Baselland Ein Auffangnetz für die Natur 2/22
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Editorial «Networking» für die Natur Liebe Leserin, ein Austausch zwischen Populationen lieber Leser möglich ist und Populationen längerfris- tig überleben können. Leider ist es in der Fühlen Sie sich wohl, dort wo Sie leben, dichtbesiedelten Schweiz für Tiere oft und sind Sie gut vernetzt? schwierig, von A nach B zu gelangen. Ein Leben lang knüpfen wir Freund- Grosse Tiere wie Rehe und Hirsche wer- schaften und spinnen um uns herum ein den von Strassen und Wildschutzzäunen unsichtbares Netz aus Beziehungen. Ein aufgehalten, für kleinere Tiere wie Igel Netz, das uns umgibt und trägt und das stellt schon ein Gartenzaun ein unüber- uns auffängt, wenn wir fallen. Manche windbares Hindernis dar. Amphibien Verbindungen sind dabei stark wie ein brauchen ein Netz aus Feuchtgebieten. Tau, andere Beziehungen hängen an ei- Schmetterlinge, die unterwegs sind in ei- nem seidenen Faden. Manche Menschen nen neuen Lebensraum, brauchen unter- mögen ihr Netz lieber locker, andere mö- wegs die richtigen Pflanzen, um sich zu zvg Meret Franke gen es eng gestrickt. Ich mag mein Netz- ernähren und auszuruhen. Und Pflanzen Präsidentin Pro Natura Baselland werk sehr, es gibt mir ein Gefühl von können sich nur ausbreiten, wenn ihre Sicherheit und Geborgenheit und die Samen in der Nähe auf fruchtbaren Bo- Möglichkeit, mich auszutauschen. Jedes den stossen. Netz, egal wie dicht, braucht Pflege. Wir nutzen unser Netzwerk als Pro Na- Dank unseren Möglichkeiten und unserer tura Baselland, um Lebensräume zu ver- Mobilität können wir uns sogar treffen, netzen und den Tieren und Pflanzen die wenn wir mehrere Stunden auseinander Möglichkeit zu geben, sich sicher fortzu- wohnen. Aber auch über soziale Netz- bewegen und sich auszutauschen. Das werke und im «World Wide Web» sind Thema Vernetzung ist uns ein grosses wir vernetzt. Anliegen, deshalb widmen wir ihm die- Für Tiere und Pflanzen ist ein gutes ses Sonderheft. «Networking» ebenfalls wichtig, damit Meret Franke Inhalt 2 Editorial 3 Von der Theorie in die Praxis 7 Beispiele ökologischer Infrastruktur 8 Übersicht Vernetzungsprojekte Impressum Redaktion 10 Bahnböschungen Homburgertal Basellandschaftliche Sektionsbeilage zum Florence Brenzikofer (Erlebnisraum Tafeljura), Urs Pro Natura Magazin, Mitgliederzeitschrift von Pro Chrétien, Thomas Fabbro, Meret Franke, Matthias 11 Stromtrassenprojekt Natura. Erscheint viermal jährlich, davon einmal als Knecht, Helen Moor (WSL), Marco Moretti (WSL), Sonderbeilage Martin K. Obrist (WSL), Franziska Studer (Büro Götz), Thomas Zumbrunn 12 Naturinventare Herausgeberin Pro Natura Baselland Layout & Satz Thomas Zumbrunn 13 Aktionsplan Glögglifrosch Geschäftsstelle Pro Natura Baselland Titelbild Kasernenstrasse 24 Panzersperre zwischen Ormalingen und Hemmiken 14 Naturpark Baselbiet Postfach (Thomas Zumbrunn) 4410 Liestal 15 Standpunkt und Spendenaufruf Telefon: 061 921 62 62 Druck Email: pronatura-bl@pronatura.ch Schaub Medien AG, Sissach Web: www.pronatura-bl.ch 16 Veranstaltungen Facebook und Instagram: pronaturabl Auflage PC-Konto: 40-8028-8 8'500 2 | Pro Natura Lokal 2/2022
Leitartikel Lebensraumvernetzung im Anthropozän: Von der Theorie in die Praxis Warum wandern Arten von einem A B Ort zum anderen? Alle Lebewesen auf der Erde bewegen sich. Die im Laufe der Evolution entwi- ckelten Bewegungsstrategien sind zahl- reich und faszinierend. Das Bedürfnis, sich zu bewegen und fortzubewegen hat verschiedene Gründe. Erstens geht es darum, Partner für die Fortpflanzung zu finden und den genetischen Austausch zwischen Populationen derselben Art zu ermöglichen, indem Individuen (oder Sa- men, Pollen und Sporen) zwischen Popu- zvg lationen hin und her wandern. Dadurch Schematische Darstellung von zwei Beispielen von Populationen einer bestimmten Art. Die Farbvielfalt wird das Risiko des Verlustes von geneti- steht für die genetische Vielfalt: je mehr verschiedene Farben, desto höher ist die genetische scher Vielfalt verkleinert und eine hohe Variabilität. Im Beispiel A wird die genetische Vielfalt selbst in kleinen Populationen durch den Austausch von Individuen zwischen Populationen erhalten (Korridore zwischen Populationen). In genetische Vielfalt erhalten. Dies ermög- Beispiel B ist ein Verlust an genetischer Vielfalt festzustellen, da es keinen Austausch zwischen den licht wiederum die genetische Anpassung Populationen gibt. an Umweltveränderungen, einschliesslich des Klimawandels. Andere Gründe für Organismen, sich zu bewegen, hängen mit den täglichen Be- dürfnissen zusammen, z.B. der Nah- rungsbeschaffung, dem Aufsuchen von Verstecken oder Brutstätten, der Flucht vor Raubtieren oder der Suche nach ge- eigneten Umweltverhältnissen. Darüber hinaus gibt es saisonale Bewegungen (Wanderungen), bei denen Individuen von Winterquartieren zu Brutplätzen und Sommerquartieren ziehen, wie im Fall vieler Amphibien. Vielleicht am wenigs- ten bekannt sind die Bewegungen von Arten, die während ihres Lebenszyklus vom Larven- bis zum Erwachsenenstadi- um auf verschiedene Lebensräume ange- Rama (Wikimedia Commons, CC-BY-SA-2.0-FR) wiesen sind. Dies ist beispielsweise bei Totholzinsekten der Fall, deren Larven sich in Totholz in Waldgebieten entwi- ckeln, während die erwachsenen Tiere sich im Offenland von Nektar und Pollen ernähren, sich paaren und dann in den Wald zurückkehren, um ihre Eier wieder Beispiel für die Fragmentierung der Landschaft durch Strassen und die Intensivierung der im Totholz abzulegen. Landwirtschaft (Autobahnkreuz bei Lausanne). Warum sind Lebensraumvernetzun- tauchte, hatte sich die biologische Vielfalt man sich nur schwer vorstellen kann. gen gerade heute so wichtig? über hunderte von Millionen von Jahren Wenn wir die Dauer des Lebens auf der Bevor der Mensch (Homo sapiens) auf- entwickelt – sehr lange Zeiträume, die Erde auf ein Jahr (1. Januar 0:00 Uhr bis Pro Natura Lokal 2/2022 | 3
Leitartikel 31. Dezember 24:00 Uhr) reduzieren, er- Verstädterung und des immer dichter scheint der Mensch am 31. Dezember um werdenden Netzes von Verkehrswegen. 23:35 Uhr, d.h. erst 25 Minuten vor Ende Der Unterschied zwischen der Geschwin- des Jahres. In dieser kurzen Zeitspanne digkeit der vom Menschen verursachten hat der Mensch radikale und vor allem Veränderungen und der biologischen Evo- extrem schnelle Auswirkungen auf die lutionszeitskala hat dramatische Folgen biologische Vielfalt gehabt. Die biologi- für die biologische Vielfalt, insbesondere schen Zeiträume, in denen sich Organis- für spezialisierte Arten mit begrenzter Be- men entwickeln und an neue Um- wegungsfähigkeit. weltbedingungen anpassen können, sind In einer zunehmend vom Menschen ge- in der Regel viel länger als die schnellen, schaffenen, durch menschliche Infra- Marcus Schmidt vom Menschen verursachten Veränderun- struktur fragmentierten und zusätzlich gen. vom Klimawandel beeinflussten Land- Damit Bienen die Blüten bestäuben können, Als Folge davon befinden wir uns mit- schaft sind funktionierende Netzwerke müssen sie sich auf der Suche nach Pollen und ten in einer Biodiversitätskrise. Experten von Lebensräumen unerlässlich, um ers- Nektar bewegen. Lebensraumvernetzungen sind sprechen von einem sechsten Massenaus- tens die Bedürfnisse von Arten während sowohl für das Überleben der Bienen als auch für die Menschen nützlich, damit sie von den sterben. Auch in der Schweiz ist der Zu- ihres Lebenszyklus zu erfüllen, zweitens Leistungen der Bestäubung profitieren können. stand der Artenvielfalt besorgniserregend. Individuen die Möglichkeit zu geben, ge- Eine der Hauptursachen für den Rück- eignete oder wiederhergestellte Gebiete gang der biologischen Vielfalt ist der Ver- zu besiedeln, zum Beispiel wenn sich die lust an Fläche von Lebensräumen und Lebensbedingungen ändern, und drittens ihrer Qualität sowie die Fragmentierung den Genaustausch zwischen isolierten der Landschaft infolge der Intensivierung Populationen gefährdeter Arten sicherzu- der Landwirtschaft, der zunehmenden stellen. All dies trägt dazu bei, die Aus- Von Schutzgebieten zu Populationen prioritärer Arten geschützt, son- dern möglichst auch die Strukturen gefördert, Lebensraumvernetzungen welche diese Kerngebiete miteinander verbin- und ökologischer den. Infrastruktur Ökologische Infrastruktur kann eingeteilt wer- In den Anfängen des Artenschutzes konzentri- den in «grüne» Infrastruktur, die an terrestrische erten sich die Massnahmen auf den Schutz von Lebensräume gebunden ist sowie «blaue» In- Naturreservaten und Biotopen. Es wurde bald frastruktur, die an Wasser-Lebensräume gebun- deutlich, dass dies nicht ausreicht, um die den ist. Wir meinen, dass zunehmend auch langfristige Erhaltung von Populationen zu «dunkle» Infrastruktur, die lichtempfindliche, gewährleisten. Geschützte Populationen in nachtaktive Arten unterstützen soll (siehe Tiziano Maddalena isolierten Lebensräumen sind durch kleine Pop- Beispiel am Ende des Artikels), in das Konzept ulationsgrössen, Inzucht und genetische Drift der «ökologischen Infrastruktur» aufgenommen vom Aussterben bedroht. Daraus ergab sich die werden sollte. Forderung, die Vernetzung zwischen isolierten Die Frage, welche allgemeinen Anforderungen Populationen zu verbessern, um die Bewegung an Lebensraumvernetzungen und ökologische von Individuen und den genetischen Austausch Infrastrukturen gestellt werden sollten, wird zu gewährleisten. Dies führte zur Schaffung häufig gestellt. Eine allgemeine Regel gibt es einer Reihe von «Infrastrukturen», die dazu nicht. Sie hängt von den betroffenen Arten und beitragen, die Verbindung zwischen isolierten den Zielen ab, die die Vernetzung erfüllen soll Populationen zu verbessern. So werden etwa im (siehe «Warum wandern die Arten von einem Landwirtschaftsgebiet Lebensraumvernetzun- Ort zum anderen?»). Lebensraumvernetzung gen gefördert, mit dem Ziel, die oft isolierten muss die bestimmten ökologischen Bedürfnisse Biodiversitätsförderflächen zu vernetzen. Mit der betreffenden Art(en) erfüllen. Es ist daher der Strategie Biodiversität und dem Landschaft- wichtig, dass Zielarten bestimmt werden, seien Tiziano Maddalena skonzept Schweiz werden die Ziele der Leben- das bedrohte Arten oder Leitarten, die sraumvernetzung in einem umfassenderen repräsentativ sind für die im Gebiet vorhande- Konzept der «ökologischen Infrastruktur» inte- nen Lebensräume. Diese Arten werden auch bei Beispiele für grüne (oben) und blaue (unten) griert. Es werden also nicht nur Lebensräume der Erfolgskontrolle von Lebensraumvernetzun- ökologische Infrastrukturen, die wie Biotope, wertvolle Naturräume und isolierte gen eingesetzt. Bewegungskorridore für Tiere und Pflanzen in der intensiven Landwirtschaft liefern. 4 | Pro Natura Lokal 2/2022
Leitartikel sterbewahrscheinlichkeit von Populatio- raumvernetzungen dazu bei, das Risiko der Tiere angebracht werden. Fängt man nen und Arten zu verringern und die Fä- im Falle von Problemen zu verteilen, ins- ein markiertes Tier an einem anderen Ort higkeit zur Anpassung an Umweltver- besondere dort, wo der Raum durch zu- wieder ein als an jenem, wo es markiert änderungen zu verbessern. nehmende Verstädterung und intensive wurde, dann zeigt das die Bewegung (Di- landwirtschaftliche Bewirtschaftung be- stanz) des Tieres an. Zur Erfassung der Auch der Mensch profitiert von grenzt ist. Die Förderung von Lebens- Bewegungen von Vögeln, Säugetieren Lebensraumvernetzung raumvernetzungen kommt daher nicht und grosser Insekten kann Radioteleme- Lebensraumvernetzungen schaffen besse- nur der biologischen Vielfalt, sondern in- trie eingesetzt werden. Dabei wird ein re Bedingungen für die Bewegung und direkt auch dem Menschen zugute. Um Sender am Tier angebracht, dessen Be- Wanderung von Arten und fördern so die die ökologische Vernetzung langfristig zu wegungen über eine Antenne, welche die biologische Vielfalt und damit eine ganze gewährleisten, muss das Netzwerk in ei- vom Sender stammenden Signale emp- Reihe von Ökosystemfunktionen und nem bestimmten Gebiet so dicht sein, so fängt, verfolgt werden. Diese Methode -leistungen, die für den Menschen von dass dessen Funktion auch dann gewähr- wird häufig verwendet, um grössere Bedeutung sind. Die meisten dieser Leis- leistet ist, wenn Teile des Netzwerkes Wildtiere wie Luchs, Bär oder Hirsch tungen ergeben sich aus der Wechselwir- ausfallen. nachzuverfolgen. Sie wurde auch schon kung zwischen Vertretern verschiedener eingesetzt, um die Bewegungen von Igeln Nahrungsebenen: Insekten bestäuben Wie man Lebensraumvernetzungen in Städten zu verfolgen. Damit wurden Pflanzen, Räuber kontrollieren die An- untersucht sowohl bauliche Hindernisse als auch be- zahl von Schädlingen, und Abfallverwer- Es gibt verschiedene Methoden zur Un- sonders gefährliche oder wichtige Über- ter zersetzen organisches Material. Viel- tersuchung von Lebensraumvernetzun- gangsstellen über Strassen bestimmt. fältige Interaktionen machen biologische gen. Eine Methode ist beispielsweise das Solche Methoden ermöglichen es, einzel- Systeme stabiler und widerstandsfähiger Einfangen und Wiedereinfangen von ne Individuen in ihren Bewegungen zu gegen Umweltveränderungen und extre- markierten Tieren, z.B. durch die Ver- verfolgen, Korridore und prioritäre Gebie- me Ereignisse. Zudem tragen Lebens- wendung von Farben, die auf dem Körper te zu lokalisieren und in einigen Fällen Josef Senn Der Einsatz von Radiotelemetrie zur Verfolgung von Huftieren im Schweizerischen Nationalpark. Pro Natura Lokal 2/2022 | 5
Leitartikel den Austausch von Individuen zwischen wird es möglich werden, die Wirksamkeit Literatur Populationen zu quantifizieren. der ökologischen Infrastruktur schnell zu BAFU (Hrsg.) 2012. Strategie Biodiversität Die bei weitem geeignetsten Techniken überprüfen, um rechtzeitig eingreifen zu Schweiz. Bundesamt für Umwelt, Bern. Um- zur Untersuchung von Lebensraumver- können. welt-Diverses Nr. 1060. netzungen und insbesondere des Austau- Inzwischen werden Theorien und Er- https://bit.ly/3N5NSu8 sches zwischen Populationen sind solche, kenntnisse aus der Lebensraumvernet- BAFU (Hrsg.) 2020. Landschaftskonzept Schweiz. Landschaft und Natur in den Poli- die auf dem Erbgut (DNA) basieren. In- zung zunehmend auf sogenannte «sozio- tikbereichen des Bundes. Bundesamt für dividuen lassen sich genetisch eindeutig ökologische Vernetzung» angewendet. Umwelt, Bern. Umwelt-Info Nr. 2011. identifizieren. Die dafür notwendige DNA Sozio-ökologische Vernetzung ist ein viel- https://bit.ly/3ucaYGN lässt sich auch aus winzigen Mengen von versprechender Ansatz, der es ermög- BAFU (Hrsg.) 2021. Ökologische Infrastruktur. Blättern, Samen, Pollen, Kot, Eischalen, licht, komplexe Beziehungen zwischen Arbeitshilfe für die kantonale Planung im Federn und Haaren gewinnen. Mit Hilfe Biodiversität und Interessengruppen dar- Rahmen der Programmvereinbarungsperio- der DNA können nicht nur Individuen, zustellen und die Gesamtheit der sozialen de 2020-2024. Version 1.0 deren Geschlecht und Verwandtschafts- und ökologischen Faktoren zu analysie- Baur B., Duelli P., Edwards P. J., Jenny M., grad bestimmt werden, sondern es kann ren, die die Erhaltung der biologischen Klaus G., Künzle I., Martinez S., Pauli D., Pe- auch die Populationsgrösse geschätzt Vielfalt und der daraus resultierenden ter K., Schmid B., Seidl l., Suter, W. 2004. werden und es ergeben sich Informatio- Ökosystemleistungen bestimmen. Biodiversität in der Schweiz - Zustand, Er- nen zum Austausch zwischen Populatio- haltung, Perspektiven. Wissenschaftliche Grundlagen für eine nationale Strategie. nen. Marco Moretti Haupt. Helen Moor Berthoud G, Lebeau R.P. & Righetti A., 2004. Perspektiven Martin K. Obrist Nationales ökologisches Netzwerk REN. Mit den raschen Fortschritten auf dem Schlussbericht. Schriftenreihe Umwelt Nr. Gebiet der Molekularbiologie wird der Eidg. Forschungsanstalt für 373. BAFU, Bern, 131 S. Einsatz genetischer Methoden im Natur- Wald, Schnee und Landschaft WSL, Csencsics D., Aavik T., Hedinger C., Holdereg- schutz weiter ausgebaut werden. Damit 8903 Birmensdorf ger R., Home R., Keller D., Seidl I., Van Strien M.J., Zurbuchen A., Bolliger J. 2014. Le- bensraumvernetzung in der Agrarland- schaft – Chancen und Risiken. Merkblatt für die Praxis 53: 1-8. Holderegger R., Segelbacher G. (Hrsg.) 2016. Naturschutzgenetik – Ein Handbuch für die Praxis. Haupt. Lachat T., Pauli D., Gonseth Y., Klaus G., Scheidegger C., Vittoz P., Walter T. (Eds.) 2010. Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900. Ist die Talsohle erreicht? Bristol-Stiftung und Haupt. Widmer I., Mühlethaler R., Baur B., Gonseth Y., Guntern J., Klaus G., Knop E., Lachat T., Mo- retti M., Pauli D., Pellissier L., Sattler T., Al- termatt F. 2021. Insektenvielfalt in der Schweiz: Bedeutung, Trends, Handlungsop- tionen. Swiss Academies Reports 16: 1-109. WWF Schweiz 2019. Ein Netz für die Biodiver- sität - Vorschlag und Forderungen zu einer ökologischen Infrastruktur im Mittelland. WWF Zürich, 20 S. Fachgruppe Ökologische Infrastruktur: https://www.oekologische-infrastruktur.ch/ zvg Graphische Darstellung einer hypothetischen sozio-ökologischen Vernetzung der Bedürfnisse der Biodiversität und der Bedürfnisse der verschiedenen beteiligten Interessengruppen in der Stadt mit dem Ziel, gemeinsame und nachhaltige Lösungen zu finden. 6 | Pro Natura Lokal 2/2022
Beispiele ökologischer Infrastruktur Blau-grüne Infrastruktur für Amphibien Der Kanton Aargau beherbergt 13 der 19 Zunahme. Die Vielfalt der Teiche ist Amphibienarten der Schweiz; neun wichtig: manche Arten brauchen kon- davon sind auf der Roten Liste. Als man stant mit Wasser gefüllte Teiche, andere im Aargau in den neunziger Jahren den Arten lieben hingegen Teiche, die zeit- Rückgang vieler Bestände feststellte, hat weilig austrocknen und oft von unter- man gehandelt – mit Erfolg. Im Rahmen schiedlicher Grösse sind. Aber auch die des kantonalen Amphibienschutzkon- weitere Umgebung der Teiche ist relevant: IANB zepts wurden hunderte neuer Teiche an- die Erdkröte beispielsweise besiedelt gelegt. Das hat zu einer grösseren neue Teiche öfter, wenn im Umland 50- Verfügbarkeit von Lebensraum und zu ei- 70% Wald vorhanden ist, während grosse ner Verdichtung und besseren Vernetzung Strassen in der Umgebung die Be- der Teiche geführt. Im Rahmen der For- siedelung beeinträchtigen. Es spielen also schungsinitiative «Blue-Green Biodiversi- sowohl die Anzahl und Dichte der Teiche Helen Moor ty» wurden die Daten der Amphi- als auch die Umgebung eine wesentliche bien-Zählungen im Kanton Aargau über Rolle: Amphibien brauchen eine funk- Teichbau schafft neuen Lebensraum für die letzten zwanzig Jahre untersucht. Die tionierende blaue und grüne Infrastruk- Amphibien und viele andere Arten und trägt Mehrzahl der Amphibienarten hat vom tur. somit zur blau-grünen Infrastruktur bei. Dank der Teichbau profitiert. Moor, H., Gossner, M. M., Graham, C., Hobi, M. L., Besiedelung neu angelegter Teiche haben die Holderegger, R., Reber, U., Altermatt, F. Logar, I., Bestände (Anzahl besetzte Teiche) von Dank der Besiedelung neu angelegter Matthews, B., Narwani, A., Seehausen, O., Shipley, Geburtshelferkröte, Gelbbauchunke und Erdkröte Teiche haben sich viele Bestände stabil- R. (2021). Biodiversitätsschutz dank Ökosystem- im aargauischen Rheintal zwischen 1999 und isiert oder verzeichneten eine deutliche übergreifendem Denken. Aqua & Gas, 101, 44-49. 2019 zugenommen. Dunkle Infrastruktur für Fledermäuse Fledermäuse sind die einzigen aktiv flie- Die Daten wurden anschliessend ausge- genden Säugetiere. In der Schweiz sind wertet, um Faktoren zu ermitteln, welche 30 Arten bekannt. Von 26 in der Roten die Flugkorridore von Fledermäusen be- Liste bewerteten Arten sind 15 bedroht einflussen. Die Dunkelheit, insbesondere (58%). Fledermäuse sind soziale Tiere, das Fehlen von künstlichem Licht, gehört die ihre Jungen in «Mutterkolonien» auf- dabei zu den wichtigsten Faktoren. Aber ziehen, die sich häufig in alten Dachstö- Dunkelheit allein reicht nicht aus, es cken befinden. In der Abenddämmerung müssen auch natürliche Strukturen wie verlassen die Weibchen ihre Kolonie und Hecken, Waldränder und Bäume vorhan- fliegen entlang bestimmter Flugkorridore den sein. Die Erfassung solcher dunklen Martin Obrist zu den Jagdgebieten und Trinkstellen. ökologischen Infrastruktur und ihr Schutz Über diese Flugkorridore ist nur wenig vor zunehmender Lichtverschmutzung ist bekannt. Als nachtaktive Tiere bevorzu- für die Erhaltung vieler Fledermausarten gen sie, in dunklen Gebieten zu fliegen, von entscheidender Bedeutung. geschützt vor möglichen Räubern. Um ein besseres Verständnis der Flug- korridore von Fledermäusen von und zu Stiftung Fledermausschutz ihren Quartieren zu erlangen, untersuch- ten Martin Obrist von der Eidgenössi- schen Forschungsanstalt WSL und Kollegen/-innen mit bioakustischen Me- Modellierte Flugkorridore am Beispiel des thoden 25 Quartiere von zwei Arten Mütterquartiers der Grossen Mausohren in (Grosses Mausohr, Kleine Hufeisennase). Beggingen (SH). Pro Natura Lokal 2/2022 | 7
Pro Natura Baselland: im Dienst der Vernetzung Pro Natura Baselland engagiert sich zusammen mit dem Zen- tralverband im Kanton Basel-Land- schaft und in unseren Nachbar- kantonen seit Jahrzehnten für die Aufwertung und die Neuanlage von Lebensräumen. Wie im Leitartikel (S. 3–7) von den Forscherinnen und Forschern der WSL eindrücklich dargelegt wird, sind all diese Be- strebungen zwecklos, wenn die Lebensräume nicht miteinander verbunden werden und somit kein genetischer Austausch ermöglicht wird. Deshalb war und ist Pro Natura Baselland auch im Bereich der Vernetzung aktiv. Stromtrassen (IWB) Weiher im Weiherinventar Pro Natura Schutzgebiete Naturschutzzonen, Waldreservate, Biodiversitätsförderflächen (BFF) Inventare Stromtrassen Gummistiefelland BL Pro Natura Baselland hat eine Reihe von Na- In einer langfristig angelegten Kooperation Als letztes Projekt im Rahmen der Aktion turinventaren erarbeitet (siehe S. 12), die als mit den Industriellen Werken Basel werden Gummistiefelland wurde ein 150 m langes Grundlage für den praktischen Naturschutz zwei Stromtrassen vom Baselbiet ins Mittel- Teilstück des Nunningerbächlis in Bretzwil dienen, z.B. Weiherbau, Tagfalterförderung, land als Lebensräume und Vernetzungsach- ausgedolt. Insgesamt wurden 2.75 km Klein- Bachausdolungen und Böschungsaufwertun- sen aufgewertet. Das Pilotprojekt im Mittleren gewässer ans Licht geholt. Die Bachausdolun- gen. Hier als Beispiel abgebildet ist das um- Brandel (Kleinlützel SO) wurde Anfang 2022 gen werden fortgesetzt, z.B. in Arboldswil fangreiche Weiherinventar (blaue Kreise). umgesetzt (siehe Bericht S. 11). (siehe Spendenaufruf auf S. 15). 8 | Pro Natura Lokal 2/2022
Umweltbildung Weiher Panzersperren Im Naturschutz ist die soziale Vernetzung Feuchtlebensräume sind sehr artenreich, aber In einem Mehrjahresprogramm werden man- häufig eine Voraussetzung, um eine ökologis- im Baselbiet selten. Amphibien, wie z.B. der che dieser linearen Strukturen zu Vernet- che Vernetzung überhaupt umsetzen zu kön- Glögglifrosch (siehe Bericht S. 13), sind auf ein zungskorridoren und Trittsteinbiotopen aufge- nen. In den Jugendnaturschutzgruppen und in dichtes Netz an Weihern angewiesen. Ver- wertet. Ein schönes Beispiel befindet sich Ferienangeboten, z.B. im «WildStadtGarten» schiedene Organisationen, darunter auch Pro zwischen Ormalingen und Hemmiken, wo als in der Hagnau, betreiben bereits die Kleinsten Natura Baselland, beteiligen sich fortlaufend letzte von vielen Massnahmen eine Hecke ge- «Networking». an der Neuanlage von Stillgewässern. pflanzt wurde (siehe Titelbild). Orthofotos: Bundesamt für Landestopografie swisstopo; Waldreservate, Naturschutzzonen und -objekte, BFF: Geodaten des Kantons Basel-Landschaft; Stromtrassen: Industrielle Werke Basel (IWB); Pro Natura Schutzgebiete: Pro Natura Schweiz; Weiher: Pro Natura Baselland Hase & Co. BL/SO Spechte & Co. AG/BL Böschungen Im Rahmen einer 10jährigen Aktion, welche Über die zweite bikantonale 10-Jahresaktion, Im Rahmen des Projekts «Blühende Borde zusammen mit der Sektion Solothurn durch- welche vielseitige und natürliche Wälder zum fürs Baselbiet» will Pro Natura Baselland auf geführt wird, wurden schon etliche Flächen im Ziel hat, haben wir in der Ausgabe 1/2022 von die mühsam zu bewirtschaftenden und des- Offenland aufgewertet und als Vernetzungs- «lokal» ausführlich berichtet. Zur Vernetzung halb häufig vergandeten und verwaldeten Bö- korridore ausgebildet, beispielsweise letzthin von Wald und Offenland werden z.B. Waldwei- schungen aufmerksam machen. Über wert- durch das Pflanzen von Hecken und Einzel- den eingerichtet, wie z.B. kürzlich am Dielen- volle Böschungen entlang der Bahnlinie im bäumen in Lupsingen. berg in Oberdorf. Homburgertal wird auf S. 10 berichtet. Pro Natura Lokal 2/2022 | 9
Vernetzungsprojekte Wertvolle Bahnböschungen im Homburgertal Entlang von Bahnlinien befinden sich Bö- Damit wurde eine sorgfältige, den Gege- schungen und Grünflächen, an denen ar- benheiten angepasste Pflege möglich. Da- tenreiche Lebensräume vorkommen für hat sich eine tatkräftige Gruppe von können, die gleichzeitig eine wichtige Freiwilligen an die steilen Borde gewagt Vernetzungsfunktion einnehmen. Schie- und dafür gesorgt, dass die artenreichen nen und Strassen ziehen sich als lineare Blumenwiesen weiterbestehen konnten. Elemente durch die Landschaften und Mittlerweile werden diese jährlichen Pfle- bilden je nach Situation für gewisse Tiere gearbeiten durch die Sozialinstitution gefährliche oder gar unüberwindbare ÖKO-JOB ausgeführt. Barrieren. Gleichzeitig stellen die Grün- Pro Natura Baselland lancierte 2013 Matthias Knecht flächen an Verkehrsachsen aber auch auch das Böschungsprojekt «Blühende wichtige Vernetzungskorridore für Tiere Borde fürs Baselbiet», in dessen Rahmen und Pflanzen dar, entlang derer sich diese unter anderem die Bahnborde im Hom- An vielen Stellen haben sich in den letzten ausbreiten können. burgertal nach ihrem ökologischen Wert Jahrzehnten invasive Brombeeren ausgebreitet. Auch im Homburgertal entlang der begutachtet wurden. Die Untersuchungen Bahnlinie des «Läufelfingerli» verstecken zeigen, dass die von Pro Natura Basel- sich erstaunliche Naturschätze, die nur land gepflegten Böschungen weiterhin dank des beständigen, mehr als 30-jähri- beachtliche Naturwerte aufweisen, wäh- gen Engagements von Pro Natura Basel- rendem auf benachbarten, gemulchten land erhalten geblieben sind. Für ein Böschungen die Blumenwiesen ver- halbes Dutzend Standorte in den Ge- schwunden sind. Wo heute auf den ehe- meinden Thürnen, Diepflingen, Rümlin- maligen Blumenwiesen die Brombeeren, gen und Läufelfingen konnte Pro Natura Gehölze und Grasbrachen dominieren, Baselland in den 1980er Jahren einen haben es Schlingnattern, Berg-Astern Pflegevertrag mit den Schweizerischen oder Feldgrille natürlich schwer. So konn- Bundesbahnen (SBB) abschliessen. Diese te Pro Natura Baselland in den letzten Matthias Knecht Bahnborde wurden aus dem Grünflä- Jahren nach und nach weitere Bö- chenunterhalt der SBB ausgenommen. schungsflächen in den Pflegevertrag auf- Dieselbe Böschung im Folgejahr: die Brombeeren nehmen und mit zusätzlichen Mitteln aus wurden zurückgedrängt und Schnittgut von der dem Böschungsprojekt Aufwertungsar- benachbarten Wiese ausgebracht, so dass sich beiten finanzieren. die Blumen wieder ansiedeln können. Die langjährigen Erfahrungen im Hom- burgertal zeigen, dass die Art und Weise der Böschungspflege entscheidend ist für den nachhaltigen Erhalt von arten- und blumenreichen Wiesen. So reicht es an vielen Stellen nicht aus, nur einmal jähr- lich zu mähen, da die Standorte nähr- stoffreicher sind oder weiterhin Problem- pflanzen wie Brombeeren, Nielen und invasive Neophyten vorkommen. Die über Pro Natura Baselland gepflegte Matthias Knecht Matthias Knecht Böschungsfläche im Homburgertal ist mittlerweile 1.8 Hektaren gross. Hier kann mit der naturschutzfachlich be- Die steilen Bahnborde werden heute mit einem Der Wiesen-Salbei ist mit seiner kräftigen gleiteten Pflege der Erhalt der Blumen- hangtauglichen Balkenmäher gemäht. Blütenfarbe schon von weitem sichtbar und zeigt an, dass es am Bahnbord wieder mehr Platz für wiesen sichergestellt werden. die Natur gibt. Matthias Knecht 10 | Pro Natura Lokal 2/2022
Vernetzungsprojekte Infrastruktur mit Doppelnutzung Der drastische Rückgang von wertvollen schied zur bisherigen Praxis wird das ge- Lebensräumen ist die wichtigste Ursache schnittene Material entfernt und auf der aktuellen Biodiversitätskrise. Oft sind Asthaufen deponiert. Dies ermöglicht es, von den einst grossflächigen artenreichen die Flächen zukünftig regelmässig und Lebensräumen nur noch kleine verzettel- sorgfältig zu pflegen. Die Krautschicht te Fragmente verblieben. In diesen Frag- kann partiell gemäht werden und die menten leben viele Pflanzen- und langsamwüchsigen und meist dornigen Tierarten wie auf einer Insel, ohne sich Sträucher können lange stehen bleiben. mit ihresgleichen austauschen zu kön- Grobe Rückschnitte werden daher lang- nen. Man spricht von isolieren Vorkom- fristig nicht mehr nötig sein. In der mit Christian Aeberhard men. Nicht zuletzt darum verlieren viele ausgewählten Sträuchern durchsetzten dieser Restflächen auch bei optimierter Krautschicht kann sich über die Jahre ei- Pflege weiterhin an Diversität. Kleine und ne blüten- und artenreiche Lebensge- Dicht wachsende schnellwüchsige Sträucher isolierte Populationen von seltenen Arten meinschaft etablieren. dominieren die Niederhaltezonen heute. sind nämlich aus verschiedenen Gründen sehr anfällig für ein lokales Aussterben. Innere Waldränder In der Regel grenzen sich die Schneisen Vernetzungsachsen heute seitlich abrupt vom umgebenden Die Hochspannungsleitungen, die unser Wald ab. Durch das Ausbilden eines Land überspannen, verbinden weit ent- buchtigen und gestuften Übergangs soll fernte Gebiete miteinander. Zusammen die Verzahnung des seitlichen Waldes mit mit den IWB möchten wir ökologische dem Gebüsch- und Krautstreifen geför- Aufwertungen entlang der Leitungen um- dert werden. Insbesondere die Übergänge setzen, damit diese nicht nur für Strom, sind nämlich für viele Arten ein beson- sondern auch für zahlreiche Lebewesen ders wichtiger Lebensraum. So finden zu wertvollen Vernetzungsachsen wer- zum Beispiel gewisse Arten in den offe- Thomas Fabbro den. nen Abschnitten Futter und nutzen die Alle kennen die Schneisen in den Wäl- eher geschlossenen Strukturen mit Bü- dern, wo alle Bäume und Sträucher in ei- schen und Bäumen als Rückzugsort oder Ein mit wertvollen Sträuchern durchsetzter nem Rhythmus von ungefähr 10 Jahren zum Brüten. Sogenannte «innere Wald- Krautstreifen, wie er bald auch verbreitet unter den Stromtrassen zu sehen sein soll. zurückgeschnitten werden, damit sie die ränder» erfüllen dieselben Funktionen Hochspannungsleiter nicht berühren wie die Übergänge vom Kulturland in den (Niederhaltezonen). Dieses sogenannte Wald. Dadurch verbessert sich nicht nur «auf Stock setzen» wird von einigen we- der ästhetischen Aspekt, da sich die nigen schnellwüchsigen Straucharten Schneisen besser in die Landschaft einfü- sehr gut ertragen. Viele etwas langsam- gen, sonder auch der ökologische Wert. wüchsigere und für die Biodiversität In diesen offenen Korridoren sollen je- wertvollere Arten können da nicht mit- doch nicht nur viele Arten direkt einen halten. Daher sind diese Schneisen heute Lebensraum finden, sondern sie sollen häufig recht artenarm. auch für viele Arten als Vernetzungsach- Weitere Informationen, se dienen. Tagfalter und viele weitere Bilder und Videos: Gezielte Aufwertungen Tier- und Pflanzenarten können entlang https://www.pronatura-bl.ch/stromtrassen Unsere Aufwertungsmassnahmen setzen dieser vielfältigen Verbindungsachsen nun genau da an. In einem ersten Schritt wandern. Damit werden die verbliebenen werden wir auch die Gebüsche zurück- wertvollen Fragmente artenreicher Le- schneiden. Seltene, schützenswerte Bäu- bensräume in unserer Landschaft für vie- me und Sträucher werden jedoch gezielt le Arten wieder besser vernetzt. vom Rückschnitt verschont. Im Unter- Thomas Fabbro Pro Natura Lokal 2/2022 | 11
Vernetzungsprojekte Inventare als Werkzeuge für praktischen Naturschutz Laut Duden versteht man unter Amphibienzugstellen dem Begriff Inventar die «Gesamt- Das Inventar der Amphibienzugstellen heit der zu einem Betrieb, Unter- wird von der Amphibiengruppe von Pro nehmen, Haus, Hof o. Ä. gehörenden Natura Baselland gepflegt und weist für Einrichtungsgegenstände und Ver- alle Gemeinden bekannte Zugstellen auf, mögenswerte (einschliesslich der an welchen die Amphibien auf ihrer Schulden)». In Analogie dazu hat Laichwanderung gefährdet sind – meist Pro Natura Baselland mit der Un- durch Strassenverkehr. Nebst den zu tref- terstützung von vielen Freiwilligen fenden Schutzvorkehrungen enthält es in den vergangenen Jahrzehnten für zahlreiche Zugstellen konkrete Ver- für unser Haus «Natur» eine Reihe besserungsvorschläge. von Inventaren erarbeitet, welche für das Kantonsgebiet kritische Be- Eingedolte Bäche standteile der ökologischen Infra- Im Rahmen der Mehrjahresaktion «Gum- struktur (siehe Leitartikel) mög- mistiefelland» dolte Pro Natura Baselland lichst vollständig und aktuell aus- seit 2007 Kleingewässer mit einer Länge App: GIS-Fachstelle des Kantons Basel-Landschaft; Landeskarte: Bundesamt für Landestopografie swisstopo; Weiher: Pro Natura Baselland zuweisen versuchen. von 2.7 km aus. Als Grundlage für die Aktion und zukünftige Ausdolungen wur- Die Inventare sind äusserst wertvolle de ein Inventar der unterirdisch in Roh- Werkzeuge für Behörden und Natur- ren verlaufenden kleinen Fliessgewässer schutzorganisationen. Sie zeigen nicht erstellt. Das Inventar enthält für jedes nur den Ist-Zustand der für das Überle- eingedolte Gewässer eine Abschätzung ben unserer heimischen Arten kritischen des Ausdolungspotentials. Lebensräume und Vernetzungskorridore auf, sondern dienen auch als Grundlage Tagfalter-Hotspots für Verbesserungen, d.h. die Aufwertung Die Tagfalterschutzgruppe BL von Pro der ökologischen Infrastruktur. Obwohl Natura Baselland hat in ihrer Anfangs- die Inventare eine wichtige Grundlage für phase 120 potentielle Tagfaltergebiete un- Vernetzungsprojekte darstellen, sind sie ter die Lupe genommen und 27 Vor- der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt, ranggebiete ausgeschieden. Für jedes Ge- weshalb sie an dieser Stelle wieder ein- biet wurden Schutzziele und Förder- mal ins Bewusstsein gerufen werden sol- massnahmen definiert, welche seither len. von der Tagfalterschutzgruppe beharrlich verfolgt bzw. umgesetzt werden. Auch in der mobilen Ansicht des kantonalen Weiher WebGIS (geoview.bl.ch) lassen sich die Standorte Das Weiherinventar umfasst alle Weiher Böschungen der im Weiherinventar erfassten Gewässer von nationaler und kantonaler Bedeu- Pro Natura Baselland hat im Rahmen der lokalisieren. Für den Bezug und das Studium der Objektblätter empfiehlt sich jedoch derzeit noch tung, aber auch eine Vielzahl kommuna- Kulturlandaktion «Hase & Co.» der Sekti- die Arbeit an einem grösseren Bildschirm. ler Weiherbiotope. Für jeden Weiher steht onen Baselland-Solothurn ein umfangrei- ein detailliertes Objektblatt zur Verfü- ches Inventar ökologisch wertvoller Alle Inventare online: gung, welches auch über das WebGIS der Böschungen mit Magerwiesenvegetation https://www.pronatura-bl.ch/inventare kantonalen GIS-Fachstelle (geo)lokalisiert erstellt. Die Naturwerte, aber auch der und bezogen werden kann (geoview.bl.ch Gefährdungsgrad werden ausgewiesen. > Natur u. Landsch. > Weiherinventar). Im Rahmen derselben Aktion werden die Das Inventar weist Entwicklungspotentia- Böschungen Stück für Stück aufgewertet le aus und erlaubt es, Lücken im Netz- und deren langfristige Pflege sicherge- werk der Stillgewässer auszumachen und stellt. zu schliessen. Thomas Zumbrunn 12 | Pro Natura Lokal 2/2022
Vernetzungsprojekte Wer hilft beim Aktionsplan für den Glögglifrosch? Der Glögglifrosch ist eine stark ge- Insektendichte massiv. Damit steigt auch fährdete Amphibienart, welche seit das Nahrungsangebot für Vögel, Reptilien Jahrzehnten schweizweit starke und Fledermäuse. Diese vielfältige Le- Bestandeseinbrüche erleidet. Der bensgemeinschaft ermöglicht wiederum Kanton Baselland trägt mit seinen das Vorkommen von zahlreichen weite- vielen Glögglifroschpopulationen ei- ren Tier- und Pflanzenarten. ne grosse Verantwortung für die Im Rahmen des Aktionsplanes sollen Art. weitere Vernetzungsprojekte im Kanton Baselland entstehen. Interessierte Land- Die Fachstelle Natur und Landschaft besitzer, Bewirtschafterinnen, sowie Na- U. Tobler (N&L) beauftragte deshalb das Ingenieur- tur- und Vogelschutzvereine dürfen ihre büro Götz, einen Aktionsplan zur Förde- Ideen sehr gerne bei der Autorin melden Glögglifrösche werden auf Hochdeutsch rung dieser Amphibienart auszuarbeiten. (franziska.studer@buerogoetz.ch). Geburtshelferkröten genannt, weil sie ihre Ziele des Aktionsplans sind: Franziska Studer Laichschnur an Land mit sich herumtragen. 1. Bestehende Populationen durch Pfle- gemassnahmen zu erhalten und zu stär- ken. 2. Wichtige Vernetzungsachsen zwi- schen den bestehenden Populationen zu definieren, um den genetischen Aus- tausch der einzelnen Vorkommen zu er- möglichen. 3. In Zusammenarbeit mit Natur- und Vogelschutzvereinen, Landwirten, Land- besitzerinnen und Förstern geeignete Standorte zu finden, wo ökologische Auf- wertungsprojekte realisiert werden kön- nen. In den Gemeinden Maisprach und Buus findet die erste Umsetzung eines Vernet- zungsprojektes des Aktionsplans statt. Entlang des Waldrandes werden fünf neue Weiher und Landlebensräume für wärmeliebende Arten angelegt. Dadurch können zwei bestehende Glögglifrosch- vorkommen vernetzt werden. Die Weiher Nr. 1 & 5 liegen in einem kantonalen Na- turschutzgebiet und werden vollständig Landeskarte: Bundesamt für Landestopografie swisstopo von der Fachstelle N&L finanziert. Der Verein Vernetzte Vielfalt Maisprach (VVM) beantragt die finanziellen Mittel zur Umsetzung der Weiher Nr. 2, 3 und 4 bei diversen Stiftungen. Die Weiher liegen sowohl im Offenland als auch am Waldrand und bieten somit ein breites Spektrum an unterschiedli- Zwischen Maisprach und Buus werden im Rahmen des Aktionsplanes fünf neue Weiher angelegt. Der chen Lebensräumen. Durch die Weiher- Weiher Nr. 275 in Maisprach wird saniert, um die bestehende Glögglifroschpopulation vor Ort zu kette erhöht sich die Amphibien- und erhalten. Pro Natura Lokal 2/2022 | 13
Regionaler Naturpark Ein Naturpark fürs Baselbiet Die Bestrebung, im Kanton Baselland ei- soll die kulturelle Identität stärken und nen regionalen Naturpark zu erstellen, ist die Schätze des Baselbiets in seiner un- nicht neu: In den Jahren 2009 und 2010 verwechselbaren Landschaft sichtbar ma- versuchte der Trägerverein «Jurapark Ba- chen. Von einem Naturpark profitieren selland», einen «Regionalen Naturpark sowohl die Natur als auch die Menschen. von nationaler Bedeutung» als Bindeglied Er soll nachhaltige Projekte in den Berei- der damals bereits im Entstehen begriffe- chen Natur und Landschaft, Wirtschaft, nen Pärke «Jurapark Aargau» und «Natur- Bildung und Gesellschaft anstossen. park Thal» einzurichten. Doch das Nach der Aufarbeitung und Analyse der Vorhaben scheiterte. Seither ist mehr als Erfahrungen aus der ersten Planungspha- ein Jahrzehnt vergangen und nun ist die se ist für die Projektgruppe der enge Aus- Zeit reif, um mit frischen Kräften einen tausch mit sämtlichen Interessenver- Neustart zu vollziehen. Der Zeitpunkt, einigungen ein wichtiger Grundsatz auf das Vorgehen wieder anzupacken, ist ide- dem gemeinsamen Weg, ebenso eine al, da das Bewusstsein für die nahe Um- offene Kommunikation gegenüber der Thomas Zumbrunn gebung und deren Potential bei der Bevölkerung. Ein Naturpark kann nur Bevölkerung gewachsen ist. Deshalb entstehen, wenn sich Menschen dafür nahm der Verein Erlebnisraum Tafeljura begeistern und an der Gemeindever- das Projekt 2021 wieder auf und es bilde- sammlung für ihn entscheiden. te sich eine Projektgruppe. Diese begann Gespräche mit Interessenverbänden wie mit der Arbeit der Vorprojektierungspha- Pro Natura Baselland, dem Bauern- und se, in welcher wir uns jetzt befinden. Obstverband, Baselland Tourismus und Ziel ist es, mit dem Naturpark Baselbiet vielen weiteren Partnern bildeten für uns das Oberbaselbiet zu stärken und zusam- einen wichtigen Grundstein in der men etwas zu erreichen. Dabei sollen Le- Startphase. Nur so können Bedenken und bensräume aufgewertet sowie die hei- Ängste entkräftet werden und die mische Artenvielfalt geschützt und ge- Überzeugung wachsen, dass ein Natur- fördert werden. Die Bildung und die park nicht einfach ein Konstrukt ist, Sensibilisierung stellen eine entscheiden- sondern einen Mehrwert für die gesamte de Kernaufgabe dar. Die Natur- und Kul- Region bringt. Auch der Austausch mit turwerte sollen durch lokal Erlebtes politischen Vertretungen aus Regierung- helfen, Zusammenhänge zu verstehen. srat, Landrat und Gemeinderäten sowie zvg Und das Wissen um lokale Traditionen mit dem Bundesamt für Umwelt BAFU und mit den Nachbarpärken war ein zentraler Teil der ersten Aktivitäten. Durch die Errichtung eines regionalen Naturparks wollen wir aufzeigen, dass die gesamte Region profitieren kann: Das vierblättrige Kleeblatt (Bild) bildet die Gesellschaft, die Ökologie, die Ökonomie und die Bildung ab. Im Zusammenspiel der vier Blätter steht das übergeordnete Ziel, die hohen landschaftlichen, öko- logischen und charakteristischen Werte unserer Region für künftige Generationen zu erhalten. zvg Die Projektgruppe. Vorne von links nach rechts: Florence Brenzikofer, Bettina Fischer, Sandra Strüby. Florence Brenzikofer Hinten von links nach rechts: Barbara Saladin, Simon Czendlik, Matthias Buchenhorner. Präsidentin Erlebnisraum Tafeljura 14 | Pro Natura Lokal 2/2022
Standpunkt und Spendenaufruf Der Naturpark Baselbiet ist eine Chance Die Bestrebungen des Vereins Erlebnis- (b) schützenswerte Lebensräume ein- raum Tafeljura, einen regionalen Natur- heimischer Tier- und Pflanzenarten auf- park zu errichten, werden vom Vorstand zuwerten und zu vernetzen; von Pro Natura Baselland sehr begrüsst. (c) bei neuen Bauten, Anlagen und Damit im «Naturpark» insbesondere auch Nutzungen der Charakter des Land- für die Natur ein Mehrwert resultiert, schafts- und Ortsbildes zu wahren und muss die Verordnung über die Pärke von zu stärken; nationaler Bedeutung (Pärkeverordnung, (d) bestehende Beeinträchtigungen des PäV) buchstabengetreu umgesetzt wer- Landschafts- und Ortsbildes durch Bau- den. In Art. 19 heisst es: ten, Anlagen und Nutzungen bei sich bie- «Zur Erhaltung und Aufwertung der tender Gelegenheit zu vermindern oder Qualität von Natur und Landschaft sind zu beheben.» im Regionalen Naturpark: Der Vorstand ist zuversichtlich, dass (a) die Vielfalt der einheimischen Tier- diese Bestimmungen nicht toter Buchsta- und Pflanzenarten, die Lebensraumtypen be bleiben werden und wünscht den Ini- Thomas Zumbrunn sowie das Landschafts- und Ortsbild zu tiantinnen und Initianten bei ihrem erhalten und so weit wie möglich zu ver- ambitiösen Vorhaben viel Erfolg. bessern; Lasst tausend Bäche fliessen Mit der Mehrjahresaktion «Gummistiefel- CHF 45'000. Der Kanton bezahlt von Ge- land» holte Pro Natura Baselland seit setzes wegen einen Teil. Für den Rest 2007 eingedolte Bäche mit einer Gesamt- kommen private Stiftungen und Pro Na- Thomas Zumbrunn länge von 2.75 km an die Oberfläche. tura auf. Wir würden uns freuen, wenn Auch wenn die Aktion offiziell abge- Sie dieses Projekt mit einem Beitrag un- schlossen wurde, gehen die Bestrebun- terstützen würden. Besten Dank! gen, weitere Kleingewässer im Baselbiet auszudolen, unvermindert weiter. Eines der geplanten Projekte liegt in Ar- boldswil. Diesen Sommer wird im Gebiet «Baach» der untere Teilabschnitt des «Baachbächli» ausgedolt. Der im Natur- schutz engagierte und leider letzten Au- gust verstorbene Landeigentümer Ueli Stohler hatte Pro Natura Baselland vor seinem Tod das Recht zur Ausdolung ein- geräumt. Die Ausdolung des Teilstücks kostet ca. Pro Natura Lokal 2/2022 | 15
Veranstaltungen Wiesentouren Jahresversammlung 2022 Gemeinsam mit Baselland Tourismus und ren eine sich ständig ändernde faszinie- Montag, 25. April 2022, dem Bauernverband beider Basel führt rende Pflanzenwelt. Damit Sie die Touren Hagnau Birsfelden: Pro Natura Baselland auch dieses Jahr geniessen und sowohl die geistige wie 17.30 Exkursion im «WildStadtGarten» die beiden Baselbieter Wiesentouren «Ar- auch die kulinarische Nahrung gemütlich (Besammlung Eingang Familiengärten) boldswil-Titterten» und «Dittingen-Lau- aufnehmen und verdauen können, sollten 18.30 Apéro fen» durch. Auf den beiden Wander- Sie sich genügend Zeit nehmen. Da Start- 19.00 Jahresversammlung touren erfahren die Besucherinnen und und Zielort nicht identisch sind, sollte die Bitte um Anmeldung bis 17. April 2022 Besucher bei Informationsposten via QR- An- und Rückreise mit öffentlichen Ver- an pronatura-bl@pronatura.ch. Code viel Wissenswertes und Spannen- kehrsmitteln erfolgen. Mehr unter www.pronatura-bl.ch/gv22 des über die Wiesen, ihre Bewirtschafter Ein grosser Dank geht an den Swisslos- und die Geschichte. Unterwegs können Fonds Baselland und die Fondation Sur- Exkursionen feine lokale Produkte der Landwirte ge- la-Croix für die finanzielle Unterstützung Thema Wiese: für Schulklassen und nossen werden. sowie an das Ebenrain-Zentrum, die Gruppen von Mitte April bis Mitte Juni. Ergänzend zu den ausgeschilderten Landwirtinnen und Landwirte und die Thema Biber: Für Schulklassen und Wiesentouren bietet Pro Natura Basel- Gemeinden für die gute Zusammenarbeit. Gruppen, das ganze Jahr über. land Exkursionen für Schulklassen an. Mehr unter www.pronatura-bl.ch/ Auf den Schulexkursionen wird Fragen Weitere Informationen: exkursionen-schulen-gruppen oder bei rund um den Lebensraum Wiese nachge- www.wiesentour.ch und www.pronatura-bl.ch/ meret.halter@pronatura.ch gangen. Wie entstehen Wiesen? Warum exkursionen-schulen-gruppen sehen nicht alle Wiesen gleich aus? Hat Jugendnaturschutz Laufental eine Magerwiese zu wenig «Nahrung»? 30.4. A-hoi Schnecken! Und warum sind Wiesen für uns 14.5. Wilde Pflanzen, Wilde Märt wichtig? 14.5. Wo «L»? Die Wiesentouren sind von Mitte April 4.-6.6. Austausch im Bienenstock bis Mitte Juli signalisiert und präsentie- 25.-26.6. Bergtrekking 30.7.-6.8. Der Olymp ruft Wildpflanzen- und 13.8. Spiel & Spass - ein Nachmittag im Freien Mehr unter www.juna-laufental.ch Jugendnaturschutz Baselland Kräutermärkte 21.5. Bachuptzete Die beliebten Wildpflanzen- und Kräuter- 4.-6.6. Pfingstlager: Up in space, up märkte werden dieses Jahr an 10 Orten in the sky im Baselbiet stattfinden. Auf vielfachen 1.-11.8. Sommerlager: Ave Caesar, die Wunsch kann man aber wiederum auch Naturgeweihten grüssen Dich! Pflanzen online bestellen und an Depots Mehr unter www.jnbl.ch in Laufen, Oberwil, Pratteln und Liestal abholen. Die detaillierten Angaben zu den Marktorten, -daten und -zeiten finden Sie auf unserer Webseite. Märkte und Onlinebestellungen: www.pronatura-bl.ch/wildpflanzenmaerkte Urs Chrétien Pro Natura Lokal 2/2022 | 16
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