Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt

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Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt
Ausstellungsbroschüre
         der
Offenen Arbeit Erfurt
Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt
Inhalt
Vorwort………………………………………………………………………………...3
Matthias Weiß

Anthropozän und Klimawandel………………………………………………….…..4
Matthias Weiß

Artensterben…………………………………………………………………………..8
Renate Lützkendorf

Kreisläufe..........................................................................................................10
Eva Stier

Stadtbäume………..............................................................................................12
Anton Kneuse

Siedlungsraum Stadt....................................................................................... 15
Renate Lützkendorf

Geschützte Natur..............................................................................................17
Renate Lützkendorf

Artenvielfalt in der Stadt....................................................................................18
Renate Lützkendorf

Brachflächen.....................................................................................................22
Renate Lützkendorf

Insekten in der Stadt.........................................................................................23
Renate Lützkendorf

Lebensraum Stadt.............................................................................................28
Renate Lützkendorf

Initiativen und ihre Beiträge für Artenvielfalt………………………………………33

         Solawi…………………………………………………………………….……33
         Fridays for Future……………………………………………………….……36
         Initiative Stadtbäume statt Leerräume……………………………………..37

                                                        Städte Bra(u)chen Natur - 1
Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt
Wir bedanken uns bei allen,
die an der Ausstellung mitgewirkt haben:
RENATE LÜTZKENDORF,
EVA STIER,
STEFFEN KUNKEL,
ANTON KNEUSE,
BERND LÖFFLER,
ANDRÉ SCHULZE,
INITIATIVE SOLAWI,
FRIDAY FOR FUTURE,
STADTBÄUME STATT LEERRÄUME,
CHRISTINE KELLNER,
ANNA SOPHIE TODOROV,
WOLFGANG MUSIGMANN,
STEFFEN REHMANN,
HANNAH ENDERS,
GEORG JUNGE

                      Städte Bra(u)chen Natur - 2
Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt
Vorwort

Die Offene Arbeit des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt engagiert sich als
Basisgemeinde für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Wir wollen
Menschen dazu ermutigen, einen achtsamen und verantwortungsvollen Umgang
untereinander und darüber hinaus mit der Umwelt zu üben und sich für diese Anliegen
einzusetzen. Uns geht es darum, auf Missstände aufmerksam zu machen und nach
Wegen zu suchen, wie diese überwunden werden können. Das bedeutet, wir
engagieren uns:

• für eine achtsame offene Gesellschaft
  gegen Rechtsextremismus,
  Rechtspopulismus und Rassismus

• für ein Verbot von Rüstungsexporten                     Die Ausstellung wurde von der
  und für Rüstungskonversion                         Offenen Arbeit Erfurt entwickelt und
  (Umstellung von der Herstellung von                   mit Unterstützung von Initiativen
  militärischem Gerät in zivile Artikel)              erstellt. Sie soll für Naturräume im
                                                            städtischen Zusammenhang
• für den Ausstieg aus der                             sensibilisieren – jene Räume, die
  Atomenergienutzung                                       uns auf den ersten Blick nicht
• für den Schutz, den Erhalt und die                      gegenwärtig sind – Räume, in
                                                      denen eine Vielfalt von Tieren und
  Erweiterung von Naturräumen
                                                               Pflanzen ihren Platz findet.
Die Umgestaltung von Flächen in Erfurt in den letzten Jahren und besonders im
Zusammenhang         von    Baumaßnahmen,       haben    immer     wieder     zu
Auseinandersetzungen geführt. Beispielsweise wurden Baumbestände im Nordpark
und auf dem Petersberg beseitigt, um eine neue Kulturlandschaft im Rahmen der
BUGA 2021 zu gestalten. Am Rande des EGA-Geländes wurden Grünflächen mit
Baumbestand gerodet, um Parkplätze für die BUGA zu schaffen. Sichtbarer kann der
Widerspruch zwischen dem Anspruch einer ökologischen Stadtplanung und der
Realität nicht sein. Uns geht es um eine schonende Gestaltung, die bestehende
Biotope berücksichtigt. Sie sind Teil von komplexen Zusammenhängen. Für eine
ökologische Stadtentwicklung wäre es wichtig, diese Flächen nicht z.B. für
Bauprojekte zu opfern. Regionale Zusammenhänge sind Teil der globalen Dimension
von menschlicher Einflussnahme auf biologische, geologische und atmosphärische
Kreisläufe.
                                Städte Bra(u)chen Natur - 3
Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt
Das Anthropozän

Der Begriff Anthropozän steht für das             Der Mensch beutet die Natur für seine
Erdzeitalter des Menschen – Anthropos             Interessen aus. Profitmaximierung und
(griechisch) Mensch. Der Vorschlag,               der      Drang       nach      ständigem
eine Interwallzeit des Planeten Erde              Wirtschaftswachstum mit allen Mitteln
nach dem Menschen zu benennen,                    haben ihren Preis. Die Rodung der
resultiert   aus      der    bedeutenden          Wälder,       die      landwirtschaftliche
Einflussnahme des Menschen auf                    Nutzung,     die     Versiegelung      von
geologische,         biologische     und          Flächen, die Energieerzeugung, die
atmosphärische Bereiche der Erde.                 weltweite Mobilität, die Güterproduktion
Erstmals hatte diesen Begriff der                 und der Abbau von Rohstoffen ist
Nobelpreisträger Paul Crutzen bei                 folgenreich für natürliche Kreisläufe und
einem Kongress im Jahr 2000 benutzt –             komplexe               Zusammenhänge.
aus        Frustration       über     die         Klimawandel,        Artensterben       und
Verantwortungslosigkeit              der          Pandemien         sind     hierbei      die
Menschheit gegenüber der Natur.                   bekanntesten         Phänomene           im
                                                  öffentlichen Diskurs. Aber welche
                                                  Schlussfolgerungen        ergeben     sich
                                                  daraus, ob ein Erdzeitalter nach dem
                                                  Menschen benannt wird?

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 4
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Ist die Namensgebung Anthropozän der
Ist      das      Anthropozän         das         Aufruf zu einer radikalen Veränderung
Endzeitszenario für die Menschheit?               des Verhältnisses Mensch - Natur und
Moderne Gesellschaften haben mit                  der Schaffung gerechter Verhältnisse
ihrer Lebensweise das apokalyptische              überhaupt?
Szenario der Erderwärmung und der                 Die         daraus         resultierende
Zunahme von Naturkatastrophen selbst              Verantwortung äußert sich darin, dass
eingeleitet    und     bestimmt.      Der         der     gegenwärtige     Raubbau       an
Perspektivlosigkeit einen Namen zu                natürlichen Ressourcen nicht länger
geben – daraus ergeben sich keine                 praktiziert wird. Beispiele dieses
Schlussfolgerungen für die Gegenwart              Raubbaus wie Brandrodungen der
und Zukunft. Ist das Anthropozän die              Wälder,      Massentierhaltung,        die
Herausforderung         eines      neuen          Vermüllung der Ozeane müssen somit
technologischen Fortschrittes? Kann               der Vergangenheit angehören.
der Mensch mit neuen Technologien in              „Die Geschichte des Anthropozän hat
ferner Zukunft Herausforderungen wie              gerade erst angefangen. Es ist noch
z.B. den Klimawandel, die Lagerung                Zeit eine Zukunft zu gestalten, in der die
von Atommüll lösen, ohne den Umgang               Menschen und die nicht menschliche
mit der Natur verändern zu müssen?                Natur für Jahrtausende gedeihen. Jeder
Diesen Ansatz stellen wir in Frage.               von uns hat noch die Chance, eine
Eingriffe in die natürlichen komplexen            bessere Zukunft in die bleibenden
Zusammenhänge         von     natürlichen         Zeugnisse der Erdgeschichte im
Kreisläufen haben oft das Gegenteil               Gestein     einzuschreiben“       (Quelle:
bewirkt.                                          Anthropozän / Erle C. Ellis / Seite 225)

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Der Klimawandel
                              Klimaveränderungen auf der Erde hat
                              es in der Vergangenheit immer
                              gegeben. Die letzte Veränderung des
                              Klimas hat vor ca. 20 000 Jahren
                              stattgefunden von der Eiszeit bis in die
                              Neuzeit. Diese Klimaveränderungen
                              haben sich in langen Zeiträumen von
                              zehn- bis hunderttausenden Jahren
                              vollzogen.         Die         aktuellen
                              Klimaabweichungen sind allerdings
                              Prozesse, die sich in Zeiträumen von
                              Jahrzehnten        vollziehen.      Eine
                              wesentliche        Ursache        dieser
                              Klimaveränderung ist der zunehmende
                              CO2-Ausstoß von Industriestaaten seit
                              der Mitte des 20sten Jahrhunderts. Als
                              Folge     der   Verbrennung      fossiler
                              Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas)
                              reichert sich CO2 in der Erdatmosphäre
                              an. Die hohe Konzentration des CO2
                              bewirkt, dass die durch das Sonnenlicht
                              in der Atmosphäre gebildete Wärme
                              weniger entweichen kann – dieser
                              Treibhauseffekt führt zum Anstieg der
                              Jahresdurchschnittstemperatur.

             Städte Bra(u)chen Natur - 6
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Der    Klimawandel    ist   in   den
Auswirkungen     auf    das    Wetter
erkennbar. Extremwetterlagen wie z.B.
Stürme, Kalt- und Warmwetterlagen,
Dürreperioden                    und
Überschwemmungen nehmen zu.

„Normalerweise                 passieren
Rekordwetterereignisse zufällig und wir
wissen, wie viele in einem Klima ohne
Erwärmung passieren würden", erklärt
Jascha Lehmann. „Es ist wie beim
Würfeln: Im Durchschnitt bekommt man
bei einem von sechs Mal eine sechs.
Aber durch die Einlagerung großer
Mengen an Treibhausgasen in der
Atmosphäre hat die Menschheit die
Würfel gezinkt. In vielen Regionen
werfen wir viel häufiger Sechsen mit
schwerwiegenden Auswirkungen für
Gesellschaft und Umwelt." (Artikel:
Lehmann, J., Mempel, F., &Coumou, D.
(2018): Increasedoccurrenceofrecord-
wet           and             record-dry
monthsreflectchanges in meanrainfall.
Geophysical Research Letters, 45. /
Potsdamer Institut für Klimaforschung)

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Artensterben
Klimawandel und Artensterben sind die             weltweite großflächige Umgestaltung
großen Herausforderungen unserer                  von Landschaften durch Rodungen von
Zeit,    hinzu   kommen       Zoonosen,           Wäldern, Abbau von Rohstoffen,
Infektionskrankheiten, die von Tieren             Industrialisierung der Landwirtschaft
auf den Menschen überspringen und                 und Flächenversiegelung im Zuge
umgekehrt. (Eine sehr ausführliche                zunehmender             Urbanisierung
Beschreibung der Problematik findet               beschneidet in immer stärkerem Maße
sich in: Josef Settele. Die Triple Krise.         den Lebensraum von Pflanzen und
Artensterben,              Klimawandel,           Tieren. Hinzu kommt die Vergiftung und
Pandemien. Warum wir dringend                     Vermüllung von Land und Gewässern.
handeln müssen. Hamburg 2020)
Im Verlauf der Evolution sind immer               Die Folgen des Umbaus ganzer
auch Arten ausgestorben und auch das              Landschaften und des hemmungslosen
Klima hat sich in der Geschichte                  Einsatzes von Pestiziden - von Stoffen,
unseres Planeten fortlaufend verändert.           deren Tödlichkeit für Insekten im Zuge
Die derzeitige schnell voranschreitende           der      Entwicklung        chemischer
Erderwärmung und sowohl das Tempo                 Kampfstoffe während des Zweiten
als auch das Ausmaß des aktuellen                 Weltkrieges entdeckt wurde (Rachel
Artensterbens sind jedoch Folgen                  Carson.    Der     stumme     Frühling.
zumeist profitorientierter und dabei              München 2019, S. 42), auf ganze
ökologische Gesichtspunkte außer Acht             Ökosysteme beschrieb die Biologin
lassender menschlicher Aktivitäten. Die           Rachel Carson eindrucksvoll in ihrem

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 8
Ausstellungsbroschüre der Offenen Arbeit Erfurt
erstmals 1962 erschienenem Buch „Der              davon 6,7 % (1128 Arten) als
stumme Frühling“. Das von ihr stark               ausgestorben       oder      verschollen,
angeprangerte Insektizid DDT wurde                benannt (Thüringer Landesamt für
verboten, doch ihm folgten zahlreiche             Umwelt und Geologie, Abteilung
neue Chemikalien, mit dem Ziel,                   Naturschutz (Hrsg.) Rote Liste der
ungeliebte Tiere und Pflanzen zu                  gefährdeten Tier- und Pflanzenarten,
dezimieren,     immer       unter    der          Pflanzengesellschaften und Biotope
Beteuerung der Unschädlichkeit für den            Thüringens. Jena 2011). In den Roten
Menschen. Aber selbst, wenn diese                 Listen wird jedoch nicht die Gesamtzahl
Substanzen Menschen nicht sofort und              der     im    entsprechenden      Gebiet
direkt schädigen, so tragen sie doch              vorkommenden         Arten     bewertet,
immer zur Vernichtung der ihn                     sondern nur jene, für die auch
umgebenden Natur und damit seiner                 ausreichende Erkenntnisse vorliegen.
Lebensgrundlage       bei.   Und     wie          2017      fand    eine     Studie    des
schwierig und langwierig es ist, einmal           Entomologischen       Vereins     Krefeld
zugelassene Pestizide wieder zu                   weltweite Beachtung. Diese belegte
verbieten, wird am Beispiel der                   einen     Rückgang      der    Biomasse
Diskussionen            um           das          fliegender Insekten in 63 untersuchten
Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat               Schutzgebieten um 76 % innerhalb von
deutlich         (https://www.bund.net/           27                                Jahren
umweltgifte/glyphosat/).                          (https://www.bmu.de/faq/was-steht-in-
Immer mehr Studien weisen auf die                 der-krefelder-studie/). Auch wenn diese
hohe Anzahl        gefährdeter Arten,             Ergebnisse nur in einigen räumlich
Prognosen besagen, dass innerhalb                 begrenzten Gebieten ermittelt wurden,
der nächsten Jahrzehnte bis zu einer              zeigen sie doch ein weiteres Problem
Millionen Arten aussterben könnten.               auf: nicht nur die Anzahl der Arten
„Die Roten Listen Deutschlands                    nimmt ab, sondern auch, und dass
verzeichnen 34 % der Wirbeltiere als              zumindest gebietsweise, in hohem
bestandsgefährdet       oder      bereits         Maße die Anzahl der Individuen.
ausgestorben, 34 % der Wirbellosen                Viele Insekten unterliegen starken
Tiere, 31 % der Pflanzen und 20% der              Schwankungen der Populationsgröße.
Pilze und Flechten“ (www.rote-liste-              Manche Arten breiten sich aufgrund der
zentrum.de). In der 2011 erschienenen             Klimaerwärmung nach Norden hin aus.
Roten Liste Thüringens wurden 40,8 %              Doch auch wenn in manchem Jahr
der     bewerteten     Arten    als    in         einige Spezies mit deutlich mehr
unterschiedlichem Maße gefährdet,                 Individuen vertreten sind als zuvor und

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 9
wärmeliebende Arten in unsere Gefilde
vordringen, darf das nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sowohl die
Gesamtzahl der Arten als auch die
Anzahl der Insekten insgesamt abnimmt.

Kreisläufe
Die uns umgebende Umwelt zeichnet                 Die Rodung von Regenwäldern für die
sich    durch     das    Zusammenspiel            landwirtschaftliche Nutzung führt zur
verschiedener      Faktoren    aus.    In         Verödung der einst nährstoffreichen
natürlichen Kreisläufen bedingen sich             Böden und es kommt zu Auswirkungen
biologische,       physikalische      und         auf die klimatischen Verhältnisse in
chemische       Prozesse     gegenseitig.         diesen Regionen. Eine weitere Folge
Klimatische Bedingungen wirken sich               besteht in der Störung des
z.B. auf unterschiedliche Lebensformen            Wasserkreislaufes. Dieser ist durch
auch unterschiedlich aus. In warmen               einen ständigen Wechsel von
Regionen der Erde haben sich Fauna                Niederschlägen und Verdunstung
und      Flora     an    die     dortigen         gekennzeichnet und wirkt sich kühlend
Klimaverhältnisse angepasst. Unter                auf das Klima in diesen Regionen aus.
anderen Voraussetzungen – zum                     Temperaturmessungen in bewaldeten
Beispiel in kühleren Regionen –                   und in gerodeten Gebieten haben
könnten diese Lebensformen entweder               Unterschiede bis zu 3 Grad Celsius
gar nicht oder nur schwierig überleben.           ergeben (Quelle
Klimatische Veränderungen wirken sich             https://wiki.bildungsserver.de/klimawan
also auf biologische Zusammenhänge                del/index.php/Deforestation_(Tropen)).
aus.     Natürliche    Kreisläufe    sind         Weiterhin existieren Kreisläufe, die sich
komplexe Gebilde, welche sich in                  innerhalb nur eines Faktors bedingen.
langen Zeiträumen entwickelt haben.               So haben sich im Bereich biologischer
Wenn diese Kreisläufe verändert oder              Kreisläufe    Pflanzen     und      Tiere
gestört werden, hat das erhebliche                entwickelt, die in einem existenziellen
Konsequenzen.           Es        können          Zusammenhang stehen und sich
Veränderungen eintreten, die schwer               einander angepasst haben.
oder nicht umkehrbar sind.

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 10
Beispielweise      leben      bestimmte          2019 seien auf 36 Hektar Waldfläche
Insekten im Biotop Trockenrasen, weil            sogenannte         Rodentizide      zur
sie   aufgrund      des    Vorkommens            Mäusebekämpfung            ausgebracht
bestimmter      Pflanzen      genügend           worden – bis Ende der 1990er Jahre
Nahrung finden. Parallel existieren in           seien noch 1.200 Hektar pro Jahr
diesem Biotop andere Tiere, die sich             betroffen gewesen. Stattdessen setzt
von jenen Insekten ernähren. Wird                der Forst auf vorbeugende biologische
dieser biologische Kreislauf gestört,            Bekämpfungsstrategien.              Der
kann das zum Verschwinden oder zur               Fuchsbestand wird nicht reduziert,
Überpopulation      von     Tier-   und          insbesondere        da,     wo      zur
Pflanzenarten führen. Ein bis dahin              Wiederaufforstung junge Pflanzen
entstandenes     Gleichgewicht     wäre          gesetzt werden. „Kleine Öffnungen in
gestört    oder      sogar     dauerhaft         den die Jungpflanzen umgebenden
geschädigt.                                      Zäunen ermöglichen es Füchsen, auf
                                                 die Fläche zu kommen, und für
Durch die Schaffung oder Erneuerung
                                                 Greifvögel und Eulen werden hohe
vorteilhafter natürlicher Bedingungen
                                                 Hölzer errichtet“, so Sproßmann. „Von
können sich manche Kreisläufe auch
                                                 dort können die Vögel schnell Mäuse
regenerieren:
                                                 erspähen und sie sich greifen. Und teils
„Füchse, Eulen und Greifvögel haben in           würden Altbestandsbäume stehen
den     vergangenen      Jahren    dazu          gelassen,    deren      Schatten   den
beigetragen,      Thüringens    Wäldern          Graswuchs verhindere. Ohne Gras wird
Mäuseplagen        zu   ersparen.    Die         es für die Mäuse ungemütlich. …“
Beutegreifer waren nach Darstellung              (Quelle:     Thüringer      Allgemeine,
der Landesforstanstalt ThüringenForst            27.03.2021, S. 1, Fuchs und Eule
derart fleißig, dass auch ihretwegen der         stoppen Mäuse; *Horst Sproßmann ist
Einsatz von Mäusegift im Wald deutlich           Sprecher von ThüringenForst)
reduziert werden konnte. Von 2017 bis

                                Städte Bra(u)chen Natur - 11
Stadtbäume
In Zeiten des Klimawandels werden Stadtbäume immer wichtiger für die Menschen
und das Stadtbild, denn Stadtbäume erfüllen viele Funktionen.

                               Also, was machen Stadtbäume eigentlich?

                                                                               Stadtbäume verbessern
 Bäume produzieren Sauerstoff durch Fotosynthese und
    verbrauchen dabei CO2. Ein ausgewachsener Baum

                                                                                   die Luftqualität:
     kann an einem Tag Sauerstoff für ca. 50 Menschen
       herstellen. Laubbäume verdunsten außerdem an
   heißen Tagen bis zu 400 Liter Wasser und entziehen
       dadurch Wärme aus der Umgebungsluft. Gerade
  deswegen werden Bäume in Zeiten des Klimawandels
          und der globalen Erwärmung immer wichtiger.
          Stadtbäume spenden

                                    Vor allem in heißen Sommern fühlen sich viele
                                    Menschen zu Bäumen hingezogen, denn vor
               Schatten:

                                    allem Laubbäume werfen große Schatten. Im
                                    Sommer fühlt es sich unter und neben
                                    Bäumen kühl und erfrischend an.
                                                                               Stadtbäume filtern

     Stadtbäume filtern mit ihren Blattoberflächen Grob- und
                                                                                    die Luft

           Feinstäube sowie Stickoxide aus der Atemluft. In
     Stadtgebieten ohne Bäume ist der Schadstoffgehalt der
            Luft dreimal höher als in Gebieten mit Bäumen.

                                         Städte Bra(u)chen Natur - 12
Stadtbäume mildern
                         Lärm bereitet Stress und Stress ist schlecht für die
                         menschliche Psyche. Durch ihre belaubten Baumkronen
           Lärm          schwächen Bäume Schall ab. Durch das Rascheln der
                         Blätter im Wind können sie Lärmquellen übertönen.

Stadtbäume bieten Nistmöglichkeiten und Lebensräume

                                                                             Stadtbäume sind
                                                                               Lebensraum
für Vögel, Insekten, Eichhörnchen und Fledermäuse. Je
 älter ein Baum ist, desto größer wird seine ökologische
        Bedeutung, besonders für Eichhörnchen. In alten
Stadtbäumen finden Eichhörnchen ähnlich viel Nahrung
                  und Baumhöhlen wie in Waldbäumen.

                           Stadtbäume leisten einen großen Beitrag zur
Stadtbäume verbessern

                           Stressreduktion beim Menschen, einfach durch ihr
    die psychische

                           Aussehen und die Farbe ihrer Blätter. Grün ist jene Farbe
      Gesundheit

                           im Farbenspektrum, die auf Menschen am stärksten
                           beruhigend und entspannend wirkt. Durch das Grün der
                           Bäume und der Natur wird der Mensch angeregt, „Vitamin
                           N zu produzieren“*, welches ein seelisches Wohlgefühl
                           auslöst und erholend wirkt.
                                                                      Stadtbäume verbessern

                  Stadtbäume und Stadtgrün wirken
                                                                           die physische
                                                                            Gesundheit

        gefäßverjüngend. Sie beugen Herz-Kreislauf-
        Erkrankungen und Diabetes vor. Zudem wirkt
                Stadtgrün blutdrucksenkend. Es gibt
           Menschen, die sich deshalb jünger fühlen.

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 13
Wie oben aufgeführt, leisten Stadtbäume einen großen Beitrag zur Verbesserung des
Stadtbilds, unserer Lebenserfahrung und Lebensqualität. In Zeiten des Klimawandels
ist es somit für uns Menschen wichtig, Bäume zu schützen und ihren Lebensraum zu
erweitern.

  „Planst Du ein Jahr, so säe Korn, planst Du ein Jahrtausend, so pflanze Bäume.“
                               Chinesische Weisheit

* „Vitamin N“ ist eine Wortschöpfung des Autors Richard Louv, bezeichnend die Summe der Wirkungen der Natur auf
uns Menschen: Richard Louv: „Das Prinzip Natur. Grünes Leben im digitalen Zeitalter“, Beltz Verlag, 2013, 335 Seiten
„Wer sich viel in der Natur aufhält, hat oft auch eine bessere Gesundheit. Forschungsergebnisse zeigen, dass der
Aufenthalt im Grünen bei der Bewältigung von Stress hilft, die Ausschüttung von Glückshormonen stimuliert und das
Immunsystem ankurbelt. „Vitamin N“ nennt Louv das: „N“ wie Natur. Und dieses Vitamin N hebt die Stimmung, senkt
den Blutdruck und kann Fettleibigkeit bei Kindern vorbeugen helfen.“
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/besser-leben-mit-vitamin-n.950.de.html?dram:article_id=234935

Quellen:
www.bund-naturschutz.de/natur-und-landschaft/stadt-als-lebensraum/stadtbaeume/funktionen-von-stadtbaeumen,
Zugriff: 14.03.2021
www.bund-naturschutz.de/natur-und-landschaft/stadt-als-lebensraum/stadtbaeume/gesundheitliche-wirkungen-von-
stadtbaeumen, Zugriff: 14.03.2021

                                           Städte Bra(u)chen Natur - 14
Siedlungsraum Stadt
Die Stadt ist geballter, ständig auf Ausdehnung, Wachstum und Wandlung orientierter
Lebensraum. Sie ist geplante Kulturlandschaft, die Natur zwar bedingt zulässt, aber
sie auch im eigenen Interesse entfernt oder kultiviert. Hierbei sind fast immer
ökonomische Interessen die treibende Kraft, welche den Zweck bestimmt.
Sie ist geprägt von großer Bebauungs-, Bevölkerungs- und Industriedichte sowie
hohem Verkehrsaufkommen am Rande des Kollapses. Außerdem war und ist sie
                                                            sozialer Raum und
                                                            Schmelztiegel       von
                                                            Kultur, Religion und
                                                            Politik.
                                                            Städte haben sich in
                                                            der         Geschichte
                                                            fortwährend verändert
                                                            und zunehmend mehr
                                                            Raum eingenommen.
                                                            Die Stadt Erfurt, eine
                                                            erstmalige schriftliche
                                                            Erwähnung des Ortes
                                                            „Erphesfurt“ stammt
                                                            aus dem Jahr 742,
Blick auf den Erfurter Stadtkern                            umfasste     bei    der
Errichtung der Stadtmauer im Jahr 1168 ein Gebiet von 133 ha. In den folgenden
Jahrhunderten entstanden umfangreiche Vorstädte und im 15. Jahrhundert ein
zweiter Befestigungsring. Die nächste große Stadterweiterung war in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts Folge des Baus der Eisenbahn und der Entfestigung der
Stadt. Um 1900 wurden der Flutgraben und städtische Grünanlagen angelegt. Es
entstand die Wohnbebauung des Gründerzeitgürtels, Industrieansiedlungen kamen
hinzu. In den 60er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts vergrößerte sich die Stadt
weiter durch die Anlage von Plattenbausiedlungen und den Neubau von Betrieben, in
den 90er Jahren folgte der Bau von Bürohäusern, Einkaufszentren und weiteren
Wohnhäusern. Im Laufe der Zeit waren Dörfer, die im Ausbreitungsgebiet der Stadt
lagen, eingemeindet worden.

                               Städte Bra(u)chen Natur - 15
Durch die 1994 vorgenommene Gebietsreform vergrößerte sich die inzwischen ca.
10.706 ha betragende Fläche der Stadt Erfurt auf ca. 26.908 ha
(Flächennutzungsplan der Landeshauptstadt Erfurt. Erläuterungsbericht. Mai 2005,
überarbeitet im März 2006). Das Stadtgebiet umfasst nun nicht mehr nur den
zusammenhängend bebauten Raum, sondern auch die im Zuge der Gebietsreform
eingemeindeten Ortschaften samt zugehöriger Flurstücke.

Die derzeit 26.988 ha Gesamtfläche der Stadt Erfurt enthalten 1.355 ha
Wohnbauflächen, 1.413 ha Gewerbefläche, 1.840 ha Verkehrsfläche, 16.456 ha
Landwirtschaftsfläche, 4.427 ha Wald- und Grünfläche, sowie weniger umfassende
Gemeinbedarfs- und sonstige Flächen, Freizeitanlagen und Gewässer
(www.erfurt.de/ef/de/rathaus/daten/zahlen/index.html: Erfurt in Zahlen, Stand
31.12.2019). Veränderungen schlagen sich nun kaum mehr in einer Zunahme der
Gesamtfläche der Stadt, sondern im prozentualen Anteil der einzelnen
Flächen nieder, im Wesentlichen in einer Verringerung von Landwirtschafts- und
sonstigen Flächen und in einer Zunahme von Wohnbau-, Gewerbe- und
Verkehrsflächen
sowie              von
Gewässern, Wald-
und Grünflächen.
Eine Zunahme von
Wald-              und
Grünfläche beruht
auf                der
Renaturierung
zuvor         intensiv
ackerbaulich
genutzter       Areale
durch Ausgleichs-
und
Ersatzmaßnahmen,
zum Beispiel bei       Blick auf den Erfurter Domplatz

der Wiederherstellung einer naturnahen Auelandschaft der Nesseaue (Umsetzung
des LANDSCHAFTSPLANES Erfurt durch Bündelung von AUSGLEICHS- und
ERSATZmaßnahmen.                                       2017.       https://www.fh-
erfurt.de/lgf/fileadmin/LA/Aktuelles/Tagung_K/Exkursion_1_Nesseaue.pdf).

                              Städte Bra(u)chen Natur - 16
Geschützte Natur
Mit    den     NSGs       Schwellenburg,          intensiv    genutzte      Feuchtwiesen,
Aspenbusch und Alacher See liegen                 Trockenrasen und Streuobstwiesen,
drei Naturschutzgebiete mit einer                 sind             sowohl              laut
Gesamtgröße von 132,3 ha im                       Bundesnaturschutzgesetz als auch
Stadtgebiet       von      Erfurt.   Vier         Thüringer             Naturschutzgesetz
Landschaftsschutzgebiete, die, teils              unmittelbar geschützt. Derzeit sind ca.
vollständig, teils nur in Randbereichen,          350 geschützte Biotope im Stadtgebiet
im Stadtgebiet liegen, nehmen 1683,5              Erfurts                           erfasst
ha Fläche ein. Der Schutzstatus dieser            (https://www.erfurt.de/ef/de/leben/oeko
Gebiete besteht zum größten Teil                  umwelt/naturschutz/schutzgebiete/biot
bereits seit 1939 bzw. den 70er Jahren            ope/index.html).          Die          in
des vorigen Jahrhunderts. Dank des                unterschiedlicher Form unter Schutz
Umwelt- und Naturschutzamtes Erfurt               gestellten Flächen überschneiden sich
wurden im Stadtgebiet seit 1996                   zum Teil. Die Schwellenburg im Norden
insgesamt           44        Geschützte          Erfurts      ist       zum       Beispiel
Landschaftsbestandteile (GLB) mit                 Naturschutzgebiet und Teil eines FFH-
einer Gesamtfläche von ca. 439 ha                 Gebietes (Eine Auflistung aller GLBs
durch Rechtsverordnung endgültig                  und unter Schutz gestellten Gebiete
sichergestellt. Auf der Seite der Stadt           findet              sich              auf
Erfurt sind aktuell 36 GLBs mit einer             www.erfurt.de/ef/leben/oekoumwelt/nat
Gesamtfläche von ca. 380 ha                       urschutz). Der weitaus größte Teil
aufgelistet. Außerdem gehören Teile               dieser Flächen liegt außerhalb des
des Stadtgebietes zu FFH- (Nach der               zusammenhängend                bebauten
Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie        der         Bereiches der Stadt. Einige Geschützte
Europäischen Union ausgewiesene                   Landschaftsbestandteile sind aber auch
Schutzgebiete)                       und          darin     ausgewiesen:      Teile    des
Vogelschutzgebieten.           Bestimmte          Petersberges,          das        Gebiet
Biotope, unter anderem naturnahe                  „Dreibrunnen“ im Südwesten der Stadt
Fließgewässer einschließlich deren                und die Geraaue Gispersleben.
Uferböschungen mit Gehölzen, nicht

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 17
Artenvielfalt in der Stadt

Dass in geschützten Landschaftsbereichen viele Tiere und Pflanzen Lebensraum
finden, liegt nahe. Was aber zieht viele Arten in den zusammenhängend bebauten
Bereich der Stadt?
Die Versiegelung von Flächen in der Stadt, wie Straßen, Plätze und
Bebauungsstandorte, ist nicht lückenlos. Dazwischen liegen Parks, Grünanlagen,
Friedhöfe, Gärten und Brachen sowie Flussläufe und die sie begleitende Vegetation.
Zusammen mit alten Mauern, mit begrünten Fassaden und Dächern bilden sie ein
vielfältiges Mosaik unterschiedlichster Lebensräume mitten im Häusermeer.
Parks, insbesondere mit altem Baumbestand, bieten Vögeln, kleineren Säugetieren
und Insekten Lebensraum. An Teichen und entlang von Flussläufen wachsen eine
Vielzahl von Pflanzen, in und an Gewässern finden sich Fische, Amphibien,
Wasservögel und Libellen, um nur einige zu nennen. Pflanzen sind standortgebunden
                                                               und damit sichtbar. Ein
                                                               großer      Teil      der
                                                               tierischen Bewohner
                                                               unserer Stadt bleibt
                                                               uns dagegen meist
                                                               verborgen,     sei     es
                                                               aufgrund              der
                                                                           versteckten,
                                                               dämmerungs-          bzw.
                                                                          nachtaktiven
                                                               Lebensweise          oder
                                                               wegen ihrer geringen
                                                               Größe. In Städten gibt
Tiere in der Stadt: Eichhörnchen                               es, im Gegensatz zu
intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen im Umland, weder Monokulturen auf
riesigen Feldern noch flächendeckenden Pestizideinsatz. Die Temperaturen im
bebauten Raum sind höher als auf dem Land, das macht ihn für wärmeliebende Arten
attraktiv. Bezüglich ihrer Nahrung weder spezialisierte noch besonders wählerische
Tiere finden in der Stadt jederzeit einen gedeckten Tisch. Und schließlich entfällt auch
der Jagddruck, so dass sich zunehmend auch größere Säugetiere in

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 18
der Stadt heimisch fühlen. Füchse haben sich in vielen Städten inzwischen fest
etabliert. Im vergangenen Jahr wurden Rehe in der Geraaue gesichtet, Anfang diesen
Jahres liefen Wildschweine durch Gärten nahe dem Steigerwald (Dazu gab es
mehrere            Meldungen            in          der       Presse,          u.a.:
https://www.thueringen24.de/erfurt/article230888540/Erfurt-Ungewoehnlicher-
Anblick-mitten-in-der-City-Stadt-mit-eindringlicher-Warnung-Fassen-Sie-es-nicht-an-
Reh.html,         https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/erfurt/neunkoepfige-
wildschweinrotte-auf-morgenvisite-in-erfurter-wohngebiet-id231573147.html).
Kleinere Säuger wie Wildkaninchen und zunehmend auch Feldhasen sind im
Stadtbild vertraut, andere wie Marder, Ratten und Mäuse werden eher durch ihr
Wirken sichtbar, Igel und Fledermäuse können bei Abendspaziergängen beobachtet
werden.

Nicht nur einheimische Tiere haben sich den Lebensraum Stadt erobert. Zahlreiche
eigentlich in anderen Teilen der Welt beheimatete Arten sind vom Menschen,
beabsichtigt oder unbeabsichtigt, nach Europa gebracht worden. Am bekanntesten
sind vermutlich die Waschbären, 1934 erstmals in Hessen ausgesetzt, um „die
heimische        Fauna        zu     bereichern“     (https://de.wikipedia.org/wiki/
Waschbär), und inzwischen in weiten Teilen Deutschlands verbreitet. Auch andere,
als Ziergeflügel oder Pelztiere nach Europa gebrachte Arten haben sich hier nach
ihrer Befreiung oder
Flucht               aus
menschlichem
Gewahrsam einen Platz
erobert. Im Zuge von
Reiseverkehr        und
globalem         Handel
landen immer wieder
Pflanzen und Tiere als
blinde Passagiere in
unseren Städten und
wählen diese, da häufig
aus wärmeren Gefilden
stammend,           zum
bevorzugten
Aufenthaltsort.
                         Tiere in der Stadt: Hausrotschwanz

                                  Städte Bra(u)chen Natur - 19
Neben Säugetieren teilen sich unzählige weitere Arten den Lebensraum Stadt mit
dem Menschen. Amseln, Kohl- und Blaumeisen, ursprünglich im Wald beheimatet,
Kulturfolger wie Turmfalke und Sperling, Stadttauben, die verwilderten Nachkommen
von aus der Felsentaube gezüchteten Haus- und Brieftauben, und viele andere Vögel
sind aus unseren Städten längst nicht mehr wegzudenken. Für den Hausrotschwanz,
ursprünglich Fels- und Blockhaldenbewohner in Gebirgen, stellen in Europa
Siedlungen inzwischen den wichtigsten Lebensraum dar (Armin Landmann. Der
Hausrotschwanz. Vom Felsen zum Wolkenkratzer –Evolutionsbiologie eines
Gebirgsvogels. Wiesbaden 1996, S. 45). Er benötigt blockige, nischenreiche Areale
und übersichtliche Freiflächen ohne geschlossenen Baumbestand. Beides findet er
im urbanen Bereich.

Mit dem Bau immer ausgedehnterer und in die Höhe wachsender Städte entstanden
für einige Arten geeignete Biotope: Kunstfelsen mit Nischen und Höhlungen. Mit der
Sanierung alter Gebäude und der abgeriegelten Bauweise neuer Häuser wird aber
nun der einst geschaffene Lebensraum knapp, Mauersegler und Fledermäuse zum
Beispiel bedürfen der Winkel und Unterschlüpfe für Nistmöglichkeiten und
Kinderstube. Die Stadt Erfurt trägt dem mit einem Artenschutzprogramm für
gebäudebewohnende Vögel und Fledermäuse im Siedlungsbereich der thüringischen
Landeshauptstadt Rechnung. „Bislang wurden im Stadtgebiet von Erfurt an
öffentlichen und privaten Bauwerken mehr als 600 künstliche Nist- und
Quartiermöglichkeiten geschaffen, darunter 250 Fledermausquartiere, 250 Nisthilfen
für Mauersegler, 70 Nisthilfen für Schleiereulen, Turm- u. Wanderfalken sowie Dohlen
[und]              40               Nisthilfen             für            Singvögel.“
(https://www.erfurt.de/ef/de/leben/oekoumwelt/naturschutz/artenschutz/index.html)

Die Anzahl der Arten, die unsere Städte bevölkern, geht in die tausende (Stefan
Ineichen/Bernhard Klausnitzer/Max Ruckstuhl (Hrsg.). Stadtfauna. 600 Tierarten
unserer Städte. Bern 2012, S. 23. Die Autoren gehen von einer Größenordnung der
in der Stadt lebenden Tierarten von 12000 bis 16000 Arten aus). Neben Pflanzen,
Pilzen und Flechten leben zahlreiche Wirbellose und Wirbeltiere im urbanen Raum,
der weitaus größte Teil davon sind kleine und winzige Arten, wie zum Beispiel
Fadenwürmer und Milben.
Das Mosaik von Lebensräumen in der Stadt ist vielfältig. Es finden sich sowohl sehr
trockene als auch feuchte Biotope, Kiesflächen und Areale mit tiefgründigen Böden.
Das ermöglicht eine Ansiedlung von Pflanzen und Tieren mit teils sehr

                                Städte Bra(u)chen Natur - 20
unterschiedlichen Lebensansprüchen auf engem Raum, unter ihnen gefährdete
Arten, die hier eine Nische finden. Brachfallende Flächen werden neu besiedelt, lange
bestehende Parkanlagen und Friedhöfe bilden möglicherweise Refugien für Arten,
die dort bereits einzogen, als die Ausmaße der Bebauung um sie herum noch
wesentlich geringer waren.

Angesichts schwindender Lebensräume aufgrund von Flächenversiegelung und
ausgeräumten Agrarlandschaften gewinnen diese Nischen in der Stadt, gerade für
den Erhalt gefährdeter Arten, zunehmend an Bedeutung. Der Erhalt der biologischen
Vielfalt ist Lebensgrundlage für uns Menschen. Pflanzen sind Nahrungs- und
Sauerstofflieferanten und ermöglichen so unsere Existenz. Große Bäume mit
entsprechendem Blattwerk beeinflussen positiv das Klima in der Stadt. Grün in der
Stadt hat Erholungswert und macht diese lebenswerte, vielfältige Flora und Fauna
ermöglichen Naturerfahrung direkt vor der Haustür.

Einmal versiegelte Flächen müssen dies nicht für immer bleiben. Wie sich grüne
Inseln auch in gewerblich genutzten Arealen schaffen lassen, zeigt die von 2013 bis
2016 vom Wissenschaftsladen Bonn unter dem Motto „Natur in graue Zonen“
durchgeführte Kampagne zur Entsiegelung und naturnahen Begrünung
innerstädtischer Gewerbeflächen. Die Stadt Erfurt zählte zu den drei an dem Projekt
beteiligten Modellstädten. Kooperationspartner war die BürgerStiftung Erfurt. Ziel war
es, mit einfachen Mitteln, mehr Natur in die Stadt zu bringen
(https://www.wilabonn.de/abgeschlossene-projekte/374-natur-in-graue-zonen.html).
„Natur in graue Zonen“ wurde als Jahresprojekt 2016 der UN-Dekade „Biologische
Vielfalt“ ausgezeichnet. Im Rahmen dieses Projektes wurden unter anderem Flächen
der KOWO und der WBG Erfurt, der gemeinsame Hof von Volkshochschule und
Schotte sowie Teile des Geländes um die Kletterhalle Nordwand entsiegelt und
begrünt.

                                Städte Bra(u)chen Natur - 21
Brachflächen
Für den Erhalt und die
Förderung der Biodiversität
in der Stadt kommt, neben
dem Vorhandensein lange
bestehender
Grünstrukturen,
insbesondere Brachen
eine große Bedeutung zu.
Auf      zeitweise     vom
Menschen nicht oder nur
wenig genutzten und nicht Blick auf Erfurt, Februar 2019
vollständig versiegelten Flächen siedeln sich, je nach der Beschaffenheit des
Untergrundes, unterschiedliche Pflanzen und Tiere an. Es entsteht ein Stück Wildnis,
das immer mehr Arten geeigneten Lebensraum bietet. Häufig wird dieser Wildwuchs
jedoch irgendwann als störend empfunden und beseitigt oder umgestaltet. Die
Lebensbedürfnisse vieler Arten sind jedoch nicht deckungsgleich mit den
Ordnungsvorstellungen vieler Menschen. Für die Lösung des sich daraus
ergebenden Konfliktes bedarf es daher kreativer Lösungen, die den Ansprüchen
beider Seiten gerecht werden.

Die Stadt Erfurt unterstützt die Zwischennutzung von Brachen, entscheidend ist
jedoch die Umsetzung eigener Ideen durch engagierte Einwohner*innen. Projekte wie
die LAGUNE in der Krämpfervorstadt und der Interkulturelle Gemeinschaftsgarten
Erfurt Paradies in Ilversgehofen zeigen, dass es möglich ist, auf solchen Flächen Orte
sozialer Begegnung, verbunden mit ökologischem Gemüseanbau, Kultur und
Umweltbildung, zu gestalten und dabei der gewachsenen Stadtnatur und Artenvielfalt
Raum zu lassen.

Allzu oft verschwinden Wildwuchs-Refugien durch radikale Umgestaltung, die dem,
was sich dort angesiedelt hat, kaum Chancen zum Überleben lässt, anstatt dem
Erhalt von Biodiversität in der Stadt zu dienen und als Erholungs- und Lernorte
genutzt zu werden. Oder es entsteht flächendeckende Bebauung und verändert so
das Bild unserer Stadt.

                                Städte Bra(u)chen Natur - 22
Insekten in der Stadt

In den vergangenen Jahren rückte das              nicht übersehen zu werden, zum
Thema Insektensterben zunehmend in                Beispiel      Tagfalter.    Für  eine
den Blick der Öffentlichkeit. Insekten            Einschätzung der Zu- oder Abnahme
sind    überaus     wichtig     für   die         der Anzahl von Arten bedarf es daher
Ökosysteme unserer Erde. Sie räumen               einer möglichst genauen und vor allem
den Boden auf und tragen zur                      langfristigen Bestandsaufnahme.
Bodenfruchtbarkeit bei, sie sind                  Für einige Insektenfamilien liegen
Nahrung für Vögel, Fledermäuse,                   Veröffentlichungen       (Fauna   des
Eidechsen und viele andere Tiere.                 Stadtgebietes von Erfurt) über ihr
Ohne die Bestäubungsleistung von                  Vorkommen im Stadtgebiet vor, zum
Insekten würde uns die Nahrung                    Beispiel für Widderchen (Zygaenidae),
ausgehen, bestäuben sie doch 90                   Prachtkäfer       (Buprestidae)   und
Prozent aller Blütenpflanzen weltweit             Bockkäfer      (Cerambycidae).  Diese
und 75 Prozent aller wichtigen                    zeigen einen Rückgang der Anzahl von
Nutzpflanzen.                                     Arten auf.
Die Einstufung der Gefährdungen von
Arten      erfolgt    aufgrund      ihrer
Bestandsentwicklung. Insekten sind
meist klein und haben häufig eine hohe
Fluchtdistanz, das heißt, sie lassen sich
beim Näherkommen eines Menschen in
die Krautschicht fallen, rennen weg
oder fliegen eilends davon. Aufgrund
ihrer geringen Größe sind sie dann, im
Gegensatz zu großen Tieren, nur selten
sicher zu bestimmen. Sie leben häufig               Glänzende Blütenprachtkäfer, Anthaxia nitidula, 28.06.17,
                                                            Gemeinschaftsgarten Erfurt Paradies
versteckt oder außerhalb unseres
                                                  Widderchen oder Blutströpfchen sind
Blickfeldes, wie etwa in den Wipfeln der
                                                  relativ kleine, zu den Nachtfaltern
Bäume. Auffällig sind vor allem
                                                  gehörende,       jedoch      tagaktive
diejenigen, die uns manchmal lästig
                                                  Schmetterlinge. Zu ihnen zählen Arten
werden, wie Mücken, Fliegen und
                                                  mit schwarzen Vorderflügeln mit roten
Wespen, oder solche, die bunt und vor
                                                  Flecken darauf und solche mit oftmals
allem groß genug sind, um von uns

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 23
metallisch                schimmernden           Häufig deutlich kleiner als Tagfalter,
Vorderflügeln (Grünwidderchen). Im                dabei aber äußerst vielfältig, sind Käfer.
Stadtgebiet von Erfurt sind insgesamt             Prachtkäfer gehören zu den schönsten
15 Arten bekannt (Andreas Heuer &                 Insektenarten, sie besitzen alle eine
Karl Göhl. Fauna des Stadtgebietes von            mehr     oder     weniger        deutliche
Erfurt, Teil VII: Widderchen. VERNATE             metallische Färbung. Die meisten der
39/2020, S. 169 - 197). Von diesen                bei uns heimischen Prachtkäfer-Arten
gelten sechs Arten als verschollen oder           weisen jedoch nur eine geringe Größe
ausgestorben, da es von ihnen keine               auf (meist um 5 – 11 mm) und werden
neueren Funde gibt, vier davon wurden             somit von vielen Menschen übersehen.
nach 1950 nicht mehr beobachtet, die              Der weitaus größte Teil der Prachtkäfer
beiden anderen zuletzt in den Jahren              entwickelt sich an Bäumen, einige
1995 bzw. 1996. Da der weitaus größte             wenige Arten kommen an Kräutern oder
Teil der Beobachtungsdaten aus der                Gräsern vor. Viele von ihnen sind auf
Zeit nach 1990 stammt, ist es sehr                bestimmte Pflanzenarten oder -
unwahrscheinlich,          dass        die        gattungen spezialisiert. Ca. 70 % der in
entsprechenden Arten aktuell einfach              Deutschland                   heimischen
übersehen wurden. Nur vier der                    holzbewohnenden        Prachtkäferarten
insgesamt 15 Arten können als weit                leben an Laubgehölzen. Sie sind
verbreitet und ungefährdet eingestuft             wärme- und sonnenliebend und
werden.      Widderchen      sind    sehr         besiedeln vorrangig Bäume mit Alt- und
standorttreu und flugschwach, im                  Totholzanteil.
Gegensatz zu manchen Tagfaltern sind
sie keine Langstreckenflieger. Wenn               Der 2012 erschienene Teil IV der Fauna
Landschaften        durch    großflächige         des Stadtgebietes von Erfurt behandelt
artenarme        Ackerflächen     geprägt         die Prachtkäfer (Matthias Hartmann.
werden und für Widderchen geeignete               Fauna des Stadtgebietes von Erfurt,
Lebensräume darin nur als kleine                  Teil     IV:   Prachtkäfer.    VERNATE
isolierte Inseln bestehen, kann jede              31/2012, S. 399-427). Im Zeitraum von
Veränderung dieser Habitate ein                   1843 bis 2012 wurden 36 Arten von
Erlöschen der Population bewirken.                Prachtkäfern         im       Stadtgebiet
Neben dem Erhalt der Lebensräume ist              nachgewiesen, davon 13, also über ein
also     auch     die    Schaffung    von         Drittel, zuletzt vor über 80 Jahren. Von
Verbindungen zwischen geeigneten                  den zu den Prachtkäfern vorliegenden
Landschaftsbestandteilen, also ein                Daten stammen knapp ein Drittel aus
Biotopverbundsystem, zur Erhaltung                der Zeit bis 1934, reichlich zwei Drittel
der Artenvielfalt notwendig.
                                 Städte Bra(u)chen Natur - 24
wurden von 1990 bis 2012 gesammelt.              VERNATE 38/2019, S. 225-285 und
Im dazwischenliegenden Zeitraum von              39/2020, S. 353 - 380). Wie bei den
1935 bis 1989 wurden nur sehr wenige             Prachtkäfern, lebt der überwiegende
Prachtkäfer erfasst. In Thüringen                Teil der Bockkäfer an Gehölzen,
wurden bisher 66 Prachtkäfer-Arten               zumeist in Totholz, und nur bei einem
nachgewiesen, von diesen wurden in               geringen Anteil entwickeln sich die
der Roten Liste Thüringens (Thüringer            Larven in krautigen Pflanzen. Dem
Landesanstalt für Umwelt und Geologie            entsprechend sind ihre Lebensräume
(Hrsg.): Rote Liste der gefährdeten              unterschiedlichste      Biotope      mit
Tier-        und         Pflanzenarten,          Gehölzen sowie, für die krautige
Pflanzgesellschaften     und    Biotope          Pflanzen       bewohnenden        Arten,
Thüringens. Jena 2011, S. 225-228) 50            halbtrockene     und      trockenwarme
% als mindestens gefährdet eingestuft,           Grasländer. Von 104 einheimischen
davon gelten 14 als verschollen oder             Bockkäferarten, die von 1843 bis 2020
ausgestorben. Von zwei der im                    nachgewiesen wurden, sind 45 Arten
Stadtgebiet schon lange nicht mehr               seit 2000 und davon 35 schon seit 1953
aufgefundenen Arten fehlen auch                  nicht mehr gefunden worden. Die
thüringenweit aktuelle Nachweise.                aktuelle Situation ist ähnlich der der
Neun der im Stadtgebiet bekannten                Prachtkäfer: über ein Drittel der Arten
Arten sind in der Roten Liste                    muss       als     verschollen     oder
Thüringens mit den Kategorien 1 bis 3            ausgestorben eingestuft werden, auch
als gefährdet (Gefährdungskategorien:            wenn es gelegentlich Wiederfunde, wie
0 – Ausgestorben oder verschollen, 1 –           2020 den des Rotköpfigen Linienbocks
Vom Aussterben bedroht, 2 – Stark                (Oberea erythrocephala) nach 56
gefährdet und 3 – Gefährdet)                     Jahren auf der Schwellenburg, geben
eingestuft, davon wurden sechs nur               kann. Auch wenn die Fauna der
lange zurückliegend nachgewiesen und             Bockkäfer im Stadtgebiet mit 58 auch
müssen      somit    als     in   Erfurt         nach 2000 im Stadtgebiet gefundenen
ausgestorben       oder     verschollen          Arten sehr artenreich ist, so sind doch
eingestuft werden.                               viele      Spezialisten      inzwischen
                                                 verschwunden.
Teil VI der Fauna des Stadtgebietes
von Erfurt widmet sich den Bockkäfern
(Andreas Weigel & Matthias Hartmann.
Fauna des Stadtgebietes von Erfurt,
Teil VI: Bockkäfer 1. und 2. Teil.

                                Städte Bra(u)chen Natur - 25
insbesondere für spezialisierte Arten
                                                              wichtiger Lebensraum.
                                                              Während die Schutzgebiete und
                                                              Geschützten Landschaftsbestandteile
                                                              sehr gut erforscht sind, wurden die
                                                              meisten      Parks     und     anderen
                                                              innerstädtischen    grünen    Bereiche
                                                              bisher nicht systematisch untersucht.
                                                              Das Beispiel des Interkulturellen
    Kirschprachtkäfer, Anthaxia candens, 9.5.2018,            Gemeinschaftsgartens Erfurt Paradies
 Gemeinschaftsgarten Erfurt Paradies, Vorwarnliste RLT
                                                              in der Metallstraße zeigt, dass auch
Pracht- und Bockkäfer können als
                                                              inmitten des bebauten Bereiches eine
Indikatoren    für   eine      gesunde
                                                              hohe Artenvielfalt bestehen kann,
Waldstruktur     und    ein     reiches
                                                              vorausgesetzt, ihr wird der notwendige
Totholzangebot herangezogen werden.
                                                              Raum gelassen.
Wichtige Lebensräume für sie sind
                                                              Im Gemeinschaftsgarten konnten seit
naturnahe                Waldflächen,
                                                              2012, neben vielen weiteren Insekten,
Streuobstwiesen, Parkanlagen und alte
                                                              11 Bockkäferarten sowie mindestens 6
sonnenbeschienene       Bäume         an
                                                              Prachtkäferarten beobachtet werden,
Straßenrändern, wichtige Refugien im
                                                              darunter auch drei auf der Roten Liste
Stadtgebiet     von     Erfurt      sind
                                                              Thüringens 2011 stehende.
Schutzgebiete      und      Geschützte
Landschaftsbestandteile. Da beide
Käferfamilien                  ähnliche
Lebensraumansprüche              haben,
gleichen sich auch die Ursachen ihrer
Gefährdung: Lebensraumvernichtung
durch Versiegelung der Landschaft,
Verkehrsneubauten, Abholzen von
Alleebäumen und alten Bäumen in
Parks und entlang von Flussläufen,
Totholzberäumung, die Beseitigung von
                                                                 Schwarzhörnige Walzenhalsbock, Phytoecia nigricornis,
alten Obstplantagen sowie überzogene                             23.5.2018, Gemeinschaftsgarten Erfurt Paradies, RLT3
Baumpflege-Maßnahmen zur Verkehrs-
und Wegesicherheit. Großbäume mit
hohem Alt- und Totholzanteil sind

                                             Städte Bra(u)chen Natur - 26
Die       im       Gemeinschaftsgarten            spezialisiert und von deren Vorkommen
beobachteten Insekten wurden bisher               abhängig.
ausschließlich              fotografisch          Inmitten der Stadt Erfurt gibt es einen
dokumentiert.        Eine       genaue            Ort    mit      einer   sehr    reichen
Bestimmung der jeweiligen Art ist damit           Wildbienenfauna – den Petersberg.
bei weitem nicht immer möglich. Die
zahlreich vertretenen Wildbienen zum
Beispiel lassen sich so meist nur bis zur
Gattung bestimmen, vorausgesetzt die
dafür notwendigen Merkmale sind auf
dem Foto erfasst.

Wildbienen haben eine enorme
Bedeutung für die Bestäubung von
Blütenpflanzen. In Deutschland gibt es
über 560 Arten, die meisten von ihnen                           Sandbiene, Andrena haemorrhoa

sind Einzelgänger und leben solitär.
                                                  Der Petersberg ist mit mehr als 10 ha
Neben        einem       entsprechenden
                                                  unversiegelter Offenlandfläche, 3 ha
Blütenangebot         benötigen        die
                                                  Gehölzfläche      und    weitreichenden
Brutfürsorge treibenden Bienenarten
                                                  Mauern der artenreichste Lebensraum
geeignete      Nistmöglichkeiten.     Das
                                                  im    Innenstadtgebiet    von     Erfurt.
können zum Beispiel, je nach Art,
                                                  Aufgrund dieser Vielfalt inmitten des
vegetationsarme                  Flächen,
                                                  Häusermeeres ist er von überregionaler
Abbruchkanten,                Steilwände,
                                                  Bedeutung. In Vorbereitung der
Trockenmauern, markhaltige Stängel
                                                  Bundesgartenschau 2021 wurde der
oder Käferfraßgänge in Totholz sein.
                                                  Petersberg       einer    ökologischen
Einige bevorzugen bereits vorhandene
                                                  Untersuchung       unterzogen.     2018
Hohlräume, diese können mit dem
                                                  wurden dabei 122 Hautflügler-Arten,
Aufstellen      von    Nisthilfen,    den
                                                  darunter 90 Wildbienen- und 29
sogenannten             „Insektenhotels“,
                                                  Wespenarten, nachgewiesen. 16 der
unterstützt     werden.     Unter     den
                                                  Wildbienenarten stehen auf der Roten
Wildbienen gibt es, neben den
                                                  Liste Thüringens (Frank Creutzburg &
nestbauenden        Arten,     parasitisch
                                                  Matthias Hartmann. Beiträge zur
lebende. Diese Kuckucksbienen legen
                                                  Hymenopterenfauna des Petersberges
ihre Eier in fremde Nester, sie sind auf
                                                  in Erfurt (Landeshauptstadt Thüringen).
eine     oder     mehrere       Wirtsarten

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 27
VERNATE 39/2020, S.381-394). Das                  Naturschutz und nicht allein an
Vorhandensein naturnaher Flächen,                 funktionalen      und      ästhetischen
vegetationsfreier     Bereiche,   steiler         Aspekten orientiert, damit dieser
Böschungen, zahlreicher Mauerfugen,               Artenreichtum erhalten bleibt. Die
von Totholz sowie eine reichhaltige               Autoren der beiden Veröffentlichungen
Vegetation ermöglichten diese Vielfalt.           geben ausführliche Anregungen zu
Bei einer von 2016 bis 2020 erfolgten             einem möglichen Pflegekonzept nach
Untersuchung der Flora wurden 330                 der Buga und zu Maßnahmen für den
Farn- und Blütenpflanzenarten erfasst             Erhalt des Artenreichtums auf dem
(Henryk Baumbach. Die Flora des                   Petersberg. So sollte zum Beispiel die
Petersberges              in       Erfurt         Mahd der Grünflächen in kleineren
(Landeshauptstadt            Thüringen).          Einheiten und möglichst nicht mehr als
VERNATE 39/2020, S. 47-80). Seitdem               einmal im Jahr erfolgen. Ein häufigeres
fand eine umfangreiche Umgestaltung               Mähen ist nur bei stark durch Besucher
des Petersberges für die Buga 2021                frequentierten Flächen notwendig. Das
statt. Es bleibt zu hoffen, dass dabei            würde sowohl den Pflegeaufwand
ausreichend      vielfältige  Strukturen          senken als auch die Artenvielfalt
bestehen geblieben sind und sich die              fördern.
weitere Nutzung vor allem auch am

Lebensraum Stadt
Im Vorfeld der Bundesgartenschau hat sich in Erfurt vieles verändert. Das ega-
Gelände und der Petersberg wurden umgestaltet. Und auch in der nördlichen
Geraaue fanden großflächige Arbeiten statt. Ziel war es dort, auf einer Länge von ca.
fünf Kilometern – vom Nordpark bis zum Kilianipark – bereits bestehende
Grünanlagen zu erweitern, aufzuwerten und durch neue Parkanlagen zu einem
großen, zusammenhängenden Landschaftspark zu verbinden. Das Wohnumfeld in
den Stadtteilen Rieth, Moskauer Platz und Berliner Platz soll damit dauerhaft
aufgewertet werden (https://www.erfurt.de/ef/de/leben/planen/efre/staedtebauliche-
aufwertung/130395.html).
Nördlich der Straße der Nationen erfolgte der Rückbau des Wehrs Teichmannshof
zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Gera gemäß Europäischer
Wasserrahmenrichtlinie. Es entstand dort außerdem ein rund 10.000 m² großer Teich

                                 Städte Bra(u)chen Natur - 28
(https://www.erfurt.de/ef/de/leben/planen/efre/staedtebauliche-
aufwertung/133902.html).
Mit der Renaturierung von Marbach, Mühlgraben und Geraaue nördlich der Straße
der Nationen unter Einbeziehung der Fläche des ehemaligen Heizwerkes wurden
neue Naturräume geschaffen, die Artenvielfalt ermöglichen und Gelegenheit zu
Erholung und Naturerfahrung bieten.
Dort, wo einst das Klärwerk war und nachfolgend eine wild bewachsene Brachfläche,
entstanden ein Zugang zum Fluss mit Terassenufer sowie ein Picknickplatz und ein
Spielplatz. Eine 1.000 Quadratmeter große Wiesenfläche soll zum wertvollen Lebens-
und       Nahrungsraum          für      Bienen      und        Insekten    werden
(https://www.erfurt.de/ef/de/service/aktuelles/pm/2021/138090.html).

      Nördliche Geraaue, Erfurt

Neue Bäume und Sträucher wurden gepflanzt. Zwei alte Schwarzpappeln durften
bleiben, der größte Teil des Wildwuchses musste jedoch der neuen Anlage weichen.
Entlang des grünen Bandes an Gera und Flutgraben haben auch unsere tierischen
Mitbewohner die Möglichkeit, sich auszubreiten. Und zurückzukehren an Orte, wo es
vor kurzem noch Wildwuchs und damit Nischen für sie gab. Denn jede großräumige
Umgestaltung beinhaltet auch, dass alles, was nicht mobil genug ist, um sich beim
Erscheinen der Bagger in Sicherheit zu bringen, der Neugestaltung zum Opfer fällt.
Ob auch Spezialisten zukünftig eine Chance bekommen, wird sich zeigen. Welche
Lebensräume etwa vorrangig Totholz bewohnende Arten brauchen und was zu ihrer
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