Be_WEG_en Herbstsymposium 2020 - Diözese Innsbruck
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Ausgabe 02/2020 | 32. Jahrgang, Juni 2020 be_WEG_en Einladung zum Herbstsymposium 2020 im Blattinneren! Gottes Wege – zum Staunen Meine Hände können sprechen, loben … Gottes andere Wege… Lautsprachunterstützte Kommunikation im inklusiven Religionsunterricht
INhalt 3 Maria Plankensteiner-Spiegel VORWORT Georg Fischer 4 Gottes Wege – zum Staunen Interview mit Bischof Hermann Glettler 8 Das Lebendige zählt Monika Prettenthaler 10 Bewegender Religionsunterricht?! Drei Blitzlichter 12 Was mir wichtig ist Antonette Schwärzler 14 Meine Hände können sprechen, loben, danken, singen … Andreas Liebl 16 Überraschungen! Lisa Wiestner & Elmar Fiechter Alber 17 Schulwege – Schülerin und Direktor erzählen Katina Perle Auf der Suche nach neuen Wegen für ein praktisches 18 Christentum in den Zeichen der Zeit Bernhard Lammer 20 AV-Medienstelle Schul_Leben 22 Was mein Schulleben bereichert 23 Personalia und Impressum Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin / des Autors wieder und müssen nicht der Meinung der Herausgeber entsprechen. Die Nennung bei den Personalia erfolgt mit Einverständnis der Genannten. 2
Verehrte Kolleginnen Maria Plankensteiner-Spiegel, Mag., Leiterin des Bischöflichen Schulamtes und Kollegen! Das mit dem Unter-WEG-s Sein hat eine völ- Die Bibel ist voll von Weg-Geschichten. lig neue Dimension bekommen. Ein ÖKUM Menschen verlassen ihr Leben und machen mit dem Titel be-WEG-en haben wir zu ei- sich auf, auf der Flucht, um ein neues Leben ner völlig anderen Zeit geplant, vor den tief- zu finden oder gerufen von Gott. Ob das Ab- greifenden Änderungen der letzten Monate. raham ist, das ganze Volk Israel, Jonas, Ruth Was da passiert ist, war zuvor nicht vorstell- oder Tobit, um nur ein paar der bekann- bar, zumindest nicht für mich. Die Situation testen zu nennen: Sie alle sind unterwegs. nach den ersten Schritten in die Öffnung Nie wissen sie genau, wo sie ankommen nun leichtfertig als „neues Normal“ anzuer- werden, immer sind Angst und Ungewiss- kennen, weigere ich mich. Zu sehr ist alles heit mit dabei, und immer erfahren sie sich anders und vieles ungewiss. Mir das „alte schlussendlich begleitet. Georg Fischer SJ Normal“ zurückzuwünschen, das möchte erinnert uns an solche Geschichten. ich auch nicht. Denn zu tun, als wäre nichts geschehen, darf und wird nicht gelingen. Zu Auch Jesus ist ein Gehender, ein Wanderer tief sind die Einschnitte, die wir auf allen zu den Menschen. Diesen Aspekt hat Bischof Ebenen unseres Lebens erfahren haben. Fa- Hermann als ein von Jesus bewegter Mensch miliär, sozial, schulisch, wirtschaftlich, kirch- in sein Motto aufgenommen: Geht, heilt und lich, körperlich, persönlich. verkündet. Davon und von anderen Dingen, die ihn be-weg-en, erzählt er in diesem Heft. Also be-WEG-en. Nach einer Zeit, in der viele Menschen solange zu Hause waren wie Wie wir Schülerinnen mit und durch unseren noch nie zuvor, allein oder in ihrer Familie, Religionsunterricht erreichen und bewegen eng zusammen und zur selben Zeit getrennt können, das beschreibt Monika Prettenthaler, von anderen Menschen. Andererseits ist in vielen von den Schulbüchern der Oberstufe kürzester Zeit sehr viel in Bewegung ge- bekannt. kommen, auch solche Bereiche, von denen man glaubte, sie würden sich nie ändern. Vom ganz realen Unterwegssein, in die Schule, von der Schule heim, mit der Schule Unterwegs zu sein, in Bewegung, auf dem auf Wallfahrt – auch davon ist in diesem Weg, ist eine menschliche Grundkonstante. Heft die Rede. Bei allen Herausforderungen Die meisten von uns haben sie vermisst, als bietet das Schulleben auch immer wieder sie nicht möglich war. Kinder haben ganz Bereicherndes und Schönes. Um solch kost- unmittelbar das Bedürfnis, sich zu bewegen, bare Momente zu teilen, haben wir eine sie spüren ihren Körper und damit sich neue Seite aufgenommen, „Was meinen selbst und erleben sich als wirksam. Wenn Schulalltag bereichert“. Über diese Notizen sie Erfahrungen ganzheitlich machen, mit freue ich mich ganz besonders. Kopf, Händen, Beinen, dem ganzen Kör- per, lernen sie um vieles besser. Antonette Be-weg-ende Anregungen und viel Freude Schwärzler beschreibt, wie sie eine Sprache mit dem Heft wünscht der Gesten mit hineinnimmt in das Tun mit Kindern im Unterricht und so mehrfache Zugänge für ALLE Kinder ermöglicht. Maria Plankensteiner-Spiegel 3
GOTTES Georg Fischer SJ, WEGE – zum Staunen Univ.-Prof., Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie der Universität Innsbruck Gottes andere Wege überdimensionalen Holzkasten mit den Maßen „Denn meine Gedanken sind nicht eure Ge- 135x23x14 Meter zu bauen – ein Unterfangen, Gott ‚tickt‘ danken, und eure Wege nicht meine Wege, das alle damals üblichen Vorstellungen anders als wir. Spruch Jhwhs. sprengte und nur Verwunderung auslösen Denn (wie) der Himmel höher als die Erde konnte, dessen Nützlichkeit sich aber später ist, so sind meine Wege höher als eure Wege bei der Flut herausstellte. und meine Gedanken als eure Gedanken.“ (Jesaja 55,8–9) Ein weiteres Beispiel ist Samuel, dem Gott den Auftrag gibt, zu Lebzeiten des Königs Mit diesen Unterscheidungen und Vergleichen Saul bereits einen Sohn Isais zum König zu bringt Gott den unendlichen Abstand in Pla- salben; der Prophet betrachtet dies als einem nen und Verhalten zwischen sich und den Todesurteil gleichkommend (1 Samuel 16,1–2). Menschen zum Ausdruck. Er begründet so Wenige Verse später, in der Ausführung des sein in v6 – 7 vorausgehendes, äußerst groß- Auftrags, glaubt er, Isais Erstgeborener Eliab zügiges Angebot, dass er sogar Frevlern bei sei der Erwählte; erneut korrigiert ihn Gott Umkehr zu ihm sein Erbarmen und Ver- mit der Bemerkung: geben schenken wird. „Denn nicht [zählt], was der Mensch sieht – denn der Mensch sieht mit den Augen; Dass Gott anders ‚tickt‘ als wir, begegnet Jhwh aber sieht auf das Herz.“ (1 Sam 16,7) öfter auch sonst, und es erfahren in gleicher Weise Menschen, die ihm eng verbunden Sogar der Prophet nimmt nicht wie Gott sind. Von Noach heißt es, ebenso wie von wahr und muss sich von ihm führen lassen, Henoch ein Kapitel zuvor, dass er „mit Gott ausgerechnet den Kleinsten, noch dazu zu- wandelte“ (Genesis 6,9; vgl. 5,22.24). Ab erst Abwesenden, David, zu salben (v12–13). Gen 6,14 bekommt er den Auftrag, einen 4
Ähnlich abweichende Denkweisen finden sich nach Joppe / Jaffa mit Ziel Tarschisch auf auch im Neuen Testament. Petrus, der erste (vermutlich in Spanien gelegen, Jona 1). der Apostel, will Jesus von seinem angekün- Sein Vorhaben scheitert, und in Jona 3 lässt digten Leidensweg abhalten und erhält zur er sich dann, zwar immer noch widerwillig, Antwort: „Geh weg, hinter mich, Satan! Denn auf Gottes Auftrag ein, die Bewohner von du denkst nicht, was Gottes (ist), sondern das Ninive zu warnen. der Menschen!“ (Markus 8,33). – Alle die ge- nannten und andere Stellen machen deutlich, Abraham, Mose, Jeremia, Jona sind Beispiele dass und wie sehr wir oft mit unseren Urteilen dafür, wie Gott die Wege von Menschen in und Einschätzungen danebenliegen. unerwartete Richtungen lenkt. Ihr Leben wird dadurch in einer Weise fruchtbar, die weit Gerufen zu besonderen Wegen über das persönliche Geschick hinausgeht. In Fortführung zum oben sichtbar gewordenen Abstand lassen sich auch jene Erzählungen Göttlicher Beistand und Nähe begreifen, in denen Gott massiv Lebenswege Anspruchsvolle Wege sind nicht ohne Unter- in eine andere Richtung lenkt. Genesis 12 stützung zu bewältigen. Deswegen schenkt setzt ein mit seiner Aufforderung an Abram: Gott dazu seine Zusagen. Abram wird, „Geh, für dich, aus deinem Land, aus deiner schon gleich anfangs, mit „Segen“ gleichsam Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus überhäuft (Gen 12,2–3), erhält später die in das Land, das ich dich sehen lasse!“ einmalige Zusicherung „Ich bin dir Schild“ (Gen 15,1) und das Angebot eines Bundes Dies ist Gegenprogramm zum im Kapitel zu- (Gen 17). Sogar Andere bemerken Gottes Anspruchsvolle vor geschilderten, doch scheiternden Versuch enge Verbindung mit Abraham (Gen 21,22) Wege sind nicht der Menschen in Babel, durch das Großpro- und anhaltend mit seinen Nachfahren (für ohne Unterstützung jekt des Turmbaus ihre Zerstreuung zu ver- Isaak: Gen 26,28; bei Josef: Gen 39,3.23). zu bewältigen. hindern (Gen 11). Zugleich ist es der Auf- Deswegen schenkt takt zu einer lebenslangen Führung, bei der Als Jakob nach seinem Betrug am Vater we- Gott dazu seine Gott mit Abraham unterwegs bleibt und in gen des Hasses seines Zwillingsbruders Esau Zusagen. der dieser zu seinem Vertrauten und ‚Freund‘ auf ‚Brautschau‘ zum Onkel Laban nach Ha- wird. Im Aufgeben aller Sicherungen erfährt ran geschickt wird, verspricht Gott ihm seine Abraham, dass die Beziehung zu Gott trägt. Begleitung bei dieser gefährlichen, ins Un- bekannte führenden Unternehmung: „Und Ähnlich fordert Gott auch später in Berufungen siehe, ich bin mit dir und ich werde dich be- heraus. Der erste ist Mose. In Exodus 3 - 4 hüten überall, wo du gehst“ (Gen 28,15). In versucht er in einer Serie von gleich fünf ähnlicher Weise verspricht Gott Jakob sein Einwänden, sich dem göttlichen Auftrag Mitsein für die Rückkehr in die Heimat (Gen zu entwinden, doch vergeblich. Schließlich 31,3) und in dessen Alter für das Hinunter- macht er sich für die Befreiung seines Vol- ziehen nach Ägypten (Gen 46,4). Gegen Ende kes auf den Weg nach Ägypten. seines Lebens spricht Jakob vom „Boten / En- gel, der ihn erlöst hat von allem Unheil“ (Gen Auch Jeremia will sich Gottes Sendung 48,16); dieses Motiv findet breite Entfaltung im durch Verweis auf seine Ungeeignetheit Buch Tobit durch den Boten / Engel Rafael. entziehen (Jer 1,6). Sein Widerstand nützt nichts; sein Lebensweg als der von Gott de- Solche ‚Beistandszusagen‘ begegnen wie- signierte „Prophet für die Völker“ und als derholt in Berufungstexten bzw. für wich- Verkörperung des „Dieners Jhwhs“ aus Jesaja tige Personen in der Gemeinschaft. Mose beginnt. Später tritt noch hinzu, gegen alles erhält sie gleich dreifach (Ex 3,12; 4,12.15), damals Übliche, dabei ehe- und kinderlos Jeremia doppelt zu Beginn (Jer 1,8.19) und zu bleiben (Jer 16). Auch schweres Leid, so- erneut später (Jer 15,20). „Ich bin mit dir“ gar bis in den Tod, kann zu Gottes Wegen sichert Gott auch Josua (Jos 1,5) und Gideon gehören (vgl. Jes 53). zu (Richter 6,16). Es gilt ebenso für die ganze Gemeinschaft (vgl. Deuteronomium Der Prophet Jona glaubt, sich dem Weg, den 20,1; 31,6). Oft steht im Zusammenhang die Gott für ihn geplant hat, durch Flucht entzie- hen zu können, und macht sich, statt gegen Nordosten nach Ninive, in Richtung Westen Ermutigung, sich nicht zu fürchten. – Gott fordert nicht einfach, er schenkt noch mehr, wenn er uns anspruchsvolle Wege zumutet. o 5
Der Exodus als Modell-Weg Gottes Weisung als Weg Das Grundmuster für Gottes Weg mit Ein- Mit ein Grund für den deutlich länger ge- Zuerst geht es um zelnen und Gemeinschaften liegt im Auszug schilderten Weg des Hinaufziehens ins Land ein Freiwerden von aus Ägypten, wobei dieses Land symbolisch liegt in den vielen Gesetzen. Fast alle gibt allen Formen von für „Wohlstand in Unfreiheit“, unterdrückende Gott am Berg Sinai, ab Ex 20 mit den „Zehn Zwängen, bevor Diktatur („Pharao“) und Orientierung an Worten“ als Verfassung des Gottesvolkes. das Ziel erlangt den damit verbundenen Götzen steht. Gott Weitere ergehen durch Mose im Buch Deu- werden kann. setzt gegen alle Widerstände die unmöglich teronomium (vor allem in Dtn 12–26). Für erscheinende Befreiung seines Volkes in ei- das Benützen von Wegen, seien es Straßen, nem komplexen Prozess durch. Rad- oder Fußwege, Zebrastreifen, usw., gibt es Regeln; Gleiches gilt für Lebenswege, so- Entscheidende Momente daran verbinden wohl individuell als auch gemeinschaftlich. sich mit den zwei häufig dafür verwendeten Verben „herausgehen / -führen“ und „hinauf- Jene, die aus der Knechtschaft in Ägypten frei- ziehen / -führen“ (s. Exodus 3,10.8). Das erste gekommen sind, sollen nach Gottes Willen nimmt die Absetzung von den falschen, dieses geschenkte neue Leben bewahren kön- versklavenden Abhängigkeitsmechanismen nen. Seine Gebote wollen helfen, dass Men- in den Blick. Das zweite schaut voraus auf schen nicht wieder abhängig werden oder sich das Ziel, das von Gott verheißene Land. Da- selber schaden. Sie eröffnen einen ‚Weg‘ (vgl. zwischen liegt eine Phase der ‚Ruhe‘, der Dtn 5,33), der zu Heil und Gelingen führt. Gott lange Aufenthalt am Gottesberg Sinai. als „Lehrer“ zeigt ihn (Jes 30,20–21). Ps 25 bit- tet um Belehrung in diesem Sinn, und Ps 119 Dieser Dreischritt ist typisch für Gottes Wege: schildert in unüberbietbarer Weise die Fülle Zuerst geht es um ein Freiwerden von allen des aus Gottes Weisung kommenden Segens. Formen von Zwängen (‚Ägypten‘). Bevor das Ziel (‚Land‘) erlangt werden kann, Die in der Tora enthaltenen göttlichen Bestim- bedarf es des Innehaltens, des Erfüllt- mungen heben sich ab von sonst üblichen (s. Werdens in der Begegnung mit Gott. Dies Dtn 4,5–8). Die darin enthaltenen Vorschriften gibt die Kraft für den ‚Aufstieg‘ und die da- zeichnen sich aus durch Gerechtigkeit, beson- mit verbundenen Schwierigkeiten; in der dere Umsicht und soziale Ausrichtung. Sie er- Bibel dauert letztere Phase deutlich länger möglichen so einer Gemeinschaft, dauerhaft als der Auszug. Gegenüber den 15 Kapiteln in Frieden und im fairen Ausgleich aller Inte- und einer begrenzten Zeit (Ex 1–15) braucht ressen zu gehen. Mit seinen weisen Geboten es nach dem Aufenthalt am Berg Sinai fast und wiederholten Rufen zur Umkehr (s. Jer 40 Jahre und alle Texte von Numeri 10 bis 3,12.14.22) bewegt Gott die auf ihn Hörenden Josua 3, bis das Volk im Land ankommt. in eine gute Richtung. Die wunderbare Befreiung aus Ägypten ist ein Ein bewegter und beweglicher Gott zentrales Motiv für das Wirken des biblischen ‚Bewegung‘ ist ein Kennzeichen des biblischen Gottes und erfährt deswegen vielfache Erinne- Gottes. Als David ihm ein Haus bauen will, rung und Lob, angefangen vom Schilfmeerlied lehnt Gott dies ab mit Verweis darauf, er sei (Ex 15) über prophetische Texte (z.B. Jesa- bisher immer nur „in einem Zelt umherge- ja 43,16–17) bis hin zu einigen Psalmen (Ps zogen“ (2 Samuel 7,6–7). Als später im Tempel 77,16–21; 78,12–14; 114 …). Dieses frühere Gräuel geschehen, zieht er von dort aus mit Handeln dient als Maßstab auch für zukünf- seiner Herrlichkeit (Ezechiel 9,3; 10,18; 11,23). tiges göttliches Einschreiten; in der Rückfüh- Seine Rückkehr dorthin erfolgt dann in Ez rung seines Volkes aus dem Exil wiederholt 43,2–5. Gottes Kommen in seinen Tempel zur Gott das damalige Vorgehen und überbietet es Läuterung kündet auch das letzte Kapitel der dabei noch (vgl. Jes 51,9–11; Jer 16,14–15). Schriftpropheten an (Maleachi 3,1–5). 6
Mehr aber noch als äußerlich beweglich ist bare Wege: „der Weg des Adlers am Him- Gott innerlich bewegt. Hosea 11,8 legt offen mel, der Weg einer Schlange auf Fels, der ‚Bewegung‘ ist den „Herzensumsturz“ in ihm selber. Trotz Weg eines Schiffes im Herzen des Meeres der anhaltenden Abwendung seines Volkes und der Weg eines Mannes bei einem Mäd- ein Kennzeichen regt sich all sein Mitgefühl für es, und er chen“ (Spr 30,18–19). Noch staunenswerter des biblischen Gottes. kann es nicht preisgeben. Ähnlich schildert freilich sind die Wege des biblischen Gottes, Jeremia 31,20 das intensive göttliche Emp- und vollends unbegreiflich ist schließlich, finden für Ephraim trotz dessen Vergehen; dass er, obwohl so anders, uns einlädt, sie Gottes innere Erregtheit lässt ihn sich der nachzugehen, indem wir ihn nachahmen Gemeinschaft wieder erbarmend zuwenden. in Heiligkeit (Levitikus 11,44–45), in Liebe In dieselbe Richtung weist auch die Rede zu Fremden (Deuteronomium 10,18–19), in von Gottes „gereuen“ (z.B. Jer 18,7–10); er Barmherzigkeit (Lukas 6,36) und Vollkom- ÖKUM-Literaturhinweis: kann seine Pläne zurücknehmen, falls sich menheit (Matthäus 5,48). Fischer, Georg: Gott und sein Wort. Studien Menschen oder die Situation ändern. zu Hermeneutik und biblischer Theologie (Stuttgarter Biblische Aufsatzbände 70. Altes Testament), Stuttgart (Katholisches Zum Staunen Bibelwerk) 2019. Ein Zahlenspruch im Buch der Sprichwörter Fischer, Georg: Theologien des Alten Testa- ments (Neuer Stuttgarter Kommentar AT 31), nennt als vier wunderbare, schwer einseh- Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2012. 7
DAS LEBENDIGE ZÄHLT Bischof Hermann Glettler, Diözese Innsbruck Bischof Hermann Glettler im Interview mit Ingrid Jehle und Thilo Grund ÖKUM: Sehr geehrter Herr Bischof, lieber deutlich machen, dass Schutzsuchende Bischof Hermann! Du bist nun schon im nicht illegal sind. Sie verdienen unsere erste dritten Jahr Bischof der Diözese Innsbruck. Aufmerksamkeit. Pfarren und kirchliche Ge- Dein Motto lautet: „Geht, heilt und verkün- meinschaften können Good-Practice-Bei- det“. Auf welchen Wegen konntest du uns in spiele kommunizieren und damit eine posi- deiner bisherigen Tätigkeit als Bischof be- tive Bewusstseinsbildung leisten. Solidarität gleiten und welche sind weiter zu gehen? darf nicht an unseren Grenzen, auch nicht an den europäischen Halt machen. Wir Bischof Hermann Glettler: „Geht, heilt gehören doch als Menschen zusammen! und verkündet!“ ist nicht nur mein persön- Weltweit. Wir sollten die Elenden auf den Wir müssen als liches Leitwort, sondern ein generelles Motto griechischen Inseln doch nicht in den kata- Kirche deutlich für ein zeitgemäßes Christsein. Als Kirche strophalen Lagern ihrem Schicksal überlas- machen, dass sind wir für die Menschen und für die Welt sen. Unser Glaube bietet Heimat und fordert Schutzsuchende da! Grundsätzlich bin ich sehr dankbar für uns heraus, unsere physische und spirituelle nicht illegal sind. den Weg in und mit unserer Diözese. Kri- Heimat mit anderen zu teilen. tisch bemerke ich, dass es oft noch zu viel „kirchlt“. Ich meine damit, dass uns kirchen- Die Amazonas-Synode hat viele Erwartun- interne Angelegenheiten oft zu viel Zeit und gen geweckt. Wo siehst du Antworten auf Energie rauben. Wir bräuchten diese drin- gegenwärtige Fragen bezüglich viri probati, gend für eine Seelsorgende Kommunikation Zölibat, weiblicher Dienste und Charismen? mit den Menschen. Die Corona-Krise hat bei vielen einen kreativen, im Grunde missio- Bischof Hermann Glettler: Es ist mir ein narischen Geist aufgeweckt. Trotz der rigo- großes Anliegen, Frauen in wichtige kirchliche rosen Einschränkungen war plötzlich eine Leitungsverantwortung zu bringen und sie an stärkere Dynamik der Zuwendung zu spü- Entscheidungsprozessen voll zu beteiligen. ren, die sehr heilsam ist. Die Weihe von „lebensbewährten“ Personen kann ich mir grundsätzlich vorstellen. Ich Du nimmst immer wieder zur aktuellen bitte dennoch weiterhin um eine grundsätz- Flüchtlingsproblematik Stellung. Welche liche Wertschätzung des zölibatären Weges. Aufgabe siehst du für unsere Diözese? Ich frage auf Zukunft hin: Wird den weni- gen jungen Menschen, die sich das vorstel- Bischof Hermann Glettler: Zum Glück gibt len können, Wertschätzung vermittelt? Und es in unserer Diözese einige sehr engagierte Ordensleute? Zölibatäre Frauen und Männer Initiativen zur Unterstützung von Asylsuch- haben die Sozialgeschichte unseres Landes enden. Nicht wenige nehmen den Dauerauf- wesentlich mitgeschrieben – teilweise tun trag einer menschenwürdigen Integrations- sie dies immer noch. arbeit sehr ernst. Wir müssen als Kirche 8
Die Amazonas-Synode hat den wundesten was wir mit unserem Leben nicht bezeugen Punkt unserer Welt berührt – die ungenierte, bzw. als Alternative leben, lässt sich auch gottlose Ausbeutung und Vernichtung unse- mit sympathischen Absichtserklärungen und Die Amazonas- rer Schöpfung. Alles hängt zusammen – und tollen Aktionen nicht wettmachen. Zu die- Synode hat den wir sind mittendrin. Würden wir nur mit ser Ehrlichkeit müssen wir uns durchringen. wundesten Punkt einem Bruchteil der Konsequenz ans Werk Darüber hinaus setzen wir richtunggebende unserer Welt berührt – gehen, mit der wir heute gegen Covid-19 Zeichen. Der Beitritt der Diözese und expli- die ungenierte, gott- kämpfen, dann hätten wir eine gute Chance, zit einzelner Pfarren und Einrichtungen zum lose Ausbeutung und unseren Globus zu retten. Klimabündnis gehört dazu. Grundlegend, Vernichtung unserer und dafür setze ich mich gelegen und unge- Schöpfung. Die katholische Kirche in Österreich unter- legen ein, ist die Förderung einer Spiritua- stützt den Ethikunterricht als Pflichtgegen- lität der Dankbarkeit und Achtsamkeit. An- stand für jene Oberstufenschüler*innen, stelle von Gier nach immer mehr brauchen die nicht an einem Religionsunterricht wir die Haltung des Teilens und der nach- teilnehmen. Worin liegen in deinen Augen haltigen Sorge für die Schwächsten. Chancen und Gefahren? Wo siehst Du aktuell die wichtigste Heraus- Bischof Hermann Glettler: Ja, ich sehe da- forderung? Vor allem auch im Blick auf die rin mehr Chance als Gefahr. Es gäbe keine nächsten Generationen? Freistunde als attraktive Alternative zum RU und alle Schüler/innen würden eine wich- Bischof Hermann Glettler: Das Leben- tige Basisbildung in den Fragen verantwor- dige zählt. Zuerst und zuletzt sind das lei- tungsbewussten Menschseins erhalten. Dies denschaftliche Hinhören und Wertschätzen Schaffen wir es, in geschieht ja ganz selbstverständlich auch im wichtig – das gilt für alle Generationen. Und einer zeitgemäßen, konfessionellen Religionsunterricht. Die Ge- dann: Schaffen wir es, in einer zeitgemäßen, verständlichen Weise fahr ist natürlich, dass der Ethikunterricht ei- verständlichen Weise Begegnungen mit Jesus Begegnungen mit nes Tages für alle zum Pflichtfach wird und Christus zu ermöglichen? Das Wort Evan- Jesus Christus zu damit wohl den RU verdrängen würde. Wich- gelisation sollte kein Fremdwort bleiben. ermöglichen? tig ist es, den Qualitätsstandard des RU zu Ich meine, gelingt uns ein lebensrelevantes halten und an einem positiven Narrativ mitzu- Zeugnis, dass die Frohe Botschaft unseres gestalten. Wir brauchen ein gesundes Selbst- Glaubens alles miteinschließt, was unserem bewusstsein. Religion, Kirche und Spiritualität Leben Größe und Würde verleiht? Da gehört haben den jungen Menschen viel zu bieten. auch wesentlich das Thema Vergebung und Neubeginn dazu – alles, was in einer leis- Welchen Beitrag können wir im Sinne von tungsorientierten, auf Perfektion getrimmten „Global denken und lokal handeln“ für Gesellschaft schnell verlorengeht. Ich glaube, eine umfassende Nachhaltigkeit leisten? wir brauchen in der Nervosität unserer Zeit wieder Stille, um uns selbst in Gott geborgen Bischof Hermann Glettler: Das wichtigste zu finden und die nötige Durchhaltekraft für ökologische Statement, das wir als Diözese die vielen Aufträge unserer Zeit zu haben. Innsbruck geben können, besteht in der Förderung eines achtsamen Lebensstils un- Bischof Hermann, danke serer 380.000 katholischen Gläubigen. Alles, für das Gespräch! 9
Bewegender Monika Prettenthaler, Mag. Dr., Assistentin am Institut für Katechetik und Religionspädagogik an der Universität Graz; Religions- Religionsunterricht?! lehrerin am Bischöflichen Gymnasium Augustinum; Psychotherapeutin Vermutlich teilt der Großteil aller Religions- ausgesetzt ist, solange er sich unter seines- lehrerinnen und Religionslehrer das Anliegen, gleichen aufhält oder mit seinesgleichen mit und in ihrem Religionsunterricht „etwas“ kommuniziert, beruht auf Resonanz. Ihre in Bewegung zu bringen: Vielleicht sind es Wirkungen auf den Menschen sind die existentielle Nachdenkprozesse, die sie bei stärksten überhaupt, unabhängig davon, ob den Schülerinnen und Schülern in Gang sie uns wachsen lassen und stärken oder ver- setzen wollen, oder sie möchten zur Aus- letzen und schwächen.“3 Die Ausstattung der einandersetzung mit anderen religiös be- Menschen mit Spiegelnervenzellen ermög- deutsamen Phänomenen anregen. Vielleicht licht, dass aus dem Beobachten ein inneres wollen sie eine Spur zum Verständnis bibli- Miterleben wird – unser Gehirn speichert scher Texte legen und die Klassen zu ethisch mit dem (Fach-)Wissen auch soziale Erfah- verantwortungsvollem Handeln bewegen. rungen. Kinder lösen bei Erwachsenen Re- Oder die Lehrerinnen und Lehrer wünschen sonanz aus, Schülerinnen und Schüler neh- sich, dass ihre Schülerinnen und Schüler mit men wahr, wie sie sich in den Lehrerinnen Interesse theologischen Fragen nachgehen und Lehrern spiegeln. Sie erhoffen sich da- oder für Themen anspringen, die sie selbst bei eine Antwort auf die (unbewusste) Frage: in ihrer Jugend begeistert haben und (hof- Welche „Vision“ hast du als Lehrerin, als fentlich) bis heute faszinieren … Lehrer von mir? Die Gehirnforschung be- legt, wie sehr der Bildungs- und Lernerfolg Beim zuletzt genannten Aspekt möchte ich mit diesem Zutrauen, den Erwartungen oder mit meinen Überlegungen zu einem „be- Zumutungen beeinflusst werden kann; denn Wenn Lehrerinnen wegenden“ Religionsunterricht ansetzen. Anerkennung, Zugewandtheit und Vertrau- und Lehrer sich für Der Soziologe Hartmut Rosa und der Pä- en stellen den neurobiologischen Treibstoff ihre Schülerinnen und dagoge Wolfgang Endres stellen in ihrem der menschlichen Motivationssysteme dar. Schüler interessieren, Konzept zur pädagogischen Resonanz1 zwei „Zu den neurobiologischen Konstruktions- fühlen diese sich ange- Beziehungsgrößen in den Mittelpunkt. Die merkmalen von Kindern und Jugendlichen nommen und können eine ist die personale Komponente: Wenn gehört, dass die im Kopf des Kindes ange- für den Unterricht Lehrerinnen und Lehrer sich für ihre Schüle- siedelten sogenannten Motivationssysteme offen werden. rinnen und Schüler interessieren, fühlen die- nur dann anspringen, wenn die Kinder oder se sich angenommen und können für den Jugendlichen spüren, dass sie persönlich Unterricht offen werden. Die andere betrifft wahrgenommen und ‚gesehen‘ werden. die Ebene des Inhaltes: Wenn die Lehrper- Ohne Beziehung keine Motivation.“4 Mit son durch ihre Begeisterung den Inhalt zum Hilfe des optischen Aufbereitungs- und In- Sprechen bringt, beginnt dieser auch für terpretationssystems des Gehirns werten die Schülerinnen und Schüler zu sprechen.2 Menschen kleinste Signale aus und nehmen Beides ist in der menschlichen Natur be- auf diese Weise intuitiv wahr, wie sie von gründet: Joachim Bauer hat in seinen Arbei- den Menschen wahrgenommen werden, die ten über die Spiegelneuronen jenes Prinzip mit ihnen in Beziehung treten. Bauer weist entdeckt, das auch Hartmut Rosa aufgreift: in diesem Zusammenhang auf die Alltags- „Der bedeutsamste Einfluss, dem der Mensch sprache hin, wo es beispielsweise nicht um- 10
sonst heißt: „Sie hat ihr Ansehen verloren“, auch meinen persönlichen Zugang zu vielen „Er steht in hohem Ansehen!“, „Man würdigt Inhalten prägt, scheint kein Zufall zu sein. Seitens der Lehr- ihn keines Blickes“ oder „Sie hat mir einen personen birgt das anerkennenden Blick zugeworfen“.5 Seitens der Lehrpersonen birgt das Wissen um diese Zusammenhänge große Chancen Wissen um diese Genauso gilt für jede professionell gestaltete und stellt sie zugleich vor Herausforderun- Zusammenhänge pädagogische Beziehung, dass ein positiver gen7; denn eine derart „resonante“ Unter- große Chancen und Blickkontakt die Ausschüttung körpereigener richtsatmosphäre lebt von deren körper- stellt sie zugleich vor Botenstoffe bewirkt. Konkret kann sich das licher und geistiger Präsenz. „Diese entsteht Herausforderungen. beispielsweise im Religionsunterricht in der dadurch, dass die Lehrkraft mit sich, so wie Arbeitslust von Schülerinnen und Schülern sie ist, in hohem Maß identisch ist, also zu zeigen, wenn diese sich von ihren Lehrerinnen sich und ihren Überzeugungen steht, eine und Lehrern grundsätzlich angenommen freundlich-zugewandte, aber klare Haltung fühlen und erfahren, was ihre Potentiale hat, dass sie selbst Freude am zu vermitteln- sind, worin sie gut sind und wo sie sich ver- den Stoff hat und einen didaktischen Plan, bessern müssen. Wenn Schülerinnen und wie sie diesen den jungen Menschen na- Schüler also das Gefühl haben, dass sich hebringen will.“8 Oder anders, nämlich aus ihre Lehrerinnen und Lehrer nicht nur für der Perspektive der empirischen Bildungs- die Inhalte – bei aller Bedeutung, die das forschung mit John Hattie zusammengefasst: „Brennen“ der Lehrperson für ihr Fach hat Worauf es in einem (Religions)Unterricht, – interessieren, sondern auch für sie als der etwas oder jemanden bewegen will bzw. Personen, indem ihnen beispielsweise zuge- bewegend sein möchte, wirklich ankommt, hört wird, wenn sie ihre Sicht auf ein Thema ist die Lehrperson und ihre Leidenschaft. Sie erklären, dann erhöht das zugleich ihr En- „sind einer der wichtigsten Bereiche, wenn gagement und Selbstwertgefühl. es um schulische Leistung geht. Fachkom- petenz allein reicht hierbei nicht aus. Sie Für den Unterrichtskontext unterstreicht Jo- muss von pädagogischer und didaktischer achim Bauer auch noch die bereits oben Kompetenz begleitet sein. Und schließlich angeklungene Fähigkeit, sich auf den emo- bedarf es entsprechender Haltungen, um tionalen Zustand einer anderen Person ein- das Wissen und Können im Schul- und Un- zuschwingen bzw. andere mit der eigenen terrichtsalltag zum Leben zu erwecken. In- Stimmung anstecken zu können. Besondere sofern ist die Leidenschaft der Lehrperson und in religionsunterrichtlichen Zusammen- für das Fach, für die Lernenden und für den hängen einfach herzustellende Formen so- Lehrerberuf ausschlaggebend.“9 zialer Resonanz sind gemeinsames Lachen oder Singen. Forschungsergebnisse zeigen, dass alles, was zwischenmenschliche Reso- nanz und soziale Verbundenheit erzeugt, die 1 Vgl. Rosa, Hartmut / Endres, Wolfgang (2016): Resonanzpädagogik, Weinheim Bildung des sogenannten Glücksbotenstoffes und Basel: Beltz. 2 Vgl. Rosa/Endres (2016) S. 46-47. Dopamin zu fördern scheint. 3 Bauer, Joachim (2019): Wie wir werden, VERANSTALTUNGSHINWEISE wer wir sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz, Für Leben und Schule gilt also: Gute Erfah- der KPH – Edith Stein: München: Blessing, S. 13. rungen mit Menschen aktivieren die Moti- Studientag der PTS/BS 4 Bauer (2019) S. 113. 5 Vgl. Bauer, Joachim (2018): Vortrag vationssysteme.6 Dazu ein aktuelles Beispiel M. Prettenthaler: Wo, wenn nicht im im Rahmen des Symposions „Lehren und Lernen – Auf dem Weg zu einer aus meiner heurigen Maturaklasse: In den Religionsunterricht…(?!) beziehungsorientierten Schule“, Reflexionen der Schülerinnen und Schüler von Do 21.01.2021, 15:30 Uhr Graz 12.-13.Oktober. 6 Vgl. Bauer (2018). wird häufig der „undogmatische, für Fragen bis Fr 22.01.2021, 12:15 Uhr 7 Zur Frage des Übersehen-Werdens vgl. Prettenthaler, Monika (2020): und Kritik offene Religionsunterricht“ als Vom Ansehen und Beschämen, Grund für ihre motivierte Mitarbeit genannt. Frühjahrstagung der AHS/BMHS in: KatBl 145. Jg., Heft 3, S. 226-231. 8 Bauer (2019) S. 114. Dass ich genau diese Form der Auseinan- M. Prettenthaler: Wie der Funke im 9 Hattie, John / Zierer, Klaus (2018): dersetzung mit Religion an meinen Schüler- Religionsunterricht (nicht) überspringt. Visible Learning. Auf den Punkt gebracht, Baltmannsweiler: innen und Schülern schätze und diese Form Mi 24.03.2021, von 9:00 bis 17:00 Uhr Schneider Verlag Hohengehren, S. 131. 11
Was mir Michael Brugger, Religionslehrer an der Fachberufsschule für Handel und Büro Tiroler Lehrlingswallf er, ahrt stian Leitn Josef Chri rer an der h Religionsle „Ein Stück des Weges lie N M S Ru m gt hinter dir, ein anderes Stück hast du noch vo r dir. Wenn du verweil dann nur, um dich zu st, stärken, aber nicht, um aufzugeben.“ (Kirchenle hrer Augustinus) hr das – la u te t jedes Ja rwegs“ on Rum sam unte Klassen v „Aufgegeben wird ein „Gemein it d e n 1 . dungs- Brief – sonst nichts un d o tt o , w enn ich m e u n d d ort im Bil niemand.“ (Berufsschull M e h te. ehreralltag). B a u m kirchen g s te rn übernach na c h -Sc h w e wir uns s d e r D on-Bosco jü n g e r b ewegen hau mmaus uf unter- Dergleichen zeigt sich wie die E wir uns a bei der Lehrlingswallfah Ähnlich ke s te ll e n gegen- Eine große Zahl junge rt: der Strec hren uns r Leute unterschiedliche fort. Auf vo r u n d fü kehr in Lehrberufe wälzt sich zu m liebevoll gestalteten r c h ie d li c he Weise g e s . B e i der Ein PLAY s We Gottesdienst ins heilige e in S tück des ir e in a nder FAIR Almgebiet der Waldrast seit ig en w Stärke Verweilend, keuchend . k irc h e n begegn -Ü B U N GEN die , fluchend, genussvoll, Bau m DY am spirituell vertieft oder rf a h re n bei BUD h ru n g k ehren wir sich doch irgendwo de und e ieser Erfa zurück. Trubel entziehend... m pe. Mit d ach Rum der Grup ie d e r n Tag w nächsten er wiede r d e s Ja hres imm Mitten drin: (Religions-) nn es im Laufe sich die LehrerInnen, die die Auch we m t, erinnern Müden aufbauen, die Sch migkeite n k o m sam und nellen bremsen, die zu Unstim b te : „Gemein Irritierten ermutigen un as E rl e emein- d das körperlich oder see- h ü le rI n nen an d r g u te n Klasseng lisch Aufbrechende so S c ein e wie die unterschiedlichs en wir zu körperlichen Gebrechen ten fair könn s e n!“ behutsam bergen. ranwach Im Wissen, dass es das schaft he Verweilen braucht, um wieder aufzubrech en. 12
wichtig ist Astrid Vantsch, Kath Bildungsanstalt für Elementarpädago gik (KBAfEP) Kettenbrüc ke UnterWEGs mit Matur ant*innen auf dem Besinnungsw eg in Gnadenwald Auf dem Besinnungsw eg von Absam nach Gn denwald - St. Martin a- blicken die Schüler*in auf ihren schulischen We nen g zurück und bitten Go um Segen für ihre Zu tt kunft. Einige Wegstation mit ansprechenden Te en xten laden zum Inneh ten ein. Das Labyrinth al- am Ende des Weges möglicht ihnen eine be er- sondere Erfahrung. De Abschluss der Wallfahrt n bildet die bekannte Ge schichte von Momo un - d Beppo, dem Straßen kehrer: Sie steht als Me - tapher dafür, wie wir herausfordernden Situa mit tionen umgehen könn ohne dabei die Freude en , zu verlieren. Beppo leh Momo, nicht an das ga rt nze bevorstehende Tu denken, sondern nur n zu an den nächsten Atemz an den nächsten Schritt ug, und an den nächsten Be senstrich. So lassen sic - h Gegenwart und Zuku leichter in den Blick ne nft hmen. In diesem Sinn bietet die „Maturawallfahrt“, an unserer Schule zu die einer guten Tradition worden ist, weg-weisen ge - de Impulse für jede un jeden einzelnen. d 13
Meine Hände können Antonette Schwärzler, sprechen, BEd, Dipl.-Päd., Sonder- und Religionspädagogin, Hochschullehrerin / Koordinatorin allgemeinbildende Pflichtschulen, KPH Edith Stein – Standort Feldkirch loben, danken, singen … Lautsprachunterstützte Kommunikation im inklusiven Religionsunterricht und in der religiösen Bildungsarbeit im Kindergarten IMTA1 2019, Dornbirn, Freitag, 24. Juni. und Bewegungen begleitet wird. „Das war Ruhe herrscht in unserem Klassenraum, richtig meditativ“, meint eine Mutter, als sie „Sprechen“ mit eine leichte Anspannung ist zu spüren und sich verabschiedet. „Es war etwas ganz Be- den Händen, mit ein wenig Nervosität. Ein großer Sitzkreis sonderes und hat mich sehr berührt“, meint Mimik, Gestik und ist hergerichtet. Meine Schüler*innen – alles eine andere Person. Und meine Schüler*- Bewegungen Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf – innen strahlen und werden noch lange von verteilen sich und lassen dazwischen Platz diesem besonderen Tag erzählen. für unsere Gäste, welche die bereitgestellten Stühle bis auf den letzten einnehmen. Das Lautsprachunterstützende Gebärden bie- „Wenn Gott einen Bogen in den Himmel tet im inklusiven Unterricht und in der ele- malt und Hände sprechen…“ so heißt unser mentarpädagogischen religiösen Bildung ein Workshop, zu dem Eltern und Lehrpersonen wunderbares Instrument, um mit allen Kin- gekommen sind. Gemeinsam wollen wir dern Texte, Gebete und Lieder einzuüben. die Geschichte von Noah erarbeiten – auf eine ganz besondere Art und Weise. Nicht Was bedeutet „Lautsprachunterstützendes alle meine Schüler*innen können im her- Gebärden“ (LUG)?2 kömmlichen Sinn sprechen, einige besitzen Die Lautsprachunterstützte Kommunikation LUG – Schlüssel- keine Verbalsprache. Sie können aber sehr ist ein Teilgebiet der Unterstützten Kommuni- wörter werden mit wohl mit ihren Händen „sprechen“, mit ihrer kation3, kurz UK genannt. Beim Lautsprach- Handzeichen unterlegt Mimik und Gestik, mit Bewegungen und unterstützenden Gebärden werden wichtige Lauten. Es wird eine sehr berührende halbe Wörter unserer Lautsprache, sogenannte Stunde, in der wir gemeinsam ein Bodenbild Schlüssel- oder Signalwörter, mit Gebärden / gestalten, die Geschichte von Noah erzäh- Handzeichen unterlegt. Dies geschieht im- len und dabei wichtige Wörter, sogenannte mer zeitgleich mit dem Sprechen und unter Signal- oder Schlüsselwörter, mit Handzei- Beibehaltung der Grammatik. Dies ist der chen und Bewegungen unterlegen und sie große Unterschied zu den offiziellen Ge- so spürbar machen und verinnerlichen. Zum bärdensprachen (ÖGS4, DGS5, …), bei wel- Schluss singen wir gemeinsam das Lied vom chen es sich um eigenständige, linguistisch Regenbogen, das auch von Handzeichen vollwertige und natürliche Sprachen mit 14
LUG – ein Beitrag zur Inklusion, mit dem sofort begonnen werden kann 6 „Regenbogen, buntes Licht , deine Farben sind das Leben“, so beginnt das Lied, welches wir am Ende der Noah-Geschichte mitein- ander gesungen und gebärdet haben. Lautsprachunterstützendes Gebärden hat Licht und Farbe in das gemeinsame Singen, Erzählen und Feiern und das gegenseitige Verstehen über den Religionsunterricht hinaus an unsere Schule gebracht. eigener Grammatik und Syntax handelt. Als der Elementarpädagogik tagtäglich machen. Schlüsselwörter bezeichnet man jene Wörter Die Kinder haben Freude an der Bewegung, im Satz, die für das Verständnis wichtig sind. spüren sich selbst, verinnerlichen die Inhalte Wie viele und welche Wörter jeweils ge- und merken sich den Text durch die Kombi- bärdet werden, liegt im Ermessen der Aus- nation mit Bewegungen viel besser. Seit ich führenden und hängt vom eigenen Können im Laufe meiner Fort- und Weiterbildungen und den Fähigkeiten des Gegenübers ab. die Unterstützte Kommunikation und damit 1 Die Internationale Musische Tagung (IMTA) findet jedes Jahr an einem Neben der Nutzung des Vokabulars der ÖGS verbunden das Lautsprachunterstützende anderen Ort im Bodenseeraum statt. und DGS, werden je nach Region und Ein- Gebärden kennenlernen durfte, setzte ich Bericht zur IMTA 2019 in Dornbirn auf der Website des Landes Vorarlberg richtung auch unterschiedliche Gebärden- bald nur mehr die Gebärdensammlung unter: www.presse.vorarlberg.at/land/ dist/vlk-59215.html sammlungen mit vereinfachten Handzeichen „Schau doch meine Hände an“ ein. Ich ver- [abgerufen am 21.02.2020] verwendet (z. B. Schau doch meine Hände wende nun immer dasselbe Handzeichen9 für 2 Vgl. Michaela Wulf-Schäfer. www.kindergartenpaedagogik.de/ an6, GuK7, Lebenswelt Tirol Sprachwerk- einen bestimmten Begriff – eine deutliche fachartikel/bildungsbereiche-erziehu- ngsfelder/sprache-fremdsprachen-liter- statt8, …). Egal, welche Sammlung verwen- Arbeitserleichterung für mich. Die Kinder acy-kommunikation/2281 det wird, das Prinzip ist immer dasselbe: Die merken sich die Handzeichen erstaunlich [abgerufen am 21.02.2020] 3 Vgl. Unterstützte Kommunikation – jeweiligen Handzeichen werden immer für schnell, setzen diese auch bei anderen Lie- Einsatz von Gebärden. dieselben Begriffe verwendet werden. Es dern und Gebeten ein und fragen bei neuen www.de.wikipedia.org/wiki/Un- terst%C3%BCtzte_Kommunikation entsteht somit ein Vokabular, wie beim Er- Texten nach bestimmten Handzeichen, die [abgerufen am 22.02.2020] 4 ÖGS (Österreichische Gebärden- lernen einer Fremdsprache. sie noch nicht gelernt haben. Inzwischen sprache). Vgl. Österreichischer Gehör- verwende ich die Handzeichen auch bei losenbund: FAQ 1 - Allgemeines zur Gebärdensprache. Wie kann Lautsprachunterstützendes (Bibel-)Geschichten und Erzählungen. Ge- www.oeglb.at/gebaerdensprache/ Gebärden (LUG) in der religiösen meinsam wiederholen die Schüler*innen mit faq-1-allgemeines-zur-gebaerden- sprache/ [abgerufen am 22.02.2020] Bildungsarbeit eingesetzt werden? mir wichtige Kernsätze; die Aussagen wer- 5 DGS (Deutsche Gebärdensprache) 6 Schau doch meine Hände an. Geb- Auf meinem Weg als Sonder- und Religions- den dadurch auf das Wesentliche reduziert ärdensammlung zur Kommunikation mit pädagogin – mit mehr als 30 Jahren Reli- und verinnerlicht. Dies ist ein besonderes nichtsprechenden Menschen. Bundesver- band evangelische Behindertenhilfe e.V. gionsunterricht in Klassen mit Kindern mit Erlebnis für alle – wie zu Beginn bei der www.schau-doch-meine-haende-an.de/ 7 Vgl. Gebärden-unterstützte Kommu- erhöhtem Förderbedarf und in Volksschul- Geschichte von Noah kurz beschrieben. nikation.URL: https://de.wikipedia. klassen – darf ich auf viele beglückende LUG ist aus unseren Religionsstunden nicht org/wiki/Geb%C3%A4rden-unter- st%C3%BCtzte_Kommunikation Stunden zurückblicken. Immer schon habe mehr weg zu denken und wird von allen [abgerufen am 22.02.2020] 8 Lebenswelt Tirol Sprachwerkstatt - Shop. ich mir bei Liedern und Gebeten passende Kindern – mit und ohne Verbalsprache – mit www.lebenswelt-tirol.at/shop.html Bewegungen zum Text überlegt und diese Freude eingesetzt. So kann mit einem relativ 9 In Zusammenhang mit „Schau doch meine Hände an“ verwende ich bewusst beim Singen und Beten mit den Kindern einfachen Mittel ein wesentlicher Beitrag zur den Begriff „Handzeichen“ und nicht eingesetzt – so wie es viele Religionspäd- Inklusion erbracht werden. „Gebärde“, damit es nicht zu einer Verwechslung mit einer der offiziellen agog*innen im Primarstufenbereich und in Gebärdensprachen (ÖGS, DGS) kommt. 15
Andreas Liebl, ÜBERRASCHUNGEN! Mag., Religionslehrer an der Tiroler Fachberufsschule für Holztechnik in Absam, Gefängnisseelsorger Die Lehrlinge sind ganz und gar nicht be- Auf Maria Waldrast kehrt in der Wallfahrts- geistert von der Vorstellung, auf Wallfahrt zu kirche beim Gottesdienst Ruhe ein. Aus der gehen – das riecht für sie zu sehr nach Kir- großen „Meute“ gibt es wenige, die nicht che, nach langweiligem Rosenkranzbeten – hinein wollen; ein Lehrer bleibt bei ihnen. jedenfalls nichts für junge Holzhandwerker! Ich spüre beim Gottesdienst, wie gut uns die Ich muss ihnen versprechen, dass es o.k. ist. Besinnung und die Ruhe tun. Besonders still Natürlich macht auch das Treffen mit Kolle- wird es, als die Fürbitten vorgetragen wer- gen aus anderen Schulen Hoffnung. Anreiz den. Diese Fürbitten formulierten jugend- ist auch die Möglichkeit, dort Mädchen zu liche Straftäter. Es sind bewegende Bitten treffen. Mich erinnert es schon fast an die für die wallfahrenden Lehrlinge, aber auch Maiandachten früherer Zeit, die auch mehr eine Gebetsbitte für die jungen Häftlinge. Mittel zum Zweck waren. Jedenfalls besser, Vielerlei Sorgen werden auf den Altar mit- als im Juli in die Schule gehen zu müssen... genommen. Nicht nur dort geschieht Wand- lung; aus den fast schon „Unwilligen“ sind Ein Kreuz wird mitgetragen; an Stationen Jugendliche geworden, die froh um diesen wird inhaltlich innegehalten; Wasser wird Tag sind – nicht nur, weil es besser ist als zur Stärkung verteilt und kein Rosenkranz Schule; ein Tag der Besinnung. – Danke! gebetet. Die einen preschen vor, sind schnell wie Gämsen – andere müssen ermutigt und bestärkt werden. Ich sehe mich selbst und ich sehe die anderen anders, wenn ich dar- an denke, dass wir alle unterwegs sind, dass jeder an sein Ziel kommen möchte, dass wir einander im Wege stehen, aber auch beim Weiterkommen behilflich sein können. 16
SCHULWEGE Schülerin und Direktor erzählen Elmar Fiechter-Alber, Lisa Wiestner, Direktor am Bischöflichen Gymnasium Paulinum, Schwaz Schülerin des Paulinums Schwaz „I ho eahn ussegworfe. Der soll no Mein Schulweg – zfuass huiloafe, des schadet eahm so kurz und doch gefährlich! gär nix.“ – „Ich habe ihn aus dem Bus verwiesen. Er Ich wohne in Schwaz und somit circa 2 Kilo- soll gefälligst zu Fuß heimgehen. Das schadet meter von meiner Schule, dem Paulinum, ihm sicher nicht!“. Meine Hauptschule Ende entfernt. Dass auf diesem 2 Kilometer-Schul- der 1970er-Jahre lag im Nachbardorf am weg nicht viel Aufregendes passieren kann, Rande des Bregenzerwaldes. Fünf Kilometer dachte ich mir zuerst auch, aber nun, nach- und ca. eine Viertelstunde Busfahrt war für dem ich die Schule fast 6 Jahre besuche, uns alltäglich. Dass es dabei immer wieder muss ich dies leider verneinen. zu lautstarken Tumulten und sogar Hand- greiflichkeiten kam, schien uns nicht außer- Es war an einem Montagmorgen. Das Wetter gewöhnlich. Für den Busfahrer – aufgrund war schön, einer der ersten etwas wärmeren seiner markanten Gesichtszüge nannten Tage im Februar. Ich freute mich sehr, wir ihn Cäsar – war es auf der Hälfte des denn das bedeutete, dass ich wieder mit Heimweges eines Tages zu viel. Er ließ dem Fahrrad in die Schule fahren konnte. meinen Freund Anton den Rest der Strecke Also machte ich mich auf den Weg. Es schien, zu Fuß weitergehen. Im Heimatdorf ange- als könnte mir nichts im Weg stehen, doch kommen stand zufällig dessen Vater – der ich täuschte mich. Wortwörtlich. Ich war Bürgermeister – und Cäsar informierte ihn nicht mehr weit von der Schule entfernt und umgehend, was dieser befürwortend zur plötzlich stand er vor mir - groß, weiß, quer- Kenntnis nahm. gestellt, und das mitten auf dem schmalen Weg. Ein Laster. Warum dieser damals quer Dass ich selbst eines Tages nicht nur die über die Straße gestanden ist, ist mir heute Hälfte, sondern den ganzen Weg zu Fuß ge- noch ein Rätsel. Doch in jenem Moment war hen musste, hatte nicht mit den Launen von etwas anderes viel wichtiger. Ich kam an Kindern und Busfahrer zu tun, sondern da- diesem Laster nicht vorbei. Keine Chance. mit, dass ich eine Stunde nachsitzen musste Als ich noch knappe fünf Meter von dem und ich die Wahl hatte, entweder eineinhalb Laster entfernt war, hatte ich eine Idee. Stunden zu gehen oder auf den Abend-Bus Rechts von der Heckklappe war noch etwas zu warten. Täglich gab es ja nur drei Busver- Platz. Ich beschloss dann spontan, auf die- bindungen. Meine Eltern anzurufen, dass sie ser Seite einfach vorbeizufahren. Den Gras- mich holen sollten, war keine Option. Nicht hügel, der sich dort befand, hatte ich einfach nur, weil ich natürlich kein Handy hatte, übersehen. Doch sobald ich auf ihn raufge- sondern vor allem, weil sich der „Shuttle- fahren war, bemerkte ich ihn dann schließ- Service Mama“ in der damaligen gesell- lich doch. Trotz meiner schnellen Reaktion schaftlichen Vorstellung noch nicht etabliert hatte ich keine Chance mehr. Ich rutschte hatte. einfach rückwärts wieder runter und landete etwas unsanft auf dem kalten und noch nas- Erst mit dem Schulwechsel in die Handels- sen Asphalt. Ich erlitt keine Verletzungen, akademie in der gefühlten Großstadt Bre- Gott sei Dank. Dafür aber blieb eine prä- genz wagten wir mangels ausreichender Bus- gende Erinnerung. Jedes Mal, wenn ich an verbindungen die Variante des Autostopps, diesem Hügel vorbeifahre, muss ich an mein um im Optimalfall ein paar Stunden früher kleines Abenteuer denken und darüber im sonnigen Bergdorf anzukommen. schmunzeln. 17
Katina Perle, MA Religionslehrerin an der BAfEP Kettenbrücke, BAfEP Haspingerstraße Auf der Suche und am Abendgymnasium Innsbruck nach neuen Wegen für ein praktisches Christentum in den Zeichen der Zeit Fast schon fühlt es sich an wie ein längst ver- lungnahme unzählige Gegenmeinungen gibt. gangener Traum, an den man sich nur mehr Wir ertrinken gleichsam in einem Meer aus bruchstückhaft erinnert: Da wuchs die so ge- Fakten. Durch die Menge an Fakten, die sich nannte Generation Y, der auch ich angehöre, teils gegenseitig widersprechen, haben wir im aufstrebenden Europa der Boomer-Eltern scheinbar kollektiv resigniert und betiteln auf, als gäbe es keine Grenzen und als wäre unser eigenes Zeitalter leicht witzelnd als das immerwährende Wachstum der Wirt- postfaktisch. schaft ein Naturgesetz. Es waren die Jahre vor 9/11, vor der Wirtschaftskrise und einem „Wer du bist, was du denkst, wo du stehst, damit langsam wachsenden Misstrauen der es ist alles egal“ singt die junge Künstlerin Bevölkerung. Wir waren uns noch nicht so Pippa und trifft damit wohl das Lebensge- bewusst, dass vieles von dem, was wir kon- fühl einer ganzen Generation, welche die sumieren, irgendwo im Verlauf der Produk- Hoffnung und das Lebenskonzept von „hö- tionskette jemanden oder etwas ausbeutet, her, weiter, schneller“ nicht ganz freiwillig zerstört oder zumindest stark belastet. Wir aufgeben muss. Wir waren uns noch waren glückliche, aber auch leichtgläubige Konsumentinnen und Konsumenten in ei- Was bei dieser schon fast nihilistisch kling- nicht so bewusst, dass nem System, dem wir großteils vertrauten. enden Einstellung verloren geht, ist jedoch vieles von dem, was wir mehr als selbstsichere, finanzielle Potenz. konsumieren, irgendwo Seitdem hat sich fast alles verändert. Nach un- Die Erkenntnis der eigenen Ohnmacht wirkt im Verlauf der Produk- zähligen Lebensmittelskandalen, dem Platzen lähmend und raubt einem die Mündigkeit. tionskette jemanden von imaginären Finanzblasen und dem Er- Es scheint schier unmöglich, in diesem un- oder etwas schädigt. starken des Internets als Enthüllungsmedium, durchsichtigen Dschungel aus Informationen sowie der aktuellen Corona-Krise, stehen wir und wirren Verkettungen noch nach seinen Kinder der Generation Y bis zu den Knien in eigenen Werten leben zu können. „Was für einem Meer aus Verunsicherung. Wir hinter- ein Schlamassel…!“ fragen das Fundament einer ganzen Gesell- schaft. Umso mehr wir erfahren, umso mehr Vor circa fünf Jahren wurde mir das alles zu tappen wir im Dunkeln, da es so etwas wie viel. Ich hatte gerade mit meinem Masterstu- Wahrheit nicht mehr zu geben scheint. Man dium der Theologie an der Universität Wien liest darüber, dass die Demokratie tot sei, da begonnen, da überkam mich ein beunru- die Lobbyisten in Wahrheit das Sagen haben, higendes Gefühl der Passivität. In geistes- wenn es um die Gestaltung von Gesetzes- wissenschaftlichen Studien lernen wir viel texten oder Richtlinien geht. Doch wir kön- über das menschliche Leben. Wir fragen uns, nen es nicht beweisen, da es zu jeder Stel- was die Menschen antreibt, was sie bewegt 18
und wir philosophieren über Alternativen. der Großstadt. Ich empfand diesen reduzier- Die Theologie geht sogar soweit, dass sie ten Weg als sehr wohltuend für Körper und sich darüber Gedanken macht, wie ein gutes Geist. Auch der Erde könnte es wohltun, Wir hinterfragen das menschliches Leben aussehen könnte. Päpste wenn wir uns alle ein wenig reduzieren und Fundament einer und große Kirchenväter haben viel darüber uns in Verzicht üben. ganzen Gesellschaft geschrieben – und einiges davon klingt durch- und suchen nach einer aus inspirierend. Doch es bleibt nur allzu Weg 2: Veganismus neuen christlichen oft bei der Theorie, vor allem im Studium. Verzicht ist nicht immer gleichzusetzen mit Lebenspraxis. ärmer werden. Das erkannte ich, als ich In den kommenden Jahren suchte ich nach den Veganismus als passende Lebensweise neuen Wegen, die es mir ermöglichen, in ei- für mich entdeckte. Seit nunmehr fünf Jah- ner globalisierten und durch die freie Markt- ren ernähre ich mich rein pflanzlich. Vega- wirtschaft beherrschten Welt nach meinen nismus ist nicht nur eine Ernährungsweise, christlichen Werten auch praktisch leben sondern ein Lifestyle, der die Verbundenheit zu können. Zwei Stationen auf diesem Weg aller Dinge anerkennt und die positiven Aus- möchte ich nun kurz vorstellen. wirkungen dieses Weges aus ökonomischer, ökologischer wie ethischer Perspektive Weg 1: Großstadt-Minimalismus versteht. Viele christliche Grundüberzeu- Inspiriert durch klösterliche Askese und mi- gungen, wie das „Dreifache Liebesgebot“, Menschen auf alter- nimalistisch lebende Youtuber entschied ich finden sich in der veganen Lebensweise nativen Lebenswe- mich, diesen Weg des bewussten Verzichts wieder. Das „Dreifache Liebesgebot“ bün- gen leben christliche für mich auszuprobieren. Menschen, die delt alle anderen christlichen Gebote und Werte –nicht selten man als Minimalisten bezeichnet, reduzieren ruft uns zur Nächstenliebe, Selbstliebe und konsequenter als der ihren Besitz ganz bewusst auf das Allernö- Gottesliebe auf. Veganismus tut dies meiner „durchschnittliche tigste. Kleidung, Hygieneartikel, Küchen- Meinung nach auch, wenn auch in einer an- utensilien, Bücher usw. – alles, was man be- deren, säkularisierten Sprache. Taufscheinchrist“. sitzt, wird aus den Regalen geräumt und auf einen Haufen gelegt. Die Inventur eines gan- Egal, ob Minimalismus oder Veganismus, alle zen Lebens, wenn man so will. Der Effekt: diese neuen, alternativen Wege sind zutiefst Es wird einem unmissverständlich klar, wie empathisch und versuchen, die Welt auf eine viele unnötige Dinge man besitzt. Und trotz- friedliche Art und Weise zu verbessern. Ich er- dem konsumieren wir munter weiter. Mini- kenne in diesen alternativen Wegen ganz klar malisten lehnen sich gegen diesen Konsum- das von Karl Rahner beschriebene anonyme zwang auf. Sie entrümpeln ihr Leben und Christentum und rufe darum zur Zusammen- behalten nur, was wirklich wichtig ist. Da- arbeit auf, da uns diese Bewegungen dabei durch schaffen sie Platz für das, was zählt behilflich sein können, ein zeitgemäßes im Leben. Der Vorteil von diesem Weg ist, praktisches Christentum zu gestalten. dass er überall funktioniert, am Land wie in 19
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