Avantgarde, Zeitgeist, "Mainstream" - Siegfried Däschler-Seiler - Ingenta Connect
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PR 2021, 75. Jahrgang, S. 607-613 © 2021 Siegfried Däschler-Seiler - DOI https://doi.org/10.3726/PR052021.0055 Siegfried Däschler-Seiler Avantgarde, Zeitgeist, „Mainstream“ 1. „Progressiven Neoliberalismus“ nennt – was ihre Aufgabe ist – sie treibt Nancy Fraser das Modell, das in den ihn ohne Mandat voran. Der egalitäre USA den Führungsanspruch in der Emanzipationsbegriff der sechziger politischen Arena beanspruchte und und siebziger Jahre wurde abgelöst am Ende ganz im Gegensatz dazu Do- von einem doktrinären Begriff eines nald Trump hervorbrachte.1 Gemeint „meritokratischen Aufsteigerinnen-Fe- ist damit ein „Bündnis ‚immer neuer minismus, der den weiblichen ‚Willen sozialer Bewegungen‘ (Feminismus, zum Erfolg‘ und den ‚Sturm auf die Antirassismus, Multikulturalismus und Führungsetagen‘ propagierte.“3 Ge- LGBTQ) mit Vertretern hochtechni- steigert wird das inzwischen durch sierter, ‚symbolischer‘ und dienstleis- einen Jakobinismus, der sich „Identi- tungsbasierter Wirtschaftssektoren tätspolitik“ nennt, und der hinter jeder (Wall Street, Silicon Valley, Medien- Differenz die Diskriminierung sucht. und Kulturindustrie etc.). In dieser Was hat das mit der Pädagogik zu Allianz verbinden sich echte progres- tun? Das von Nancy Fraser vorge- sive Kräfte mit einer ‚wissensbasierten tragene Modell, das den Prozess der Wirtschaft‘ und insbesondere dem Fi- wirtschaftlichen Modernisierung mit nanzwesen. Wenn auch unbeabsich- der kulturellen verknüpft, hat erheb- tigt leihen sie Letzteren dabei ihren liche Bedeutung für die Pädagogik, Charme und ihr Charisma.“2 anders gesagt für Schule, Bildung Ohne das hier weiter auszuführen, und Erziehung generell. Die in dieser finden wir mühelos weitere Beispiele scheinbar so progressiven Ökonomie für das Ergebnis dieses Prozesses gängigen Verfahren, stringent und vor- in anderen Ländern. Während viele rangig mit statistischen Methoden zu Beschäftigte um ihre Arbeit bangen arbeiten, werden auf das zwischen- oder darum, dass sie mit ihren Löhnen menschliche Geschehen in einer den Alltag nicht mehr bewältigen, und Institution übertragen und dort als während Familien darum kämpfen, be- notwendiges, allein gültiges Verfahren zahlbaren Wohnraum zu finden, was propagiert. Es entsteht eine unheilige durch Corona verschärft wird, echauf- Allianz, bei der die wissenschaftliche fiert sich die vermeintliche Avantgarde Begleitung der ökonomischen Moder- über fehlende „Gender-Sternchen“ nisierung, die paradigmatisch auf das und ruft zum Kulturkampf auf. Als Bei- empirisch Messbare setzt, nahtlos auf spiel diene die Duden-Redaktion, sie die kulturelle Modernisierung übertra- folgt nicht mehr dem Sprachwandel gen wird. Nur so könne Schule besser 5 / 2021 Pädagogische Rundschau 607 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
werden, nur so könnten Reformen be- entspricht, als „Anekdoten, Ideologie gründet werden. Die stringente, zah- und Bauchgefühl“5 qualifiziert, ver- lengetriebene Empirie versteht sich dient besondere Beachtung. – im Gleichklang mit der ausschließ- Otto Friedrich Bollnow, ein Tübinger lich betriebswirtschaftlichen Sicht auf Philosoph und Pädagoge der sech- das ökonomische Feld, bei der nur ziger und siebziger Jahre, forderte das Messbare zählt – als Speerspitze schon Ende der sechziger Jahre einen der kulturellen Modernisierung. respektvollen Umgang und eine auf- Die „Pisa-Studie“ und ihre erhebli- merksame Kooperation empirischer chen Folgen oder die „Hattie-Studie“ und hermeneutischer Wissenschaft übernehmen dabei nur die Funktion in der Pädagogik.6 Sehr ausgewo- einer Brustwehr. Verbunden mit der gen arbeitet Bollnow die Unterschie- angedeuteten kulturellen Modernisie- de zwischen empirischer Forschung rung sieht sich diese Variante eines und hermeneutischer heraus. Beide „progressiven Neoliberalismus“ als Richtungen berufen sich auf Erfah- Avantgarde: politisch, wissenschaft- rung, aber es sind jeweils eigene lich, kulturell. Sie entspricht dem Zeit- Vorstellungen, was das sei. Während geist, usurpiert mit Hilfe der Medien Trautwein immer mehr Daten im Sinne den „Mainstream“ und sucht bei kri- statistischen Materials fordert, um tischen Rückfragen nicht mehr nach seine Kenntnisse des pädagogischen dem Argument, sondern danach: wer Geschehens auszuweiten und Inter- spricht? Um dann Einwände leichtfer- ventionen abzuleiten, arbeitet Bollnow tig mit der diskriminierenden Bemer- schon 1968 klar heraus, dass es kung „alter weißer Mann“ abzutun. Begriffe gibt, die unwissenschaftlich 2. Nochmals: Was bedeutet das für die erscheinen, wie zum Beispiel der Be- Pädagogik? Positionen werden be- griff der Begegnung, zum Verständnis setzt von Wissenschaftlern, die sich des Erziehungsgeschehens aber un- vor allem dadurch auszeichnen, dass verzichtbar sind. Ginge man nur wie sie das Handwerk der empirischen die stringenten Empiriker vor, werden Forschung beherrschen. Der Spre- damit viele Facetten des Lernens, der cher der OECD-Studien zur Bildung Erziehung und der Bildung einfach etwa, Andreas Schleicher, ist ein Phy- ausgeblendet. Überprüfen kann man siker. Ein anderer, Ulrich Trautwein, ist die Argumente des hermeneutischen als Psychologe Professor der Erzie- Verfahrens nur, indem man Zeugnisse hungswissenschaft mit eigenem Insti- anderer Autoren hinzuzieht, also die tut an der Universität Tübingen. Nun historische und die systematische Di- war die Pädagogik immer dem Zeit- mension nicht ausgrenzt. Bestimmte geist ausgeliefert und „der Politik ko- Erfahrungen lassen sich nicht in die ordiniert“4, und Wissenschaftlichkeit empirische Form der Erkenntnisge- bestand gerade darin, kritisch Distanz winnung überführen. „Die Pädagogik zu wahren oder herzustellen. Gleich- würde also vor der Aufgabe versagen, zeitig muss eine wissenschaftliche die wissenschaftliche Behandlung der Disziplin anschlussfähig bleiben. Dass gesamten für die Erziehung wichtigen nun aber ein prononcierter Vertreter Lebensvorgänge zu sein, d. h. sie dieser „Avantgarde“ die Erziehungs- würde den Anspruch, Wissenschaft wissenschaft nicht kennt und alles, von der Erziehung zu sein, zu unrecht was nicht seiner Art der Forschung erheben.“7 608 Pädagogische Rundschau 5 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Die Aufforderung zum Austausch zwi- Facetten der Verständigung zwischen schen den verschiedenen Zugängen Menschen über Sachen, die wir Un- weist Trautwein zurück. Offensichtlich terricht nennen, bleibt in seinen Aus- verweist er hermeneutische Verfahren führungen gleichsam blutleer. in den Bereich des Nicht-Wissen- Um ein Beispiel für Effektivität im Un- schaftlichen. Darüber hinaus findet terricht anzuführen: Die effektivsten er Gehör und Unterstützung in den Stunden an einer Grundschule sind hohen Rängen der Politik. Nur zum die der Zahnprophylaxe. Angelernte weiteren Verständnis: Die Psycholo- Helferinnen, die das gut machen, üben gie ist eine wichtige und notwendige mit den Kindern und sind sehr erfolg- Wissenschaft, die für das Verständ- reich dabei. Die Stunden wurden über nis von Bildung und Erziehung ge- Jahre evaluiert und verfeinert. Die Kin- braucht wird. Mit den dominierenden der verstehen das Problem, sie kön- Methoden dieser Wissenschaft, die nen entsprechend handeln, und sie naturwissenschaftlichen Verfahren erinnern sich auch noch lange daran. entstammen, kann aber nicht eine Aber jedem ist klar: eine vielseitige, ganze andere Fachdisziplin für un- am individuellen Lernprozess orien- tauglich erklärt werden. Um es zuzu- tierte Einführung in die Schriftkultur spitzen, sei ein Vergleich gestattet: als Aufgabe der Grundschule9 kann Stellen wir uns einen Biologen vor, so nicht geschehen; es sei denn, man der vielleicht physiologisch oder ana- träumt von einer zentral gesteuerten tomisch detailliert versteht, um was Instruktion wie in der DDR. es geht, wenn es um eine Operation 3. Ausgerechnet aus den Nachbardis- geht, aber nicht Medizin studiert hat ziplinen der Erziehungswissenschaft und noch nie ein Messer in der Hand kommen nun Hinweise, um nicht zu hatte: Wollen sie von einem solchen sagen Ermahnungen, dass sich die „Experten“ operiert werden? Das ist Pädagogik auf ihre eigene Tradition, das „Modell Trautwein“. Er kommt aus auf ihre einheimischen Begriffe zu einem benachbarten Fach der Erzie- besinnen habe, um dem realen Ge- hungswissenschaft und beansprucht schäft, das mit ihrer Disziplin verbun- dort wie selbstverständlich die Kom- den ist, gerecht zu werden. petenz wie gehandelt werden soll. Der Soziologe Steffen Mau schildert Nimmt man einen Text von ihm zur in erschütternder Weise, wie wir ver- Hand, der vom Kultusministerium in messen und daraus folgend zuge- Baden-Württemberg in einer Hand- richtet werden.10 Über die Frage der reichung an die Schulen gegeben „Benennungsmacht“ wird eine hege- wurde, so muss man eine Sprache moniale Stellung einer bestimmten zur Kenntnis nehmen, die Erziehung Form von Wissenschaft erzeugt: „Jede als einen Prozess der Produktion, Benennung ist der Versuch, eine spe- letztlich als Dressur versteht. Es zifische Lesart sozialer Phänomene geht im Wesentlichen nur um Effek- zu etablieren.“11 In besonderer Weise tivität, also darum „Lernprozesse von bezieht er sich auf die „Pisa-Studie“, Schülerinnen und Schülern optimal die „eine grundlegende Verschiebung zu organisieren und zu steuern“.8 Mit der Definitionsmacht darüber mit sich seiner Sprache entleibt Trautwein die gebracht hat, was gute Bildung aus- Verständigung zwischen Menschen macht. Die Pisa-Studie hat etablierte im Gespräch. Die vielschichtigen und national sehr unterschiedliche 5 / 2021 Pädagogische Rundschau 609 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Bildungstraditionen, mitunter gegen Bildungspolitik wird heute trotz hehrer den heftigen Widerstand zentraler Motive durch Teststrategien an einen Repräsentanten, über den Haufen ge- immer weiter verschärften globalen worfen. Sie hat sich dabei einem Bil- Kapitalismus17 gebunden, der viele dungsbegriff verschrieben, der auf die erstrebenswerte Ziele von Schule und Messung und Vergleichbarkeit (manche Erziehung ausblendet und getrieben würden sagen: die Vergleichbarkeits ist von der Vorstellung Indizes zu er- illusion) von Kompetenzen zielt. Die reichen, die sich auf wenige kogniti- Gütebewertung von Bildungssystemen ve Fähigkeiten beziehen, soziale und und Schulen ist nun dem standardisier- kulturelle Faktoren aber einfach über- ten Messregime von Pisa unterworfen. geht. Diesen Gedanken verfolgt der Was als pädagogischer Erfolg gilt, Soziologe Richard Münch.18 Darüber wird dabei durch die Experten eines hinaus sind die kritischen Beiträge internationalen Konsortiums festgelegt, des Wiener Philosophen Konrad Paul wodurch nach und nach alternative Kri- Liessmann seit längerem in der Dis- terien verdrängt werden und ‚kulturfreie kussion,19 der die Rhetorik einer „Wis- generelle Grundkompetenzen‘ (…) sensgesellschaft“ scharf kritisiert und einen zentralen Stellenwert erhalten, damit das Regime der Kompetenzen. die nur das einschließen, was messbar „Weil das Wissen von den individuel- und vergleichbar ist. Die OECD wurde len und sozialen Bildungsprozessen so zusammen mit den Erhebungsex- entkoppelt ist, kann es nun als ein perten zum ‚Oberhirten der nationalen Stoff behandelt werden, der allein Bildungspolitik in vielen Ländern.‘“12 nach den Kriterien der Verwertbarkeit Hartmut Rosa, ebenfalls ein Sozio- in Umlauf gehalten oder entsorgt wer- loge, der das empirische Handwerk den kann.“20 beherrscht, betont über sein Konzept Natürlich findet man auch in der Erzie- der Resonanz, was heute im wissen- hungswissenschaft selbst seit langem schaftlichen Diskurs der Pädagogik kritische Hinweise, die sich auf diese zu kurz kommt.13 Dabei spielen Ter- Entwicklung beziehen. 2009 fragt mini wie „Vertrauen“, „aufschließende Hermann Giesecke nach: „Haben Weltbeziehung“ oder „leibliche Di- Neurolinguistik, Systemtheorie, Kon mension“ eine entscheidende Rolle.14 struktivismus – um nur einige Beispie- Zudem stellt er in seinem Essay „Un- le zu nennen – für das, was ein Lehrer verfügbarkeit“ noch radikaler unseren tut, wirklich einen Erkenntniszuwachs modernen, okzidentalen wissenschaft- gebracht, den man nicht auch unter lichen Zugriff auf die Welt in Frage.15 Verzicht auf eine gespreizte Begriffs- Die evidenzbasierte Forschung erzeu- dogmatik aus der pädagogischen ge nur scheinbar Klarheit. „Bildung… Tradition – etwa durch Lektüre der ist ein bestenfalls halbverfügbarer Klassiker – oder aus überlieferter Prozess.“16 Die Sehnsucht, über Berufserfahrung hätte gewinnen kön- strenge empirische Forschung Hand- nen?“21 Und am Ende seines Essays lungssicherheit zu gewinnen, ist ein stellt er fest: „ Bisher ist vorwiegend weiterer Versuch wie in anderen Le- vom Bankrott der Banken die öffent- bensbereichen die Reichweite unse- liche Rede, es gibt im übertragenen res Handelns zu vergrößern, was sich Sinne aber auch einen geistigen jedoch als Fehlschlag entpuppt. Das Bankrott kultureller Institutionen, in- Unverfügbare soll verfügbar werden. sofern und insoweit sie ideell vom 610 Pädagogische Rundschau 5 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
psycho-ökonomischen Zeitgeist befal- Gedächtnis… Mit der Reduktion von len sind oder sich gar in hohem Maße Kultur aufs Marktgängige gehen le- darauf gründen.“22 Um aus der Kritik benswichtige kulturelle Optionen, an den Entwicklungen konstruktiv eine kreative Denk-Spielräume und Fremd- Perspektive zu gewinnen, betont da- heitserfahrungen verloren.“27 Mit den gegen Ludwig Duncker die Bedeu- Begriffen stoßen wir gleichzeitig in das tung der ästhetischen Erziehung für Zentrum der professionellen Tätigkeit eine Theorie der Schule.23 von Lehrerinnen und Lehrern vor. 4. Was nun? Man kann zunächst einmal Heinz-Elmar Tenorth wird in der Wo- bei versierten Empirikern nachlesen, chenzeitung „Die Zeit“ als „bedeutend dass man auf den hermeneutischen ster Bildungshistoriker“ Deutsch lands Zugang nicht verzichten kann. Bei präsentiert.28 Er fordert unverblümt, Hattie24 ist es ganz klar: am effektivs- dass die Schulen zuallererst besser ten ist das Lehrerverhalten, wenn ein ausgestattet werden müssten, per- differenziertes Feedback erfolgt und sonell und materiell, dass es zu viel die Lehrerinnen und Lehrer über ein Reformrhetorik und zu wenig Praxis reiches methodisches Repertoire ver- gäbe. Und: „Steuerungsphantasien fügen. Die Pädagogen müssen von führen einfach zu nichts“. Weil der Bil- der Position der Kinder und Jugendli- dungsprozess ein „anarchischer, indi- chen aus denken können, das Lernen vidueller Prozess“ sei, fordert Tenorth: aus der Sicht der Schüler sehen kön- „Lasst die Schulen in Ruhe!“ Vielleicht nen. Interessanterweise bezieht sich kann man sagen: nur durch pädago- Hattie beim Feedback unter anderem gische Freiheit und eine ausgewie- auf das Hauptwerk von Hans-Georg sene, sensible Lehrkunst können sie Gadamer „Wahrheit und Methode“, „Werkstätten der Menschlichkeit“29 wo es um das Fragen geht.25 Helmut sein und bleiben. Es geht auch darum, Fend spricht in seiner überarbeiteten dem Beruf seine Würde zu geben, „Theorie der Schule“ ausdrücklich das heißt der Arbeit derer, die unter- davon, es gehe ihm darum, „Bildungs- richten. Lehrerinnen und Lehrer brin- systeme zu verstehen und zu sehen, gen das kulturelle Gedächtnis eines wie sie in einem Wechselspiel von sprachlichen Raumes in der Form institutionellen Regelungen und Hand- von Zeichen und ihrer Grammatik, die lungen von Akteuren funktionieren.“26 in elaborierter Form abgelagert sind, Gleichwohl verliert er die Frage nach also in der Struktur von Schulfächern den Wirkungen nicht aus dem Blick. vor die Kinder und Jugendlichen und 5. Und damit sind wir beim Thema „Lehr- regen den Umgang damit an, damit kunst und pädagogische Freiheit“ an- sich die Zöglinge in einem bestimmten gelangt. Wir positionieren uns gegen kulturellen Raum zurechtfinden und einen Traditionsabbruch, wie er in vie- ihn kreativ weiterbestimmen können. len Teilbereichen unserer Kultur seit Sie wiederholen Elemente aus dem langem beklagt wird. Wir rekurrieren kulturellen Bestand. „Das Curriculum auf zwei (einheimische) Begriffe der ist ein wiederholendes Beginnen… Pädagogik, und wir knüpfen an das Das Faktum des Geborenseins wird „kulturelle Gedächtnis“ an, sowohl der durch das Curriculum in die Seinsver- Disziplin als auch darüber hinaus. Oder fassung des Menschen integriert, die wie es Aleida Assmann sagt: „Bildung als Natalität verstanden wurde… Die ist individuelle Teilhabe am kulturellen Natalität ist die Erscheinungsweise der 5 / 2021 Pädagogische Rundschau 611 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
Freiheit im menschlichen Dasein.“30 In 13 Rosa, Hartmut/Endres, Wolfgang: Resonanz- diesem Sinne kann die Erziehungs- pädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knis- tert. Beltz, Weinheim und Basel 2016. wissenschaft auf eine hermeneutische 14 Ebd., S. 88, S. 95, S. 103. und das heißt philosophische Reflexi- 15 Rosa, Hartmut: Unverfügbarkeit. Suhrkamp, on nicht verzichten. Berlin 2020/Residenz, Wien 2018. 16 Ebd., S. 79. 17 Streeck, Wolfgang: Gekaufte Zeit. Die ver- tagte Krise des demokratischen Kapitalis- mus. Suhrkamp, Berlin, 3. Auflage 2013. Anmerkungen 18 Münch, Richard: Der bildungsindustrielle Komplex. Schule und Unterricht im Wett- 1 Fraser, Nancy: Vom Regen des progressiven bewerbsstaat. Beltz, Weinheim und Basel Neoliberalismus in die Traufe des reaktionä- 2018. ren Populismus. In: Die große Regression. 19 Liessmann, Konrad Paul: Theorie der Unbil- Eine internationale Debatte über die geistige dung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. Situation der Zeit. Herausgegeben von Hein- Paul Zsolnay, Wien 2006. Ders.: Geis- rich Geiselberger. Suhrkamp Berlin, 2. Aufl. terstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine 2017, S. 77 – 91. Streitschrift. Paul Zsolnay, Wien 2014/Piper, 2 Ebd., S. 78 f. München und Berlin 2016. Ders.: Bildung als 3 Ebd., S. 81. Provokation. Paul Zsolnay, Wien 2017. 4 Schleiermacher, Friedrich: Grundzüge der 20 Liessmann 2006, S. 148. Erziehungskunst (Vorlesungen 1826). In: 21 Giesecke, Hermann: Pädagogik – quo vadis? ders.: Texte zur Pädagogik. Kommentierte Ein Essay über Bildung im Kapitalismus. Ju- Studienausgabe, Band 2. Herausgegeben venta, Weinheim und München 2009, S. 165. von Michael Winkler und Jens Brachmann. 22 Ebd., S. 194. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000, S. 13. 23 Duncker, Ludwig: Die Bedeutung ästheti- 5 Siehe: Allgöwer, Renate: „Mehr Daten und scher Bildung in einer Schule des Denkens. weniger Bauchgefühl“. Interview mit Ulrich In: Theorie der Schule aus philosophischer Trautwein. In: Stuttgarter Zeitung Nr. 201, und pädagogischer Sicht. Zum Verständnis 31.08.2017, S. 6. der Bildung in einer veränderten Welt. Her- 6 Bollnow, Otto Friedrich: Der Erfahrungs- ausgegeben von Renate Breuninger. Hum- begriff in der Pädagogik (1968). In: ders.: boldt Studienzentrum, Ulm 2018, S. 39 – 62. Schriften, Band VIII. Königshausen & Neu- 24 Hattie, John A. C.: Lernen sichtbar machen. mann, Würzburg 2014, S. 297 – 326. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmanns- 7 Ebd., S. 322. weiler 2013. 8 Trautwein, Ulrich et al.: Wirksame Klassen- 25 Ebd., S. 216. Siehe dazu: Gadamer, führung: Grundlage für erfolgreiches Leh- Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grund- ren und Lernen. In: Klassenführung. Eine züge einer philosophischen Hermeneutik. Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer in J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen, 4. Baden-Württemberg. Ministerium für Kultus, Auflage 1975, S. 344 ff. Siehe auch: Bräuer, Jugend und Sport, Stuttgart 2018, S. 9 – 15, Gottfried: Kinder lernen fragen – Zu einem hier: S. 9. Kapitel der pädagogischen Anthropologie. 9 Giel, Klaus: Elementarunterricht (1983). In: Pädagogische Hochschule, Ludwigsburg Lenzen, Dieter (Hg.): Pädagogische Grund- 1995. begriffe. Zwei Bände. Rowohlt, Reinbek, 7. 26 Fend, Helmut: Neue Theorie der Schule. Auflage 2004/2005, hier: Band 1, S. 349 – Einführung in das Verstehen von Bildungs- 375. systemen. Verlag für Sozialwissenschaften, 10 Mau, Steffen: Das metrische Wir. Über die Wiesbaden, 2. Auflage 2008, S. 13 (Hervor- Quantifizierung des Sozialen. Suhrkamp, hebung im Original). Berlin, 3. Aufl. 2018. 27 Assmann, Aleida: Sprache, Kultur, Bildung. 11 Ebd., S. 187. In: Bildung und Erziehung. Herausgegeben 12 Ebd., S. 202 f. von Annette Schavan. Suhrkamp, Frankfurt 612 Pädagogische Rundschau 5 / 2021 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
am Main 2004, S. 186 – 199, hier: S. 195. 30 Giel, Klaus: Philosophie der Schule. In: The- 28 „Lasst die Schulen in Ruhe!“ Interview mit orie der Schule aus philosophischer und Heinz-Elmar Tenorth. In: Die Zeit Nr. 12, pädagogischer Sicht. Zum Verständnis der 18.03.2021, S. 32 f. Bildung in einer veränderten Welt. Heraus- 29 Comenius: Johann Amos: Große Didak- gegeben von Renate Breuninger. Humboldt tik. Herausgegeben von Andreas Flitner. Studienzentrum, Ulm 2018, S. S. 27 – 38, Klett-Cotta, Stuttgart, 5. Auflage 1982, 10. hier: S. 32 f. Kap., S. 59. 5 / 2021 Pädagogische Rundschau 613 Die Online-Ausgabe dieser Publikation ist Open Access verfügbar und im Rahmen der Creative Commons Lizenz CC-BY 4.0 wiederverwendbar. http://creativecommons.org/licenses/by/4.0
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