BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR - Ansätze zum Abbau nichtmonetärer Investitionshemmnisse bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben 12/2021 ...

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BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS A

 D I S K U R S
12/2021
Henrik Scheller, Katja Rietzler, Christian Raffer, Carsten Kühl

BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE
INFRASTRUKTUR
Ansätze zum Abbau nichtmonetärer
Investitionshemmnisse bei öffentlichen
Infrastrukturvorhaben
BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR - Ansätze zum Abbau nichtmonetärer Investitionshemmnisse bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben 12/2021 ...
WISO DISKURS
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2
12/2021

Die Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditions-
reichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers
ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demo-
kratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie
und den freien Gewerkschaften verbunden.

Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch:
– politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft;
– Politikberatung;
– internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern;
– Begabtenförderung;
– das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek.

Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der
Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an
der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten
auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu geben.
Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die
in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und
Öffentlichkeit vermittelt werden.

WISO Diskurs
WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische
Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungs-
empfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politik-
beratung leisten.

Über die Autor_innen dieser Ausgabe
Dr. Henrik Scheller ist Teamleiter „Wirtschaft und Finanzen“ beim Deutschen
Institut für Urbanistik (Difu).
Dr. Katja Rietzler ist Referatsleiterin „Steuer- und Finanzpolitik“ beim Institut
für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Christian Raffer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team „Wirtschaft und
Finanzen“ beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu).
Prof. Dr. Carsten Kühl ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts
für Urbanistik (Difu).

Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich
Max Ostermayer ist Referent für Klima-, Umwelt-, Energie- und Strukturpolitik in
der Abteilung Analyse, Planung und Beratung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er leitet
den Arbeitskreis Nachhaltige Strukturpolitik.
12/2021 WISO DISKURS

 Henrik Scheller, Katja Rietzler, Christian Raffer, Carsten Kühl

 BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE
 INFRASTRUKTUR
 Ansätze zum Abbau nichtmonetärer
 Investitionshemmnisse bei öffentlichen
 Infrastrukturvorhaben

 3 VORWORT

 5 KURZZUSAMMENFASSUNG

 7 1 EINLEITUNG

 9 2 ÖFFENTLICHE INVESTITIONSTÄTIGKEIT: GRUNDLAGEN UND HEMMNISSE

 14 3 ANALYSE: NICHTMONETÄRE HEMMNISSE DER ÖFFENTLICHEN
 INVESTITIONSTÄTIGKEIT – AUSMASS UND WIRKUNGEN
 14 3.1 Empirie I: Kapazitätsauslastung im Baugewerbe
 22 3.2 Empirie II: Personalsituation in der Bauverwaltung
 28 3.3 Empirie III: Beteiligungsverfahren bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben
 33 3.4 Empirie IV: „Komplexität“ von Genehmigungsverfahren und Standards
 36 3.5 Zusammenfassung der Ergebnisse

 37 4 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
 38 4.1 Personalmangel in den Bauverwaltungen
 40 4.2 Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung
 41 4.3 Standards und Genehmigungsverfahren sowie Vergaberecht

 44 5 FAZIT UND AUSBLICK
 46 Abkürzungsverzeichnis
 46 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
 48 Literaturverzeichnis
 54 Anhang A: Methodik
 56 Anhang B: Ergänzende Darstellungen
 62 Anhang C: Panelökonometrische Schätzung: Modell und Ergebnisse
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BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS 3

VORWORT

Bereits vor der Corona-Krise stand fest, dass Deutschland ein besonderem Maße für finanzschwache Kommunen. Diese
Investitionsproblem hat. Eine Zahl machte dies besonders Finanzpolitik ist auch ursächlich dafür, dass gerade die private
deutlich: 457 Milliarden Euro. Dies ist die Summe, die nach Bauwirtschaft ihre Kapazitäten über die vergangenen Jahre
Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunk- nicht signifikant ausgeweitet hat. Beides trägt heute dazu
turforschung (IMK) und des Instituts der Deutschen Wirt- bei, dass der Auf- und Ausbau einer zukunftsfähigen Infra-
schaft (IW) aus dem Jahr 2020, in den nächsten zehn Jahren struktur nur zögerlich an Fahrt gewinnt.
an zusätzlichen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur Für die Zukunft ergibt sich daraus eine Reihe prioritärer
erforderlich wäre, um angesichts der zahlreichen Zukunfts­ politischer Forderungen. Zunächst ist es notwendig, die
herausforderungen Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand öffent­lichen Investitionen mit Rücksicht auf die großen
nachhaltig zu sichern. Jüngste Zahlen des KfW-Kommunal- Zukunfts­herausforderungen wie Klimaneutralität und Digita-
panels beziffern den Investitionsrückstand allein bei den lisierung stark zu erhöhen und auf einem hohen Niveau zu
Kommunen auf 149 Milliarden Euro. verstetigen, um den gordischen Knoten der Kapazitätseng-
 Während lange Zeit politisch darüber gestritten wurde, ist pässe zu durchschlagen. Denn nur so entstehen für alle
es heute fast schon Konsens, dass es einer groß angelegten Akteure Verlässlichkeit und Planbarkeit und der Anreiz, die
Investitionsoffensive bedarf, um die öffentliche Infrastruktur Kapazitäten auszuweiten. Mit Blick auf die notwendigen
zukunftsfest zu machen und den gerade bezifferten Rück­ Strukturen in den öffentlichen Planungsverwaltungen müssen
stand aufzuholen. Aber die Ursachen des Investitionsstaus sind insbesondere die finanzschwachen Kommunen finan­ziell
vielfältig. Über die vergangenen Jahre haben sich die An­ besser ausgestattet werden. Denn dort besteht der größte
zeichen gemehrt, dass eine bloße Aufstockung der finanziellen Nachholbedarf zur Modernisierung der Infrastruktur bei
Mittel allein nicht die Lösung des Problems sein wird. Denn gleichzeitig geringer Personaldecke.
sowohl die öffentliche Verwaltung als auch die private Bau- Das impliziert auch die Absage an eine staatliche Kon­
wirtschaft müssen das Geld in konkreten Projekten verplanen solidierungspolitik nach der Corona-Krise, die auf einen Abbau
und verbauen können. von Schulden ausgerichtet ist. Vielmehr wird es darauf an-
 Für die vorliegende Studie im Auftrag des Arbeitskreises kommen, den jüngsten Wirtschaftseinbruch durch eine öffent-
Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) liche Investitionsoffensive nachhaltig zu überwinden und
haben das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) und das die Schuldenquote durch qualitatives Wachstum wieder abzu-
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) senken – ähnlich wie nach der Finanzkrise 2009.
der Hans-Böckler-Stiftung die vier wesentlichen Hemmnisse Ein weiterer Schwerpunkt muss zudem auf der Schließung
für die Umsetzung öffentlicher Investitionsmittel untersucht: der Fachkräftelücke liegen, die sich aufgrund der demo­
die Kapazitätsauslastung im Baugewerbe, die Personalsitu­ grafischen Entwicklung in den nächsten Jahren noch deutlich
ation in den kommunalen Planungsverwaltungen, die Komplex­ vergrößern wird. Viele gut ausgebildete Köpfe und Hände
ität von Genehmigungsverfahren und -standards sowie die sind unabdingbare Voraussetzung für die Bewältigung der
Beteiligungsverfahren bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben. kommenden Aufgaben. Neben den von den Autor_innen
 Die Untersuchung zeigt dabei sehr deutlich, dass viele der vorgeschlagenen Empfehlungen bieten sich zwei weitere über-
praktischen Investitionshemmnisse auf finanzielle beziehungs- geordnete Maßnahmen an: Zum einen sollte eine Aus­
weise finanzpolitische Ursachen zurückzuführen sind. Nicht- bildungspflicht der Wirtschaft im dualen System in Betracht
monetäre Hemmnisse haben also oftmals monetäre Ursachen. gezogen werden – denn die Talente vieler junger Menschen
So haben die unstete und bisweilen prozyklische Investitions­ werden schon heute nicht genutzt. Über eine Million junger
politik des Staates und die Konsolidierungspolitik über die Menschen zwischen 20 und 30 Jahren haben keinen Berufs-
vergangenen Jahrzehnte dazu geführt, dass Planungskapazi- abschluss, jedes Jahr kommen mehrere Zehntausende dazu,
täten im öffentlichen Sektor abgebaut wurden. Das gilt in in Corona-Zeiten besonders viele. Zweitens könnte eine
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4

bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu einer Steige-
rung der Frauenerwerbstätigkeit und einer Ausweitung
des Arbeitsangebotes beitragen. Deutschland hat hier im
Vergleich zu anderen Ländern, z. B. Schweden, einen deut­
lichen Aufholbedarf.
 Daneben wird es auch maßgeblich darauf ankommen,
Effizienzpotenziale in der öffentlichen Verwaltung zu heben.
Dafür machen die Autor_innen der vorliegenden Unter­
suchung umfassende Vorschläge – angefangen von einer
Harmonisierung des Baurechts über die Modernisierung des
öffentlichen Vergabewesens bis hin zur einer wohl ge­
planten und moderierten Bürger_innenbeteiligung im Zuge
der Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen.
 Klar ist: Viele der strukturellen Hemmnisse werden nicht
über Nacht verschwinden, haben sie sich doch über Jahre
und Jahrzehnte aufgebaut. Aber gerade deshalb gilt es, aus
der Vergangenheit zu lernen und jetzt die Grundlagen für ein
modernes Gemeinwesen zu legen. Wer mit Verweis auf die
angeführten Hemmnisse fordert, auf eine öffentliche Investi-
tionsoffensive zu verzichten, begeht den gleichen Zirkel-
schluss, der uns dahin gebracht hat, wo wir gerade stehen.
 Nur wenn wir den Politikwechsel heute einleiten, haben wir
die Chance, den Herausforderungen von morgen begegnen
zu können. Sei es die Bedeutung der Digitalisierung für die
internationale Wettbewerbsfähigkeit oder der wirtschaftliche
Strukturwandel infolge der Dekarbonisierung: Ohne um­
fassende öffentliche und private Investitionen in eine zukunfts-
fähige Infrastruktur und Wirtschaftsweise werden wir nicht
in der Lage sein, unseren Wohlstand künftig zu sichern.

HANS EICHEL
Bundesfinanzminister a. D. und Sprecher des Arbeitskreises
Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

MARTIN HENNICKE
Ministerialdirigent und Mitglied des Arbeitskreises
Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung

MAX OSTERMAYER
Abteilung Analyse, Planung und Beratung der
Friedrich-Ebert-Stiftung
BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS 5

KURZZUSAMMENFASSUNG

In dieser Studie wurden unterschiedliche nichtmonetäre Inves- Akzeptanzsteigerung öffentlicher Bauvorhaben leisten, be­-
titionshemmnisse der öffentlichen Hand, die schon seit gründen aber gleichzeitig neue Planungs-, Kommunika-
Längerem in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion tions- und Moderationsanforderungen an die Verwaltungen
problematisiert werden, näher untersucht. Betrachtet wurden – insbesondere in Zeiten wachsender Anspruchshaltungen
die Kapazitätsauslastung im Baugewerbe, die Personalsituation der Bürger_innen.
in den Bauverwaltungen, die Rolle von Beteiligungs­verfahren Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse zur Entwicklung
sowie die Bedeutung von Genehmigungsverfahren und Stan- der Bauwirtschaft seit der deutschen Wiedervereinigung
dards bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben. liefern starke Belege für die Gültigkeit der Hypothese, wonach
 Die Bereitstellung von Infrastrukturen und Leistungen der eine prozyklische Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand in
öffentlichen Daseinsvorsorge insbesondere durch die Kom­ der Vergangenheit immer wieder Baupreissteigerungen zur
munen stellt ein Querschnittsthema dar, das die Interessen und Folge hatte und die wirtschaftliche Lage der Bauwirtschaft
Belange diverser Akteure berührt. Insofern hängt die Be­ nicht nur in Krisen- und Rezessionsphasen verschärft hat.
wertung der Frage, welche Wirkungen nichtmonetäre Inves- Die Regenerationsfähigkeit der Bauwirtschaft ist aufgrund von
titionshemmnisse auf öffentliche Infrastrukturvorhaben personellen und technischen Spezifika langsamer als die
entfalten, maßgeblich von der jeweiligen Perspektive auf die Konjunkturentwicklung, sodass die krisenbedingte Absenkung
Problematik ab. Nichtmonetäre Investitionshemmnisse der Leistungsfähigkeit auch in den folgenden Boomphasen
kommen offenbar dann in den Kommunen umso stärker zum dazu führt, dass die Absorptionsfähigkeit öffentlicher Aufträge
Tragen, wenn monetäre Restriktionen – beispielsweise eingeschränkt bleibt. In den meisten Regionen Deutschlands
infolge einer positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben sich in den vergangenen Jahren mithin die Kapazitäts-
oder aufgrund spezifischer Fördermaßnahmen von Bund engpässe in der Bauwirtschaft auf die öffentlichen Bauin­
und Ländern – zumindest partiell an Bedeutung verlieren. Dies vestitionen ausgewirkt. Angesichts wachsender gesellschaft-
war bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie insofern zu licher Anforderungen und neuer Technologien, die mit Blick
beobachten, als dass Bund und Länder durch eine Vielzahl auf die Dekarbonisierung der öffentlichen Infrastrukturen
vergleichsweise kleinteiliger Förderprogramme Anreize für immer entscheidender werden, wird deutlich, wie dringlich
die Investitionstätigkeit der Kommunen gesetzt haben. daher eine Verstetigung der öffentlichen Investitionspolitik
 Zwischen den verschiedenen nichtmonetären Investitions­ ist, um den notwendigen Kapazitätsaufbau anzureizen.
hemmnissen bestehen Zielkonflikte, die oftmals nur poli- Spiegelbildlich verweisen die Ergebnisse der vorliegenden
tisch bzw. verwaltungsseitig gelöst werden können, weil sie Studie aber auch auf Kapazitätsengpässe in den Bauver­
eine Güterabwägung erfordern. So zielen beispielsweise waltungen der Kommunen: In rund jeder fünften Kommune,
gesetzliche Baustandards als einzelne Lenkungsnormen auf die sich an einer eigens hier durchgeführten Onlinebefra-
den Schutz schützenswerter Güter (Menschenleben, Natur, gung beteiligt hat, sind Stellen im Hoch- und/oder Tiefbauamt
Klima, Sozialstandards etc.). Das Zusammenspiel einer Viel- seit längerer Zeit nicht besetzt. Der Anteil der Mitarbeiten-
zahl zu berücksichtigender Normen begründet allerdings den, die in den kommenden fünf Jahren aus Altersgründen
eine Komplexität für die Planungsverwaltungen – insbeson- ausscheiden werden, beträgt im Schnitt aller Amtstypen
dere in kleinen und mittleren Kommunen. In ähnlicher rund 17 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren hat die Zahl
Weise dient das Vergaberecht der Gleichbehandlung poten- der Mitarbeitenden in der Bauverwaltung in mehr als
zieller Bieter_innen und der Korruptionsvermeidung, stellt 40 Prozent der antwortenden Kommunen (im Hochbauamt
aber gerade für mittlere und kleine Unternehmen sowie Kom- sogar in 69 Prozent der antwortenden Kommunen) zuge-
munen dieser Einwohnergrößenklassen eher ein Hemmnis nommen. Die wesentlichen Ursachen dafür sind die Zuwei-
dar. Auch partizipative Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung sung neuer Aufgaben und Zuständigkeiten, eine verstärkte
sind gesetzlich vorgeschrieben und sollen einen Beitrag zur Bautätigkeit sowie zunehmend komplexe Bauvorhaben.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6

In rund jeder vierten antwortenden Kommune dauert die
Wiederbesetzung frei werdender Stellen länger als sechs
Monate. Hemmnisse bei der Stellenbesetzung sind vor allem
die Konkurrenz um Fachkräfte mit der Privatwirtschaft und den
Verwaltungen anderer Städte sowie unzureichend konkur-
renzfähige Gehälter. Diese Befragungsergebnisse ge­w innen
darum an Brisanz, weil weitergehende empirische Analysen
im Rahmen dieser Studie gezeigt haben, dass die Anzahl der
Mitarbeiter_innen in den Bauverwaltungen signifikant mit
der Höhe kommunaler Bauinvestitionen zusammenhängt.
 Die Bewertung hinsichtlich der „Komplexität“ von Ge-
nehmigungsverfahren und gesetzlichen Baustandards hängt
offenkundig mit der Einwohnergrößenklasse der jeweiligen
Kommunen und den Wahrnehmungen der betroffenen
Akteure zusammen. Unstrittig scheint, dass bei öffentlichen
Infrastrukturvorhaben angesichts des mehrstufigen und
komplexen Bauplanungs- und -genehmigungsverfahrens nicht
nur unterschiedliche Fachverwaltungen zu koordinieren,
sondern auch eine Vielzahl an gesetzlichen Einzelstandards zu
berücksichtigen sind. Bei entsprechenden Planfeststellungs-
und Genehmigungsverfahren sind insofern eine Vielzahl an
Ämterabstimmungen durchzuführen, zahlreiche Planwerke
zu beachten und eine große Anzahl von Stellungnahmen
einzubeziehen. Bereits die unterschiedlichen Handlungs- und
Denkrationalitäten der verschiedenen involvierten Professio-
nen und der für sie leitenden Teilrechtsgebiete begründen
hohe Koordinationsanforderungen – insbesondere, wenn
einzelne Standards wechselseitige Inkompatibilitäten auf­
weisen und letztlich eine Norm- bzw. Güterabwägung erfor-
dern. Deshalb ist es vor allem der Umfang an gesetzlichen
Standards – und nicht so sehr die Einzelnorm –, der gerade
für kleinere und mittlere Kommunen ein nichtmonetäres
Investitionshemmnis begründet.
BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS 7

1

EINLEITUNG

In der Bundesrepublik Deutschland werden rund 55 Prozent – zumal verschiedene ausgelagerte Infrastrukturbereiche in
der öffentlichen Sachinvestitionen von den Kommunen den Extrahaushalten nur rudimentär erfasst werden können
getätigt.1 Das ist naheliegend, da in den Landkreisen, Städten (Krone/Scheller 2020a). Positive und negative Erweiterungs-
und Gemeinden die Bürger_innen schließlich die meisten bzw. gar Transformationsbedarfe, die im Zuge des absehbar
Infrastrukturen und Leistungen der öffentlichen Daseinsvor- notwendig werdenden Strukturwandels der Städte erforder-
sorge in Anspruch nehmen: von Kindergärten über Schulen, lich werden, um den Anforderungen des Klimawandels,
Straßen und Brücken, die Trink- und Abwasserversorgung, die der Digitalisierung, des demografischen Wandels und der Ver-
Energie- und Abfallwirtschaft, die verschiedenen öffentli- kehrswende etc. Rechnung zu tragen, sind dabei noch gar
chen Ämter bis hin zum ÖPNV sowie den Sportstätten und nicht berücksichtigt. So beziffern Bardt et al. (2019) den
Friedhöfen. Um dieses vielfältige Leistungsangebot bereit- gesamten zusätzlichen Investitionsbedarf, der vom Staat zu
stellen zu können, ist die kommunale Selbstverwaltungsauto- finanzieren ist, mit knapp 460 Milliarden Euro für die kom-
nomie in Art. 28 Abs. 2 GG mit einer entsprechenden menden zehn Jahre. Für den kommunalen Investitionsstau
Finanzierungsverantwortung abgesichert worden. In der Ver- errechnen andere Studien vergleichbare Investitionsrück­
fassungspraxis stellt sich die Finanz- und Haushaltslage der stände wie das KfW-Kommunalpanel (Expertenkommission
Kommunen allerdings seit Jahren sehr heterogen dar. Bis Stärkung von Investitionen in Deutschland 2015; Gornig 2019;
zum Ausbruch der Corona-Pandemie im Februar/März 2020 Alm/Meurers 2015).
profitierten auch die Kommunen von der insgesamt posi­ Jenseits der medial oft problematisierten Investitionsrück-
tiven wirtschaftlichen Gesamtentwicklung. Seitdem hat sich stände in der Bundesrepublik wird in der öffentlichen Dis­
die Lage deutlich eingetrübt (Raffer/Scheller 2021). kussion leicht übersehen, dass Bund, Länder und Kommunen
 Eine Konstante der kommunalen Finanz- und Haushaltslage in den vergangenen Jahren – insbesondere im Zeitraum von
der vergangenen Jahre bildet – unabhängig von den ver- 2017 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie – ihre Investi­
schiedenen Krisen – der Investitionsrückstand der Städte und tionstätigkeit infolge der positiven gesamtwirtschaftlichen
Gemeinden. Im Trend der vergangenen zehn Jahren ist er Entwicklung sukzessive ausgeweitet haben. Der Investitions-
gestiegen 2 und betrug 2020 bundesweit rund 149 Milliarden zuwachs ist dabei – anders als aufgrund starker Preisstei­
Euro (Raffer/Scheller 2021). Da damit nur die Nachhol­ gerungen häufig angenommen – auch real sehr kräftig, weil
bedarfe erfasst werden, die erforderlich wären, um die Infra- die nominalen Investitionen die Preissteigerungen deutlich
strukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Kom­ überstiegen. So lagen die Bruttoinvestitionen der Kommunen
munen auf den gesetzlich vorgeschriebenen Stand zu bringen, in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrech-
handelt es sich hierbei um eine konservative Schätzung nung (VGR) im ersten Quartal 2020 preis- und saisonbereinigt
 um fast 30 Prozent über denen des vierten Quartals 2017.
1 Eigene Berechnungen auf Grundlage der vierteljährlichen Kassenstatis- Selbst im Corona-Jahr 2020 konnten die aggregierten Investi­
tik. Insbesondere bei den infrastrukturrelevanten Bauausgaben ist tionsausgaben der Kommunen leicht gesteigert werden
der kommunale Anteil höher als bei den Sachinvestitionen insgesamt (vgl. (Raffer/Scheller 2021). Zwei weitere Beobachtungen prägen
Statistisches Bundesamt v. J.). Dieser Anteil liegt deutlich über dem
kommunalen Anteil an den Bruttoinvestitionen in den VGR, da sich die
 das Bild: Zum einen besteht eine erhebliche Lücke zwischen
Abgrenzung zwischen der Kassenstatistik und den VGR unterscheidet. geplanten und tatsächlich getätigten Investitionen der Kom-
2 Seit über zehn Jahren ermittelt das Deutsche Institut für Urbanistik munen (Krone/Scheller 2020, Raffer/Scheller 2021): Offen-
(Difu) im Auftrag der KfW-Bankengruppe mittels einer jährlichen Befra- kundig stößt die öffentliche Investitionstätigkeit – zumindest
gung von 2.500 Kämmereien der Landkreise, Städte und Gemeinden den in einem Teil der Kommunen – an eine Grenze. Denn ob-
wahrgenommenen Investitionsrückstand der Kommunen. Darauf aufset-
zende Hochrechnungen für die Kommunen ab 2.000 Einwohner_innen in
 wohl mehr Geld im System ist – Bund und Länder haben ihre
der Bundesrepublik sind in der politischen und akademischen Diskussion Förderprogramme in den vergangenen Jahren massiv aus-
inzwischen weitgehend unstrittig. geweitet und die Fördervolumina aufgestockt –, kann das
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8

Geld offenbar nicht vollständig abfließen, weil es die Kom­ potenziellen Wirkungen auf die Infrastruktur- und Investiti-
munen nicht so schnell verbauen können. Nicht umsonst onspolitik der Kommunen. Mit Blick auf die regionalen Dispa-
mehren sich die kritischen Stimmen, die die Ausweitung der ritäten bei den Investitionsrückständen und der Investitions­
Förderprogramme vor allem des Bundes hinterfragen (stell- tätigkeit wird dabei die Frage gestellt, inwieweit auch solche
vertretend: Bundesrechnungshof 2019; Geißler 2021), da die nichtmonetären Hemmnisse gegebenenfalls eine unter-
oft kurzfristig und nur vorübergehend zur Verfügung ge- schiedlich starke regionale Ausprägung aufweisen und welche
stellten Mittel nicht dazu führen, dass die Verwaltungsstruk- Ursachen dies haben könnte. Abschließend werden Hand-
turen dauerhaft auf einen erhöhten Mitteldurchfluss hin lungsempfehlungen (Kapitel 4) formuliert, um bestehende
angepasst werden. Um dem bestehenden Investitionsbedarf Investitionshemmnisse abzubauen. Da zur Behebung der
zu begegnen, bedürfe es daher eines gezielten Policy-Mixes, meisten dieser Investitionshemmnisse nicht nur eine föderale
der praktische Investitionshemmnisse in den Blick nimmt und Ebene, sondern oftmals Bund, Länder und Kommunen ge-
beseitigt (Eichel et al. 2020). Zum anderen bestehen sowohl meinsam – wenn auch in unterschiedlichen Anteilen – adres-
mit Blick auf die Investitionsrückstände als auch hinsichtlich der siert werden müssen, wird hierbei eine entsprechende
In­vestitionstätigkeit zum Teil erhebliche regionale Divergenzen. Differenzierung und Priorisierung vorgenommen. In diesem
 Diese offenkundig nicht ausgeschöpften und regional Kontext werden auch mögliche Zielkonflikte in einer Ab­
stark differierenden Investitionspotenziale (vgl. Abschnitt 3.1.3) wägung der jeweiligen Vor- und Nachteile diskutiert. Die Unter-
bei einer – zumindest bis zum Ausbruch der Corona-­Pan­ suchung schließt mit einem Fazit und Ausblick (Kapitel 5).
demie – positiven haushaltswirtschaftlichen Gesamtentwick-
lung der öffentlichen Hand werfen die Frage nach den Die Autor_innen dieser Studie danken sehr herzlich einer Reihe
Ursachen auf. In verschiedenen Studien finden sich immer von Institutionen und Personen, die sie bei der Erstellung
wieder allgemeine Hinweise auf potenzielle Investitions- dieser Studie unterstützt haben. Dank gilt zunächst der
hemmnisse der Kommunen, ohne dass diese in ihrer Wirkung Friedrich-Ebert-Stiftung, die die Aktualität des hier im Mittel-
systematisch analysiert worden wäre (Wissenschaftlicher punkt der Analysen stehenden Themas erkannt und für
Beirat 2020; Reformkommission Bau 2015). Entsprechende so relevant erachtet hat, dass sie dieses Forschungsvorhaben
Hinweise gehen oft nicht über ein plausibles Maß an beauftragt hat. Max Ostermayer und der Arbeitskreis Nach-
anekdotischer Evidenz hinaus. Auch das Deutsche Institut haltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung standen
für Urbanistik (Difu) hat in seinen Befragungen für das während des gesamten Bearbeitungsprozesses immer
KfW-Kommunalpanel – zuletzt 2019 – die Bedeutung solcher ­w ieder für anregende und konstruktive Diskussionen zur
„nichtmonetären“ Investitionshemmnisse bei den Kämme- Verfügung. Herzlicher Dank gilt daneben sowohl dem
reien erfragt. Dabei wird deutlich, dass die Kommunen Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., namentlich
– nach finanziellen Restriktionen, die sich oft in Gestalt von Herrn Heinrich Weitz, sowie der SOKA-BAU, der Urlaubs-
fehlenden Eigenmitteln, Haushaltssicherungskonzepten und und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, vertreten durch
aufsichtsrechtlichen Auflagen darstellen (44 Prozent) – Herrn Dr. Torge Middendorf, die den Autor_innen Daten zur
Personalengpässe (39 Prozent), ausgelastete Kapazitäten der Entwicklung der Bauwirtschaft zur Auswertung zur Verfügung
Bauwirtschaft (26 Prozent), aber auch überteuerte Ange- gestellt haben. Darüber hinaus danken wir sehr herzlich
botspreise (19 Prozent), rechtliche Hemmnisse (12 Prozent) und sämtlichen Teilnehmer_innen der in diesem Projekt durchge-
unzureichende Ausschreibungsergebnisse (8 Prozent) als führten Fokusgruppengesprächen sowie allen Interview­
Gründe für einen steigenden Investitionsrückstand benennen partner_innen. Die Erarbeitung dieses Projekts haben ver-
(Krone/Scheller 2020). 3 Diese Hinweise verdeutlichen, schiedene Kolleg_innen unterstützt. Dazu zählen Dr. Bettina
neben den nun langsam absehbar werdenden Auswirkungen Reimann, Dr.-Ing. Wulf-Holger Arndt, Dr. Stefan Schneider,
der Corona-Krise für die Haushaltswirtschaft der Kommunen Rüdiger Knipp, Hanna Gieseler und Valentin Baumann. Auch
(Raffer/Scheller 2021; SVR 2020: 62ff.), dass die Frage ihnen gebührt herzlicher Dank. Das Lektorat und das Layout
der öffentlichen Investitionstätigkeit, deutlich differenzierter dieser Studie haben Britta Liermann und Sönke Hallmann in
analysiert werden muss. sehr akkurater, sorgfältiger und geduldiger Art besorgt.
 Der Analysefokus der vorliegenden Untersuchung wird mit ­D afür sei beiden sehr gedankt.
Blick auf diese hier nur skizzierten Beobachtungen und
Forschungslücken explizit auf die nichtmonetären Investitions­
hemmnisse der öffentlichen Hand gerichtet, wobei das IMK
insbesondere an empirischen Analysen der Kapazitätsent-
wicklung im Baugewerbe und der Personalsituation in den
für Investitionen relevanten Bereichen der Kommunalver-
waltungen mitgewirkt hat. Dazu erfolgt zunächst eine
systematisierende Einführung (Kapitel 2), in der der Versuch
unternommen wird, das Feld der nichtmonetären Investitions-
hemmnisse abzustecken und diese – soweit möglich – zu
typo­logisieren. Im Hauptteil (Kapitel 3) erfolgt dann eine
empirische Analyse zu ausgewählten Hemmnissen und ihren

3 Da bei dieser Frage Mehrfachantworten möglich waren, summieren
sich die Prozentangaben zu mehr als 100 Prozent auf.
BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS 9

2

ÖFFENTLICHE INVESTITIONSTÄTIGKEIT:
GRUNDLAGEN UND HEMMNISSE

Die Infrastruktur- und Investitionspolitik der Kommunen zeich- mit Blick auf die öffentlichen Infrastrukturen – oft jahrzehnte­
net sich gleich in mehrfacher Hinsicht durch einen ausge- alte und zentral gesteuerte Großnetze – sind hier grundle-
prägten Schnittstellencharakter aus. Schon die ursprüngliche gende technologische Umrüstungs- und Umbaumaßnahmen
Bedeutung des Wortes „Infrastruktur“ macht dies deutlich. absehbar. Beispielhaft dafür sind Rohleitungs- und Aufbe­
Denn der öffentliche Raum muss durch einen adäquaten reitungssysteme für die Wasserversorgung oder auf kommu-
Unterbau strukturiert werden, der die Funktionsweise des naler Ebene die baulichen Veränderungen von öffentlichen
gesamten öffentlichen Gemeinwesens sicherstellt. Infrastruk- Gebäuden und Sportstätten, die der Klima- und der demo-
turen in Gestalt der verschiedensten Versorgungsnetze grafische Wandel notwendig machen. In Städten, in denen
bedürfen dabei nicht nur in technischer Hinsicht einer perma­ jedoch der über Jahre und Jahrzehnte aufgebaute Investitions-
nenten und fachkundigen Unterhaltung – insbesondere an stau inzwischen zu erheblichen Nachhol- und Ersatzbe­
den verschiedenen Schnittstellen zwischen den unterschied- darfen geführt hat, die eigentlich vorrangig bedient werden
lichen Infrastruktursystemen, wie z. B. dem Anschluss von müssten, um nur alleine den bestehenden gesetzlichen
öffentlichen Gebäuden an die Strom-, Wasser- und Breitband- Standards genüge zu leisten und den Status quo zu erhalten,
netze. Die technischen Eigenarten dieser Versorgungsnetze erhöhen sich die langfristigen Planungs- und Steuerungs­
erfordern vielmehr auch hohe Investitionsvolumina, sodass anforderungen immer weiter (Reidenbach 2008: 134-137).
kommunale Infrastrukturpolitik immer auch eine ausgeprägte Die Analyse möglicher Hemmnisse für die öffentliche
haushalterische und ökonomische Dimension aufweist. Für Investitionstätigkeit unterliegt schon insofern gewissen Heraus-
die öffentliche Investitionspolitik stehen verschiedene Misch- forderungen, als dass der Terminus „Investition“ und der
finanzierungsformen von Bund, Ländern und Gemeinden Gegenstand der „Investitionspolitik“ politisch umstritten sind.
zur Verfügung. Diese begründen – neben den fachlichen Auch in theoretischer Hinsicht begegnet die Erfassung von
Koordinationserfordernissen zwischen verschiedenen staat­ Investitionsbedarfen und -rückständen einer Reihe konzep­
lichen und nichtstaatlichen Akteuren – auch Abstimmungs- tio­n eller Herausforderungen und Messproblemen (Brand/
notwendigkeiten über die föderalen Ebenen hinweg. Eine Krone et al. 2020a). So fehlt es bereits an einheitlichen bzw.
weitere Schnittstelle besteht zwischen technischen und allgemein anerkannten Definitionen der Begriffe „Investition“,
sozialen Infrastrukturen, die gerade auf kommunaler Ebene „Investitionsrückstand“ oder „Investitionsbedarf“. Und selbst
wichtige Voraussetzungen für die soziale Integrationsfähig- wenn es einheitliche Definitionen gäbe, „blieben erhebliche
keit der örtlichen Gemeinschaft schafft. So gesehen bildet der methodische Herausforderungen bei der empirischen Er­
bestehende infrastrukturelle „Unterbau“ einen Teil der ma­ fassung bzw. Bewertung der entsprechenden Größen beste-
teriellen Ausformung der im Grundgesetz verankerten Formel hen, da eben auch ihr Verhältnis zueinander nicht klar ist“
vom „sozialen Bundesstaat“ (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem (Brand/Krone et al. 2020a). Im volkswirtschaftlichen Kontext
für die Bundesrepublik maßgeblichen Prinzip der „öffentlichen gilt die private Investitionstätigkeit – erfasst in der Investitions-
Daseinsvorsorge“ (Forsthoff 1938). quote als Anteil der getätigten Bruttoanlageinvestitionen
 Die komplexen Koordinationsanforderungen als inhärentes im Anlagevermögen eines Unternehmens oder am Bruttoin-
Wesensmerkmal kommunaler Infrastrukturpolitik werden landsprodukt eines Staates – als ein Gradmesser der wirt-
durch „exogene“ Einflussfaktoren potenziert. So müssen Kom­ schaftlichen Aktivität. Die öffentliche Investitionstätigkeit ist
munen – als unmittelbares Lebensumfeld der Menschen hingegen nicht so eindeutig konnotiert. Nicht umsonst ist
– mit ihren Infrastrukturen verstärkte Anpassungsleistungen deshalb auch die Bestimmung und Messung von Investitions-
mit Blick auf die Bewältigung der globalen Herausforderungen rückständen bzw. -bedarfen oder etwaigen Investitions-
wie den Klimawandel, den demografischen Veränderungen, schwächen von Gebietskörperschaften umstritten.
die Digitalisierung und die ökonomische Globalisierung mit all Verschiedene Autor_innen verneinen, dass sich dieser
ihren politischen Folgen erbringen (WBGU 2016). Gerade Zustand überhaupt verlässlich bestimmen lässt (Christofzik et
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10

al. 2019; Maurer 2011; Alm/Meuers 2015). Zu den kritischen die Gefahr einer „Negativspirale“, zumal ein zeitlicher Auf-
Einwänden zählt dabei vor allem das Argument, dass es schub von Investitionen und laufenden Unterhaltsmaßnahmen
keine umfassenden Standards zur Bestimmung eines Inves- die Lebensdauer von Infrastrukturen verkürzt und später zu
titionsoptimums gäbe, mit dem sich sowohl der bestmög­ tätigende Aufwendungen für Investitionen meist exponentiell
liche quantitative Umfang als auch der qualitative Zustand des steigen lässt.
öffentlichen Infrastrukturbestands bestimmen ließe, da Wenn Infrastrukturinvestitionen aber eine derart zentrale
Investitionsentscheidungen zu einem gewissen Grad immer Bedeutung sowohl mit Blick auf die Erfüllung des öffentlichen
auch politischen und administrativen Ermessensspielräumen Daseinsvorsorgeauftrags als auch hinsichtlich der gesamt-
unterlägen. Diese grundsätzliche Problematik könne auch wirtschaftlichen und fiskalisch-haushalterischen Entwicklung
kaum durch die Wahl einer geeigneten wissenschaftlichen zukommt, stellt sich die Frage, wie mögliche Hemmnisse,
Erhebungsmethode kompensiert werden. Denn während die die Investitionstätigkeit von Kommunen bremsen, abgebaut
beispielsweise der internationale Vergleich von kommunalen werden können. Dies setzt voraus, dass entsprechende
Investitionsquoten an uneinheitlichen statistischen Zurech- Restriktionen systematisch erfasst und in ihren Ursachen und
nungs- und Erfassungsmethoden kranke, bestehe im Falle von Wirkweisen bestimmt werden. Erst dann lassen sich – darauf
Befragungen und Bewertungen durch die in den Kommunen aufsetzend – Handlungsempfehlungen zu ihrem Abbau
zuständigen Fachverwaltungen die Gefahr einer Überschät- formulieren. Dazu lässt sich die öffentliche Investitionstätig-
zung. Auch der Ansatz zur Auswertung der Anlagenbuchhal- keit zunächst einmal sehr schematisch als ein einfaches
tung der Kommunen weise Lücken auf, da viele Jahresab- Input-Output-Modell darstellen. Demnach wird die öffentliche
schlüsse nach wie vor gar nicht oder nur lückenhaft vorlägen. Investitionstätigkeit ganz maßgeblich durch den finanziellen
 Gerade die in vielen Bundesländern verpflichtend für die und personellen Ressourceneinsatz (Input) bestimmt. Das so
Kommunen eingeführte Doppik 4 lenkt aber ein besonderes definierte Investitionsniveau bildet den zentralen Bestim-
Augenmerk auf die Investitionstätigkeit der öffentlichen mungsfaktor für den Bestand und Zustand der Infrastrukturen
Gebietskörperschaften (Raffer 2021). Denn um den im Ver- der öffentlichen Daseinsvorsorge (Output), die ihrerseits
mögenshaushalt eigens erfassten Vermögensbestand bzw. wiederum einen sozioökonomischen und sozioökologischen
Kapitalstock erhalten zu können, müssen Kommunen in ihre Outcome erzeugen (Beschäftigung, CO 2 -Einsparungen,
Infrastrukturen investieren – zumal mit Investitionen zentrale sozialen Zusammenhalt, Mobilität etc.).
Infrastrukturen und Leistungen der öffentlichen Daseins­ Eine Auswertung des Forschungsstandes zeigt, dass sich
vorsorge erbracht werden, die erst die Voraussetzungen für die Ursachen für nichtmonetäre Investitionshemmnisse dabei
die wirtschaftliche Betätigung Privater schaffen. Dabei wer- ganz grob sowohl in rechtlich-institutionellen sowie sozio­
den viele Investitionsnotwendigkeiten durch den Katalog der demografischen Faktoren als auch in exogenen und damit
kommunalen Pflichtaufgaben begründet: Straßen, Verkehrs­ politisch kaum steuerbaren Rahmenbedingungen, wie der
anlagen, Bildungseinrichtungen und öffentliche Verwaltungs- allgemeinen Konjunkturentwicklung, dem demografischen
gebäude müssen fortlaufend in einem funktionalen Zustand Wandel und Krisenphänomenen, wie der gegenwärtigen
gehalten werden, um die Arbeitsfähigkeit kommunaler Ein- Corona-Pandemie, verorten lassen (vgl. Abbildung 1).
richtungen sicherzustellen und Gefährdungen für das Gemein- So gesehen lässt sich die Problematik der nichtmonetären
wohl zu vermeiden. Diese basalen Anforderungen scheinen Investitionshemmnisse faktisch nicht isoliert und ohne eine
jedoch insofern nicht mehr flächendeckend garantiert, da der Berücksichtigung der monetären Dimension analysieren, die
Kapitalstock der Kommunen als einziger Ebene im deutschen im Wesentlichen von der Entwicklung der öffentlichen Haus-
Bundesstaat seit 2001 trotz erkennbarer Verbesserungen halte abhängt. Diese sind jedoch exogenen Rahmenbedingun-
am aktuellen Rand schrumpft – die jährlichen Abschreibungen gen ausgesetzt, die auf allen Ebenen des föderalen Mehr­
mithin höher sind als die Bruttoinvestitionen. Ein solcher ebenensystems immer wieder entsprechende Anpassungs-
kommunaler Vermögensverzehr kann dann ganz handfeste maßnahmen in den jeweiligen Haushalten von Bund, Ländern
haushalterische Auswirkungen entfalten, da in verschiedenen und Kommunen erfordern. Dies kann wiederum Einfluss auf
Kommunal- und Haushaltsverfassungen der Länder ein die personelle Ausstattung und die Organi­s ationsstrukturen
Zusammenhang zwischen öffentlichem Vermögensverzehr und der öffentlichen Verwaltungen haben, die Investitionen in
der Verschuldung der Städte und Gemeinden hergestellt den Kommunen planen, organisieren und durchführen. Hier
wird (Scheller 2020). So bestimmt beispielsweise § 110 Abs. 8 zeigt sich der enge Nexus zwischen der rechtlichen, institu­
des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes tionellen und personellen Dimension der öffentlichen Investi-
(NKomVG): „Die Kommune darf sich über den Wert ihres tionsproblematik.
Vermögens hinaus nicht verschulden. Ist in der Planung oder Dass in der Bundesrepublik ein Investitionsrückstand
der Rechnung erkennbar, dass die Schulden das Vermögen – insbesondere auf kommunaler Ebene – besteht, scheint
übersteigen, so ist die Kommunalaufsichtsbehörde unver- sowohl in der politischen als auch in der akademischen
züglich hierüber zu unterrichten.“ Konkret heißt dies, dass ein Diskussion weitgehend unstrittig (stellvertretend: Bayaz/
schrumpfender kommunaler Kapitalstock aufgrund nicht Hajduk 2019; Clemens 2019; Eicker-Wolf 2020; Bundesminis-
getätigter Investitionen zur Folge hat, dass das Niveau kredit- terium der Finanzen 2020; Wieland 2020; Bach et al. 2013b;
finanzierter Investitionen gesenkt werden muss. Hier besteht Gornig und Michelsen 2017; Bardt et al. 2017a; Gornig 2019;
 eher kritisch: Feld 2017; Feld et al. 2019). Mit Blick auf die
4 Bei der Doppik handelt es sich um das System der doppelten Buch- Ursachen dieses Rückstands fallen die Analysen und Bewer-
führung mit Vermögens-, Ergebnis- und Finanzrechnung, das im öffent­ tungen jedoch zum Teil sehr unterschiedlich aus. Zahlreiche
lichen Bereich zunehmend die Kameralistik ersetzt, die rein auf den Fluss
 Autor_innen verweisen an erster Stelle auf die in Teilen
von Einnahmen und Ausgaben abstellte.
BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS 11

 Abbildung 1
 Systematisierung nichtmonetärer Investitionshemmnisse

 exogene Rahmenbedingungen
 – Konjunkturentwicklung (Bauwirtschaft) Vorstellungen
 – Krisen, z. B. Corona der Bürger_innen
 – demografischer Wandel

 öffentliche Infrastrukturen
 öffentliche
 Investitionen der öffentlichen
 Haushalte
 Kommunen Daseinsvorsorge

 nichtmonetäre
 Investitionshemmnisse

 personeller institutioneller
 Rechtsrahmen
 Rahmen Rahmen

 unmittelbarer Einfluss

 mittelbarer Einfluss
 Quelle: eigene Darstellung.

desolate Finanz- und Haushaltslage vieler Kommunen, wobei 2019; KfW 2019). Die Ursachen dafür werden meist ganz
insbesondere eine hohe Verschuldung „Negativspiralen“ und allgemein in den Folgen des demografischen Wandels gesehen
„Vergeblichkeitsfallen“ begründeten – einschließlich ent- (Brand/Steinbrecher 2017a). Ergänzend dazu verweisen einzel-
sprechender Einschränkungen auch für die Investitionstätig- ne Studien aber auch auf eine – im Vergleich zur Privatwirt-
keit (stellvertretend: Boettcher 2012; Beznoska/Hentze 2019; schaft – unattraktive Vergütungsstruktur des öffentlichen
Beznoska/Kauder 2020; Südekum 2019). Vor diesem Hinter- Dienstes und die Nachwuchsschwierigkeiten in einzelnen
grund werden die negativen Auswirkungen der Corona-­ bau­relevanten Studiengängen und Ausbildungsberufen (stell-
Pandemie auf die kommunalen Haushalte in Teilen als sehr vertretend: Bardt/Grömling 2017b).
kritisch für die künftige öffentliche Investitionstätigkeit einge- Neben den finanziellen und personellen Ressourcen ver-
schätzt (stellvertretend: Tooze 2020; Hesse et al. 2020; weisen verschiedene Studien auf bürokratische Hürden und
Freier/Geißler 2020; Bach et al. 2020; aber auch: DStGB 2020; damit auf den Rechtsrahmen, der die öffentliche Investitions-
Deutscher Städtetag 2020). Schon vor Ausbruch der Corona-­ tätigkeit hemmt (Gornig/Michelsen 2017; Feld et al. 2020;
Pandemie war umstritten, inwieweit die für Bund und Länder Brand/Steinbrecher 2016). In diesem Kontext werden kom-
seit 2016 bzw. 2020 geltende Schuldenbremse als Hemm- plexe Planungsverfahren (Fink/Wiemann 2019; Otto/Ditzen
nis öffentlicher Investitionen wirke. Während beispielsweise 2019; IHK NRW 2019; Eisele 2019; Gebbeken 2017; BDI
Schmidt (2020), Feld et al. (2020; 2019), aber auch die 2019a, 2019b; Kuschel 2020) und das deutsche bzw. europä-
Deutsche Bundesbank (2020) dies verneinen, kommen andere ische Vergaberecht kritisiert, dass aufgrund hoher Anforde-
Autor_innen zu einem deutlich kritischeren Urteil (stellver­ rungen die eigentliche Vergabe von Bauaufträgen zeitlich
tretend: Krebs 2020; Truger 2020). Im Zuge der Corona-­ verzögere (Anger Jan/2020; DIHK 2019; Sutor-Fiedler 2019;
Pandemie wurden die Schuldenbremsen von Bund und DEKRA 2019; IHK Nord 2019; Gewinnus/Hüwels 2020;
Ländern zeitlich befristet ausgesetzt und auch die aufsichts- Brand/Steinbrecher 2016). Das Bauplanungsrecht und das
rechtlichen Bestimmungen zur Kommunalverschuldung Bauordnungsrecht werden dabei durch diverse Einzelvor-
wurden in Teilen gelockert. schriften ausgeformt. Während das Bauplanungsrecht auf
 Mit Blick auf die nichtmonetären Investitionshemmnisse eine Sicherstellung einer geordneten städtebaulichen Ent-
verweisen verschiedene Studien auf einen Fachkräftemangel wicklung mittels der Bauleitplanung zielt und sich dazu auf
– und zwar sowohl in den baurelevanten Fachverwaltungen das Baugesetzbuch (BauGB) und die Baunutzungsverord-
(Gornig/Michelsen 2017; Krone/Scheller 2020; BMF 2020; nung (BauNVO), die Planzeichenverordnung und die Wert­
Bardt/Grömling 2017b) als auch in der Bauwirtschaft (Baumanns ermittlungsverordnung stützt, ist das Bauordnungsrecht vor
et al. 2020; Deutscher Gewerkschaftsbund 2020; Malin et al. allem auf eine Gefahrenabwehr durch eine Gewährleistung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12

der gesetzlich einzuhaltenden Baustandards gerichtet. Während deutschen Bundesstaat begründet wird, finden sich in der
das Planungsrecht in großen Teilen Bundesrecht ist, fällt das Diskussion über Hemmnisse der öffentlichen Investitionstätig-
Bauordnungsrecht in den Kompetenzbereich von Ländern und keit auch Hinweise auf eine unzureichende Digitalisierung
Kommunen. Maßgeblich sind hier die Landesbauordnungen, einschließlich entsprechender E-Government-Prozesse in den
die sich zwar an einer Musterbauordnung (MBO) der Bau­ Verwaltungen (BMF 2020; Kompetenzzentrum öffentliche
ministerkonferenz (ARGEBAU) orientieren, sich in Einzelbestim- Informationstechnologie 2015; Europäische Kommission 2019).
mungen aber durchaus unterscheiden. Neben den Bauord- Diese Kritik zielt auf den institutionellen Rahmen und
nungen der Länder wird ein Teil der einschlägigen Baustan- die Verwaltungsorganisation als mögliches Hindernis für die
dards in eigenen Gesetzen und Verordnungen geregelt. öffentliche Investitionstätigkeit (BMWi 2021: 20). In diesem
Dazu zählen beispielsweise die Brandschutz-, Immissionsschutz- Zusammenhang wird meist auch ein fehlendes Schnittstellen-
und die Naturschutzgesetze einschließlich der entsprechen- management zwischen den verschiedenen, involvierten
den Ausführungsverordnungen der Länder sowie das Gesetz Fachverwaltungen (Buchert/Ruther-Mehlis 2017; Scheller 2017)
über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) und die beklagt. Daneben wird verschiedentlich darauf verwiesen,
Energieeinsparverordnung (EnEV). Nicht nur die bloße Vielzahl dass ein Großteil der Infrastrukturinvestitionen in die kommu­
an bei öffentlichen Investitionsvorhaben zu berücksichti- nale Daseinsvorsorge gar nicht mehr von den Kernverwal­
genden Rechtsquellen auf Bundes- und Landesebene wird in tungen der Städte und Gemeinden realisiert und betreut wird.
verschiedenen Gutachten und Studien kritisch bewertet. Durch umfangreiche Auslagerungen von Zuständigkeiten in
Vielmehr werden auch Zweifel bezüglich ihrer Kompatibilität öffentliche Unternehmen („Konzern Stadt“) sind es vor allem
artikuliert und potenzielle Unvereinbarkeiten als Investitions- Eigenbetriebe, Anstalten des öffentlichen Rechts und Zweck-
hemmnis eingestuft. Eine häufige Ableitung aus dieser verbände, die für den Ausbau und Unterhalt von Versorgungs-
Feststellung besteht in der Forderung nach einem entsprechen- netzwerken und Mobilitätsangeboten verantwortlich sind
den Abbau bzw. einer Harmonisierung von Baustandards. (Brand/Steinbrecher 2019a, Hesse et al. 2017). Beispiele hierfür
 Neben gesetzlichen Bau- und Vergabestandards, die sich sind die örtlichen Wasserwerke, Energieversorger und regio-
unmittelbar auf Planungs- und Realisierungsfragen von nalen Verkehrsverbünde, die ihre Daseinsvorsorgeleistungen
Investitionsvorhaben beziehen, sehen auch das Bauplanungs- möglichst eigenwirtschaftlich erbringen sollen. Dement­
und das Vergaberecht Instrumente des (individuellen) Recht- sprechend verfolgen kommunale Kernverwaltung und Eigen-
schutzes vor. Denn sowohl im Rahmen von Planfeststellungs- betriebe bei der Bereitstellung und Unterhaltung von Infra-
als auch von Vergabeverfahren für öffentliche Bauvorhaben strukturen auch unterschiedliche Interessen. Während beispiels-
bestehen – zum Teil über mehrere Instanzen hinweg – Ein- weise die Kommunen ein Interesse daran haben, dass den
spruchs- und Klagemöglichkeiten für Betroffene, Bürgerinitia- Bürger_innen ein möglichst flächendeckender und attraktiver
tiven, Verbände sowie potenzielle Wettbewerber_innen, ÖPNV angeboten wird, haben entsprechende Verkehrsbetriebe
die von entsprechenden Vorhaben Einschränkungen erwarten immer auch die Wirtschaftlichkeit entsprechender Strecken-
bzw. gewisse Entscheidungen des Bau- und Vergabeträgers netze und -anlagen im Blick zu behalten. Unterschiedliche
als Benachteiligung wahrnehmen. Gerade im Fall von Groß- Planungskulturen und -logiken in rechtlich selbstständigen
bauprojekten können sich solche Verfahren zeitaufwändig Einheiten befördern zudem eine Fokussierung auf die
gestalten und kann sich – insbesondere bei nicht eingeplanten In­f rastruktur im eigenen Verantwortungsbereich. Auch das
Zeitpuffern – die Realisierung entsprechend verzögern. Die entsprechende Know-how sowie die Daten- und Informations-
Kritik, die sich in den Planungs- und Ausführungsverwaltungen, erfassung zu Be- und Zustand der jeweiligen Anlagen­
aber auch in den mit öffentlichen Bauvorhaben befassten bestände werden oft isoliert und mit Blick auf den unter-
Branchen und ihren Interessenvertretungen an solchen Klage- nehmerischen Eigenbedarf vorgenommen. Insbesondere Fälle,
möglichkeiten regt, wird auch in entsprechenden Studien in denen geteilte Zuständigkeiten zwischen Kernverwaltung
und Gutachten aufgegriffen (stellvertretend: Reformkommis- und einzelnen Konzerntöchtern für öffentliche Infrastrukturen
sion Bau 2015; BMWi 2020). Im November 2020 hat der bestehen, werden mit Blick auf notwendige Investitions­
Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Beschleunigung von entscheidungen potenziell als Hemmnis gesehen (stellvertre-
Investitionen auf solche Klagen reagiert, da zukünftig u. a. tend: Scheller 2017).
eine Beschleunigung von Verwaltungsgerichtsverfahren In der inzwischen sehr breiten wissenschaftlichen Literatur
möglich sein soll (BT-Drucksache 19/22139). Neben der ge- zu Fragen der öffentlichen Investitionstätigkeit wird zwar
richtlichen Klagemöglichkeit im Rahmen von Planfeststellungs- in der Mehrzahl mit begründeten Annahmen zum negativen
verfahren sowie der Einspruchsmöglichkeit in öffentlichen Einfluss nichtmonetärer Investitionshemmnisse gearbeitet,
Vergabeverfahren – also Instrumenten einer rechtlich-institu- die sich in Teilen auch auf empirische Analysen stützen. Nicht
tionalisierten Konfliktschlichtung – sieht das Bauplanungs- selten verbleiben entsprechende Darstellungen aber eher
recht auch die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Bauvorhaben in im Bereich der anekdotischen Evidenz. Insbesondere syste-
Ländern und Kommunen vor. In Teilen der Literatur wird matisch-differenzierende Kategorisierungen der Vielzahl
auch darin ein öffentliches Investitionshemmnis gesehen, das möglicher nichtmonetärer Investitionshemmnisse einschließ-
sich planungs- und bauverzögernd auswirken könne (stell- lich einer empirischen Validierung entsprechender Wir-
vertretend: Tries/Reinhardt 2008: 252f.; Forschungsinitiative kungsketten und Wechselwirkungen finden sich jedoch nur
ZukunftBAU 2013; Benighaus et al. 2010: 276). punktuell. Abbildung 2 fasst die wichtigsten Hemmnisse
 Neben der Komplexität des Rechtsrahmens, der nicht überblickshaft zusammen.
zuletzt durch die teils geteilte, teils verschränkte Kompetenz- Aufsetzend auf dem vorstehenden Versuch einer ersten
verteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Systematisierung der in der Literatur diskutierten nichtmone-
BAUSTELLE ZUKUNFTSFÄHIGE INFRASTRUKTUR WISO DISKURS 13

tären Investitionshemmnisse der öffentlichen Hand, werden tionshemmnis anzusehen, da sie Planungs- und Bauvor-
im Folgenden analyseleitende Hypothesen formuliert, die haben tendenziell verzögern kann.
die Teilanalysen dieser Studie anleiten sollen: − Hypothese 4: Die Vielzahl an zu berücksichtigenden
 Baustandards aus verschiedenen Teilrechtsgebieten, wie
− Hypothese 1: Eine prozyklische Investitionstätigkeit der z. B. dem Umwelt-, Haushalts-, Bauordnungs- und Ver­
 öffentlichen Hand hat Baupreissteigerungen zur Folge und gaberecht, stellt die involvierten Fachverwaltungen der
 verschärft die wirtschaftliche Lage der Bauwirtschaft Kommunen vor große Koordinationsherausforderungen
 nicht nur in Krisen- und Rezessionsphasen. Denn die – zumal entsprechende Rechtsvorschriften immer sowohl
 Regenerationsfähigkeit der Bauwirtschaft ist aufgrund ermöglichende als auch restringierende Funktionen und
 personeller und technischer Spezifika langsamer als die teilweise durchaus auch nichtintendierte und wechsel-
 Konjunkturentwicklung, sodass die krisenbedingte seitig paralysierende Wirkungen entfalten können.
 Absenkung der Leistungsfähigkeit auch in den folgenden Insofern handelt es sich dabei potenziell um ein nicht-
 Boomphasen dazu führt, dass die Absorptionsfähigkeit monetäres Investitionshemmnis.
 öffentlicher Aufträge eingeschränkt bleibt. Darin liegt das
 Risiko, dass öffentliche Infrastrukturinvestitionen ge- Im Rahmen von vier Teilanalysen sollen diese Hypothesen im
 bremst werden. Folgenden – soweit möglich – auf Basis von quantitativen,
− Hypothese 2: Personelle Kapazitätsengpässe in den Fach- aber auch qualitativen Untersuchungen geprüft werden. Das
 verwaltungen der Kommunen haben ein geringeres konkrete methodische Vorgehen wird im Anhang erläutert.
 Investitionsniveau der Städte zur Folge. Je mehr Personal
 den Kommunen pro Kopf in den baurelevanten Fach­
 verwaltungen zur Verfügung steht, umso mehr können
 sie pro Kopf investieren. Die personelle Unterausstattung
 der baurelevanten Fachverwaltungen stellt damit
 potenziell ein nichtmonetäres Investitionshemmnis dar.
− Hypothese 3: Öffentlichkeitsbeteiligung bei öffentlichen
 Bauvorhaben ist als potenzielles nichtmonetäres Investi-

 Abbildung 2
 Teilaspekte nichtmonetärer Investitionshemmnisse

 rechtlicher Rahmen institutioneller Rahmen personeller Rahmen

 Haushaltsrecht Verwaltungsorganisation Fachkräftebedarfe in Kommunen
 − Schuldenbremse (Art. 109 und 115 GG) − Auslagerungen von Zuständigkeiten − Altersdurchschnitt
 − BHO, LHO, Kommunalverfassungen − Stand der Digitalisierung − Kompetenz- und Qualifikations-
 − … − E-Government niveaus
 − unzureichendes Schnittstellen- − Ermittlung des Personalschlüssels
 Raumordnungsrecht management − Wiederbesetzungsquote
 − Raumordnungsgesetz (ROG) − Partizipationsanforderungen − …
 − …
 Bauplanungs- und Bauordnungsrecht Bauwirtschaft
 − Baugesetzbuch (BauGB) Verwaltungsverfahren − Altersdurchschnitt
 − Baunutzungsverordnung (BauNVO) − Planfeststellungsverfahren − Kompetenz- und Qualifikations-
 − Planzeichenverordnung (PlanZVO) − Vergabeverfahren niveaus
 − Bauordnungen der Länder − Verfahren zur Öffentlichkeits- − Missmatch offene Stellen und
 − Emissionsschutzgesetze beteiligung Arbeitssuchende
 − Brandschutzgesetze − … − …
 − Naturschutzgesetze
 − Lärmschutzverordnugen der Länder
 − …

 Vergaberecht
 − Vergabeverordnung (VgV)
 − Landesvergabegesetze
 − Unterschwellenvergabeverordnung
 (UVgO)
 − Sektorenverodnung (SektVO)
 − …

 Verwaltungsverfahrensgesetze
 von Bund und Ländern
 − …

 Quelle: eigene Darstellung.
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