu tanzen, Körper an Körper,       das Publikum reguliert und betreut von der Schweiz gewesen und nicht einge-
           bis die Kondensation von der Decke                                                          igelt zu Hause in Ostlondon;
           tropft; oder die Solidarität zwischen                                                       anst at t zusammen mit
           Nachtschwärmern, wenn der angesäu-                                                          Familie und Freunden, ein
           selte Unbekannte im Pub einem den                                                           Wiedersehen nach über
           Arm um die Schultern legt: All das ist                                                      einem Jahr: nun zu zweit.
           jetzt fahrlässig. Obwohl wir über den                                                       Unsere muslimischen Nach-
           Sommer und Frühherbst den maskier-                                                          barn, die jeweils unsere
           ten und desinfizierten Alltag in Kauf                                                       Katzen hüten, haben heuer
           nahmen, uns in einer gewissen Norma-                                                        schon im Oktober die Weih-
           lität wähnten – die Intimsphäre wurde                                                       nachtsdekoration ins Fenster
           neu abgesteckt. Wie vor hundert Jahren                                                      gehängt; eine Geste der Soli-
           hält man höflich Abstand, wenn man                                                          darität für die christlichen
           Bekannten auf der Strasse begegnet;                                                         Nachbarn und wohl auch, um
           Hausfeste wurden zu Abendessen im                                                           die trüben Tage etwas zu er-
           engsten Kreis; eine volle U-Bahn lässt                                                      hellen. Wo ich sonst über
           man weiterziehen und ein Taxi zu teilen,                                                    prämature Weihnachtsde-
           wird gar nicht erst offeriert.                                                              koration die Nase rümpfe,
                  Kurz vor dem erneuten Lock-                                                          erfüllen mich die bunten,
           down wurden mein Mann, ein ehema-                                                           blinkenden Lämpchen dieses
           liger Balletttänzer, und ich zu einem                                                       Jahr mit Freude. 2020 war ein
           zeitgenössischen Ballett eingeladen.                                                        seltsames Jahr, neue Regeln
           Vor der Pandemie waren wir im Schnitt                                                       gelten, alles wurde bewegli-
           einmal pro Woche in einem der Theater                                                       cher, was nächstes Jahr noch
           der Stadt anzutreffen, und nach der                                                         alles auf uns wartet, wissen
           langen Durststrecke konnten wir dem           2020 ist X-Mas-Deko schon im Oktober okay.    wir nicht. Anstatt mir zu
           Erlebnis einer live-Darbietung nicht                                                        viele Gedanken zu machen,
           widerstehen. Das Birmingham Royal          aufmerksamen Stuarts, die alle zu ihren habe auch ich schon früh begonnen,
           Ballet war die erste nationale Tanzcom-    Plätzen geleiteten. Was sich hätte unser Haus zu dekorieren, und falls es
           pagnie, die sich wieder auf die Bretter    normal anfühlen sollen, war ange- dem Wohlbefinden hilft, lasse ich es
           des Sadler’s Wells wagte, das zum          spannt und vorsichtig. Die Lücken weihnachten bis in den April hinein;
           letzten Mal während des zweiten            zwischen den Zuschauern waren be- und in diesem Sinne: Merry Christmas
           Weltkriegs seine Türen geschlossen         klemmend, noch verstärkt durch die and (hopefully) a Happy New Year!
           hatte. Drei Kurzstücke, getanzt in         Körperlichkeit des Tanzes, und in mir
           Kohorten, um eine breitflächige Anste-     machte sich eine Sehnsucht breit: nach           David Kilian Beck lebt seit 13 Jahren in
           ckung der Compagnie zu verhindern,         Nähe, Sicherheit und Normalität. Ob-             London. Er studierte Fotografie an der
                                                                                                       University of Westminster und leitet seit
           die Bühne wurde zwischen den Stücken       wohl wir bis dahin alle Zeichen eines            ein paar Jahren die Kulturabteilung der
           gesäubert. Die Premiere des Stücks         zweiten Lockdowns erfolgreich ver-               Schweizerischen Botschaft in London.

Dezember 2020                                 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                    9
AUSSERDEM CÉGIU UND CARLOS EICHMANN IM PORTRÄT ALEXANDRA BLÄTTLER IM GESPRÄCH ÜBER DIE ZENTRAL! DIE HEUTIGE JUGEND IN 45 LESEMINUTEN KOMPRIMIERT ...
NACHSCHLAG

Drei Freunde sind einer zu viel
Disneyland-Stil, Mehr-ist-mehr-Prinzip, Cocktail-Happy-Hour: All das trifft man
gehäuft in Restaurants, die sich in Malls finden. Also jenen Einkaufserlebnis-
tempeln, deren Niedergang überall gefeiert wird, während sie in der Zentralschweiz
neu eröffnet werden – und mit ihnen auch dieser Typ Systemgastronomie.
          Wenn Mall-Gastronomie tatsächlich          Bier. Während wir dieses
          des Teufels ist – warum in Gottes Na-      trinken, bemerkt meine
          men sollte man dann so ein Lokal           Begleitung, dass ihn die
          aufsuchen? Hauptsächlich: Weil man         Aufmachung sehr an
                              zur falschen Zeit am   den Europapark erinnert:
Text: Michal Niezborala       falschen Ort ist,      bunte Wände, Balkon-
                              nämlich zur Hun-       imitate, Fensterläden an
          gerzeit in der Mall. So ist es auch uns    der Wand, Scheintüren.
          ergangen. Mein Kinokollege und ich         Die Illusion, man sei auf
          wollten unbedingt «Tenet» auf Englisch     einer Plaza de la ciudad.
          schauen und sind so überhaupt erst in      Aber wir sind an der Ebi-
          der katarischen Exklave im Rontal (die     square-Strasse, leider auch
          treue Leserschaft dieser Kolumne weiss     kulinarisch. Wenn man
          um meinen Bezug zum Rontal), der           schon für Tortillachips
          Mall of Switzerland, gelandet. Nach        zahlt, sollten diese nicht
          Filmende half nichts mehr. Um halb         himmeltraurig auf dem
          neun nahm im Maihöf li niemand             Teller nebst den anderen
          das Telefon ab, schloss das Felsenegg      Vorspeisen verloren gehen, wie die               Speisekarte (sic! Speisekarte, nicht
          bereits die Türen und war das Old          wenigen Gäste an diesem Abend. Ge-               Getränkekarte!) anlärmt und auch
          Swiss House ausgebucht wegen einer         rettet hat die Platte ausgerechnet die           auffordert, nach dem Tageshit zu fra-
          Metzgete. Also gingen wir ins Tres         Flauta, eine mit Gemüse und Käse                 gen. Stattdessen nehmen wir das
          Amigos. An der ewig langen Bar sass        gefüllte Tortillarolle, denn auch die            Schicksal selbst in die Hand und rollen
          ein mutmassliches erstes Date, zwei        Chorizoscheiben waren nicht weiter               uns noch ein paar Fajitas, ein wenig
          Freundinnen tranken ihren Apéro und        erwähnenswert. All das leider an einem           enttäuscht, dass man uns nicht auf die
          irgendwo hinten links erahnte man          Abend, an dem nun wirklich genug Zeit            Spare Ribs à discrétion (jeden Montag
          einen einsamen Verzweifelten, der          gewesen wäre, etwas mit der Präsen-              und Dienstag!) hingewiesen hat. À
          auch keine Wahl mehr gehabt hatte.         tation rauszureissen. Bei der Haupt-             discrétion übrigens, der helvetische
                 Wer davon ausgeht, dass die         speise ist es nicht so tragisch: Wir haben       Ausdruck für das Mehr-ist-mehr-Prin-
          Pandemie wirtschaftsschädigend ist,        beide das Hähnchen mit Mole Poblano,             zip. Wäre doch auf dem Teller mehr
          sieht sich bei dem Anblick bestätigt.      der «Nationalsauce» Mexikos, bestellt.           Mexiko als an den Wänden. Aber was
          Also zeigten wir uns solidarisch und       Schmackhaft und würzig ist es, sogar             will man machen? Zur falschen Zeit am
          hauten so richtig rein: Vorspeise,         die schwarzen Bohnen haben eine gute             falschen Ort.
          Hautspeise und Fajitas obendrauf,          Konsistenz, was ich nach der Vorspeise
          mehr ist mehr. Überzeugt hat mich am       wirklich nicht erwartet hatte.                   Michal Niezborala isst sich für 041 – Das
          meisten das Getränk: Modelo Especi-              Vielleicht hätten wir auch einfach         Kulturmagazin durch die Zentralschweiz.
                                                                                                      Für diese Ausgabe war er im Mexican
          al, ein Pilsener aus Mexiko Stadt, dort    eine Literkaraffe Margarita zur Eröff-           Bar und Restaurant Tres Amigos an der
          nach Corona angeblich das beliebteste      nung bestellen sollen, wie uns die               Ebisquare-Strasse 2 in Ebikon.

Anzeigen

10                                            041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                Dezember 2020
FOTODOK

                                                                                                      Auftrag gewählter dokumentarischer
                                                                                                      Themen und künstlerischer Arbeiten.
                                                                                                             Die Bildgestaltung und die In-
                                                                                                      tention der Fotografierenden haben
                                                                                                      sich über die Jahre kaum gewandelt.
                                                                                                      Hinzugekommen sind neue Betrach-
                                                                                                      tungsweisen. In der Schweiz wurde
                                                                                                      etwa oft dokumentarisch «der Letzte
                                                                                                      seines Standes» festgehalten, bevor ein
                                                                                                      Industriezweig ins Ausland ausgelagert
                                                                                                      oder in einem Mass modernisiert
                                                                                                      wurde, dass es «die Arbeiterin» und
                                                                                                      «den Arbeiter» nicht mehr braucht, dass
                                                                                                      sie «ausgebildetem Fachpersonal» Platz
                                                                                                      machten.
                                                                                                             Die Grenzen zur Werbefotogra-
                                                                                                      fie sind oft so dünn, dass sie nur aus
                                                                                                      dem Kontext erkannt werden. Dieser
                                                                                                      ist meist dadurch gegeben, dass es ohne
                                                                                                      Auftrag fast unmöglich ist, auch nur in
                                                                                                      die Nähe eines Giesskessels oder einer
                                                                                                      Drehbank wie der hier abgebildeten zu
                                                                                                      kommen. Das Bild stammt vom Luzer-
                                                                                                      ner Fotografen Josef Laubacher, dessen
                                                                                                      Nachlass – ein Teil davon mithilfe der
                                                                                                      Fotodok – vom Stadtarchiv Luzern
                                                                                                      aufgearbeitet und digitalisiert wurde.
                                                                                                      Das Bild ist ganz in der Tradition der
                                                                                                      Dreissiger- und Vierzigerjahre kompo-
                                                                                                      niert und wohl Ende der Vierziger-,
                                                                                                      Anfang der Fünfzigerjahre entstanden.
                                                                                                      Fast hört man den Lärm der grossen
                                                                                                      Drehbank, auf der diese riesige Achse
                                                                                                      abgedreht wird. Das Licht ist offen-
                                                                                                      sichtlich gezielt gesetzt und hebt die
                                                                                                      Theatralik, zieht den Blick vom Stahl

Working Class Heroes                                                                                  im Mittelpunkt des Bildes – und dem
                                                                                                      eigentlichen Star des Werbebildes – auf
                                                                                                      das Gesicht, fast möchte man sagen
Kunst- und Werbefotografien trennt seit jeher nur                                                      «Antlitz», des Arbeiters. Und so wird
ein schmaler Grat – und manchmal wird ein Foto gar                                                    nicht nur die Grenze zwischen Werbe-
                                                                                                      und Sozialfotografie verwischt, son-
fast zu einem sozialdokumentarischen Heiligenbild.
                                                                                                      dern diese auch recht unscharf in
          Spinnerinnen und Weberinnen, Ei-           politischen Strömungen ein Wandel,               Richtung Heiligenbild gezogen.
          sendreher und Giesser: Sie alle dienen     der sich in der Wahl der Sujets wie auch
          der Fotografie seit ihren Anfängen         in deren Darstellung zeigte. Konstant
          einerseits als Sinnbild für die aufstre-   blieb eine hohe Anziehungskraft, ein
                                                                                                      Die Stiftung Fotodokumentation Kanton Luzern
                      bende Industrialisierung       grosses Potenzial zur Identifizierung.
                                                                                                      (Fotodok) besteht seit 1992 und hat ihren Sitz in
Text: Simon Meyer in der zweiten Hälfte des          Die Arbeiterinnen und Arbeiter als               Luzern. Sie schützt, kuratiert und vermittelt das
                      19. Jahrhunderts und ander-    «Heroen» hatten in allen ideologischen           Kulturgut Fotografie in den Arbeiten und Werken
                                                                                                      von Fotografinnen und Fotografen aus der Zentral-
          seits als Sujet für Mahn- und Protest-     Gesellschaftsformen – ob Kapitalis-              schweiz. In dieser Serie stellt die Stiftung Fotodok
          bilder mit Bezug auf die Arbeitsbedin-     mus, Kommunismus oder Nationalso-                in einer Kooperation mit dem Kulturmagazin Foto-
          gungen in den Fabriken. Ähnlich wie        zialismus – einen festen Platz. Das gilt         grafien und die Geschichten dahinter vor. Simon
                                                                                                      Meyer ist Geschäftsleiter der Fotodok.
          in der Malerei vollzog sich dabei mit      sowohl für Propagandabilder wie auch             Foto: Josef Laubacher © Stadtarchiv Luzern,
          den jeweils gesellschaftlichen und         die freie Fotografie im Sinne ohne               F2 PA 37/004.02:04-r

Dezember 2020                                 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                            11
UNFOKUSSIERT

Bilder: Mirjam Steffen
Lockdown / Lockerung / Sommer / Protest / Maskenpflicht

12                                          041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Dezember 2020
UNFOKUSSIERT

Dezember 2020   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   13
UNFOKUSSIERT

14   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Dezember 2020
UNFOKUSSIERT

Dezember 2020   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   15
16   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Dezember 2020
UNFOKUSSIERT

LOST IN NAVIGATION

Eine versöhnliche Abrechnung:                                                       Suppe, Klumpen, Dickicht: Dieses Jahr in Lauer-
                                                                              stellung und Tickermodus ist lang und zäh. Scheue Licht-
so unschlüssig und verwirrend                                                 blicke gab’s – dazwischen. Ich mag mich an das erste Kon-
                                                                              zert erinnern nach der erzwungenen Pause, als ich die
wie dieses Jahr ohne Zeit.                                                    Treppenstufen in den vollen Club hinunterstieg. Es
Text: Jonas Wydler                                                            fühlte sich an wie zwanzig Jahre zuvor, als ich neugierig
                                                                              und unsicher die heiligen Hallen der Boa für mich ent-
            Eine trübe Suppe. Ein unförmiger Klumpen. Ein unwirt-             deckte.
            liches Dickicht. Wenn ich das endende Jahr 2020 überbli-
            cken und resümieren will, gelingt mir das nicht. Zu viele               Wenn die Orientierung fehlt – im Kopf wie in der
            Fixpunkte und Gewohnheiten, die sonst Halt und Orien-             Zeit –, bleibt nur das unmittelbare Jetzt. Auch das hat
            tierung bieten, fehlen. Ich bin überfordert.                      etwas (es bleibt ja nichts anderes übrig). Ob’s anderen
                                                                              ähnlich ergeht? In diesem Jahr, in das ich mit guten
                  Stattdessen solche blöden Bilder. Ich sehe: ein zeit-       Plänen und ambitionierten Vorhaben gestartet war, ist so
            loses, zähes Etwas, das doch erst gerade begonnen hat.            ziemlich alles anders gelaufen als geplant – deswegen.
            War nicht eben noch Neujahr, Frühling, Daniel Koch?
            Egal, die Zeit verliert jegliche Bedeutung in diesem Jahr              Go with the Flow, jeden Tag aufs Neue leben und
            ohne verlässliche Prognosen und Sicherheiten.                     sehen, was möglich und nötig ist. Einmal mit dem Zu-
                                                                              stand arrangiert, ist das alles gar nicht so schlecht.
                  Die Meldungen darüber, so elend sie sind, reihen            Anders, nicht schlechter. Es lehrt uns eine gewisse Demut
            sich ein in den stetigen Fluss von Zahlen, Kurven und Er-         und zwingt uns zu Bescheidenheit.
            zählungen. Restaurants und Kulturschaffende kämpfen
            um ihre Existenzen; Ärzte, Pflegende und Journalistin-                  Lost lautet das deutsche Jugendwort des Jahres –
            nen gegen die Erschöpfung; Komiker um ihren Ruf. Nur              indeed, indeed. Inzwischen gebe ich mich der Orientie-
            die Idioten, die demonstrieren dagegen.                           rungslosigkeit mit einem gewissen Fatalismus und
                                                                              Genuss hin. Denn sie verspricht auch Überraschungen,
                 Statistiken, Prognosen und Absagen gehören in-               Unverhofftes und Augen für das Nahe. Sie ersetzt alte
            zwischen zum Alltag. Vorhersagen dazu sind schwierig,             Gewohnheiten, bricht Mauern ein und schafft Grund für
            der Ruf nach Planungssicherheit wird zur Folklore. Lieb-          Neues. Auf die Gefahr hin, dass das alles wie ein Kalen-
            gewonnene Traditionen bleiben auf der Strecke – Feste,            derspruch klingt. Ein Jahr, an die Wand geklatscht.
            Festivals, Fasnacht. Es bleibt: Fernweh.
                                                                                    So gesehen kann es auch ein Aufbruch sein. Es wird
                   Es wird zwischen schwindenden Existenzen und               nicht alles gleich sein danach. Einiges vielleicht ärmer und
            wankenden Branchen irgendwie weitergehen müssen –                 verschwunden; vieles aber besser und neu. Wenn auch
            danach. Und was bleibt uns, die es normalerweise schät-           noch ein bisschen lost vielleicht.
            zen, Kulturprogramme durchzublättern und bequem
            aus einem breiten Angebot auszuwählen? Es fehlt neben                   Bis dahin sollten wir in der Orientierungslosigkeit,
            der geistigen Herausforderung, dem Tanz aus der Kom-              so gut es geht, nicht aus dem Tritt fallen. Einfach nicht
            fortzone, auch einfach: Orientierung. Kultur füllt Kalen-         stolpern. Geht doch.
            der und macht Jahreszeiten – Comics, Musiktage, Open
            Airs, Jazz, Theater, Worte, Weltklasse-Klassik.

Dezember 2020                                 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                  17
KONSUMTEMPEL-
     KULTUR
       Unsere Autorin hat das Emmen Center besucht – jetzt und
       unzählige Male als Kind. Ihren Erinnerungen stellt sie eine
       ganze Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse rund um das
       Shoppen und Einkaufpaläste zur Seite.
       Text: Jana Avanzini           Bilder: Christof Schürpf

18             041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   Dezember 2020
UNFOKUSSIERT

            Erst riecht es nach Benzin, dann kurz nach frischem Ziga-              Hier pausieren, aufgereiht auf den schwarz-gelben
            rettenrauch. Es folgt ein Hauch billiges Parfüm und im           Polstern, ältere Herren mit haufenweise Einkaufstüten.
            Lift schliesslich umarmt der schwere Duft von thailändi-         Neben ihnen ein Haufen tuschelnder Teenies. Aufre-
            schem Essen. Immer exakt dieselben Gerüche reihen                gung kommt auf, Halbwüchsige stolzieren vorbei. Das ist
            sich auf dem Weg vom Auto bis in den Lichthof aneinan-           kein Geschäftsareal – das ist ein öffentlicher Raum 12,
            der. Im Emmen Center. Ein kleines, provinzielles Ein-            eine Bühne 13.
            kaufszentrum – für die einen zweites Zuhause 1, für die
            anderen ein stilloser Unort 2. Ein Tempel 3 des Kapitalis-         1
                                                                                Die Sozialforschung spricht von «Verhäuslichung» des öffentli-
            mus. Grosse rote Punkte dominieren die leuchtende                  chen Raumes. «Jugendliche suchen sich in dieser veränderten Le-
            Landschaft aus billigen Shirts und teuren Schuhen, aktu-           benswelt ihre Freiräume.» (Bundesministerium für Verkehr, Bau
            ell ergänzen blinkende Lichter, Glitzergirlanden und               und Stadtentwicklung [2010]: Freiräume für Kinder und Jugendlich)
            Kunstschnee die Szenerie. Im EG hinten rechts riecht es            2
                                                                                «Schöngeistern gelten Einkaufscenter als trostlose Konsumtem-
            nach Lebkuchen, ein Stock darüber versinkt man im                  pel, gefüllt mit den immergleichen Produkten. Ein Ort, wo der
            süsslichen Dumpf von vollen Windeln und Feuchttü-                  Konsum nicht mehr zur Deckung von Bedürfnissen erfolgt, son-
            chern. Gleich gegenüber duftet die Pasta und links dane-           dern wo der Konsum selbst verehrt wird.» (SRF [2020]: Mikrokos-
                                                                               mos Megamall)
            ben dominiert der Geruch von Chemikalien aus den
                                                                               3
            Fasern der Billigmode – gegen Schimmel und Tierchen.                «Mit der Verwendung des Wortes «Tempel» – also der Bezeich-
                                                                               nung für religiöse Gebäude – wird darauf angespielt, dass hier der
                   Es ist wie früher. Bloss Casa ist jetzt Zara, Mango
                                                                               Konsum nicht mehr zur profanen Deckung von Bedürfnissen er-
            ist Vögele Shoes, und Vögele Shoes ist Decathlon. Neu              folgt, sondern der Konsum selbst verehrt wird. Kaufen hat etwas
            wurde auch eine Nagelbar aufgestellt – «BE PRETTY».                mit Träumen und Verführung zu tun. Es lässt die Welt bunter aus-
            Abgesehen davon: Alles wie immer. Es dudelt sowas wie              sehen. Schöne Dinge werten uns auf und lassen uns in der Regel
            Swiss Pop, ein Kind rastet neben dem Heissluftballon               perfekter und begehrenswerter erscheinen, als wir wirklich
            aus, den man mit Fränklern füttern müsste, und ich falle           sind.»(Andreas Haderlein, Eike Wenzel, Patrick Mijnals [2007]:
            innert Sekunden in alte Muster zurück. Verführung                  Shopping Szenarien – Die neuen Sehnsüchte der Konsumenten)
                                                                               4
            überall.                                                            Bekannt ist, dass der hohe Gesamtkonsum der Menschheit jen-
                   Man schlendert durch eine glamouröse Glitzer-               seits der Nachhaltigkeitsgrenzen liegt und folglich unwieder-
                                                                               bringliche Umweltveränderung und -zerstörungen verursacht.
            welt, in der Armut und Einsamkeit scheinbar nicht exis-
                                                                               5
            tieren. Hier kann man sich auf die schönen und angeneh-              «Bei politischen Enttäuschungen und wirtschaftliche Sorgen
            men Dinge des Lebens fokussieren. Hier ist man sicher.             sucht der Mensch nach Kompensation und Betäubung. Fiktive
                                                                               Konsumfigurationen vermitteln Identität und Orientierung. Doch
            Jedenfalls solange man im Kinderparadies die anderen
                                                                               diese Idylle kann in Desorientierung und Sucht umschlagen.»
            Kinder nicht grob mit italienischen Fluchworten ein-               (Günther Rosenberger [2020]: Moderne Konsumästhetik)
            deckt. Denn dann werden die Eltern ausgerufen. Unge-               6
                                                                                «Benjamin R. Barbers vertritt die These, dass die kapitalistische
            fähr seit damals verbindet mich und das Emmen Center               Überflussgesellschaft Erwachsene infantilisiert und die Demo-
            eine ambivalente Beziehung. All dieses Zeug, dieser billi-         kratie untergräbt. Die Unternehmen, so Barber, deklarierten ihre
            ge, sinnlose Ramsch. Natürlich ist Kritik 4 angebracht.            geschickte Manipulation als Ausdruck der individuellen Freiheit
            Menschen werden ausgebeutet, manipuliert 5 und ab-                 des Konsumenten. Wie Peter Pan würden die Verbraucher sich
            hängig gemacht, von Dingen, die sie gar nicht benötigen.           weigern, erwachsen zu werden und entzögen sich damit ihrer Ver-
                                                                               antwortung in der Zivilgesellschaft. Dies führe zu Egoismus und
            Mündige Bürger und Bürgerinnen werden zu Kindern 6
                                                                               Kulturverlust, Narzissmus und Verantwortungslosigkeit.» (Sabine
            und Kinder zu Konsumenten. Sucht 7 und Schulden sind               Berthold [2009]: Neverland des Konsumkapitalismus)
            die Konsequenz. Eine üble Sache also.                              7
                                                                                 Kaufsucht ist ein Thema, das trotz geschätzten fünf Prozent
                   Doch ehrlich? Das Einkaufen schöner Dinge macht
                                                                               Kaufsüchtigen nicht annährend die Aufmerksamkeit erhält, die es
            Spass, zählte auch eine Weile zu meinen Hobbys 8. Doch             verdient. Es wird bis heute nicht als Krankheit klassiert. Aus dem
            die Freude an den Dingen, das wohlige Gefühl beim                  einfachen Grund: Shoppen ist wirtschaftlich erwünscht. Durch
            Kaufen, das ist je nach Gesellschaft gar nicht einfach zu-         vielfältige Marketing-Strategien und Werbung werden permanent
            zugeben. Hochkultur und Konsumkultur gehen offen-                  Bedürfnisse geweckt, um das stetige Wirtschaftswachstum auf-
            bar nicht gut zusammen – sowenig wie Trauffer und die              rechtzuerhalten.
                                                                               8
            Oper es tun. Wie Musicals und Theaterwissenschaftle-                2019 nannten bei einer gross angelegten Umfrage in Deutschland
            rinnen. Oder doch 9?                                               fast 30 Prozent der Menschen Shoppen als Hobby. Das «Lädele»
                   «Der Treffpunkt der Halbschlauen», nannte es eine           wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Freizeitvergnügen. Durch
                                                                               den Wirtschaftsboom entstand die Lust am Anschauen moderner,
            Center-Nachbarin. Ich verstand «Halbwüchsige», wurde
                                                                               toller und oft auch etwas zu teurer Waren.
            jedoch schnell korrigiert. So würden wohl viele sagen:             9
                                                                                 Konsumismus kann Teil der Hochkultur sein: «Sind die Lügen,
            Einkaufszentren sind Trash. How the mighty have fallen. 10
                                                                               die der Werbung für Konsumgütern vorgehalten werden, nicht in
            Und viele würden den Ort für von Kultur 11 weit entfernt           Wahrheit Fiktionen, die, ähnlich wie das bei den Künsten der Fall
            halten. Abgesehen von der Cinquecento-Ausstellung                  ist, wichtige Funktionen erfüllen?» (Wolfgang Ullrich [2009]: Über
            und den Guuggenmusig-Konzerten.                                    die warenästhetische Erziehung des Menschen)

Dezember 2020                                041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                     19
UNFOKUSSIERT

                                                                         10
            Über Jahre hinweg verbrachte ich beinahe wö-                   «Kaufhäuser galten in der Mitte des 20. Jahrhunderts als Insti-
                                                                         tutionen einer neuen Lebensqualität, mondän und elegant, klas-
     chentlich einen Tag im Einkaufszentrum. Für mein Grosi
                                                                         sische Sehnsuchtsorte. ‹Kathedralen des neuzeitlichen Handels›
     und meine Mutter bildeten das Manor-Restaurant, die                 nannte der Romancier Émile Zola sie gar. Sie sollten eine Demo-
     Gratis-Parkplätze, all die Einkaufsmöglichkeiten eine               kratisierung des Konsums einleiten. Teure Konsumhallen wie die
     perfekte Kulisse für gemeinsame Stunden. Keine garsti-              Galeries Lafayette in Paris zählen auch heute noch zu den kultu-
     ge Witterung, keine dicke Jacke, kein Schirm, keine Stol-           rellen und touristischen Hotspots.» (Kerstin Schneider [2005]: So-
     perfallen störten das «Lädele». Man vertreibt sich die              ziologie des Shoppings)
                                                                         11
     Zeit, schaut schöne Dinge. Kauft schöne Dinge. Ein paar               Die Hauptthese von Mareike Schrödter lautet, dass sich durch
     neue Schuhe hier, zwei, drei neue Shirts da, ein Buch, zwi-         die neuen Konsumgewohnheiten ein völlig neues Kulturverständ-
     schendrin Kaffee und Kuchen und dann noch ein paar                  nis etabliert hat. Meinte man früher mit «Kultur» Hochkulturen
                                                                         oder geistige Kultur wie Literatur, Musik oder Kunst, so wird der
     Ohrringe. Eigentlich wollte ich bloss ein Deo kaufen.14
                                                                         Begriff heute in einem neuen Zusammenhang verwendet. Viele
     Aber wie stylisch und einzigartig ich doch damit aus-               Leute meinen ihre Freizeitbeschäftigung und ihre neuen Erlebnis-
     sehe,15 wie bohème sich das Buch in meinem Regal doch               se, wenn sie von Kultur sprechen. Und dieses neue Verständnis ist
     macht!16                                                            meist auch mit Konsum verbunden. (vgl. Mareike Schrödter [2001]:
            Es ist wie früher. Bloss mit schlechtem Gewissen.17          Kulturelle Erlebniswelt – das Einkaufszentrum als neues städti-
                                                                         sches Kulturforum) Anderseits kommt auch Hochkultur kaum noch
                                                                         ohne Zusatzkonsum aus: Ein Prosecco zur Premiere, die Kunsttas-
                                                                         se zum Museumsbesuch und das Bandshirt zum Konzert.
                                                                         12
                                                                           Hier versammelte sich das Proletariat, um sich auszutauschen.
                                                                         Hier waren die Märkte, die Theater, hier fanden Ausstellungen
                                                                         statt und Konzerte. (Die Vergangenheitsform ist der aktuellen Si-
                                                                         tuation sowie dem Aussterben der Altstädte geschuldet.)
                                                                         13
                                                                           «Wir alle spielen Theater», sagte Erving Goffman und bezog sich
                                                                         in den Ausführungen seiner Theatermetaphorik oft auf Beispiele
                                                                         aus dem Einzelhandel. Er beschrieb alltägliche Selbstdarstel-
                                                                         lungsmechanismen, die privatwirtschaftlich etabliert und insze-
                                                                         niert werden. Eine Selbstdarstellung auf allen möglichen Bühnen
                                                                         des Zusammentreffens, für die Umwelt, aber auch für sich selbst.
                                                                         14
                                                                           «‹Shopping› ist nicht die Beschaffung benötigter Güter, sondern
                                                                         entsteht aus dem Bedürfnis nach dem (Einkaufs-)Erlebnis. Kaum
                                                                         jemand wird im Shoppingcenter mit Einkaufszettel aufkreuzen. Im
                                                                         Gegenteil: Die permanente Verführung ist Teil des Spiels.» (Fredy
                                                                         Obrecht [2011]: Shopping als Hobby)
                                                                         15
                                                                            «Durch Kunst erhält der Mensch die Chance, sich über sich
                                                                         selbst klarer zu werden und sich neu zu definieren. Statt auf eine
                                                                         bestimmte Weltsicht verpflichtet zu werden, kann er Festlegun-
                                                                         gen überwinden: Selbstbildung wird ermöglicht.» (Friedrich Schil-
                                                                         ler [1794]: Über die ästhetische Erziehung des Menschen). Es stellt
                                                                         sich nun die Frage, ob sich Konsumgüter auch positiv mit Roma-
                                                                         nen oder Bildern etc. vergleichen lassen.
                                                                         16
                                                                           «Die Kollaboration von Kunstszene und kommerzieller Waren-
                                                                         produktion verspricht heute ein lukratives Geschäft. Einzigartig-
                                                                         keit, Originalität und Authentizität wird über Objekte inszeniert.
                                                                         Es entsteht eine neue Konsumästhetik aus Produktion, Rezepti-
                                                                         on und jeweiligen kreativen Inszenierungs- wie auch Sammlungs-
                                                                         logiken.» (Pamela C. Scorzin [2020]: Kunst zum Konsum?!)
                                                                         17
                                                                           «Nachhaltigkeit einzukaufen ist möglich. Dies fördert immer
                                                                         stärker die Ansicht, dass private Konsumenten – und nicht etwa
                                                                         Unternehmen oder Politik – die Transformation des Kapitalismus
                                                                         hin zu einer ökologischen und moralischen Ökonomie anstossen
                                                                         müssen. Das Problem darin sei, dass dem Individuum zugemutet
                                                                         wird, woran Politik und Zivilgesellschaft – von der Wirtschaft ganz
                                                                         zu schweigen – offenbar scheitern. Der Einzelne wird überfordert,
                                                                         die Politik entlastet. Darf diese Sorge um die Nachhaltigkeit ins
                                                                         Private abgeschoben werden? Oder ist der nachhaltige Umgang
                                                                         mit unseren Ressourcen nicht eher eine öffentliche Aufgabe –
                                                                         weil sie das Ganze betrifft und weil es um einen grundsätzlichen
                                                                         Kurswechsel geht, der eine Veränderung der politischen Rahmen-
                                                                         bedingungen erfordert?» (Armin Grundwald [2012]: Warum nach-
                                                                         haltiger Konsum die Welt nicht retten wird). Und trotzdem: Jeder
                                                                         Einkaufszettel ist eben auch ein Stimmzettel.

20                                     041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                           Dezember 2020
Dezember 2020   041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz   21
UNFOKUSSIERT

                                                                                                            kirchenkonformes Programm

BLOSS KEINE                                                                                                 spiele.» Das Verrückteste war
                                                                                                            für ihn wohl Meat Loafs «I’d
                                                                                                            Do Anything For Love» in der
                                                                                                            Kirche erklingen zu lassen.

STILLE NACHT                                                                                                «Eine Trauernde kam nachher
                                                                                                            zu mir und sagte, sie habe
                                                                                                            nicht gewusst, dass es mög-
                                                                                                            lich sei, so was auf der Orgel
                                                                                             zu spielen. Ich finde, man soll sich vieles er-
Für Organisten wie Christoph Mauerhofer                                                      lauben, ohne die Grenzen zu überschreiten.»
bedeutet die Weihnachtszeit Hochsaison –                                                     Darum mag er sich nicht auf Diskussionen
doch dieses Jahr ist alles anders. Die Hoffnung                                              darüber einlassen, welche Musik nun die
                                                                                             beste sei und was in einer Kirche erlaubt ist
auf einen stimmigen Advent hat der Musiker                                                   und was nicht. «Da bin ich demokratisch. Ich
allerdings noch nicht aufgegeben.                                                            glaube, es hat genug Platz für alle Meinun-
                                                                                             gen, solange man sich gegenseitig respek-
             Es ist Sonntag, doch keiner ist in der Kirche. Nur brennen-       tiert.» Für ihn zählen die Väter der klassischen Musik wie
             de Kerzen verraten, dass zuvor schon jemand da war.               Mozart, Beethoven und Johann Sebastian Bach zu den
             Später wird hier Christoph Mauerhofer ein Konzert                 Favoriten. Wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde
             geben, erlaubt sind derzeit maximal 30 vorangemeldete             er gerne mit Bach einen Kaffee trinken: «Ich möchte mit
                                Personen. Pandemieregime. Dann be-             ihm über die Vielfalt der Musik reden.» Aufgewachsen sei
Text und Bild:                  tritt der dreissigjährige Organist den         er aber auch mit DJ Bobo, und er liebe Michael Jackson,
Ritah Ayebare Nyakato Raum. Kaum fangen wir an, über                           höre auch viel Popmusik.
                                Musik zu sprechen, ist offensichtlich,
             wie sehr er dafür brennt; unwillkürlich illustriert er sein              Mit «Golden Eye» fängt alles an
             Erzählen mit Händen und Fingern, als wäre vor ihm eine                   Christoph Mauerhofer mag es zu experimentieren,
             Tastatur. Woran er beim Spielen denkt? Selbstverständ-            er arbeitet daran, auch als Komponist seine eigene Spra-
             lich an die Musik! Was genau ihn umtreibt, hängt aller-           che zu finden. Den Weg in die Musik fand er sehr früh,
             dings vom jeweiligen Werk ab. Bei schwierigen Stücken,            bereits mit vier Jahren besuchte er Klavierstunden und
             etwa bei Bach, schweben seine Gedanken zwischen tech-             übte fleissig zu Hause auf dem alten Klavier, auf dem
             nischen Aspekten und Modulationen, will er doch seine             auch seine Mutter musizierte. Sein Vater spielte Gitarre
             eigene Version spielen, ohne sich zu stark vom Original           in verschiedenen Bands, sein Grossvater hatte ebenfalls
             abzuwenden. «Ich bin wie ein Koch, der schon ein biss-            Orgel gespielt, sein Urgrossvater sogar Musik kompo-
             chen würzen will, aber nur so viel, dass der Eigenge-             niert. Christoph Mauerhofer ist fasziniert von den über-
             schmack hervorgehoben wird», erklärt er. Bei Stücken,             lieferten, handgeschriebenen Noten, er arbeitet daran,
             die er häufig spielt, beginnt er sogar im Schlaf an Variati-      diese zu digitalisieren. Eines Tages, so hofft er, wird er
             onen zu arbeiten: «Dann kann ich mir vorstellen, wie die          seinen Urgrossvater mit einem Konzert ehren. «Viel-
             Leute mitsingen.» Sogar improvisieren kann er so.                 leicht werde gar ich spielen, das wäre sehr speziell», sagt
                    Für seinen Beruf als Organist muss er aber grund-          er. Doch zurück zum Anfang: zu «Golden Eye» von Tina
             sätzlich hellwach sein. Die enorme Vielfalt seines Instru-        Turner. Von früh an konnte sich Christoph Mauerhofer
             ments hat es ihm angetan, die unzähligen Klangfarben,             nämlich Melodien ausgesprochen gut merken und diese
             ob elektrisch oder manuell. «Jede Orgel hat ihren eigenen         dann auf dem Klavier wiedergeben – dazu gehörten die
             Charakter, das macht es spannend!» Ihm gefällt, dass er           Soundtracks der James-Bond-Filme. «Mein erster Kla-
             mit seinem Orgelspiel verschiedenste Stimmungen aus               vierlehrer Max Heinz hat meine Begabung früh erkannt
             den Leuten rauskitzeln kann – oder aber ihre Wünsche              und hat mir geholfen, die Melodien aus meinem Ge-
             und Bedürfnisse an der Orgel umsetzen darf, etwa an Be-           dächtnis am Klavier zu spielen. Das erste Lied war
             erdigungen. Christoph Mauerhofer hat keine Bedenken,              ‹Golden Eye›, erinnert er sich. Trotz allem Talent war es
             sich von klassischen Vorstellungen zu lösen. «Einmal hat          für den im Toggenburg aufgewachsenen Mauerhofer
             sich ein anderer Organist geweigert, Pink Floyd an einer          nicht schon immer klar, dass er dereinst Musik studieren
             Beerdigung zu spielen», erzählt er. Das könne er nicht ver-       würde. Zwar wählte er im Gymnasium Musik als
             stehen, schliesslich gehe es bei einer Beerdigung darum,          Schwerpunkt und spielte nebenbei in einer Big Band. Mit
             Trost zu spenden. Und wenn die Trauernden bestimmte               17 gewann er gar den Schweizerischen Jugendmusik-
             Wünsche haben, versucht er diese zu ermöglichen. «So              wettbewerb in der Kategorie «Orgel solo». Aber erst, als
             erreiche ich mehr, als wenn ich streng ein vermeintlich           ihn sein Orgellehrer Wolfgang Sieber dazu ermunterte,

22                                             041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                               Dezember 2020
UNFOKUSSIERT

                    «Jede Orgel hat ihren eigenen Charakter, das macht es spannend!»

                                                                                                      Schweizer Witze erzählt oder
                                                                                                      Komiker wie Charlie Chaplin,
                                                                                                      Jerry Lewis und Stan Laurel
                                                                                                      imitiert. Er ist mutig, ambitio-
                                                                                                      niert und kommunikativ –
                                                                                                      dank diesen Eigenschaften
                                                                                                      konnte er sich viele Gelegen-
                                                                                                      heiten erarbeiten, um seine
                                                                                                      Karriere voranzubringen.
                                                                                                            Doch das Jahr 2020 hat
                                                                                                      vieles auf den Kopf gestellt,
                                                                                                      Gottesdienste und Kirchen-
                                                                                                      musik wurden zeitweise stark
                                                                                                      eingeschränkt. Dank seiner
  Von Michael Jackson bis Johann Sebastian Bach: Christoph Mauerhofer begeistert sich                 Festanstellung in Olten habe
                            für ganz unterschiedliche Musik.
                                                                                                      er keine grossen Sorgen, den-
                                                                                                      noch mache er sich Gedanken
           entschied er sich, ganz auf die Musik zu setzen und lan- darüber, wie es weitergehen werde. Was an Weihnachten
           dete so 2009 an der Hochschule Luzern – Musik. Für die möglich sein wird, ist derzeit ungewiss. «Für gewöhnlich
           Unterstützung seiner Eltern auf diesem Weg ist Mauer- sind in der Weihnachtszeit die Konzerte und Gottes-
           hofer sehr dankbar. Schnell konnte er durch seinen Ne- dienste sehr gut besucht, aber das könnte dieses Jahr
           benjob als Organist in einer kleinen Kapelle und das anders sein. Wir werden vielleicht gar keine Gottesdiens-
           Spielen von Konzerten einen Teil seines Studiums selber te feiern können», sagt er. «Aber Weihnachten findet
           finanzieren und schaffte Bachelor und Master dennoch statt, ganz unabhängig davon, welche Einschränkungen
           in fünf Jahren.                                              gelten. Es ist daher wichtig, dass wir diese Hoffnung, die
                                                                        uns durch die Geburt Christus gegeben wurde, weiter
                  Ein Mann mit vielen Talenten                          halten, wir müssen irgendwie spontan und flexibel blei-
                  Weit gebracht haben ihn immer wieder seine Neu- ben. Wir können feiern, mit Musik, Glühwein und allem
           gier und sein Mut. So verschaffte er sich während Ferien Drum und Dran, einfach zu Hause.» Als Leiter eines
           in Australien die Gelegenheit, dort in einer Kirche zu Krippenspiels wird er seine Pläne allenfalls anpassen
           spielen, einmal griff er im Würzburger Dom in die Tasten. müssen. «Vielleicht werde ich wie an Ostern improvisie-
           Regelmässig spielt er in den Kirchen St. Martin und St. ren und ein YouTube-Video machen.» Doch weil die Hoff-
           Marien in Olten, an der grössten Zentralschweizer Orgel nung zuletzt stirbt, übt Christoph Mauerhofer fleissig
           in Engelberg, in der Zuger Kirche St. Michael begleitete er weiter für geplante Konzerte. Er hofft, in der Luzerner
           einen Chor und auch in der Luzerner Kirche St. Karl zieht Kirche St. Karl mit dem mittlerweile traditionellen Or-
           er immer wieder alle Register. Wovon er träumt? Einmal gelstrauss Neujahrsstimmung verbreiten zu dürfen –
           im Petersdom zu spielen! Christoph Mauerhofer hat viele nach Wiener Art mit Walzern, Polkas und dem obligaten
           Begabungen: Er besitzt eine wunderschöne Tenor- Radetzky-Marsch. Auf ein gutes 2021!
           Stimmlage – auch wenn er das leugnet. Sein schauspiele-
           risches Talent ist unbestritten, er kann Menschen zum              Orgelstrauss
                                                                              SA 2. Januar, 16 Uhr
           Weinen bringen vor lauter Lachen, wenn er typische                 Kirche St. Karl, Luzern

Dezember 2020                                 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                              23
UNFOKUSSIERT

VOM VIELLEICHT LANGWEILIGSTEN
VOLKSSTAMM DER WELT
Der Schwabe, der Bewohner des Bindestrich-Bundeslands Baden-
Württemberg, hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, wie sich
die Zentralschweizer Bevölkerung ihre Identität zimmert. Ein Blick
über die Grenze – und auch ein bisschen in den Spiegel.
Text: Christof Schwenkel           Illustration: Marina Lutz

          Winter 1996 in einer Schule in Süddeutschland. Ich sitze              Grund für den geografischen Exkurs vom Gymna-
          im Deutschunterricht und kritzle auf ein gelbes Reclam-          sium im deutschen Bad Urach in die Innerschweiz war
          heft. Mein Lehrer zeichnet derweil mit Kreide eine eigen-        natürlich, dass sich der Schwabe Schiller diese Region als
          artige Form an die Tafel: Es ist der Vierwaldstättersee.         Schauplatz seines letzten Dramas ausgesucht hatte.
          Dann illustriert er die Lage der drei Urkantone. Auch            Ausser bei Tell ist mir die Schweiz dann in der Schulzeit
          Luzern ist ihm einen Kreidepunkt wert. Mir in meinem             noch wegen Jeremias Gotthelf und Max Frisch begegnet.
          schwäbischen Klassenzimmer kam das damals sehr exo-              Und im Geografieunterricht als Land, in dem der Rhein
          tisch und vor allem unnötig vor. Ich wusste ja noch nicht,       entspringt. Ansonsten hat der südliche Nachbar – obwohl
          dass es mich einmal an genau diesen unförmigen See ver-          nur zwei Autostunden entfernt – in meiner Jugend keine
          schlagen wird. Dorthin, wo Spätzle Chnöpfli heissen und          grosse Rolle gespielt. Die grössten helvetischen Kultur-
          es keine Maultaschen gibt.                                       importe waren Emil Steinberger, Paola Felix, DJ Bobo

24                                         041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                            Dezember 2020
UNFOKUSSIERT

            und Ovomaltine. Andere Nachbarländer und Kulturen                 ein strenger Protestantismus haben einen vorsichtigen
            waren da schon deutlich spannender. Die Namen der                 Umgang mit Besitz gelehrt, was wiederum von Genera-
            Schweizer Kantone kennt man als Deutscher primär aus              tion zu Generation weitergegeben wurde. Der Schwabe
            den Skiferien. Oder vielleicht noch den mit den drei              würde sagen, er sei sparsam. Geld ausgeben tut halt
            Buchstaben aus dem Kreuzworträtsel.                               immer ein bissle weh. Vor allem wenn es für etwas ist, das
                  Perspektivwechsel: In der deutschsprachigen                 nicht lange anhält. Anekdotisch möchte ich da vom Ge-
            Schweiz sind einem Deutschland und dessen Kultur viel             schäftsreisenden erzählen, der kurz vor dem Rückflug
            vertrauter, als es umgekehrt der Fall ist. Das hat vor allem      nach Stuttgart seiner Frau am Telefon noch freudig das
            mit der Grösse zu tun. Auf eine Schweizerin kommen                das Wichtigste mitteilte: «Faschd koi Geld braucht!»
            schliesslich zehn Deutsche (bei Wolfsrudeln beträgt das                 Wortkarg: Die Erfahrung zäher Apéro-Gespräche
            Verhältnis sogar eins zu sechzehn). Und natürlich prägen          in der Schweiz relativiert das Bild vom wortkargen
            auch das Fernsehen und die 400 000 Deutschen, die in              Schwaben aus meiner Sicht deutlich. Schwäbische
            der Schweiz leben, das Bild vom Nachbarland.                      Schwätzer und Schwätzerinnen gibt es da schon eher.
                  Was hat man also im Sinn, wenn man südlich des                    Clever: Einstein und Hegel sprachen schliesslich
            Rheins an Deutschland denkt? Vor 40 Jahren hat sich der           schwäbisch und in Württemberg wurden Auto, Stofftier
            Schriftsteller Hugo Lötscher schon Gedanken zu dieser             und Motorsäge erfun-
            Frage gemacht. Des Schweizers Deutschlandbild umfas-              den. Auch arbeiten
            se vor allem Berlin, Hamburg oder vielleicht noch Mün-            nicht wenige meiner
            chen. «Nur, dass es auch Stuttgart gibt, vergisst man ge-         ehemaligen Mitschü-
            wöhnlich.» Diese Beobachtung gilt auch heute noch. Ba-            lerinnen heute bei                  «Wir können alles.
            den-Württemberg (mit seiner Hauptstadt Stuttgart) ist             Unternehmen, die als
            zwar Grenzland und Hauptreiseziel für Deutschlandtou-             «hidden champion»
                                                                                                              Ausser Hochdeutsch.»
            ristinnen aus der Schweiz. Für viele fängt aber dort, wo          Dinge herstellen, auf
            der Europapark aufhört oder man die Konstanzer Innen-             die man erst einmal
            stadt verlässt, terra incognita an. Ausgehend davon               kommen muss (Präzi-
            möchte ich gerne einen kleinen Einblick in eine aus               sionsdüsen, Zylinderkopfdichtungen, Schneidwalzen für
            Schweizer Sicht nahe und dennoch fremde Kultur er-                die Windelproduktion). Gegen das Bild vom cleveren
            möglichen: Schwaben.                                              Schwaben spricht hingegen die Tieferlegung des Stutt-
                                                                              garter Hauptbahnhofs.
                  Geizig, wortkarg und clever                                       Die Betrachtungen über Schwaben wären unvoll-
                   Der natürliche Lebensraum der Schwaben ist in              ständig, wenn es nicht auch um den Dialekt ginge.
            etwa das ehemalige Königreich Württemberg, welches                Schliesslich nutzt das Landesmarketing Baden-Würt-
            seit 1952 gemeinsam mit Baden (im Westen) und Hohen-              temberg in Deutschland schon seit Jahren erfolgreich
            zollern (klein und irgendwo dazwischen) das Bin-                  den Claim: «Wir können alles. Ausser Hochdeutsch.» Für
            destrich-Bundesland Baden-Württemberg bildet. Dort                die Bearbeitung des Schweizer Marktes wird dieser
            leben die Schwäbinnen und Schwaben in ihren Eigenhei-             Spruch sinnigerweise nicht verwendet. In weiten Teilen
            men mit Doppelgarage – Stichwort Bausparvertrag.                  ist, wer schwäbisch spricht, dem Schweizer übrigens ver-
            Häufig in einer Stadt, die mit «–ingen» endet. Also etwa          ständlich. Objektiv gesehen handelt es sich, wie auch bei
            in Nürtingen, Reutlingen, Tuttlingen, Böblingen, Sindel-          den meisten hiesigen Mundarten, nicht um einen klang-
            fingen, Metzingen, Waiblingen, Plochingen oder Tübin-             vollen Dialekt. Der Schwabe, der anderes behauptet, soll
            gen. Noch lieber zieht die Schwäbin aber nach Berlin, was         zur Strafe dreimal hintereinander die Worte «Ortskern»
            bei den Hauptstädtern nicht immer auf Begeisterung                und «Hirschwurst» sagen.
            stösst. Am wenigsten übrigens bei solchen Berlinerin-                   Friedrich Schiller, der wohl auch zeitlebens stark
            nen, die selbst in den 1990er-Jahren ihr Elternhaus auf           schwäbelte, hat übrigens nie einen Fuss in die Schweiz
            der Schwäbischen Alb mit dem Ziel Prenzlauer Berg ver-            gesetzt. Dennoch hat man ihm als «Sänger Tells» ein
            lassen haben. Vom «langweiligsten Volksstamm der                  Denkmal im Urner Seebecken gesetzt und eines der fünf
            Welt» ist in einem Artikel im Berliner Stadtmagazin «tip»         Dampfschiffe auf dem Vierwaldstättersee trägt seinen
            die Rede – der Autor stammt natürlich selber aus dem              Namen. Gut zwanzig Jahre nach Schillers Tod machte
            schwäbischen Dialektgebiet. In anderen Teilen Deutsch-            sich dann im schwäbischen Leidringen ein Schreinerge-
            lands werden Schwaben häufig als geizig, wortkarg und             selle auf dem Weg in Richtung Eidgenossenschaft:
            vielleicht noch clever beschrieben. Hier ein kurzer, mög-         Johann Georg Blocher, dessen Ururenkel Christoph
            licherweise nicht ganz neutraler, Reality-Check:                  irgendwann ein Vorbild für gelungene Integration
                   Geizig: Tatsächlich ist das Verhältnis zu Geld –           werden sollte. Wenn etwas in der Schweiz ganz beson-
            obwohl solches grundsätzlich vorhanden ist – im Schwä-            ders schweizerisch sein soll, braucht es vielleicht einfach
            bischen ein besonderes. Jahrhundertelange Armut und               Schwaben dazu.

Dezember 2020                                 041 – Die unabhängige Stimme für Kultur in der Zentralschweiz                                 25
Sie können auch lesen